Meister Eckhart Deutsche Predigten und Traktate

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    MEISER ECKEHARDEUSCHE PREDIGEN UND RAKAE

    Herausgegeben und bersetzt von Jose Quint

    WISSENSCHAFLICHE BUCHGESELLSCHAF DARMSAD

    PDF Erstellt von Andr Rademacher

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    MEINER MUER

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    Wer diese Rede nicht versteht, der bekmmere sein Herz nicht damit. Denn solange derMensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen. Dennes ist eine unverhllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittel

    bar.

    Meister Eckehard

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    EINLEIUNG

    Die Mystik des deutscheu Mittelalters ist eine spte Frucht der berreie des bergangsvom hohen zum spten Mittelalter, des Niedergangs der glanzvollen stauschen Ritterkul

    tur, die langsam von einer heraukommenden brgerlichen Stdtekultur abgelst wird. Esist im wesentlichen das vierzehnte Jahrhundert, das zugleich mit den Domen der Sptgotikdie voEreie Blte der deutschen Mystik erstehen sieht. Es ist eine Zeit des Umbruchs undder Krisen, da die beiden mchtigen Gewalten des Papsttums und des Kaisertums nach demSieg der groen Ppste Innozenz III. und Gregors IX. ber den letzten groen und machtvollen Stauer Friedrich II. (12121250) und nach der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit desInterregnums (12561273) einen zersetzenden Endkamp miteinander hren, voll vonWirren undWechselllen, von Bann und Interdikt, wobei die Schwchung und Erschtterungauch der ppstlichen Macht in der sog. Babylonischen Geangenschat der Ppste in Avignon

    (13091377) nur zu deutlich sichtbar wird. Der machtvolle, hierarchisch gegliederte Bau derKirche ist bedroht von Schden und Rissen, von sektiererischen und ketzerischen Bewegungen und Bestrebungen, die immer strker und unberhrbarer nach einer Reorm an Hauptund Gliedern ruen. Zugleich wird die Zeit erschttert und erschreckt durch urchtbareNaturkatastrophen, durch Verwstungen, Erdbeben und berschwemmungen, durch dasGespenst des schwarzen odes, das durch die Lande zieht und im Motiv des otentanzes,das damals erstmalig in der Kunst gestaltet wird, so schauervoll an die Hinlligkeit undVergnglichkeit alles Irdischen gemahnt. Es war jene Zeit des Herbstes des Mittelalters,in der eine an Krper und Seele geolterte Menschheit die Schauder des odes und der Ver

    wesung zutiest erlebte und durchkostete. Die glanzvolle Entaltung und der imponierendeAusbau des hochscholastischen Wissenschatssystems, wie es seine Krnung in den groenSummen des Tomas von Aquin geunden hatte, war vorbei. Neben dem die Hochscholastiktragenden und beherrschenden Realismus, r den das wahre und echte Sein der Dinge inihrem Allgemeinen, Gattungsmigen steckt und dem menschlichen Denken in seinen Gattungsbegrien abar wird, hatte der Nominalismus immer mehr an Boden gewonnen. Beiseiner starken Skepsis gegenber der Gltigkei und Reichweite menschlichen Erkennenshatte er die menschlichen Allgemeinbegrie als bloe atus, als bloen Hauch, als rei

    ne nomina bezeichnet, denen keinerlei ontisches Sein in den Dingen entsprach. Das Seinwar nur in den Individualdingen zu nden und nicht durch abstraktlogisches Denken undSchluolgern, sondern nur au Grund von Beobachtung, durch Messen und Wgen der Qualitten und Verhaltensweisen der Individualdinge. Ein neuer Geist, der Geist des modernennaturwissenschatlichen Denkens und Erkennens mittels des Experiments kndigte sich indiesem Nominalismus schon von erne an. Im Kamp der sptscholastischen Schulen undRichtungen verlor das religise Gehl und die religise Erahrung um so mehr an Strkedes Empndens und Erlebens, als sie in der sptscholastischen Teologie und Philosophiemehr und mehr Gegenstand einer begriichen und erkenntnistheoretischen Bestimmung

    und Zeraserung wurden.

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    EINLEIUNG

    In dieser Zeit der Krise brach das religise Urbedrnis nach unmittelbarer religiser Erahrung und Erschtterung in breitesten Schichten des Volkes mit elementarer Gewalt erneutau und suchte das Heil im Sektenwesen und in der Mystik. Die deutsche Mystik erblhte indiesem 14. Jahrhundert als das Heilmittel r die zu spannungsvoll gewordene Disharmoniezwischen Diesseits und Jenseits, die die Zeit zerri und die Menschen in qualvoller Angst

    vor den vermeintlich einmal wieder bevorstehenden Enddingen beunruhigte. Denn Mystikbesagt die berspannung und Beriedung dieser Disharmonie, besagt nicht ranszendenz,sondern Immanenz des Gttlichen, besagt das Innewerden Gottes in der eigenen Brust imErlebnis der unio mystica.

    Diese Mystik lag in der Lut, und sie hatte schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts in derMagdeburger Begine Mechthild von Magdeburg (um 12101283;) und in der mischen Mystikerin Suster Hadewich ( um 1260) als rgerinnen einer gehlsstarken, Bernhardisch getnten Nonnenmystik einen starken dichterisch gestalteten Ausdruck geunden, der vom

    deutschen Minnesang berachtet wurde. In den Werken dieser beiden bedeutendsten Vertreterinnen einer in den Niederlanden, zumal aber im thringischen BenediktinerinnenklosterHelta erblhenden christozentrischen und auweite Strecken visionrprophetischenFrauenmystik macht sich hie und da schon ein schwacher Ansatz zu dem bemerkbar, was manmystische Spekulation oder spekulative Mystik nennt, etwas strker schon in MechthildsFlieendem Licht in der Gottheit als in den Visionen der Hadewich. Vielleicht sind dieseschwachen Anstze zu einer mit scholastischwissenschatlichen Denkmitteln arbeitendenSpekulation oder Reexion ber die mystische Erahrung in der unio mystica schon Fruchtdessen, was Denie in seiner Abhandlung ber die Annge der Predigtweise der deutschen

    Mystiker als den eigentlichen Ansto zur Entstehung einer in zahlreichen deutschsprachigen Predigten und raktaten sich niederschlagenden mystischen Bewegung angesehen hat:die bertragung der cura monialium, d. h. der geistlichen Betreuung und Unterweisung derweiblichen Klosterinsassen des Dominikanerordens au die ratres docti dieses Ordens. Insbesondere wohl als Folge der starken RitterVerluste der Kreuzzge strmten in der zweitenHlte des 13. Jahrhunderts unzhlige verwitwete und verwaiste Frauen, zumal des hohenund niederen Adels, in die wie Pilze aus dem Boden schieenden dominikanischen Frauenklster. Diese Frauen der hheren Gesellschatsschicht besaen einen starken Bildungs

    hunger, insbesondere nach religistheologischer Unterweisung, und berdies waren vielevon ihnen von starker visionsschtiger Erregbarkeit und ot exzentrisch bersteigerter Gehlsinbrunst. Indessen htte dies wohl kaum gengt, die magistri und lectores des Dominikanerordens, denen vom Ordensgeneral Hermann von Minden 1286/1287 und vom PapstClemens IV.

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    EINLEIUNG

    1267 die cura monialium emeut bertragen und eingeschrt wurde, zur Entwicklung einerspezisch mystischen und gar spekulativmystischen Predigtweise anzuregen, wenn Mystiknicht in der Lut gelegen htte und wenn nicht die Prediger selbst jenen intuitus mysticus besessen htten, der erst zum Mystiker macht. Dietrich von Freiberg (um 1250 um 1310) sollder erste dieser ratres docti gewesen sein, wie berichtet wird, der in deutschsprachigen Pre

    digten den geistlichen kinden die Weisheit des mystischen Nichtwissens verkndet habe.Jedoch sind uns solche Predigten von ihm nicht erhalten. Der erste DominikanerPrediger,dessen hinterlassener mystischer deutscher Predigtschatz uns in groem Umang berlieert und greibar ist, ist zugleich der deutschen Mystik beredtester Verkndiger, ist ihr beiweitem berragender Geist und ihr tiester Denker, ihr einziger wirklich schperisch begabter spekulativer Kop: Meister Eckehart. Nur weniges ist uns ber seinen ueren Lebensgang bekannt, dessen Daten bis zur Hhe des reien Mannesalters nur unsicher erschlossenwerden knnen. Aber diese wenigen ueren Daten sind Marksteine des meteorhatenAustiegs eines Groen und eines dsteren Migeschicks, das jh ber seinen Lebensabend he

    reinbrach.

    Um 1260 ist Eckehart unweit Gotha in Hochheim in Tringen aus ritterlichem Geschlechtegeboren. In jungen Jahren trat er in den Konvent des Predigerordens der Dominikaner inErurt ein. Schon rh mu die Ordensleitung die berragende Begabung Eckeharts r dasLehr und Fhreramt erkannt haben, denn zwei wichtige mter zugleich hat er schon inne,als das rheste uns bekannte deutschsprachige Werk entsteht: die Reden der Unterweisung , die der vicarius von tringen, der pryor von erdortt, bruder eckhartt predierordensmit solchen kindern geredtt haud, die in diser rede ragten vil dings, da sie saen in colaczi

    onibus mit einander. Es sind ischlesungen r die Angehrigen seines Konvents, und sietragen bereits Unverkennbar die Zge des Lese und Lebemeisters in der zwingenden Gewaltseiner andringenden Sprache und dem verwegen unbeirrbaren Gri, mit dem die geheimsten Regungen in der iee des seelischen Ich blogelegt werden: Der Mensch soll sich nichtgengen lassen an einem gedachten Gott; denn, wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auchder Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaten Gott haben, der weit erhaben ist ber dieGedanken des Menschen und aller Kreatur.Die Leute brauchten nicht soviel nachzudenken, was sie tun sollten; sie sollten vielmehr

    bedenken, was sie wren. Denn die Werke heiligen nicht uns, sondern wir sollen die Werkeheiligen. Sage nicht: Ich mchte nchstens sondern: Ich will, da es jetz so sei und indiesem kratvolIst gesammelten Willen einen einzigen Schritt nach vorn getan wre besser,als ohne ihn bers Meer geahren und solltest du in diesem Willen auch einmal straucheln,la nicht ab, denn, weil dann und wann Raden unter das Korn allen, darum soll man dasedle Korn nicht verweren.

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    EINLEIUNG

    Wann diese Reden der Unterweisung entstanden sind, lt sich nicht mit Sicherheit sagen,wahrscheinlich gegen Ende des 13. Jahrhunderts, nachdem Eckehart vom Studium generaledes Ordens in Kln, wo er vielleicht noch den groen Albert den Deutschen als Lehrer gehrthat, in die thringische Heimat zurckgekehrt war. Es ist kaum begreiich, da man dieEchtheit dieser aus einzelnen ischlesungen zusammengegten Reden bezweieln konn

    te. Nicht nur die Diktion, der Rhythmus und Stil dieses Werkes verraten schon unverkennbarden spteren geeierten Prediger: auch die Kern und Grundgedanken der Reden nehmenbereits vieles von dem vorweg, was Eckehart in seinen nachmaligen Predigten verkndigenwird; ja viele dieser Gedanken stehen schon in gleicher oder doch hnlicher Formulierungin dem Erslingswerk wie im Bchlein der gttlichen rstung als der bedeutendsten undreisten deutschen Schrit des Mystikers. Das Ohr der Ordensleitung war oen r die neeines genialen Seelenanalytikers und den mitreienden Schwung seiner spannenden Rede.Man sprte, da in diesen Reden ein khner Geist seine Schwingen regte, und man entschlo sich, ihm den Raum zum Hochuge reizugeben.

    Man sandte den Bruder Eckehart im Jahre 1300 an das studium generale St. Jaques an derUniversitt Paris als der geistigen Metropole des damaligen Abendlandes. Schon nach zwei Jahren erlangte Eckehart im Jahre 1302 den Magisteritel, nachdem er als Baccalaureuspichtgem an der Pariser Universitt Vorlesungen ber die Sentenzen des Petrus Lombardus gehalten hatte. Nach seiner Rckkehr von Paris whlte das Ordenskapitel zu Erurt im Jahre 1303 den Meister, wie er nun genannt wurde, zum ersten Provinzial der neugegrndeten schsischen Ordensprovinz. Vier Jahre spter bertrug man dem bewhrtenProvinzial neben seinem hohen Amt noch das eines Generalvikars der verwaisten bhmi

    schen Provinz mit dem Autrag, eine durchgreiende Reorm der verwahrlosten bhmischenOrdenskonvente durchzuhren. Tery hat vor kurzem, wenn auch kaum berzeugendeGrnde r die Annahme vorgetragen, da Eckehart whrend der Zeit seines bhmischenVikariats sein berhmtes rostbuch r die leidgeprte Knigin Agnes von Ungarn verat hat nach der Ermordung ihres Vaters, Knig Albrechts I. von sterreich im Jahre 1308.Wer dieses Bchlein der gttlichen rstung zusammen mit dem in enger Beziehung zuihm stehenden sog. Sermon Vom edlen Menschen liest, wird zumal in den Eingangspartien des rostbuches berrascht und erstaunt sein darber, da eine Frau des beginnenden

    14. Jahrhunderts durch uerst subtile, abstrakte und ebenso schwer verstndliche Spekulationen ber das metaphysische Beziehungsverhltnis des Gerechten zur Gerechtigkeit undder brigen perectiones spirituales zu ihren irdischen rgern, ber Fragen der rinittsspekulation u. a. in ihrem Leid getrstet werden konnte. Er wird die Erklrung r diese unsHeutigen so seltsam und unbegreiich erscheinende atsache darin nden, da Eckehartin der groen radition des platonischneuplatonischen Denkens stand, wie es von Piatonund Plotin ber Proklus, PseudoDionysius, Scotus Eriugena, die Viktoriner bis zu AlbertusMagnus und seinen Schlern Hugo Riplin und Ulricus Engelberti sich ort und umbildendlebendig geblieben war.

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    EINLEIUNG

    Fr diesen Realismus neuplatonischen Denkens war die Welt der platonischen Ideen, dieWelt der ewigen Vorbilder irdischkreatrlichen Einzelseins, die unvergnglichvollkommene Welt unzerstrbaren Seins und damit der unerschpiche Born gttlichen rostes rden dem dauernden Werden und Vergehen und seinen Leiden ausgesetzten irdischen Menschen. Da dieses kstliche rostbchlein nicht nur der Knigin Agnes rost gespendet

    hat und da man seinen von schwierigen Spekulationen und Gedanken trchtigen Inhaltnur unzureichend und ot garnicht verstand, das zeigt der stark variierende Wortlaut unddie Fehlerhatigkeit der uns erhaltenen handschritlichen exte, zeigt aber auch deutlich derUmstand, da man beim nachmaligen Inquisitionsproze Eckeharts eine Reihe von Stellendes rostbuches zum besonderen Gegenstand der Anklage und Untersuchung gemachthat.

    Im Jahre 1310 htte man dem schon berhmten Meister gern auch die sddeutsche, alemannische Ordensprovinz zur Fhrung anvertraut, wenn nicht die schare Rivalitt mit den

    Franziskanern den scharsinnigsten und khnsten Kop des Ordens au den Lehrstuhl in Paris verlangt htte. Und so besttigte das GeneralKapitel von Neapel die Wahl Eckeharts zumsddeutschen Provinzial nicht, sondern sandte den Meister zum zweiten Mal au die Lehrkanzel an die Universitt Paris. Whrend seines ersten Pariser Auenthaltes hat Eckehart ineiner seiner Quaestiones Parisienses eine ebenso eigenartige wie khne und herausordernde Auseinandersetzung mit dem Ordensgeneral der Franziskaner Gonsalvus de Vallebonadurchgeochten. Man dar wohl annehmen, da der Meister whrend seines zweiten Auenthaltes in Paris, von dem wir nicht wissen, wie lange er sich erstreckte, den Grund gelegt hatzu seinem nur ragmentarisch au uns gekommenen und wohl auch nie von ihm vollendeten

    lateinischen groen Opus tripartitum, dem dreigeteilten Werk.

    Schon im Jahre 1314 nden wir Eckehart in Straburg als Leiter des dortigen DominikanerKonvents im Zentrum der zu krtigstem Leben erblhten deutschen Mystik als ihrenunbestrittenen und schwrmerisch verehrten geistigen Fhrer. Hier in Straburg hat derMeister als weit ber die deutschen Grenzen hinaus geeierter Prediger im Zenith seinesRuhmes und seines erolggekrnten Wirkens gestanden. Sicher ist ein groer eil seiner soauwhlenden, ja aureizenden Predigten whrend der Straburger Zeit in den vielen Frau

    enklstern des oberen Rheintals als den eigentlichen Panzstdten und Zentren mystischenGeistes und Lebens gehalten und erstmalig nach dem gesprochenen Wort in Nachschritenseiner Hrerinnen mehr oder weniger verstndnisvoll oder unzulnglich und ehlerhat augezeichnet worden.

    Noch einmal wir wissen wieder nicht, wann gab der Orden dem Meister ein Vertrauensvotum, als man den Sechziger au den Lehrstuhl am Studium generale in Kln berie, denehedem der groe Albert der Deutsche innegehabt hatte. Hier aber sollte den berhmtenMystiker sein Schicksal ereilen und seinen Lebensabend umdstern.

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    Der Erzbischo von Kln, Heinrich von Virneburg, der die Verolgung der damals weitverbreiteten Sekten, insbesondere der Begarden und der Brder vom reien Geiste mit nachdrcklichem Eier betrieb, ernete 1326 gegen Eckehart ein Inquisitionsverahren wegen Verbreitung glaubensgehrlicher Lehren in deutschsprachigen Predigten vor dem Volke.Die Akten ber das in Kln durchgehrte Verahren sind uns in Abschrit in einer Hand

    schrit der Soester Stadtbibliothek erhalten. Sie umassen das Protokoll zweier Verhandlungen vor der vom Erzbischo beruenen Inquisitionskommission, in denen man Eckehart zunchst aus seinen lateinischen Werken, aus dem Bchlein der gttlichen rstung, sowieaus seinen deutschen Predigten exzerpierte und inkriminierte extstellen und spterhinnoch einmal beanstandete Exzerpte nur aus deutschen Predigten zur Stellungnahme, bzw.Verteidigung vorlegte. Eckehart hat in beiden Verhandlungen nicht nur au die Angrie undBeanstandungen im einzelnen geantwortet, sondern zugleich zu dem Inquisitionsverahrenim ganzen Stellung genommen. Wie er dies tut und was er seinen Untersuchungsrichternentgegenhlt, verrt das stolze Selbstbewutsein des Genies, das sich von der Beschrnkt

    heit der kleinen Geister nicht verstanden sieht. Er stellt zunchst est, da er gem den Privilegien seines Ordens sich vor keinem Forum als dem der Pariser Universitt und dem desPapstes zu verantworten brauche, ist aber reiwillig bereit, auch hier Rede und Antwort zustehen, damit man nicht etwa glaube, er gehe eige einer Auseinandersetzung aus dem Wege.

    Er bezweielt glich, da man etwas gegen ihn unternommen htte, wenn sein Ruhm beimVolke und sein Eier r die Gerechtigkeit geringer gewesen wren. Er wundert sich mit sprbarer Ironie, da man ihm in seinen Schriten und Worten nicht viel mehr angekreidet habe,da er doch Hunderte von uerungen getan, die die Beschrnktheit seiner Kritiker nicht ver

    stehe. Zwar sei er sich bewut, khn und ungewhnlich ber Auerordentliches geschriebenund gesprochen zu haben; von hohen Dingen aber knne auch nur in hohen Worten, mitemphatischem Ausdruck und mit erhabener Seele gekndet werden. Gewi zwar knne erirren, nicht aber Hretiker sein, da dies eine Sache des Willens sei. Als man ihm den Prozeverschleppt, appelliert Eckehart am 24. Januar 1327 in einem Protestschreiben, daser durchseinen Mitbruder Konrad von Halberstadt vor der erzbischichen Inquisitionskommissionverlesen lt, an den Papst in Avignon und wendet sich am 13. Februar mit einer entlichenErklrung in der Predigerkirche in Kln nach der Predigt an das Volk. Auch diese Erklrung

    lt er zunchst durch Konrad von Halberstadt in lateinischer Sprache von der Kanzel herabverlesen und bersetzt sie dann Satz r Satz ins Deutsche. Feierlich rut er darin Gott zumZeugen dar an, da er in seinem ganzen Leben jeden Irrtum im Glauben und jeden Versto gegen die Sittlichkeit nach Krten gemieden habe. Sollte es daher jemand gelingen, soerklrt er, ihm einen Irrtum nachzuweisen, den er geschrieben, gesprochen oder gepredigthabe, entlich oder geheim, wo und wann immer, direkt oder indirekt, so widerrue er dasGesagte vor allem Volke. Wieder betont er, da man vieles, was er gesagt, miverstandenhabe, da man insbesondere seine wiederholten uerungen ber ein Etwas in der Seele,das an sich ungeschaen und unerschabar von gttlichem Adel sei, trotz seiner mehrmali

    gen Erluterungen im grobpantheistischen Sinne mideutet habe.

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    Das alles aber verng nicht. Seine Appellation an den ppstlichen Stuhl verwies man ihm alsunbegrndet und weigerte sich, sie weiterzuleiten. Zwar reiste der Meister nun selbst nachAvignon und verteidigte sich noch einmal vor einer vom Papst bestellten Untersuchungskornmission, der das von Kln angeorderte Untersuchungsmaterial zur nochmaligen berprung vorlag. Auch das von der ppstlichen Kommission in Avignon verate Gutachten

    ist uns glcklicherweise erhalten. Die Kommission reduzierte wohl schon die groe Anzahlvon inkriminierten Artikeln der Klner sog. Rechtertigungsschrit au die 28 Artikel derBulle Johanns XXII. In agro dominico vom 27. Mrz 13 29,13 von denen als hretisch undals hresieverdchtig, bzw. schlecht klingend verurteilt wurden. Gegen jeden, der diese Stzeweiterhin verbreitete, sollte wie gegen Hretiker vorgegangen werden. Am 15. April vergteder Papst, da der Erzbischo von Kln die Bulle im Bereich seines Erzbistums entlichbekannt gebe. Eckehart hat diese seine Verurteilung nicht mehr erlebt. Die Bulle spricht vonihm als von einem Verstorbenen und als von einem Manne, der vor seinem ode einen Widerru alles dessen geleistet habe, was in seinen Schriten und Predigten durch die Entschei

    dung des apostolischen Stuhles als ketzerisch, irrig oder glaubensgehrlich erwiesen werde.Man dar annehmen, da der Meister zwischen 1327 und 1329 in Khl (oder in Avignon)verstarb und begraben wurde.

    Seitdem sind ber sechshundert Jahre verossen. Der Meister aber lebt heute, nachdem erJahrhunderte lang ast vlliger Vergessenheit anheimgeallen war, in der Urkrat seines hinterlassenen Werkes. Die Authentizitt des unter seinem Namen berlieerten groangelegten lateinischen Opus tripartitum steht auer allem Zweiel. Dieses Dreigeteilte Werk zerllt, wie sein Name sagt, in drei eile: das Opus propositionum, das Opus quaestionum und

    das Opus expositionum. Au uns gekommen ist im wesentlichen nur der dritte eil, das Opusexpositionum, das eine Reihe von Schritkommentaren zu den Bchern Genesis, Exodus,Sapientia und zum JohannesEvangelium, je zwei Sermones und Lectiones zu Ecclesiasticus(Jesus Sirach), sowie ein Opus sermonum enthlt, d. h. eine Anzahl von mehr oder weniger ausgehrten Skizzen zu Predigten in lateinischer Sprache. Zu den beiden ersten eilendes groen Werkes sind nur die Prologe erhalten neben dem Gesamtprolog, dem Prologusgeneralis in Opus tripartitum. Ob einige Quaestionen, die Eckehart whrend seiner beidenPariser Auenthalte und Lehrttigkeit verate und die in der Eigenart und Khnheit seiner

    Spekulation ganz den Stempel des groen Mystikers tragen, in das Opus quaestionum augenommen werden sollten, bleibt ungewi. Sicher ist, da Eckehart weitere lateinische Werkeschu, die als selbstndige Arbeiten auerhalb des Rahmens des groen Hauptwerkes, desOpus tripartitum, stehen: eine Collatio in libros Sententiarum, also einen Erhungsvortragder Sentenzenvorlesung, die Eckehart bei seinem ersten Auenthalt in Paris zur Erlangungder Magisterwrde hielt, eine Auslegung des VaterUnsers (ractatus super Oratione Dominica) und eine Predigt zu Ehren des hl. Augustinus (Sermo die b. Augustini Parisius habitus),die uns in einer Nachschrit berlieert (reportatus) ist.

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    EINLEIUNG

    Das lateinische Gesamtwerk Eckeharts ist ein imponierender orso geblieben, das Opus tripartitum ist von dem Meister nicht vollendet worden. Und dieser orso ist uns nur in wenigen Handschriten erhalten, Beweis dar, da das lateinische Werk des Pariser Magisterskeine groe Verbreitung und Auswirkung geunden hat, wenn man einmal vom allerdingssehr tiegehenden Einu dieses Opus tripartitum au Nikolaus von Cues absieht.

    Ganz anders das in deutscher Sprache gehaltene Werk Eckeharts. Au ihm beruht der Ruhmund das Verhngnis des Meisters. Eine Flle von weit ber 200 Handschriten, deren Gesamtzahl gewi durch weitere Funde noch vermehrt werden drte, bietet uns das dar, wasan Predigten, raktaten und kleineren spruchrmigen Uberlieerungen sich so oder so alsWerk Meister Eckeharts ausgibt oder in Anspruch genommen wurde. Eins der Hauptprobleme der Eckehartorschung ist die Frage der Authentizitt dieser handschritlichen exte,deren Echtheit lange Zeit inolge bertriebener Skepsis und Hilosigkeit ast r das ganzeberlieerte deutsche Werk Eckeharts bezweielt wurde. Je weiter die Arbeit an der groen

    Gesamtausgabe der lateinischen und der deutschen Werke voranschreitet, um so strkerund traghiger werden die Kriterien werden, au Grund deren man das Echtheitsproblemder einzelnen berlieerten exte, der Predigten wie insbesondere auch der raktate, zu lsenhoen dar, um so mehr aber auch wird das Vertrauen in die Authentizitt dieser berlieerungstexte wachsen. Und wachsen wird das Vermgen und die, wenn auch auweite Strekken hin wohl immer nur relativ bleibende Sicherheit, die z. . sehr verderbten deutschenberlieerungstexte, zumal der Predigten, von ihren Zahlreichen Verderbnissen aller Art zuheilen und die exte, wenn nicht in ihrem ganz ursprnglichen, so doch in einem Wortlautwiederherzustellen, der den ursprnglichen Gedanken Eckeharts und weithin auch seine so

    charakteristische Prgung wiedergibt.

    Zwar sind uns die Predigten nur in Kopien von Nachschriten seiner Hrer nach dem gesprochenen Wort des berhmten Kanzelredners berkommen, durchsetzt mit bewuten undunwillkrlichen Entstellungen und Verderbnissen aller Art, von Auslassungen und Interpolationen, von Miverstndnissen und absichtlichen nderungen der Formulierung undder Gedanken. Allein die unverwisch und unverwechselbare Prgung des khnen und tieschrenden Eckehartischen Wortes leuchtet noch in der grausamsten Entstellung und im

    hofiungslosestenMi Verstndnis. Schon lange, bevor man es dem Meister im Proze undin der ppstlichen Bulle rund heraus vorwar, da er dogmatizavit multa dein veram incordibus multorum obnubilantia, que docuit quammaxime in suis predicationibus coramvulgo simplici, mu der Meister die Klage vernommen haben, er proaniere die hohe scholastische Schulgelehrsamkeit, indem er sie dem einltig ungebildeten Volke von der Kanzelherunter darbiete. Er aber hatte amSchlu seines hochgeistigen Bchleins der gttlichenrstung au den Vorwur geantwortet: Soll man nicht ungelehrte Leute lehren, so wirdniemals wer gelehrt. . . Demi darum belehrt man die Ungelehrten, da sie aus Ungelehrtenzu Gelehrten werden.

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    Gbe es nichts Neues, so wrde nichts Altes. Und wenn schon manch grober beschrnkterMensch uere, da vieles von dem, was er in diesem rostbuch und auch anderswo geschrieben habe, nicht wahr sei, so erwidert er unter Beruung au Augustinus im ersten Buchseiner Beichte (Conessiones): Was kann ich dar, wenn jemand das nicht versteht;Und wiederum sagt er (d. h. Augustinus) anderswo, da der Mensch sich gar zu oensicht

    lich selbst liebe, der andere Leute blenden wolle, au da seine Blindheit verborgen bleibe.Mir gengts, da in mir und in Gott wahr sei, was ich spreche und schreibe. Wer einen Stabin Wasser getaucht sieht, den dnkt der Stab krumm, wenngleich er ganz gerade ist, und daskommt dalier, da das Wasser grber ist als die Lut; gleichviel ist der Stab sowohl an sichwie auch in den Augen dessen, der ihn nur in der Reinheit der Lut sieht, gerade und nichtkrumm.

    Der Meister war sich der Khnheit seines Wortes und der Hhe seines Geistesuges durchaus bewut. Niemand brauchte ihm zu sagen, da er ber die Kpe des einltigen Volkes

    hinwegrede, da er in diesen Kpen beschrnkter Fassungskrat Verwirrung stiten und daer allenalls von einigen wenigen kongenialen Geistern begrien werden knne: Knntetihr mit meinem Herzen erkennen, so verstndet ihr wohl, was ich sage; denn es ist wahr, unddie Wahrheit spricht es selbst, so sagt er in seiner Brgleinpredigt, und mit demselbenGedanken, da Gleiches nur von Gleichem erkannt werden knne, schliet er eine seinertiesinnigsten und khnsten Predigten: Wer diese Rede nicht versteht, der bekmmere seinHerz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird erdiese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhllte Wahrheit, die da gekommen ist ausdem Hezen Gottes unmittelbar.

    Und doch: so hoch und r die Menge unerreichbar auch sein Geistesug sein mochte, soerregend und verwirrend seine unerhrten Worte auch in die Seelen seiner Hrer elen, unwiderstehlich drngte es ihn, das Erkannte, die Wahrheit laut und weit zu verknden, dieWahrheit, von der er sagte, da sie so edel sei, da, wenn Gott sich von der Wahrheit abkehren knnte, ich wollte mich an die Wahrheit heten und wollte Gott lassen. Diese Wahrheitbrach mit mchtigem Drang aus seinem Innern ins uere, gesprochene und weittragendeWort seiner Predigt aus: Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergnne ich sie wohl. Wre

    hier niemand gewesen, ich htte sie diesem Operstocke predigen mssen.Das aber, wasder Meister in seinen deutschen Predigten den begeisterten Hrern vortrug, war keineswegsbloe scholastische Kathederweisheit, es war zugleich weniger und unendlich viel mehr.

    Man hat von Eckehart gesagt, es mache seine Gre aus, da er eigentlich nur einen einzigenGedanken habe, einen Gedanken zwar, tie und erhaben genug zum Leben wie zum Sterben.Dieser eine Grund und Kerngedanke Eckeharts, aus dem alle brigen entwickelt, zu demsie anderseits alle hin orientiert sind, ist der von der Geburt des Wortes in der Seele. Wernicht erat hat, da die Geburt des Sohnes durch den gttlichen Vater im Seelenunken den

    einzigen Anla, den Inhalt und das Ziel der Predigt Eckeharts ausmacht und seinen Aushrungen, ast mchte ich sagen, eine groartige Eintnigkeit gibt, der hat Eckehart verkannt.

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    EINLEIUNG

    Ihm ehlt die bindende und orientierende Miete in Eckeharts Geistesgut, dessen Sinn sichihm nicht erschliet, das sich vielmehr r ihn in ein unentwirrbares Durcheinander von Widersprchen und Unklarheiten verstrickt, so da er vor lauter Bumen den Wald nicht sieht.Er sieht nicht, da Eckehart spekulativer Mystiker ist, da er als in seinem Wesen zutiestVeranlagtes den intuitus mysticus besa, den ieenblick, der alle Mannigaltigkeit im allei

    nen unendlichen Sein augehoben und zur Eins zusammengeat sah. Er sieht nicht, da dieBahnen des spekulativen Denkens dieses Mystikers einem vorweg bestimmten Ziel zustreben: der unio mystica in der Geburt des Wortes. Seine mystischintuitive Schau gab Eckehartdie Gewiheit, da der Wesenskern der menschlichen Seele und der gttliche Seinsgrundirgendwie von gleicher Artung sein mten, da Mensch und Gott zutiest in ihrem Sein aueine in begrenztem Begri nicht voll zu assende und aussagbare Weise einander verbundenseien. Das Wie dieser Verbindung zu assen ist zugleich Antrieb und Ziel seiner noch starkumstrittenen Seinsspekulation und seiner rtselvollen Lehre vom Seelengrund.

    Ich kann mich im Zusammenhang dieser knappen Einleitung natrlich nicht unterangen,das spekulative System Meister Eckeharts, insbesondere seine Metaphysik und Psychologiezum Gegenstand einer auch nur skizzenhaten Darstellung zu machen. Auch heute nochsind wir, wie mir scheint, weit enternt von einer eindeutigen und verbindlichen Interpretation der spekulativen Grundlagen der Eckehartischen Mystik, und ich mchte nach wie vorbezweieln, da es je zu einer allgemein verbindlichen Gesamtauassung des spekulativenSystems des Meisters kommen wird, auch dann nicht, wenn alle lateinischen und deutschenWerke in der groen kritischen Ausgabe der deutschen Meister EckehartKommission zugnglich gemacht sein werden. Wenn die verschiedenen Eckehart Auassungen und Deu

    tungsversuche meist mit leidenschatlicher Unbedingtheit, Einseitigkeit und Ausschlielichkeit vorgetragen werden, so lt diese Antithetik des Kampes um Eckeharts Verkndigungerkennen, wie scheinbar vieldeutig des Meisters Ideengut ist und wie weit enternt wir nochvon einer sichern Bestimmung seines geistigen Ortes sind. Und ich mchte meinen, da, solange das gesamte lateinische und deutsche Werk Eckeharts nicht in zuverlssiger Ausgabevorhegt und die sehr schwierigen Fragen der Chronologie der Werke nicht wenigstens annhernd gelst sind, auch das immer wieder diskutierte Problem einer inneren gedanklichenEntwicklung und damit also einer Periodisierung des Eckehartischen Gesamtwerkes keine

    verlliche Lsung nden kann.

    Ich will hier nur kurz andeuten, wie und worin ich die metaphysische Grundlage sehe, ausder Eckeharts Ethik des Gerechten abgeleitet ist, um dann diese Ethik selbst in ihren Grundzgen knapp zu entwickeln. Ich werde dabei auweite Strecken den Meister selbst zu Worte kommen lassen, denn keine noch so begeisterte und verstndnisvolle Darstellung undDeutung seiner Lehre ist imstande, so unmittelbar und berzeugend einen Begri von derGeistesgre und Sprachgewalt dieses Mannes zu vermitteln wie die suggestive Krat undder mitreiende Schwung seines eigenen Kernwortes.

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    EINLEIUNG

    Wenn Eckehart sagt: Nicht davon bin ich selig, da Gott gut ist. . . Davon allein bin ich selig,da Gott vernntig ist und ich dies erkenne, und wenn er hinzugt: im Sein ist Gott nur inseinem Vorho, und in der Vernntigkeit erst ist er in seinem empel, so scheint mir darinder Kerngedanke seiner Seinsspekulation und die tieste Bestimmung zugleich des gttlichen wie des menschlichen Wesens und ihrer Zuordnung zu liegen. Die hohe Geistigkeit

    seiner mystischen Intuition erat das gttliche Sein als reines Erkennen: Vernnticheit istder tempel gotes. Niergen wonet got eigenlicher dan in sinem tempel, in vernnticheit, alsder ander meister sprach, daz got ist ein vernnticheit, diu da lebet in sin aleines bekantnisse, in im selber aleine blibende, da in nie niht engeruorte, wan er aleine da ist in siner stilheit.Gott in sich selbes bekentnisse bekennet sich selben in im selben. In der Pariser QuaestioUtrum in deo sit idem esse et intelligere sagt Eckehart, Gott sei reines Erkennen (intelligere), und dieses Erkennen sei das, was das gttliche Sein, daern man von einem solchenberhaupt sprechen wolle, begrnde und trage: Und daher ist, was immer in Gott ist, berdem Sein selbst und ist ganz Erkennen . . . Wenn du aber dieses (gttliche) Erkennen ein Sein

    nennen willst, so bin ichs zurieden. Aber ich behaupte gleichviel, da, wenn es in Gott etwasgibt, das du Sein neimen willst, es ihm nur krat des Erkennens zukommt. . . Gott also kommtkein Sein zu, daern du nicht eine solche Lauterkeit ein Sein nennen willst.Und bereinstimmend heit es im 29. Serino (n. 301304) des Opus sermonuin in der bersetzung: Dein Gottist eins, und es gibt auer ihm nichts, das wahrhat eins ist, weil es nichts Geschaenes gibt,das reiner und nach seinem ganzen Sein ausschlielicher Intellekt ist. Denn dann wre esnicht erschabar ... Es ergibt sich also oensichtlich, da Gott im eigentlichen Verstnde einzig ist. Und da er Intellekt oder Erkennen ist, und zwar reines Erkennen ohne Beimischungirgendeines andern Seins, so rut dieser einzige Gott durch sein Erkennen die Dinge ins Sein,

    eben weil in ihm allein das Sein Erkennen ist. . . Soviel demnach irgend etwas an Erkenntnisoder Erkenntnismigem besitzt, soviel besitzt es von Gott und soviel vom Einen und sovielvom Einssein mit Gott. . . Daher ist Gott nirgends und niemals als Gott vorhanden auer imIntellekt. An einer Stelle des ersten Genesiskommentars sagt Eckehart: Er wollte uns lehren, da Gott reiner Intellekt sei, dessen ganzes Sein das Erkennen selbst ist.

    Dieses alles Sein tragende und umassende Erkennen ist die absolute Eins, die stille Wste der Gottheit, aus der der trinitarische Gott bereits als Ausu und Aball erscheint. Das

    aber, was das unendliche gttliche Erkennen erkennt, ist nichts anderes als sein Selbst, seineigenes Sein, das es in seinem Spiegelbild, in seinem Wort, Logos oder Sohn erschaut underat. Wenn Eckehart in seiner Predigt ber den guten Knecht, den der Herr ber all seinGut setzen will, dieses hchste Gut, die Freude des Herrn, in die der Mensch bei der uniomystica eingeht, genauerhin bestimmen und aussagen soll, so sagt er: Diu ride des herren daz ist der herre selber und enkein ander unde der herre ist ein lebende wesende istigeverniintikeit, diu sich selber verstet, und ist und lebet selber in im selber und ist daz selbe.

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    In dem Spiegelbild seiner selbst nun erkennt das absolute gttliche Vernuntsein zugleichdie ewigen Vorbilder der Kreaturen, das, was seit Piaton die Ideen heit. Als eine dieser Ideenaber bin auch ich in diesem Selbsterkennungsproze des gttlichen Erkennens von Ewigkeither als Abbild gttlichen Vernuntseins geschaut: In diesem Worte spricht der Vater meinen und deinen und eines jeglichen Menschen Geist als demselben Worte gleich. In demsel

    ben Sprechen bist du und ich ein natrlicher Sohn Gottes als dasselbe Wort. Denn, wie ichvorhin sagte, erkennt der Vater nichts als dieses selbe Wort und sich selbst und die ganzegttliche Natur und alle Dinge in diesem selben Worte, und alles, was er darin erkennt, dasist dem Worte gleich und ist dasselbe Wort naturhat in der Wahrheit. Hier habe ich ewiglichgeruht und geschlaen in der verborgenen Erkenntnis des ewigen Vaters, innebleibend unausgesprochen. Aus dieser Lauterkeit hat er mich ewiglich geboren als seinen eingeborenenSohn in das Ebenbild seiner ewigen Vaterschat, au da ich Vater sei und den gebre, vondem ich geboren bin ... Ja, wer in diesem Lichte ein Stck Holz anshe, es wrde zu einemEngel und wrde vernuntbegabt und nicht nur vernuntbegabt, es wrde zu reiner Vernunt

    in der ersten Lauterkeit, die da eine Flle aller Lauterkeit ist. So tuts Gott: Er gebiert seineneingeborenen Sohn in das Hchste der Seele. Im gleichen Zuge, da er seinen eingeborenenSohn in mich gebiert, gebre ich ihn zurck in den Vater. So nun, wie Vernntigkeit derempel gttlichen Wesens ist, so hegt auch in des Menschen Vernuntbegabtheit sein hchster Adel: Homo id quod est, per intellectum est. (Der Mensch ist das, was er ist, durch dieVernunt.) Daz hcehste teil der sele, der Gipel und die ihr ganzes Sein einigende Mitteder Seele ist das, was der Meister die oberste Vernunt oder auch bildlich den Seelenunken nennt. In dieser obersten Vernunt, in diesem empel der Seele liegt des MenschenGottrmigkeit; hier hrt der Mensch in der Stille das Wort des Vaters und vermag in ihm das

    jenseits aller kreatrlichen Zweckgebundenheit und Wandelbarkeit hegende wahre Sein derKreaturen, ihre ewigen Ideen, sub specie aetemitatis zu erassen, er vermag so die Gedankender Gottheit nach und mitzudenken, sich dem unendlichen Erkennen zu vermhlen undmit ihm eins den ewigen Sohn in seiner Seele zu gebren.

    Diesen Grund, diesen Kern des menschlichen Seins, der sich ebenso wie die stille Wste desgttlichen Seinsgrundes jeder adaequaten Benennung und Aussage entzieht und in dem dasgttliche und das menschliche Vernuntsein bei der Geburt des Wortes in der Seele zur Ein

    heit ineinander ieen, au da ich Vater werde und den gebre, von dem ich geboren bin,dieses Zentrum der Seele umkreist das Eckehartische Denken bestndig. Dieses Etwas inder Seele zu ergrnden und trotz seiner Unaussagbarkeit dem Ahnen seiner Hrer irgendwie nher zu bringen, setzt Eckeharts unbndiger Drang in die iee immer wieder erneutan, um durch khnste Aussagen, die ihm die hartnckigsten Angrie der Klner Untersuchungskommission eintrugen, diesen stillen Grund der Seele zu loten: ... wie ich schon tergesagt habe, da etwas in der Seele ist, das Gott so verwandt ist, da es eins ist und nichtvereint. Es ist eins, es hat mit nichts etwas gemein, noch ist ihm irgendetwas von alledemgemein, was geschaen ist. Alles, was geschaen ist, das ist nichts. Nun ist dies aller Gescha

    enheit ern und remd. Wre der Mensch ganz so geartet, er wre vllig ungeschaen undunerschabar; wre alles das, was krperlich und bresthat ist, so in der Einheit begrien, sowre es nichts anderes, als was die Einheit selbst ist.

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    Fnde ich mich nur einen Augenblick in diesem Sein, ich achtete so wenig au mich selbstwie au ein Mistwrmlein. Dieses nmliche Licht pege ich immerzu in meinen Predigten zuberhren. Und dieses selbe Licht nimmt Gott unmittelbar, unbedeckt entblt au, so wie erin sich selbst ist; . .. Wenn sich der Mensch abkehrt von sich selbst und von allen geschaenen Dingen so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fnklein in der

    Seele, das weder Zeit noch Raum je berhrte. Dieser Funke widersagt allen Kreaturen undwill nichts als Gott, unverhllt, wie er in sich selbst ist. . . es will in den einaltigen Grund,in die stille Wste, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn nochHeiliger Geist. In dem Innersten, wo niemand daheim ist, dort erst gengt es diesem Licht,und darin ist es innerlicher als in sich selbst. Denn dieser Grund ist eine einaltige Stille, diein sich selbst unbeweglich ist; von dieser Unbeweglichkeit aber werden alle Dinge bewegt. . ,

    In diesem Etwas, das weder von Zeit noch von Raum berhrt wird und das ern ist allenraumzeitgebundenen, geschaenen Dingen, das im ewigen Nun so geartet ist, da si

    tota anima esset talis, tota esset increata et increabilis, wie es in der Ubersetzung der obigen Predigtstelle in der Bulle Johanns XXII., Appendix Art. 1, heit in diesem Licht, in dieser obersten Vernunt birgt der Mensch den gttlichen Funken in seiner Brust. Dieser Funke braucht nur zum Erglhen gebracht zu werden, au da sich das Leben des unendlichengttlichen Vernuntseins in der Brust des Menschen entaltet und sein ganzes Sein durchregt. Diese an sich mit dem gttlichen Intellekt einige vernnticheit, die, wie Eckehartsagt, gote also sippe ist, daz ez ein ist und niht vereinet, ist aber nun in der Seelenkrat dermenschlichen Vernunt an das geschpiche Sein der menschlichen Seele und damit auchan deren Kerker, den Leib, gebunden und hat als solche ein zuosehen und ein zuohan

    gen ze der zit, und da reret si geschaenheit und ist geschaen. Nur weil das an sich ungeschaene und unerschabare Erkennen als oberste Vernunt an das geschaene Sein derSeele gebunden und als solches ein esse concreatum ist, ist es an die Kategorien Zeit undRaum, an das Hier und Nun und damit in die Geschaenlieit verstrickt. Der Seelenunkenliegt zunchst verdeckt und verschttet unter den augetragenen Schichten des mit tausendFasern in der Selbstsucht und in der Kreaturgebundenheit hngenden und geangenen Ich.Wenn es dem Menschen aber gelingt, sich durch das mystische Sterben, durch das mystischeEntwerden von der Bindung an die Zeit und den Raum, an den Kerker des eigenen Leibes,

    an die Ichsucht, an das Mittel und das Warum zweckgebundener Beziehungen zu denZullen der Kreaturen in ihrer zerstreuenden und hindernden Mannigaltigkeit zu lsen, sich und die Welt zu lassen und das zu erreichen, Grund, in die stille Wste, in die nieUnterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist. In dem Innersten, wo niemand daheim ist, dort erst gengt es diesem Licht, und darin ist es innerlicher alsin sich selbst. Denn dieser Grund ist eine einaltige Stille, die in sich selbst unbeweglich ist;von dieser Unbeweglichkeit aber werden alle Dinge bewegt. . ,

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    In diesem Etwas, das weder von Zeit noch von Raum berhrt wird und das ern ist allenraumzeitgebundenen, geschaenen Dingen, das im ewigen Nun so geartet ist, da sitota anima esset talis, tota esset increata et increabilis, wie es in der Ubersetzung der obigen Predigtstelle in der Bulle Johanns XXII., Appendix Art. 1, heit in diesem Licht, indieser obersten Vernunt birgt der Mensch den gttlichen Funken in seiner Brust. Dieser

    Funke braucht nur zum Erglhen gebracht zu werden, au da sich das Leben des unendlichen gttlichen Vernuntseins in der Brust des Menschen entaltet und sein ganzes Seindurchregt. Diese an sich mit dem gttlichen Intellekt einige vernnticheit, die, wie Eckehart sagt, gote also sippe ist, daz ez ein ist und niht vereinet, ist aber nun in der Seelenkratder menschlichen Vernunt an das geschpiche Sein der menschlichen Seele und damitauch an deren Kerker, den Leib, gebunden und hat als solche ein zuosehen und ein zuohangen ze der zit, und da reret si geschaenheit und ist geschaen. Nur weil das an sichungeschaene und unerschabare Erkennen als oberste Vernunt an das geschaene Seinder Seele gebunden und als solches ein esse concreatum ist, ist es an die Kategorien Zeit

    und Raum, an das Hier und Nun und damit in die Geschaenlieit verstrickt. Der Seelenunken liegt zunchst verdeckt und verschttet unter den augetragenen Schichten des mit tausend Fasern in der Selbstsucht und in der Kreaturgebundenheit hngenden und geangenenIch. Wenn es dem Menschen aber gelingt, sich durch das mystische Sterben, durch das mystische Entwerden von der Bindung an die Zeit und den Raum, an den Kerker des eigenenLeibes, an die Ichsucht, an das Mittel und das Warum zweckgebundener Beziehungenzu den Zullen der Kreaturen in ihrer zerstreuenden und hindernden Mannigaltigkeitzu lsen, sich und die Welt zu lassen und das zu erreichen, mit eigenschat au die Weisedeines Werkes und suchst und willst etwas mit ihm: dich selbst und deinen Lohn.

    Du gibst nur vor, Gott zu suchen; in Wahrheit machst du aus Gott eine Kerze, mit der du etwas anderes suchst, und hast du es geunden, so wirst du die Kerze hinweg. Du erniedrigstden unendlichen Gott zur melken Kuh, die man um der Milch und des Kses, um des eigenenProts willen schtzt. Isti aciunt capram de Deo, pascunt eum oliis verborum. Item aciunt Deum histrionem, dant sibi veteres et viles vestes suas. (Diese machen aus Gott eineZiege, ttern ihn mit WortBlttern. Ebenso machen sie aus Gott einen Schauspieler, gebenihm ihre alten und schlechten Kleider.) Du tust so wie jene, die, wenn es ihnen gut geht,

    Gott loben und ihm wohl vertrauen, wie denn etliche sagen: ,Ich habe zehn Malter Kornund ebenso viel Wein in diesem Jahre, ich vertraue est au Gott! Ganz recht, sage ich, du hastvolles Vertrauen zu dem Korn und dem Wein ! Du marktest mit deinem Gott, gibst undwirkst, au da er dir das ausendache wiedergebe; dies Geben ist eher ein Heischen zu nennen. Bei Gott! Solange du deine Werke wirkst aus uerem Antrieb, um des Himmelreichesoder um Gottes oder um deiner ewigen Seligkeit willen, so ist es wahrlich nichts Rechtes mitdir. Man mag dich wohl leiden, aber es ist das Beste nicht. Denn, wahrlich, wer glaubt, Gottesmehr zu erlangen in Innerlichkeit, in Andacht und ser Verzckung als bei dem Herdeueroder in dem Stalle, der tut wie einer, der seinen Gott nhme, ihm einen Mantel um das Haupt

    wnde und ihn dann unter eine Bank schbe.

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    Eckehart wird nicht mde, die geheimsten Bindungen des menschlichen uns und Lassens,die verstecktesten Regungen der Ichsucht, der Absichtlichkeit und Meinung auzudecken,das verzckte Schielen nach Dank und Gegengabe zu brandmarken. Sie verkauen den Herrnwie Judas, und wenn sie ihren Lohn dahin haben, kmmern sie sich um ihren Gott nicht mehr.Alles, was sich vermittelnd zwischen das innerste Ich und den stillen Grund der gttlichen

    Wste drngt, verhindert ihrer beider Einswerdung. Und das gilt nicht nur von jenen Bindungen des Wollens und des Strebens, sondern auch von denen des Denkens, Vorstellens, Glaubens, Whnens und Hoens. Jedwede Einbildung von Bildern und Vorstellungen, jedesHaten am ueren Zeichen und genieende Schauen hindert dich am Erassen des ganzenGottes, sei es nun, da du am ueren Zeichen des Sakraments klebst oder in Lust Visionendes Menschen Christus geniet. Nein, der empel mu ledig und rei sein, wie das Auge reiund leer sein mu von allen Farben, soll es Farbe sehen. Alle jene Bilder und Vorstellungenaber sind der Balken in deinem Auge. Drum wir sie hinaus, alle Heiligen und Unsere Frauaus deiner Seele, denn sie alle sind Kreaturen und hindern dich an deinem groen Gott. Ja,

    selbst deines gedachten Gottes sollst du quitt werden, aller deiner doch so unzulnglichenGedanken und Vorstellungen ber ihn wie: Gott ist gut, ist weise, ist gerecht, ist unendlich:Gott ist nicht gut, ich bin besser als Gott; Gott ist nicht weise, ich bin weiser als er, und Gottein Sein zu nennen, ist so unsinnig, wie wenn ich die Sonne bleich oder schwarz nennenwollte. Alles, was du da ber deinen Gott denkst und sagst, das bist du mehr selber als er,du lsterst ihn, denn, was er wirklich ist, vermgen alle jene weisen Meister in Paris nicht zusagen. Htte ich auch einen Gott, den ich zu begreien vermchte, so wollte ich ihn niemalsals meinen Gott erkennen. Drum schweig und klae nicht ber ihn, behnge ihn nicht mitden Kleidern der Attribute und Eigenschaten, sondern nimm ihn ohne Eigenschat, als

    er ein berseiendes Sein und eine berseiende Nichtheit ist in seinem Kleidhaus, in derstillen Wste seiner Gottheit namenlos. In diesen gttlichen Abgrund aber hrt nichts alsgeistige Armut, und in der Verkndung dieser paupertas spiritus erhebt sich die Ethik Eckeharts zum schlechthin Steilsten, Khnsten und unbersteigbar Hchsten. Hier reichen sichder Metaphysiker und der Ethiker, der Lese und der Lebemeister die Hand; hier liegtder Quell und Angelpunkt seiner mystischen Spekulation wie seiner Lebenslehre.

    Was heie arm sein im Geiste? Gibt es da Leute, die sich dar halten, wenn sie ein Leben

    der Askese und ueren Frmmigkeitsbung hren. Sie sind nicht gerade schlecht daran,denn ihre Absicht ist gut; schenke ihnen denn der Herr in seiner Barmherzigkeit den Himmel. Aber da man solche Menschen r gro erachtet, das erbarme Gott! In Wahrheit sindsie Esel, die nichts davon verstehen und keinen Hauch der wahren geistigen Armut versprthaben. Geistig arm vielmehr ist der, der nichts will, nichts wei und nichts hat und alles dasso radikal, da er nicht einmal so viel will, da er den Willen Gottes erllen will; da er nichteinmal wei, da Gott in ihm wirkt; da er nicht einmal eine Sttte habe in sich, in der Gottwirken knnte; mit anderen Worten: mystisch arm ist der, der so ist, wie er war, da er nochnicht war. Als ich in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott, und da war ich

    Ursache meiner selbst.

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    Ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein lediges Sein und ein Erkenner meinerselbst im Genu der Wahrheit. Da wollte ich mich selbst und wollte nichts sonst; was ichwollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und hier stand ich Gottes und aller Dingeledig . .. Darum bitte ich Gott, da er mich Gottes quitt mache; denn mein wesentliches Seinist oberhalb von Gott, soern wir Gott als Beginn der Kreaturen assen. In jenem Sein Gottes

    nmlich, wo Gott ber allem Sein und ber aller Unterschiedenlieit ist, dort war ich selber,da wollte ich mich selber und erkannte mich selber (willens), diesen Menschen (= mich) zuschaen. Und darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist. . . Inmeiner (ewigen) Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst undaller Dinge; und htte ich gewollt, so wre weder ich noch wren alle Dinge; wre aber ichnicht, so wre auch ,Gott nicht: da Gott ,Gott ist, dar bin ich die Ursache; wre ich nicht,so wre Gott nicht ,Gott. Dies zu wissen ist nicht not, gt der Meister zur Entspannungseiner erschreckt staunenden Hrer hinzu. Mit dieser rechten geistigen Armut schwingt sichder Mensch in sein wahres Wesen zurck, das er ewig gewesen ist und das er ewig bleiben

    wird. Und wenn ihm dies gelingt, da er au seinem Rckgang aus der Ich und Kreaturgebundenheit durchsein eigenes innerstes ewiges Wesen bei seinem Gott nicht stehen bleibt,sondern auch durch ihn hindurchbricht in das ureine, ewige, gttliche Vernuntsein, in demdie obersten Engel und die Seelen und die Fliegen und Mcken eins sind, dann ist dieserDurchbruch und Rcku edler als des Menschen Ausgang in der Schpung. Denn hierentsinkt er seinem kleinen und beschrnkten Ich, hier stirbt der Konrad und Heinrich, um inder wsten Gottheit begraben zu werden.

    Au dieses Stirb! aber olgt ein machtvolles Werde!; dem ode des alten antwortet die

    Wiedergeburt des neuen Menschen, des neuen Adam. Der Mensch hat den innersten Adelskern seines wahren Wesens reigelegt und hat in seinem tiesten Seelengrunde den Einudes gttlichen Wesensgrundes erahren; denn, so wie die Sonne die Lut erleuchten mu,wenn sie rei von Wolken ist, so wie der Stein die Neigung zum Fall nie verlieren kann, wie einins Wasser allender Stein Wellenkreise ziehen mu bis ins Unendliche,so mu der gttlicheSeinsgrund sich dem menschlichen vermhlen, wenn dieser weit und rei entblt daliegt:wie wenn einer ein Ro lauen lt au einer grnen Heide, die vllig eben und gleich wre;des Rosses Natur wre es, da es sich im Springen au der Heide mit aller seiner Krat gnz

    lich ausgsse, so auch ergiet sich das Gttliche in den Grund der Seele, wenn sie sich imreinen Adel ihres gottrmigen Seins weit und rei entdeckt. Denn Gleiches zieht Gleichesan; hier aber sind Gottes Grund und mein Grund vllig eins, und in diesem einigen Grundgebiert nun der Vater seinen Sohn, ja gebiert er mich als seinen Sohn, gebiert sich mich undmich sich, au da auch ich Vater werde und den gebre, von dem ich ewig geboren wurde.Aus dem Sche der unendlichen und ewigen Gerechtigkeit werde ich als der Gerechte gezeugt und bleibe doch eines Seins mit der ewigen Gerechtigkeit: daz ist ein gereht mensche,der in die gerehtikeit gebildet und bergebildet ist. Der gerehte lebet in gote unde got inime, wan got wirt geborn in dem gerehten unde der gerehte in gote . . .

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    Diesen Gerechten als den Wiedergeborenen in seinem ganzen Sein und un zu bestimmenund vorzuhren, ist das leidenschatliche Bemhen unseres Meisters. Dieser Gerechte stehtzunchst so est au dem Grunde der Gerechtigkeit, da, wenn Gott nicht gerecht wre, ernicht eine Bohne um diesen Gott gbe; ja, stnde die Hlle am Wege der Gerechtigkeit, erhre reudig hinein.iustus iustitiae serviens plus eam amat quam se ipsum, ut si iustum

    portaret in se inernum vel diabolum, ipsum amaret, ipsi saperet, ipsum delectaret; et e contrario: si iniustum portaret secum paradisum, deum ipsum, ipsi non saperet. (Der Gerechte, der der Gerechtigkeit dient, liebt sie mehr als sich selbst, so da, wenn das Gerechte dieHlle oder den euel in sich trge, er es lieben, es ihm schmekken, es ihn erreuen wrde,und anderseits: wenn das Ungerechte das Paradies mit sich hrte, ja, Gott selbst, so wrde es ihm nicht schmecken.) Dieser Gerechte steht in der vollkommenen inneren Freiheitseines Adels; er ist nicht Knecht, sondern Sohn. Ich habe euch nicht Knechte geheien,sondern meine Freunde. Der Knecht kennt den Willen seines Herrn nicht, denn zwischenHerrn und Knecht gibt es keinen Frieden, gibt es keine Freundschat (Inter servum et domi

    num non est amicitia, ut ait philosophus), da nur zwischen Gleichen Freundschat mglichist. Der Gerechte aber ist nicht nur gleich, sondern vllig eins mit dem eingeborenen Sohndes Vaters, ja mit dem Vater und dem gttlichen Grunde selbst.

    Er braucht Gott um nichts zu bitten, er kann ihm vielmehr gebieten, denn er ist Gottes sogewaltig wie Gott seiner selbst gewaltig ist. Was irgend etwas vom andern begehrt, das istKnecht, und was da lohnt, das ist .Herr. Ich dachte neulich darber nach, ob ich von Gottetwas nehmen oder begehren wollte. Ich will es mir sehr wohl berlegen, denn wenn ich vonGott (etwas) nehmen wrde, so wre ich unter Gott wie ein Knecht und er im Geben wie ein

    Herr. Der Gerechte aber ist so gleich und eins mit Gott wie das Bild und das Urbild, die nichtzu unterscheiden und zu trennen sind: Gott selber zum rotz, den Engeln zum rotz, denSeelen und allen Kreaturen zum rotz (sage ich), da sie die Seele, wo sie Bild Gottes ist,(von Gott) nicht zu trennen vermchten! Und rutz Gott,. . . Ich will Gott niemals dardanken, da er mich liebt, denn er kanns gar nicht lassen, ob er wolle oder nicht: seine Natur zwingt ihn dazu. So wie sich hier au dem tiesten Grunde der Demut im Gerechten eintitanischer Adelsstolz erhebt, so hat dieser Vollkommene alle Furcht berwunden, wenn ervor seinem Gotte steht. Denn die Furcht, die Schusterahle, bahnt zwar den Weg, aber nicht

    sie, sondern die nacholgende Freundschat und Liebe verbindet den Gerechten mit Gott, sowie erst der hinter der Ahle olgende Draht den Schuh bindet. So radikal ist bei Eckehart dasKnechtschatsverhltnis von Mensch und Gott in der vlligen Einheit beider berwunden,da er sagen kann: jede kleinste Regung, jedes kleinste Werk dieses Gerechten lt einenFreudeschauer durch das Gttliche rieseln, so da in seinem Grunde nichts bleibt, das nichtvon Freude durchkitzelt werde.

    Wie aber steht dieser gottgeeinte Gerechte zum Leben; Scheint es doch, als tauge diesesleere Ge, das nichts will, nichts hat und nichts wei in geistiger Armut, nur dazu, de

    und tatenlos in die stille Wste des Unendlichen zu starren. Doch nein, das ist es, was dieserMystik Eckeharts den unverkennbaren Stempel des abendlndischen Weltgehls auprgt,den Stempel unendlicher Werdeund atenlust, da r Eckehart die ewige Ruh in Gott demHerrn nicht anders denk und vorstellbar ist denn als ewiges Drngen und Werden.

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    Die stille Wste des unendlichen gttlichen Vernuntseins ist r das vitale Denken Eckehartsein unendlich energiegelltes Geschehen, das wie ein aus sich selbst rollendes Rad seineBewegung im Umschwung immerort in die Ruhe zurcknimmt sie ist r ihn vergleichbar einem unendlichen eurig ssigen Erzu, der kochend sich selbst bestndig mit sichselbst durchdringt, bevor er ausiet in das geschpiche Sein: ertio notandum quod bis

    ait: sunt qui sum puritatem afrmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat. Rursusipsius esse quandam in se ipsum et super se ipsum reexivam conversionem et in se ipsomansionem sive xionem; adhuc autem quandam bullitionem sive parturitionem sui in seervens, et in se ipso et in se ipsum liquescens et bulliens. Lux in luce et in lucem se toto setotum penetrans, et se toto super se totum conversum et reexum undique, secundum illudsapientis: ,monas monadem gignit vel genuit et in se ipsum reexit amorem sive ardorem.Propter hoc loh. I dicitur: ,in ipso vita erat. Vita enim quandam dicit exseritionem, qua resin se ipsa intumescens se proundit primo in se toto, quolibet sui quodlibet sui, antequameundat et ebulliat extra. (Zum dritten ist zu bemerken, da, wenn er zweimal sagt: ,Ich

    bin, der ich bin, er die Reinheit der Bejahung unter Ausschlu alles Negativen von Gott selbstanzeigt, weiterhin sein Sein als eine gewisse au sich selbst und ber sich selbst zurckgebogene Hinwendung und ein InsichselbstRuhen und Feststehen, berdies aber ein gewissesKochen oder SichselbstGebren, das in sich glht und in sich selbst und ber sich selbstveriet und kocht, ein Licht, das im Licht und ins Licht mit sich ganz sich ganz durchdringtund das mit sich ganz ber sich ganz berall gewandt und zurckgebogen ist gem jenemWort eines Weisen: ,Die Monade erzeugt oder erzeugte eine andere Monade und wandte ausich selbst die Liebe oder Glut zurck. Deshalb heit es bei Johannes: ,In ihm war das Leben.Das Leben besagt nmlich ein Ausstrmen, bei dem etwas in sich selbst schwellend sich zu

    nchst in sich selbst ergiet mit jedem eil seiner selbst in jeden eil seiner selbst, bevor essich ausgiet und berkocht nach drauen.)

    Diese unendlichen Energien aber sind auch im Gerechten wirksam, da er ja doch in denRhythmus der unendlich bewegten Gottesevolution eingeschwungen ist: Ich habe schonmanchmal gesagt, Gott erschae diese ganze Welt voll und ganz in diesem Nun. Alles, wasGott je vor sechstausend und mehr Jahren erschu, als er die Welt machte, das erschat Gottjetzt allzumal. Gott ist in allen Dingen; aber soweit Gott gttlich und soweit Gott vernn

    tig ist, ist Gott nirgends so eigentlich wie in der Seele und in den Engeln, wenn du willst: imInnersten der Seele und im Hchsten der Seele. Und wenn ich sage ,das Innerste, so meineich das Hchste; und wenn ich sage ,das Hchste, so meine ich das Innerste der Seele. Im Innersten und im Hchsten der Seele: ich meine sie dort beide als in Einem. Dort, wo niemalsZeit eindrang, niemals ein Bild hineinleuchtete: im Innersten und im Hchsten der Seeleerschat Gott die ganze Welt. Alles, was Gott erschu vor sechstausend Jahren, und alles, wasGott noch nach tausend Jahren erschaen wird, wenn die Welt noch so lange besteht, daserschat Gott im Innersten und im Hchsten der Seele. Alles, was vergangen ist, und alles,was gegenwrtig ist, alles, was zukntig ist, das erschat Gott im Innersten der Seele. Alles,

    was Gott in allen Heiligen wirkt, das wirkt Gott im Innersten der Seele.

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    EINLEIUNG

    Der Vater gebiert seinen Sohn im Innersten der Seele und gebiert dich mit seinem eingeborenen Sohne als nicht geringer. Soll ich Sohn sein, so mu ich in demselben Sein Sohn sein,in dem er Sohn ist, und in keinem andern. Dieser Gerechte, der ber die Kategorien Ort undZeit erhaben ist, wirkt im Nu der Ewigkeit mit Gott die Werke, die er vor tausend Jahren wirkte, die er jetzt in diesem Augenblick wirkt und die er nach tausend Jahren wirken wird, denn

    in der Ewigkeit gibt es kein Vor und Nach: Manche Menschen ragen, wieso der Mensch dieWerke wirken knne, die Gott vor tausend Jahren gewirkt hat und nach tausend Jahren wirken wird, und verstehend nicht. In der Ewigkeit gibt es kein Vor und Nach. Darum, was vortausend Jahren geschehen ist und nach tausend Jahren geschehen wird und jetzt geschieht,das ist eins in der Ewigkeit. Darum, was Gott vor tausend Jahren getan und geschaen hatund nach tausend Jahren tun wird und was er jetzt tut, das ist nichts als ein Werk. Darumwirkt der Mensch, der ber die Zeit erhoben ist in die Ewigkeit, mit Gott, was Gott vor tausend und nach tausend Jahren gewirkt hat. Auch dies ist r weise Leute eine Sache des Wissens und r grobsinnige eine Sache des Glaubens. Man kann allen jenen Erscheinungen,

    die die Mystik im ganzen in Mikredit gebracht haben, nicht skeptischer, nicht ablehnenderbegegnen, als es der Meister tut: jenen trnen und rhrseligen Verzckungen, dem schmeckenden Genieen rmmelnder Gehle und entzckender Gesichte und Visionen. Wollendoch diese Menschen in ihrer Geallsucht nichts anderes hren, als da sie dem Herrn dieLiebsten sind und an welchen Fehlern ihr lieber Mitmensch krankt.

    Nein! Eckeharts Mystik hat nichts mit beschaulichem Quietismus zu tun, sie kennt keineWundersucht, keine ekstatischen Zustnde und kein religises Genieertum. Das Innewerden des Gottes in der eigenen Brust, das lebensvolle Ausquellen und Flieen der ber

    vollen Flle Gottes im Seelengrunde als Frucht der Geburt des Wortes ist nicht nur wenigenAuserwhlten und mit ekstatischer Schau Begnadeten und Begabten, sondern jedem Sterblichen erahrbar: Und darum sage ich abermals, wie ich vorhin schon sagte: Kein Menschhier ist so grobsinnig, so verstndnislos und so untchtig dazu, vermag er nur seinen Willendurch die Gnade Gottes lauterlich und ganz mit dem Willen Gottes zu vereinen, so brauchter in seinem Verlangen nur zu sprechen: ,Herr weise mir deinen liebsten Willen, und strkemich, den zu tun!, und Gott tut es so gewi, wie er lebt, und Gott gibt ihm in ebenso reichlicher Flle in jeder Weise vollkommen, wie ers nur irgend diesem Weibe gab. Seht, dies

    kann der Grobsinnigste und der Geringste unter euch allen von Gott empangen, noch eheer heute aus dieser Kirche kommt, ja, noch ehe ich heute zu Ende predige, in voller Wahrheitund so gewi, wie Gott lebt und ich Mensch bin! Und darum sage ich: .Erschrecket nicht!diese Freude ist euch nicht ern, wollt ihr sie nur verstndig suchen. Der Gerechte ist gewiein Ausnahmemensch, und Eckehart gbe reudig ein Mnster voll Goldes und Edelgesteinsr ein Huhn, das dieser Gerechte verzehrte. Wisset, da das Knigreich sich selig preisenkann, in dem dieser Menschen einer lebt; denn sie schaen in einem Augenblick mehr ewigenNutzens als alle ueren Werke. Aber dieser Gerechte ist deshalb doch kein bermensch; erist ein Mensch wie alle Menschen, gebunden an ein sinnenhatleibliches Dasein. Auch ihm

    wird ein schmerzend schriller on niemals zum Ohrenschmaus eines sen Saitenspiels,auch er wird angeallen und bewegt von den Wechselllen des Lebens; aber er steht est, eswirt ihn nicht mehr aus der Bahn.

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    EINLEIUNG

    Diese innere Freiheit und innere Festigkeit aber ist kein Gnadengeschenk von oben, sie istder Siegespreis eines harten Kampes mit sich selbst um die vllige Gelassenheit. Jenen, diesich bequem au ein Faulbett legen, indem sie sagen: Ich will einen guten Willen haben undein guter Mensch sein, im brigen aber meine Ruhe haben, denen rut Eckehart zu: Euch wirdnichts! Man soll lauen in den Frieden, man soll nicht anangen im Frieden, d. h. die innere

    Ruhe und Ausgeglichenheit kann nur das Ergebnis eines bestndigen Ringens bis zur vlligen Selbstbeherrschung sein, so wie die Beherrschung einer Kunst, der Kunst des Schreibensoder Geigenspiels etwa, die schlielich wie von selbst und ohne bewut gedchtnismigeKontrolle vom Knstler ausgehrt wird, nur die Frucht sauren und eiigen bens seinkann. Ein Gesinde lobte die Gewalt und den Reichtum seines Herrn. Der Herr aber sprach:Wahrlich, sie haben mich nicht gelobt, denn sie haben das Grte, um dessentwillen ich zuloben bin, vergessen, dies nmlich, da ich die Gewalt habe, meinem Krper zu gebieten,was ich will. Es lebt ein reudiger Kampeswille in diesem Eckehart, in dessen Adern Ritterblut o: Es ist ein Zeichen, da der Knig oder ein Frst einem Ritter wohl vertraut, wenn

    er ihn in den Kamp sendet, so sagt der Meister und gt hinzu: Ich habe einen Herrn gesehen, der bisweilen, wenn er jemand in sein Gesinde augenommen hatte, diesen bei Nachtaussandte und ihn dann selbst anritt und mit ihm ocht. Und es geschah einst, da er beinahe gettet ward von einem, den er au solche Weise erproben wollte; und diesen Knechthatte er danach viel lieber als vorher.

    Dieser Kamp und dieses Bingen um die innere Freiheit aber ist r Eckehart wiederum nichtein Auergewhnliches, und er ist insbesondere nicht an eine bestimmte und ausschlieliche Weise gebunden : Eines schickt sich nicht r alle, es gibt der Weisen viele, die zur

    Vollkommenheit hren, und nicht alle Menschen knnen nur einem Wege olgen. Denndie Menschen sind nun einmal verschieden, und was ot des einen Leben ist, ist des andernod. Gott aber, der nicht ein Zerstrer, sondern ein Vollender der Natur ist, will, da einemjeden sein Rock nach eigenem Ma geschnitten werde, und so kommt es, da der Rock, derdem einen pat, dem andern ganz und gar nicht sitzt. Was den neuen Menschen, den Gerechten kennzeichnet, ist nicht die uere Weise, sondern die innere Haltung, die Gesinnung, die durch ausdauerndste bung errungene innere Zucht und Ordnung, die durch keinChaos mehr zerstreut und zerstrt werden kann. Dieser recht gerichtete neue Adam kennt

    die innere Unsicherheit und Bedenklichkeit des Ungebten nicht mehr: Wan wolte ein mler aller striche gedenken an dem ersten striche, den er strichet, da enwrde niht z. Solte einer an eine stat gan unde gedghte, wie er den ersten uoz saste, da enwrde aber niht z. Darumbe sol man dem ersten volgen und gn also r sich hin, so kumt man da hin, dar man sol,unt dem ist reht. Unbeirrbar ist sich der Gerechte des rechten Weges wohl bewut, niemandwird ihn irre machen und behindern knnen: Ich spriche, daz ein guoter mensche niht lihtegehindert mac werden. Ergert er sich aber von dekeinen dingen, so enist er niht vollekomen.

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    EINLEIUNG

    Er setzt aus der unverrckbaren, sicheren Festigkeit seines innersten Richtpunktes an, undsein un und Lassen kann nicht anders als gerecht werden, so wie die Kreislinie gut werdenmu, wenn der Zirkel est seinen Drehpunkt innehlt. Die Gelassenheit dieses Gerechtenruht au dem Grunde der Diszipliniertheit und Ordnung seiner inneren Struktur und seinesKrtespiels. So wie in einem Heer der Knecht unter den Ritter, der Ritter unter den Graen

    und der Gra unter den Herzog geordnet stehen mu, wenn das Ganze Frieden haben will, soauch sind die Krte der gerechten Seele organisch geordnet zu ruchtbarem Zusammenwirken: die unteren vegetativen und animalischen und Sinnenkrte unter die oberen und dieseunter die obersten Krte, Wille und Vernunt. Das Ganze aber ist beherrscht und regiertdurch das Haupt, den Gipel der Seele, jenes oberste und tieste Namenlose, das Eckehartbildlich dieBurg, den Funken, den Grund, den Wirbel oder auch die oberste Vernunt nennt.Mit diesem obersten Wipel seines Seins aber ragt der Gerechte hinein in das unendlichegttliche Sein. Und wenn hier das Wort, der Sohn geboren wird, so ist diese Geburt, diesesinnere Werk eine gewaltige Kratquelle, die die untereinander geschichteten Seelenkrte bis

    in die unterste durchstrahlt, so wie die Krat eines Magneten noch die unterste an ihm hngende Nadel erat. In der untersten Seinsregion des Gerechten aber bricht diese gttlicheKrat des inneren Werkes mit Naturnotwendigkeit aus ins uere Werk. Dies Werk aber kannnun nur gerecht und wesentch sein, weil es ein organischer Ausu aus dem Gerechtseindes Gerechten ist: Got sprach: ,wir machen! Die meister sprechent: war umbe sprach gotruht: wir tuon oder wir wirken? uon daz ist ein zwendic werc, da der inner mensche nihtzuo kumt. Wirken kumt von dem zern menschen unde von dem inneren, aber daz innerste der sele kumt niht dar zuo. Da man ein dinc machet, da muoz daz allerinnerste in diezwendikeit komen des menschen. Dieses aus dem innersten Gerechtsein kommende Werk

    ist immer gro, ist immer ein echtes Gewerbe, kein blo ueres un,101 denn es ietabsichtslos und ohne Warum aus dem Grunde der Gerechtigkeit, so wie das Leben absichtslos aus seinem Grunde entquillt: Wer das Leben ragte tausend Jahre lang:,Warumlebst du? knnte es antworten, es sprche nichts anderes als: ,Ich lebe darum, da ich lebe.. . und Wer nun einen wahrhatigen Menschen, der aus seinem eigenen Grunde wirkt, ragte:.Warum wirkst du deine Werke; sollte er recht antworten, er sprche nichts anderes als: ,Ichwirke darum, da ich wirke , und ragtest du diesen Menschen: Warum lebst du!, er wrdeantworten: raun, ich wei es nicht, ich lebe gerne!

    Diese Werke des Gerechten sind immer lebendig, weil ihr Rang allein durch die groe adlige Gesinnung bestimmt ist und ihr Impuls nicht aus der toten Schicht des ichgebundenenzeitlichen Konrad oder Heinrich, sondern aus dem lebendigen innersten ewigen Kern desgottgeeinten wesentlichen Menschen stammt: Und darum geh in deinen eigenen Grundund wirke dort; die Werke aber, die du dort wirkst, die sind alle lebendig. Und darum sagter: ,Der Gerechte lebt. Denn deshalb, weil er gerecht ist, darum wirkt er, und seine Werkeleben. Und so, wie der Sohn dem Sein nach eins ist mit dem Vater, so bist du dem Sein undder Natur nach eins mit ihm und hast es alles in dir, wie es der Vater in sich hat.

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    EINLEIUNG

    Du hast es von Gott nicht zu Lehen, denn Gott ist dein Eigen, und so nimmst du alles, wasdu nimmst, in deinem Eigenen, und was du an Werken nicht in deinem Eigenen nimmst, dieWerke sind alle tot vor Gott. Das sind die, zu denen du auerhalb deiner durch remde Dingebewegt wirst, denn sie kommen nicht aus dem Leben: darum sind sie tot, denn nur das Dinglebt, das Bewegung aus seinem Eigenen empngt. Und so denn: sollen des Menschen Werke

    leben, so mssen sie aus seinem Eigenen genommen werden, nicht von remden Dingen hernoch auerhalb seiner, sondern in ihm. Der kategorische Imperativ ist diesem Gerechtenzum Habitus unverlierbarer ugend und chtigkeit geworden, der sich wie von selbst injedem kleinsten wie in jedem grten Werk, in jeder Weise und an jedem Ort mit gleichemAdel auswirkt. Als man Eckehart ragte, ob es das Beste wre, sich von den Leuten in denFrieden der Kirche zurckzuziehen, antwortete er : Nein! Der Gerechte hat Gott an allen Sttten, in der Strae unter der Menge der Leute sowohl wie in der Kirche oder in der Einsamkeitder Zelle. Und so wie Gott keine Mannigaltigkeit zerstreuen kann, so kann diesen Menschennichts zerstreuen und zersplittern. Wem aber Gott nicht so innewohnt, und wer ihn auen,

    bald in dem und bald in jenem suchen mu, den mgen wohl die Leute hindern, aber denhindert nicht nur die bse Gesellschat, sondern auch die gute, nicht nur die Strae, sondernauch die Kirche, nicht allein bse Worte und Werke, sondern auch gute, denn das Hindernishegt in ihm selbst, weil Gott in ihm nicht alle Dinge geworden ist. Ganz so, wie wenn einerin ein reines Ge, das vllig lauter und rein wre, reines Wasser gsse und es still hielte unddann ein Mensch sein Antlitz darber beugte, so she er es am Boden ganz so, wie es an sichselbst ist. Das kommt daher, weil das Wasser lauter und rein und still ist. Ebenso ist es mitallen den Menschen, die da stehen in Freiheit und in Einheit in sich selbst. Und wenn sie Gottempangen in Frieden und in der Ruhe, so sollen sie ihn auch empangen in Unrieden und

    in der Unruhe; dann ist es vllig recht. Fassen sie ihn aber weniger im Unrieden und in derUnruhe als in der Ruhe und im Frieden, so ist das unrecht, Da ein Mensch ein ruhiges oderrastliches Leben in Gott hat, das ist gut; da der Mensch ein mhevolles Leben mit Geduldertrgt, das ist besser; aber da man Ruhe habe im mhevollen Leben, das ist das Allerbeste. Ein Mensch gehe bers Feld und spreche sein Gebet und erkenne Gott, oder er sei in derKirche und erkenne Gott: erkennt er darum Gott mehr, weil er an einer ruhigen Sttte weilt,so kommt das von seiner Unzulnglichkeit her, nicht aber von Gottes wegen; denn Gott istgleicherweise in allen Dingen und an allen Sttten.. .los, er ist im Stalle und am Herdeuer

    wie in der Kirche. Wer eine Quelle durch seinen Garten leiten will, der ragt nicht danach,ob die Rinnen oder Rhren aus Eisen, Holz oder Stein sind, au das Wasser allein hat er esabgesehen.

    So auch leuchtet das Gttliche im Gleichmut des Gerechten aus jedem seiner Werke, ausdem weltlichsten wie aus dem rmmsten: Und da ist wol ein werck anders, dan das ander;aber der sine werck ttte uss einem glichen gemut, in der Wahrheit, des werck werend ochalle glich, und dem rechte were, in der Wahrheit, dem luchtett got als bloss in dem weltlichen, als in dem aller gotlichsten, dem got also wer worden. Ja, das Gttliche oenbart sich

    auch dann, wenn der Mensch, vom inneren Werk geangen, das uere gegen das kirchlicheGebot unterlt:

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    EINLEIUNG

    Wenn der Mensch sich wohl geordnet ndet zu echter Innerlichkeit, so lasse er khnlichab von allem ueren Wirken, und sollten es selbst solche Werke sein, zu denen du dich mitGelbden verbunden httest, von denen dich selbst kein Papst und kein Bischo entbindenknnte. Findest du, da dein Gelbde dich hindert und da es dich nher in Gott hrt, wenndu davon bereit bist, so la khnlich ab davon, denn jedes Werk, das dich Gott nher bringt,

    das ist das allerbeste.und darum mit allem recht und urteile mgen die wol essen, die alsrecht bereit weren zu dem vasten.

    Und so verliert r die Sicht Meister Eckeharts selbst die Snde, und noch die schwerste, ihrenrein negativen Aspekt, ja sie enthlt r den Gerechten ein durchaus positives Element: Injedem Werk, auch im bsen ... oenbart sich und erstrahlt gleichermaen Gottes Herrlichkeit, so lautet der vierte Satz der Verurteilungsbulle, der aus Eckeharts Johanneskommentar entnommen wurde. Fr den Metaphysiker Eckehart ist die Snde ein reines Nichts, derAball vom Sein, vom Einen in die Mannigaltigkeit, in die Zahl. rotzdem hat das Bse eine

    metaphysische Realitt; es ist da, wir haben mit ihm zu kmpen. Und darum ist es r denEthiker die gottgewollte Folie, au der das Sein steht, ist es die Finsternis, in der das Licht erstseine Leuchtkrat bewhren kann: Und darum, da Gott in gewisser Weise will, da ich auchSnde getan habe, so wollte ich nicht, da ich sie nicht getan htte. Ja: Gott vergibt liebergroe Snden als kleine, und je grer sie sind, um so lieber und schneller vergibt er sie. DieNeigung aber zur Snde ist r Eckehart geradezu ein unentbehrlicher Faktor menschlichenDaseins, dessen eigentlicher Sinn sich erst im siegreichen Kamp gegen das Schlechte undGemeine erllt: wenn der Gerechte zu wnschen htte, der wrde niemals wnschen wollen, da ihm die Neigung zur Snde verginge, denn ohne die stnde der Mensch unsicher

    in allen Dingen ... der Ehre des Kampes, des Sieges und des Lohnes ermangelnd .. . dennugend und Untugend liegen allein im Willen.

    Und so sind sie denn schwer zu erkennen, diese Gerechten und Vollkommenen Meister Eckeharts: wenn es ihnen Bedrnis ist, so essen sie, whrend andere Leute asten; sie schlaen,wenn andere wachen; sie schweigen, wenn andere beten: kurz gesagt, alle ihre Worte undWerke sind von der Menge unbegrien,denn diese Gerechten wissen, da alle diejenigen, dieviel asten und wachen und groe Werke verrichten, ohne dabei ihre Fehler und ihren Le

    benswandel zu bessern, sich selber betrgen und des euels Spott sind. An einem aber sinddiese Gerechten r jedermann untrglich zu erkennen: an ihrem Verhalten zum Nchsten,zur Gemeinschat. Niemals entziehen sie sich der sozialethischen Picht und at. Denn so,wie ein solcher Gerechter in der Wiedergeburt das kleine ichbeangene Menschenindividuum Konrad und Heinrich abgelegt und mit dem LogosChristus die ganze Menschheit, dieumassende Menschennatur angenommen hat, so kann man glich sagen: dieser Menschist alle Menschen; er hat die Schranken des Ich und der Selbstgengsamkeit durchbrochen,er kennt die Eigensucht, das Kernlaster dieser Welt, nicht mehr; die Ehre seines Nchsten,seine Freuden und seine Nte sind seine eigenen.

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    EINLEIUNG

    Wenn du hundert Mark bei dir mehr hebst als bei einem andern, so ist das unrecht, wenngleich es viele gelehrte Leute gibt, die das nicht begreien. Und wenn die Leute sagen: Ichhabe meinen Freund, von dem mir Gutes geschieht, lieber als einen andern Menschen, so istdas zwar natrlich und nicht eben zu verweren, denn manche Leute ahren bers Meer mithalbem Winde und kommen auch hinber, aber vollkommen ist das nicht. Und vollkom

    men sind die wahrlich nicht, die einen armen Freund verleugnen und ihn abtun mit Behtdich Gott!, den aber, der Geld und Geltung hat, laut bezeugen mit Du bist mein Verwandt!Vollkommen vielmehr ist der Gerechte, der, wenn er von einem siechen Menschen hrt, dereines Sppleins von ihm bedrte, mitten aus seiner inneren Sammlung und Versunkenheit,und wre sie so gro wie St. Pauls Verzckung, auhrt und hineilt, dem Bedrtigen helendzu dienen. So wie ein jedes Glied zunchst dem ganzen Krper und dann jedem einzelnenseiner MitGlieder wie sich selbst dient, so auch dient der Gerechte der Gemeinschat. Oculus non plus sibi videt quam pedi, sed sibi et singulis partibus aequaliter. Das Auge siehtnicht mehr r sich als r den Fu, sondern gleichmig r sich und die einzelnen Krper

    eile.Seht, die Natur verolgt bei jedem Glied zweierlei Zwecke damit, da es am Menschenwirkt. Der erste Zweck, den es in seinen Werken verolgt, ist, dem Leibe insgesamt zu dienen und danach einem jeglichen Gliede gesondert wie sich selbst und nicht weniger als sichselbst, und es hat sich selbst in seinen Werken nicht mehr im Auge als ein anderes Glied ...Das erste Absehen deiner Liebe soll rein au Gott und danach au deinen Nchsten wie audich selbst und nicht minder als au dich selbst gerichtet sein. Liebst du aber die Seligkeit indir mehr als in einem andern, so hebst du dich selbst, und wo du dich liebst, da ist nicht Gottdeine reine Liebe, und das ist unrecht. Gut und ein ntzliches Glied ist nur das, was sichgemeinet, und in dieser Sicht kann ein Einsiedler nicht gut genannt werden, da er nicht

    gemeine und den Leuten nicht ntze ist.

    Und wenn nun Meister Eckehart seiner Weisheit letzten Schlu ziehen soll, wenn er sagensoll, wie er es denn im iesten, Hchsten und Eigentlichsten meine mit seiner Lehre vomabgeschiedenen Gerechten, dann greit er zum Evangelium von Maria und Martha, um ihmeine ganz eigene Deutung zu geben. Wenn er manche seiner khnen uerungen in seinenPredigten begleitet mit ausdrcklicher Betonung seiner Abweichung von der Lehre oderLehrmeinung der Meister, wenn er gelegentlich mit deutlich stolzem Selbstbewutsein so

    gar betont: dies ist wider alle die Meister, die jetzt leben! ,so htte er bei seiner vllig eigenwilligen Auslegung des Evangeliums von Maria und Martha sagen mssen: Dies ist gegendie ganz und gar eindeutige Meinung des Meisters aller Meister selbst. Denn Eckehart kehrtdie Wertung der beschaulichen Maria und der ttigen Martha zunchst um: nicht Maria, diesinnend Insichgekehrte, sondern Martha, die Rhrigrege hat den besten eil erwhlt odervielmehr den hheren Grad der Vollkommenheit erreicht, denn auch Maria strebt der gleichen Vollendung zu, die Martha bereits erreicht hat. Maria ist erst Martha gewesen, ehe sieMaria werden sollte, denn damals, als sie noch zu Fen des Herrn in der Schule sa undleben lernte, da war sie noch nicht die wahre Maria.

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    EINLEIUNG

    Denn diese Maria wei noch nichts vom Leben; sie sitzt noch ahndevoll und begehrt, siewei nicht wie, und will, sie wei nicht was. Er hege den leisen Verdacht, sagt unser Meister humorvoll, da sie wohl mehr um der wohligsen Empndungen willen zu des HerrnFen sa, als wegen der Bereicherung des Erkennens. Martha durchschaute ihre Schwester, und deshalb sprach sie neckischliebevoll: Herr, hei sie austehen, au da sie in der

    Schule des Lebens lerne wesentlich zu sein. Denn dies ist es, was dieser Maria noch ehlt: diereie Geschlossenheit und innere Festigkeit der vollen Persnlichkeit, deren Wissen nichtblo angelernt und innerlich genieerisch erschaut, sondern im harten Lebenskampundttiger Auseinandersetzung mit den Dingen dieser Welt zu einem echten und tieen, erahrungssicherenWissen um das Wesen der Erscheinungen vertiet wurde. Solches Wissen aberund solche innere Festigkeit und Reie behigt diese Martha zum sieg und erolggekrntenWirken mitten im Strudel und in der Unruhe des ttigen Lebens. Denn der oberste Wipelihres Seins, der Kern ihrer reien Persnlichkeit, wird nicht mehr bersplt und berutetdurch die Wogen der Gehlsauwallung, er wird nicht mehr gehrdet durch die lrmende

    Unruhe des Lebens; er ragt vielmehr ber all dies unerschtterlich est und beherrschendhinaus. Diese reie Martha steht als die Gerechte bei der Sorge und bei den Dingen, nicht inder Sorge und in den Dingen. Und dies ist nun das Wichtigste: sie ist ruchtbar geworden. Diebloe Anlage der Gebrhigkeit der Jungrau ist bei ihr zur wirklichen Geburt des Weibesgereit und vollendet. Denn Weib ist der edelste der Namen. Einzig um der Frucht willen gibtman eine Jungrau dem Manne, au da sie zum ruchtbaren Weibe reie. So aber auch hates Gott allein au die Frucht unseres Wirkens abgesehen, denn in der Schau dienst du alleindir selber, im tchtigen Wirken aber dienst du der Gemeinschat.

    Maria und Martha jedoch sind keine Gegenstze, sie gehren vielmehr zusammen wie Potenz und Akt, wie Anang und Ende, wie Knospe und Frucht, wie Werden und Sein. Wernichts geworden ist, kann nichts sein; wer nicht au der Schulbank gesessen hat, kann nichtswissen. Das Wissen aber des wesentlich gewordenen, des gerechten Menschen ist kein ueres Wissen um die Zulle, um die ueren Merkmale des Seins und Geschehens an denDingen dieser Welt, es ist vielmehr ein Wissen um die ieen und Hintergrnde der Welt derErscheinungen, um ihr innerstes Wesen und ihren wahren Sinn, um ihr Augehobensein imgttlichen Urgrund, um das innigste Durchdrungensein von Welt und Gott. Es ist das Wis

    sen darum, da diese Welt, so wie sie ist, nicht ein Abweg, nicht ein Irrweg von, sondern einWeg zu Gott ist. Nur diejenigen, die die alsche Einstellung zu den Dingen dieser Welt haben,d. h., die sie ihren egoistischen und niedrigen Gelsten und Zwecken dienstbar zu machensuchen, nur sie werden durch die Kreaturen behindert, nur sie werdent irre in gotes wege,wan die creatre sint ein wec zuo gote.

    Wenn dem so ist, wenn die Kreaturen ein Weg zu Gott sind, dann kann nicht Abkehr undFlucht vor der Welt zum wahren Erkennen des Ewigen hren, sondern nur der Durchbruch durch den wesenlosen Schein der Kreatur zu ihrem wesenhaten Kern: Dies kann

    der Mensch nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen chtet und sich von derAuenwelt weg in die Einsamkeit kehrt; er mu vielmehr eine innere Einsamkeit lernen, wound bei wem er auch sei.

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    EINLEIUNG

    Er mu lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu ergreien und den kratvoll in einer wesenhaten Weise in sich einbilden zu knnen. Jegliche Kreatur ist Gottesvoll und ist ein Buch, und wer dieses Buch recht studiert und zu echter Erkenntnis derKreatur vordringt, der braucht keine Predigt. Dieser Welt beste Schule und grndlichsterLehrmeister ist das Leben. Nichts hrt zur letzten Selbsterkenntnis und zugleich zur we

    sentlichen Welterkenntnis als das Leben. Leben gibt das edelste Erkennen, denn Leben nurhrt zur Selbst und zur Gotteserkenntnis: Martha kannte Maria besser als Maria Martha,denn sie hatte schon lange und recht gelebt; das Leben nmlich schenkt die edelste Erkenntnis. Das Leben lt Lust und Licht besser erkennen als alles, was man in diesem Leben unterhalb Gottes erlangen kann, und in gewisser Weise reiner, als es das Licht der Ewigkeit zuverleihen vermag. Das Licht der Ewigkeit nmlich lt uns immer nur uns selbst und Gott erkennen, nicht aber uns selbst ohne Gott. Wo man aber nur sich selbst im Blick hat, da nimmtman den Unterschied von Gleich und Ungleich schrer wahr. Das Leben aber, das zu solchedelstem Erkennen sowohl der iee des eigenen Seelengrundes wie des Sinns und Seins der

    Welt hrt, ist nicht die vita contemplativa der Zurckgezogenheit und Flucht, sondern dievita activa ttiger Auseinandersetzung mit den Dingen dieser Welt, ist das rhrige Wirkendes wesentlich gewordenen Gerechten im Dienste der Gemeinschat: Nun aber wollen gewisse Leute es gar so weit bringen, da sie der Werke ledig werden. Ich aber sage: Das kannnicht sein! Nach dem Zeitpunkt, da die Jnger den heiligen Geist empngen, da erst ngensie an, ugenden zu wirken. Daher: als Maria zu Fen unseres Herrn sa, da lernte sie noch,denn noch erst war sie in die Schule genommen und lernte leben. Aber spterhin, als Christus gen Himmel geahren war und sie den Heiligen Geist empangen hatte, da erst ng sie anzu dienen und uhr bers Meer und predigte und lehrte und ward eine Dienerin der Jnger.

    Wenn die Heiligen zu Heiligen werden, dann erst angen sie an, ugenden zu wirken; denndann erst sammeln sie einen Hort r die ewige Seligkeit.

    Und so sind Maria und Martha in der Sicht Eckeharts, des deutschen Mystikers, keine zweiverschiedenen und sich gegenseitig ausschlieenden Seins weisen menschlicher Existenz;sie sind vielmehr zwei einander zugeordnete, sich gegenseitig ergnzende, ja sich durchdringende Verhaltungsormen au dem Wege zur Geburt des Gerechten aus dem ewigen Grundeder Gerechtigkeit. In der Geburt dieses Gerechten aber, in der Geburt des Wortes im Seelen

    grunde des Gerechten, schliet sich dieser Weg zum Kreise: schauendes und wirkendes Leben ordern einander, sie sind im Grunde eins, sie sind zusammen das Leben, das voll erllteLeben des Gerechten, der est au dieser Erde steht, der hier sich umsieht und durch dessenttigen Dienst an der und in der Gemeinschat alle Kreatur heimgebracht wird in den gttlichen Urgrund, aus dem sie ausgeossen: Eines ist gar edel, das andere ist sehr ntze. Mariaward sehr gelobt, da sie das Beste erwhlt htte. Wiederum war auch Marthas Leben garntze, denn sie diente Christo und seinen Jngern. Der heilige Tomas sagt, das wirkendeLeben sei dann besser als das schauende, wenn man in der Wirksamkeit in Liebe ausgiet,was man in der Schau eingebracht hat.

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    EINLEIUNG

    Dabei hegt nur Eines vor, denn man greit nirgends hin als in den gleichen Grund der Schauund macht das ruchtbar im Wirken, und eben da wird der Sinn der Schau erllt. Wenn auchdabei Bewegung vor sich geht, so ist es doch nichts als Eines: es kommt aus einem Ende, dasGott ist, und kehrt wieder in dasselbe zurck. Wie wenn ich in diesem Hause von einem Endezum andern ginge, das wre wohl Bewegung und wre doch nichts als Eines in Einem. Ganz

    so hat man in dieser Wirksamkeit nichts anderes