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Martin Niemöller: Mut zum christlichen Widerstand - Kirchenkampf in Dahlem Vorschlag für eine Exkursion von Schulklassen in Berlin Julius v. Stein, 9. Klasse – 28.2.2017

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Martin Niemöller: Mut zum christlichen Widerstand -

Kirchenkampf in Dahlem Vorschlag für eine Exkursion

von Schulklassen in Berlin

Julius v. Stein, 9. Klasse – 28.2.2017

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„ Als die Nazis die Kommunisten holten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,

habe ich nicht protestiert,

ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Juden holten,

habe ich nicht protestiert,

ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten,

gab es keinen mehr,

der protestieren konnte.“

Das berühmte Zitat ...

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Von wem stammt dieses Zitat?

Von Martin Niemöller. Pfarrer in Dahlem von 1931 bis 1937

Warum hat man ihn GEHOLT? Und wer?

Er wurde von den Nazis verhaftet. Weil er nicht das gepredigt hat, was die wollten.

Sehr mutig von ihm. Ein echter Widerstandskämpfer?

Er selbst scheint ja zu glauben, nicht mutig genug gewesen zu sein. So

jedenfalls klingt dieses Zitat. Oder?

Das berühmte Zitat …

„ Als die Nazis die Kommunisten holten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Juden holten,

habe ich geschwiegen,

Ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten,

gab es keinen mehr,

der protestieren konnte.“ (Martin Niemöller, nach 1945)

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Schülerbefragung

Wenn Ihr noch nie etwas von Martin Niemöller gehört haben solltet, seid Ihr in Eurer Altersstufe möglicherweise in großer Gesellschaft: Auf die Frage, welchen Beruf Martin Niemöller ausgeübt hat, antworten die befragten Schülergruppen jeweils folgendes:

1 1

5

15

2 4 Dichter/Schriftsteller

Musiker/Komponist

Künstler/Schriftsteller

Politiker/Staatsmann

Theologe/Pfarrer

Sportler

9. Klasse , Gymnasiums Steglitz, Berlin

1 1

36

Konfirmanden, Berlin-Dahlem

Richtig ist natürlich die Antwort: Theologe/Pfarrer. Leider haben das – außerhalb der befragten Konfirmanden – nur wenige Schüler gewusst (s.o. Bild links). Ich finde es aber sehr wichtig, über die Taten und Beweggründe Martin Niemöllers informiert zu sein und über die Zeit, in welcher er sich in Dahlem als „rebellischer Pfarrer“ betätigte, offen zu diskutieren. Der hier beschriebene Rundgang ist für Mittelstufenklassen gedacht, die über einen Teilaspekt des kirchlichen Widerstands informiert und dabei zur Diskussion angeregt werden wollen. Auf diesem Wege soll ein Ausschnitt des Themas „Widerstand im Dritten Reich“ insoweit beleuchtet werden, wie sich dieser direkt vor unserer Haustür abspielte:

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Stationen

U-Bahnhof Dahlem-Dorf

Niemöller-Haus

Jesus-Christus-Kirche

Gemeindehaus Thielallee 1+3

Kreuzung Pacelliallee

St. Annen- Kirche

Kirchhof

Gedenkstätte Deutscher

Widerstand

Start

Mahnmal 1914-1918

Ziel

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Station 1: U-Bahn Dahlem-Dorf

Bau: 1910-1913

Ausgangspunkt des Rundgangs ist der Berliner U-Bahnhof Dahlem-Dorf (U3). Er wurde zwischen 1910 und 1913 erbaut und erhielt dabei – auf ausdrücklichen Wunsch von Kaiser Wilhelm II. – eine Fachwerkfassade sowie ein Reetdach („Strohdach“). Das passte zu dem damals rein landwirtschaftlich genutzten Dahlem – einem Dorf, das mit dieser Bahnlinie an die Stadt Berlin angeschlossen werden sollte. (Der U-Bahnhof wurde in Japan übrigens 1987 zum schönsten Bahnhof Europas gewählt.)

Europa wurde zu der Zeit regiert von den Enkeln Queen Victorias, nämlich Kaiser Wilhelm II., Zar Nikolaus II. und König Edward V. , die sich jedoch unter einander nicht sehr gut verstanden. Nur in der Öffentlichkeit zeigte man sich friedlich. Europa stand damals kurz vor dem 1. Weltkrieg. Das Deutsche Kaiserreich rüstet stark auf, so dass andere Staaten (Großbritannien, Frankreich und dem Zarenreich) Bündnisse untereinander schlossen, um sich vor Deutschland zu schützen. Zu derselben Zeit meldete sich in Lippstadt der Pfarrerssohn Martin Niemöller freiwillig zur kaiserlichen Marine.

2017

Den heutigen Fahrplan könnt Ihr über den folgenden Link abfragen: https://www.bvg.de/images/content/linienverlaeufe/LinienverlaufU3.pdf

Treffpunkt: U-Bahnhof Dahlem-Dorf (U3) • Den Ausgang zur Königin-Luise-Straße benutzen • Von hier aus links abbiegen in die Königin-Luise-Straße.

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Niemöller I: „Vom U-Boot zur Kanzel“

Martin Niemöller stammte aus einem Pastorenhaushalt in Westfalen und wurde dort in Lippstadt am 14. Januar 1892 als zweites von sechs Kindern geboren. Seine Kindheit im lutherisch geprägten Pfarrhaushalt seiner Eltern beeinflusste ihn nachhaltig. Er wurde christlich, kaisertreu, monarchistisch und deutschnational erzogen und wollte bereits ab dem Alter von 5 Jahren Marineoffizier werden. Sein Abitur legte er 1910 als Jahrgangsbester ab und meldete sich daraufhin freiwillig als Seekadett zur Marine, wo er später in die U-Boot-Waffe eintrat. Ein Vorgesetzter bescheinigte ihm, der „Respektloseste, aber auch der Beste“ zu sein. Im Jahre 1918 wurde er U-Boot-Kommandant und galt bei den Gegnern (Engländern) als „Schrecken von Malta“. Er verlegte im ersten Weltkrieg zahlreiche Minen und versenkte in U-Boot-Gefechten mehrere Dampfer. Er erhielt dafür Orden und Auszeichnungen („Eisernes Kreuz I. Klasse“).

Dem ersten Weltkrieg fielen in Dahlem 131 Bürger zum Opfer. Hieran erinnert das Mahnmal 1914-1918, das Ihr auf der Straßenmitte der Königin-Luise-Straße seht (Kreuzung zur Pacelliallee).

Die freiwillige Eintritt in die Marine (und später in den Kriegseinsatz im U-Boot) war aus meiner Sicht für einen damals 18-jährigen Pfarrerssohn nicht selbstverständlich. Es stellt sich die Frage, was die Beweggründe für diesen Schritt gewesen sein mögen:

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Was könnte im Jahr 1910 einen 18-jährigen Pfarrerssohn dazu gebracht haben, sich freiwillig zur Marine zu melden? Hat das etwas mit Religion zu tun? Oder mit dem Verhältnis zum Staat?

?

Diskussion I

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Diskussion I

Was könnte im Jahr 1910 einen 18-jährigen Pfarrerssohn dazu gebracht haben, sich freiwillig zur Marine zu melden? Hat das etwas mit Religion zu tun? Oder mit dem Verhältnis zum Staat?

?

Patriotismus?

Jugendliche Naivität?

Kaisertreue Erziehung?

Angst vor den Nachbarstaaten?

Gewollter „Kontrast“ zur religiösen Erziehung im

Pfarrhaus?

Diskussion I Diskussion I

Aus Glaubensgründen verpflichtet gefühlt?

.......................?

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Niemöller überlebte seinen Einsatz im U-Boot. Er lief sodann am 30.11.1918 mit seinem schwer beschädigten U-Boot unter bewusst gehisster, kaiserlicher Kriegsflagge (trotz Kriegsende und Waffenstillstandsvertrag!) in den Kieler Hafen ein, was wohl als eine Demonstration seiner Auflehnung gegen die aufkommende Republik gedeutet werden kann. Nach dem Kriegsende widersetzte sich Niemöller zudem im Jahr 1919 einem Befehl, deutsche U-Boote als Reparationsleistungen an Großbritannien herauszugeben (bzw. daran als U-Boot-Kapitän mitzuwirken). Dies führte zum Konflikt mit seinen Vorgesetzten in der Marine. Niemöller verließ daraufhin die Marine und strebte an, Landwirt zu werden. Da jedoch sein Vermögen nicht ausreichte, einen eigenen Hof zu erwerben, wandte er sich von der Landwirtschaft ab und studierte in Münster evangelische Theologie. Anschließend kam er (1931) als dritter Pfarrer in die stark wachsende Gemeinde Dahlem, damals noch ein dörflich geprägter Vorort von Berlin.

Nach 1918: Neue Pläne

Als Motivation für diesen Schritt gibt Niemöller selbst später in Interviews an, damals der Überzeugung gewesen zu sein, dass ein guter Christ auch ein guter Staatsbürger und Soldat sein müsse. Im Übrigen sei er aber im Alter von 18 Jahren auch aus Unreife und Unerfahrenheit zur Marine gegangen.

Es handelte sich also überwiegend wohl nicht um religiöse Motive, die ihn 1910 veranlassten, die aufkommende Marine zu unterstützen. Es ist aber auch nicht bekannt, dass seine Eltern versucht hätten, ihn aus religiösen Gründen vom Einsatz im Kriegsdienst abzuhalten. Aus meiner Sicht scheint also im Jahr 1910 kein Widerspruch empfunden worden zu sein zwischen religiöser/christlicher Grundhaltung und freiwilligem Einsatz im bewaffneten Kriegsdienst. Die „Kaisertreue“ war seinerzeit ein wichtiges Motiv, zudem scheint von der evangelischen Kirche damals noch keine Friedensbewegung ausgegangen zu sein.

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Ist es ein Widerspruch, dass Niemöller erst Soldat wird, ab 1918 aber lieber Bauer oder Pfarrer werden möchte? Was sagt das über seine Meinung zur politischen Situation nach 1918 aus? Sind hier religiöse Motive zu vermuten?

?

Diskussion II

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Letztlich war es wohl sein Wunsch, durch Vermittlung der christliche Botschaft und durch die Zugrundelegung kirchlicher Strukturen „dem deutschen Volk in seiner trostlosen völkischen Lage als Pfarrer doch besser dienen zu können als mit einem Leben als Bauer“. Ob und inwieweit ihm das gelungen ist, könnt Ihr am Ende dieses Rundgangs vielleicht selbst einschätzen und beurteilen.

Ist es ein Widerspruch, dass Niemöller erst Soldat wird, ab 1918 aber lieber Bauer oder Pfarrer werden möchte? Was sagt das über seine Meinung zur politischen Situation nach 1918 aus? Sind hier religiöse Motive zu vermuten?

?

Diskussion II

Weiterhin „Kaisertreue“?

Enttäuschung über verlorenen

Krieg?

„Friedlicher Beruf“ aus religiöser Grundhaltung?

Gegner der Weimarer Republik?

Diskussion II

Trauma/Schock nach U-Boot-Krieg?

Ablehnung der demokratischen

Staatsform?

Fußweg zum Niemöller-Haus (Pacelliallee 61, 14195 Berlin) • Das Martin-Niemöller-Haus findet Ihr, wenn Ihr auf der Königin-Luise-

Straße weitergeht (vorbei an der Domäne) und dann die Pacelliallee überquert.

.......................?

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Station 2: Martin-Niemöller-Haus

In Dahlem bezog Niemöller das Pfarrhaus in der Pacelliallee 61, das heute „Martin-Niemöller-Haus“ heißt. Er lebte und arbeitete hier von 1931 bis 1937 als Gemeindepfarrer, war verheiratet und hatte sieben Kinder, die in diesem Pfarrhaus aufwuchsen – ähnlich wie früher er selbst im Pfarrhaushalt seiner Eltern.

Arbeitszimmer 1934 und heute

Aus meiner Sicht ist das ein sehr spannendes Projekt, da in diesem Haus die damalige Geschichte der Gemeinde Dahlem und ihres „rebellischen“ Pfarrers im Kirchenkampf gut dargestellt werden kann. Denn nachdem Niemöller hier als Pfarrer ankam, spielte sich sein weiteres Leben keineswegs so unpolitisch ab, wie er sich das nach dem Ende seiner Offizierslaufbahn und als erklärter Gegner der Weimarer Republik vielleicht vorgestellt hatte:

Nachdem die Gemeinde dieses Gebäude in den vergangenen Jahrzehnten als Friedenszentrum für verschiedenste Projekte genutzt hatte (Dritte-Welt-Laden, Kinderhilfe Vietnam, KiTa, Amnesty International etc.), kam zuletzt immer stärker der Wunsch auf, das Wirken Martin Niemöllers in diesem Haus für nachfolgende Generationen deutlicher sichtbar werden zu lassen. Das denkmalgeschützte Haus wird daher jetzt für € 1,45 Mio. saniert und zu einem Erinnerungsort und Tagungszentrum umgebaut. Sobald die Bauarbeiten in diesem Haus beendet sein werden, kann die neue Ausstellung zum Thema „Erinnern-Lernen-Handeln“ dort besucht werden. http://www.projekt-niemoeller-haus-berlin.de/das-erinnerungsensemble/

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Niemöller II: Unpolitischer Gemeindepfarrer

Martin Niemöller war in Dahlem ab 1931 zunächst als „normaler“ Gemeindepfarrer tätig, wobei er sein Amt völlig unpolitisch auffasste und auch so ausübte. Politische Äußerungen oder Auseinandersetzungen mit staatlichen Stellen aus dieser Zeit sind nicht bekannt. Er war einer von drei Pfarrern, die die schnell wachsende Gemeinde Dahlems in zwei Kirchen betreuten (St. Annen-Kirche und Jesus-Christus-Kirche). Bei seinem Dasein als „unpolitischer Gemeindepfarrer“ blieb es aber nicht lange, was die nachfolgenden Seiten zeigen: Konfirmationen mit Pfarrer Niemöller

an der Dahlemer Jesus-Christus-Kirche wohl ca. 1933

Die Gemeinde Dahlem wuchs damals als Vorort Berlins sehr schnell, nachdem dort die vormals landwirtschaftlichen Flächen („Domäne“) bebaut werden durften. Da sich auf dem Gebiet der Domäne viele finanzstarke Bürger ansiedelten, konnte sich die Gemeinde aus eigener Kraft eine dritte Pfarrstelle leisten, die sie mit Niemöller 1931 besetzte.

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ab 1932: „Deutsche Christen“

Ab dem Jahr 1932 entstand – zum Erschrecken Niemöllers - innerhalb der evangelischen Kirche eine Gruppierung, die sich „Deutsche Christen“ nannte. Das waren von der NS-Ideologie geprägte Menschen, die auch in der Kirche das Gedankengut der Nationalsozialisten durchsetzen wollten. Sie verlangten „Rassenreinheit“ als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche und forderten außerdem, dass sich das Christentum „von den jüdischen Wurzeln lossagen“ solle. Die Deutschen Christen wollten insbesondere erreichen, dass • nur noch „Arier“ Mitglied der Kirche sein dürfen • das alte Testament aufgrund seines „jüdischen Ursprungs“ gestrichen und die Auslegung des

Evangeliums an die NS-Ideologie angepasst wird • das „Führerprinzip“ in der Kirche gilt (mit dem Nationalsozialisten Ludwig Müller als

„Reichsbischof“)

Martin Niemöller stellte sich entschieden gegen diese Bewegung. Zwar hatte auch er seit 1927 die NSDAP gewählt. Dennoch war er der Auffassung, dass die getaufte Juden innerhalb der Kirche geschützt werden müssten. Zudem lehnte er eine Vermischung der politischen Strukturen mit dem Glaubensbekenntnis strikt ab. Er berief sich gegenüber der staatlichen, ideologischen Einmischung stets auf die Autorität der Heiligen Schrift sowie der reformatorischen Bekenntnisse.

Massentrauung von „Deutschen Christen“ in NSDAP-Uniform

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1932: Kirchenwahlen

Die „Deutsche Evangelische Kirche (DEK)“ trat bei den Kirchenwahlen gegen die „Deutschen Christen“ an. Sie wollte z.B. die Abschaffung des Arierparagrafen in der evangelischen Kirche.

Die von der nationalsozialistischen Ideologie geprägten „Deutschen Christen“ strebten eine rein „arisch“ besetzte „Reichskirche“ an, die nationalsozialistischen Ziele verfolgen sollte.

Kirchenwahl

Innerhalb der evangelischen Kirche traten sodann bei den Kirchenwahlen ab 1932 die „Deutschen Christen“ (DC) gegen die übrigen Kirchenvertreter der evangelischen Kirche („Liste Evangelium und Kirche“) an. Dabei wurden die „Deutschen Christen“ durch Propaganda der NSDAP und sogar durch eine Rundfunkansprache Hitlers am Vorabend der Wahl unterstützt, da er mit Hilfe der DC die Gleichschaltung der Kirche vorantreiben wollte.

An diesem Punkt geriet praktisch jeder Pfarrer in Deutschland in die Situation, sich für eine dieser beiden Seiten entscheiden zu müssen: • Die NS-geprägten Mitglieder der Kirche riefen zur Unterstützung der „Deutschen Christen“ bei der Kirchenwahl auf. • Niemöller hingegen konnte einen Kompromiss mit den DC nicht finden und unterstützte sodann deutlich – auch in

seinen Predigten – die Seite der „Liste Evangelium und Kirche“. Hierdurch praktizierte er bereits offenen Widerstand gegen die Ideen der Nationalsozialisten.

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Station 3: Jesus-Christus-Kirche

Niemöllers Predigten hatten schnell einen stark oppositionellen Charakter und erreichten zunehmend mehr und mehr Bürger, die sonntags in die Kirche kamen. Immer mehr Menschen wollten zuhören, wie Niemöller gegen die „Deutschen Christen“ und die kirchlichen Pläne der NSDAP predigte. Regelmäßig setzte sich Niemöller in seinen Predigten für die Unabhängigkeit der Kirche vom (NS-)Staat und dessen Ideologie ein. Aufgrund der steigenden Zuhörerzahlen wich Niemöller daher sonntags in die neu errichtete Jesus-Christus-Kirche aus, wo stets mehr als 300 Menschen seinen Predigten folgen konnten. Die Gottesdienste war regelmäßig überfüllt. Die Kirche war später von 1933-1945 auch ein Versammlungsort der „Bekennenden Kirche“, da auch hierfür die St.-Annen-Kirche zeitweise zu klein war (dazu später mehr). Heute wird die Kirche aufgrund ihrer perfekten

Akustik auch gern als Tonstudio benutzt. Große Dirigenten wie Herbert von Karajan oder Daniel Barenboim und Stars wie Anne-Sophie Mutter und Luciano Pavarotti wussten den Klang der Kirche bereits zu schätzen. Ihr findet den Namen dieser Kirche auf zahllosen CD-Hüllen (Klassik-CDs). Hier dürfen aber auch Schulorchester spielen.

Hittorfstraße 23, Berlin

Fußweg zur Jesus-Christus-Kirche (Hittorfstr. 23): • Geht an der Kreuzung die Thielallee hinunter und biegt in die

Hittorfstraße ab. Die Kirche steht an der Ecke zum Faradayweg.

Niemöllers Auffassungen und seine überfüllten Gottesdienste mit deutlichen, mutigen Predigten blieben nicht ohne Wirkung auf die nachfolgenden Kirchenwahlen, was sich aus der nächsten Folie ergibt:

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1933: Kirchenwahl in Dahlem

Auch in Dahlem wurde 1932 und 1933 gewählt. Bei der Kirchenwahl am 23. Juli 1933 war die Beflaggung mit schwarz-weiß-roter Fahne und Hakenkreuz angeordnet. Die Gemeinde Dahlem widersetzte sich dieser Anordnung und hisste stattdessen nur die violett-weiße Kirchenfahne auf dem Dach der Jesus-Christus-Kirche als Zeichen der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und von den Ideen der „Deutschen Christen“.

Die Kirchengemeinde Dahlem war sodann eine der wenigen Gemeinden Deutschlands, in der die „Deutschen Christen“ nicht gewannen. Während in Deutschland die DC fast überall ca. 2/3 der Stimmen erhielten, lautete das Ergebnis in Dahlem wie folgt: • 1447 Stimmen für die Liste „Evangelium

und Kirche“ • 1046 Stimmen für die „DC“ Damit wurde der Bezirk Dahlem für die DC uninteressant und sie zogen sich dort aus vielen Ämtern zurück.

Stimmzettel der Gemeinde Dahlem von 1932

Niemöllers offener, theologisch begründeter Widerstand hatte somit erste Erfolge erzielt: Ein aufstrebender Vorort Berlins gehörte zu den wenigen Gemeinden

Deutschlands, die von den „DC“ nicht dominiert werden konnten Dies blieb von der NSDAP nicht unbemerkt, wurde aber zunächst noch als rein „innerkirchliche Auseinandersetzung“ angesehen. Man ließ diesen Streit zunächst weiterlaufen. Ich denke aber, dass Niemöller ab diesem Zeitpunkt sehr gefährlich lebte.

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1933: Der „Arier-Paragraf“

Ob jedoch dieser Paragraf auch auf kirchliche Beamte jüdischer Herkunft anwendbar sein sollte, war zunächst unklar. Auch Niemöller wusste das nicht, war aber strikt gegen diese Anwendung innerhalb der Kirche. Er war der Auffassung, dass ein Pfarrer allein der Theologie verpflichtet sein dürfe, so dass ein Eingreifen des Staates dessen kirchliche Tätigkeit nicht beschränken könne. Wer dem Ausschluss von Juden aus der evangelischen Kirche zustimme, schließe sich letztlich selbst von der christlichen Kirchengemeinschaft aus, so Niemöller.

§ 3: „Beamte, die nicht

arischer Abstammung

sind, sind in den Ruhestand zu

versetzen.“ Gesetz zur

Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,

7.4.1933

Nachdem sich aber die Deutschen Christen bei der Kirchenwahl insgesamt durchgesetzt hatten (Reichsbischof Ludwig Müller), wollten sie in der evangelischen Kirche den „Arierparagrafen“ anwenden. Dieser war am 7.4.1933 in Kraft getreten, um Juden aus dem Berufsbeamtentum zu drängen.

Niemöller trug diese Haltung auch öffentlich vor und verlangte, dass Pfarrer jüdischer Abstammung weiterhin Pfarrer bleiben dürften. Er geriet daher in einen Streit mit den „Deutschen Christen“ (DC), die als „Ableger“ der NSDAP diese Frage nicht theologisch, sondern nur mit rassistischer Ideologie diskutierten. Pfarrer der DC unterstützten sodann die Gestapo bei der Suche nach getauften Juden (!).

Offen ist für mich bisher, warum Niemöllers Kritik sich nur auf die getauften Juden bezog (und nur auf die Entfernung aus dem Beamtentum der Kirche). Bei dieser Gelegenheit hätte vielleicht auch die Frage auftreten können, ob geschlossener kirchlicher Widerstand gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung insgesamt möglich gewesen wäre. Das scheint aber nicht diskutiert worden zu sein.

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Pfarrernotbund in Dahlem

Am 11.9.1933 beschlossen einige Pfarrer, darunter auch Martin Niemöller, die vom „Arierparagrafen“ betroffenen Pfarrer wirtschaftlich und kirchenpolitisch zu unterstützen. Sie gründeten den „Pfarrernotbund“. Dies soll in der „Küchennische“ des Pfarrhauses geschehen sein, da sich in Niemöllers Arbeitszimmer eine Abhöranlage befand. Jedes Mitglied des Pfarrernotbundes unterzeichnete sodann diese Verpflichtungserklärung und zahlte einen monatlichen Betrag von 5,- RM an den Notbund. Von diesem Geld wurden dann betroffene Pfarrer und Kirchenangestellte unterstützt:

Niemöller und seine Helfer verschickten tausende Schreiben mit einer Aufforderung zum Beitritt an viele Pfarrer deutscher Gemeinden. Bis zum Januar 1934 traten daraufhin insgesamt 7036 Pfarrer dem Notbund bei. Es entstand also eine Massenbewegung innerhalb der evangelischen Kirche, an der sich etwa 2/3 (!) der evangelischen Pfarrer beteiligten. Dies war eine der wichtigsten kirchlichen Widerstandsbewegungen im Dritten Reich. Einige Pfarrer mussten später aber auf Weisung ihrer Bischöfe wieder austreten. (Demgegenüber standen nur ca. 2000 Pfarrer, die den „Deutschen Christen“ angehörten.)

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Die „Bekennende Kirche“

Aus dem Pfarrernotbund ging im Mai 1934 die Bekennende Kirche hervor. Sie war die Oppositionsbewegung der evangelischen Christen gegen die Versuche des nationalsozialistischen Regimes, durch die Deutschen Christen die Kirche im Dritten Reich gleichzuschalten. Sie verstand sich als die „einzige rechtmäßige evangelische Kirche im Deutschen Reich“. Dies tat sie, indem sie die Aussagen und Lehren der DC für theologisch falsch und nicht christlich erklärte. Bei den wöchentlichen, überfüllten Treffen der Bekennenden Kirche wurden die Mitglieder – und anschließend auch die Gemeindemitglieder – zunächst darüber informiert, was in der Regierung, in den Kirchenbehörden, in der NSDAP, in Gefängnissen und in Konzentrationslagern geschah. Unter Verlesung der Namen wurden Verfolgte und Verhaftete stets benannt. Inoffiziell bildete die BK dadurch die Opposition der DC bei jeglichen Wahlen, die die Kirche betrafen. Die BK war der Meinung, dass Jesus Christus der einzige Glaubensgrund der Kirche war und somit die Regierung keine Macht innerhalb der Kirche ausüben dürfe.

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Niemöller III: Pfarrer im Kirchenkampf

Martin Niemöller war zunächst Anhänger der Ideen Hitlers gewesen. Aufgrund der Auseinandersetzungen um den Arierparagrafen und um die Gleichschaltung der Kirche geriet er jedoch immer mehr in Konflikt mit den Vorstellungen der NSDAP. Seitens der DC war schon vor den Kirchenwahlen die Absetzung aller drei Dahlemer Pfarrer gefordert worden – nach ihrer Dahlemer Wahlniederlage bestanden die DC aber jedenfalls noch auf der Absetzung Niemöllers. Durch Niemöllers Gründung des Pfarrernotbundes erhielten seine Gegner auch einen konkreten Anlass, gegen ihn vorzugehen. Er wurde regelmäßig von der Gestapo überwacht, auch mittels einer Abhöranlage in seinem Arbeitszimmer. Im November 1933 erhielt Niemöller ein Amtsenthebungsschreiben („Redeverbot“), welches ihm „bis auf weiteres jede Amtsausübung und öffentliche Betätigung“ untersagte. Der Konflikt spitzte sich zu, als Niemöller im Januar 1934 bei einem Empfang einiger Kirchenführer in der Reichskanzlei auf Hitler traf. Nachdem Göring dort den Wortlaut eines abgehörten (!) Telefonats verlesen hatte, das Niemöller morgens im Pfarrhaus geführt hatte, kam es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen Niemöller und Hitler. Dabei versicherte Niemöller zwar Hitler zunächst noch, dass er „eigentlich auf seiner Seite“ stünde und sich „nur theologische Sorgen um das Dritte Reich“ mache. Ferner widersprach er jedoch deutlich den Ausführungen Hitlers und sprach ihm gegenüber jede Kritik aus, die er zu sagen hatte. Niemöller: "Herr Reichskanzler, Gott selbst hat uns die Verantwortung für unser Volk übertragen. Und keine Macht der Welt ist berechtigt, sie von uns zu nehmen." Hitler: "Die Sorge um das deutsche Volk überlassen Sie ruhig mir". Am Folgetag erschien die Gestapo bei Niemöller und durchsuchte das Pfarrhaus. Niemöller wurde sodann zu täglichen Verhören vorgeladen; ferner explodierte im Pfarrhaus am 10.2.1934 aus ungeklärten Gründen eine Bombe.

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Niemöller predigte trotz des Redeverbotes weiter und ignorierte das verhängte Verbot. Kurz darauf wurde er daher durch den Bischof am 19.2.1934 in den „Ruhestand“ versetzt, obwohl er erst 42 Jahre alt war. Die Gemeinde wollte sich mit dieser „Absetzung“ ihres Pfarrers nicht abfinden und zeigte nun ihrerseits Solidarität und Widerstand: • Die Gemeinde setzte sich für Niemöllers Verbleib als Pfarrer ein. Sie

unterzeichnete eine Entschließung vom 21. Februar 1934, in der sie erklärte, Niemöller als Pfarrer in der Gemeinde zu belassen und ihn sein Amt weiter ausführen zu lassen. Die Kirche gehöre der Gemeinde, nicht den Bischöfen, so die Entschließung.

24

„Pensionierung“ Niemöllers

„… Wir sind entschlossen, Pfarrer Niemöller auch weiterhin

als berufenen und verordneten Pfarrer des Wortes Gottes in

unserer Gemeinde anzusehen, ihn zu hören, wo immer wir

können, Ausübung kirchlicher Amtspflichten von ihm zu

erbitten und entgegenzunehmen, ihn nach unseren Kräften zu

ehren und zu schützen als geistlichen Führer in der

gerechten Sache des Evangliums.

Berlin-Dahlem, den 21. Februar 1934.“

• Neue Pfarrer, die die Kirchenführung nach Dahlem schickte, um Niemöller zu ersetzen, schickte man sofort wieder weg, da in Dahlem keine Pfarrstelle frei sei.

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Niemöller IV: Pfarrer trotz „Ruhestand“

Konfirmation im Jahre 1936

Niemöller ging anschließend seinen alltäglichen Aufgaben als Gemeindepfarrer trotz des „Ruhestands“ weiter nach: • Er hatte eigene Konfirmandengruppen. • Er hielt Trauungen, Taufen und Bestattungen in der Kirche ab. • Er hielt Gottesdienste und predigte ungehindert weiter. • Er übernahm auch weiterhin seelsorgerische Aufgaben. • Ferner leitete er den Pfarrernotbund und den Bruderrat der aus dem

Pfarrernotbund hervorgegangenen Bekennenden Kirche.

Hier zeigt sich also gemeinschaftlicher Widerstand des Pfarrers und seiner Gemeinde. Auch dies blieb jedoch nicht folgenlos, denn Niemöller wurde nunmehr als „Staatsfeind“ angesehen. In seinen überfüllten Gottesdiensten saßen oft auch Gestapomitglieder und nahmen die Predigten heimlich auf Tonbandgeräten auf. Gegen Niemöller wurden sodann mehr als 40 (!) Verfahren wegen „Kanzelmissbrauchs“ eingeleitet.

Der Gemeindekirchenrat musste sodann darüber entscheiden, ob an Niemöller weiterhin Gehalt gezahlt werden könne. Um sich in dieser Frage nicht angreifbar zu machen, ging der GKR dazu – in Absprache mit Niemöller – wie folgt vor: • Niemöller verklagte – wie zuvor mit dem GKR abgesprochen – den Gemeindekirchenrat vor dem Landgericht

Berlin auf Weiterzahlung seines Gehalts. Der GKR berief sich vor dem Landgericht auf die durch den Bischof verfügte Pensionierung Niemöllers.

• Das Landgericht stellte sodann im Rahmen des Urteils fest, dass die Voraussetzungen für den „Ruhestand“ bei Niemöller nicht vorgelegen hätten und daher das Anstellungsverhältnis durch den Bischof nicht wirksam beendet worden sei.

Auf diese Weise hatte der GKR ein rechtskräftiges Urteil erlangt, das ihn zur Weiterzahlung des Gehalts an Niemöller verpflichtete. Dies war auch das eigentliche Ziel dieses Rechtsstreits.

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Diskussion III

Wie beurteilt Ihr das Verhalten der Gemeinde und das Weiterpredigen Niemöllers? ? Diskussion II

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Diskussion III

Wie beurteilt Ihr das Verhalten der Gemeinde und das Weiterpredigen Niemöllers? ? Diskussion II

Sehr mutig von Niemöller

Mutig und treu von der Gemeinde

Ob sie das auch für einen jüdischen Pfarrer getan hätten?

Hat Niemöller die Gefahr der Verhaftung bewusst in Kauf

genommen? Oder sie unterschätzt?

Gut, dass das Landgericht Niemöller recht gab.

.......................?

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Reaktionen auf die Verhaftung

Es folgten Verhaftungen Niemöllers: • 1935 wurde Niemöller erstmals verhaftet, jedoch relativ schnell wieder entlassen. • Am 1. 7.1937 wurde Niemöller erneut verhaftet und in das Gefängnis Berlin-Moabit gebracht. Der Vorwurf

lautete:

§ …: „Herabwürdigung staatlicher Maßnahmen und führender NS-Politiker“ § …: „Anstiftung zum Verstoß gegen staatliche Gesetze“ § …: „Veröffentlichung von Schriften, die den inneren Frieden stören“

Die Gemeinde reagierte auf die Verhaftung sofort und deutlich: • Es wurden Unterschriftslisten in den Gottesdiensten herumgereicht. Darauf unterzeichneten mehr als

1000 Personen, dass Niemöller die Kanzel nie politisch missbraucht habe. Als die Gestapo das Pfarrhaus nach diesen Listen durchsuchte, um die darauf befindlichen Namen zu erfahren, wurden sie in einem Kinderwagen weggebracht und im Kirchturm der Jesus-Christus-Kirche versteckt.

• Am Sonntag, den 8. August 1937 sollte außerdem ein großer Fürbittengottesdienst in der Jesus-Christus-Kirche abgehalten werden. Dieser wurde staatlich verboten, so dass über 1000 Gottesdienstbesucher vor der Tür der Jesus-Christus-Kirche standen.

Das, was sodann vor der Jesus-Christus-Kirche geschah, schilderte damals die Ehefrau des Dahlemer Pfarrers Röhricht, die das Geschehen vom Fenster des Pfarrhauses in der Hittorfstraße (rechts neben der Jesus-Christus-Kirche) beobachtete. Ihr Bericht ist nachfolgend im Originalwortlaut abgedruckt:

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Antwort Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort der Menge: Und steure Deiner Feinde Mord, die Jesus Christus, Deinen Sohn, wollen stürzen von Deinem Thron.“

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„Es kamen immer mehr Menschen. Jede U-Bahn spie Hunderte aus und der Kirchplatz war bald gefüllt.

Gegen vier Uhr rückte plötzlich Polizei, nicht SA oder SS, an und forderte die Menschen auf, sich

zu zerstreuen. Große Versammlungen unter freiem Himmel wären nicht gestattet.

Der Offizier wartete eine Weile und forderte noch einmal das Auseinandergehen.

Antwort Und wenn die Welt voll Teufel wär der Menge: und wollt uns gar verschlingen, So fürchten wir uns nicht so sehr, Es soll uns doch gelingen.

Da sprangen all die Schupos von den zahlreichen leeren Wagen, mit denen sie gekommen waren, und

bugsierten einen nach dem anderen rauf auf die Wagen. Eine alte Dame schlug mit ihrem Schirm einen

der Tschakos (Helm runter). Der Rest der Menschen zog singend in die Hittorfstraße ab und soll in

Steglitz in eine Kirche gegangen sein. Ich hatte noch gehört, wie jemand gesagt hatte, wir ziehen

alle vor Niemöllers Haus. Und ich hatte sofort Frau Niemöller angerufen, sie möchte umgehend zu

den Schwestern im Gemeindehaus fliehen, was sie zum Glück auch tat. Die Polizei riegelte nun das

ganze Karree am Thielplatz und die Kirche ab. Da aber jede U-Bahn immer noch Hunderte von Menschen

brachte, dazu neugierige Spaziergänger, darunter Pastoren von auswärts waren, die ein Köfferchen

mit Talar mithatten und den anzogen, führten sie die Riesenmenge den Anger runter zum Pfarrhaus

Niemöller. Als sie an der Königin-Luise-Straße ankamen, standen noch mehr Polizeiautos da und

alle, die sich nicht schleunigst drückten, wurden abtransportiert…“

Geht bitte ebenfalls diesen Weg: • Geht entlang der Hittorfstraße zurück in Richtung Niemöller-Haus. • An der Kreuzung zur Pacelliallee bleibt bitte stehen, denn auf dieser Kreuzung

geschah das, was in dem nächsten Zeitzeugenbericht geschildert wird:

(Bericht von Frau Röhricht, Ehefrau des Dahlemer Pfarrers Röhricht)

(Kirchenlied von Martin Luther)

(Kirchenlied von Martin Luther)

8. August 1937 (Thielplatz)

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Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen. Der alt böse Feind mit Ernst er’s jetzt meint, groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist, auf Erd ist nicht seinsgleichen.

„So drängt der Zug weiter. Zwischendurch werden einzelne herausgegriffen und verhaftet. Es

geht weiter in Richtung St.-Annen-Kirche, um dort den Bittgottesdienst zu halten. Es

werden mehr und mehr Leute, jetzt sind es schon mehrere Hundert. Da fahren zwei

Polizeiautos an uns vorbei. Ein heftiges Winken beginnt. In jedem der Autos sitzen sechs

eben verhaftete Pastoren und fahren zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Alle sind im

Talar.

Endlich sind wir bei der St. Annen-Kirche. Sie ist von Polizisten versperrt, ebenfalls der

Friedhof und das Gemeindehaus. Da füllt sich die Straße und der Platz zwischen Kirche und

Gemeindehaus. Da stimmt einer an und Tausende von Bekennern singen das Lied:

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Station4: Kreuzung Pacelliallee

Die Polizei ist außer sich. Das Überfallkommando kommt und ein Haufen von Menschen, welche

sich gerade an der Kirchhofmauer befinden, werden umringt und sind sämtlichst verhaftet.

Als das Lied aus ist, stimmt E. mit einigen anderen, welche auf dem Platz stehen, „Erhalt

uns Herr bei Deinem Wort“ an. Er und die anderen werden als Verhaftete erklärt. Dennoch

wird das Lied bis zu Ende gesungen, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser gesprochen.

Nun kommen große Lastautos und alle Verhafteten werde zum Polizeirevier und dann zum

Alexanderplatz gebracht, wo sie verhört werden. … Ein Teil der Verhafteten ist bald wieder

entlassen worden. E. kam in der Nacht um ½ 2 nach Hause, und mehrere sind noch heute, am

10.8. gefangen.“

(Brief einer Jugendlichen an ihren Vater vom 10.8.1937)

Fußweg zur St-Annen-Kirche: • Bitte geht über die Kreuzung hinüber zur St. Annen-Kirche

(Kirchenlied von Martin Luther)

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Station 5: St. Annen-Kirche

Bereits am Tag nach der Verhaftung Niemöllers hatten sich viele Gemeindemitglieder in der St.-Annen-Kirche zu einem Fürbittengottesdienst versammelt (4. Juli 1937). Dies wurde nun zu einer festen, täglichen Tradition: An jeden Abend traf sich die Gemeinde um 18 Uhr in der St. Annen-Kirche, um einen Fürbittengottesdienst für alle Inhaftierten abzuhalten. Dabei wurden auch stets von der Kanzel herab die Namen aller verhafteten Pfarrer vorgelesen. Die Liste wuchs ständig weiter an. Später wurde das Vorlesen dieser Namenslisten verboten, was die Gestapo überwachte.

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Station 5: St. Annen-Kirche

Die St. Annen Kirche wurde zwischen 1215 und 1225 zunächst als Holzbau errichtet und um 1300 in Steinbauweise erneuert. Der spätgotische Choranbau mit großen Maßwerksfenstern folgte gegen 1490. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Kirche stark beschädigt und erhielt bei der Wiedereinweihung (1679) ein Bandrippengewölbe, eine Empore und eine Holzkanzel in bäuerlicher Spätrenaissance. Dies ist die Kanzel, von welcher ab dem 4.7.1937 an jedem Abend die Namen aller Verhafteten vorgelesen wurden. In diesen Kirchenbänken saßen währenddessen Mitglieder der Gemeinde und Angehörige der Verhafteten – dazwischen Gestapomitglieder mit Tonbandgeräten.

Ihr solltet die St. Annen-Kirche besichtigen. Sie ist zwar nicht ganztägig geöffnet, jedoch könnt Ihr die Öffnungszeiten unter http://www.kg-dahlem.de/index.php?id=45 abfragen oder einen Termin zur Öffnung vereinbaren unter (030) 831 38 13.

Hitler wollte durch die Verhaftung Niemöllers die Bekennende Kirche vor den Augen der in- und ausländischen Öffentlichkeit „kriminalisieren“: Deutlich werden sollte, dass die ganze Bewegung der BK als verbrecherisch einzustufen sei. Die Reaktionen der Gemeinde zeigen jedoch, dass Hitler genau das Gegenteil erreichte. Sowohl innerhalb der Gemeinde als auch darüber hinaus im In- und Ausland bemerkte und stärkte man die Haltung Niemöllers.

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Station 6: Gemeindehaus Dahlem

Gedenktafel für Martin Niemöller

Bereits seit dem 17.7.1933 hatte Niemöller an jedem zweiten Montagabend „offene Abende“ veranstaltet, in denen stets im ersten Teil Bibelunterricht stattfand und im zweiten Teil sodann über den aktuellen Stand des Kirchenkampfes berichtet wurde. Da auch hier die Zuhörerzahlen stetig wuchsen, fanden diese Abende bald nicht mehr im Pfarrhaus statt, sondern im Gemeindesaal im Gemeindehaus Thielallee 1.

Nach Niemöllers Verhaftung wurden diese Abende weitergeführt als „Geschlossene Versammlungen für Mitglieder der Bekenntnisgemeinde“. Dabei hatte man nur Zutritt, wenn man einen Mitgliedsausweis der BK vorlegen konnte (genannt „Rote Karte“). Ferner fand in diesen Räumen am 19. und 20. Oktober 1934 die „Dahlemer Bekenntnissynode“ statt, mit der sich die Bekennende Kirche endgültig gegen die Ideen der „Deutschen Christen“ stellte. Hieran erinnert eine Gedenktafel am Gemeindehaus.

Fußweg zum Gemeindehaus: • Bitte geht über die Straße zum gegenüberliegenden Gemeindehaus • Die Adresse lautet „Thielallee 1“

„Rote Karte“

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Niemöllers Prozess

Nachdem Niemöller schon 7 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, begann am 7. Februar 1938 der Prozess von dem „Sondergericht Berlin-Moabit“. Dabei wurde leider die Öffentlichkeit ausgeschlossen, so dass kaum Berichte zu finden sind. Niemöller wurde folgendes vorgeworfen: • „Kanzelmissbrauch“ (Pfarrer durften nicht zu politischen

Themen Stellung nehmen) • „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ (Niemöller hatte z.B.

die von NS-Staat gesteuerten Kirchenbehörden als „Firma Josef Goebbels“ bezeichnet)

• „Aufforderung zum Ungehorsam gegen staatliche Anordnungen“

Niemöller wurde von Mitgliedern der Bekennenden Kirche verteidigt, die dabei vor allem auf seinen ehrenvollen Einsatz im U-Boot-Krieg von 1914 bis 1918 hinwiesen. Niemöller selbst sagte, dass er deswegen nicht in die NSDAP eingetreten sei, weil er als Pfarrer unabhängig bleiben wollte. Er habe sie aber seit 1924 immer gewählt. Daraufhin wurde Niemöller am 2. März 1938 zu (nur) 7 Monaten Festungshaft und 2000 RM Geldstrafe verurteilt. Da er bereits 7 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, galt die Strafe damit bereit als abgesessen und Niemöller wurde vom Gericht daher freigelassen. Als er das Gerichtsgebäude in Berlin-Moabit verlassen wollte, wartete dort jedoch bereits die Gestapo und brachte den soeben freigelassenen (!) Niemöller auf Befehl Hitlers in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Propagandaminister Goebbels schrieb sodann in sein Tagebuch: „Wir haben jetzt das Schwein und lassen es nicht mehr los.“

Kriminalgericht Berlin-Moabit, Turmstraße

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Niemöller V: Inhaftiert

Im Konzentrationslager Sachsenhausen war er bis 1941 „persönlicher Gefangener Hitlers“. Dies bedeutete für ihn Isolationshaft und spezielle Haftbedingungen. Er sollte sodann eigentlich hingerichtet werden. Dies wurde allein dadurch verhindert, dass ein britischer Lordbischof die ausländische Presse auf den Fall aufmerksam machte. Niemöller galt im Ausland schon damals als Symbol des Widerstands gegen Hitler. 1941 erfolgte Niemöllers Verlegung in das Konzentrationslager Dachau, wo er auch auf Georg Elser, den Hitler-Attentäter von München traf.

Gedenktafel im KZ Sachsenhausen (Zelle 1) zur Erinnerung an Niemöllers dortige Haft

Sein entschiedener, kirchlicher Widerstand gegen die Bewegung der DC sowie seine dem Redeverbot zuwider gehaltenen Predigten und sein Engagement im Pfarrernotbund und der Bekennenden Kirche haben also ab 1937 zum einen dazu geführt, dass Niemöller aufgrund der Inhaftierung keinen weiteren, aktiven Widerstand mehr leisten konnte. Des weiteren hatte er bereits in diesem Zeitpunkt Stellen im Ausland gezeigt, dass in Deutschland aus dem ungebrochenen Willen eines Pfarrers heraus kirchlicher Widerstand geleistet wurde.

Kurz vor dem Kriegsende wurde er von SS-Soldaten zusammen mit einigen anderen, persönlichen Gefangenen Hitlers in die italienischen Alpen verschleppt, um dort hingerichtet zu werden. Die Wehrmacht befreite ihn jedoch noch rechtzeitig aus den Händen der SS. Kurz darauf fiel Niemöller dann in die Hände der Amerikaner. Als er dort einen Hungerstreik begann, wurde er endlich freigelassen.

Fußweg zum Kirchhof: • Jetzt bitte zurück zur St-Annen-Kirche gehen. • Um die Kirche herum findet Ihr den Kirchhof (Friedhof)

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Station 7: Kirchhof St. Annen

Direkt neben der Kirche liegt der kleine Kirchhof St. Annen, wo viele Mitglieder der Bekennenden Kirche bestattet sind. Ihr findet auf dem denkmalgeschützten Gelände z. B. Grabsteine für Bartning, von der Gablentz, Gollwitzer und von Haeften, aber auch für mehrere Schauspieler und für Rudi Dutschke.

Ferner gibt es hier auf dem Kirchhof ein Mahnmal für die rassistisch Verfolgten des Dritten Reichs. Es hat eine dreieckige Form mit durchgestanzten Buchstaben. Man kann die Schrift daher nur lesen, wenn man durch die ausgestanzten Buchstaben in den Himmel schaut. (Die dreieckige Form soll dabei an die Kennzeichnung der Häftlinge im KZ erinnern.)

Martin Niemöller wurde hier übrigens nicht begraben (sondern in Wiesbaden). Auf seiner Grabplatte stehen die Worte „Herr, was willst Du, das ich tun soll?“. Er war bis zu seinem Tod im Jahr 1984 einer der bekanntesten Vertreter der Friedensbewegung in Deutschland, durchlief also in seinem Leben u.a. die Stationen

Pfarrerssohn U-Boot-Kommandant Pfarrer Widerstandskämpfer KZ-Häftling Friedensaktivist / Pazifist.

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Interview / Pfarrer

Herr Dekara, was wissen heutzutage Konfirmanden in Ihrer Gemeinde über Martin Niemöller? „Am ersten Tag des Konfirmandenunterrichts führen wir alle neuen Konfirmanden einmal zum Martin-

Niemöller-Haus und stellen Niemöllers Person und seine Geschichte dort vor. Danach wissen eigentlich alle, wer Niemöller war. Detailwissen ist jedoch eher weniger vorhanden.“

Nachfolgend findet Ihr – auszugsweise – ein paar Fragen und Antworten aus meinem ca. 1-stündigen Interview mit dem aktuellen Pfarrer der Gemeinde Dahlem, Herrn Oliver Dekara:

Wie kam es dazu, das Niemöller-Haus jetzt für eine Ausstellung zu sanieren und umzubauen? „Neben der Erhaltung der Bausubstanz nutzen wir die Sanierung, um unser Konzept zu überarbeiten. Nachdem

die Zeitzeugen fast alle gestorben sind, bekommen die Gebäude und Orte eine ungleich größere Bedeutung für das Lernen in und von der Geschichte. So wird jetzt neben der Versöhnungsarbeit der Erinnerungsort stärker betont und wir können die alte Ausstellung zur BK in Dahlem aktuell umgestalten.“

Was bedeutet diese Historie der Gemeinde für Sie als Pfarrer heute? „Es ist sehr interessant, die Erinnerung an Niemöller wach zu halten, wer er war, diese Persönlichkeit mit seiner

Wehrhaftigkeit und Stärke. Es ist sehr anregend, in einer Gemeinde zu leben und zu arbeiten, die in solcher Tradition der Widerständigkeit lebt und daran festhält.“

„Das Beste, was wir tun können, ist, dieses Haus wieder zu eröffnen und in ihm die Möglichkeiten zu geben, dass Gruppen dort politisch inhaltlich arbeiten können. Und dass es die Möglichkeit für Leute gibt, hierher zu kommen und zu sagen „Ich möchte hier etwas machen, gebt mir den Raum und Platz dafür!“, sodass das Haus immer offen bleibt für die jeweils aktuellen Themen. Das ist es, was die Gemeinde in Zukunft beibehalten möchte. Denn Niemöller steht für Veränderungen.“

„Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind die drei großen Themen, die das Christentum heute bewegen. Fast alle aktuellen Probleme lassen sich letztlich unter diesen Stichworten diskutieren. Genau das hätte Niemöller von uns erwartet und es selbst gemacht, wenn er noch leben würde. Also werden wir noch heute vom Denken Niemöllers geprägt.“

Was hättet Ihr den aktuellen Pfarrer der Gemeinde Dahlem in einem

Interview gefragt?

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Station 8: Gedenkstätte Dt. Widerstand

Vieles von dem, was sich in Dahlem damals abgespielt hat, werdet Ihr in einem Museum im Bendlerblock wiederfinden. Es heißt „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ und liegt in der Stauffenbergstraße 13-14. In Raum 5 gibt es einen Bereich, in dem es nur um dieses Thema geht („Widerstand aus christlichem Glauben“). Leiht Euch einen kostenlosen Audioguide aus. Dort gibt es auch einige Flugblätter der Bekennenden Kirche zu sehen, Propagandamaterial der Deutschen Christen, Schreiben des Pfarrernotbundes und vieles mehr., z.T. im Original.

Ihr werdet dort feststellen, dass am christlicher Widerstand zahlreiche Persönlichkeiten beteiligt waren. Viele davon sind an dieser Wand abgebildet:

Auch über andere Formen des Widerstands kann man sich dort informieren – z.B. über das Stauffenberg-Attentat vom 20.7.1944, den Kreisauer Kreis, die weiße Rose, über Georg Elsers Attentat in München, Widerstand von Studenten, Künstlern u.v.m.

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Diskussion IV

Wie beurteilt Ihr die Taten Niemöllers? Würdet Ihr ihn als Widerstandskämpfer bezeichnen? Hätte er (oder die Kirche) noch mehr tun können/sollen? Wenn ja: was?

?

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.......................!

.......................?

.......................!

.......................?

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Mein Fazit

Gut, dass Martin Niemöller nach dem ersten Weltkrieg nicht Landwirt, sondern Pfarrer geworden

ist! In dieser Funktion hat er vielen Menschen einen großen Dienst erwiesen:

den Personen, die vom Pfarrernotbund unterstützt wurden,

seinen damaligen Gemeindemitgliedern, die über ihn als Pfarrer nicht nur Informationen erhielten, sondern auch die Gelegenheit und den Mut, sich in Wahlen und Gottesdiensten zum Protest zusammenzufinden,

nachfolgenden Generationen, die sich vielleicht in ähnlichen (oder ganz anderen) Situationen

daran erinnern können. Aus meiner Sicht gibt es daher viele Gründe, diesen Teil des Kirchenkampfes – speziell der

Gemeinde Dahlem und ihres rebellischen Pfarrers – nicht nur zu kennen, sondern auch weiterzuerzählen. Dass im Anschluss daran auch über die Grenzen des christlichen Widerstandes und über die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus gesprochen wird, ist aus meiner Sicht aber ebenso wichtig.

Berlin, den 28. Feb. 2017 Julius v. Stein

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Quellen

Textquellen: • „Es wird gebeten, die Gottesdienste zu überwachen“, Hans-Rainer Sandvoß • „Unterwegs zur mündigen Gemeinde: Die evangelische Kirche im Nationalsozialismus am Beispiel der Gemeinde Dahlem.“, herausgegeben von

Gerti Graff, Hertha von Klewitz, Hille Richers u.a. • www.wikipedia.de („Martin Niemöller“, „Pfarrernotbund“, „Arierparagraf“, „Bekennende Kirche“, „Deutsche Christen“, „Dorfkirche Dahlem“, „

St.-Annen-Kirchhof“, „Jesus-Christus-Kirche“, „U-Bahnhof Dahlem-Dorf“) • www.gdw-berlin.de • Gemeindeblatt KG-Dahlem 1/2016 • www.evangelischer-widerstand.de • „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ (Heft 330 der „Informationen zur politischen Bildung, hrsg. von Bundeszentrale für politische

Aufklärung, 2/2016) • www.dhm.de/lemo • www.bpb.de • www.wasistwas.de • www.dw.com/de/bildergeschichten-freiheit/a-17548918 • „Der Prozess gegen Martin Niemöller vor 70 Jahren“ (Prolingheuer, Hans) Zeitzeugenberichte • „Unterwegs zur mündigen Gemeinde: Die evangelische Kirche im Nationalsozialismus am Beispiel der Gemeinde Dahlem.“, herausgegeben von

Gerti Graff, Hertha von Klewitz, Hille Richers u.a. (Folien 29 und 30) Audios/Video: • www.youtube.com/watch?v=L5U5Gsl2YFI (Audio Folie 3) • www.youtube.com/watch?v=z_1mGdHVBNg S.29 2. (Folie 29, 2. Audio, Folie 30) • www.youtube.com/watch?v=8mQ7lHOwVoA S.29 1. (Folie 29, 1. Audio) • VHS-Video „Rebell wider Willen“ – das Jahrhundert des Martin Niemöller“, Film von Hannes Harnick und Wolfgang Richter, 1982 Bildnachweise: • „Baudenkmäler in Berlin-Dahlem“, (historischer Stadtplan auf Deckblatt) • Standbild aus Dokumentarfilm „Rebell wider Willen“ (Konfirmationsfotos auf Folien 15 und 25) • Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Folie 24 oben rechts, Folie 31 unten links, Folie 38 oben rechts)

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Quellen - 2

Bildnachweise: • www.wikipedia.de – „Martin Niemöller“ (Folie 35) • www.wikipedia.de – „Bekennende Kirche“ (Folie 33 alle) • www.wikipedia.de – „Deutsche Christen“: (Folie 16 oben rechts, Folie 17 links) • www.wikipedia.de – „Dorfkirche Dahlem“ (Folie 32) • www.wikipedia.de – „St.-Annen-Kirchhof“: (Folie 36 beide Bilder, Folie 31 unten rechts) • www.wikipedia.de – „Berlin-Dahlem“ (Folie7 unten links) • www.planetminecraft.com/skin/kaiser-wilhelm-ii/ (Folie 7 Portrait) • www.biogra.0catch.com/niemoeller.htm (Folie 8 Portrait) • www2.unterseeboote.com/uboote/u-boot-typ1.php (Folie 8 oben rechts) • www.denkfried.de/wp/?page_id=13235 (Folie 8 unten links) • www.kg-dahlem.de/index.php?id=46 (Folie 14 oben rechts) • www.niemoeller-haus-ausstellung.de/tafel_niemoeller.html (Folie 14 oben links) • www.niemoeller-haus-ausstellung.de/tafel1.html (Folie 14 unten links) • www.schule-bw.de/unterricht/faecher/geschichte/unterricht/unterrichtsekII/weimarns/ns/erinnerung (Folie 16 unten links) • www.anni-von-gottberg.de/bekennende-kirche/ (Folie 17 Mitte) • www.wikipedia.org/wiki/Kirchenfahne_der_Evangelischen_Kirche_in_Deutschland (Folie 17 rechts) • www.fahnen-koessinger.de/fahnen-und-maste/kirchenfahne.htm (Folie 19) • www.niemoeller-haus-ausstellung.de/tafel4.html (Folie 19 links) • www.niemoeller-haus-ausstellung.de/tafel3.html (Folie 19 rechts) • www.niemoeller-haus-ausstellung.de/tafel2.html (Folie 18 oben rechts) • www.51terakoya.blogspot.de/2013/12/on-surround-recording-of-orchestra-at.html (Folie 18 unten rechts) • www.niemoeller-haus-ausstellung.de/tafel8_info.html (Folie 21 oben links) • www.evangelischer-widerstand.de/html/view.php?type=dokument&id=48 (Folie 21 unten rechts) • www.gutefrage.net/frage/symbol-bekennende-kirche-oder-pfarrernotbund (Folie 22) • www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/de/denkmaldatenbank (Folie 31 oben links) • www.Noz.de Portrait Deckblatt • www.antik-falkensee.de/catalog/advanced_search_result.php?keywords=moabit+kriminalgericht+1960&search_in_description=1&x=0&y=0 (Folie 34) • Eigene Fotos (Folie 38, links unten)