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Hintergrund: Marokko Nr. 32 / Mai 2015 | 1 Eine Premiere in Nordafrika: Marokko will sich der Immigration stellen Andrea Nüsse Während Marokkaner weiterhin nach Europa und Nordamerika auswandern, wird das Königreich selbst zum Ziel von Flüchtlingen und Migranten aus Subsahara-Afrika. Die Bilder haben es selbst in die „Tagesthemen“ geschafft: Flüchtlinge aus Ländern der Subsahara ver- suchen im Norden Marokkos immer wieder, über die Grenzzäune in die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla zu klettern. Neuerdings geschieht dies oft in koordinierten Massenanstürmen. Viele wer- den dabei verletzt; dennoch ist die Lebensgefahr dabei geringer, als beim Versuch in Schlauchbooten über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Auf dem Weg nach Südeuropa ist Marokko ein Transitland für Flüchtlinge aus Afrika. Doch viele schaffen es nicht und hausen jahrelang in Wäldern im Norden Marokkos, im Umfeld der beiden spanischen Enklaven, die Überbleibsel der spanischen Kolonial- herrschaft in Marokko sind. Oder sie gehen in die Städte Rabat und Casablanca. Damit ist Marokko nicht nur das nordafrikanische Land, aus dem am meisten Bewohner nach Europa und Nordafrika emigrieren – nach Schätzungen des Ministeriums für Marokka- ner im Ausland leben mit 4,5 Millionen Ma- rokkanern etwa 15 Prozent der Bevölkerung im Ausland. Für Menschen aus anderen Län- dern ist das Königreich de facto die Endstati- on ihrer Migration geworden – auch weil die Festung Europa sich immer stärker abschottet. Dem hat Marokko nun Rechnung getragen: Seit Ende 2013 werden Elemente einer Migrations- und Asylpolitik ausgearbeitet, die im Einklang mit Men- schenrechten und internationalen Konventionen stehen soll. Damit könnte Marokko eine Führungsrolle in Nordafrika übernehmen – was ihm bereits viel Wohlwollen und Unterstützung der europäischen Nachbarn einbringt. Hintergrund: Marokko Nr. 32 / 27. Mai 2015 Moroccan-Spanish_border_in_Melilla, File: El_paso_fronterizo_de_Farjana_en_Melilla / Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/

Marokko will sich der Immigration stellen

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Während Marokkaner weiterhin nach Europa und Nordamerika auswandern, wird das Königreich selbst zum Ziel von Flüchtlingen und Migranten aus Subsahara-Afrika.

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  • Hintergrund: Marokko Nr. 32 / Mai 2015 | 1

    Eine Premiere in Nordafrika: Marokko will sich der

    Immigration stellen Andrea Nsse

    Whrend Marokkaner weiterhin nach Europa und Nordamerika auswandern, wird das Knigreich selbst

    zum Ziel von Flchtlingen und Migranten aus Subsahara-Afrika.

    Die Bilder haben es selbst in die Tagesthemen geschafft: Flchtlinge aus Lndern der Subsahara ver-

    suchen im Norden Marokkos immer wieder, ber die Grenzzune in die spanischen Enklaven Ceuta

    und Melilla zu klettern. Neuerdings geschieht dies oft in koordinierten Massenanstrmen. Viele wer-

    den dabei verletzt; dennoch ist die Lebensgefahr dabei geringer, als beim Versuch in Schlauchbooten

    ber das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

    Auf dem Weg nach Sdeuropa ist Marokko

    ein Transitland fr Flchtlinge aus Afrika.

    Doch viele schaffen es nicht und hausen

    jahrelang in Wldern im Norden Marokkos,

    im Umfeld der beiden spanischen Enklaven,

    die berbleibsel der spanischen Kolonial-

    herrschaft in Marokko sind. Oder sie gehen

    in die Stdte Rabat und Casablanca. Damit

    ist Marokko nicht nur das nordafrikanische

    Land, aus dem am meisten Bewohner nach

    Europa und Nordafrika emigrieren nach

    Schtzungen des Ministeriums fr Marokka-

    ner im Ausland leben mit 4,5 Millionen Ma-

    rokkanern etwa 15 Prozent der Bevlkerung

    im Ausland. Fr Menschen aus anderen Ln-

    dern ist das Knigreich de facto die Endstati-

    on ihrer Migration geworden auch weil die Festung Europa sich immer strker abschottet. Dem hat Marokko nun Rechnung getragen: Seit Ende

    2013 werden Elemente einer Migrations- und Asylpolitik ausgearbeitet, die im Einklang mit Men-

    schenrechten und internationalen Konventionen stehen soll. Damit knnte Marokko eine Fhrungsrolle

    in Nordafrika bernehmen was ihm bereits viel Wohlwollen und Untersttzung der europischen Nachbarn einbringt.

    Hintergrund:

    Marokko

    Nr. 32 / 27. Mai 2015

    Moroccan-Spanish_border_in_Melilla, File:

    El_paso_fronterizo_de_Farjana_en_Melilla / Quelle:

    http://commons.wikimedia.org/wiki/

  • Hintergrund: Marokko Nr. 32 / Mai 2015 | 2

    Umgang mit Flchtlingen in Einklang mit

    Menschenrechten bringen

    Begonnen hat die neue Politik im Septem-

    ber 2013, als der Nationale Menschen-

    rechtsrat in einer Studie eine neue Immig-

    rations- und Asylpolitik forderte, um die

    Lage der Flchtlinge in Marokko in Einklang

    mit der UN-Menschenrechtskonvention zu

    bringen, die Marokko unterzeichnet hat.

    Zuvor hatten der UN-Sonderberichterstat-

    ter Folter und andere internationale Orga-

    nisationen insgesamt den Umgang mit

    Flchtlingen in Marokko scharf kritisiert.

    Ohne jeglichen Rechtsstatus sind sie Ge-

    walt und Ausbeutung ausgesetzt, so die

    Vorwrfe. Tausende Flchtlinge wurden

    abgeschoben oder unter menschenun-

    wrdigen Umstnden im Niemandsland zwischen Algerien und Marokko ausgesetzt. Hier waren sie

    ihrem Schicksal berlassen.

    Die Studie des staatlichen Menschenrechtsrates war offenbar mit dem Knig abgesprochen oder von

    ihm in Auftrag gegeben, denn nur einen Tag spter verkndete Mohammed VI. neue Direktiven. Meh-

    rere Kommissionen wurden eingerichtet, im Ministerium fr die Auslandsmarokkaner wurde eine Ab-

    teilung Migration geschafften und am 11. November 2013 verkndeten Innenministerium und das

    nunmehr umbenannte Ministerium fr Auslandsmarokkaner und Migrationsangelegenheiten die Eck-

    punkte der ersten Sofortmanahme: Fr einige Kategorien illegaler Einwanderer in Marokko wurde die

    Mglichkeit erffnet, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Dies galt fr Ehepartner

    von Marokkanern und anderen Auslndern, die ihrerseits eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen sowie

    deren Kinder; fr Auslnder, die fnf Jahre ununterbrochen in Marokko gelebt haben; fr Auslnder

    mit regulren Arbeitsvertrgen.

    Fast 18.000 Aufenthaltsgenehmigungen fr Illegale

    Nach Angaben des Innenministeriums wurden nach diesen Magaben bis 31. Dezember 2014 Aufent-

    haltstitel an 17.916 illegal in Marokko lebende Personen vergeben. Sie sind zunchst fr ein Jahr gl-

    tig. Die Antrge von Frauen und Kindern wurden nach offiziellen Angaben zu fast 100 Prozent positiv

    beschieden (10.178 Personen). Einen Antrag hatten insgesamt 27.332 Personen gestellt.

    Der Groteil der erteilten Aufenthaltsgenehmigungen ging an Senegalesen (27 Prozent) und Syrer

    (18,4 Prozent), der Rest an andere Afrikaner aus Lndern der Subsahara wie Nigeria, Elfenbeinkste,

    Guinea oder dem Kongo. Die Schtzungen darber, wie viele Auslnder insgesamt illegal in Marokko

    residierten, gingen auseinander: Offiziell war die Rede von 30.000 bis 40.000 Personen, die zu 75 Pro-

    zent aus sieben Lndern der Subsahara kommen. Nichtregierungsorganisationen gingen von einer

    deutlich hheren Zahl aus (70.000).

    Ob dies der Beginn einer dauerhaften Liberalisierung der Migrationspolitik und einer reellen Integrati-

    onspolitik ist, muss sich noch zeigen. Am 9. Februar 2015 verkndete der Staatssekretr im Innenmi-

    nisterium, Charki Draiss, berraschend das sofortige Ende von Antragsprfungen.

    Grenzanlagen der spanischen Enklaven / Quelle:

    www.flickr.com/photos/pedrojimenez/184602669/in/photostream/

  • Hintergrund: Marokko Nr. 32 / Mai 2015 | 3

    Nur Stunden spter wurden im Norden Marokkos bei groangelegten Razzien 1200 illegal in Marokko

    lebende Auslnder vorbergehend festgenommen und zwangsweise auf verschiedene marokkanische

    Stdte verteilt. Diese Rckkehr zu den alten Methoden beunruhigt Menschenrechtsorganisationen. Sie bezweifeln, dass die marokkanische Politik und Verwaltung den humanitren Ansatz der Migrati-

    onspolitik, den Knig Mohammed VI. angekndigt hatte, wirklich dauerhaft umsetzen wollen.

    Denn eine ffnung Marokkos fr Flchtlinge aus

    Subsahara stt in der ffentlichen Meinung

    und in Teilen der Bevlkerung nicht unbedingt

    auf Zustimmung. Abgesehen von den Brger-

    kriegsflchtlingen aus Syrien sind die berwie-

    gende Mehrheit der illegal in Marokko lebenden

    Migranten dunkelhutige Afrikaner. Und der

    Rassismus ist in Marokko weit verbreitet: So

    machen immer wieder bergriffe auf dunkelhu-

    tige Afrikaner, die dabei auch zu Tode kommen,

    Schlagzeilen. Das Magazin MarocHebdo sprach

    2012 auf seinem Titelblatt von der Schwarzen Gefahr und assoziierte die illegalen Migranten

    mit Drogenhandel und Prostitution. Dies ist nur

    ein Beispiel fr die weit verbreitete Sichtweise in

    der marokkanischen Bevlkerung.

    Es gibt mehrere Grnde, warum der Knig trotz

    solcher Widerstnde bereits Ende 2013 einen

    neuen Umgang mit Flchtlingen angemahnt hat:

    Die UN und andere internationale Organisatio-

    nen hatten Marokko scharf kritisiert und an sei-

    ne Verpflichtungen aus den Menschenrechts-

    und Flchtlingskonventionen erinnert. Zudem arbeitet Marokko als Emigrationsland darauf hin, den

    Zugang zu Europa fr Marokkaner zu verbessern und zu erleichtern. Und das Knigreich verfolgt poli-

    tisch und wirtschaftlich eine aktive Afrika-Politik. Dabei sttzt es sich zunehmend auch auf eine reli-

    gise Diplomatie die religise Autoritt des marokkanische Knigs, der in Marokko selbst gleichzeitig

    Oberster Religionsfhrer ist, wird von vielen muslimischen Gemeinschaften in Afrika anerkannt. Diese

    Afrika-Politik knnte darunter leiden, wenn Staatsbrger der Partnerstaaten in Marokko schlecht be-

    handelt werden. Und nicht zuletzt haben marokkanische Nichtregierungsorganisationen lautstark ei-

    nen menschenwrdigen Umgang mit Flchtlingen angemahnt.

    Drei Gesetzesvorhaben zum Menschenhandel, zum Asyl und zur Ein- und Ausreise von Auslndern, die

    derzeit in Ausarbeitung sind, werden Auskunft darber geben, wie weit Marokko in seiner neuen Asyl-

    und Immigrationspolitik gehen will. Die angekndigten Strategien zur Integration von Migranten sol-

    len zunchst fr die knapp 18.000 Personen gelten, die in der auergewhnlichen Aktion bis Ende

    2014 eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten.

    So zeigte sich Regierungssprecher Moustafa El Khalfi im Mai 2015 stolz darauf, dass keine To-desboote mehr von Marokko aus nach Spanien oder auf die Kanarischen Inseln starten. Frher waren

    auch auf diesen berfahrtsrouten Hunderte von Menschen gestorben. Dies habe dem Ruf und dem Image unseres Landes geschadet, sagte El Khalfi.

    Die schwarze Gefahr: Nicht nur das Wochenmagazins Mar-coHebdo machte 2012 mit diesem Titel in Marokko Stimmung

    gegen Flchtlinge aus Subsahara. / Quelle: FNF-Rabat

  • Hintergrund: Marokko Nr. 32 / Mai 2015 | 4

    Spanien schickt Flchtlinge auf marokkanischen Boden zurck

    Das gute Image in Europa ist eine

    der Richtschnre fr Marokkos

    Politik und dies wird von den Europern auch ausgenutzt.

    Das spanische Parlament hat im

    Dezember 2014 ein Gesetz erlas-

    sen, das es seinen Grenzbeamten

    in den spanischen Enklaven Ceuta

    und Melilla in Nordmarokko er-

    laubt, Flchtlinge, die es ber

    den Grenzzaun bereits auf spani-

    sches Hoheitsgebiet geschafft

    haben, sofort nach Marokko zu-

    rckzubringen. Dies widerspricht nach Ansicht von Flchtlingsorganisationen dem Grundsatz der

    Nichtzurckweisung und dem Asylrecht, das in internationalen Konventionen festgelegt ist. Marokko

    hatte 1992 noch unter Hassan II. mit Spanien ein Abkommen zur Wiederaufnahme von Flchtlingen

    abgeschlossen, das allerdings erst 2012 in Kraft trat.

    Bereits seit Beginn der 2000er Jahre setzte die EU auf Marokkos Rolle als Grenzposten Europas und

    berwies hunderte Millionen Euro, um die Grenzsicherung zu verbessern und Strategien fr Migration

    zu entwickeln. Die restriktive europische Immigrationspolitik und die strkere Abschottung Europas

    haben jedoch zur Folge, dass in Marokko immer mehr Flchtlinge aus Lndern der Subsahara zwangs-

    weise sesshaft werden.

    Dies hat die marokkanische Regierung mit der einmaligen Registrierung eines Teils der Migranten nun

    erstmals offiziell anerkannt. Bei der Ausarbeitung einer wirklichen Immigrations- und Integrationspo-

    litik braucht das Land weiter Untersttzung, aber auch Anerkennung aus Europa. Und weiteren Druck.

    Andrea Nsse ist FNF-Projektleiterin fr Marokko und Algerien.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam

    Spanish territories in North Africa / Quelle: en.wikipedia.org