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Leseprobe aus: Jörg Berger Meine zwei Halbzeiten Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Meine zwei Halbzeiten - rowohlt.de · Des halb be ka men nur die je ni gen DDR-Bür ger eine Aus rei se ge-neh mi gung dort hin, die be son ders pri vi le giert, li nien treu und

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Leseprobe aus:

Jörg Berger

Meine zwei Halbzeiten

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Inhalt

Erste Halbzeit – Die Flucht

1 Fahrkarte in der Socke 9 2 Mit falschem Pass im Haschisch-Express 20 3 Hochhaustorte und Pioniergrüße 35 4 Hätte man doch nur mich die Mauer bauen lassen 52 5 In der Kaderschmiede 73 6 Thüringer Klöße treffen zielsicher Honeckers « Bonbon » 85 7 Zum Lügen gezwungen 97 8 Weggeschlossen 111 9 Nadja, die schicksalhafte Schrankwand 12610 Abschied auf dem Dachboden 137

Zweite Halbzeit – Gefährlicheres Leben im Westen

11 Der Russe steht vor der Tür 14912 Verhinderte Heirat im Rotlichtbezirk 15713 « Ich komme nicht aus dem Osten, ich bin Deutscher ! » 17114 Wir sind beim Sport und nicht im Puff 18215 Vergiftung im Auftrag der Stasi 20016 Statt einen Vater einen Hauptgewinn :

drei Tage mit einem Bundesligatrainer 21917 Türmen auf Türkisch 242

Verlängerung

18 Und immer wieder Krebs 255Postskriptum, November 2008 265

Dank 268Chronik des sportlichen Werdegangs 269Quellennachweis der Abbildungen 270

Ers te Halb zeit

Die Flucht

1 Fahr kar te in der So cke

Eine Postkarte aus Subotica.

Die Originalfahrkarte Subotica–Belgrad.

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Flug ha fen Ber lin-Schö ne feld, 25. März 1979. Nach fast drei Jah-ren « West-Ver bot » durf te ich mei ne Fuß ball mann schaft nach Ju-go sla wien be glei ten – aus DDR-Sicht so etwas wie ein « ka pi ta-lis ti sches Aus land », für mich das Tor zu ei nem an de ren Le ben. Ti tos Viel völ ker staat misch te so zia lis ti sche Wirt schafts prin zi pi en mit markt wirt schaft li chen; zu dem war das Land au ßen po li tisch neu tral, sei ne Gren ze nach West eu ro pa nicht so ab ge schot tet. Des halb be ka men nur die je ni gen DDR-Bür ger eine Aus rei se ge-neh mi gung dort hin, die be son ders pri vi le giert, li nien treu und mög lichst ver hei ra tet wa ren. Zu min dest die letz te Vo raus set zung konn te ich nicht er fül len. Seit meiner Scheidung hat ten mich die Sportfunktionäre für un ge eig net ge hal ten, jun gen Spie lern ein so zia lis ti sches Vor bild zu sein, gingen sie da von aus, ich wür de Re pu blik und Par tei ver-ra ten, in dem ich im Wes ten blieb, wenn sich eine Mög lich keit bot. Es grenz te fast an ein Wun der, dass ich an die sem Mon tag mit da bei sein durf te. Im mer hin galt es, den « Klas sen auf trag » zu er fül len. Mit ei nem Sieg mei ner U23, der Na tio nal mann schaft der unter Drei und zwan zig jäh ri gen, zu zei gen, dass der So zia lis-mus dem Ka pi ta lis mus über le gen war. Das war mir je doch völ lig gleich gül tig. Mich in te res sier te ge nau das, was man jah re lang zu ver hin dern ge sucht hat te : eine Flucht in die Bun des re pu blik. Ich wuss te nur nicht, wie ich es an stel len soll te. Noch auf der Gang way ins Flug zeug dach te ich, gleich wür de mich ei ner der Sportfunktionäre zu rück pfei fen, es wä re nicht das ers te Mal ge we sen. « Aus de le gie ren » war die of fi ziel le Be zeich nung für die ses Vor ge hen. Den Spie lern muss te ich in sol chen Fäl len Lü gen auf ti schen, Lü gen, mit denen ich nicht mehr le ben woll te. Sie soll ten da zu bei tra gen, dass die Mann schaft durch mei ne plötz-li che Ab we sen heit nicht ver un si chert wur de, die be vor ste hen de Be geg nung mit ei nem Feind-Ver ein ver lor. Aber dies mal er schien nie mand, um mich aus dem Flie ger zu ho len. Die Ma schi ne war klein, wir muss ten eng bei ei nan dersit zen.

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Be glei tet wur den wir von ei ner De le ga tion, mit der ich noch nie unter wegs ge we sen war. Wolf gang Riedel, der Lei ter, galt als hun dert fünf zig pro zen tig par tei treu und war ein per fekt ge schul-ter Hard liner. Auf mich mach te er kei nen an ge neh men Ein druck, eine Zu sam men arbeit mit ihm schien nicht leicht zu sein. Ihm zur Sei te stand Klaus Pe ters dorf, das ab so lu te Gegen teil von Riedel. Schon äu ßer lich pass ten die bei den nicht zu sam men. Pe ters dorf war groß ge wach sen, gut aus se hend und hat te ei nen freund li chen, sym pa thi schen Ge sichts aus druck. Es zeig te sich dann auch, dass man mit ihm zu recht kom men konn te. Als ich die Mit tei lung er hielt, dass ich als Trai ner bei dem Län-der spiel gegen die ju go sla wi sche Mann schaft da bei sein wür de, stand für mich au ßer Fra ge : « Die se Mög lich keit lässt du dir nicht ent ge hen, um ab zu hau en. » Doch kurz da rauf er fuhr ich et-was, das mir für ei ni ge Näch te den Schlaf raub te. Lutz Eigen dorf, zwei und zwan zig jäh ri ger Spie ler beim BFC Dy na mo und ei nes der größ ten Ta len te der DDR, war fünf Ta ge zu vor, am 20. März, von ei nem Freund schafts spiel beim 1. FC Kai sers lau tern nicht zu rück-ge kehrt. Es hieß, « sport feind li che Kräf te » aus dem NSW, dem Nicht so zia lis ti schen Wirt schafts ge biet, hät ten ihn ab ge wor ben. Als ich das hör te, dach te ich nur : Ist der ver rückt, muss der ge-ra de jetzt flüch ten ? Eigen dorf war doch bei ge nü gend inter na tio-na len Be geg nun gen da bei ge we sen, um dies schon frü her tun zu kön nen. Seit die sem Vor fall wur de von ihm als ei nem « Ver bre cher », ei-nem « Ver rä ter », ge spro chen, der die Re pu blik und den Fuß ball im Stich ge las sen hät te. Und es war klar : Wir hat ten in Ju go sla-wien mit schärfs ter Über wa chung zu rech nen – nicht die bes te Aus gangs si tu a tion für mich. Nach ei nem gut zwei stün di gen Flug lan de ten wir bei war mer März son ne in Belgrad. Die Pass kon trol le ver lief oh ne Schwie rig-kei ten, an schlie ßend stie gen wir in ei nen Bus, der uns nach Subo-tica brin gen soll te, dem Aus tra gungs ort des Län der spiels. Unse re

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De le ga tion war in zwi schen um drei Ge nos sen ver grö ßert wor den, be stimmt Si cher heits leu te – eine Aus wir kung von Eigen dorfs Re-pu blik flucht. Subotica lag un ge fähr zwei hun dert Ki lo me ter nörd lich von der ju go sla wi schen Haupt stadt ent fernt; die Ort schaft be fin det sich heu te in Ser bien, na he der un ga ri schen Gren ze. End lo se Fel der mit dunk ler Er de zo gen an mir vor bei, bald wür den sie lang sam grün wer den. Ich muss te auf pas sen, nicht zu nach denk lich zu wir ken. Bloß nicht auf fal len – noch ein ein zi ges Mal muss te ich mir das ab ver lan gen. In der Ver gan gen heit hat te ich mich stets un kom pli ziert und fröh lich ge ge ben, das soll te mir doch auch auf die ser Sport rei se ge lin gen. Schließ lich hielt der Bus gegen halb fünf Uhr nach mit tags vor dem Ho tel Pa tria. Ein ty pi scher Kas ten bau, nichts Be son de res. Nach dem al le aus ge stie gen wa ren, drück te mir der De le ga tions-lei ter eine Lis te mit der Raum ver tei lung in die Hand. Nor ma ler-wei se war die Zu ord nung von Spie lern und Ho tel zim mern eine Ent schei dung des Trai ners. Sie mir ab zu neh men, ge hör te an schei-nend zu den Vor sichts maß nah men. Bei der Lis te fiel auf, dass nie-mals zwei Spie ler aus dem sel ben Ver ein ei nen Raum teil ten. Auf die se Wei se, so hoff te man wohl, soll te eine ge mein sa me Flucht, eine gegen sei ti ge De ckung ver hin dert wer den. Per fekt durch-dacht, na he zu. Ähn lich auf fal lend : Nor ma ler wei se wur den wir wäh rend ei nes Ho tel auf ent halts auf meh re re Stock wer ke ver teilt, die ses Mal aber be leg ten wir sämt li che Zim mer auf ei ner ein zi gen Eta ge, näm lich der drit ten. Ge schlos se ne An stalt. Am Abend aßen wir mit der ge sam ten Trup pe im Spei se saal des Ho tels, an schlie ßend er hiel ten wir die Er laub nis, auf unse re Zim mer zu ge hen. Ich hat te ei nes für mich al lein, sonst muss te ich es mir im mer mit ei nem Funk tio när oder Co-Trai ner tei len. An ge sichts der Situation ge ra de zu ein Pla nungs feh ler. Der nächs te Tag, der Diens tag, war straff durch or ga ni siert : vor-

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mit tags Trai ning, nach mit tags Trai ning, da zwi schen Mit tag es sen und an dert halb Stun den zum Aus ru hen. In die ser Zeit muss te ich mei nem Ziel näherkommen. Bei unse rer An rei se wa ren wir an dem Bahn hof von Subotica vor bei ge fah ren, er lag nicht weit vom Ho tel ent fernt. Seit dem je-der von uns ein Ta schen geld in Hö he von 300 Di na ren aus ge hän-digt be kom men hat te, wuss te ich, was zu tun war. Zu Fuß mach te ich mich auf, um zu die sem Bahn hof zu ge lan gen. Mein Orien tie-rungs sinn ließ mich nicht im Stich, und ich er reich te mein Ziel oh ne grö ße re Um we ge. Am Schal ter lös te ich von mei nem ju go sla wi schen Geld eine Ein fach fahr kar te Subotica–Belgrad. Da ich Rus sisch durch den Schul unter richt min des tens so gut spre chen und ver ste hen konn te wie der Bahn an ge stell te, war der Kauf in der « Bru der spra-che » schnell ab ge wi ckelt. Ich er fuhr, dass es ei nen Zug aus Bu-da pest in Richtung der jugoslawischen Hauptstadt gab, der an jedem Werk tag mor gens um fünf Uhr in Subotica hielt. Die Fahr-kar te selbst mit der Auf schrift « Beo grad » war zwei Ta ge gül tig. Als ich sie in den Hän den hielt, blick te ich mich um. Ich konn te nichts Auf fäl li ges ent de cken. Und der Mann in dem Park gegen über dem Bahn hof ? Dreh te der nicht schon zum zwei ten Mal eine Run de ? Schau te der nicht ver stoh len zu mir he rü ber ? War er nicht ei ner der Si cher heits leu te ? Egal, es wä re zu spät ge-we sen. Die Fahr kar te hi nunter zu schlu cken, hät te mir auch nichts mehr ge nützt. Schon der Auf ent halt auf dem « West »-Bahn hof war ver bo ten. Schweiß ge ba det steck te ich auf der Bahn hofs toi let te die klei ne brau ne Papp kar te in mei ne rech te So cke. Beim Um zie hen zum nächs ten Trai ning muss te ich al ler dings auf pas sen, dass ich die So cken nicht un be dacht aus zog. Nor ma ler wei se be nutz te ich le-dig lich Stut zen. Soll te mich je mand fra gen, wa rum ich zu sätz lich So cken trug, konn te ich im mer noch sa gen, dass mir vom vie len Rum ste hen heu te Mor gen kalt ge wor den sei.

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Das Nach mit tags trai ning ver lief oh ne Zwi schen fäl le, die Spie-ler wa ren sicht lich mo ti viert, ei nen Sieg über den Ka pi ta lis mus da von zu tra gen. Da nach be gann das Frei zeit pro gramm, ein Stadt-spa zier gang war an ge sagt. Es war in zwi schen halb sechs. Soll te ich tat säch lich am nächs ten Mor gen flie hen, wä ren es knapp zwölf Stun den bis zur Ab fahrt des Zu ges nach Belgrad. Noch hat te ich aber nicht ent schie den, ob ich vor oder nach dem Spiel das Wag nis auf mich neh men woll te. Trotz dem fing ich an, die Stun den zu zäh len. Den üb li chen De le ga tions an zug hat te ich gegen ei nen an thra-zit far be nen Roll kra gen pull over, eine schwar ze Le der ja cke, beige-far be ne Ho sen und halb ho he Stie fel ein ge tauscht. Die Fahr kar te be fand sich wei ter hin in den nun et was schwei ßi gen So cken. Auf dem Weg in die In nen stadt von Subotica blieb Klaus Pe ters dorf an mei ner Sei te. « Was machst du mit dei nem ju go sla wi schen Geld ? », frag te er. Ich über leg te fie ber haft : War das ei ne Fang-fra ge ? Hat te man wäh rend des Trai nings mei ne Sa chen durch-sucht ? Fest ge stellt, dass ich so gut wie kei ne Di na re mehr be saß ? Was soll te ich ant wor ten, da mit Pe ters dorf nicht arg wöh nisch wur de, sich spä ter nicht da rü ber wun der te, dass ich nichts ein-kau fen wür de ? Ich muss te es da rauf an kom men las sen. « Ich wer de mich nur um schau en », sag te ich. « Mein Geld möch te ich ei nem Be kann ten ge ben, der bald län ge re Zeit in Bel-grad tä tig sein wird. Er ist Mu sik fan wie ich und soll in Ru he ei-ni ge Plat ten für mich aus fin dig ma chen. » Das war zum Teil nicht ein mal ge lo gen. Je der wuss te, dass ich ein Mu sik freak war, wenn viel leicht auch nicht ge ra de Pe ters dorf – aber er schien sich mit mei ner Er klä rung zu frie denzuge ben. Jeden-falls hak te er nicht wei ter nach. Spä ter, be fragt über mei ne Flucht, mach te er nur eine ein zi ge Aus sa ge : Ihm sei auf ge fal len, dass ich kein Geld aus ge ge ben hät te. In den nächs ten zwei Stun den wur de der Programmpunkt « Stadt spa zier gang » abgehakt. Das hieß : mit der gan zen Trup pe

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rein in ein Kauf haus und mit der gan zen Trup pe wie der raus aus dem Kauf haus. Im Al lein gang durch die Stra ßen zu ge hen oder et was zu be sich ti gen – das wä re in die ser po li tisch hei ßen Zeit nach dem « Ver rat » ei nes Vor zei ge spie lers wie Lutz Eigen dorf nicht denk bar ge we sen. Auf ein mal hör te ich, wie Pe ters dorf sag te, die Spie ler dürften noch ins Ki no, und zwar in Be glei tung unse res Mann schafts mas-seurs, die « Of fi ziel len » wie der um sei en ein ge la den zu ei nem Ban-kett der ju go sla wi schen De le ga tion. Ich zähl te zu den « Of fi ziel-len ». Ein Ban kett in Ju go sla wien war im Prin zip das gleiche wie die Fest es sen in so zia lis ti schen Län dern; es han del te sich um ein Zu-sam men sein von Funk tio nä ren. Nur schmeck ten die Spei sen bes-ser, denn wir wa ren ja im « Wes ten ». Was die Men ge an aus ge-schenk tem Al ko hol be traf, konn te ich je doch kei nen Unter schied aus ma chen. « Mensch, Jörg, mor gen ist zwar das Län der spiel, aber du kannst ru hig mit uns an sto ßen. » Im mer wie der be kam ich so et was zu hö ren, im mer wie der wur de mir das Schnaps glas nach ge füllt. Da ich bei Al ko hol da mals sel ten nein sagte, fiel mei ne Zu rück hal-tung schon auf. Aber ich woll te un be dingt nüch tern blei ben. Ein- oder zweimal leer te ich das Wod ka glas, an sons ten schüt te te ich den In halt ein fach unter den Tisch. Es hat te sich schon eine an-sehn li che Pfüt ze unter mei nem Stuhl ge bil det. Schließ lich sag te ich re so lut : « Beim bes ten Wil len, ich kann nicht mehr. Mir geht es nicht so gut, ich hab Zahn schmer zen. » Ein bes se rer Vor wand war mir nicht ein ge fal len. Gegen 23 Uhr war das Ban kett be en det, eine Stun de spä ter soll te eine Zu sam men kunft der « Ge nos sen » statt fin den. In die ser freien Stun de pro bier te ich un zäh li ge Ma le, mei ne Zim mer tür ge-räusch los auf- und wie der zu zu ma chen. Am En de hat te ich den Dreh raus. Mit ter nacht. Es wur de Zeit für die Sit zung. Riedel brach te uns

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noch ein mal den Fall Eigen dorf in Er in ne rung : « Ge nos sen, wir müs sen wach sam sein, be son ders nach dem Län der spiel. Aus die-sem Grund wird es in der Nacht nach der Be geg nung, al so von Mitt woch auf Don ners tag, in den Gän gen unse res Ho tels Kon trol-len ge ben. Wir wer den al les da für tun, dass unse re De le ga tion ge-schlos sen und oh ne Zwi schen fäl le in die DDR zu rück reist. » Da-mit war die Ent schei dung ge fal len : Ich muss te heu te in den Zug stei gen, mor gen wür de es zu ge fähr lich sein. Als Ers ter ver ab schie de te ich mich aus der Funktionärs run de, wie der hol te, dass ich Zahn schmer zen hät te, völ lig er le digt sei. Mir war klar, dass Riedel und Pe ters dorf nach mei nem Ab gang über mich re den wür den, da rü ber, wie ich mich bei mei nem ers ten Ein-satz in ei nem « west li chen » Aus land nach dem Rei se ver bot ver hal-ten hät te. Grün de für be son de re Auf fäl lig kei ten konn te ich ih nen mei ner Mei nung nach nicht ge lie fert ha ben – bis jetzt jeden falls. Wie der auf mei nem Zim mer, sah ich un ent wegt auf die Arm-band uhr. Es wur de ein Uhr, es wur de zwei Uhr. Angst hat te ich seit dem Er werb der Fahr kar te kaum ver spürt. Viel zu sehr war ich da mit be schäf tigt ge we sen, mich nicht durch ir gend ei ne Ges te, durch ein fal sches Wort zu ver ra ten. Nun war ich je doch al lein und hat te Zeit für al le mög li chen Be den ken. Wie so willst du eigent lich in den Wes ten ?, frag te ich mich, als hät te ich in den ver gan ge nen Jah ren nie darüber nachgedacht. Dir geht es gut in der DDR, du bist pri vi le giert. Du kannst im Som mer an die Ost see rei sen, im Win ter im Erz ge bir ge Ski fah ren. Nicht je der Bür ger hat dazu die Möglichkeit. Und nicht zu ver ges sen : Bei den Frau en kommst du an. Über man geln de Auf merk sam keit musst du dich nicht be kla gen, das kann im Wes ten ganz an ders aus se-hen. Hast du dir über haupt Ge dan ken da rü ber ge macht, was dich in der Bun des re pu blik er war tet ? Du hast kei ne Kon tak te ge-knüpft, kannst kei ne Adres se auf su chen, dich bei kei nem Ver ein mel den. Kei ner war tet da rauf, dass du kommst, an ders als bei Eigen dorf. Bist du eigent lich ganz bei Sin nen ?

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In zwi schen war es fast drei. Und was pas siert, wenn die Flucht miss lingt ? Ich er schrak – die se Mög lich keit hat te ich bei all mei-nen BRD-Phan ta sien ver drängt. Eine hilf rei che Me tho de, um al ler lei Bauch schmer zen von sich fernzuhal ten. Mit wie vie len Jah ren im be rüch tig ten Ge fäng nis Baut zen muss te ich eigent lich bei ei ner Ver haf tung rech nen ? Es wür den wohl ei ni ge sein. Und mei ne Kar rie re als Fuß ball trai ner ? Im mer hin konn te ich es als DDR-Coach bis zur A-Na tio nal mann schaft schaf fen. Doch da mit wä re es ein für alle Mal vor bei. Zer reiß die Fahr kar te ! Ich rauch te wie ein Schlot. Da bei war ich eigent lich kein Rau-cher, eher da für be kannt, dass ich mir hin und wie der eine Zi-ga ret te schnorr te. In mei nem Kopf ar bei te te es wei ter : Nie man-dem hat te ich von mei nen Flucht plä nen er zählt. We der mei ner Ex-Frau noch mei nem Sohn, auch mei ne El tern und die Freun de hat ten kei ne Ah nung, was mich in den letz ten Jah ren in ner lich be schäf tigt hat te. Nur mei ne Mut ter wusste et was. Noch konn te ich zu rück keh ren, und al les wür de so wei ter lau fen wie bis her. Zu-gleich tauch te im mer wie der der Fünf-Uhr-Zug nach Belgrad als Ver lo ckung auf. Wenn ich ihn nicht be stei ge, sag te ich mir, wür de ich viel leicht mei ne letz te Chan ce ver spie len, in den Wes ten zu ge lan gen. Es war kei nes wegs si cher, dass man mich nach die ser Ju go sla wien rei se wie der als Trai ner für ein ka pi ta lis ti sches Aus-land ein tei lte. Und re gu lär hät te ich erst als Rent ner in die Bun-desrepublik rei sen dür fen. Fes t stand nur eins : Wür de ich nach dem Spiel wie der mit nach Ber lin flie gen, kä me ich un wei ger lich bei ei nem wei te ren Fort kom men noch stär ker in die Fän ge des Sys tems. Das woll te ich kei nes falls. Kurz vor halb fünf. Lei se öff ne te ich mit nun ge konn tem Griff die Tür, schau te vor sich tig nach links, an schlie ßend nach rechts. Nie mand war auf dem lan gen Flur zu se hen, we der Spie ler noch Ho tel per so nal. Ich ging die Trep pen hi nunter, der Pfört ner am Ein gang des Ho tels blick te mü de hoch, als er mich sah.

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« Ich muss mal an die Luft, ich hab sol che Zahn schmer zen », sag te ich auf Deutsch. Für den Fall, dass er mich nicht ver stand, setz te ich zu dem ei nen ge quäl ten Ge sichts aus druck auf und hielt mir mit der rech ten Hand die Wan ge. Der äl te re Mann nick te nur und wand te sich wieder sei ner Zei-tung zu, die er, ihrem Aus se hen nach zu urtei len, schon mehr mals Zei le für Zei le durch ge le sen ha ben muss te. Die Idee mit den Zahn schmer zen stell te sich im mer mehr als nütz li ch he raus. Soll te mich jetzt je mand be ob ach ten und es selt sam fin den, dass ich um die se Uhr zeit das Ho tel ver ließ, so konn te ich be haup ten, sie hät ten mich da zu ge trie ben, ei nen Spa-zier gang zu ma chen. Im Prin zip glaub haft. Au ßer dem hat te ich nichts Auf fäl li ges da bei, kei ne Ta sche mit Klei dung oder an de re per sön li che Gegen stän de, ein zig mei nen Füh rer schein, den Per so-nal aus weis mit ei nem bei ge leg ten Pass foto – wer weiß, wo zu es nütz lich sein konn te – so wie den Aus weis des Deut schen Sport-bun des der DDR. Mei ne Fahr kar te in der So cke wür de man nur fin den, wenn man mich da zu zwang, mich voll kom men aus zu zie-hen. Fast hat te ich den Park, der auf den Bahn hof zu führ te, durch-quert, da zuck te ich plötz lich zu sam men. Je mand lief hin ter mir her. Kei ne Chan ce, sich noch in die Bü sche zu schla gen. Ich ver-such te ru hig wei ter zu at men, mei nen gleich mä ßi gen Schritt bei zu-be hal ten. Im nächs ten Mo ment wür de man mich pa cken, ab füh-ren und ver hö ren. In zwi schen wa ren viel leicht zwan zig Mi nu ten ver gan gen, seit dem ich das Ho tel ver las sen hat te. Der Pfört ner hat te be stimmt Mel dung ge macht, weil ich nicht in mein Zim mer zu rück ge kehrt war. Doch ich hat te Glück : Der Mann rann te an mir vor bei, Rich-tung Bahn hof. Er sah nach ei nem ju go sla wi schen Ar bei ter aus, der sei nen Früh zug nicht ver säu men woll te. Ich at me te tief durch. Noch ein mal da von ge kom men ! Das soll te ich in den nächs ten bei-den Ta gen noch häu fi ger den ken.

Als ich den Bahn hofs vor platz er reich te, setz te sich der Re gio-nal zug, auf den der Läu fer es noch ge schafft hat te auf zu sprin-gen, in Be we gung. Das gan ze Ge län de war wie leer ge fegt, kein Mensch zu se hen. An ge spannt starr te ich auf die ros ti gen Glei se. Kurz da rauf roll te der Zug aus Bu da pest ein. Pünkt lich. Ich fühl te mich au gen blick lich er leich tert. Wä re er mit gro ßer Ver spä-tung in Subotica an ge kom men, mein wei te res Le ben wä re mög li-cher wei se an ders ver lau fen. Ein lan ges War ten hät te ich be stimmt nicht aus ge hal ten, ich wä re wie der ins Ho tel zu rück ge gan gen. So aber such te ich mir ein Ab teil im mitt le ren Zu gab schnitt, damit ich von der Wag gon tür aus die Ein gangs hal le über se hen konn te. Fahr los !, dach te ich nur noch. Pa nik mach te sich auf ein-mal in mir breit, eine Pa nik, wie ich sie nie zu vor kennengelernt hat te. End lich das er lö sen de Si gnal zur Ab fahrt. Jetzt gab es end gül-tig kein Zu rück mehr !

2 Mit fal schem Pass im Ha schisch-Ex press

Der gefälschte Pass, den mir die Botschaft der Bundesrepublik in Bel-grad ausstellte.