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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Marie-Janine Calic Kosovo 2004 Optionen deutscher und europischer Politik S 1 Januar 2004 Berlin

Marie-Janine Calic Kosovo 2004SWP-Berlin Kosovo 2004 Januar 2004 5 Problemstellung und Empfehlungen Kosovo 2004 Optionen deutscher und europäischer Politik In den letzten Monaten

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SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Marie-Janine Calic

Kosovo 2004Optionen deutscher und europäischer Politik

S 1Januar 2004Berlin

Alle Rechte vorbehalten.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

© Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2004

SWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut fürInternationale Politik undSicherheit

Ludwigkirchplatz 3−410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 [email protected]

ISSN 1611-6372

Inhalt

Problemstellung und Empfehlungen 5

Die Aktualisierung der Kosovo-Frage 7

Perspektiven demokratischer Stabilisierung 9Fortschritte beim institutionellen Aufbau 9Defizitäre Sicherheitslage 12

Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft? 14Vertriebenenrückkehr und Minderheitenschutz 15Fehlende Integration der Serben 17

Wirtschaftliche Entwicklungspotentiale 19Strukturelle Entwicklungsprobleme 19Wiederaufbau und Geberabhängigkeit 20

Interessen, Ziele und Strategien derHauptakteure 23Prishtina: das Problem aussitzen 23Belgrad: Zeit gewinnen 25

Ansätze für eine europäische Kosovo-Politik 28

Abkürzungen 31

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Problemstellung und Empfehlungen

Kosovo 2004Optionen deutscher und europäischer Politik

In den letzten Monaten des Jahres 2003 hat sich derDruck verstärkt, eine langfristig tragfähige politischeLösung für Kosovo zu suchen. Gründe dafür sind:! die wachsende Entfremdung zwischen der albani-

schen politischen Klasse und der UN-Protektorats-verwaltung (UNMIK);

! neue terroristische und ethnisch motivierte Gewaltim Kosovo, in Südserbien und Mazedonien im Früh-jahr und Sommer 2003;

! die bevorstehende weitere Reduktion der interna-tionalen Sicherheitspräsenz und der Rückgang derWiederaufbauhilfen;

! der Beginn des direkten Dialogs zwischen Belgradund Prishtina im Herbst 2003;

! Forderungen von internationaler Seite, besondersaus den USA, 2005 mit Verhandlungen über dieUnabhängigkeit der Provinz zu beginnen.

Spätestens 2006, wenn Serbien und Montenegro überden Verbleib in der gemeinsamen Staatenunion ent-scheiden müssen, rückt die Statusfrage auf die inter-nationale Agenda.

Welche Aussichten bestehen für demokratische undrechtsstaatliche Konsolidierung? Welche Chancen hatdas von der Staatengemeinschaft verfolgte Ziel einermulti-ethnischen Gesellschaft? Welche wirtschaft-lichen Perspektiven stellen sich? Welche Interessenund Ansätze verfolgen die Hauptakteure in Prishtinaund Belgrad? Und letztlich: An welchen Punktenkönnte europäische Politik realistischerweiseansetzen?

Eine frühzeitige Anerkennung der UnabhängigkeitKosovos (oder jeder anderen endgültigen Statuslösung)kann die substantiellen institutionellen, rechtsstaat-lichen sowie entwicklungs- und sicherheitspolitischenProbleme der Provinz nicht lösen. Statt dessen wäredie regionale Stabilität in Gefahr, sollte die Staaten-gemeinschaft ein Modell gegen den Willen eines derHauptbeteiligten, Prishtina oder Belgrad, durchsetzen.Vorgeschlagen wird deshalb eine Strategie, die an denlegitimen Interessen der beiden Parteien ansetzt undversucht, diese � soweit möglich � miteinander inÜbereinstimmung zu bringen.

Im einzelnen ergeben sich folgende Empfehlungen:! Anzustreben wäre mittelfristig ein Modell, das de

facto Unabhängigkeit Kosovos bedeutet, jedoch

Problemstellung und Empfehlungen

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nicht so heißt. Angesichts der unvereinbarenPositionen von Belgrad und Prishtina, aber auchwegen der regional destabilisierenden Wirkungoktroyierter Lösungen, sind � so unbefriedigend esklingen mag � frühzeitige Diskussionen über denendgültigen Status Kosovos (seine Unabhängigkeit)wenig empfehlenswert.

! An der Formel »Standards vor Status« ist grundsätz-lich festzuhalten. Sie ist der zentrale Hebel fürEinflußnahme auf spätere Statusentscheidungen.Allerdings sollte sie mehr als politisches Prinzipund strategischer Rahmen denn als operativesHandlungskonzept begriffen werden.

! Die der internationalen Verwaltung vorbehaltenenBefugnisse (reserved powers) sollten schrittweiseauf die Provisorischen Institutionen Kosovos über-tragen werden, vor allem Kompetenzen im Bereichder auswärtigen Beziehungen. Es ginge darum, volleRegierungsfähigkeit herzustellen, ehe über eineStatuslösung verhandelt wird. Voraussetzung wäreein Moratorium in bezug auf die Unabhängigkeit.

! Die Instrumente des Stabilisierungs- und Assoziie-rungsprozesses sollten gezielter zur Unterstützungder politischen Ziele der Staatengemeinschaft ein-gesetzt werden. Mit dem Stabilisation and Associa-tion Process Tracking Mechanism (STM) steht einEvaluierungsinstrument zur Förderung ausgewähl-ter Politikbereiche zur Verfügung. Es sollte mit derPolitik der UN-Verwaltung verknüpft werden. VorOrt anzustreben ist eine Engführung der bürokrati-schen Stränge der EU.

! Der Prozeß direkter Gespräche zwischen Prishtinaund Belgrad sollte dynamisiert sowie über Regie-rungskreise hinaus ausgeweitet werden. Relevantegesellschaftliche Gruppen (etwa Intellektuelle undExperten, Vertreter von Medien und Nichtregie-rungsorganisationen) sollten in einem parallelenProzeß die Möglichkeit erhalten, ihre Themen undVorschläge in den offiziellen Dialog einzufüttern.

! In der Flüchtlingspolitik sollte ein pragmatischerAnsatz nach dem vom Stabilitätspakt im Länder-dreieck Kroatien�Bosnien-Herzegowina�Serbien-Montenegro eingesetzten Vorbild gewählt werden.Grundidee ist, in weniger sicherheitsgefährdetenSchwerpunktregionen die Rückkehr von Vertriebe-nen modellhaft zu fördern sowie gleichzeitig denNichtrückkehrwilligen bei der Integration in ihreAufnahmeländer behilflich zu sein. Gleichzeitigmüßten stärkere Anstrengungen zur Sicherung derEigentumsrechte der Vertriebenen im Kosovounternommen werden.

! Die legitimen wirtschaftlichen Interessen Belgradssollten stärker berücksichtigt werden, zum Beispieldurch angemessene Entschädigung von privatisier-tem gesellschaftlichem Eigentum und bei Auftei-lung der Schulden (die derzeit Belgrad auch fürKosovo tilgt).

! Der gemeinsame Aktionsplan zum Schutz desKulturerbes Kosovos unter Schirmherrschaft derUNESCO sollte prominent gefördert werden.

! Die europäischen Hilfsprogramme sollten stärkerauf soziale und wirtschaftliche Entwicklungszieleausgerichtet werden. Beispielsweise sollten über dasHilfsprogramm CARDS die entwicklungspolitischenStrategien von Weltbank (Poverty Reduction Stra-tegy) und UNDP (Country Assistance Strategy) geför-dert werden.

! Trotz Abbau der internationalen Friedenstruppensollte eine militärische Mindestpräsenz auf abseh-bare Zeit in der Region bleiben. Ihr Mandat solltesich jedoch auf bestimmte Kernaufgaben beschrän-ken, darunter den Schutz der im Kosovo verbliebe-nen (und dahin zurückkehrenden) Minderheiten inbestimmten Modellregionen.

Die Aktualisierung der Kosovo-Frage

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Die Aktualisierung der Kosovo-Frage

Mehr als vier Jahre nach Aufbau der internationalenVerwaltung gibt die die Lage im Kosovo in vieler Hin-sicht Anlaß zu Sorge. Zwar hat sich die Sicherheits-situation seit 1999 graduell verbessert, institutionellerund wirtschaftlicher Wiederaufbau machen Fort-schritte. Die dem Kosovo-Konflikt zugrundeliegendenstrukturellen und politischen Probleme bliebenjedoch unbewältigt, eine Rezeptur für nachhaltigeLösungen gibt es bislang nicht. Auf seiten der Koso-varen erschreckt die Intransigenz, mit der diepolitische Klasse ihre Maximalforderungen nachÜbernahme aller Kompetenzen sowie staatlicherUnabhängigkeit vorträgt. Belgrad dagegen schwanktzwischen demonstrativem Wohlverhalten und andie serbische Öffentlichkeit gerichteter nationalerRhetorik. Zu einer Annäherung bei den mit Souveräni-tätsrechten und nationaler Identität verknüpften Kon-troversen, insbesondere der Statusfrage, ist es bishernicht gekommen.

Spätestens 2006 naht der Moment, an dem dieArchitektur auf dem südlichen Balkan noch einmalihr Erscheinungsbild verändern könnte: In der durchVermittlung der EU geschmiedeten StaatenunionSerbien-Montenegro läuft die in der Verfassungschartavorgeschriebene dreijährige Probezeit aus. Die Repu-bliken haben dann das Recht, sich mit Hilfe einesReferendums aus der Union zu verabschieden.1 Zwarkann heute noch nicht mit Sicherheit vorhergesagtwerden, ob das nach Unabhängigkeit strebendeMontenegro die Verbindung mit dem 12mal größerenSerbien tatsächlich aufkündigen wird. Sollte dies aberder Fall sein, ergäbe sich aus der Sicht Kosovos ein»worst case«: Laut Verfassungscharta fiele die Provinzund alle damit in Zusammenhang stehenden Fragenin die alleinige Kompetenz Serbiens. Es ist zu erwar-ten, daß der von der UNO verfolgte Normalisierungs-kurs einen schweren Rückschlag erleiden würde.Spätestens dann rückte die völkerrechtliche StellungKosovos wieder auf die internationale Agenda.

1 Constitutional Charter of the State Union of Serbia andMontenegro, <http://www.serbia.sr.gov.yu/news/2003-02/17/327782.html>.

Im Herbst 2003 ist Bewegung in den zähen Kosovo-prozeß gekommen. Hierfür sind folgende Entwicklun-gen verantwortlich:! Die Entfremdung zwischen der albanischen

politischen Klasse und der Protektoratsverwaltungwächst: Die Kosovaren werfen der UNMIK kolonia-les Gebaren vor und fordern mit wachsender Unge-duld einen rascheren Machttransfer auf die lokalenInstitutionen. Sie verlangen, spätestens 2005 mitVerhandlungen über die Unabhängigkeit derProvinz zu beginnen. Auch in der NATO, vor allembei den USA, sowie im Europaparlament gibt esFürsprecher einer beschleunigten Statuslösung.2

! Im Frühjahr und Sommer 2003 ist es erneut zuterroristischer und ethnisch motivierter Gewalt imKosovo, in Südserbien und Mazedonien gekommen.Die Untergrundorganisation Albanische Natio-nalarmee (AKSh), die für ein Großalbanien kämpft,ist mit Anschlägen auf Zivilisten und Polizeistatio-nen in Erscheinung getreten. Auch in Griechenlandsoll die Organisation tätig sein.3 Dies verweist aufdie nach wie vor bestehende regionale Sicherheits-dimension des Konflikts.

! Mit großer Dringlichkeit erhebt sich die Frage, wieangesichts der beschränkten Ressourcen und neuenaußenpolitischen Prioritäten langfristig Stabilitätauf dem südlichen Balkan gewährleistet werdenkann. Denn die 21 000 Mann starke internationaleTruppenpräsenz (KFOR) soll weiter reduziert wer-den, und die Wiederaufbaumittel gehen zurück(2003 bereits um rund 25 Prozent gegenüber denVorjahren). Beide Faktoren � innere und äußere �werden im kommenden Jahr noch stärker zu Bucheschlagen.

! Im Herbst 2003 begann der direkte Dialog zwischenBelgrad und Prishtina. Auf Druck der Staatenge-meinschaft trafen sich erstmals seit 1999 serbischeund albanische Politiker, um über praktischeProbleme in den bilateralen Beziehungen zu bera-

2 So etwa der amerikanische Vize-Staatssekretär MarkGrossman bei seinem Besuch in Belgrad am 5.11.2003.Voraussetzung sei allerdings die Erfüllung bestimmter Stan-dards.3 Vgl. Aufstand der Skipetaren, in: Der Spiegel, 10.11.2003,S. 156.

Die Aktualisierung der Kosovo-Frage

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ten, nicht allerdings schon über Kosovos völker-rechtliche Stellung. Die Aufnahme direkter Ver-handlungen ist einer von acht »Standards«, die dieUNMIK zur Voraussetzung für Statusverhandlungenmacht.Diese Entwicklungen geben Anlaß, das Erreichte im

Kosovo kritisch zu evaluieren. Gefragt werden soll:Welche Aussichten bestehen für demokratische undrechtsstaatliche Konsolidierung? Welche Chancen hatdas von der Staatengemeinschaft verfolgte Ziel einermulti-ethnischen Gesellschaft? Welche wirtschaftli-chen Perspektiven stellen sich? Welche Interessen undAnsätze verfolgen die Hauptakteure in Prishtina undBelgrad? Und letztlich: An welchen Punkten könnteeuropäische Politik realistischerweise ansetzen?

Fortschritte beim institutionellen Aufbau

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Perspektiven demokratischer Stabilisierung

Die Staatengemeinschaft hat im Kosovo ein extremanspruchsvolles Aufbauprojekt begonnen. Die Zwei-Millionen-Einwohner-Provinz wurde im Sommer 1999durch UN-Sicherheitsratsresolution 1244 unter Protek-toratsverwaltung der Vereinten Nationen gestellt,sämtliche staatlichen Funktionen wurden von inter-nationaler Seite übernommen. Der Sicherheitsrat ließden völkerrechtlichen Status Kosovos mit Absichtoffen und übertrug es der UNMIK, einen politischenProzeß einzuleiten, um »den künftigen Status desKosovo zu bestimmen« und eine politische Regelungherbeizuführen. Vorerst garantiert sind lediglich die»Herstellung substantieller Autonomie und Selbstver-waltung«, nicht jedoch bereits die von den Kosovarenverlangte staatliche Unabhängigkeit. Formell bliebdie Provinz Bestandteil der BR Jugoslawien (heuteSerbien-Montenegro), dies ist jedoch nicht auf alle Zeitfestgeschrieben.

Gemessen an Auftrag und Umfang gibt es weltweitkeine dem Kosovo vergleichbare internationale Mission.Anders als etwa in Bosnien-Herzegowina oder in Afgha-nistan galt das Motto »Hilfe zur Selbsthilfe« im Kosovobislang nicht: Ziel ist es statt dessen, zunächst staat-liche Institutionen zu schaffen sowie das Wirtschafts-,Sozial- und Rechtssystem von Grund auf zu erneuern.Zu diesem Zweck stehen heute immer noch rund21 000 KFOR-Soldaten in der Provinz, mindestens30 000 weitere ausländische Zivilisten arbeiten fürVerwaltung und Wiederaufbau.

Dieses beispiellose Projekt der Nations- und Staats-bildung ist naturgemäß langfristig angelegt. Die �wahrscheinlich negativ zu beantwortende � Schlüssel-frage lautet: Gelingt es, den Kernauftrag der Missionzu erfüllen und Grundformen multi-ethnischenZusammenlebens in der Provinz zu verankern?

Fortschritte beim institutionellen Aufbau

Die nach Abschluß der NATO-Intervention in derBR Jugoslawien im Kosovo errichtete internationaleUN-Verwaltung UNMIK zeigt nach vier Jahren eineäußerst gemischte Bilanz. Auf der positiven Seite sinddie (weitgehend demokratisch verlaufenen) Wahlenvom 17. November 2001 und der Aufbau der Proviso-

rischen Institutionen (Provisional Institutions of Self-Government � PISG) im März 2002 zu verzeichnen,nämlich Parlament, Präsidentschaft und Lokalverwal-tungen. Aus den Wahlen ging � auf Druck des UN-Verwalters � eine Koalition aus drei wenig koopera-tionswilligen Parteien hervor: der DemokratischenLiga des Kosovo (LDK) von Ibrahim Rugova, der Demo-kratischen Partei (PDK) unter dem ehemaligen UÇK-Führer Hashim Thaçi sowie der serbischen KoalitionPovratak (Rückkehr).4

Die UNMIK ist dabei, in der Provinz ein völlig neuesinstitutionelles Gerüst aufzubauen, darunter Parla-ment und Ministerien, Polizei und Sicherheitsapparatsowie wirtschaftliche Behörden. Obwohl der politischeStatus Kosovos ungeklärt ist, wurden praktisch allewirtschaftlichen Verbindungen mit Serbien-Monte-negro gekappt. Kosovo erhielt ein eigenständigesSteuer-, Banken- und Zahlungssystem. Die ehemaligeRebellenorganisation UÇK wurde teilweise (mit 5000von rund 20 000 Mitgliedern) in das Kosovo ProtectionCorps überführt. Weitere 1000 Kämpfer sind bei derPolizei untergekommen. Das Schutzkorps fungiert alszivile Organisation für Katastrophenschutz, gilt imKosovo jedoch als künftige Armee eines unabhängigenKosovo. Alle staatlichen Funktionen werden früheroder später von lokalen Institutionen wahrgenommenwerden können.

2003 begann die UNMIK gemäß § 11 von Resolution1244, legislative und exekutive Machtbefugnisse andiese Institutionen zu übertragen. Grundlage ist derim Mai 2001 verabschiedete Verfassungsrahmen fürdie Provinz.5 Nach Kapitel 8 sollen alle Kompetenzenmit Ausnahme der »reserved powers« an die lokalenAutoritäten übergeben werden. Kernbefugnisse wieAußenpolitik, Minderheitenschutz, Flüchtlingsrück-kehr sowie die Aufsicht über Justiz und Sicherheits-

4 Von 120 Parlamentssitzen eroberte die LDK 47. Weitere26 Sitze gingen an die PDK und 22 an Povratak. Die ebenfallsaus der UÇK hervorgegangene Allianz für die Zukunft Kosovos(AAK) unter Ramush Haradinaj erhielt 8 Sitze. Vgl. Report ofthe Secretary-General on the UN Interim AdministrationMission in Kosovo, S/2002/62, 15.1.2002,<www.unmikonline.org>.5 Constitutional Framework for Provisional Self-Government,UNMIK/REG/2001/9 � 15.5.2001.

Perspektiven demokratischer Stabilisierung

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kräfte, unter anderem über das aus der UÇK hervorge-gangene Kosovo Protection Corps, bleiben »exklusiv«in der Hand des UN-Verwalters � aus Sicht der Koso-varen eine unerträgliche Beschränkung ihrer Souve-ränitätsrechte. Die UNMIK hat allerdings die Absichterklärt, stetig mehr Kompetenzen an die provisori-schen Institutionen Kosovos abzutreten. Damit kämeauf die lokalen Autoritäten kontinuierlich mehrVerantwortung zu.6 Im Oktober 2003 waren 19 Kom-petenzen übertragen, die restlichen »non-reservedcompetencies« sollten bis Jahresende an die lokalenInstitutionen übergehen.7

Angesichts der anhaltenden politischen Probleme,vor allem der prekären Menschenrechtssituation,verfügte der damalige UN-Verwalter Michael Steinerdas Prinzip »Standards vor Status«. Damit ist gemeint,daß erst bestimmte Konditionen erfüllt sein müssen,ehe ernsthafte Verhandlungen über eine Unabhängig-keit Kosovos begonnen werden können. Sie betreffenden Aufbau funktionierender staatlicher Institutio-nen, Rechtsstaatlichkeit, Bewegungsfreiheit, Flücht-lingsrückkehr, wirtschaftliche und eigentumsrecht-liche Voraussetzungen, Dialog mit Belgrad undReform des paramilitärischen Kosovo ProtectionCorps.8

In bezug auf die Standards entzündete sich bei denKosovaren viel Unmut. Sie sehen darin ein Mittel derWillkür, mit dem ihnen die Unabhängigkeit vorent-halten werden soll. Dies hat zu Entfremdung undheftiger Kritik an der UNMIK geführt.9 In der Tat sinddie anspruchsvollen Standards, denen praktische Zielezugeordnet sind (benchmarks), recht umfassend(s. Übersicht auf S. 11). Im Herbst 2003 wurden sie»operationalisiert«, das heißt hinsichtlich Fristen undErfolgskriterien weiter konkretisiert. Am 10. Dezem-ber wurden die »Standards für Kosovo« präsentiert, dieKontaktgruppe legte zuvor einen umfassenden Über-prüfungsmechanismus vor. Auf Wunsch der USA soll2005 erstmals evaluiert werden, inwieweit die gesetz-

6 UNMIK Regulation 2001/9, Kapitel V beschreibt die Kompe-tenzen der Provisorischen Institutionen sowie die »reservedpowers and responsibilities«, die in der Verantwortung desSpecial Representative of the Secretary-General (SRSG)bleiben.7 Report of the Secretary-General on the United NationsInterim Administration Mission in Kosovo, S/2003/996,15.10.2003, Paragraph 3.8 <http://www.unmikonline.org/pub/focuskos/apr02/benchmarks_tablefinal.pdf>.9 International Crisis Group, Two to Tango: An Agenda for theNew Kosovo SRSG, Brüssel/Prishtina, 2.9.2003 <http://www.crisisweb.org/home/index.cfm?id=1618&l=1>.

ten Kriterien tatsächlich erfüllt wurden. Viele fürch-ten, daß die Operationalisierung als Automatismuszur Unabhängigkeit begriffen werden könnte. DieEuropäer wollen vermeiden, daß die Diskussion überUnabhängigkeitsverhandlungen gerade in den Zeit-raum fällt, in dem auch Serbien und Montenegro überdie staatlich-territoriale Neuordnung verhandeln: Eswäre für die Staatengemeinschaft schwierig, beideEntwicklungen in einem parallelen (oder sogar mitein-ander verknüpften) Prozeß angemessen zu steuern.Bei der Beurteilung, ob die Standards tatsächlicherfüllt wurden, wird es aber in jedem Fall auch nochSpielraum geben. Denn es ist nicht davon auszugehen,daß binnen Jahresfrist alle Standards 1:1 umgesetztwerden.

Das Parlament Kosovos hat verschiedene Initiativenunternommen, um den politischen Souveränitätsan-spruch zu untermauern: Erklärungen zur Frage derGrenzen (Mai 2002), zur Unabhängigkeit (Februar2003) und zur Veränderung des Verfassungsrahmens(Oktober 2003) wurden vorbereitet und zum Teil ver-abschiedet, jedoch von der UNMIK insoweit annulliert,als sie dem Geist von Resolution 1244 widersprechen.10

Die UNMIK argumentiert, die Umsetzung rechtsstaat-licher Prinzipien lasse immer noch zu wünschenübrig, der UN-Verwalter müsse deshalb gewährleisten»daß die Rechte und Interessen der Gemeinschaftenvoll geschützt werden«.11 Obwohl die Möglichkeiten inden letzten vier Jahren besser geworden sind, sich alsNichtalbaner im Kosovo frei zu bewegen, fürchtensich viele Minderheitenangehörige immer noch vordem Tag, an dem die internationale Gemeinschaft dasLand verläßt. Es ist unschwer erkennbar, daß einevolle Übertragung aller Kompetenzen auf die lokalenAutoritäten ohne weitere Sicherheitsgarantien zueiner vollständigen Verdrängung der nichtalbani-schen Bevölkerung führen würde.

Weil Sanktionen und Isolationspolitik die Demo-kratisierung Kosovos bremsen würden, beschloß dieEuropäische Kommission im Herbst 2002, Kosovo inden Stabilisierungs- und Assoziierungsprozeß (SAP)für den Westbalkan einzubinden, und schuf einenMechanismus, um Fortschritte in bezug auf die EU-Annäherung zu beobachten und zu beschleunigen(Stabilisation and Association Process TrackingMechanism � STM). Das Vorgehen ähnelt dem von

10 Stefan Dehnert, Was tun mit Kosovo? Der Umgang mit derStatus-Frage in Serbien und im Kosovo, Belgrad: Friedrich-Ebert-Stiftung, 10.11.2003.11 UNMIK Regulation 2001/09, Chapter 8.1a.

Fortschritte beim institutionellen Aufbau

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Perspektiven demokratischer Stabilisierung

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der EU-Kommission für die Westbalkanländer entwor-fenen Verfahren: Auf der Grundlage von Fragebögenwerden Strategien und Gesetzgebung in bestimmtenSektoren bewertet und entsprechende Anpassungenempfohlen. Bisher standen Justiz und Inneres, Ener-gie, Transport, Medien und Telekommunikation aufder Agenda. Dieser Prozeß funktioniert bislang prak-tisch ohne Auflagen, gleichgültig, ob und inwieweitdie Provinz etwa die vom UN-Verwalter gesetztenStandards erfüllt. In der Kommission herrscht dieMeinung, daß politische Konditionierung aufgrundder EU-spezifischen Verfahren praktisch nichtumsetzbar ist und mehr schaden als nutzen würde.Gleichwohl muß man fragen, wie mögliche Anreize(Beratungsleistungen, finanzielle Förderung durchCARDS usw.) gezielter eingesetzt werden können, umdie politischen Ziele der Union im Kosovo zu unter-stützen, etwa die Erfüllung der Kopenhagener Krite-rien und den Aufbau regierungsfähiger Institutionen.Damit würde ein wichtiger Beitrag geleistet, um dieSelbstverwaltung der Provinz mit Leben zu erfüllen.

Defizitäre Sicherheitslage

Den Fortschritten im institutionellen Bereich stehenimmer noch große Probleme in bezug auf die Sicher-heitslage gegenüber. Verglichen mit 1999 hat sie sichzwar insgesamt sichtlich gebessert: Es gibt wenigerethnisch motivierte Gewalt, und mehr Menschenkönnen sich gefahrlos frei bewegen. Aber Diskriminie-rung und Verfolgung von Minderheiten existierenfort, und auch gegen die bis in die höchsten Führungs-ebenen hineinreichende Kriminalität hat die Staaten-gemeinschaft noch kein Mittel gefunden. Hinweise,daß hohe Funktionsträger in illegale Aktivitäten ver-strickt sein könnten, werden � aus Angst vor Destabili-sierung der Provinz � nur ungern weiterverfolgt.

Zwar meldet die UNMIK Erfolge bei der Bekämp-fung organisierter Kriminalität, besonders im Bereichvon Betrug, Korruption und Schmuggel. Sie hat fernereine Task Force zur Bekämpfung von Terrorismus undExtremismus eingesetzt.12 Aber immer noch gibt eseinen nicht abreißenden Strom grenzüberschreiten-der krimineller Aktivitäten, vor allem Menschenhan-del, Geldwäsche und Schmuggel von Waffen und

12 Report of the Secretary-General on the United NationsInterim Administration Mission in Kosovo, 14.4.2003, S. 6.Report of the Secretary-General on the United NationsInterim Administration Mission in Kosovo, S/2003/996,15.10.2003, Paragraph 19 u. 20.

Zigaretten.13 Es steht außer Frage, daß die Provinz vonder effektiven Bekämpfung dieses Problems noch weitentfernt ist.

Die UNMIK investiert erhebliche Ressourcen in denAufbau der multi-ethnischen Polizei (Kosovo PoliceService) und des Justizsystems. Dennoch ist es imSommer 2003 erneut zu einer Welle der Gewalt gegenethnische Minderheiten und Ordnungskräfte gekom-men. Wer hinter den brutalen Anschlägen auf serbischeZivilisten steckt, blieb unklar.14 Die von den VereintenNationen aufgebaute Polizei hat angesichts unzurei-chenden Zeugenschutzes substantielle Ermittlungs-probleme. Wer gegen Verdächtige aussagt, wird in dersozial stark kontrollierten kosovarischen Gesellschaftvon Racheakten bedroht. Hinter den Anschlägenkönnte lediglich eine kleine Minderheit radikaler,gewaltbereiter und in kriminelle Aktivitäten verstrick-ter Banden stecken. Aber offenbar gibt es auch eineschweigende Mehrheit, die die Verfolgungen ohneWiderspruch duldet.15

Auch in bezug auf die eigene Vergangenheit gibtes noch wenig Unrechtsbewußtsein. Kaum jemandversteht die Notwendigkeit, sich angemessen mit derVerantwortung für eventuell begangene Kriegsverbre-chen auseinanderzusetzen, so wie es in den anderenex-jugoslawischen Ländern mittlerweile der Fall ist.Frühere Mitglieder der UÇK werden im Kosovo alsFreiheitskämpfer und Helden verehrt, Kritik an mög-licherweise begangenen Untaten gibt es nicht. Drei-einhalb Jahre nach dem Ende des Krieges, im Februar2003, hat das UN-Kriegsverbrechertribunal erstmalsAnklage gegen ehemalige Mitglieder der kosovarischenGuerilla erhoben. Kommandeur Rrustem Mustafawurde im Juli zu einer langjährigen Haftstrafe verur-teilt. Mittlerweile wurden weitere Personen verhaftet,darunter Fatmir Limaj, Fraktionssprecher und Vize-präsident der Demokratischen Partei von HashimThaçi, sowie weitere niederrangige UÇK-Mitglieder.Festnahme und Verurteilung lösen regelmäßig gewalt-same Proteste und Anschläge aus. So demonstriert diepolitische Klasse Solidarität mit den wenigen, mittler-weile in Den Haag einsitzenden Verdächtigen. Ledig-lich die Demokratische Liga Präsident Rugovas, dienicht in der Erbfolge der UÇK steht und von Anklagen

13 OSCE Spillover Monitor Mission to Skopje, Report. FYROMBorder Security and Management, Skopje, Juli 2002.14 Du�an Reljić, Extremisten nutzen das politische Vakuumin Kosovo, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August2003 (SWP-Aktuell 30/03).15 Gewalt vergiftet politisches Klima in Kosovo, in: NeueZürcher Zeitung, 23.8.2003, S. 3.

Defizitäre Sicherheitslage

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noch nicht betroffen wurde, vermeidet offene Sympa-thiebekundungen.16

Auch die regionale Sicherheitsproblematik erscheintnoch nicht gelöst. Wenig Aufschluß gibt es beispiels-weise über aktive Terrorgruppen wie die AlbanischeNationalarmee (Armata Kombëtare Shqiptare � AKSh),die für ein Großalbanien kämpft. Die AKSh gilt alsmilitärischer Arm der radikalen Organisation Frontfür die nationale Vereinigung der Albaner, die nebenKosovo auch in den von Albanern besiedelten Regio-nen im südserbischen Pre�evo-Tal und in Mazedonien,eventuell auch in Griechenland operiert.17 Sie tritt mitbewaffneten Übergriffen auf Sicherheitskräfte sowieBombenanschläge auf öffentliche Gebäude in Erschei-nung.18 Sie soll rund 200 Mitglieder in Mazedonien,rund 2000 auf dem ganzen Balkan zählen.19 DieStaatengemeinschaft betrachtet die AKSh mittlerweileals terroristische Organisation. Offenbar gibt es aberauch Verbindungen zu dem international beaufsich-tigten Kosovo Protection Corps: Im April 2003 wurdeein Mitglied des KPC als Angehöriger der Terrorgruppeenttarnt, mehrere Offiziere mußten daraufhin vomDienst suspendiert werden.

Die tiefgreifenden institutionellen, sicherheits-politischen und rechtsstaatlichen Defizite bedeutenim übrigen nicht, daß Kosovo prinzipiell demokratie-unfähig wäre. Die Mehrheit der Kosovaren, so zeigteine empirische Studie der Weltbank, ist keineswegsauf das Recht des Stärkeren oder gar vermeintlicheStammestraditionen eingeschworen. Sie wünscht sichim Gegenteil eine an modernen rechtsstaatlichenNormen orientierte Zukunft.20 Davon ist die Provinzfreilich noch weit entfernt.

16 Die serbische Regierung hat detaillierte Unterlagen überangebliche Kriegsverbrechen zusammengestellt, die von alba-nischen Extremisten im Kosovo verübt worden sein sollen.17 Vgl. Aufstand der Skipetaren, in: Der Spiegel, 10.11.2003,S. 156.18 Im September 2003 wurden bei einem Gefecht zwischenbewaffneten albanischen Gruppen um die AKSh und maze-donischen Sicherheitskräften im Norden des Landes, naheder Grenze zu Kosovo, mehrere Personen getötet, mehrereHundert flohen. Zwar ist der Konflikt, der zeitweilig dieRegierungskoalition zu sprengen drohte, mittlerweile unterKontrolle, aber Unsicherheiten bleiben.19 Ann Rogers/John Hill, Testing Times ahead for Macedonia�sTenuous Security, in: Jane�s Intelligence Review, 15.8.2003,S. 20�23.20 G. La Cava/R. Nanetti/T. Nezam/S. Schwandner-Sievers et al.,Conflict and Change in Kosovo: Impact on Institutions andSociety, Washington, D.C.: World Bank, 2000.

Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft?

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Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft?

Weil die Staatengemeinschaft den Militäreinsatz gegenSerbien und Montenegro 1999 mit dem Schutz vonMenschenrechten und der Verhinderung weitererethnischer Verfolgung begründet hat und ethnischeVerfolgung nicht nachträglich legitimiert werden soll,wird von internationaler Seite versucht, Grundprinzi-pien multi-ethnischen Zusammenlebens im Kosovozu verankern. Die UNMIK bemüht sich deshalb mitgewissem Erfolg, Minderheitenangehörige in allenstaatlichen Institutionen unterzubringen. Insgesamtist das Ergebnis jedoch »unbefriedigend«.21 Es bestehtwenig Zweifel, daß diese Personen, die trotz interna-tionaler Aufsicht Diskriminierungen ausgesetzt sind,ihre Posten umgehend verlassen müßten, wenn dervon der UNO ausgeübte Druck einmal nachläßt.

Wie die Rechte der ethnischen Minderheiten, vorallem der Serben, effektiv zu schützen sind, ist diewahrscheinlich komplizierteste Frage im gesamtenProzeß. Die Frage von Minderheitenrückkehr und-rechten rührt am Grundverständnis des noch imEntstehen begriffenen kosovarischen Staates, das dieMehrheit als albanisch, nicht multi-ethnisch begreift.Aus der Anwesenheit von Minderheiten könnten, wievielfach befürchtet, unzulässige territoriale und poli-tische Mitspracherechte abgeleitet werden. DieseÄngste werden von Belgrad geschürt, wenn es öffent-lich erklärt, Kosovo sei ein integraler BestandteilSerbiens, zum Beispiel in der Parlamentserklärungvom August 2003.

Weil sich mit der Anwesenheit von Minderheitenneben demokratischen Mitspracherechten auchFragen nationaler Identität verbinden, sind nicht nurMenschen, sondern ist auch ihre kulturelle UmweltÜbergriffen ausgesetzt. Um beispielsweise die imKosovo beheimateten serbischen Kulturgüter (ortho-doxe Klöster, Kirchen und Friedhöfe) vor intentionalerZerstörung zu schützen, müssen diese immer nochvon der KFOR bewacht werden, was nicht nur gegendie legitimen Interessen Belgrads verstößt, sondern

21 Report of the Secretary-General on the United NationsInterim Administration Mission in Kosovo, S/2003/996,15.10.2003, Paragraph 13.

auch gegen internationales Recht.22 Diese historischenOrte versinnbildlichen serbische nationale Identität,Kultur und Geschichte. Zahlreiche im Kosovo behei-matete Kulturdenkmäler gehören aber zum gemein-samen Erbe von Albanern und Serben, entweder weilsie aus prähistorischer Zeit stammen oder weil siedurch die Jahrhunderte ihre kulturelle Bestimmungveränderten. Viele Kulturstätten, etwa archäologischeAusgrabungsorte, verfallen. Es läge unzweifelhaftim beiderseitigen Interesse, sie für die Nachwelt zubewahren. Allerdings zeigt die kosovarische Regierungdaran wenig Interesse.

Wie das Zusammenleben künftig friedvoll organi-siert werden kann, ist vor diesem Hintergrund unklar.Mehrheitlich orthodoxe Serben und überwiegendmuslimische Albaner hatten schon vor dem Kriegwenig gemein: Selten haben sie Freundschaften, fastnie Ehen miteinander geschlossen.23 Krieg, NATO-Intervention und Nachkriegszeit haben die Gräbennoch weiter vertieft, ethnische Vielfalt wird mehrheit-lich als Problem angesehen.24 42 Prozent der Albanerund 73 Prozent der Serben glauben, daß das Verhält-nis der Volksgruppen gespannt bleiben wird. BeideSeiten sind wenig geneigt, Angehörige anderer ethni-scher Gruppen in ihre Mehrheitsgemeinden zurück-kehren zu lassen.25 Beide Gruppen sehen sich in derexklusiven Opferrolle mit wenig Einfühlungsvermö-gen für das erlittene Unrecht der jeweils anderen. Aufbeiden Seiten wird Gewalt immer noch als probatesMittel der Konfliktlösung angesehen.26 Bei der Ver-

22 Resolution 1244/Annex 2 gestand sogar eine serbischePräsenz an diesen historischen Orten zu, die allerdings nierealisiert wurde.23 Dragomir Pantić, Nacionalna distanca gradjana Jugoslavije[Nationale Distanz der Bürger Jugoslawiens], in: Jugoslavijana kriznoj prekretnici, Belgrad 1991, S. 168--186.24 Lazar Nikolic, Ethnic Prejudices and Discrimination:The Case of Kosovo, in: Florian Bieber/Zidas Daskalovski (Hg.),Understanding the War in Kosovo, London 2003, S. 53�76;Predrag J. Markovic, Ethnic Stereotypes: Ubiquitous, Local orMigrating Phenomena? The Serbian-Albanian Case, Bonn:Michael-Zikic-Stiftung, 2003.25 Kosovo Early Warning Report, Report 3, Januar�April2003, S. 17.26 Nikolic, Ethnic Prejudices and Discrimination [wie Fn. 24],S. 69.

Vertriebenenrückkehr und Minderheitenschutz

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triebenenrückkehr und im Minderheitenschutz gibt esaus diesen Gründen daher die wenigsten Fortschritte.

Vertriebenenrückkehr undMinderheitenschutz

Das Ende der serbischen Herrschaft im Kosovo läuteteeine massive ethnische Flurbereinigung ein. Trotzinternationaler Sicherheitspräsenz wurden nachAngaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) seitEnde Juni 1999 rund 237 000 Menschen aus der Pro-vinz vertrieben, darunter 198 000 Serben, des weite-ren slawische Muslime, Zigeuner (das heißt dieethnisch miteinander verwandten Gruppen der Roma,Ashkali und Ägypter27) sowie andere Nichtalbaner.Nach Schätzungen internationaler Organisationenleben noch ungefähr 100 000 Serben und Montene-griner, 35 000 slawische Muslime, 30 000 Roma,20 000 Türken, 12 000 Goraner und 500 Kroaten inKosovo auf.28

Rund 234 000 Flüchtlinge bzw. Vertriebene ausKosovo halten sich in Serbien-Montenegro auf, weitere54 000 sind intern Vertriebene (Internally DisplacedPersons � IDPs).29 Die UNMIK hat Rückkehr und Rein-tegration der Vertriebenen aus Kosovo zu einer mittel-fristigen Schlüsselpriorität erklärt. Das im Mai 2002verabschiedete Konzept »Recht auf dauerhafte Rück-kehr« buchstabiert Voraussetzungen für langfristigtragfähige Lösungen aus, vor allem Zugang zu öffen-tlichen und sozialen Dienstleistungen.30 Die Zahl derMinderheiten-Rückkehrer blieb aber trotz erheblicherAnstrengungen der internationalen Gemeinschaftbescheiden: Sie lag im Jahr 2000 bei 1906 Personen,2001 waren es 1453, 2002 weitere 2756 und bis August2003 noch einmal 2264 Personen.31 Ungefähr jederzweite Rückkehrer ist Serbe, jeder dritte Zigeuner(Ägypter, Ashkali oder Roma), der Rest waren slawischeMuslime (Bosniaken und Goraner). Immer noch

27 Ägypter und Ashkali sprechen als Muttersprache nichtRomanes, sondern Albanisch oder Serbisch.28 UNHCR/OSCE, Assessment of the Situation of EthnicMinorities in Kosovo (Period covering November 1999through January 2000), S. 3.29 Profile of Internal Displacement, Compilation of theInformation Available in the Global IDP Database of theNorwegian Refugee Council (as of 2 December 2002), S. 51.30 UNMIK, The Right to Sustainable Return, Concept Paper,17.5.2002.31 UNHCR OCM Pristina, Minority Voluntary Returns toKosovo, as at 31 Aug 2003 (22.10.2003).

liegt die Zahl der Abwanderer deutlich über der derRückkehrer.

Die Rückkehrbedingungen variieren von Gemeindezu Gemeinde. Je stärker ein Gebiet von Kriegshand-lungen betroffen war, desto schwieriger gestaltet sichdieser Prozeß. So gibt es bislang kaum Rückkehr in diedamals hart umkämpfte Gemeinde Peje/Peć, bessersind die Aussichten in anderen Landesteilen, etwaGjilan/Gnjilane. Haupthindernisse einer Rückkehrsind offene Verfolgung und Einschüchterung durchAlbaner sowie Diskriminierung in bezug auf Bildung,Beschäftigung und Gesundheitsversorgung. Minder-heiten sind auf Schutz und Versorgung durch UNMIKund KFOR angewiesen, sie leben quasi im Belage-rungszustand. In den Worten von OSZE und UNHCR:»... Diskrimierung stellt weiterhin ein bedeutendesHindernis für Minderheiten dar, ein vernünftigesLeben im Kosovo zu führen.«32

Vor allem die Lage der serbischen Gemeinschaft istprekär. In den meisten Gegenden ist die Bewegungs-freiheit eingeschränkt, wer außer Haus geht, ist aufbewaffneten Schutz der KFOR angewiesen. VieleMenschen, sowohl in den Enklaven als auch in dengemischten Gebieten, glauben nicht, daß sie und ihreKinder eine Zukunft im Kosovo haben. Serben kehrendeshalb praktisch nur in rein serbische Ortschaftenzurück. Allerdings gibt es auch hier kaum Aussichtenauf Beschäftigung, Grund und Boden wurden meistkonfisziert, und Rückkehrer können in der Regel nichtdamit rechnen, ihren angestammten Betrieb wiederin Besitz zu nehmen.33 Lediglich im Norden, wo dieSerben in der Mehrheit sind, ist die Situation anders.Abgeschnitten vom Fluß Ibar und mit freiem Zugangvon Mitrovica nach Serbien, fühlen sich die Serbenwesentlich sicherer als im übrigen Kosovo. Aber dieZukunftsaussichten sind auch hier nicht rosig. Gewalt-same Konflikte werden nur durch massive Präsenz derKFOR verhindert.

Die UNMIK hofft auf eine bessere Rückkehrer-Bilanzfür 2003. Jedoch ist nach Expertenmeinung zweifel-haft, ob dies realistisch ist.34 Die Gebergemeinschaftbetont, daß nicht die Zahl der Rückkehrer entschei-dend ist, sondern die Frage, ob nicht-albanische odermulti-ethnische Siedlungen entstehen können, die

32 UNHCR/OSCE, Tenth Assessment of the Situation of EthnicMinorities in Kosovo (Period Covering May 2002 to December2002), S. 6.33 Ebd., S. 24.34 USAID, Prospects for Minority Returns and SustainableIntegrated Communities in Kosovo, Washington, D.C., Juni2003.

Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft?

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Karte

Serbische Siedlungsgebiete im Kosovo

Quelle: Anna Matveeva/Wolf-Christian Paes, The Kosovo Serbs: An Ethnic Minority between Collaboration and Defiance,Bonn: Bonn International Center for Conversion, Friedrich Naumann Foundation and Saferworld, Juni 2003, S. 5.

Fehlende Integration der Serben

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überlebensfähig sind, unabhängig davon, wie derpolitische Status Kosovos einmal definiert wird. Dieswürde allerdings bedeuten, daß für Menschen, dienicht in ihre Heimat zurückkehren wollen und kön-nen, dauerhafte Lösungen an ihrem Aufnahmeortgefunden werden müßten. Davor schreckt derzeitnicht nur die serbische Regierung noch zurück,sondern auch die Staatengemeinschaft.

Die aus Kosovo Vertriebenen leben unter teilweiseunwürdigen Bedingungen. Sie halten sich in Serbien-Montenegro in Notaufnahmelagern (collective centers)oder bei Verwandten auf. Integrationshilfen gibt esnicht. Die serbische Regierung argumentiert, daßsie andernfalls ein falsches Signal setzen und denAnspruch ihrer Konnationalen auf Rückkehr unter-minieren würde. Auch außerhalb Serbiens wirdvielfach die Meinung vertreten, man dürfe ethnischeSäuberungen nicht nachträglich legitimieren. Dochhat es diesbezüglich schon einmal einen Meinungs-wandel gegeben: Für viele der vor 1995 aus Kroatienund Bosnien-Herzegowina geflohenen, nicht rück-kehrwilligen Menschen wurden mittlerweile pragma-tische Lösungen gefunden. 60 Prozent dieser Flücht-linge haben sich in Umfragen für die Integration inSerbien-Montenegro ausgesprochen. Für diese Perso-nen baut die serbische Regierung, unterstützt vomUNHCR, neue Unterkünfte, eine Rückkehr ist nichtmehr vorgesehen.35

Auch für die Kosovo-Vertriebenen müssen früheroder später vergleichbare Lösungen gefunden werden,ohne menschenrechtliche Standards zu verletzen.Grundidee könnte sein, in bestimmten, wenigersicherheitsgefährdeten Schwerpunktregionen dieRückkehr von Vertriebenen modellhaft zu fördern,sowie gleichzeitig den Nichtrückkehrwilligen bei derIntegration an ihren jetzigen Aufenthaltsorten behilf-lich zu sein (vgl. Schlußkapitel).

Fehlende Integration der Serben

Wie viele Serben heute noch im Kosovo leben, istunklar. Nach großzügigsten Schätzungen dürften esnicht mehr als 100 000 sein, nur halb soviel wie vordem Krieg. Sie teilen sich in zwei große Gemeinden:Erstens jene, die unter dem Schutz der KFOR im Südender Provinz mehr schlecht als recht mit den Albanernkoexistieren, sowie zweitens die Serben, die nördlichdes Flusses Ibar leben, etwa in der geteilten Stadt

35 <http://www.serbia.sr.gov.yu/cms/view.php?id=1017>.

Mitrovica und anderen Orten. Sie hoffen auf Vereini-gung mit dem Mutterland Serbien.36

Die unterschiedlichen Lebensbedingungen spiegelnsich auch in der politischen Szenerie wider: Der mode-rateren, kooperativen serbischen Führung im Süden,die mit der UNMIK zusammenarbeitet und im Parla-ment mitwirkt, stehen die auf politischen Boykottgepolten Hardliner des Nordens gegenüber. Ihr poli-tisches Zentrum ist der nördliche Teil Mitrovicas.

Die kooperationswilligen Serben (südlich des Ibar)glauben, daß die Zusammenarbeit mit der UNMIK dieUnabhängigkeit Kosovos verzögern wird. Hier siehtman die Mitwirkung an einem multi-ethnischenKosovo als Voraussetzung für die Reintegration derProvinz in den serbisch-montenegrinischen Staats-verband.37 Im serbischen Teil Mitrovicas wird dieHerrschaft der UNMIK dagegen abgelehnt und alsVorstufe der Unabhängigkeit Kosovos angesehen.Serbische Politiker verweigern aus diesem Grund dieKooperation mit der Zivilverwaltung und haben stattdessen parallele Strukturen im Bildungs- und Gesund-heitswesen errichtet. Zudem gibt es hier eine mehrerehundert Mann starke paramilitärische Truppe, die fürdie »Selbstverteidigung« zuständig ist.

Das parallele serbische Gesundheits- und Bildungs-wesen wird von Belgrad durch die Zahlung von Gehäl-tern, Pensionen und Budgethilfen unterstützt. Fernerstellt Belgrad weiterhin Pässe, Autokennzeichen undandere Dokumente aus. Zwar hat die internationaleVerwaltung die parallelen Strukturen im Februar 2002offiziell aufgelöst, de facto lebt das serbische Verwal-tungs- und Sozialsystem in vielen Teilen Kosovos fort.38

Die UNMIK toleriert dies nolens volens, da die Serbenandernfalls von öffentlichen Dienstleistungen ganzausgeschlossen wären. 2003 haben sich zum Unmutder UNO auch separate Lokalverwaltungen und einGemeindeverband etabliert. Alle großen Parteien inSerbien pflegen ihre jeweiligen Ableger im Kosovo �

36 Die Serben stellen in fünf Gemeinden die Mehrheit:�trpce (an der mazedonischen Grenze) sowie in den imNorden Kosovos gelegenen Gemeinden Nord-Mitrovica,Zvečan, Leposav und Zubin Potok. Substantielle Siedlungengibt es ferner in Obilić, Kosovo Polje, Lipljan, Gnjilane undOrahovac. In Prishtina leben nur noch wenige hundertSerben. Vgl. Anna Matveeva/Wolf-Christian Paes, The KosovoSerbs: An Ethnic Minority between Collaboration and Defian-ce, Bonn: Bonn International Center for Conversion, FriedrichNaumann Foundation and Saferworld, Juni 2003.37 Matveeva/Paes, The Kosovo Serbs [wie Fn. 36], S. 35.38 Report of the Secretary-General on the United NationsInterim Administration Mission in Kosovo, S/2003/996,15.10.2003, Paragraph 11 und 12.

Aufbau einer multi-ethnischen Gesellschaft?

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als Instrument der politischen Einflußnahme ebensowie als Wählerreservoir.

Belgrad hat immer wieder die Dezentralisierungund Föderalisierung Kosovos verlangt, einschließlichkollektiver Rechte für die serbische Volksgruppe. ImKosovo wird diese Forderung jedoch als Schritt zurVorbereitung der territorialen Teilung der Provinzbegriffen.

Strukturelle Entwicklungsprobleme

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Wirtschaftliche Entwicklungspotentiale

Zu den am schwierigsten zu beantwortenden Fragengehört jene, wovon die Kosovaren wohl einmal lebenwerden, wenn sich die internationale Verwaltung ausihrer Provinz zurückzieht. Sozialökonomische Struk-turschwächen, Kriegszerstörungen und die Begleit-erscheinungen der Systemtransformation haben dasLand in eine tiefgreifende Krise geführt. Trotz (odergerade wegen) der immensen internationalen Wieder-aufbauleistungen ist Kosovo ökonomisch in eineSchieflage geraten: Es wird wesentlich mehr ausgege-ben, als erwirtschaftet werden kann. Das Land befin-det sich in totaler Abhängigkeit von ausländischenFinanzhilfen. Diese gehen seit 2003 beträchtlichzurück, immer weniger Geld wird von den Gastarbei-tern überwiesen, und mit dem Abbau internationalenPersonals nimmt auch die durch die ausländischenGehälter stimulierte Inlandsnachfrage ab. Eine dergrößten Herausforderungen bleibt dementsprechendder Entwurf für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik,die ausreichend Erwerbsmöglichkeiten schafft und dieProvinz mittelfristig aus der Abhängigkeit von inter-nationalen Gebern befreit.

Strukturelle Entwicklungsprobleme

Kosovo hat zahlreiche strukturelle Entwicklungspro-bleme geerbt. Zwar ist das Land reich an Bodenschät-zen, etwa an Eisen- und Zinkreserven in den berühm-ten Trepča-Minen. Jedoch besitzt es eine heute kaumnoch leistungsfähige schwerindustrielle Prägung.39

Aufgrund von veralteter Infrastruktur, fehlendenAbsatzmärkten und Globalisierungsdruck sind auchandere Produktionszweige kaum konkurrenzfähig. Vieleder Unternehmen, die sich zu jugoslawischer Zeit im»gesellschaftlichen Eigentum« befanden, sind still-gelegt oder können nur noch zeitweilig in Betriebgenommen werden.40

Zu den strukturellen Erblasten gesellen sich die1999 erlittenen Kriegszerstörungen: 30 Prozent aller

39 Miranda Vickers, Between Serb and Albanian. A History ofKosovo, London 1998, S. XV.40 Die Angaben über die Zahl der gesellschaftlichen Betriebeschwankt zwischen 200 und 350.

Häuser und ein erheblicher Teil der Infrastrukturwurden schwer beschädigt, das Land weiträumig ver-mint. Mehr als 50 Prozent der landwirtschaftlichenProduktionsgüter gingen unwiederbringlich verloren.41

Krieg und langjährige Investitionsausfälle habenvor allem im Energiebereich schwere Schäden hinter-lassen. Strom wird im Kosovo von zwei alten Kohle-kraftwerken (1500 MW) und einem kleinen Wasser-kraftwerk (35 MW) produziert. Zwar wurden dieAnlagen wiederaufgebaut und modernisiert, dennochleidet das Land unter Elektrizitätsmangel und häufi-gen Stromausfällen. Rund ein Sechstel des Bedarfsmuß importiert werden.42

Zu den struktur- und kriegsbedingten Erblastenkommen die Probleme, die sich aus dem Übergangder sozialistischen Selbstverwaltung in die Marktwirt-schaft ergeben. 2003 wurden die gesetzlichen Hürdenzur Privatisierung des vordem gesellschaftlichenEigentums (u.a. in den Sektoren Luftfahrt, Eisenbah-nen, öffentlicher Verkehr, Post und Telekommuni-kation) praktisch überwunden, die Veräußerungmehrerer hundert Unternehmen wurde der von derUNMIK beaufsichtigten Kosovo Trust Agency (KTA)übertragen. Die UNMIK schätzt, daß allerdings maxi-mal nur 40 Betriebe gute Aussichten haben, ausländi-sche Investoren anzuziehen. Ein Viertel bis die Hälfteder Unternehmen dürfte dagegen überhaupt nichtüberlebensfähig sein. Der Rest verfüge zwar über eingewisses Entwicklungspotential, jedoch fehle es anInteresse ausländischer Investoren.43

Mit der Privatisierung verbindet sich zudem einpolitisches Problem, das die zügige Abwicklung behin-dert. Belgrad (unterstützt vom UN-Hauptquartier inNew York) unterstreicht, daß der serbische Staat jahr-zehntelang in Kosovo investiert habe und dort die

41 Report on Activities of the European Commission/WorldBank Office for South East Europe 2002, Brüssel, Juni 2003,S. 9.42 The Central and Eastern Europe Business Information Center(CEEBICnet), Kosovo 2003 Investment Climate Statement,<http://www.mac.doc.gov/ceebic/Cables/2003/Jul/PRISTINA1224.htm> (24.10.2003), S. 2.43 International Monetary Fund (IMF), Kosovo. Institutions andPolicies for Reconstruction and Growth, Washington, D.C.,2002, S. 19.

Wirtschaftliche Entwicklungspotentiale

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Eigentumsverhältnisse noch nicht geklärt seien. Esbetrachtet die von der UNMIK begonnene Privatisie-rung als illegal. Zudem müsse gesichert werden, daßdie Schulden dieser Unternehmen bei serbischenWirtschaftsträgern beglichen werden.44 Zwar will dieUNMIK die Privatisierung dennoch vorantreiben. Aberausländische Interessenten werden von den ungeklär-ten Eigentumsfragen abgeschreckt.

Aus den beschriebenen Problemen resultiert einetiefgreifende Erwerbs- und Einkommenskrise, diegroße Teile der Gesellschaft erfaßt hat und als wichtig-stes Modernisierungshindernis der Provinz angesehenwerden kann. Die Arbeitslosenrate liegt nach offiziel-len Angaben bei 49 Prozent. Unter der jungen Genera-tion stellt sich das Problem noch schärfer: Mehr als71 Prozent der 16- bis 24jährigen haben überhauptkeine Beschäftigung.45 Nach Schätzungen der Welt-bank lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterder Armutsgrenze. Es liegt auf der Hand, daß mit dersozialen Perspektivlosigkeit auch die Anfälligkeit fürradikales Gedankengut steigt.

Viele Kosovaren und ausländische Beobachter sehenin der Privatisierung und Steigerung ausländischerInvestitionen die wirtschaftliche Zukunft der Provinz.Aber dies erscheint unrealistisch. Wirtschaftskreisebeklagen das wegen fehlender Rechtssicherheit un-günstige Investitionsklima. Zudem erlauben Budget-zwänge es der UNMIK nicht, potentiellen Investorengenügend wirtschaftliche Anreize zu bieten, zumBeispiel Steuer- oder Zollerleichterungen. Die UNMIKveräußert die zur Debatte stehenden Betriebe aufGrundlage des Höchstgebots. Andere Erwägungen,zum Beispiel Investitionszusagen und Arbeitsplatz-garantien, spielen bei der Auswahl der Interessentenangeblich keine Rolle.46 Bislang gibt es also nur wenigAnreize, im Kosovo unternehmerisch tätig zu werden.Daran würde auch die Klärung des politischen Status,wie häufig behauptet, wenig ändern: Ähnlich wiebeispielsweise in Moldova wären mit der staatlichenUnabhängigkeit nicht automatisch ausreichendeAnreize für ausländische Investitionen gegeben. Stattgebetsmühlenartig die Unabhängigkeit Kosovos zufordern, sollten sich die zuständigen politischen

44 Problemi sa privatizacijom na Kosovu [Privatisierungs-problem in Kosovo], in: Institute for War and Peace Reporting(IWPR), Izve�taj o balkanskoj krizi, 25.10.2003).45 Kosovo Early Warning Report, Report 3, Januar�April2003, S. 1.46 CEEBICnet, Kosovo 2003 Investment Climate Statement[wie Fn. 42].

Autoritäten deshalb stärker für die Herstellung vonRechtssicherheit einsetzen.

Wiederaufbau und Geberabhängigkeit

Die beachtlichen Wiederaufbaubemühungen derStaatengemeinschaft haben die strukturellen Entwick-lungshindernisse Kosovos nicht effektiv bekämpfenkönnen. Sehr viel Geld wurde bereits in die kleineBalkanprovinz gepumpt: Auf vier seit 1999 abgehalte-nen Geberkonferenzen wurden bis Ende 2003 rund2,4 Milliarden Euro Wiederaufbaumittel zugesagt undein bedeutender Teil auch in Projekte umgesetzt (Ende2002 waren von zugesagten 2,332 Milliarden 1,921Milliarden Euro ausbezahlt � ein im internationalenVergleich sehenswertes Resultat).47

Besonders die Europäische Union und ihre Mit-gliedsstaaten haben sich für den WiederaufbauKosovos stark engagiert, vor allem durch die Europäi-sche Wiederaufbauagentur und das HilfsprogrammCARDS. Kosovo stellt mit rund zwei Millionen Einwoh-nern rund 8 Prozent der Gesamtbevölkerung des West-lichen Balkans, erhielt zwischen 2001 und 2003 jedoch19 Prozent der für die Region bereitgestellten Mittel.48

Pro Kopf der Bevölkerung hat die Provinz von allenEmpfängerländern damit die höchsten Zuwendungenerhalten.

Das Gros der Mittel floß bislang in die Infrastruktur:23 Prozent in den Energiesektor, weitere 16 Prozentin Hausbau. Zu den anerkennenswerten Resultatendieses Engagements gehört unzweifelhaft die Wieder-herstellung der physischen Infrastruktur, daruntervon 40 251 Häusern und 500 Kilometern Straßensowie sechs Brücken.

Zudem hat der Wiederaufbau gewisse Wachstums-effekte ausgelöst. Das BSP Kosovos wuchs 2001 � aus-gehend von sehr niedrigem Niveau � schätzungsweiseum 11 Prozent und erreichte im Jahr 2002 einen Wertvon rund 900 US-Dollar pro Kopf. Auch die Wirtschafts-produktion zog in allen Sektoren an.49 Ferner sindwirtschaftliche Aktivitäten, vor allem die landwirt-schaftliche Produktion, wieder in Gang gekommen.Zwischen 2000 und 2002 stieg die Zahl der angemel-

47 Report on Activities of the European Commission/WorldBank Office [wie Fn. 41], S. 9.48 <http://europa.eu.int/comm/external_relations/see/fry/kosovo/index.htm>.49 IMF, Kosovo [wie Fn. 43], S. 6.

Wiederaufbau und Geberabhängigkeit

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deten Unternehmen von 29 564 auf 48 507.50 Ein-schränkend ist festzuhalten, daß diese Betriebe mehr-heitlich klein sind, keine Steuern zahlen und einegewisse Anfälligkeit für kriminelle Aktivitäten zeigen.Noch fehlen der gesetzgeberische Rahmen und dieInstitutionen, um den Privatsektor in einen modernenund wirtschaftlich tragfähigen Unternehmensbereichzu überführen.51

Die Liste der noch bevorstehenden Reformaufgabenist lang. Nach Auffassung des Internationalen Wäh-rungsfonds (IWF) gibt es folgende Prioritäten für einelangfristige Wirtschaftsentwicklungspolitik:! Herstellung einer ausgewogenen Einnahmen-

Ausgaben-Struktur durch Erhöhung von Einnah-men (Aufbau eines effizienten Steuersystems) undFestlegung von Prioritäten für die Ausgaben (Re-form des öffentlichen Dienstes, der Staatsbetriebe,des Pensionssystems),

! Reform des Finanzsektors (Banken, Versicherungen),! Entwicklung der Privatwirtschaft,! Governance (Bekämpfung von Steuerhinterziehung,

Korruption und andere Formen von Wirtschafts-kriminalität, Transparenz und Verläßlichkeit vonRegierungsentscheidungen).52

Es liegt auf der Hand, daß eine so umfassende Agendakeine schnellen Erfolge erwarten läßt.

Unterdessen ist die Volkswirtschaft Kosovos in einegefährliche Schieflage geraten. Es zeigen sich starkeUngleichgewichte in der Einnahmen- und Ausgaben-struktur: Die Haupteinnahmequelle in der Provinzsind internationale Wiederaufbaumittel, privateTransfers von Auslandskosovaren sowie die Gehältervon 50�60 000 Mitarbeitern ausländischer Truppenund ziviler Organisationen. Produktive wirtschaftlicheAktivitäten gibt es dagegen kaum. Allein die im Aus-land lebenden Kosovaren transferierten nach IWF-Schätzungen 1,5 Milliarden D-Mark im Jahr 2000 und1,6 Milliarden D-Mark im Jahr 2001 in die Provinz. Sokommt es, daß die kosovarische Volkswirtschaft einViertel mehr ausgibt, als sie selbst erwirtschaftet (2001lag der Konsum bei 120 Prozent des BSP, und damitbei 1000�1100 Dollar pro Kopf).53

Seit 2003 ist der Zufluß ausländischer Gelder deut-lich geschrumpft: Die Gebergemeinschaft betrachtetden kapitalintensiven Wiederaufbau als weitgehendabgeschlossen. Bereits für 2003 wird ein Rückgang der

50 Report on Activities of the European Commission/WorldBank Office [wie Fn 41], S. 10f.51 IMF, Kosovo [wie Fn. 43], S. 19.52 Ebd., S. 14ff.53 Ebd., S. 6.

Geberaktivitäten um 25 Prozent gegenüber 1999�2002geschätzt, was sich in einer Reduzierung des BSP (aufvermutlich 4,5 Prozent in 2003) niederschlagen wird.54

Auch die Transferleistungen der Auslandskosovarengehen bereits deutlich zurück. Und mit dem Abbauausländischen Personals fließt immer weniger Geld inden kosovarischen Wirtschaftskreislauf. Das durch dieausländischen Aktivitäten ausgelöste Scheinwachstumwird früher oder später in sich zusammenfallen.

Immer wieder wird deshalb gefordert, den Mittel-zufluß nach Südosteuropa zu erhöhen oder zumin-dest auf sehr hohem Niveau aufrechtzuerhalten bzw.sogar neue Instrumente wie etwa Strukturfondsbereitzustellen. Dem ist entgegenzuhalten, daßKosovo weder die institutionellen Voraussetzungenzur Anwendung komplizierter Hilfsmechanismen(Strukturfonds) besitzt noch in vielen Sektoren dieAbsorptionsfähigkeit zur Aufnahme großer Mittel. Jestärker der Schwerpunkt von reinen Wiederaufbau-aufgaben in komplexere Entwicklungssektoren (etwaInstitutionenaufbau) verschoben wird, desto wenigerGeld kann sinnvoll umgesetzt werden.

Dennoch muß man sich fragen, ob die EU bei derWiederaufbauhilfe die richtigen Prioritäten setzt. Seitdem Gipfeltreffen von Thessaloniki im Juni 2003 sollin allen Westbalkanländern der Aufbau von Institutio-nen, Verwaltung und europäisch orientierter Reform-politik stärker gefördert werden als bisher. Die Anpas-sung an EU-Standards ist jedoch nicht das drängendsteProblem Kosovos und mithin auch nicht vorrangigesZiel von politischer Führung und Bevölkerung. Dennanders als die in der Transformation ihres Wirtschafts-systems weiter fortgeschrittenen Nachbarstaaten,leidet die Provinz wie oben beschrieben an sehrelementaren sozialen und wirtschaftlichen Proble-men. Empfehlenswert wäre es deswegen eher, dievorhandenen Mittel umzulenken und Themen wieWirtschaftsförderung, Beschäftigungspolitik undArmutsbekämpfung einen größeren Stellenwert ein-zuräumen. Die Europäische Union sollte ihr Augen-merk künftig stärker auf sozialökonomische Entwick-lungsziele richten, die sie im Sinne der internationa-len Arbeitsteilung bislang den Internationalen Finanz-institutionen überläßt. Es ginge also nicht darum,zusätzliche Instrumente zu entwickeln oder unbe-dingt zusätzliches Geld zu mobilisieren. Viel wäreangesichts des riesigen Bedarfs in bezug auf Beschäfti-

54 European Commission/Directorate-General for Economic andFinancial Affairs, European Economy. The Western Balkans inTransition, Brüssel 2002, S. 46f.

Wirtschaftliche Entwicklungspotentiale

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gung und Einkommen gewonnen, wenn bestehendeEntwicklungsstrategien stärker unterstützt würden,zum Beispiel die der Weltbank (Poverty ReductionStrategy) und von UNDP (Country Assistance Strategy).

Prishtina: das Problem aussitzen

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Interessen, Ziele und Strategien der Hauptakteure

Mit Beginn des praktischen Dialogs zwischen Belgradund Prishtina erhielt der politische Prozeß im Herbst2003 eine neue Dynamik. Auf Druck der Staatenge-meinschaft trafen sich erstmals seit 1999 serbischeund albanische Politiker, um über technische Problemein den bilateralen Beziehungen zu beraten. Die Auf-nahme direkter Verhandlungen ist einer von achtStandards, die die UNMIK zur Voraussetzung fürVerhandlungen über den Status Kosovos macht.

Grundidee des Prozesses ist es, in bestimmten kon-kreten Themengebieten Übereinkunft zu erzielen,ohne bereits die übergeordnete Statusfrage zu berüh-ren. Auf Grundlage greifbarer Verhandlungsergebnisseund Regelungen soll ein vertrauensbildender Prozeßin Gang kommen, der kooperative Beziehungen ein-übt und später in einen Dialog über den endgültigenvölkerrechtlichen Status Kosovos einmündet. Nach derAuftaktveranstaltung am 14. Oktober 2003 in Wiensollen sich Arbeitsgruppen auf technischer Ebene mitden Themen Energieversorgung, Transport und Tele-kommunikation, Flüchtlingsrückkehr und vermißtenPersonen befassen. Ob sich diese kurzfristig behandel-baren, technischen Fragen von den langfristigenpolitischen Optionen abtrennen lassen, erscheintaufgrund der extremen Politisierung jeglicher Thema-tik mehr als fraglich. Dennoch ist es wichtig, dendirekten Dialog der Kontrahenten in Gang zu setzenund auf eine Politik des Ausgleichs hinzuarbeiten.

Die Erwartungen und Strategien der serbischenund kosovarischen Vertreter sind allerdings extremunterschiedlich. Sie ergeben sich aus der Asymmetrieder Interessenlage. Nur Belgrad kann in den bilatera-len Verhandlungen bislang Vorteile erkennen. ObwohlKosovo offiziell weiter als Bestandteil Serbiens dar-gestellt wird, gilt die Provinz faktisch als verloren.Dennoch liegt es im serbischen Interesse, handfestepraktische Probleme zu bewältigen, die sich aus dervölkerrechtlichen Abtrennung der Provinz ergeben.Zudem will Belgrad Verhandlungsmasse für spätereStatusgespräche schaffen. In Prishtina ist man dagegender Auffassung, daß der Dialog nur ein Mittel ist, umdie Unabhängigkeit Kosovos auf die lange Bank zuschieben. Ernsthaftes Interesse an praktischer Pro-blemlösung ist derzeit kaum erkennbar. Das heißt

aber nicht, daß sich Verhandlungsbereitschaft nichtdoch noch im Laufe des Prozesses einstellen könnte.

Prishtina: das Problem aussitzen

Obwohl die politische Szenerie im Kosovo zerklüftetist und sich die Parteien und ihre Führer im täglichenGeschäft meistens uneins sind, herrscht in grundle-genden Fragen Konsens. Alle Kräfte räumen einemeinzigen Ziel oberste Priorität ein: der UnabhängigkeitKosovos. Daraus abgeleitet ergibt sich die zweiteGrundforderung nach Übernahme der vollen Souve-ränitätsrechte durch die örtlichen Institutionen (fulltransfer of powers). Sie kann als Mittel begriffenwerden, möglichst bald den unabhängigen StaatKosova zu etablieren. Drittens wird aber auch häufigdie Überwindung der sozialökonomischen Probleme,vor allem der Beschäftigungskrise, als politischePriorität genannt. Über keines dieser Themen willPrishtina mit Belgrad allerdings in Dialog treten.

Den direkten Dialog mit Belgrad betrachten diekosovarischen Politiker als aufgezwungen. Da er einervon acht Standards ist, die die UNMIK zur Vorausset-zung für Statusverhandlungen gemacht hat, wirdgemunkelt, die Gespräche müßten nur deshalb statt-finden, damit der internationale Verwalter einengreifbaren Erfolg vorweisen könne. Zur Teilnahme seiman genötigt worden, es fehle den Kosovaren derWille zur Verständigung.

Daß an der Lösung praktischer Probleme überhaupternsthaftes Interesse besteht, darf auf Grundlagezahlreicher Gespräche mit Politikern, Abgeordnetenund Intellektuellen bezweifelt werden. Die Unabhän-gigkeit wird als politisches Allheilmittel gesehen.Viele Probleme würden sich von selbst lösen, wirdbehauptet, wenn erst einmal die internationale Aner-kennung der Selbständigkeit Kosovos erreicht sei. DieKosovaren fordern deshalb, die Lösung der Statusfragenach dem Motto »standards parallel to status« zu voll-ziehen. Wer also in Prishtina nachfragt, auf welchenGebieten ein Dialog mit Belgrad aus der Sicht Kosovosvielleicht Vorteile bringen könnte, erhält � als habedarüber noch nie jemand nachgedacht � nur diffuseAntworten.

Interessen, Ziele und Strategien der Hauptakteure

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Prishtina verlangt von Belgrad unter anderem dieAnerkennung von Reisedokumenten und Autokenn-zeichen, die Rückgabe von Katasterbüchern, dieAufklärung des Schicksals der Vermißten sowie dieAuszahlung von im Kosovo erworbenen Pensionsan-sprüchen. Man sieht dies jedoch eher als ultimativeForderungen an, weniger als Verhandlungsgegen-stand. Verbreitet ist die Meinung, Belgrad müssebestimmte Vorleistungen erbringen. Daß es einenernsthaften Dialog mit der serbischen Regierung aufgleicher Augenhöhe geben kann, halten die meistenfür ausgeschlossen. Es herrscht die Befürchtung, überden Tisch gezogen zu werden, da man Belgrad immernoch großserbische Machtansprüche unterstellt.

Die wenigsten erkennen, daß im Dialog mit Belgradauch die Chance liegt, international zum gleichbe-rechtigten Gesprächspartner aufzuwachsen. Stattdessen wird beklagt, daß die kosovarischen Institutio-nen ja gar nicht die Befugnis besitzen, um mit Serbiensubstantielle Verhandlungen zu führen. Die Regierungergreift also die Gelegenheit, um weitere Fortschrittebeim Übertrag der Kompetenzen zu erzielen undgleichzeitig den ohnehin unerwünschten Dialogpro-zeß mit Belgrad zu hintertreiben. So stellte Premier-minister Bajram Rexhepi im Vorfeld des Dialogs demgerade neu im Amt eingetroffenen UN-Sonderbeauf-tragten Harri Holkeri ein Ultimatum: Bis EndeSeptember 2003 sollten neue Ministerien für Inneres,Justiz, Verteidigung und Äußeres geschaffen und andie Regierung übertragen werden. Da dies für dieUNMIK inakzeptabel war, hatte die Regierung einenVorwand, dem Auftakttreffen in Wien fernzubleiben.Dort erschien nur eine Rumpfdelegation, bestehendaus Präsident Rugova und Parlamentspräsident Daci.Die Regierung Kosovos war nicht vertreten.

Die kosovarische Seite treiben � neben grundsätz-lichen � auch innenpolitische Erwägungen. Es wirdbefürchtet, daß ein Zugehen auf Belgrad als Ausver-kauf nationaler Interessen gewertet wird. Im Oktober2004 stehen Wahlen an, und jeder, dem Nachgiebig-keit gegenüber Serbien unterstellt werden kann, mußharte Angriffe fürchten. Die innenpolitischen Restrik-tionen sind um so stärker spürbar, als die gegenwär-tige Regierungskoalition nur durch die harte Hand desfrüheren UN-Verwalters Steiner zusammengeschmie-det wurde. Die Position des als »gemäßigt« angesehe-nen Premierministers Rexhepi ist schwach. Er stehtunter Druck seines Konkurrenten, des ehemaligenUÇK-Führers Thaçi. Es geht bei all dem also auchdarum, im Vorfeld der nächsten Wahlen bei derBevölkerung Punkte zu machen.

Ferner ist zu bedenken, daß Kosovo mit tiefgreifen-den Identitätsproblemen kämpft, die die Definitionaußenpolitischer Interessen und Ziele vernebeln. DieKosovaren verstehen sich als Teil der über den Balkanverstreut lebenden albanischen Nation, die bei Staats-gründung Albaniens 1913 von den Großmächtenungerechterweise auseinandergerissen worden sei.Gleichzeitig haben aber die unterschiedlichen institu-tionellen und politischen Entwicklungen der Balkan-länder auch Loyalitäten mit den jeweiligen Heimat-staaten (Kosovo, Mazedonien, Serbien-Montenegro,Griechenland) und somit ein gewisses Abgrenzungs-bewußtsein innerhalb der albanischen Nation geschaf-fen. So erklären sich Unsicherheiten in bezug auf dieWahl nationaler Symbole (albanische oder neu zuschaffende kosovarische Flagge und Hymne?), Grenzen(Nichtanerkennung des Grenzverlaufs zu Mazedonien)und nationalstaatliche Zugehörigkeit (eigenständigesKosovo oder Groß-Albanien?). Der kleinste gemein-same Nenner dieser verschiedenen Identifikations-merkmale ist die Forderung nach staatlicher Unab-hängigkeit; die Regierung hat Schwierigkeiten, dar-über hinausgehende Ziele zu konkretisieren, etwa inbezug auf regionale Zusammenarbeit oder europäi-sche Integration.

Setzt man diese Identitätsprobleme in Beziehungzum außenpolitischen Handeln, wird deutlich, wieeng die Spielräume der politischen Klasse im Dialog-prozeß sind. Schließlich wird in der Öffentlichkeit dieGestaltung der Außenbeziehungen als Gradmesser fürdie Kompetenz der Regierung angesehen, nationaleInteressen umzusetzen.55 Keine politische Kraft könntees sich demnach leisten, die Unabhängigkeit Kosovosin Verhandlungen aufzugeben. Und es ist fraglich, obdem ein anderes Ziel, etwa die europäische Integra-tion, übergeordnet werden kann. Zwar wird die Annä-herung an die EU als wichtiges politisches Ziel ange-sehen, so daß Brüssel Instrumente der Konditionalitätgezielt einsetzen kann. Jedoch werden die Gestaltungs-möglichkeiten der EU von westlichen Beobachternleicht überschätzt.56 Denn vielen Kosovaren erscheintdie »europäische Perspektive« als undurchsichtig undfern und vor allem als durchaus vereinbar mit demweiterreichenden Ziel der unkonditionierten politi-schen Selbständigkeit.

55 Ilya Prizel, National Identity and Foreign Policy: National-ism and Leadership in Poland, Russia and Ukraine, Cam-bridge University Press 1998.56 Etwa in United States Institute of Peace, Kosovo DecisionTime, Washington, Februar 2003, <www.usip.org/pubs/specialreports/sr100.html>.

Belgrad: Zeit gewinnen

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Ob die intransigente Grundhaltung der Kosovarendurch praktische Erfolge (etwa die avisierte Rückgabeder von Belgrad verschleppten kosovarischen Kataster-bücher) aufgeweicht wird, ist fraglich. Derzeit scheintKosovo immer tiefer in die Sackgasse zu treiben: Jehärter die Forderungen der albanischen politischenKlasse, desto schwieriger wird es international, aufPrishtina zuzugehen. Je mehr Druck andererseits aufdie lokalen Politiker ausgeübt wird, desto deutlicherartikulieren sich dort Verhärtungen und Trotz.

Dennoch erscheinen direkte Verhandlungen mitBelgrad als unabdingbar. Die Normalisierung derAußenbeziehungen zwischen den ehemaligen Kriegs-gegnern Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien-Montenegro zeigt im übrigen, daß es keine unüber-windbaren historischen Erbfeindschaften gibt. Eskönnte im Gegenteil dazu kommen, daß der Verhand-lungsprozeß eine größere Dynamik entfaltet, wenn esin Teilbereichen Fortschritte gibt. Auf jeden Fall dürftees wesentlich schwerer werden, die Arbeit der UNMIKim Kosovo zu sabotieren, wenn (möglicherweise nurvorgeschobene) Argumente gegen kooperative Politikentfallen. Praktische Ergebnisse sind zudem unabding-bare Voraussetzung dafür, den beginnenden Prozeßzu legitimieren und später auf weiterreichende,delikatere Probleme hinzulenken. Ohne praktischeTeilnahme am Dialog ließe sich kein kooperativerPolitikstil einüben.

Obwohl derzeit fraglich ist, ob der hohe Grad derPolitisierung die Ziele des direkten Dialogs (praktischeLösungen für technische Fragen zu finden) nichtfundamental unterläuft, sollte der Prozeß direkterGespräche zwischen Prishtina und Belgrad verbreitertund dynamisiert werden. Da jegliche Annäherung(selbst in Detailfragen) einen breiten gesellschaft-lichen Konsens voraussetzt, ist eine Erweiterung desserbisch-albanischen Dialogs über Regierungskreisehinaus anzustreben. Relevante gesellschaftlicheGruppen (etwa Intellektuelle und Experten, Vertretervon Medien und Nichtregierungsorganisationen)sollten in einen parallelen Prozeß eingebunden wer-den sowie die Möglichkeit erhalten, ihre Themen undVorschläge in den offiziellen Dialog einzufüttern. Daswäre gleichzeitig eine Maßnahme, die häufig nurunter Machtgesichtspunkten handelnden Eliten durchzivilgesellschaftliche Akteure besser zu kontrollieren.

Belgrad: Zeit gewinnen

In Serbien ist die Interessenlage der maßgeblichenpolitischen Kräfte erheblich komplexer als im Kosovo.Für alle relevanten Kräfte ergeben sich durch diedeutliche Distanzierung vom Milo�ević-Regime Spiel-räume in der Kosovofrage. Niemand möchte mehr inder Tradition des in Den Haag einsitzenden Auto-kraten stehen. Jedoch wird Kosovo aus historischenund kulturellen Gründen als »Wiege der serbischenNation« angesehen, und die Bevölkerung hat dendurch NATO-Bombardements herbeigeführtenschmachvollen Verlust des »heiligen Landes« nochnicht voll überwunden. Die meisten haben jedochbegriffen, daß eine Rückkehr der Südprovinz unterserbische Herrschaft unvorstellbar und angesichts desalbanischen Widerstandes auch nicht wünschenswertist. Jedoch wird es weithin als ungerecht empfunden,daß Serbien die Hauptschuld an Krieg und Menschen-rechtsverletzungen im Kosovo vorgeworfen wird.Nachdem Den Haag kürzlich Anklage gegen vierehemalige jugoslawische Generäle erhob, ist derinnenpolitische Druck gewachsen, sich vom Vorwurfder alleinigen Täterschaft zu befreien.57 Die Forderungdes UN-Verwalters Holkeri, Belgrad solle sich für dieim Kosovo begangenen Untaten öffentlich entschuldi-gen, quittiert man in Serbien mit Empörung.

Regierung und Opposition beharren darauf, daßKosovo laut SR-Resolution 1244 ein völkerrechtlicherBestandteil der Staatenunion Serbien-Montenegro ist.Sowohl die Demokratische Partei und ihre Koalitions-partner unter dem bisherigen MinisterpräsidentenZoran �ivković als auch die nationalkonservativeDemokratische Partei Serbiens von Vojislav Ko�tunicafordern mit unterschiedlichem Zungenschlag die volleUmsetzung der Entschließungen des Sicherheitsrats,insbesondere was die Rückkehr der Vertriebenen undden Minderheitenschutz angeht. Lediglich die in denletzten Wochen gestärkte Serbische Radikale Parteihält in ihrem Parteiprogramm an der staatlichenVereinigung aller serbischen Länder und damit amProjekt Großserbien fest.

Vor dem Hintergrund innerer Unsicherheiten(gescheiterte Präsidentschaftswahl, Schwächung desdemokratischen Lagers bei den ParlamentswahlenEnde Dezember 2003, bevorstehende Verabschiedungder serbischen Verfassung) bleibt das emotional starkbefrachtete Thema Kosovo heikel. Zudem besitzt

57 Vgl. Serbien wehrt sich gegen die Täterrolle, in: NeueZürcher Zeitung, 6.11.2003, S. 3.

Interessen, Ziele und Strategien der Hauptakteure

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Serbien auch legitime Interessen in der Kosovopolitik,die aus der Protektoratssituation resultieren. Siebetreffen vor allem:! die sozialökonomisch und psychologisch schwie-

rige Lage der 234 000 in Serbien-Montenegrolebenden Vertriebenen aus Kosovo, die zu den350 000 aus Bosnien-Herzegowina und Kroatienstammenden Flüchtlingen hinzukommen. Im Acht-Millionen-Einwohnerstaat leben derzeit also rund584 000 Flüchtlinge und Vertriebene;58

! die Rechte und Schutzmöglichkeiten der in derProvinz verbliebenen bis zu 100 000 Serben;

! Eigentumsrechte an vormals vergesellschafteten(selbstverwalteten) Unternehmen, die jetzt privati-siert werden, sowie Entschädigungsansprüche aufenteignetes Privateigentum;

! die von intentionaler Zerstörung bedrohten Kultur-güter (orthodoxe Klöster, Kirchen, Friedhöfe).Vor dem Hintergrund der breiten und komplexen

Interessenlage auf serbischer Seite wären grundsätz-lich verschiedene Optionen für eine politische Lösungin bezug auf Kosovo akzeptabel. Mehrere Alternativensind im Gespräch, keine von ihnen scheint allerdingsmomentan politisch durchsetzbar zu sein:! Hoher Autonomiestatus Kosovos innerhalb Serbiens

gemäß Resolution 1244: Dieses (in Serbien belieb-teste) Modell erscheint angesichts des erbittertenWiderstands der Kosovaren als kaum zukunftsfähig.

! Aufteilung Kosovos in einen serbischen und einenkosovarischen Teil: eine im demokratischen Lager(und dort vor allem von Führungskräften) befür-wortete (jedoch gleichfalls unrealistische) Lösung.Zwar hätte dann im Sinne einer »win-win-Lösung«jede Seite »ihr« Kosovo, doch ist nicht davon auszu-gehen, daß die Kosovaren freiwillig Territoriumaufgeben. Auch die Staatengemeinschaft schrecktvor Grenzveränderungen und Anerkennung ethni-scher Grundsätze für eine Staatsgründung mit Blickauf mögliche Präzedenzwirkungen zurück.

! Faktische, aber nicht erklärte Unabhängigkeit desKosovo im Rahmen einer Konföderation ohnegemeinsame Institutionen: bislang nur eineMinderheitsmeinung.59

58 Im Dezember 2002 hielten sich in Serbien-Montenegro(ausschließlich Kosovos) nach Angaben des UNHCR 121 425Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, 228 236 aus Kroatien,650 aus Slowenien und 100 aus Mazedonien auf. Hinzukamen 235 261 Vertriebene aus Kosovo.59 Čedomir Antić, Nezavisna Srbija u Evropskoj uniji [Einunabhängiges Serbien in der Europäischen Union], in: Novasrpska politička misao, 31.10.2003 (www.nspm.org).

Eine endgültige Statuslösung, die die InteressenSerbiens hinreichend berücksichtigt, ist somit inter-national momentan nicht durchsetzbar und würdezudem eine neue SR-Resolution erfordern. Die bis-herige Regierung setzte daher auf Zeitgewinn. Mitdem Beharren auf legalistischen Positionen (volleUmsetzung von Resolution 1244) bewegt man sichinternational auf sicherem Boden. Deshalb dürfte sichdie serbische Kosovopolitik auch unter der neuenRegierung grundsätzlich kaum ändern.

Da eine Rückgewinnung Kosovos mehrheitlich alsunrealistisch angesehen wird, man dies aus innenpo-litischen Erwägungen jedoch nicht offen aussprechendarf, ist es für jede Regierung, gleich welcher Zusam-mensetzung, schwierig, längerfristige verfassungspoli-tische Visionen zu entwickeln. Mit einem Offenhaltender Kosovofrage glaubt man in Belgrad, am wenigstenfalsch machen zu können, und greift zu leicht durch-schaubaren Mitteln: Dramatisierung der (zugegebenunzureichenden) Sicherheitslage im Kosovo sowieUnterstützung der serbischen parallelen Institutionenin der Provinz. Mit Belgrads Unterstützung wurdeetwa im Februar 2003 der serbische Gemeindeverbandgegründet und die Forderung nach FöderalisierungKosovos gestellt. Der Verband verlangt die engeVerbindung der kosovoserbischen Entität mit demengeren Serbien, vor allem in bezug auf Bildungs-,Justiz-, Kultur- und Sicherheitssysteme.60 Belgrad hatsich zwar später von diesem Projekt distanziert, ande-rerseits jedoch keine klaren Maßnahmen ergriffen,um Zweifel an seiner destruktiven Rolle im Kosovo zuzerstreuen.

Auch die neue serbische Regierung wird die Lattehochhängen, um sich im Fall des Falles Konzessionenteuer entgelten zu lassen. So ist auch die im Januar2003 ergriffene Initiative des damaligen Ministerprä-sidenten Zoran Djindjić zu erklären. Er forderte,serbische Sicherheitskräfte sollten � wie in Resolution1244 erlaubt � zur Wahrnehmung bestimmter Aufga-ben erneut in die Provinz einrücken dürfen.61 Damalshatte der UN-Beauftragte Steiner den bevorstehendenÜbertrag von Kompetenzen an die ProvisorischenInstitutionen angekündigt, worin Belgrad eine unzu-lässige Mandatsüberschreitung und ein politischesPräjudiz in bezug auf die Statusfrage sah. Man mußden Schritt Djindjićs nicht nur als Manöver interpre-

60 Zoran Culafic, Kosovo Serbs Demand Ethnic Division, in:IWPR, Izve�taj o balkanskoj krizi, 4.3.2003.61 Resolution 1244 erlaubt grundsätzlich eine serbischeSicherheitspräsenz als Liaison zu UNMIK, Entminung,Sicherung von Kulturgütern und Grenzen.

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tieren, innenpolitisch Punkte zu machen, sondernauch um die verlorene Initiative in der Kosovopolitikzurückzugewinnen.

Im Sommer 2003 scheiterte der stellvertretendeserbische Ministerpräsident und Kosovo-BeauftragteNeboj�a Čović mit dem Versuch, der serbischenpolitischen Klasse Kompromisse in der Kosovofrageverfassungsmäßig ein für allemal zu verbieten. Seinam 22. Juli 2003 vorgelegtes Strategiepapier konsta-tierte, daß die serbische Souveränität über Kosovonicht verhandelbar sei und daß die Provinz niemalsdem Ziel der euro-atlantischen Integration geopfertwerden dürfe.62

Im Beraterstab von Premierminister Zoran �ivkovićwurde dagegen betont, das Čović-Papier spiegele nichtdie offizielle Regierungsposition wider. Diese sei dage-gen in der Parlamentserklärung von Ende August2003 zu finden. Sie enthält:63

! die Forderung nach voller Implementierung vonResolution 1244, dem militärisch-technischenAbkommen (9.6.1999) und den mit der UNMIKgeschlossenen Vereinbarungen (5.1.2001);

! Kritik an mangelhafter Implementierung vonResolution 1244 (v.a. in bezug auf Flüchtlingsrück-kehr, Menschenrechtslage und Sicherheit);

! die Behauptung, Kosovo sei trotz der internationalenVerwaltung Bestandteil Serbiens (in bezug aufSouveränität und territoriale Integrität);

! einen Aufruf zu voller Unterstützung der UN-Mission in Kosovo und der KFOR zur vollen Imple-mentierung von Resolution 1244 durch das Coordi-nation Center;

! die Forderung nach Dezentralisierung Kosovossowie Garantie kollektiver Rechte für die dortlebenden Serben;

! einen Aufruf zur Zusammenarbeit mit dem Kriegs-verbrechertribunal, um vor allem die an Serbenbegangenen Untaten zu ahnden.

Die noch im Frühjahr ins Spiel gebrachte möglicheRückkehr serbischer Militärs in die Provinz taucht inder Resolution jedoch nicht auf.

Ein grundsätzlicher Wandel der serbischen Kosovo-politik ist vorerst nicht zu erwarten, auch wenn sichder Tonfall wieder verschärfen könnte. Instabile Regie-rungsmehrheiten und parteitaktische Überlegungennach dem Grundsatz »nach den Wahlen ist vor den

62 Basic Guidelines for Resolving the Kosovo-Metohija Crisis,Belgrad, 22.7.2003.63 <http://www.serbia.sr.gov.yu/news/kosovo>.

Wahlen« dürften auch die neue Regierung dazuveranlassen, die Kosovofrage weiter offenzuhalten.

Keine Regierung in Serbien kann sich jedoch ange-sichts der Vielzahl drängender Probleme (besonders inZusammenhang mit der Vertriebenenfrage) langfristigpragmatischen Kompromissen verschließen, beson-ders da die Frage der »Europafähigkeit« Serbiensimmer größere Bedeutung gewinnt. Nach Beginn derMachbarkeitsstudie für ein Assoziierungsabkommen� und vor dem Hintergrund des kroatischen Gesuchsum EU-Beitritt � wächst der Druck auf die politischHandelnden, die politischen Konditionalitäten füreine Annäherung an die EU zu berücksichtigen.

Ansätze für eine europäische Kosovo-Politik

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Ansätze für eine europäische Kosovo-Politik

Aufgrund der als verfahren geltenden Situation imKosovo wird immer häufiger auch außerhalb derProvinz gefordert, sich der Macht des Faktischen zubeugen und dem Willen der kosovarischen Mehrheitnachzugeben.64 Vor allem in den USA gibt es Fürspre-cher einer beschleunigten Regelung der Statusfrage.Auch das Europaparlament fordert, innerhalb dernächsten zwei Jahre über den Status Kosovos zu ent-scheiden.65 Mit der Klärung der völkerrechtlichenStellung Kosovos und seiner Entlassung in die Unab-hängigkeit, so glauben viele, wäre das Haupthindernisfür die politische, sicherheitspolitische und sozial-ökonomische Befriedung der Provinz beseitigt.

Diese Studie argumentiert statt dessen, daß dieStatusdebatte von den Kernproblemen ablenkt: Eswäre unrealistisch anzunehmen, die sofortige Unab-hängigkeit Kosovos könne irgendeines seiner sub-stantiellen Probleme lösen. Vor dem Beginn vonStatusverhandlungen geht es vielmehr darum, volleRegierungsfähigkeit und Rechtsstaatlichkeit in derProvinz herzustellen. Die Provinz braucht viel mehrZeit, um das erst vor wenigen Jahren begonneneProjekt Nationalstaat zum Erfolg zu führen. In Kosovoerklären Regierungsmitglieder, Präsidentenberaterund -sprecher im persönlichen Gespräch offen, daß esin einem unabhängigen Kosovo nur wenig Raum fürnichtalbanische Bevölkerungsgruppen gäbe. An dieRückkehr der Vertriebenen in großer Zahl wäre kaumnoch zu denken.

Grundsätzlich sind in bezug auf die Statusdebattefolgende Argumente festzuhalten:! Es gibt wenig überzeugende Argumente dafür, daß

die Unabhängigkeit Kosovos als solche die Voraus-setzungen für Demokratie und wirtschaftliche

64 Janusz Bugajski/R. Bruce Hitchner/Paul Williams, Achievinga Final Status Settlement for Kosovo, Washington, D.C.:Center for Strategic and International Studies, April 2003<www.csis.org/ee/kosovo_final_status.pdf> und United StatesInstitute of Peace, Kosovo Decision Time, Washington, D.C.,Februar 2003, <www.usip.org/pubs/specialreports/sr100.html>; Reinhold Vetter, �Konditionierte Unabhängigkeit� fürKosovo, in: Südosteuropa, 52 (2003) 1�3, S. 66�85.65 European Parliament, Report on the Stabilisation andAssociation Process for South East Europe: Second AnnualReport (A5-0397/2003), Brüssel, 6.11.2003.

Erneuerung verbessert. Zwischen einer Status-lösung und der Verbesserung der Menschenrechts-lage gibt es keinen kausalen Zusammenhang. Auchdürfte es kaum mehr Auslandsinvestitionen geben,solange Rechtssicherheit und ökonomische Anreizefehlen. Nach Entlassung in die Unabhängigkeitgäbe es dagegen überhaupt kein Druckmittel mehr,um Nichtalbaner in der Provinz vor Verfolgung zuschützen oder den Vertriebenen zu ihrem Recht zuverhelfen. Gegen den von der UNO verfolgten Kurs»Standards vor Status« ist abgesehen vom Trotz derKosovaren wenig vorzubringen.

! Die regionale Stabilität auf dem südlichen Balkanist in Gefahr, wenn Kosovo zum Präzedenzfall fürdie Legitimierung gewaltsamer Grenzänderungenund ethnischer Vertreibungen würde. In den multi-ethnisch verfaßten Nachbarstaaten Bosnien-Herze-gowina und Mazedonien gerieten die internationalüberwachten Friedensprozesse in Gefahr. Für einengroßen Teil der dort lebenden Bevölkerung ist dasletzte Wort über politische Ordnung und Grenzennoch nicht gesprochen. Die Klärung der Statusfragedarf schon deshalb nur im Konsens, mit Zustim-mung Prishtinas und Belgrads, erfolgen.

! Es liegt im Interesse des Westens, mit den Reform-kräften auch die noch fragile Demokratie in Serbienzu stärken. Erst wenn die inneren Verhältnisseeinigermaßen konsolidiert sind, kann eine in derKosovo-Frage zum Einlenken bereite Regierung demDruck der nationalistischen Opposition standhal-ten. Zur Zeit wäre es aber politischer Selbstmord,bei diesem national hochempfindlichen Themanennenswert nachzugeben. Deshalb wäre es un-klug, die für europäische Reformen eintretendenserbischen Politiker mit der Forderung nach Status-verhandlungen zu stark in Bedrängnis zu setzen.

! Die Europäische Union hat, betont Javier Solana,auf dem Balkan modellhaft mit dem Aufbau eines»Sicherheitsgürtels« in ihrer unmittelbaren Nach-barschaft begonnen.66 In der Region müssen sichdie neuen Instrumente zur Krisenbewältigung aber

66 Javier Solana, A Secure Europe in a Better World. EuropeanSecurity Strategy, Brüssel, 12.12.2003, S. 9, <http://ue.eu.int/pressdata/EN/reports/78367.pdf>.

Ansätze für eine europäische Kosovo-Politik

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erst noch bewähren, etwa in Form der europäischenPolizei- und Militärmissionen in Bosnien-Herzego-wina und Mazedonien. Da der große politische,finanzielle und sicherheitspolitische Einsatz aufdem Balkan modellhaft auf künftige globale Aufga-ben verweist, verbieten sich Experimente, dieseinen Erfolg in Frage stellen könnten.Im übrigen würde eine endgültige Statusregelung

im Kosovo eine neue Entschließung des Sicherheits-rates voraussetzen. Aus oben genannten Gründenwäre sie ohne Zustimmung der HauptbeteiligtenBelgrad und Prishtina international wohl kaum durch-setzbar. So muß es also darum gehen, Wege für einenKompromiß zu suchen, die Interessen der beiden Kon-trahenten ernst zu nehmen und mögliche »trade offs«auszuloten. Im folgenden werden zehn Punkte vorge-schlagen, bei denen deutsche und europäische Politikansetzen könnte.

1. Gesichtswahrende mittelfristige Statuslösung

Angesichts der unvereinbaren Positionen von Belgradund Prishtina, aber auch in Hinblick auf die regionaleDestabilisierungswirkung oktroyierter Lösungen, sind� so unbefriedigend dies klingen mag � frühzeitigeDiskussionen über den endgültigen Status Kosovos(sprich: seine Unabhängigkeit) wenig empfehlenswert.Strategisch anzustreben wäre mittelfristig ein Modell,das de facto Unabhängigkeit Kosovos bedeutet, jedochnicht so heißt. Es könnte für alle Beteiligten gesichts-wahrende Komponenten enthalten: Prishtina hätteseine politischen Souveränitätsrechte weitestgehenddurchgesetzt, ohne eine spätere, internationale Aner-kennung seiner Unabhängigkeit zu verwirken. Belgradkönnte sich zugute halten, den endgültigen VerlustKosovos verhindert und eine völkerrechtlich legiti-mierte Lösung gefunden zu haben. Die Staatengemein-schaft würde sich weiter voll im Rahmen von Resolu-tion 1244 bewegen und hätte kritische Präzedenzfälleumschifft. Die Ausgestaltung eines solchen Modellshinge allerdings maßgeblich von der Frage ab, ob undunter welchen Bedingungen Serbien und Montenegroüber 2006 hinaus in der Staatenunion verbleiben.

2. »Standards vor Status« als politisches Prinzip

An der Formel »Standards vor Status« ist grundsätzlichfestzuhalten. Es ist der zentrale Hebel, um Einfluß aufspätere Statusentscheidungen nehmen zu können.Allerdings sollte es mehr als politisches Prinzip undstrategischer Rahmen, nicht als operatives Handlungs-konzept begriffen werden. Die im Herbst 2003 begon-nene (und von den Kosovaren gewünschte) Festlegung

klarer Evaluierungskriterien (Operationalisierung derStandards) führt zu bürokratischer Aufblähung undsuggeriert, daß es einen Automatismus in bezug aufdie Unabhängigkeitsfrage gibt. Kein operatives Konzeptwird jedoch das Grunddilemma lösen können: daßzwar früher oder später bestimmte Ziele erfüllt seinwerden (funktionierende Institutionen, wirtschaft-liche Reformen), daß aber Fortschritte in den mitnationalen Interessen verbundenen Fragen, etwa beiFlüchtlingsrückkehr und Minderheitenschutz, sehrviel schwieriger zu erreichen sind. Aus Gründen derregionalen Stabilität und der eigenen Glaubwürdig-keit darf die Staatengemeinschaft menschenrechts-und rechtsstaatliche Prinzipien nicht ohne weiteresaufgeben.

3. Konditionierter Souveränitätstransfer

Die UNMIK sollte � über kurz oder lang � die ihr imVerfassungsrahmen vorbehaltenen Befugnisse auf-geben und (fast) alle Souveränitätsrechte an die ört-lichen Institutionen übertragen, darunter vor allemKompetenzen im Bereich von Außenpolitik. Es gingedarum, volle Regierungsfähigkeit herzustellen, eheüber eine Statuslösung verhandelt wird.67 Allerdingsmüßten zuvor bestimmte Bedingungen erfüllt werden:Beispielsweise sollte die Kooperation mit dem Straf-gerichtshof in Den Haag Voraussetzung für die Über-nahme des Justizministeriums sein; die des Innen-ministeriums müßte effektiven Minderheitenschutzvoraussetzen. Vor Installierung eines kosovarischenAußenministeriums müßte ein Moratorium in bezugauf die Unabhängigkeit vereinbart werden. Beimheutigen Stand der Dinge mag dies nicht wenigerunrealistisch klingen als die Erfüllung der »bench-marks«, vor allem, wenn man vor politischen undfinanziellen Sanktionsdrohungen im Bereich dereuropäischen Zusammenarbeit zurückschreckt. Ein anAuflagen gebundener Transfer der »reserved powers«wäre jedoch Bedingung dafür, daß die Kosovaren ihrin Resolution 1244 verbrieftes Recht auf »substantielleAutonomie und Selbstverwaltung« verwirklichenkönnen, ohne dadurch bereits eine Statuslösung zupräjudizieren. Dies würde nicht nur Frustrationen imLand abbauen, sondern auch Druck von der UNMIKnehmen. Wie oben ausgeführt, wäre es zudem eineunabdingbare Voraussetzung dafür, handlungsfähige

67 Ein solcher Übertrag von Rechten würde im übrigen auchnoch keine Statuslösung präjudizieren: Die Teilrepublikender ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien führten schließ-lich auch eine eigenständige Außenpolitik.

Ansätze für eine europäische Kosovo-Politik

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Eliten auszubilden und einen kooperativen Politikstilim Kosovo zu verankern. Solange der Gestaltungsraumder Kosovaren zu eng beschnitten ist, wird sich kaumProblemlösungskompetenz aufbauen können.

4. Gezielterer Einsatz der Instrumente desStabilisierungs- und Assoziierungsprozesses

Die Instrumente des SAP sollten gezielter zur Unter-stützung der politischen Ziele der Staatengemein-schaft eingesetzt werden. Mit dem Stabilisation andAssociation Process Tracking Mechanism (STM) stehtein Evaluierungsinstrument zur Verfügung, das eserlauben würde, bestimmte Politikbereiche gezielt zufördern. Um dies zu erreichen, müßte der STM aberbesser mit der Politik der UN-Verwaltung verknüpftwerden (zur Zeit laufen beide Prozesse parallel). Dieim STM zur Verfügung stehenden Anreize (Beratungs-leistungen, finanzielle Förderung durch CARDS)sollten eingesetzt werden, um nicht nur die EU-rele-vanten Sektoren (Energie, Justiz und Inneres etc.) zubearbeiten, sondern auch die fundamentaleren, fürdie Erfüllung der Kopenhagener Kriterien bedeut-samen Politikbereiche. Ferner ginge es darum, jeneFunktionsbereiche und Institutionen aufzubauen, diezur Ausübung der später zu übertragenden staatlichenKompetenzen notwendig sind. Dies würde zudem eineHarmonisierung der verschiedenen bürokratischenStränge der EU voraussetzen, die momentan relativunabhängig voneinander operieren (es geht um denfür wirtschaftlichen Aufbau zuständigen EU-Pfeiler IVder UNMIK, die Europäische Wiederaufbauagentur,die die CARDS-Mittel verteilt, sowie die Delegation derEuropäischen Kommission in Prishtina).

5. Dynamisierung und Verbreiterung desdirekten Dialogs

Obwohl derzeit fraglich ist, ob der hohe Grad derPolitisierung die Ziele des direkten Dialogs (praktischeLösungen für technische Fragen zu finden) nichtfundamental unterläuft, sollte der Prozeß direkterGespräche zwischen Prishtina und Belgrad verbreitertund dynamisiert werden. Da jegliche Annäherung(selbst in Detailfragen) einen breiten gesellschaft-lichen Konsens voraussetzt, ist eine Erweiterung desserbisch-albanischen Dialogs über Regierungskreisehinaus anzustreben. Relevante gesellschaftlicheGruppen (etwa Intellektuelle und Experten, Vertretervon Medien und Nichtregierungsorganisationen) soll-ten in einen parallelen Prozeß eingebunden werdensowie die Möglichkeit erhalten, ihre Themen undVorschläge in den offiziellen Dialog einzufüttern. Dies

wäre gleichzeitig eine Maßnahme, die häufig nurunter Machtgesichtspunkten handelnden Eliten durchzivilgesellschaftliche Akteure besser zu kontrollieren.

6. Regionale Lösungen in der Flüchtlingspolitik

Da die Bevölkerungspolitik eine Schlüsselfunktion imProzeß der Ausbildung von Staat und Nation innehat,würde ein Strategiewechsel in der Flüchtlingspolitikwahrscheinlich die Fronten am ehesten durchbrechen.Die Entschärfung der Flüchtlings- und Vertriebenen-frage wäre nicht nur um der Betroffenen selbst willenwichtig, sondern auch, um Ängste auf seiten der Koso-varen vor unbotmäßiger Einflußnahme von außenabzubauen. Denn die serbische Regierung hat dieVertriebenen-Problematik immer wieder instrumen-talisiert, um territoriale Ansprüche und politischeMitsprache im Kosovo begründen zu können.

Realistischerweise ist kaum davon auszugehen,daß es in nächster Zeit zu nennenswerter Vertriebe-nenrückkehr nach Kosovo kommt, worauf im übri-gen auch das Beispiel Kroatiens verweist. Selbst dermodernste und mit Blick auf die EU-Annäherung amweitesten fortgeschrittene Staat des westlichen Bal-kans tut sich schwer, den vertriebenen Serben volleRückkehrrechte und -möglichkeiten zu gewähren. Des-wegen müssen früher oder später pragmatische Lösun-gen gefunden werden, ohne die Verwirklichung dermenschenrechtlichen Mindeststandards vollkommenüber Bord zu werfen.

Vorgeschlagen wird ein vom Stabilitätspakt bereitsim Länderdreieck Kroatien�Bosnien-Herzegowina�Serbien-Montenegro eingesetztes Modell: in bestimm-ten, weniger sicherheitsgefährdeten Schwerpunkt-regionen die Rückkehr von Vertriebenen modellhaftzu fördern sowie gleichzeitig den Nichtrückkehrwilli-gen bei der Integration in ihre Aufnahmeländerbehilflich zu sein. Elemente wären:1. Sicherung der Eigentumsrechte der Vertriebenen

(oft ein Haupthindernis für Rückkehr);2. Fokussierung der Rückkehr auf weniger proble-

matische Gemeinden mit dem Ziel, in diesen Mo-dellregionen auch die nötigen wirtschaftlichen,sozialen und sicherheitsrelevanten Mindestbedin-gungen zu schaffen (sog. Leuchtturm-Projekte);

3. Integrationshilfen für die nicht rückkehrwilligenVertriebenen an ihrem Aufenthaltsort durch inter-nationale Geber (etwa durch den Stabilitätspakt).

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7. Entschädigung für privatisiertes gesellschaftlichesEigentum

Wenn es eine Lösung mit Zuarbeit Belgrads geben soll,müssen auch seine legitimen wirtschaftlichen Inter-essen Berücksichtigung finden. Deshalb wäre eswichtig, bei der Privatisierung gesellschaftlichenEigentums, ebenso wie bei Aufteilung der Schulden(die momentan Belgrad auch für Kosovo tilgt), etwaigeAnsprüche Belgrads zu berücksichtigen und finanziellzu entschädigen.

8. Gemeinsamer Aktionsplan zum Schutz desKulturerbes unter Schirmherrschaft der UNESCO

Weil es im Kosovo in erster Linie um die verspäteteBildung von Staat und Nation geht, kommt kulturel-len Fragen für die Problemlösung eine hohe Bedeu-tung zu. Dieser Aspekt hat zwei Seiten: Zum einensind historische Kulturdenkmäler, die serbischenationale Identität symbolisieren, von absichtsvollerZerstörung bedroht.68 Zum anderen verfallen zahl-reiche Kulturstätten, etwa archäologische Ausgra-bungsorte, angesichts fehlender finanzieller Mittel.Vorgeschlagen wird, den gemeinsamen Aktionsplanzum Schutz des Kulturerbes unter Schirmherrschaftder UNESCO prominent zu fördern und umzusetzen.69

Das wäre ein Beitrag zur historisch-kulturellen Selbst-findung der Kosovaren, der ihnen helfen würde, dieeigene Rolle selbstsicherer und nicht nur als Reflexauf wahrgenommene Bedrohung zu definieren. Dasgleiche gilt, umgekehrt, auch für die Serben. Zudemwäre es ein Ansatzpunkt dafür, ein Themenfeld zubeackern, in dem Albaner und Serben gemeinsameInteressen besitzen.

9. Neuausrichtung von CARDS

Um in Kosovo eine wirtschaftliche Perspektive aufzu-bauen und soziale Spannungen zu mildern, wäre zuempfehlen, die europäischen Hilfsprogramme stärkerauf soziale und wirtschaftliche Entwicklungszieleauszurichten. Statt den Schwerpunkt auf die langfri-stige gesetzgeberische und institutionelle Heranfüh-rung Kosovos an die EU zu legen, sollten über CARDSdie entwicklungspolitischen Strategien von Weltbank(Poverty Reduction Strategy) und UNDP (CountryAssistance Strategy) gefördert werden. Mittelfristiges

68 Resolution 1244/Annex 2 gestand sogar eine serbischePräsenz an diesen historischen Orten zu, die allerdings nierealisiert wurde.69 UNESCO, Cultural Heritage in Kosovo. Protection andConservation of a Multi-ethnic Heritage in Danger, MissionReport, 2003 (unveröffentlichtes Manuskript).

Ziel wäre die Verringerung von Geberabhängigkeit(was Forderungen nach Bereitstellung zusätzlicherMittel ausschließt).

10. Internationale Sicherheitsgarantien imMinderheitenschutz

Die internationalen Friedenstruppen werden � jemehr sich die Lage im Kosovo normalisiert � weiterabgebaut werden können und müssen. Eine militäri-sche Mindestpräsenz wird jedoch auf absehbare Zeitin der Region stehen bleiben müssen. Ihr müßte es imwesentlichen zufallen, die Sicherheit der im Kosovoverbliebenen (und dahin zurückkehrenden) Minder-heiten in bestimmten Kernregionen zu gewährleisten.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Situationin und um Kosovo wenig Anlaß zu Optimismus gibt:Die Provinz wird weiterhin mit tiefgreifenden struk-turellen, politischen und sozialökonomischen Pro-blemen zu kämpfen haben; gleichzeitig zeigen diepolitischen Eliten in Serbien und Kosovo wenig Bereit-schaft zu konstruktiven Politikansätzen. Dementspre-chend ist zu befürchten, daß die Provinz noch langeZeit von internationaler Hilfe abhängig sein wird,schnelle Lösungen gibt es nicht. Auch unabhängigvom ungeklärten Status ist fraglich, ob und wann dasLand je auf den europäischen Integrationszug wirdaufspringen können. Deutsche und europäischePolitik muß sich folglich darauf einstellen, auf demsüdlichen Balkan einen langen Atem zu beweisen.

Abkürzungen

AKSh Armata Kombëtare ShqiptareCARDS Community Assistance for Reconstruction,

Development and StabilisationFYROM Former Yugoslav Republic of MacedoniaIWF/IMF Internationaler Währungsfonds/International

Monetary FundIWPR Institute for War and Peace ReportingKFOR Kosovo ForceKPC Kosovo Protection CorpsKTA Kosovo Trust AgencyPISG Provisional Institutions of Self-GovernmentSAP Stabilisierungs- und AssoziierungsprozeßSR SicherheitsratSRSG Special Representative of the Secretary-GeneralSTM SAP Tracking MechanismUÇK Ushtria Çlirimtare e KosovësUNDP United Nations Development ProgramUNHCR United Nations High Commissioner for RefugeesUNMIK United Nations Interim Administration Mission in

Kosovo