Max Horkheimer - Autoritärer Staat

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    Vergesellschaftung, die von der Verstaatlichung, Nationalisierung, Sozialisierung im Staatskapitalismuskaum verschieden war. Das revolutionre Bild der Entfesselung lebte (nur noch in den Verleumdungender Konterrevolutionre fort. Wenn berhaupt die Phantasie sich vom Boden der Tatsachen entfernte,setzte sie an Stelle der vorhandenen staatlichen Apparatur die Brokratien von Partei und Gewerkschaft,an Stelle des Profitprinzips die Jahresplne der Funktionre. Noch die Utopie war von Maregelnausgefllt. Die Menschen wurden als Objekte vorgestellt, gegebenenfalls als ihre eigenen. Je grer dieVereine wurden, desto mehr verdankte ihre Fhrung einer Auslese der Tchtigsten ihren Platz. Robuste

    Gesundheit, das Glck, dem durchschnittlichen Mitglied ertrglich und den herrschenden Gewalten nichtunertrglich zu sein, der zuverlssige Instinkt gegen das Abenteuer, die Gabe, mit der Oppositionumzuspringen, die Bereitschaft, das Verstmmelte an der Menge und an ihnen selbst als Tugendauszuschreien, Nihilismus und Selbstverachtung sind notwendige Eigenschaften.

    Diese leitenden Mnner zu kontrollieren und zu ersetzen wird mit der Vergrerung des Apparats austechnischen Grnden immer schwieriger. Zwischen der sachlichen Zweckmigkeit ihres Verbleibens undihrer persnlichen Entschlossenheit, nicht abzutreten, herrscht prstabilierte Harmonie. Der fhrendeMann und seine Clique wird in der Arbeiterorganisation so unabhngig wie in dem anderen, demIndustriemonopol, das Direktoriat von der Generalversammlung. Die Machtmittel, hier die Reserven desBetriebs, dort die Kasse der Partei oder Gewerkschaft, stehen der Leitung im Kampf gegen Strenfriedezur Verfgung. Die Unzufriedenen sind zersplittert und auf die eigene Tasche angewiesen. Im uerstenFall wird die Fronde gekpft, die der Generalversammlung durch Bestechung, die des Parteitags durchAusschlu. Was unter der Herrschaft gedeihen will, steht in Gefahr, die Herrschaft zu reproduzieren.Soweit die proletarische Opposition in der Weimarer Republik nicht als Sekte zugrunde ging, verfiel auch

    sie dem Geist der Administration. Die Institutionalisierung der Spitzen von Kapital und Arbeit hatdenselben Grund: die Vernderung der Produktionsweise. Die monopolisierte Industrie, welche die Masseder Aktionre zu Opfern und Parasiten macht, verweist die Masse der Arbeiter auf Warten undUntersttzung. Sie haben nicht so viel von ihrer Arbeit wie von der Protektion und Hilfeleistung derVereine zu erwarten. In den restlichen Demokratien befinden sich die Leiter der groenArbeiterorganisationen heute schon in einem hnlichen Verhltnis zu ihren Mitgliedern wie im integralenEtatismus die Exekutive zur Gesamtgesellschaft: sie halten die Masse, die sie versorgen, in strengerZucht, schlieen sie gegen unkontrollierten Zuzug hermetisch ab, dulden Spontaneitt blo als Ergebnisihrer eigenen Mache. Weit mehr noch als die vorfaschistischen Staatsmnner, die zwischen denMonopolisten der Arbeit und der Industrie vermitteln und von der Utopie einer humanitren Version desautoritren Staats nicht lassen knnen, streben sie nach ihrer Art Volksgemeinschaft.

    An Rebellionen gegen diese Entwicklung der Arbeitervereine hat es nicht gefehlt. Die Proteste der sichabsplitternden Gruppen glichen einander wie ihr Schicksal. Sie richten sich gegen die konformistische

    Politik der Leitung, gegen das Avancement zur Massenpartei, gegen die unentwegte Disziplin. Sieentdecken frh, da das ursprngliche Ziel, die Abschaffung der Beherrschung und Ausbeutung in jederForm, im Mund der Funktionre nur noch eine Propagandaphrase ist. Sie kritisieren in denGewerkschaften den Tarifvertrag, weil er den Streik einschrnkt, in der Partei die Mitarbeit an derkapitalistischen Gesetzgebung, weil sie korrumpiert, in beiden die Realpolitik. Sie erkennen, da derGedanke an die soziale Umwlzung bei den Instanzen um so strker kompromittiert wird, je mehrAnhnger sie fr ihn werben. Aber die Brokraten an der Spitze sind kraft des Amtes auch die besserenOrganisatoren, und wenn die Partei bestehen soll, geht es ohne eingespielte Fachleute nicht ab. berallsind die oppositionellen Versuche gescheitert, die Verbnde mitzureien oder neue Formen der Resistenzauszubilden. Wo die oppositionellen Gruppen nach der Sezession grere Bedeutung erlangten,wandelten sie sich selbst in brokratische Einrichtungen um. Anpassung ist der Preis, den Individuenund Vereine zahlen mssen, um im Kapitalismus aufzublhen. Selbst jene Gewerkschaften, derenProgramm im Gegensatz zu allem Parlamentieren stand, sind mit der Zunahme ihrer Mitgliedschaft vonden Extravaganzen des Generalstreiks und der direkten Aktion weit abgekommen. Durch bernahmeeines Munitionsministeriums haben sie schon im Ersten Weltkrieg ihre Bereitschaft zu friedlicher

    Kooperation dokumentiert. Sogar die Maximalisten blieben nach der Revolution nicht davor bewahrt, dadie schmhliche Soziologie des Parteiwesens am Ende noch recht behielt. Ob Revolutionre die Machtwie den Raub oder den Ruber ergreifen, zeigt sich erst im Verlauf. Anstatt am Ende in der Demokratieder Rte aufzugehen, kann die Gruppe sich als Obrigkeit festsetzen. Arbeit, Disziplin und Ordnungknnen die Republik retten und mit der Revolution aufrumen. Wenngleich die Abschaffung der Staatenauf ihrem Banner stand, hat jene Partei ihr industriell zurckgebliebenes Vaterland ins geheime Vorbild

    jener Industriemchte umgewandelt, die an ihrem Parlamentarismus krnkelten und ohne denFaschismus nicht mehr leben konnten. Die revolutionre Bewegung spiegelt den Zustand den sieangreift, negativ wider. In der monopolistischen Periode durchdringen sich private und staatlicheVerfgung ber fremde Arbeit; Auf das private Moment zielt der sozialistische Kampf gegen dieAnarchie der Marktwirtschaft, auf das private und staatliche zugleich der Widerstand gegen die letzteForm der Ausbeutung. Der historische Widerspruch, vernnftige Planung und Freiheit, Entfesselung undRegulierung zugleich zu fordern, kann berwunden werden; bei den Maximalisten jedoch hat schlielichdie Autoritt gesiegt und Wunder verrichtet.

    Opposition als politische Massenpartei konnte eigentlich nur in der Marktwirtschaft existieren. Der Staat,der infolge der Zersplitterung des Brgertums einige Selbstndigkeit besa, wurde mittels seiner

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    Parteien bestimmt. Sie verfolgten teils das allgemeine brgerliche Ziel, die alten Feudalmchteabzuwehren, teils vertraten sie besondere Gruppen. Von der Vermittlung der Herrschaft durch Parteienhat auch die proletarische Opposition profitiert. Die Zersplitterung der herrschenden Klasse, welche dieTrennung der Gewalten und die verfassungsmigen Rechte der Individuen bedingte, war dieVoraussetzung der Arbeitervereine. Die Freiheit der Versammlung gehrte in Europa zu dennotwendigen Konzessionen der Klasse ans Individuum, solange die Individuen, aus denen sie bestand,noch nicht unmittelbar mit dem Staat koinzidierten und daher staatliche bergriffe befrchten muten.

    Auch im Anfang wurden bekanntlich die Achtung vor der Person, die Heiligkeit des Hausfriedens, dieUnverletzlichkeit des Arrestanten und hnliche Grundstze mit Fen getreten, sobald die Rcksicht aufdie eigene Klasse wegfiel. Die Chronik der Zuchthausrevolten wie politischer Insurrektionen undbesonders die Kolonialgeschichte sind Kommentare zur brgerlichen Humanitt. Soweit dieKoalitionsfreiheit die Proletarier betraf, war sie von Anfang an ein Stiefkind unter den Menschenrechten.Gewi soll allen Brgern erlaubt sein, sich zu versammeln, sagte der Referent fr Arbeitsfragen in derKonstituierenden Versammlung 1791, aber es soll nicht erlaubt sein, da sich Brger bestimmterBerufe zwecks ihrer angeblichen, gemeinsamen Interessen versammeln. [3] Im Namen derAbschaffung von Znften und Korporationen haben die Liberalen den Zusammenschlu der Arbeitererschwert, aber schlielich nicht verhindern knnen. Auer den Aufgaben brgerlicher Parteien enthieltdas Programm der sozialistischen Vereine noch die Revolution. Sie erschien als das abgekrzte Verfahrendazu, das ideologische Ziel des Brgertums, den allgemeinen Wohlstand zu verwirklichen. DieAufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die berwindung der Kraft- undMaterialvergeudung des Marktsystems durch Planwirtschaft, die Abschaffung des Erbrechts und so fortwaren rationale Forderungen im Zug der Zeit. Die Sozialisten vertraten gegen das Brgertum seineeigene fortgeschrittenere Phase und strebten schlielich eine bessere Regierung an. Die Einrichtung derFreiheit galt dann als mechanische, selbstverstndliche Folge der Eroberung der Macht oder gar alsUtopie.

    Die Richtung auf den autoritren Staat war den radikalen Parteien in der brgerlichen ra seit jehervorgezeichnet. In der franzsischen Revolution erscheint die sptere Geschichte zusammengedrngt.Robespierre hatte die Autoritt im Wohlfahrtsausschu zentralisiert, das Parlament zurRegistrierkammer von Gesetzen herabgedrckt. Er hatte die Funktionen der Verwaltung undBeherrschung in der jakobinischen Parteileitung vereinigt. Der Staat regulierte die Wirtschaft. DieVolksgemeinschaft durchsetzte alle Lebensformen mit Brderlichkeit und Denunziation. Der Reichtumwar fast in die Illegalitt gedrngt. Auch Robespierre und die Seinen planten, den inneren Feind zuenteignen, der wohl dirigierte Volkszorn gehrte zur politischen Maschinerie. Die franzsische Revolutionwar der Tendenz nach totalitr. Ihr Kampf gegen die Kirche entsprang nicht der Antipathie gegen dieReligion, sondern der Forderung, da auch sie der patriotischen Ordnung sich einzugliedern und zu

    dienen habe. Die Kulte der Vernunft und des hchsten Wesens sind wegen der Renitenz des Klerusverbreitet worden. Der Sansculotte Jesus kndet den nordischen Christus an. Unter den Jakobinernkam der Staatskapitalismus ber die blutigen Anfnge nicht hinaus. [4] Aber der Thermidor hat nichtseine Notwendigkeit beseitigt. Sie meldet sich in den Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts stetswieder an. In Frankreich haben die konsequent liberalen Regierungen immer nur ein kurzes Lebengefhrt. Um der etatistischen Tendenzen von unten Herr zu werden, mte die Bourgeoisie rasch denBonapartismus von oben rufen. Der Regierung Louis Blancs ist es nicht besser ergangen als demDirectoire. Und seitdem in der Junischlacht einmal die Nationalwerksttten und das Recht auf Arbeit nurdurch die Entfesselung der Generle zu unterdrcken waren, hat sich die Marktwirtschaft als immerreaktionrer erwiesen. Setzte Rousseaus Einsicht, da die groen Unterschiede des Eigentums demPrinzip der Nation zuwiderliefen, schon seinen Schler Robespierre in Gegensatz zum Liberalismus, solie sich das sptere Wachstum der kapitalistischen Vermgen mit dem allgemeinen Interesse nur nochim nationalkonomischen Kolleg zusammenbringen. Unter den Bedingungen der groen Industrie gingdann der Kampf darum, wer das Erbe der Konkurrenzgesellschaft antritt. Die hellsichtigen Lenker desStaates erfuhren nicht weniger als die Massen hinter den extremen Parteien, Arbeiter und ruinierte

    Kleinbrger, da sie erledigt war. Die dunkle Beziehung von Lassalle, dem Begrnder der deutschensozialistischen Massenpartei, und Bismarck, dem Vater des deutschen Staatskapitalismus warsymbolisch. Beide steuerten zur staatlichen Kontrolle hin. Regierungen und oppositionelleParteibrokratien von rechts und links wurden je nach ihrer Stellung im Gesellschaftsproze auf irgendeine Form des autoritren Staats verwiesen. Fr die Individuen freilich ist es entscheidend, welcheGestalt er schlielich annimmt. Arbeitslose, Rentner, Geschftsleute, Intellektuelle erwarten Leben oderTod, je nachdem ob Reformismus, Bolschewismus oder Faschismus siegt.

    Die konsequenteste Art des autoritren Staats, die aus jeder Abhngigkeit vom privaten Kapital sichbefreit hat, ist der integrale Etatismus oder Staatssozialismus. Er steigert die Produktion wie nur derbergang von der merkantilistischen Periode in die liberalistische. Die faschistischen Lnder bilden eineMischform. Auch hier wird der Mehrwert zwar unter staatlicher Kontrolle gewonnen und verteilt, er fliet

    jedoch unter dem alten Titel des Profits in groen Mengen weiter an die Industriemagnaten undGrundbesitzer. Durch ihren Einflu wird die Organisation gestrt und abgelenkt. Im integralenEtatisinus ist die Vergesellschaftung dekretiert. Die privaten Kapitalisten sind abgeschafft. Couponswerden einzig noch von Staatspapieren abgeschnitten. Infolge der revolutionren Vergangenheit desRegimes ist der Kleinkrieg der Instanzen und Ressorts nicht wie im Faschismus durch Verschiedenheiten

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    der sozialen Herkunft und Bindung innerhalb der brokratischen Stbe kompliziert, die dort so vielReibungen erzeugt. Der integrale Etatismus bedeutet keinen Rckfall, sondern Steigerung der Krfte, erkann leben ohne Rassenha. Aber die Produzenten, denen juristisch das Kapital gehrt, bleibenLohnarbeiter, Proletarier, mag noch so viel fr sie getan werden. Das Betriebsreglement hat sich berdie ganze Gesellschaft ausgebreitet. Spielte nicht die Armut an technischen Hilfsmitteln und diekriegerische Umwelt der Brokratie in die Hnde, so htte der Etatismus sich schon berlebt. Imintegralen Etatismus steht, wenn man von den kriegerischen Verwicklungen absieht, der Absolutismus

    der Ressorts, fr deren Kompetenzen die Polizei das Leben bis in die letzten Zellen durchdringt, derfreien Einrichtung der Gesellschaft entgegen. Zur Demokratisierung der Verwaltung bedarf es keinerkonomischen oder juristischen Manahmen mehr, sondern des Willens der Regierten. Der circulusvitiosus von Armut, Herrschaft, Krieg und Armut umfngt sie solange, bis sie ihn selbst durchbrechenwerden. Wo auch sonst in Europa Tendenzen im Sinn des integralen Etatismus sich regen, erffnet sichdie Aussicht, da sie diesmal nicht wieder in brokratischer Herrschaft sich verfangen werden. Wann esgelingt, ist nicht vorher zu entscheiden und auch nachher durch die Praxis nicht ein fr allemalausgemacht. Unwiderruflich ist in der Geschichte nur das Schlechte: die ungewordenen Mglichkeiten,das versumte Glck, die Morde mit und ohne juristische Prozedur, das, was die Herrschaft denMenschen antut. Das andere steht immer in Gefahr.

    In allen seinen Varianten ist der autoritre Staat repressiv. Die malose Vergeudung wird nicht mehrdurch konomische Mechanismen im klassischen Sinn bewirkt; sie entsteht jedoch aus denunverschmten Bedrfnissen des Machtapparats und aus der Vernichtung jeglicher Initiative derBeherrschten: Gehorsam ist nicht so produktiv. Trotz der sogenannten Krisenlosigkeit gibt es keine

    Harmonie. Auch sofern der Mehrwert nicht lnger als Profit eingestrichen wird, geht es um ihn. DieZirkulation wird abgeschafft, die Ausbeutung modifiziert. Der auf die Marktwirtschaft gemnzte Satz,da der Anarchie in der Gesellschaft die straffe Ordnung in der Fabrik entspricht, bedeutet heute, dader internationale Naturstand, der Kampf um den Weltmarkt, und die faschistische Disziplin der Vlkerwechselseitig sich bedingen. Auch wenn Eliten heute gemeinsam gegen ihre Vlker verschworen sind,bleiben sie immer auf dem Sprung, sich von den Jagdgebieten etwas abzujagen. WirtschaftsundAbrstungskonferenzen schieben die Hndel immer nur fr eine Weile auf, das Prinzip der Herrschafterweist sich im ueren als das der permanenten Mobilisation. Der Zustand bleibt weiterhin absurd.Freilich wird die Fesselung der Produktivkrfte von nun an als Bedingung der Herrschaft verstanden undmit Bewutsein ausgebt. Da zwischen den Schichten der Beherrschten, sei es zwischen Gemeinen undFacharbeitern oder den Geschlechtern oder den Rassen, konomisch differenziert, da die Isolierung derIndividuen voneinander mit allen Verkehrsmitteln, mit Zeitung, Kino, Radio, systematisch betriebenwerden mu, gehrt zum Katechismus der autoritren Regierungskunst. Sie sollen allen zuhren, vomFhrer bis zum Blockwart, nur nicht einander, sie sollen ber alles orientiert sein, von der nationalen

    Friedenspolitik bis zur Verdunkelungslampe, nur nicht sich orientieren, sie sollen berall Hand anlegen,nur nicht an die Herrschaft. Die Menschheit wird allseitig ausgebildet und verstmmelt. Mag das Land,zum Beispiel die Vereinigten Staaten Europas, noch so gro und mchtig sein, dieUnterdrckungsmaschinerie gegen den inneren Feind mu einen Vorwand in der Drohung mit demueren finden. Wenn Hunger und Kriegsgefahr notwendige, unkontrollierte, wider Willen produzierteFolgen der freien Wirtschaft waren, werden sie vom autoritren Staat der Tendenz nach konstruktivangewandt.

    So unerwartet nach Ort und Zeit das Ende der letzten Phase kommen mag, es wird kaum durch einewieder auferstandene Massenpartei herbeigefhrt; sie wrde die herrschende blo ablsen. Die Aktivittpolitischer Gruppen und Vereinzelter mag zur Vorbereitung der Freiheit entscheidend beitragen;gegnerische Massenparteien hat der autoritre Staat nur als konkurrierende zu frchten. Sie rhrennicht ans Prinzip. In Wahrheit ist der innere Feind berall und nirgends. Nur im Anfang kommen diemeisten Opfer des Polizeiapparates aus der unterlegenen Massenpartei. Spter strmt das vergosseneBlut aus dem geeinten Volk zusammen. Die Auslese, die man in den Lagern konzentriert, wird immer

    zuflliger. Ob die Menge der Insassen jeweils wchst oder abnimmt, ja ob man es sich zeitweise leistenkann, die leeren Pltze der Ermordeten gar nicht wieder zu belegen, eigentlich knnte jeder im Lagersein. Die Tat, die hineinfhrt, begeht jeder in Gedanken jeden Tag. Im Faschismus trumen alle denFhrermord und marschieren in Reih und Glied. Sie folgen aus nchterner Berechnung: nach demFhrer kme doch nur der Stellvertreter. Wenn die Menschen einmal nicht mehr marschieren, dannwerden sie auch ihre Trume verwirklichen. Die vielberufene politische Mdigkeit der Massen, hinter dersich die Parteibonzen nicht selten verstecken, ist eigentlich nur die Skepsis gegen die Leitung. DieArbeiter haben gelernt, da von denen, die sie jeweils riefen und wieder nach Hause schickten, auchnach dem Sieg stets nur das gleiche zu gewrtigen war. In der franzsischen Revolution brauchten dieMassen fnf Jahre, bis ihnen einerlei war, ob Barras oder Robespierre. Aus der gewitzigten Apathie, dieden Widerwillen gegen die ganze politische Fassade enthlt, ist kein Schlu fr die Zukunft zu ziehen.Mit der Erfahrung, da ihr politischer Wille durch die Vernderung der Gesellschaft wirklich ihr eigenesDasein verndert, wird die Apathie der Massen verschwunden sein. Sie gehrt dem Kapitalismus an,freilich allen seinen Phasen. Die generalisierende Soziologie hat daran gekrankt, da sie zumeist vonfeineren Leuten betrieben worden ist. Diese differenzieren zu gewissenhaft. Die Millionen unten erfahrenvon Kindheit an, da die Phasen des Kapitalismus zu demselben System gehren. Hunger,Polizeikontrolle, Soldatsein gibt es auf liberal und autoritr. Beim Faschismus sind die Massen

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    vornehmlich daran interessiert, da es nicht der Fremde schafft, denn die abhngige Nation hat dieverstrkte Ausbeutung zu dulden. Hoffnung bietet ihnen gerade noch der integrale Etatismus, weil er ander Grenze des Besseren steht, und Hoffnung widerspricht der Apathie. Im Begriff der revolutionrenDiktatur als bergang war keineswegs beschlossen, da irgendeine Elite aufs neue die Produktionsmittelmonopolisiert.. Solcher Gefahr kann die Energie und Wachsamkeit der Menschen selbst begegnen. DieUmwlzung, die der Herrschaft ein Ende macht, reicht so weit wie der Wille der Befreiten. JedeResignation ist schon der Rckfall in die Vorgeschichte, Nach der Auflsung der alten Machtpositionen

    wird die Gesellschaft entweder ihre Angelegenheiten auf Grund freier bereinkunft verwalten, oder dieAusbeutung geht weiter. Da sich Reaktionen ereignen, da der Ansatz zur Freiheit immer wiedervernichtet wird, ist theoretisch nicht auszuschlieen, gewi nicht so lang es eine feindliche Umwelt gibt.Es lassen sich keine patenten Systeme ausdenken, die selbstttig Rckflle verhindern. Die Modalittender neuen Gesellschaft finden sich erst im Lauf der Vernderung. Die theoretische Konzeption, die nachihren Vorkmpfern der neuen Gesellschaft den Weg weisen soll, das Rtesystem, stammt aus der Praxis.Es geht auf 1871, 1905 und andere Ereignisse zurck. Die Umwlzung hat eine Tradition, auf derenFortsetzung die Theorie verwiesen ist.

    Nicht weil das knftige Zusammenleben auf einer raffinierteren Verfassung beruhte, hat es Aussicht aufDauer, sondern weil die Herrschaft sich im Staatskapitalismus abnutzt. Dank seiner Praxis bereiten diezweckmige Leitung des Produktionsapparates, der Austausch von Stadt und Land, die Versorgung dergroen Stdte keine Schwierigkeiten mehr. Die Steuerung der Wirtschaft, die frher aus dertrgerischen Initiative privater Unternehmer resultierte, wird schlielich in einfache Verrichtungenaufgelst, die erlernbar sind wie Bau und Bedienung von Maschinen. Der Auflsung des

    Unternehmergenies folgt die der Fhrerweisheit. Ihre Funktionen knnen durchschnittlich geschulteKrfte bewltigen. konomische Fragen werden mehr und mehr zu technischen. Die Vorzugsstellung vonBeamten der Verwaltung, technischen und planwirtschaftlichen Ingenieuren, verliert in der Zukunft ihrevernnftige Basis, die nackte Macht wird ihr einziges Argument. Da die Rationalitt der Herrschaftschon im Schwinden begriffen ist, wenn der autoritre Staat die Gesellschaft bernimmt, ist der wahreGrund seiner Identitt mit dem Terrorismus und zugleich der Engelsschen Theorie, da dieVorgeschichte mit ihm zu Ende geht. Die Verfassung war, bevor sie in den faschistischen Lndernabstarb, ein Instrument der Herrschaft. Durch sie hatte seit der englischen und franzsischen Revolutiondas europische Brgertum die Regierung begrenzt und sein Eigentum gesichert. Da die Rechte desIndividuums nicht einer Gruppe vorbehalten bleiben konnten, sondern formelle Universalitt gefordertwar, macht sie heute zur Sehnsucht der Minoritten. In einer neuen Gesellschaft wird sie nicht mehrGewicht beanspruchen als Fahrplne und Verkehrsregeln in der bestehenden. Wie oft schon tat man,klagt Dante ber die Unbestndigkeit der Verfassung in Florenz, Gesetze, Mnzen, mter, Brauch inBann, und deine Brgerschaft sah neue Glieder. [5] Was der zerfallenden Patrizierherrschaft gefhrlich

    gewesen ist, wre der klassenlosen Gesellschaft eigentmlich. Die Formen der freien Assoziationschlieen sich nicht zum System zusammen.

    So wenig das Denken aus sich heraus die Zukunft zu entwerfen vermag, so wenig bestimmt es denZeitpunkt. Die Etappen des Weltgeistes folgen nach Hegel einander mit logischer Notwendigkeit, keinekann bersprungen werden. Marx ist ihm darin treu geblieben. Die Geschichte wird als unverbrchlicheEntwicklung vorgestellt. Das Neue kann nicht beginnen, ehe seine Zeit gekommen ist. Aber derFatalismus beider Denker bezieht sich, merkwrdig genug, blo auf die Vergangenheit. Ihrmetaphysischer Irrtum, da die Geschichte einem festen Gesetz gehorche, wird durch den historischenIrrtum aufgehoben, da es zu ihrer Zeit erfllt sei. Die Gegenwart und das Sptere steht nicht wiederunter dem Gesetz. Es hebt auch keine neue gesellschaftliche Periode an. Fortschritt gibt es in derVorgeschichte. Er beherrscht die Etappen bis zur Gegenwart. Von geschichtlichen Unternehmungen, dievergangen sind, mag sich sagen lassen, da die Zeit nicht reif fr sie gewesen sei. In der Gegenwartverklrt die Rede von der mangelnden Reife das Einverstndnis mit dem Schlechten. Fr denRevolutionr ist die Welt schon immer reif gewesen. Was im Rckblick als Vorstufe, als unreife

    Verhltnisse erscheint, galt ihm einmal als letzte Chance der Vernderung. Er ist mit den Verzweifelten,die ein Urteil zum Richtplatz schickt, nicht mit denen, die Zeit haben. Die Berufung auf ein Schema vongesellschaftlichen Stufen, das die Ohnmacht einer vergangenen Epoche post festum demonstriert, warim betroffenen Augenblick verkehrt in der Theorie und niedertrchtig in der Politik. Die Zeit, zu der siegedacht wird, gehrt zum Sinn der Theorie. Die Lehre vom Wachsen der Produktivkrfte, von derAbfolge der Produktionsweisen, von der Aufgabe des Proletariats ist weder ein historisches Gemlde zumAnschauen noch eine naturwissenschaftliche Formel zur Vorausberechnung knftiger Tatsachen. Sieformuliert das richtige Bewutsein in einer bestimmten Phase des Kampfs und ist als solches auch inspteren Konflikten wieder zu erkennen. Die als Eigentum erfahrene Wahrheit schlgt in ihr Gegenteilum, auf sie trifft der Relativismus zu, dessen kritischer Zug von demselben Sekurittsideal herrhrt wiedie absolute Philosophie. Die kritische Theorie ist von anderem Schlag. Sie kehrt sich gegen das Wissen,auf das man pochen kann. Sie konfrontiert Geschichte mit der Mglichkeit, die stets konkret in ihrsichtbar wird. Die Reife ist das Thema probandum und probatum. Obgleich der sptere historischeVerlauf die Girondisten gegen die Montagnards, Luther gegen Mnzer besttigt hat, wurde dieMenschheit nicht durch die unzeitgemen Unternehmungen der Umstrzler, sondern durch diezeitgeme Weisheit der Realisten verraten. Die Verbesserung der Produktionsmethoden mag wirklichnicht blo die Chancen der Unterdrckung, sondern auch die ihrer Abschaffung verbessert haben. Aber

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    die Konsequenz, die heute aus dem historischen Materialismus und damals aus Rousseau oder der Bibelfolgte, nmlich die Einsicht, da Jetzt oder erst in hundert Jahren das Grauen ein Ende findet, war in

    jedem Augenblick an der Zeit.

    Die brgerlichen Erhebungen hingen in der Tat von der Reife ab. Ihr Erfolg, von den Reformatoren biszur legalen Revolution des Faschismus, war an die technischen und konomischen Errungenschaftengebunden, die den Fortschritt des Kapitalismus bezeichnen. Sie krzen die vorbestimmte Entwicklung

    ab. Die Idee der Geburtshilfe entspricht genau der Geschichte des Brgertums. Seine materiellenExistenzformen waren ausgebildet, ehe die politische Macht erobert war. Die Theorie der Abkrzungbeherrscht die politique scientifique seit der franzsischen Revolution. Mit dem Imprimatur Saint-Simons hat Comte als politischen Leitsatz den Gedanken formuliert: Es ist ein groer Unterschied, obman dem Gang der Geschichte einfach folgt, ohne sich darber Rechenschaft zu geben, oder mitEinsicht in die urschlichen Verhltnisse. Die geschichtlichen Vernderungen greifen im ersten wie imzweiten Fall Platz, aber sie lassen lnger auf sich warten, und sie geschehen vor allem nur, nachdem sie,

    je nach ihrer Art und Bedeutung, die Gesellschaft erst entsprechend verhngnisvoll erschtterthaben. [6] Die Kenntnis der historischen Gesetze, die den Ablauf der Gesellschaftsformen regeln, sollnach den Saint-Simonisten die Revolution mildem, nach den Marxisten verstrken. Beide schreibenihnen die Funktion zu, einen Proze abzukrzen, der sich selbstttig, gleichsam natrlich, vollzieht. Dierevolutionre Umgestaltung, sagt Bebel, die alle Lebensbeziehungen der Menschen von Grund ausndert und insbesondere auch die Stellung der Frau verndert, vollzieht sich also bereits vor unserenAugen. Es ist nur eine Frage der Zeit, da die Gesellschaft diese Umgestaltung in grtem Mastab indie Hand nimmt, und den Umwandlungsproze beschleunigt und verallgemeinert und damit alle ohne

    Ausnahme an seinen zahllosen vielgestaltigen Vorteilen teilnehmen lt. [7] So reduzierte sich dieRevolution auf den intensiveren bergang zum Staatskapitalismus, der damals schon sich anmeldete.Trotz des Bekenntnisses zur Hegeischen Logik von Sprung und Umschlag erschien die Vernderungwesentlich als Vergrerung von Ausmaen: die Anstze zur Planung sollten verstrkt, die Distributionvernnftiger gestaltet werden. Die Lehre vom Geburtshelfertum bringt die Revolution auf bloenFortschritt herunter.

    Dialektik ist nicht identisch mit Entwicklung. Zwei entgegengesetzte Momente, der bergang zurstaatlichen Kontrolle und die Befreiung von ihr, sind im Begriff der sozialen Umwlzung in eins gefat.Sie bewirkt, was auch ohne Spontaneitt geschehen wird: die Vergesellschaftung der Produktionsmittel,die planmige Leitung der Produktion, die Naturbeherrschung ins Ungemessene. Und sie bewirkt, wasohne aktive Resistenz und stets erneute Anstrengung der Freiheit nie eintritt: das Ende derAusbeutung. Solches Ende ist keine Beschleunigung des Fortschritts mehr, sondern der Sprung aus demFortschritt heraus. Das Rationale ist nie vollstndig deduzierbar. Es ist in der geschichtlichen Dialektik

    berall angelegt als der Bruch mit der Klassengesellschaft. Die theoretischen Argumente dafr, da derStaatskapitalismus ihre letzte Etappe sei, beziehen sich darauf, da die gegenwrtigen materiellenVerhltnisse den Sprung ermglichen und fordern. Die Theorie, der sie entstammen. weist dembewuten Willen die objektiven Mglichkeiten. Wenn sie die Phasen der brgerlichen Wirtschaft, Blteund Verfall dartut wie ein immanentes Entwicklungsgesetz, so reit mit dem bergang zur Freiheit dieSelbstbewegung ab. Man kann heute bestimmen, was die Fhrer der Massen ihnen noch antun werden,wenn man beide nicht abschafft. Das gehrt zum immanenten Entwicklungsgesetz. Man kann nichtbestimmen, was eine freie Gesellschaft tun oder lassen wird. Die Selbstbewegung des Begriffs der Warefhrt zum Begriff des Staatskapitalismus wie bei Hegel die sinnliche Gewiheit zum absoluten Wissen.Wenn aber bei Hegel die Stufen des Begriffs ohne weitere Umstnde der physikalischen undgesellschaftlichen Natur entsprechen mssen, weil Begriff und Wirklichkeit wie am Ende so schon imGrund nicht blo unterschieden, sondern auch dasselbe sind, so darf das materialistische Denken sichdieser Identitt nicht fr versichert halten. Der Eintritt von Verhltnissen, die aus dem Begriff abzulesensind, legt dem Idealisten das Gefhl der Befriedigung, dem historischen Materialisten eher das derEmprung nah. Da die menschliche Gesellschaft wirklich alle Phasen durchluft, die als Umschlag des

    freien und gerechten Tauschs in Unfreiheit und Ungerechtigkeit aus seinem eigenen Begriff zu entfaltensind, enttuscht ihn, wenn es wirklich so kommt. Die idealistische Dialektik konserviert das Erhabene,Gute, Ewige; jeder historische Zustand enthalte das Ideal, nur nicht explizit. Die Identitt von Ideal undWirklichkeit gilt als Voraussetzung und Ziel der Geschichte. Die materialistische Dialektik trifft dasGemeine, Schlechte, Zeitgeme; jeder historische Zustand enthlt das Ideal, nur nicht explizit. DieIdentitt von Ideal und Wirklichkeit ist die universale Ausbeutung. Deshalb besteht die MarxscheWissenschaft in der Kritik der brgerlichen konomie und nicht im Entwurf der sozialistischen: den hatMarx Bebel berlassen. Er selbst erklrt die Wirklichkeit an ihrer Ideologie: durch die Entfaltung deroffiziellen konomik entdeckt er das Geheimnis der konomie. Verhandelt wird ber Smith und Ricardo,angeklagt ist die Gesellschaft.

    Die Deduktion der kapitalistischen Phasen von der einfachen Warenproduktion bis zu Monopol undStaatskapitalismus ist freilich kein Gedankenexperiment. Das Tauschprinzip ist nicht blo ersonnen, eshat die Wirklichkeit beherrscht. Die Widersprche, welche die Kritik in ihm entdeckt, haben sich in derGeschichte drastisch bemerkbar gemacht. Im Tausch der Ware Arbeitskraft wird der Arbeiter

    entschdigt und betrogen zugleich. Die Egalitt der Warenbesitzer ist ein ideologischer Schein, der imIndustriesystem zergeht und im autoritren Staat der offenen Beherrschung weicht. Die Entwicklung der

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    brgerlichen Gesellschaft ist in ihrer Produktionsweise beschlossen, die durch jenes konomische Prinzipbezeichnet war. Trotz seiner realen Gltigkeit jedoch ist es zwischen seiner kritischen Darstellung unddem historischen Verlauf nie zu einer Deckung gekommen, die nicht htte durchbrochen werdenknnen. Die Differenz von Begriff und Realitt begrndet die Mglichkeit der umwlzenden Praxis, nichtder bloe Begriff. Zwischen den Vernderungen in der Produktionsweise und dem Gang der Ideologiebesteht in der Klassengesellschaft ein notwendiger Zusammenhang, den man begrifflich deduzierenkann. Aber die Zwangslufigkeit der Vergangenheit legt so wenig den Willen zur Freiheit fest, der in ihr

    selbst sich meldet, wie den der Zukunft. Fr jede Folgerung aus dem Glauben, da die Geschichte eineraufsteigenden Linie folgen wird, gleichgltig, ob man sie nun als Gerade, Zickzack oder Spirale vorstellt,gibt es ein Gegenargument, das um nichts weniger gltig ist. Theorie erklrt wesentlich den Gang desVerhngnisses. Bei aller Konsequenz in der Entwicklung, welche sie zu erfassen vermag, bei aller Logikin der Abfolge der einzelnen gesellschaftlichen Epochen, bei aller Steigerung der materiellenProduktivkrfte, der Methoden und Geschicklichkeiten, sind in der Tat die kapitalistischen Antagonismenangewachsen. Durch sie werden schlielich die Menschen selbst definiert. Diese sind heute nicht nur!fhiger zur Freiheit sondern auch unfhiger. Nicht blo die Freiheit, auch knftige Formen derUnterdrckung sind mglich. Sie lassen theoretisch sich berechnen als Rckfall oder als neue ingeniseApparatur. Mit dem Staatskapitalismus kann die Macht neu sich befestigen. Auch er ist eineantagonistische, vergngliche Form. Das Gesetz seines Zusammenbruchs ist ihm leicht anzusehen: esgrndet in der Hemmung der Produktivitt durch die Existenz der Brokratien. Aber die Ausbreitung derautoritren Formen hat noch viel vor sich, und es wre nicht zum erstenmal, da auf eine Periodegrerer Selbstndigkeit der Abhngigen eine lange Periode verstrkter Unterdrckung folgt. AthenischeIndustrie und rmischer Grundbesitz haben die Sklaverei groen Mastabs eingerhrt, als die freienArbeiter zu anspruchsvoll und teuer wurden. Im ausgehenden Mittelalter wurde den Bauern die Freiheit,die sie wegen ihres numerischen Rckgangs bis zum vierzehnten Jahrhundert errungen hatten, wiederabgenommen. Die Emprung beim Gedanken, da auch die beschrnkte Freiheit des neunzehntenJahrhunderts auf lange Dauer durch den Staatskapitalismus, durch die Sozialisierung der Armutabgelst werden, geht auf die Erkenntnis zurck, da dem gesellschaftlichen Reichtum keine Schrankenmehr gesetzt sind. Aber auf den Bedingungen des gesellschaftlichen Reichtums beruht nicht blo dieChance der Zertrmmerung, sondern ebenso sehr des Fortbestandes der modernen Sklaverei. .Derobjektive Geist ist jeweils das Produkt der Anpassung der Macht an ihre Existenzbedingungen. Trotz desoffenen Gegensatzes zwischen Kirche und Staat im Mittelalter, zwischen den weltumspannendenKartellen in der Gegenwart, haben sie weder einander umgebracht, noch fusionieren sie sich vllig.Beides wre das Ende der Herrschaft, die den Antagonismus in sich selbst erhalten mu, wenn sie denzu den Beherrschten ertragen soll. Das Weltkartell ist unmglich, es schlge sogleich in die Freiheit um.Die paar groen Monopole, die bei gleichen Fabrikationsmethoden und Erzeugnissen ihre Konkurrenzaufrechterhalten, geben das Modell knftiger auenpolitischer Konstellationen ab. Zwei freundlich-

    feindliche Staatenblocks wechselnder Zusammensetzung knnten die ganze Welt beherrschen, ihrerGefolgschaft auf Kosten der halb-kolonialen und kolonialen Massen neben dem Fascio auch bessereRationen bieten und in ihrer gegenseitigen Bedrohung immer neue Grnde zum Fortgang derAufrstung finden. Die Ausdehnung der Produktion, die durch die brgerlichen Eigentumsverhltnissezuerst beschleunigt und spter hintan gehalten wurde, entspricht an sich noch keineswegs denmenschlichen Bedrfnissen. Heute wird sie zugunsten der Herrschaft gelenkt. Die Bume sollen nicht inden Himmel wachsen. Solange auf der Welt noch Knappheit am Notwendigen, ja nur an Luxusmittelnbesteht, nehmen die Herrschenden die Gelegenheit wahr, Personen und Gruppen, nationale und sozialeSchichten, voneinander zu isolieren und ihre eigene Fhrerrolle zu reproduzieren. Die Brokratiebekommt den konomischen Mechanismus wieder in die Hand, der unter der Herrschaft des reinenProfitprinzips der Bourgeoisie entglitt. Der fachwissenschaftliche Begriff der konomie, der im Gegensatzzu ihrer Kritik mit dem Markt im Schwinden begriffen ist, enthlt keine weiteren Einwnde gegen dieExistenzfhigkeit des Staatskapitalismus als die, welche Mises und die Seinen gegen den Sozialismusvorbrachten. Sie leben heute gerade noch vom Kampf gegen die sozialen Reformen in demokratischenLndern und haben vollends ihr Gewicht verloren. Der Kern der liberalistischen Einwnde bestand auswirtschaftstechnischen Bedenken. Ohne einigermaen unbehindertes Funktionieren der altenMechanismen von Angebot und Nachfrage sollten unproduktive von produktiven industriellenVerfahrungsweisen nicht zu unterscheiden sein. Die beschrnkte Gescheitheit, die sich auf solcheArgumente gegen die Geschichte versteift, war so sehr dem Bestehenden verpflichtet, da sie seinenTriumph im Faschismus bersah. Der Kapitalismus hat eine Frist, auch nachdem seine liberalistischePhase vorber ist. Die faschistische freilich ist von denselben konomischen Tendenzen durchherrscht,die schon den Markt vernichteten. Nicht etwa die Unmglichkeit der Rechnungslegung, sondern dieinternationale Krise, welche der autoritre Staat perpetuiert, lt der unter seinen Formenverkommenden Menschheit keine Wahl mehr. Das ewige System des autoritren Staats, wie furchtbar esauch droht, ist nicht realer als die ewige Harmonie der Marktwirtschaft. War der Tausch vonquivalenten noch eine Hlle der Ungleichheit, so ist der faschistische Plan schon der offene Raub.

    Die Mglichkeit heute ist nicht geringer als die Verzweiflung. Der Staatskapitalismus als jngste Phasehat mehr Krfte in sich, die wirtschaftlich zurckgebliebenen Territorien der Erde zu organisieren, als die

    vorhergehende, deren magebende Reprsentanten ihre verminderte Kraft und Initiative zur Schaustellen. Sie werden von der Angst bestimmt, ihre profitable soziale Stellung zu verlieren. Sie wolltengerne alles tun, um sich die Hilfe des zuknftigen Faschismus nicht auf die Dauer zu verscherzen. In ihm

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    erscheint ihnen die regenerierte Gestalt der Herrschaft, sie ahnen die Kraft, die bei ihnen am Versiegenist. Der seit Jahrhunderten akkumulierte Reichtum und die ihm zugehrige diplomatische Erfahrungwird darauf verwandt, da die legitimen Beherrscher Europas seine Vereinigung selbst kontrollieren undden integralen Etatismus noch einmal drauen halten. Sowohl durch solche Rckflle wie durchVersuche, wirkliche Freiheit herzustellen, kann die ra des autoritren Staats unterbrochen werden.Diese Versuche, die ihrem Wesen nach keine Brokratie dulden, knnen nur von den Vereinzeltenkommen. Vereinzelt sind alle. Die verdrossene Sehnsucht der atomisierten Massen und der bewute

    Wille der Illegalen weist in dieselbe Richtung. Genau so weit wie ihre Unbeirrbarkeit ging auch infrheren Revolutionen der kollektive Widerstand, der Rest war Gefolgschaft. Es fhrt eine Linie von denlinken Gegnern des Etatismus Robespierres zum Komplott der Gleichen unter dem Directoire. Solangedie Partei noch eine Gruppe, ihren antiautoritren Zielen noch nicht entfremdet ist, solange dieSolidaritt nicht durch Gehorsam ersetzt wird, solange sie die Diktatur des Proletariats noch nicht mitder Herrschaft der gerissensten Parteitaktiker verwechselt, wird ihre Generallinie von eben denAbweichungen bestimmt, von denen sie als herrschende Clique sich freilich rasch zu subern wei.Solange die Avantgarde ohne periodische Suberungsaktionen zu handeln vermag, lebt mit ihr dieHoffnung auf den klassenlosen Zustand. Die zwei Phasen, in denen nach dem Wortlaut der Tradition ersich verwirklichen soll, haben mit der Ideologie, die heute der Verewigung des integralen Etatismusdient, nur wenig zu tun. Weil die unbegrenzte Menge der Konsum- und Luxusmittel noch als ein Traumerscheint, soll die Herrschaft, die bestimmt war, in der ersten Phase abzusterben, sich versteifen drfen.Gesichert durch schlechte Ernten und Wohnungsnot verkndet man, die Regierung der Geheimpolizeiwerde verschwinden, wenn das Schlaraffenland verwirklicht sei. Engels ist dagegen ein Utopist, er setztdie Vergesellschaftung und das Ende der Herrschaft in eins: Der erste Akt, worin der Staat wirklich alsReprsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen derGesellschaft - ist zugleich sein letzter selbstndiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt indie gesellschaftlichen Verhltnisse wird auf einem Gebiet nach dem anderen berflssig und schlftdann von selbst ein. [8] Er hat nicht daran geglaubt, da die unbegrenzte Steigerung der materiellenProduktion die Voraussetzung einer menschlichen Gesellschaft und die klassenlose Demokratie erst dannerreichbar sei, wenn die ganze Erde vollends mit Radios und Traktoren bevlkert ist. Die Praxis hat dieTheorie zwar nicht widerlegt, aber interpretiert. Eingeschlafen sind die Feinde der Staatsgewalt, nurnicht von selbst. Mit jedem Stck erfllter Planung sollte ursprnglich ein Stck Repression berflssigwerden. Statt dessen hat sich in der Kontrolle der Plne immer mehr Repression auskristallisiert. Ob dieProduktionssteigerung den Sozialismus verwirklicht oder liquidiert, kann nicht abstrakt entschiedenwerden.

    Das Entsetzen in der Erwartung einer autoritren Weltperiode verhindert nicht den Widerstand. DieAusbung von Verwaltungsfunktionen durch eine Klasse oder Partei kann nach der Abschaffung jedes

    Privilegs durch Formen einer klassenlosen Demokratie ersetzt werden, die vor der Erhhung vonadministrativen zu Machtpositionen behten knnen. Wenn ehemals die Bourgeoisie ihre Regierungendurch das Eigentum bei der Stange hielt, wird in einer neuen Gesellschaft die Verwaltung nur durchunnachgiebige Selbstndigkeit der Nichtdelegierten davon abzuhalten sein, in Herrschaft umzuschlagen.Die Gefolgschaften bilden schon heute fr den autoritren Staat keine geringere Gefahr als die freienArbeiter fr den Liberalismus. Bankerott ist der Glaube daran, da man etwas hinter sich hat. Ihmhuldigen auch nicht wenige Marxisten. Ohne das Gefhl, mit einer groen Partei, einem allverehrtenFhrer, der Weltgeschichte oder wenigstens der unfehlbaren Theorie zu sein, funktionierte ihrSozialismus nicht. Die Hingabe an marschierende Massen, die beseligte Einordnung in die Kollektivitt,der ganze Philistertraum, den Nietzsches Verachtung getroffen hat, feiert bei den autoritrenJugendverbnden frhliche Auferstehung. Die Revolution, die ein Beruf war wie die Wissenschaft, hat insGefngnis oder nach Sibirien gefhrt. Seit dem Sieg aber winkt auch eine Laufbahn, wenn nirgendwosonst, dann wenigstens in den Parteihierarchien. Es gibt nicht blo Professoren sondern auchRevolutionre von Prominenz. Der publizistische Betrieb assimiliert die Revolution, indem er ihre Spitzenin die Liste der groen Namen aufnimmt. Der Vereinzelte aber, der von keiner Macht berufen und

    gedeckt ist, hat auch keinen Ruhm zu erwarten. Dennoch ist er eine Macht, weil alle vereinzelt sind. Siehaben keine Waffe als das Wort. Je mehr es von den Barbaren drinnen und den Kulturfreunden drauenverschachert wird, um so mehr kommt es doch wieder zu Ehren. Die ohnmchtige uerung imtotalitren Staat ist bedrohlicher als die eindrucksvollste Parteikundgebung unter Wilhelm II. Da diedeutschen Geistigen nicht lange brauchen, um mit der fremden Sprache umzuspringen wie mit dereigenen, sobald diese ihnen die zahlenden Leser sperrt, rhrt daher, da ihnen Sprache immer schonmehr im Kampf ums Dasein als zum Ausdruck der Wahrheit diente. Im Verrat der Sprache an denVerkehr aber kndigt ihr Ernst sich aufs neue an. Es ist, als frchteten sie, die deutsche Sprache knnesie am Ende doch weiter treiben, als ihnen mit ihrer tolerierten Existenz und den berechtigtenAnsprchen der Mzenaten vereinbar dnkt. Die Aufklrer hatten viel weniger zu riskieren. IhreOpposition harmonierte mit den Interessen der Bourgeoisie, die damals schon keine geringe Machtbesa. Voltaire und die Enzyklopdisten hatten ihre Beschtzer. Jenseits jener Harmonie erst tat keinMinister mehr mit. Jean Meslier mute zeit seines Lebens schweigen, und der Marquis hat das seine inGefngnissen verbracht. Wenn aber das Wort ein Funke werden kann, so hat es heute noch nichts in

    Brand gesteckt. Es hat berhaupt nicht den Sinn von Propaganda und kaum den des Aufrufs. Estrachtet auszusagen, was alle wissen und zu wissen sich verbieten, es will nicht durch versierteAufdeckung von Zusammenhngen imponieren, die nur die Mchtigen wissen. Der stellungslose Politiker

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    der Massenpartei aber, dessen rhetorisches Pathos vom starken Arm verklungen ist, ergeht sich heute inStatistik, Nationalkonomie und inside stories. Seine Rede ist nchtern und wohlinformiert geworden. Erbehlt den angeblichen Kontakt mit der Arbeiterschaft und drckt sich in Exportziffern und Ersatzstoffenaus. Er wei es besser als der Faschismus und berauscht sich masochistisch an den Tatsachen, die ihndoch verlassen haben. Wenn man sich schon auf gar nichts Gewaltiges mehr berufen kann, mu dieWissenschaft herhalten.

    Wem an der menschlichen Einrichtung der Welt liegt, der kann auf keine Appellationsinstanz blicken:weder auf bestehende noch auf zuknftige Macht. Die Frage, was man mit der Macht anfangen soll,wenn man sie einmal hat, dieselbe Frage, die fr die Brokraten der Massenpartei hchst sinnvoll war,verliert im Kampf gegen sie ihre Bedeutung. Die Frage setzt den Fortbestand dessen voraus, wasverschwinden soll; die Verfgungsgewalt ber fremde Arbeit. Wenn die Gesellschaft in Zukunft wirklichnicht mehr durch vermittelten oder unmittelbaren Zwang funktionieren, sondern aus bereinkunft sichselbst bestimmen wird, so lassen die Ergebnisse der bereinkunft sich nicht theoretisch vorwegnehmen.Entwrfe fr die Besorgung der Wirtschaft ber das hinaus, was im Staatskapitalismus schon vorliegt,knnen einmal ntzlich werden. Das Nachdenken heute, das der vernderten Gesellschaft dienen soll,darf aber nicht berspringen, da in der klassenlosen Demokratie das Ausgedachte weder durch Gewaltnoch durch Routine vorweg zu oktroyieren ist, sondern seiner Substanz nach der bereinkunft selbervorbehalten bleibt. Dies Bewutsein wird keinen, der zur Mglichkeit der vernderten Welt steht, davonabhalten, zu berlegen, wie die Menschen am raschesten ohne Bevlkerungspolitik und Strafjustiz, ohneMusterbetriebe und unterdrckte Minoritten leben knnen. Zwar ist es fraglicher, als neuhumanistischeDeutsche sich ahnen lassen, ob die Absetzung der autoritren Brokratien mit Volksfesten der Rache

    verbnden sein wird. Wenn aber die Entmachtung der Herrschenden sich nochmals unter Terroraktenvollzieht, so werden die Vereinzelten leidenschaftlich darauf dringen, da sie ihre Bestimmung erfllt.Nichts auf der Erde vermag lnger die Gewalt zu rechtfertigen, als da es ihrer bedarf, das Ende derGewalt herbeizufhren. Wenn die Gegner damit recht haben, da nach dem Sturz des faschistischenTerrorapparates nicht blo fr einen Augenblick sondern fr die Dauer das Chaos anbrche, bis einneuer an seine Stelle tritt, so ist die Menschheit verloren. Die Behauptung, da ohne neue autoritreBrokratie die Maschinen, die Wissenschaft, die technischen und administrativen Methoden, die gesamteVersorgung, zu der man im autoritren Staat gekommen ist, vernichtet wrden, ist ein Vorwand. Ihreerste Sorge, wenn sie an die Freiheit denken, ist die neue Strafjustiz, nicht ihre Abschaffung. DieMassen, heit es in einem Pamphlet mit >Schulungsmaterial

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    Fhrungsqualitt der Partei, kurz die Kategorien der wahrscheinlich notwendigen Repression deckenso genau den realistischen Vordergrund, da das Bild am Horizont, auf das die sozialistischen Politikerhinweisen, als Fata Morgana verdchtig ist. Wie jene liberalen Kritiker des Strafvollzugs, die einebrgerliche Revolution ins Justizministerium beruft, gewhnlich nach zwei Jahren mde werden, weil ander Macht der Provinzbeamten ihre Krfte erlahmen, scheinen die Politiker und Intellektuellen durch dieZhigkeit des Bestehenden zermrbt zu sein. Vom Faschismus und mehr noch vom Bolschewismus wrezu lernen gewesen, da eben, was der nchternen Sachkenntnis verrckt erscheint, zuweilen das

    Gegebene ist und die Politik, nach einem Hitlerschen Wort, nicht die Kunst des Mglichen sondern desUnmglichen. Zudem ist, worum es geht, lang nicht so wider die Erwartung, wie man gern glaubenmachte. Damit die Menschen einmal solidarisch ihre Angelegenheiten regeln, mssen sie sich weitweniger verndern, als sie vom Faschismus gendert wurden. Es wird sich zeigen, da die borniertenund verschlagenen Wesen, die heute auf menschliche Namen hren, bloe Fratzen sind, bsartigeCharaktermasken, hinter denen eine bessere Mglichkeit verkommt. Sie zu durchdringen mu dieVorstellung eine Kraft besitzen, die ihr freilich der Faschismus entzogen hat. Sie wird von derAnstrengung absorbiert, deren jeder einzelne bedarf, um weiter mitzumachen. Aber die materiellenBedingungen sind erfllt. Bei aller Notwendigkeit von bergang, Diktatur, Terrorismus, Arbeit, Opferhngt das andere einzig noch vom Willen der Menschen ab. Was vor wenigen Jahrzehnten offiziell alsunberwindliche technische oder organisatorische Schranke verkndet wurde, ist, fr jeden sichtbar,durchbrochen. Daher wurden die simplen Wirtschaftslehren, die so kurze Beine hatten, durchphilosophische Anthropologien abgelst. Wenn man Strmpfe aus der Luft machen kann, mu manschon zum Ewigen im Menschen greifen, nmlich psychologische Wesenheiten als Invarianten verklren,um die Ewigkeit der Herrschaft darzutun.

    Da selbst die Feinde des autoritren Staats Freiheit nicht mehr denken knnen, zerstrt dieKommunikation. Sprache ist fremd, in der man nicht seinen eigenen Impuls erkennt oder die ihn nichtentzndet. Darum gibt die nichtkonformistische Literatur der Bourgeoisie ihr heute nicht einmal mehrein rgernis; sie hat Tolstoi auf den Tonfilm und Maupassant in den Drugstore gebracht. Nicht blo dieKategorien, in denen die Zukunft darzustellen, auch die, in denen die Gegenwart zu treffen ist, sindideologisch geworden. So unmittelbar ist die Verwirklichung schon heute spruchreif, da man nichtmehr sprechen kann. Mit Recht erweckt der Gedanke, der schwer nutzbar zu machen und zu etikettierenist, strkeres Mitrauen bei den Instanzen von Wissenschaft und Literatur als das Bekenntnis selbst zueiner marxistischen Doktrin. Die Gestndnisse, zu denen man ihn unter dem Vorfaschismus durchgtliches Zureden verlocken mchte, um ihn nachher fr immer los zu sein - heraus mit der Sprache! -wren nutzlos auch fr die Beherrschten. Die Theorie hat kein Programm fr die nchsteWahlkampagne, ja noch nicht einmal eines fr den Wiederaufbau Europas, den die Fachmnner schonbesorgen werden. Der Bereitschaft zum Gehorsam, die sich auch an das Denken heranmacht, vermag sie

    nicht zu dienen. Bei aller Eindringlichkeit, mit der sie den Gang des gesellschaftlichen Ganzen bis zu denfeinsten Differenzen zu verfolgen sucht, kann sie den einzelnen die Form ihrer Resistenz gegen dasUnrecht nicht vorschreiben. Denken selbst ist schon ein Zeichen der Resistenz, die Anstrengung, sichnicht mehr betrgen zu lassen. Denken steht nicht gegen Befehl und Gehorsam schlechthin, sondernsetzt sie jeweils zur Verwirklichung der Freiheit in Beziehung. Gefhrdet ist diese Beziehung. Dasauszudrcken, was den Revolutionren in den letzten Jahrzehnten geschehen ist, sind soziologische undpsychologische Begriffe zu oberflchlich: die Intention auf Freiheit ist beschdigt, ohne die wederErkenntnis noch Solidaritt noch ein richtiges Verhltnis zwischen Gruppe und Fhrer denkbar ist. Wennes kein Zurck zum Liberalismus gibt, so scheint die richtige Form der Aktivitt die Frderung desStaatskapitalismus zu sein. Daran mitzuarbeiten, ihn auszubreiten und berall bis zu den avanciertestenFormen weiter zu treiben, biete den Vorzug der Fortschrittlichkeit und alle Gewhr des Erfolges, die manfr die politique scientifique nur wnschen mag. Weil das Proletariat von den alten Mchten nichts mehrzu erwarten habe, bleibe nichts brig als der Bund mit den neuen. Damit, da die Planwirtschaft, die dieFhrer und Vter der Vlker machen, von der sozialistischen weniger entfernt ist als der Liberalismus,soll das Bndnis von Fhrern und Proletariern begrndet werden. Es sei sentimental, der Erschlagenen

    wegen sich dauernd negativ zum Staatskapitalismus zu stellen. Die Juden seien schlielich meistensKapitalisten gewesen, und die kleinen Nationen htten keine Existenzberechtigung mehr. DerStaatskapitalismus sei das heute Mgliche. Solange das Proletariat seine eigene Revolution nicht mache,sei ihm und seinen Theoretikern keine Wahl gelassen, als dem Weltgeist auf dem Weg zu folgen, den ernun einmal gewhlt hat. Solche Stimmen, an denen es nicht fehlt, sind nicht die dmmsten, nichteinmal die unehrlichsten. Soviel ist wahr, da mit dem Rckfall in die alte Privatwirtschaft der ganzeSchrecken wieder von vorne unter vernderter Firma beginnen wrde. Aber das historische Schemasolcher Raisonnements kennt nur die Dimension, in der sich Fortschritt und Rckschritt abspielt, es siehtvom Eingriff der Menschen ab. Es veranschlagt sie blo als das, was sie im Kapitalismus sind: als sozialeGren, als Sachen. Solang die Weltgeschichte ihren logischen Gang geht, erfllt sie ihre menschlicheBestimmung nicht.

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    Aus: Gunselin Schmid Noerr (Hrsg.): Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Band 5: "Dialektik derAufklrung" und andere Schriften 1940-1950, Frankfurt/M. 1987, S. 293-319.

    [1] Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, Berlin 1924, S. 46 u. 47. Vgl. HerrnEugen Dhrings Umwlzung der Wissenschaft, 10. Aufl., Stuttgart 1919, S.298 ff.

    [2] Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, a.a.O., S. 55.

    [3] Bouchez et Roux, Histoire Parlementairc de la Revolution Francaise, tome 10, Paris 1834, S. 194.

    [4] Vgl. die Arbeiten von A. Mathiez, besonders La Reaction Thermidorienne, Paris 1929, S. l ff. und Contributions alHistoire Religieuse de la Revolution Francaise, Paris 1907.

    [5] Dante, Gttliche Komdie, >Fegefeuer