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Flüchtling Deutschsprachige Erstaufführung Ein Projekt des TheaterJugendOrchesters (TJO) Oper für Kinder, Jugendliche und Erwachsene von 9 bis 99 von Lucio Gregoretti (Musik) und Daniel Goldenberg (Libretto) Deutsche Übersetzung von Francesco Peri Dialogfassung für die Neuinszenierung: Jakob Matthias Seidl Eine Kooperation mit der Westfälischen Schule für Musik ab 9 Jahren / ab 4. Klasse Materialmappe 2012/13

(Materialmappe Flüchtling Final) - Theater Münster...2013/14 wird mit FOOTLOOSE erstmalig ein Musical auf die Bühne gebracht. Die of-fenen Castings dafür beginnen bereits im September

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  • Flüchtling

    Deutschsprachige Erstaufführung Ein Projekt des TheaterJugendOrchesters (TJO)

    Oper für Kinder, Jugendliche und Erwachsene von 9 bis 99 von Lucio Gregoretti (Musik) und Daniel Goldenberg (Libretto)

    Deutsche Übersetzung von Francesco Peri Dialogfassung für die Neuinszenierung: Jakob Matthias Seidl Eine Kooperation mit der Westfälischen Schule für Musik

    ab 9 Jahren / ab 4. Klasse

    Materialmappe 2012/13

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    1. Einleitung Seit dem Jahr 2000 wird am Theater Münster einmal im Jahr eine Musiktheaterpro-

    duktion mit jungen Laien umgesetzt. Zu der Zeit war das TheaterJugendOrchester

    (TJO) bundesweit das erste seiner Art – seitdem hat das Prinzip Eingang in Vermitt-

    lungsprojekte vieler öffentlicher Theater gefunden.

    Im Orchester spielen bei der diesjährigen Produktion FLÜCHTLING 50 Kinder, Jugend-

    liche und junge Erwachsene ein Instrument, auf der Bühne stehen 25 Kinder und Ju-

    gendliche und singen im Chor oder als Solistin mit, einige von ihnen haben dazu

    noch Sprechrollen. Ebenso sind zwei Ensemblemitglieder und ein Chorsänger vom

    Musiktheater beteiligt und am Dirigentenpult ist der zweite Kapellmeister zu finden.

    Seit einigen Jahren ist die Zielgruppe der TJO-Inszenierungen nicht mehr ein erwach-

    senes Publikum, sondern die Projekte werden für jüngere Zuhörer entwickelt. So

    empfehlen wir FLÜCHTLING in diesem Jahr für alle ab 9 Jahren.

    Vielleicht haben Sie Lust, sich mit Ihren Dritt- oder Viertklässlern oder auch mit der

    Unterstufe Ihrer weiterführenden Schule eine unserer Vorstellungen anzuschauen?

    Die musikalischen Themen der Figuren oder Handlungsstränge sind für ein junges

    Publikum leicht rauszuhören, die Thematik ist nicht geschönt und dennoch für Kin-

    der nicht zu hart und die Problemlösungen im Stück sind aufgrund von Vorschlägen,

    der bei der Uraufführungen beteiligten Kinder entstanden.

    Wie immer versuchen wir, mit dieser kleinen Materialsammlung, Ihnen Ideen für die

    Vor- und Nachbereitung eines Vorstellungsbesuchs bei uns zu geben. Nutzen Sie Tei-

    le, ändern Sie nach Belieben oder arbeiten Sie alles Material mit Ihren Schülerinnen

    und Schülern durch – wenn es das Interesse und Verständnis für die Kunstform The-

    ater steigert, dann ist es richtig.

    Mit schönen Grüßen aus Ihrem Theater,

    POST: Junges Theater Münster

    Neubrückenstraße 63

    48143 Münster

    EMAIL: [email protected]

    TELEFON: 0251-5909211

    BESUCHE: Junges Theater Münster

    Am Bült 2 / 1. OG

    48143 Münster

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    2. Flüchtling Junges Theater Münster Premiere: 13. April 2013, 18 Uhr, im Kleinen Haus Musikalische Leitung Thorsten Schmid-Kapfenburg Inszenierung Jakob Matthias Seidl Bühnenbild & Kostüme Kerstin Bayer Leitung & Einstudierung des Kinderchores & der Kindersolisten Rita Stork-Herbst Dramaturgie Anne Verena Freybott / Jens Ponath Szenenfotos Jochen Quast

    Juliette Larissa Neudert Maxime Christian-Kai Sander Direktor/Beamter Juan-Fernando Gutiérrez Noémie Vanessa David/Johanne Pfeiffer Djamila Marie-Luise Reuther/Naomi Schicht Camille Greta Marie Hamidi/Lousia Roddey Hannah Vera Lorenz Sebastian Til Ormeloh Referendarin Lucia Regenbrecht

    Polizisten Regine Schneider, Momo Fernholz, Meike Grüter Dirndl-Mädchen Merit Dirkman , Juliane Joch, Hannah Köchling, Raja Lücke Juliette als junge Frau Annette Walbaum

    Chor: Schülerinnen und Schüler der Westfälischen Schule für Musik Linda Babel, Lina Bahne, Lea Bartels, Vanessa David, Merit Dirkman, Sarah Dittmar, Momo Fern-

    holz, Meike Grüter, Greta Marie Hamidi, Inga Hopp, Camilla Karnau, Juliane Joch,

    Hannah Köchling, Vera Lorenz, Raja Lücke, Til Ormeloh, Johanne Pfeiffer, Lucia Re-

    genbrecht, Marie-Luise Reuther, Marie-Livia Ring, Louisa Roddey, Naomi Schicht, An-

    tonia Schumacher, Charlotte, Schumacher, Mia Willenborg

    VIOLINE I: Johanna Bülter, Isabel Humm, Franziska Brinkmann, Eva Potthoff, Katha-rina Bautz, Philipp Fürst, Sophia Rentsch VIOLINE II: Laureen Chajka, Charlotte von Schmeling, Katharina Isaak, Leona Wahnschaffe, Inga Beccard, Timo Veenhuijzen,

    Friederike Rosenbaum VIOLA: Demian Agne, Emilja Welker, Katrin Bölling, Luisa Fi-scher VIOLONCELLO: Clara Löns, Sebastian Pietsch, Elke Dörr, Maike Meßmann, Xanthe Veenhuijzen, Maximilian Brinkmann KONTRABASS: Daniel Gruber, Katharina Borlinghaus FLÖTE / PICCOLOFLÖTE: Anna Sennekamp, Janina Klasen, Lea Höing OBOE: Franziska Franke, Sonja Tummel, Kilian Debus KLARINETTE: Ronja Tenhaven,

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    Keno Hellwig, Jonas Bünning SAXOPHON: Milena Hölscher, Helen Bönninghausen, FAGOTT: Malte Busch, Helen Marie Schulze, Patrick Becker; TROMPETE: Jonathan Debus, Laurenz Weining, Tim Löhrs, Philipp Seidel POSAUNE: Nora Terhaar, Jost Weining, Enno Schieferecke SCHLAGZEUG: Felix Feßke, Paul Potthoff KLAVIER: Jan Niklas Niehaus

    Aufführungsdauer: ca. 85 Minuten

    Aufführungsrechte: Alkor Verlag, Kassel Gefördert durch das

    Das Stück

    Juliette hat als Kind viel von Deutschland gehört. Dem Land, in dem die Menschen so

    viel haben, dass sie mit jedem teilen und jeden dazu einladen, zu bleiben. Juliette ist

    nun schon länger in Deutschland, aber von einem herzlichen Willkommen hat sie

    nichts zu spüren gekriegt. Als politischer Flüchtling ins Land gekommen, ist sie ledig-

    lich geduldet. Eines Tages erzählt ihr ihre Tochter Noémie von dem syrischen Flücht-

    lingsmädchen Djamila, das Noémies Freunde versteckt haben, um ihre sofortige Ab-

    schiebung zu verhindern…

    Das Stück entstand 2009 in Frankreich nach konkreten Erfahrungen im Umgang mit

    Flüchtlingen und Asylsuchenden. Lucio Gregoretti, der Komponist, und Daniel Gol-

    denberg, der Librettist, entwickelten es im Spiel mit Kindern. Die Uraufführung fand

    am Teatro dell’Opera di Roma statt. Für die deutschsprachige Erstaufführung wurde

    die spezifische französische Problematik im Stück der deutschen Realität angepasst.

    Der Komponist

    Lucio Gregoretti wurde 1961 in Rom geboren. Er studierte am Konservatorium S. Ce-

    cilia bei Mauro Bortolotti. Außerdem besuchte er Kurse und Seminare bei Sylvano

    Bussotti und Ennio Morricone. Sein Werk umfasst Opern und symphonische Musik

    ebenso wie Kammer- und Filmmusik. Er hat Aufenthaltsstipendien von verschiede-

    nen Institutionen erhalten, darunter z.B. das Instituto Sacatar (2006), The MacDowell

    Colony (2005 + 06), Künstlerhäuser Worpswede (2005), Stiftung Künstlerdorf Schöp-

    pingen (2002–2003). Seit 1983 hat er für verschiedene Filme den Soundtrack kom-

    poniert, u.a. für Filme von Henryk Baranowski, John Crowther, Marco Mattolini, Gigi

    Proietti, Claudio Remondi, Riccardo Caporossi und Lina Wertmüller. Lucio Gregoretti

    lebt in Rom und in Berlin.

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    “Flüchtling” entstand in Frankreich, nach konkreten Erfahrungen im Umgang mit

    Flüchtlingen und Asylsuchenden. Lucio Gregoretti und der Librettist Daniel Golden-

    berg entwickelten es im Spiel mit Kindern. Die Uraufführung fand 2009 am Teatro

    dell`Opera di Roma statt.

    Der Librettist

    Daniel Goldenberg wurde 1931 in Paris geboren. Er ist Schriftsteller und Drehbuchau-

    tor und begann seine Karriere als Schauspieler, ausgebildet am Centre d’Art Drama-

    tique Paris. Zu seinem vielfältigen Werk zählen die Romane LE TRIPORTEUR DE

    BELLEVILLE (1986) und LE GRAND ROLE (1999; verfilmt 2004), LE JUIF DE LA

    RÉVOLUTION (2009), JOHN LEMSKY (2002). Für Filmproduktionen adaptierte er Ro-

    mane, u. a. von Gisèle Prassinos, LE RETOUR, über die Heimkehr eines Soldaten aus

    dem Algerienkrieg (1959). Daniel Goldenberg arbeitete auch als Filmregisseur, u. a.

    bei dem Spielfilm LE PORTRAIT DE MARIANNE (1970). Das Drehbuch dazu schrieb er

    gemeinsam mit Edgar de Bresson. Im September 2013 erscheint bei „éditions Eolien-

    nes“ sein neuer Roman LE TOBOGGAN.

    Der Regisseur

    Jakob Matthias Seidl studierte in München Theaterwissenschaft, Pädagogik und Psy-

    chologie. Parallel führten ihn zahlreiche Hospitanzen und Assistenzen u.a. an das

    Theater Regensburg, das Staatstheater am Gärtnerplatz und die Bayerische Staats-

    oper. Daneben erarbeitete Jakob Seidl zahlreiche eigene Inszenierungen mit Kinder-

    und Jugendchören in Amberg, Memmingen und Regensburg. Seit 2012 ist er als Re-

    gieassistent und Abendspielleiter am Theater Münster tätig. In der Spielzeit 2013/14

    inszeniert er gemeinsam mit Anne Verena Freybott das Musical FOOTLOOSE als

    nächstes TJO-Projekt.

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    3. Eine Email des Librettisten Daniel Goldenberg

    Little word from the writer…

    To write an opera against racism helps a great deal to have been a jewish boy during

    the war and to have lived unspeakable hard times. Fortunately, there were courage-

    ous people to save the persecuted. My family has been saved. Not entirely.

    It helps also to remember what Brecht wrote at the end of Arturo Ui « the womb

    of the beast is still fertile » . Everyone should fight for justice with his owns means.

    Mine is a pen, yours music, theater, what not…

    So I have choosen to write and tell but I have always thought that the best way is by

    the means of humour which is a great part of my culture. With humour you can

    almost say everything. Remember the dialogue in Lubitsch « To be or to be » when

    the SS says about the actor playing Hamlet » He’s doing to Shakespeare what we’ve

    done to Poland. »

    When people laughs they are not far away of crying next… The young singers of our

    opera have understood this right away.

    Vive l’Opera ! Vive Münster !

    Daniel Goldenberg, Paris, 10. April 2013

    Ein paar Worte vom Schreiber ...

    Um eine Oper gegen Rassismus zu schreiben ist es sehr hilfreich, im zweiten Welt-

    krieg als jüdischer Junge unbeschreiblich harte Zeiten überlebt zu haben. Zum Glück

    gab es mutige Menschen, die Verfolgte retteten – so wurde auch meine Familie ge-

    rettet. Allerdings nicht komplett.

    Es ist auch hilfreich, sich daran zu erinnern, was Brecht am Ende von ARTURO UI

    schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Ein jeder sollte mit den

    eigenen Mitteln für Gerechtigkeit kämpfen. Meins ist der Bleistift, eures die Musik,

    das Theater, und alles andere …

    Ich habe mich entschlossen, zu schreiben und zu erzählen und zwar am besten mit

    Humor, der auch ein wichtiger Bestandteil meiner Kultur ist. Mit Humor kann man

    fast alles sagen. Erinnert euch an den Dialog in Lubitschs SEIN ODER NICHT SEIN,

    wenn die SS über einen Hamlet spielenden Schauspieler sagt: „Er macht das mit

    Shakespeare, was wir mit Polen gemacht haben.“

    Wenn Menschen lachen sind sie nicht weit entfernt davon, als nächstes zu weinen…

    Die jungen Sängerinnen und Sänger unserer Oper haben das sofort verstanden.

    Es lebe die Oper! Es lebe Münster!

    Übersetzung: Anne Verena Freybott

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    4. Das TheaterJugendOrchester (TJO)

    Seit dem Jahr 2000 bietet das TheaterJugendOrchester (TJO) jungen Musikerinnen

    und Musikern die Chance, unter professionellen Bedingungen an der Erarbeitung ei-

    ner Musiktheaterproduktion am Theater Münster teilzunehmen. Unter der Leitung

    von Dirk Kaftan entstand das Konzept, das jungen Musikerinnen und Musikern realis-

    tischen Einblick in den Alltag eines Profimusikers vermittelt. Das TJO in Münster war

    das bundesweit erste und ist seither mehrfach kopiert worden, z.B. von Theatern in

    Kassel und Gelsenkirchen. Die bisherigen Produktionen waren Operetten, Kinder-

    opern und Einakter-Opern.

    2013/14 wird mit FOOTLOOSE erstmalig ein Musical auf die Bühne gebracht. Die of-

    fenen Castings dafür beginnen bereits im September 2013!

    5. Diskussionsvorschläge 1. Macht euch Gedanken über die Problematik „Abschiebung“. Bezieht Stellung dazu,

    dass seit Jahren in Deutschland lebende Menschen einfach wieder in ihr Heimatland

    abgeschoben werden können, obwohl sie zum Teil sogar hier geboren wurden. Disku-

    tiert in der Klasse.

    2. Diskutiert, ob im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse, zum Beispiel die Leh-

    rerausbildung, in einem anderen Land, in das man auswandert anerkannt werden

    sollten, oder nicht.

    3. Als Einwanderer genießt man zwar das Recht in einem anderen Land zu leben,

    doch steht Familie Jahirovic vor dem Problem, sich nicht weiter als 50 Kilometer von

    ihrem Wohnsitz zu entfernen. Ein Urlaub ist für die Familie unmöglich. Diskutiert, ob

    man einen Menschen in seiner Freiheit so einschränken kann, dass er gezwungen ist

    ein bestimmtes Terrain nicht zu verlassen und welche möglichen Probleme entste-

    hen können.

    4. Angenommen es bricht Krieg aus. Deutschland wird bombardiert und belagert.

    Viele Einwanderer, die schon so lange in Deutschland gelebt haben, dass sie sich in

    ihrer Lebensart und ihrem Habitus nicht von „Bio-Deutschen“ unterscheiden, schla-

    gen sich plötzlich auf die Seite des Feindes. Nationalität wird im Kriegszustand zu

    einer Definition von Freund und Feind.

    Diskutiert, wie man die Einwanderer so integrieren kann, dass in solch einem Falle

    das Wohl des „ neuen Landes“ den Menschen mehr am Herzen liegt und sie an die-

    sem „neuen Land“ festhalten.

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    6. Spielideen 1. Teilen Sie Ihre Klasse in Sechsergruppen ein. Die Gruppen sollten ohne Einsicht der

    anderen arbeiten. In jeder Gruppe gibt es einen Flüchtling, jemand der ihn versteckt

    und vier Polizisten, die den Flüchtling verhaften wollen. Die Gruppen sollen sich je

    eine Szene überlegen, in der der Flüchtling von der Polizei verfolgt wird und von je-

    mandem versteckt / gerettet wird. Was gibt es für unterschiedliche Darstellungs-

    möglichkeiten für diesen Inhalt? Realistisch, abstrahiert, als Schattenspiel, mit Spra-

    che, ohne Sprache, gesungen, wie eine Seifenoper erzählt, wie ein Comic mit Zwi-

    schenbildern, usw? Anschließend spielen sich die Gruppen ihre Szenen vor und wer-

    ten das Gesehen aus. Wie stellt man Angst glaubhaft dar?

    2. In unserer Oper gibt es eine Szene, in der Noémie als Streberin ausgelacht wird,

    ihre Schulsachen werden ihr weggenommen und ihre Mitschüler versuchen ihr Angst

    zu machen.

    Teilen Sie Ihre Klasse in zwei Gruppen auf, die sich gegenüber stehen. Die Gruppe

    rufen sich Schimpfwörter zu. Z.B. beginnt jemand aus Gruppe 1 und ruft „Streber“!

    Daraufhin rufen alle aus Gruppe 2 „Selber Streber“! Sofort danach ruft jemand aus

    Gruppe 2 „Muttersöhnchen!“ Daraufhin schreit die gesamte Gruppe 1 „Selber Mutter-

    söhnchen“! Und immer so weiter …

    Achten Sie auf Körperhaltungen, Lautstärke, gerichtetes Schreien.

    3. Der Beamte in unserer Oper wird als Klischeeversion eines deutschen Beamten

    dargestellt. Er hält sich an seinen Gesetzen, Nummern und Vorschriften fest. Den-

    noch hat er einen Makel, durch den seine Figur einen spannenden Bruch bekommt:

    Er spricht Deutsch mit einem deutlichen Akzent.

    Sammeln Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern zunächst Berufe und schreiben Sie

    diese an die Tafel. Je mehr desto besser. Dann soll sich jeder einen Beruf aussuchen

    sowie einen Weg, diesen Beruf so überdeutlich darzustellen wie irgend möglich. Ty-

    pische Handbewegungen, wie geht die Figur, wie spricht sie, Körperlichkeit allge-

    mein, Freunde, Feinde, Krise, mögliche Lösung der Krise. Außerdem soll sich jeder

    einen Makel überlegen, den die Figur hat.

    Anschließend stellt jeder seine Figur erstmal ohne Makel vor und die anderen erra-

    ten den Beruf. Schließlich das Gleiche noch einmal mit Makel. Was verändert der

    Makel für den Zuschauer? Ist mir die Figur sympathischer? Ist sie glaubwürdiger?

    4. In der Ouvertüre wird von den märchenhaften Vorstellungen erzählt, die Juliette

    von Deutschland hatte – und die dann bitterlich enttäuscht wurden. Besprechen Sie

    mit Ihren Schülerinnen und Schülern, ob sie solch tiefgehende Enttäuschungen er-

    lebt haben. Wie lassen sich sowohl die Vorstellung als auch die enttäuschende Reali-

    tät dieser Erlebnisse in Szenen darstellen?

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    7. Textauszug Benutzen Sie unseren Textauszug, um von Ihren Schülerinnen und Schülern eine

    Szene aus dem Stück nachspielen zu lassen. Sie können die Figuren mit eigenem Le-

    ben anfüllen und die Szene anders spielen als in unserer Inszenierung – oder auch

    das Gesehene versuchen nachzuspielen. Es handelt sich um eine Kernszene im Stück,

    in der die Kinder darüber reden, wie sie Djamila helfen können.

    >>> Variation: Lassen Sie Ihre Klasse eine Szene zum gleichen Thema improvisieren.

    Sie brauchen einen Flüchtling, zwei Coole mit wilden Ideen, eine Mutige und eine, die

    verantwortungsbewusst handelt. Es ist egal, ob Jungs oder Mädchen die Rollen be-

    setzen.

    (Hinterhof der Familie Jahirovic)

    Noémie Hallo, Camille, Djamila, wo seid ihr? Seid ihr wieder hinter der Mülltonne? Camille Buh! Noémie Mann!! Camille!! Wo ist Djamila? Djamila Ich bin hier. Noémie Kommt, ich hab euch was zum Essen mitgebracht. Camille Wie war‘s in der Schule? Hat mich irgendwer vermisst? Noémie Nein, es ist keinem aufgefallen, dass du nicht da warst. Camille Gut. So einen Verweis kurz vor den Ferien kann ich nämlich gar nicht brau-chen. Mein Vater würde mich sonst umbringen – Hausarrest.

    Noémie Dein Vater doch nicht. Der würde dir doch eher gratulieren, zur mutigen Tat, ein unschuldiges Kind gerettet zu haben.

    Camille Wo sind eigentlich Hannah und Sebastian. Noémie Ach die, die könnt ich grad... Sebastian Hey Leute, wir sind da! Noémie Was sollte das eigentlich heute morgen. Warum habt ihr da mit gemacht? Hannah Was, mitgemacht, wobei? Noémie Jetzt tut nicht so scheinheilig. Als mich die anderen aus der Klasse geär-gert haben, habt ihr einfach mitgemacht. Indianerspielen und so, klingelt‘s endlich?

    Sebastian Ach so. Das war doch nur Spaß. Noémie Spaß?!? Camille Hey, könnt ihr euch vielleicht später streiten. Lasst uns endlich überlegen, wie wir Djamila helfen wollen.

    Djamila Ihr müsst mir nicht helfen. Ihr bringt euch nur selbst in Gefahr. Camille Blödsinn, natürlich helfen wir dir. Sebastian Genau! Ich hab ne Idee. Wir gehen selbst zur Polizei und sagen denen, wir hätten ein Mädchen gesehen, dass sich in einem der LKW auf dem Weg zum Hafen

    versteckt hat.

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    Hannah Au ja, wir legen eine falsche Spur. Sebastian Bis die den ganzen Hafen durchsucht haben, bringen wir Djamila irgend-wo in ein sicheres Versteck.

    Noémie Die werden aber nicht aufhören, nach ihr zu suchen. Wir brauchen ne ande-re Lösung, eine mit der du normal bleiben kannst.

    Camille Genau, lasst uns eine riesige Demo veranstalten. Wenn die ganze Schule auf die Straße geht und für das Bleiberecht von dir demonstriert, dann müssen die

    Politiker doch zustimmen.

    Sebastian Als ob die auf einen Haufen Kinder hören. Noémie Dann müssen wir halt die Erwachsenen mit dazu holen. Die können dann auch Protestbriefe schreiben und so.

    (aus Lucio Gregoretti: FLÜCHTLING, in der Fassung von Jakob Matthias Seidl, für das Theater Münster)

    8. Noten

    Lassen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler eines der Lieder aus unsere Oper

    FLÜCHTLING nachsingen. „Auf in die Ferien“ ist eines der zentralen Musikstücke in

    der Oper, da der Chor und Solisten singen, Sprech- und Gesangteile sich abwechseln

    und natürlich eine der großen Problematiken des Stückes dort verhandelt wird: No-

    émie, die von ihren Klassenkameraden als Streberin bezeichnet wird, freut sich nicht

    wie die anderen auf Sonne, Strand und Ferien – da sie und ihre Mutter, die als

    Flüchtling aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen ist, sich nicht weiter als 50

    Kilometer von ihrem Wohnort entfernen dürfen und folglich nicht zum Urlaub ans

    Meer fahren können

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    9. Filme, Bücher, Theaterstücke, Zeitungsberichte, Links Je nach Alter der Schülerinnen und Schüler, mit denen Sie unsere Inszenierung angu-

    cken wollen, gibt es weitreichendes Material zum Flüchtlingsthema, das Sie zusätz-

    lich mit in den Unterricht bringen können. Hier eine kleine Auswahl.

    Filme Dokumentation über die Hamburger Ausländerbehörde

    „Abschiebung im Morgengrauen“

    http://www.youtube.com/watch?v=sj20-D5rYcM

    NDR Reportage, Michael Richter, 2006

    Spieldokumentarfilm, 2010

    „Neukölln Unlimited“

    Die Filmemacher Agostino Imondi und Dietmar Ratsch begleiten mit der Ka-

    mera die Geschwister Hassan, Lial und Maradona durch den Berliner Stadtteil

    Neukölln. (Die Erinnerungsebene Libanon ist zum Teil in animierten Bildern

    umgesetzt.) >>> SEHR ZU EMPFEHLEN FÜR JUGENDLICHE AB 14 !!!

    „Almanya“

    Yasemin und Nesrin Şamdereli

    Komödie über Deutsch-Türken, Werteverschiebung über die Generationen etc.

    >>> Mehr Integration als Flüchtlings- / Abschiebungsthema, aber sehr lustig!!!

    Bücher Renate Welsh

    „… und raus bist du“

    Innsbruck: Obelisk, 2008.

    Erzählungen; Ab 12 Jahre.

    >>> Renate Welsh erzählt am Beispiel der Geschwister Pino und Esad und ihrer

    Mutter von Menschen, die aus einem vom Krieg zerstörten Land kommen, um

    bei uns Zuflucht zu finden.

    >>> AUSZUG: „Er war vierzehn, als sein Vater erschossen wurde. Eine Kugel

    streifte Wahids Kinn, die Narbe trägt er noch heute. Auch seine Mutter wurde

    verletzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Schon mit zwölf Jahren

    konnte ein Jugendlicher Zielscheibe eines Rachefeldzugs werden. Also war

    Wahid im Gegensatz zu seien sechs und acht Jahre alten Brüdern in Gefahr.

    Die Familie verkaufte ein Grundstück, um seine Flucht nach Europa finanzieren

    zu können. Ein Cousin seines Vaters, der ebenfalls auf der Todesliste stand,

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    fuhr mit Wahid nach Moskau, für den Rest der Flucht mussten sie sich einem

    Schlepper anvertrauen.

    Drei Tage und drei Nächte gingen sie zu Fuß, abseits der großen Straßen,

    durch Wälder, über Berge. Sie hatten nichts zu essen und nichts zu trinken.

    Wahid fiel in Ohnmacht, der Cousin trug ihn auf den Schultern, bis er selbst

    zusammenbrach. Erst nach zwölf Stunden kam Wahid wieder zu sich. Sie

    mussten zwei Tage im Haus des Schleppers rasten, ehe sie weitergehen konn-

    ten. Unter den Flüchtlingen war eine Frau mit einem Siebenjährigen an der

    Hand und mit einem sechs Monate alten Säugling. Die Milch der Mutter ver-

    siegte, das Baby begann zu weinen. Sei still, fauchte der Schlepper. Das Baby

    schrie und zappelte, da riss es der Schlepper von der Brust der Mutter und

    warf es in den Fluss. Am nächsten Morgen sahen die Flüchtlinge das tote Baby

    auf dem Wasser treiben. Wahid weinte.“

    Suzanne Fisher Staples

    „Die Sterne über Peschawar“

    München : Dt. Taschenbuch-Verl., 2006

    ROMAN; Ab 13 Jahre.

    >>> Das Mädchen Nadschmah lebt im Norden Afghanistans. Im Oktober 2001

    kommen die gefürchteten Taliban, nehmen Vater und Bruder mit. Wenige Ta-

    ge später treffen amerikanische Bomben das Dorf, die Mutter und das Baby

    sterben. Nadschmah bleibt nur die gefährliche Flucht nach Pakistan.

    Frank Cottrell Boyce

    „Der unvergessene Mantel“

    Hamburg: Carlsen, 2012

    ROMAN; 10-12 Jahre.

    Als 2 mongolische Jungen an Julies Schule aufgenommen werden, ist sie faszi-

    niert und begierig auf deren fremde Kultur. Die entstehende Freundschaft

    wird jedoch durch die Ausweisung der Familie jäh beendet.

    Vivien Urbach

    „Klein und allein“

    München: Grin Verlag, 2010.

    >>> Eine kritische Darstellung der Lebensrealität unbegleiteter minderjähriger

    Flüchtlinge in Deutschland vor dem Hintergrund international anerkannter

    Standards und Rechte für Kinder.

    >>> Fluchtursachen, Rechtslage, Asylverfahren, Definitionen

    >>> hilfreich um die Hintergründe der Problematik zu verstehen

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    Claudia von Trotha

    „Bei uns verbleibt jeder in seinem Iglu“

    Frankfurt: IKO, Verlag für interkulturelle Kommunikation, 2001.

    REPORTAGE:

    >>> Asylhelfer aus unterschiedlichen Personenkreisen (Sozialarbeiter, Anwälte,

    Lehrer, Hausmeister u.ä.) berichten von ihrer Arbeit, von Erlebnissen und Ein-

    zelfällen, von Frustrationen, kleinen Erfolgen und menschlichen Schicksalen.

    Deutschland, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

    „Das Bundesamt in Zahlen 2010: Asyl, Migration, ausländische Bevölkerung und

    Integration“

    Nürnberg : Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2011

    STATISTIK

    >>> Neben einer detaillierten Darstellung und Analyse der Asylantragszahlen

    und -entscheidungen beinhaltet die Broschüre Informationen über die Zu- und

    Abwanderung im Jahr 2010, insbesondere zu den Zwecken und der Dauer des

    Aufenthalts. Daneben stehen die Integrationskurse des Bundes im Vorder-

    grund, hier Informationen zur Teilnahme und zum Erfolg der Kursteilnehmer,

    zum Aufbau wie zur Zahl der Kursträger und der Lehrkräfte.

    Janne Teller

    „KRIEG. Stell dir vor er wäre hier.“

    München: Hanser, 2011.

    http://www.janne-teller-krieg.de/

    >>> auch als Homepage sehr spannend für Jugendliche ab 14

    >>> Stell dir vor, es ist Krieg - nicht irgendwo weit weg, sondern hier in Euro-

    pa. Die demokratische Politik ist gescheitert und faschistische Diktaturen ha-

    ben die Macht übernommen. Wer kann, flieht in den Nahen Osten, wie der 14-

    jährige Protagonist aus Deutschland. In einem ägyptischen Flüchtlingslager

    versucht er mit seiner Familie ein neues Leben zu beginnen. Weil er keine Auf-

    enthaltsgenehmigung hat, kann er nicht zur Schule gehen, kein Arabisch ler-

    nen, keine Arbeit finden. Er fühlt sich als Außenseiter und sehnt sich nach

    Hause. Doch wo ist das?

    >>> AUSZUG: „Du hast dein Tagebuch mitgenommen. Das soll dich daran erin-

    nern, dass es ein Leben vor dem Krieg gab: Damals waren die Deutschen ein

    bunt gemischtes Volk, Menschen, die unterschiedliche Ansichten zu allem ha-

    ben durften. Damals bist du freitags zur Technoparty der Franzosen gegangen,

    samstags zu einem englischen Rockkonzert, und sonntags warst du mit deinen

    italienischen Rollerblades unterwegs, bis du das Wochen-ende todmüde beim

    nächstgelegenen McDonald`s mit einem Big Mac und einer Coke beendet hast.

    Du hast sein Nokia aus der Tasche geholt, um zu vergleichen, ob es leich-ter

  • 17

    ist als das Eriksson, Samsung oder Motorola deiner Freunde; dabei hast du

    deinem griechischen Schulfreund harmlose Witze über Griechen erzählt. Das

    ist so unendlich weit weg, als wäre es nie so gewesen. Obwohl es noch vor drei

    Jahren so war. Daran willst du dich unbedingt erinnern.“

    Theaterstücke

    FAKTOR LIEBE

    Elisabeth Vera Rathenböck

    Thomas Sessler Verlag

    >>> Kann man Schillers Kabale und Liebe in die heutige Zeit versetzen? Die

    Liebesgeschichte von Luise und Marko, einem bosnischen Kriegsflüchtling.

    Nicht die Kluft zwischen Bügertum und Adel bestimmt das Drama, sondern die

    radikale Abschiebung eines Ausländers, der von einer wohlstandsorientierten

    Gesellschaft seiner Grenzen verwiesen wird.

    BILAL - Leben und Sterben als Illegaler

    nach der Reportage von Fabrizio Gatti

    2012, Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

    >>> Fabrizio Gatti ist vom Senegal über Mali nach Niger „gereist“. Seit die EU-

    Länder fast keine Asylsuchenden mehr aufnehmen, ist diese Route zur wich-

    tigsten Verbindung nach Europa geworden – ein Millionengeschäft für moder-

    ne Menschenhändler und Einnahmequelle für Räuber, die die vorbeiziehenden

    Flüchtlinge überfallen. Als der Flüchtlingsstrom die libysche Grenze über-

    schreitet, geht Gatti einen Schritt weiter: Er verwandelt sich in den Flüchtling

    Bilal und erlebt jetzt „von innen“, was es bedeutet, schutzlos zu sein.

    ARABBOY – Nicole Oder; nach dem Roman von Güner Balci

    2009, S. Fischer Verlag

    >>> Was Christiane F. in der 80er Jahren war, ist die Geschichte von Rashid A.

    heute. Rashid, Sohn einer libanesisch-palästinensischen Familie, ist weder

    Deutscher noch Libanese oder Palästinenser, er ist ein , so nennt er

    sich in den einschlägigen Chaträumen, die er und seine Kumpel mit selbstge-

    machten Gewalt-Clips versorgen. Sie gehorchen dem Gesetz der Straße, auf

    der sich jeder sein Recht nehmen muss. Wer das nicht kann, wird zum "Opfer" -

    er ist dem Lebenskampf nicht gewachsen. Mit Hilfe von Aabid, der es vom

    Flüchtlingsjungen zum Mega-Checker im Rotlichtmilieu gebracht hat, macht

    Rashid kriminelle Karriere, bis er durch seine Drogensucht die Kontrolle über

    sein Leben verliert. Ihn rettet seine Verhaftung. Im Gefängnis wartet er auf

    seine Abschiebung - und Deutschland, das so verhasste Land, wird für ihn zum

    Inbegriff aller Sehnsüchte.

  • 18

    HIER GEBLIEBEN!

    Theaterstück für Menschen ab 12

    Von Reyna Bruns, Magdalena Grazewicz, Dirk Laucke

    >>> Erzählt wird die Geschichte eines Mädchens, das im August 2004 aus dem

    Unterricht geholt und zu ihrer Familie in Abschiebehaft gebracht wurde. Dem

    Einsatz ihrer Klasse war es zu verdanken, dass die Abschiebung von Tanja und

    ihrer Mutter bis heute nicht vollzogen wurde. Die Klasse wurde dafür auch mit

    dem Mete-Eksi-Preis ausgezeichnet. Tanjas Geschichte steht exemplarisch für

    die Situation von 200.000 sogenannten "Geduldeten" Flüchtlingen in Deutsch-

    land.

    Zeitungsberichte DIE ZEIT / 22.10.2010 / von Petra Sorge

    > Abgeschobene Roma werden im Kosovo allein gelassen <

    „Das Gestrüpp hinter dem Haus der Familie Saitovic ist so hoch, dass Sanita

    darin fast verschwindet. Nur die fusselige rosafarbene Jogginghose, die schon

    zu kurz für die Achtjährige ist, scheint durch die trockenen Gräser. Das Mäd-

    chen spielt hier jeden Tag Verstecken.

    Doch eigentlich würde es gern etwas ganz anderes tun. Sanita wickelt sich ei-

    ne schwarze Haarsträhne um den Finger und sagt leise: "Ich vermisse das

    Schreiben." Sie denke oft an die Schule zurück, und an ihre Lehrerin, Frau Filt-

    kep. Sanita wäre jetzt eigentlich in der zweiten Klasse. Doch seit einem halben

    Jahr hat sie keinen Unterricht mehr besucht, genau wie ihre schulpflichtigen

    Schwestern Anita und Raze.

    Die achtköpfige Familie wurde im März ins Kosovo abgeschoben. Die Saitovics

    gehören der Volksgruppe der Roma an, ihre Sprachen sind Deutsch und Roma-

    ni. Die beiden Amtssprachen im Kosovo sind aber Albanisch und Serbisch,

    auch in den meisten Schulen. Die drei Mädchen könnten sich also nicht einmal

    mit ihren Klassenkameraden unterhalten. (…)

    Die Familie Saitovic hat sieben Jahre lang in einem Ausländerheim im nieder-

    sächsischen Bramsche gelebt. Die Eltern, Baria Saitovic und Femija Kovaci, wa-

    ren während des Kosovokrieges nach Makedonien geflohen und 2003 in die

    Bundesrepublik eingereist. Die Asylanträge wurden abgelehnt. Die achtköpfige

    Familie erhielt immer wieder Duldungen, mal auf einen, mal auf sechs Monate

    befristet.

    Am 31. März klopfte die Polizei um fünf Uhr morgens an die Tür, sagt Femija

    Kovaci. Er sei vor den Augen seiner fünf Kinder in Handschellen gelegt wor-

    den. Die Familie habe eine halbe Stunde Zeit gehabt zu packen, eine Tasche

    pro Person. Dann ging es zurück in ein Land, das den sechs Kindern fremd ist.

    (…)

  • 19

    Für die Miete der Saitovics kommt noch ein deutsches Rückkehrprojekt auf,

    vermutlich bis Jahresende. Ob seine Familie danach, im Winter, noch ein Dach

    über dem Kopf hat, weiß Femija Kovaci nicht. Der Familienvater hat keinen

    Job, keine Einkünfte. (…)

    Das Kosovo fühlt sich jedoch stark genug, um mit den vielen Rückkehrern fer-

    tig zu werden: Innenminister Bajram Rexhepi sagt, das Land sei "sehr ent-

    schlossen", die Rückkehrer ohne Diskriminierung zu unterstützen. Während der

    Minister über die Roma spricht, lehnt er sich in seiner schwarzen Couch zurück

    und fährt sich durch die kurzen weißgrauen Haare. Rexhepi verweist auf einen

    2008 beschlossenen Aktionsplan, der die Integration von Rückkehrern mit

    Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Arbeit und Wohnung för-

    dern soll.

    Bei der Umsetzung gibt es jedoch alarmierende Defizite, wie die Organisation

    für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im vergangenen Jahr

    feststellte. Den meisten Gemeinden liegt nicht einmal eine Kopie des Aktions-

    plans vor. Abgeschobene sind meist auf sich allein gestellt. (…)

    Rexhepi räumt ein, das Rücknahmeabkommen unterzeichnet zu haben, um

    Kosovo außenpolitische Vorteile zu sichern. "Wir müssen unsere Pflichten er-

    füllen und können nicht nur Vorteile von diesen Ländern und der EU erwarten,

    die uns schon viel geholfen haben. Zudem sind wir in einem Prozess der Visa-

    Liberalisierung." Kosovo hofft auf baldige Erleichterungen bei den Reisebe-

    stimmungen seiner Bürger – und träumt von einer Zukunft in der Europäi-

    schen Union.

    Für Sonita Saitovic, Sedat Hasani und ihre Geschwister gibt es diese Zukunft

    nicht. Sie dürfen nicht wieder nach Deutschland zurück.“

    SPIEGEL ONLINE / 28.03.2012 / nga/dapd

    > Kritik an Abschiebungen von Kindern in den Kosovo <

    „Das Uno-Kinderhilfswerk hat die Abschiebepraxis in den Kosovo heftig kriti-

    siert. Die seelische Gesundheit von Kindern werde bei der Rückführung und

    Abschiebung von Flüchtlingen und Migranten nicht ausreichend beachtet, sag-

    te Unicef-Vorstand Tom Koenigs bei der Vorstellung der Studie "Stilles Leid"

    am Mittwoch in Berlin.

    Ein internationales Team aus Psychologen, Ärzten und Sozialwissenschaftlern

    hat 164 Jungen und Mädchen sowie 131 Eltern befragt, die 2010 aus Deutsch-

    land und Österreich in den Kosovo zurückgebracht wurden.

    Rund 6000 Kinder sollten aus Deutschland auf den Balkan abgeschoben wer-

    den, obwohl die meisten davon in Deutschland geboren worden seien und zur

    Schule gingen. Das bedeute eine Abschiebung ins Abseits, kritisierte der Grü-

    nen-Bundestagsabgeordnete Koenigs. Jedes zweite Kind beschrieb seine Rück-

    kehr in den Kosovo in der Studie als das schlimmste Erlebnis seines Lebens.

  • 20

    Rund 44 Prozent aller Jugendlichen haben demnach Depressionen, fast ein

    Drittel der Minderjährigen leidet unter posttraumatischen Belastungsstörun-

    gen, ein Fünftel empfindet sein Leben als nicht mehr lebenswert. Besonders

    schlimm trifft es die, die zwangsweise zurückgeführt wurden."

    "Wir wurden zur Rückkehr gezwungen", erzählt ein Mädchen. "Sie kamen

    nachts um 1 oder 2 Uhr und klopften an die Tür. Das war die ständige Angst,

    die ich immer im Schlaf hatte! Ich wusste nicht, wo ich hingehen werde. Ich

    kannte den Ort, an dem ich ankommen würde, nicht. Ich hatte das Wort 'Ko-

    sovo' schon gehört, wusste aber nicht, was für ein Ort das war."

    Schon vor der Abschiebung waren viele dieser Heranwachsenden und ebenso

    deren Eltern bereits schweren Belastungen ausgesetzt - während des Krieges

    auf dem Balkan, durch ihr zeitweises Leben in der Illegalität und durch langjäh-

    rige Diskriminierung. Nach ihrer Rückkehr in den Kosovo fehle es ihnen an so-

    zialer Unterstützung.

    Insbesondere die zwangsweise rückgeführten Kinder und Jugendlichen brau-

    chen laut Unicef dringend psychiatrische und kinderpsychologische Hilfe. Die-

    se steht im Kosovo nicht zur Verfügung.“

    Links http://www.ggua.de/

    Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster

    http://www.vdijb.de/

    Verein zur Förderung deutscher und internationaler Jugendbegegnungen,

    Fachkräfteaustausche und Projekte / auch in Münster tätig

    http://www.caritas-muenster.de/50195.html

    In der Diözese Münster gibt es 14 Flüchtlingsberatungsstellen der Caritas

    http://www.muenster.de/stadt/auslaenderangelegenheiten/humanitaere-

    gruende.html

    Gründe für Asylanträge

    http://www.muenster.de/stadt/nutzergruppen/auslaenderinnen.php

    Informationsseite für Ausländerinnen und Ausländer in Münster

    http://www.unhcr.de/

    Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen informiert über Flüchtlings-

    probleme weltweit. Bestellung von Informations- und Schulmaterialien.

  • 21

    http://www.refugee.net/

    Refugee Republic is a concept based on the ever increasing number of

    refugees, displaced persons and migrants.

    10. Aktualität in Münster „Als Achtjähriger kam Basken Deli 1999 aus dem Kosovo nach Münster. Inzwischen

    ist der 22-Jährige Vater geworden und wohnt mit seiner deutschen Lebensgefährtin

    in der Trauttmansdorffstraße 73. Und das ständig in Angst – Angst davor, dass er

    aus seiner kleinen Familie gerissen und in seine Heimat abgeschoben wird. Denn der

    junge Roma ist nur geduldet, nachdem seine Aufenthaltsgenehmigung nach längerer

    Arbeitslosigkeit erloschen ist. Im Kosovo drohten ihm jedoch menschenunwürdige

    Lebensbedingungen und Diskriminierung. Außerdem: „Ich kann die serbische Sprache

    überhaupt nicht.“

    Wie Deli geht es vielen in der restlos belegten Obdachlosenunterkunft in Berg Fidel,

    wegen der Mehrzahl ihrer zurzeit 180 Bewohner auch Flüchtlingssiedlung genannt.

    Hoffnung, dass sich an Delis Situation und der seiner Mitbetroffenen bald etwas än-

    dern könnte, vermochte der Sprecher für Menschenrechte der SPD-Fraktion im Bun-

    destag, der münsterische Abgeordnete Christoph Strässer, gestern nicht zu vermit-

    teln. Karl-Heinz Winter vom Förderverein „Alte Post – Berg Fidel“ hatte seinen Par-

    teikollegen in das von Rainer-Ludwig Daum geleitete Sozialpädagogische Zentrum

    der Awo nach Berg Fidel eingeladen, damit er sich vor Ort über die Situation und die

    Probleme der Roma-Familien informieren konnte. Persönlich sei er der Ansicht, so

    Strässer, „dass es nach einer bestimmten Zeit ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für

    solche Flüchtlinge geben sollte, die während dieser Frist nicht straffällig geworden

    sind“. Winter wertete den Besuch von Strässer dennoch positiv für die Bemühungen

    seines Vereins, nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, die Abschiebepra-

    xis zu ändern: „Für uns ist es wichtig, dass er das Thema in den Bundestag mit-

    nimmt.“

    Da der Zuzug von Asylbewerbern zunimmt, plant die Stadt bereits neue Übergangs-

    unterkünfte in anderen Ortsteilen, notfalls in Containern an vorhandener Infrastruk-

    tur. Auf dem freien Wohnungsmarkt seien die Betroffenen praktisch chancenlos,

    sagte Winter. Sozialamtsleiterin Dagmar Arnkens-Homann und ihr Mitarbeiter Heinz

    Lembeck, die ebenfalls an dem Treffen teilnahmen, berichteten, dass die Siedlung an

    der Trauttmansdorffstraße langfristig aufgegeben werden soll, da deren isolierte

    Lage die Integration ihrer Bewohner erschwere.“

    (Uwe Wahlbrink, Westfälische Nachrichten, 14.02.2013)