Tauler Predigten Buch 2

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    INHALT

    41. Und Jesus stieg in ein Boot ...

    (5. Sonntag nach Dreifaltigkeit 11)

    42. Im heiligen Evangelium dieser Woche liest man ...

    (5. Sonntag nach Dreifaltigkeit 111)

    43. Heute begeht man den ehrw rdigen Festtag

    (Fest der Geburt des Johannes des Tufers I)

    44. Er ist gekommen, Zeugnis zu geben ...

    (Fest der Geburt des Johannes des Tufers 11)

    45. Alle Werke, die alle Menschen ...

    (8. Sonntag nach Dreifaltigkeit I)

    46. Als unser Herr sich Jerusalem nherte ...

    (10. Sonntag nach Dreifaltigkeit 11 1)

    47. Der hl. Paulus sagt in der heutigen Epistel ...

    (10. Sonntag nach Dreifaltigkeit)

    48. Zwei Menschen stiegen zum Tempel hinauf ...

    (11. Sonntag nach Dreifaltigkeit)

    49. Zum heutigen Tage lesen wir im Evangelium ...

    (12. Sonntag nach Dreifaltigkeit I)

    50. Der Buchstabe ttet ...

    (12. Sonntag nach Dreifaltigkeit II) 382

    51. Man liest, da sich unser Herr ... freute ...

    (13. Sonntag nach Dreifaltigkeit I)

    52. Ein Phariser wollte ...

    (13. Sonntag nach Dreifaltigkeit IJ2)

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    53. In dem Evangelium dieser Woche findet man die laut erste Wahrheit

    (13. Sonntag nach Dreifaltigkeit III)

    54. Jenes Wort ist dem Buche des Jesus Sirach entnommen

    (Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel)

    55. Man begeht heute den schnen Tag ...

    (Fest der Geburt Mariens)

    56. Heute begeht man die Oktav. "

    (am Oktavtag des Festes der Geburt Mariens I)57. Liebe Schwestern, in der letzten Predigt

    (am Oktavtag des Festes der Geburt Mariens II)

    58. Heute ist der Tag der Erhlebung des hl. Kreuzes

    (Kreuzerhhung I)

    59. Heute ist der Tag der Erhebung

    (Kreuzerhhung II)

    60. Wir begehen heute den Tag der Erhhung

    (Kreuzerhhung III)

    61. "Liebe Schwestern, in diesen Worten ... "

    (15. Sonntag nach Dreifaltigkeit 3 I) .

    62. "Suchet zuerst das Reich Gottes ... "

    (15. Sonntag nach Dreifaltigkeit II)

    63. Diese Predigt lehrt ...

    (16. Sonntag nach Dreifaltigkeit)

    64. Dieser liebenswerte Heilige ...

    (St. Matthus)

    65. Diese Predigt auf die Epistel des hl. Paulus

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    (17. Sonntag. nach Dreifaltigkeit I)

    66. St. Paulus sagt: "Als der Gefangene 1m Herrn ... "

    (17. Sonntag nach Dreifaltigkeit II)

    67. Es ist heute der hohe Gedenktag der hl. Engel

    (Fest der hl. Engel)

    68. Heute ist das Fest der Kirchweihe

    (Fest der Kirchweihe I)

    69. Unser Herr hat uns hier selber gelehrt

    (Fest der Kirchweihe II)

    70. "Brder, erneuert euch ... "

    (19. Sonntag nach Dreifaltigkeit)

    71. Jesus stieg den Berg hinan

    (Allerheiligen)

    72. Unser Herr sprach: "Wer mir dient ... "

    (1. Sonntag nach Allerheiligen)

    73. Heute begeht man den Tag der edlen Jungfrau Cordula

    (Triduum der hl. Cordula)

    74. Gestern wurde euch gesagt

    (20. Sonntag nach Dreifaltigkeit -Triduum der hl. Cordula II-)75. Der liebenswerte hl. Paulus sagt ...

    (21. Sonntag nach Dreifaltigkeit Triduum der hl. Cordula III-)

    76. St. Paulus sagt: "Brder, ich bitte euch ... "

    (22. Sonntag nach Dreifaltigkeit)

    77. Solche Phariser ...

    (3. Sonntag im Advent 4)

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    P r e d i g t e n u n d A n s p r a c h e n o h n e b e s t i m m t e n P l a t z i m K i r c h e n j a h r

    78. Diese Worte bedeuten ...

    (Auf das Fest eines Bekenners)

    79. Diese Worte spricht die Braut im Hohenlied

    (Aufnahme in den Orden) 605

    80. Dies schreibt der Prophet im Buche der Psalmen

    (Fr den guten Gebrauch des Tages)

    81. Liebe Schwestern, ich rate, ermahne und bitte euch ...

    (Eine gute Beichte)

    82. Mit folgenden Worten ...

    (Beichtformel)

    83. Moses sprach: "Israel, hre!"

    (Anleitung zur Betrachtung)

    84. Gegenstand ohne berschrift und Thema

    (Anleitung zur Lektre mystischer Schriften)

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 4 3 Diese Predigt auf die Geburt des heiligen Johannes des Tufers spricht von zwei Arten

    Leiden, wodurch die Gnade Gottes in jedem Menschen geboren wird, so da er auf

    geistliche Weise das Priesteramt auszuben vermag; auch lehrt sie, das falsche Licht vom

    wahren zu unterscheiden.

    HEUTE BEGEHT MAN den ehrwrdigen Festtag des auserwhlten heiligen Johannes des Tufers; keines anderen Heiligen Geburt wird in dieser Weise begangen. Der Name "Johannes" bedeutet, kurz gesagt, den, "in dem die Gnade ist".Wo aber die Gnade geboren werden soll, da mu zuvor der Weg beschritten werden,von dem ich gestern sprach. Ich sprach da von zwei Arten von Leiden: das eine liegt

    in der Natur und rhrt vom ersten Fall des Menschengeschlechtes her; das andereist ein Leiden in Pein.

    Das erste Leiden besteht darin, da der Mensch zu Gebrechen geneigt ist, und das istseiner Natur eingepflanzt, und diese Anflligkeit soll dem Menschen allerwegenzuwider sein, und er soll seinen Willen mit ganzer Kraft davon abkehren, soweit nurimmer dieses bel Gott widerwrtig ist.

    Das andere Leiden ist aus dem ersten entstanden: das ist eine Pein und ein Schmerz,

    der soll den Menschen bereitwillig finden und ihm willkommen sein; denn diesesLeiden fllt auf ihn, damit er dem liebevollen Vorbild unseres Herrn Jesus Christusnachfolge, der zeit seines Lebens groes und schweres Leiden erduldete.

    Nun lt Gott oft die Leiden menschlicher Gebrechlichkeit auf einen Menschenkommen in der Absicht, da dieser in schmerzlichem Fall sich besser erkenne, da erzu lieben lerne, sich bereitwillig auf den Weg der Pein fhren lasse in seinen Leiden,die auf ihn fallen oder auf ihn zukommen. Wer, ihr Lieben, sich diesem Wegberlassen knnte, das wre ein kstlich Ding, und auf diesem seligsten Weg desLeidens soll der Mensch allzeit auf seine Schwche herniedersehen, auf seinUnvermgen, seine Unwrdigkeit, sein Nichts. Ja, wer diesen Weg (zu gehen) lernteund ihn verstnde und sonst keine bung (der Frmmigkeit) vornhme, als da ernur ohne Unterla niedershe auf sein Nichts, sein Nichtssein, sein Unvermgen, indem wrde wahrlich Gottes Gnade geboren.

    Nun hat, meine Lieben, der Mensch gar nichts von sich selbst; alles gehrt ganz undausschlielich Gott, Groes und Kleines, zu vollem und unmittelbarem Eigentum.Der Mensch ist von sich aus nichts, als da er ein Verderber alles Guten ist, in- undauswendig; und wenn etwas in ihm ist, so ist das nicht des Menschen Eigentum.

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    Dessen sollte er stets gedenken und in sein Nichts blicken; und da er sehr zu allemBsen neigt, soweit die Natur frei ist, sollte er sehr trachten, sich selber zu erkennen,zu sehen, wohin sein Grund ziele, seine Gesinnung, Zuneigung, sein Streben, ob keinUnkraut darunter wachse. Denn der Grund mu lauter und einzig auf Gott gehen

    und nichts anderes im Sinn haben als ihn.

    Auch sollst du in jeder Weise deinen ueren Wandel betrachten, dein Reden undTun, deine Sitten und dein Verhalten, deine Kleidung und deinen Umgang; undfindest du, da du irgendwie gefehlt hast in all deinen Tagen, so sollst du es vollSchmerz Gott klagen, dich ihm schuldig geben, ein innerliches Seufzen1 zu Gottsenden, und so ist alles bald in Ordnung gebracht.

    Dieses inwendige Forschen von Grund aus ist sehr ntzlich. Dies taten die heiligenApostel nicht ihrer Snde wegen, sondern weil das Verbleiben im Irdischen bei allen

    Menschen so stark ist und weil sie ohne Unterla ein Drngen zu Gott hin fhlten. Wenn dem. Menschen gegeben wird, einen Blick in die Ewigkeit zu tun und ihrereinen Vorgeschmack zu genieen, entsteht in ihm ein innerliches Seufzen, das dieueren Sinne durchdringt; das ist gleichsam der uere Altar, der auen vor demAllerheiligsten2 steht, auf dem man Gott Bcke und Ochsen darbrachte. So opferthier der Mensch sein fleischliches Blut als Entgelt fr das so teuere Blut unseresHerrn Jesus Christus.

    Bei diesem Blick in seine Gebrechlichkeit soll sich der Mensch sehr demtigen und

    sich Gott zu Fssen werfen, da er sich seiner erbarme. So darf er ganz und garhoffen, da Gott (ihm) alle Schuld nachsieht. Und aus diesem Grunde der Demut wird all sogleich Johannes, das heit die Gnade, geboren; denn je niedriger dieDemtigung, desto hher die Erhebung: das ist ein und dasselbe.

    Hiervon sprach Sankt Bernhard: "Alle uere bung der Frmmigkeit, die man nurimmer vernimmt, gleicht nicht dem Besitz tiefer Demut. In dem Tal der Demutwchst Sanftmut, Gelassenheit, Stille, Geduld, Gte. Das ist der rechte, (der) wahre Weg. Wer den nicht einschlgt, geht in die Irre. Und wie viele uere Werke auch

    einer tut, das hilft (ihm) doch gar nichts; solche Werke erzrnen Gott mehr, als sieihn vershnen.

    Werfen wir jetzt einen Blick ins Evangelium, so lesen wir da unter anderem, daZacharias oberster Priester war und er und seine Frau unfruchtbar und da dies frsie eine groe Schande bedeutete. Zacharias ging allein in das Allerheiligste, dasganze Volk blieb drauen, und er sollte sein hohes priesterliches Amt ausben.

    1Die Lesart der Drucke, des LT, AT, BT, KT .seufftzen" entspricht dem Sinn der Stelle; Corin, Wi 1, S. 65, 13 .schten" istdie niederrheinische entsprechende Form, die nichts mit suchen" (Vetter 164,2) zu tun hat.

    2Hier ist an den Tempel zu Jerusalem zu denken.

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    Da sah er den Engel Gabriel beim Altar stehen, der ihm ankndigte, ein Sohn werdeihm geboren, der Johannes heien solle, welcher Name soviel bedeutet wie einen, "indem die Gnade wohnt".

    Da Zacharias dieser Botschaft keinen vollen Glauben schenkte, verlor er die Sprache,bis all dies vollendet war. Der Name Zacharias (aber) bedeutet soviel wie "an Gottdenken, sich Gottes erinnern". Dieser Mensch, dessen Gedanken bei Gott sind, istein innerlicher Mensch; er soll Priester sein und darf das Allerheiligste betreten unddas ganze Volk auen stehen lassen.

    Bedenkt nun, was das Wesen eines solchen Menschen sei und sein Amt, wodurch einPriester (wirklich) Priester ist. Sein Amt, wodurch ein Mensch Priester ist und heit, besteht darin, dass er den eingeborenen Sohn seinem himmlischen Vater fr dasVolk zum Opfer darbringe.

    Nun frchte ich, und es zeigt sich auch (deutlich), da nicht alle Priester vollkommen sind und da, stnden sie am Altar nur in eigener Person, anstatt indieser die (ganze) Christenheit darzustellen, manche (von ihnen) der Christenheitmehr Schaden brchten als Nutzen und Gott mehr erz rnten, als da sie ihn vershnten. Aber sie ben ihr heiliges Amt aus anstelle der heiligen Kirche, unddarum ben sie ihr Amt sakramentalich aus. In dieser Weise knnen nur Mnnerdieses Amt verrichten, den heiligen Leib konsekrieren und segnen und sonstniemand.

    Aber in geistiger Weise - was wahrhaft den Priester ausmacht und wodurch erPriester ist (denn was recht eigentlich sein Amt ausmacht, ist eben das Opfer) -, ingeistiger Weise also kann eine Frau dieses Opfer ebenso darbringen wie ein Mann,und das, wann immer sie will, des Nachts oder des Tages. Dann soll sie allein ins Allerheiligste treten und das ganze niedrige Volk drauen lassen. Allein soll sie dahineingehen, das bedeutet, dass sie mit gesammeltem Geist in sich selbst gehen undalle sinnlich (erfabaren) Dinge auen lassen soll und da das liebliche Opfer demhimmlischen Vater darbringen: seinen geliebten Sohn mit allen seinen Werken,

    Worten und all seinem Leiden und seinem heiligen Leben, fr alles, wofr sie esbegehrt, und fr alles, was in ihren Gedanken ist; und mit aller Andacht soll sie daeinschlieen alle Menschen, die armen Snder, die Gerechten, und die Gefangenendes Fegfeuers. Das ist eine sehr wirksame bung.

    Bischof Albrecht schreibt, da der oberste Priester auf folgende Art seinen Dienstversah: er betrat das Allerheiligste und nahm mit sich Blut von einem roten Klbleinund brennendes Feuer. Und drinnen bestrich er all die goldenen Gefe mit demBlut und z ndete dann eine Mischung 'der alleredelsten Kruter an, wovon ein

    wohlriechender Rauch, einem Nebel gleich, entstand. Und in dem Nebel erschienGott und redete zu ihm.

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    Meine Lieben! Dieser oberste Priester, das ist ein jeder gute, innerliche Mensch, derin sein Inneres geht und mit sich das hochwrdige Blut unseres Herrn. Jesus Christusfhrt und das Feuer der Andacht und der Liebe, und alle die goldenen Gefewerden mit diesem Blut bestrichen.

    Das sind alle, die in Gottes Gnade stehen und die noch zu seiner Gnade kommensollen, und die armen Seelen, die der Seligkeit harren. Alle diese werden getrstetund bereichert durch das priesterliche Amt. Ihr, meine Lieben, wit nicht, was frein liebliches Ding das ist, Und der Mensch soll sich selbst in das Herz des(gttlichen) Vaters hinaufheben und in seinen vterlichen Willen, damit der Vatermit ihm verfahre, wie ,es ihm gefllt, in Zeit und Ewigkeit. Nun wenden manche ein:"Wenn wir uns solcher innerlichen Weise zuwenden, so geht uns das Bild des Leidensunseres Herrn verloren." Nein, meine Lieben! Wendet euch zum Grunde: da allein

    wird Gnade wahrhaft geboren. Und mit ihrer Hilfe blickt Leiden und Leben unseresHerrn in dich hinein in vlliger Liebe und Einfalt mit einem Blick der Einfachheit, wie wenn alles vor dir st nde, nicht in der Vielfalt einzelner Bilder, (sondern) so, wieich euch alle mit einem Blick sehe, als ob ein jegliches vor mir stnde3 - und so werdees dem Vater dargeboten.

    Und dieses Aufblicken ist weit ntzlicher, als wenn du fnf Monate zubrchtest undin getrennten Betrachtungen daran dchtest, wie Jesus sich an jedem Punkt seinesLeidens verhalten habe, an der Geielsule oder da und dort. In dieser liebevollen

    Ausfhrung des priesterlichen Amtes, wenn der Mensch allein (das Allerheiligste) betreten hat und mit gespannten Krften dasteht und kein Wort fllt: da steht derEngel Gottes, der Gabriel heit, bei dem Altar, wo der wrdige, heilige Dienst getanwird. (Der Name) Gabriel bedeutet "gttliche Kraft". Diese Kraft wird dem Priestergegeben, damit er alle Dinge im Namen unseres Herrn vollbringen knne. DerHohepriester legt wohlriechende Kruter zuhauf, entzndet sie, und aus dementstehenden Dampf spricht Gott zu. ihm. Diese Kruter sind eine Vereinigungheiliger Tugenden, wie Demut, Gehorsam, Sanftmut und vieler anderer. Denn werdie Tugenden nicht besitzt noch sie sammelt, es sei in dem niedersten, mittleren oder

    obersten Grad, dessen Leben ist Unwahrhaftigkeit und taugt nichts.In dieser Vereinigung der Tugenden geschieht die Entzndung des Feuers durch denBrand der Liebe, und ein Nebel, eine Finsternis entsteht, in der dein Geist (dir)geradewegs entzogen wird, etwa fr die Dauer eines halben Ave-Maria, derart, dadu deinen Sinnen und deiner Vernunft entrckt bist. Und in diesem Dunkel spricht

    3Die Lesart der Drucke, des LT, AT, KT "vor mir stunde" beseitigt eine Schwierigkeit an dieser Stelle - vgl. Lesarten zu Z.

    12, S, 72 in Wi 1 (Corin), Corin, Sermons II, 240-241 gibt eine anspruchsvollere, doch vielleicht richtige Deutung; auch

    Lehmann bersetzt entsprechend 1,175.

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    Gott in Wahrheit zu dir, wie geschrieben ,steht: "Als alles in vlliger Ruhe lag und dieNacht, das Dunkel seinen Lauf vollendet hatte, da ward dein gttliches Wort vondem hchsten Knigsstuhl herabgesandt. "Hier wird ein geheimes Wort gesprochen,und die, welche Ohren haben, vernehmen den Hauch seines Flsterns4.

    Hier wird die Geburt verkndet, von der groe und viele Freude ausgehen wird. Undsie soll durch Elisabeth geschehen; dieser Name bedeutet soviel wie "gttliches Vollbringen". Dann wird von der gttlichen Kraft verkndet (durch den EngelGabriel), da dieses Werk der Liebe, diese frohe Geburt geschehen solle. Doch diesalles geht noch in den niederen Krften vor sich.

    Da kommen die" Vernnftler" mit ihrer natrlichen Einsicht und leuchten mit ihreminneren natrlichen Licht in ihren ledigen, leeren, bilderlosen Grund und bedienensich da ihrer natrlichen Einsicht als ihres Eigentums, gerade als ob es Gott (selbst)

    sei, und es ist doch nichts als blo ihre natrliche Vernunft. Bei Gott (aber) ist mehrFreude, als alle Sinne zu geben vermgen. Da jene aber bleiben wie sie sind und ihrnatrliches Licht mit Eigensinn besitzen, so werden sie die bsesten (Menschen), die(da) leben, und die schdlichsten.

    Man erkennt sie an folgenden Zeichen: sie sind nicht den Weg der Tugend gegangen,und um die bungen (der Frmmigkeit), die zum heiligen Leben und zurberwindung der Laster fhren, kmmern sie sich nicht. Denn sie lieben ihre innerefalsche Willenstrgheit, die nicht nach der Bettigung der Liebe strebt, weder innen

    noch auen, und haben vor der Zeit auf die Bilder der Sinne, die sie zur Frmmigkeitfhren knnten, verzichtet.

    Dann kommt der Teufel und flt ihnen ein falsches Behagen und falscheErleuchtung ein, und damit verleitet er sie, so dass sie ewig verloren gehen. Wozu ersie ihrer Natur nach geneigt findet, es sei Unenthaltsamkeit, Geiz oder Hoffart, dahinf hrt er sie. Und weil sie in ihrem Innern empfinden, sie seien erleuchtet - wasihnen der Teufel vorspiegelt -, sagen sie, es komme von Gott, und wollen sich nichtsnehmen lassen von dem, was sie mit Eigenwillen besitzen; davon fallen sie in

    ungeordnete Freiheit und treiben das, wozu ihre Natur sie zieht. Solche Menschensoll man mehr fliehen als den bsen Feind, denn sie sind, soweit man sie sehen kann,auen wie innen (den Gerechten) so hnlich, da man sie nicht leicht zudurchschauen vermag.

    4Die bei Vetter unklare Stelle, 166,34 f., kann auf mehrfache Weise geklrt werden. Auch Corins Darlegungen, Wi 1, S.

    74,13 mit Lesarten und Erluterungen wollen nur ein Versuch sein.

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    Aber die Gerechten unterscheiden sich auf folgende Weise von ihnen. Sie haben den Weg der Tugend durchlaufen: Demut, Gottesfurcht, Gelassenheit, Sanftmut. Unddiese sind in groer Besorgnis und wagen es nicht, sich der Freiheit zu berlassen,trauen sich aus eigener Kraft nichts zu, befinden sich in groer Bedrngnis und

    (schwerem) Druck und begehren, da Gott ihnen helfe.

    Aber jene, welche sich falscher Freiheit berlassen5 sind dreist, vermessen,streitschtig und ungelassen, und wo man sie trifft, zeigen sie bald Bitterkeit, fallenlstig in Benehmen und Worten, sind voller Hoffart und wollen nicht erniedrigt sein.

    Ach, welch eine berraschung, welch furchtbaren Jammer wird man erleben in jener Welt, die man nicht mehr verlassen wo man sich nicht mehr bekehren kann,mit dem, was nun so schn scheint. Und man mu dort immer bleiben undfurchtbare Schmerzen erdulden; Htet euch davor, das rate im euch, kehret euch

    zum wahren Grunde, wo die wahre gttliche Geburt stattfindet, von der der ganzenChristenheit so viel Freude kommt, frwahr Gottes heiliger Christenheit!

    Nun braucht ihr mich nicht mehr zu fragen, ob ihr den rechten oder unrechten Wegeingeschlagen habt; ihr habt die Unterschiede gehrt, wenn ihr prfen wollt, ob ihrden geraden oder den krummen Weg geht. Seid ihr den sicheren Weg der Tugendgegangen? Befindet ihr euch auf der untersten, der mittleren, der hchsten Stufe?Das mt ihr nachprfen!

    Diese Geburt (Gottes im Seelengrunde) wird groe Freude mit sich fhren. Wennsie geschieht, erzeugt sie im Geist eine solch groe Freude, da man es gar nicht zusagen vermag. Solche Menschen soll man nicht stren, indem man sie nach auenzieht in die Mannigfaltigkeit (uerer Werke); lasse man doch Gott sein Werk inihnen vollenden! Im Hohenlied sagt unser Herr: "Ich beschwre euch, ihr TchterJerusalems, bei den Hindinnen oder Gazellen auf freier Flur: weckt die Liebe nicht, bis sie es selbst will!"6 Jene Menschen sollen auch selber keine Lehrmeister fragen,die sie nicht verstehen wrden; diese wrden sie gar sehr verwirren, und es knntewohl gar so ausgehen7, dass sie auch innerhalb von zwanzig oder vierzig Jahren nicht

    mehr an ihren Ausgangspunkt zurckgelangen knnten.

    5Gemeint sind die sog. Freien Geister" jener Zeit.

    6Unter Heranziehung 'von Parsch und der Echter-Bibel, a. a. O. Hohel. 2,7.

    7Zu Vetter 168,17: dem Sinnzusammenhang nach wiedergegeben; Corin, Sermons II, 244 gibt eine etwas andere, doch

    auch dienliche Obersetzung.

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    Diese Leute mssen auf sich selber sehr achten, denn jene Freude ist so gro, da sieinnen quillt wie neuer Wein, der im Fa steigt. Es ist besser, da (die Freude) nachauen ausbreche, als da die Natur die Spannung nicht mehr ertrage8. Denn dann bricht das Blut aus Mund und Nase. Aber (auch) das ist vom hchsten Grad weit

    entfernt und bleibt noch in der niederen Natur, im Bereim der Sinne.

    Der Engel (der die Geburt des Johannes verkndete) sprach jedoch: "Diese wahreFrucht (der Gnade Gottes) soll keinen Wein noch anderes berauschendes Getrnkzu sich nehmen." Das bedeutet, da der Mensch, in dem diese Geburt vor sich gehensoll in der obersten Weise und auf der hchsten Stufe, einen hheren Weg gefhrt wird, denn es gibt (hierin) drei Grade: den hheren, den besseren, denausgezeichneten Weg. Die Menschen diees Weges drfen nichts von dem trinken, was in ihnen eine Trunkenheit erzeugen knnte, wie es bei denen der Fall war, von

    deren Freude wir gesprochen haben, die ihnen in den Gegenstnden (ihrerBetrachtung) geschenkt wurde, es sei in wahrnehmender oder empfindender Weise,beschauend .oder genieend.

    Aber jene werden auf einen engen Weg gebracht und gezogen, der ganz finster undtrostlos ist, auf dem sie eine unendliche Drangsal verspren und den sie doch nicht verlassen knnen. Nach welcher Seite sie sich auch wenden, sie finden nur tiefesElend, wst, trostlos, finster. Dahinein mssen sie sich wagen und sich dem Herrnauf diesem Weg berlassen, solange es ihm gefllt. Und zuletzt9 tut der Herr, als ob

    er von ihrer Qual nichts wisse; da ist ein unleidliches Darben und groes Verlangen,und doch (mu alles) in Gelassenheit (ertragen werden). Das nennt man einewesentliche Umkehr: ihr entspricht der allerwesenhafteste Lohn. Anderen Arten derUmkehr folgt nur zufallender Lohn.

    Hierber schreibt Sankt Thomas, da groe uere Werke, wie gro sie auch seinmgen, insofern sie Werk sind, nur zufallenden Lohn erhalten. Aber die Einkehr desGeistes innerlich zu Gottes Geist, aus dem Grunde ohne allen Zufall, die Gott alleinsucht, ledig und lauter, jenseits aller Werke und Weisen, jenseits aller Gedanken undaller Vernunft - Sankt Dionysius sprach frwahr:

    8Nach Corin, Wi 1, S. 79,15 : . Zu quait werde" , was dem gegebenen Wortlaut in etwa entspricht. Vgl. den AT zur

    gleichen Stelle, S. 79, 12.

    9Hier scheint die von Corin, Wi 1, S. 80,25 vorgezogene Lesart . in deme leyst in der herre" (ebenso der KT) gegen ber

    Vetter 169,1, dem LT, AT nicht berzeugend : beide geben einen guten Sinn.

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    "Das ist eine unvernnftige, eine unsinnige Liebe", die ist eine wesentliche Einkehr;ihr mu allerwege wesenhafter Lohn zuteil werden und Gott mit sich selber. Eineandere Umkehr kann wohl auch in gewhnlicher uerer Weise eine wesenhafteKehr genannt werden: dann nmlich, wenn der Mensch nur Gott in Lauterkeit im

    Sinn hat, nichts sonst, kein Warum als nur Gott durch sich selbst und in sich selbst.

    Die erste Kehr besteht jedoch in einem form- und weiselosen, inneren Gef hl derGegenwart (Gottes), in einem Hineintragen des geschaffenen Geistes jenseits allesSeins in den ungeschaffenen Geist Gottes. Knnte der Mensch zeitlebens eine solcheKehr erleben, ihm wre wohl geschehen.

    Dem Menschen, der Gott so folgsam ist und ihm in dieser Drangsal treu geblieben,dem wird Gott dadurch vergelten10 , da er sich ihm selber gibt und ihn sounergrndlich in sich selbst und seine eigene Seligkeit hereinzieht. Dahinein wird der

    (menschliche) Geist in so kstlicher Weise gezogen, so ganz von der Gottheitdurchflossen und berstrmt und so in die Gottheit entrckt, da er in dergttlichen Einheit alle (menschliche) Vielfalt verliert.

    Das sind die Menschen, die Gott (schon) in der Zeitlichkeit fr all ihre Notentschdigt, und sie haben einen wahren Vorgeschmack dessen, was sie ewiglichgenieen sollen. Auf diesen beruht die heilige Kirche, und wren sie in der heiligenChristenheit nicht vorhanden, so bestnde diese keine Stunde. Denn ihr Daseinallein, die bloe Tatsache, da sie sind, ist etwas, viel kstlicher und n tzlicher als

    alle Ttigkeit der Welt. Von ihnen sagte der Herr: "Wer sie angreift, greift mir insAuge." Darum htet euch, ihnen Unrecht zuzufgen!

    Knnten wir doch alle auf die schnellste und die fr Gott lblichste Weise dahingelangen!

    Dazu helfe uns Gott!

    AM E N.

    10Zu Vetter 169,21: eine dem Sinne der Stelle entsprechende Wortwahl

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 4 4Diese zweitePredigt ber Johannes den Tufer spricht vonzweierlei Licht, dem der Gnade

    und dem der Glorie, und sagt uns, wie wir das Zeugnis aufnehmen sollen, damit wir die

    liebreiche, die schmerzhafte, die entrckende1Liebe empfinden.

    "ER KAM, ZEUGNIS ZU GEBEN von dem Licht." Unsere Mutter, die heiligeKirche, begeht diese Woche das Fest des ehrwrdigen heiligen Johannes des Tufers.Ihn mit (unseren) Worten zu loben, will nicht .vielbedeuten; denn unser Herr JesusChristus hat ihn auf wrdige und erhabene Weise gelobt und gesagt, unter den voneiner Frau Geborenen sei keiner so growie er.

    Er hat auch gesagt: "Was seid ihr zu sehen gekommen? Einen Propheten? Hier istmehr als ein Prophet! Wozu seid ihr gekommen? Einen Menschen in weichlichenKleidern zu sehen? Ein Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird? Dergleichenwerdet ihr hier nicht finden." Und Johannes sagte von sich selbst, er sei die Stimmeeines Rufenden in der Wste: "Bereitet denWeg unserem Herrn, und ebnet seinePfade." Man singt diese Woche' von ihm, er sei. eine Leuchte, hell brennend. SanktJohannes, der Evangelist, schreibt von ihm, da er "ein Zeugnis des Lichtes" sei. Undvon diesem Wort wollen wir (heute) sprechen.

    Knnten wir diesen Heiligen noch mehr loben? Wir greifen dieses Wort auf: "einZeuge des Lichtes". Das Licht, dessen Zeuge er war, ist ein seinshaftes2 , ein alleErkenntnis berschreitendes, ein alles bertreffendes Licht. Dieses Licht leuchtet indas Allerinnerste, in den tiefen Grund (der Seele) des Menschen. Aber wenn diesesLicht und dieses Zeugnis auf den Menschen trifft und ihn berhrt, so wendet sichder Mensch, statt es zu pflegen, da wo es ist, von seinem Grunde ab, kehrt dieOrdnung um3 und will fortlaufen auf Trier zu oder was wei ich, wohin sonst, undnimmt das Zeugnis nicht an um seiner (Neigung zu) sinnenhaften ueren Werken

    willen.

    1Versuch, das von Corin, Sermons, S.248, Anm. 1 gebrauchte Wort liberateur" zu veranschaulichen: es handeltsich hier um Liebe, die zur Ekstase fhrt.

    2 Hierzu ist die Erluterung, die Kunisch in seinem Textbuch zu S. 93 in Anm. 5 gibt, heranzuziehen, ebenso Anm. 5 beiCorin, Sermons II, 249.

    3Lehmann ist an dieser Stelle Opfer eines Missverstndnisses geworden, indem er schreibt: " ... verlt seinen Orden":

    2,135.

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    Es gibt auch noch andere Leute, die dieses Zeugnis nicht annehmen: "Er kam in seinEigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf." Solche leisten dem Licht Widerstand. Sie sind weltlichen Sinnes, so wie die Phariser, die Sankt Johannes"Natterngezcht" nannte und die sich doch als Kinder Abrahams bezeichneten. Sie

    widerstreben allen, die das Licht lieben. Das ist ein sorgen erregendes, bengstigendes Ding. Diese Menschen hngen kaum (noch) mit einem Faden andem Licht und dem Glauben.

    Nun sollen wir bedenken, da die Natur schwach ist und nichts vermag; darum hatihr der barmherzige Gott eine bernatrliche Hilfe gewhrt, eine bernatrlicheKraft verliehen: das Licht der Gnade, ein erschaffenes Licht: es hebt die Natur hochber sich hinaus und bringt alle -Kost mit sich, deren die Natur nach ihrer Art bedarf. Darber gibt es noch ein ungeschaffenes Licht: das Licht der Glorie, ein

    gttliches Licht, Gott selber. Denn wenn wir Gott erkennen sollen, so mu dasgeschehen durch Gott, mit und in Gott, Gott durch Gott, wie der Prophet sagt:"Herr, in deinem Licht sehen wir das Licht." Das ist ein berstrmendes Licht, dasjeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Dieses Licht leuchtet ber alleMenschen, bse und gute, so wie die Sonne scheint auf alle Geschpfe: sind sieblind, ihrer ist der Schaden. Wre ein Mensch in einem finstern Hause, so wre er indem Licht, knnte er nur soviel Helligkeit haben, um ein offenes Fenster oder einLoch zu finden, durch das er seinen Kopf steckte. Ein solcher Mensch gibt Zeugnisvon dem Licht.

    Nun wollen wir hren, wie der Mensch sich zu Beginn dem Zeugnis gegenber verhalten solle, damit er es aufnehmen knne: er mu sich von allem, was zeitlichund vergnglich ist, trennen. Denn dieses Zeugnis wird den niederen und den oberenKrften (in ihm) gegeben. Die niederste ist die Kraft des Begehrens und desZrnens: es ist (also) die (Kraft des) Begehrens, die das Zeugnis (zuerst)aufnehmen soll: die mu sich zum ersten trennen von dem natrlichen undsinnlichen Verlangen da, wo es eine Befriedigung findet, es sei an Menschen oder an

    Kleidern oder, kurz gesagt, das, woran die Sinne ihre Freude finden;was der Menschbraucht, das gnnt Gott dem Menschen wohl.

    Es ist wahrlich eine Einsamkeit, in die Gottes Stimme (den Menschen auf diese Weise) ruft: das nennt man ein abgeschiedenes Leben, diese Loslsung von allerLust des Geistes und der Natur, der inneren wie der ueren. Sodann wird diesesZeugnis der zrnenden Kraft gegeben: da wird dem Menschen Stetigkeit und Strkegelehrt, da der Mensch unerschtterlich werde, einem sthlernen Berg gleich,wenner dieses Zeugnis empfangen hat, und sich nicht mehr niederwerfen lasse wie einRohr.

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    Wenn unser Herr sagte, Johannes sei kein Mensch, der sich weichlicher Kleiderbediene, soversteht man darunter Leute, die des Leibes Behagen lieben und suchen.Nun gibt es zwar solche, die das verschmhen; aber sie gleichen darin dem Rohr,da sie durch ein trichtes, dummes, spttiges oder hartes Wort hin und her bewegt

    und umgeworfen werden. Frwahr, beglckter Mensch, was kann dir ein Wortschaden? Aber da kommt der bse Feind und flstert dir jetzt dies, dann das zu, unddu wirst in ungeordneter Weise traurig:bald froh, bald unfroh, jetzt so, dann so: ihrseid doch ein Volk, hin und her bewegt wie das Rohr. Dieses Zeugnis wird auch indie oberen Krfte gegeben: in die Vernunft, den Willen und die Liebe. In der Vernunft wirkt es wie ein Prophet. Dieses Wort bedeutet jemanden, der weithinsieht: videns. Die Vernunft sieht weit, so weit, da es ein Wunder ist, wie weit siesieht. Wenn ein erleuchteter Mensch darin noch nicht so weit gelangt ist und erverborgene, geheimnisvolle Dinge hrte, so gibt ihm sein Grund davon Zeugnis und

    spricht: "So ist es recht!" Nun sagt unser Herr: "Er ist mehr als ein Prophet", dasbedeutet: in diesem Grunde, in den die Vernunft nicht gelangen kann, sieht man dasLicht in dem Licht, das heit, befindet man sich in dem inwendigen Licht, das heit,im Licht der Gnade; so sieht und versteht man in dem geschaffenen Licht (das heitmittels der Vernunft) das Gttliche4.

    Das geschieht zuerst in verdeckter Weise; in diesen Grund knnen die Krfte nichtgelangen, nicht einmal sich ihm bis auf . tausend Meilen nhern. DieWeite, die sichin dem Grund da zeigt, besitzt weder die Form eines Bildes noch einer Gestalt, noch(sonst) eine Art und Weise; es gibt kein Hier noch Dort; denn es ist einunergrndlicher Abgrund, der in sich selber schwebt, ohne Grund, so wie die Wasser wogen und wallen; jetzt sinken sie in einen Abgrund, und es scheint, als sei gar kein Wasser da; kurz darauf rauscht es daher, als ob es alles ertrnken wolle. (So auchhier.)

    Es geht (wie) in einen Abgrund: darin ist Gottes Wohnung, viel eigentlicher als imHimmel oder in allen Geschpfen. Wer dahinein gelangen knnte, der fnde

    wahrlich Gott darin, und sich selbst fnde er mit Gott vereint5

    ; denn Gott wrde sichnie mehr von ihm trennen; ihm wre Gott gegenwrtig; und die Ewigkeit wre hierzu empfinden und zu verkosten; es gibt da weder ein Zuvor noch ein Nachher.

    4Eine bei Vetter 330,29 ff. offensichtlich verdorbene Stelle. Die bersetzung kann dem Sinn der Stelle nur nachspren:

    so auch Kunisch, Textbuch S. 96, Anm . 1; Corin, Sermons II, 252 Am]' . 1; Lehmann 2 , 136-1 37.

    5Ich versuche Taulers Sinn -- Vetter 331,10 -unter VermeidungvonWrtern wie .einfltig" (Lehmann 2, 137) oder

    einfltiglich" (Kunisch,. Textbuch S. 96) zu treffen.

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    In diesen Grund kann kein geschaffenes Licht hineinreichen oder hineinleuchten;denn hier ist allein Gottes Wohnung und Statt. Diesen Abgrund knnen alleGeschpfe nicht ausfllen; sie knnen seinen Grund nicht erreichen; sie knnen ihmmit nichts Genge tun noch ihn befriedigen; niemand kann das auer Gott allein in

    seiner Grenzenlosigkeit. Diesem Abgrund entspricht, allein der gttliche Abgrund."Abyssus abyssum invocat." Dieser Grund --wer darauf fleiig achtete --leuchtet indie Krfte unter sich; er neigte und risse die oberen wie die niederen zu ihremBeginn, ihrem Ursprung, wenn der Mensch nur darauf achtete und bei sich selberbliebe und auf die liebevolle Stimme hrte, die in der Einsamkeit, in diesem Grunderuft und alles immer mehr da hineinfhrt. In dieser Wstung herrscht eine solcheEinsamkeit, da ein Gedanke nie da hineinkommen kann. Wahrlich, nein! All dieGedanken der Vernunft, die je ein Mensch ber die heilige Dreifaltigkeit gedacht hat-manche machen sich viel damit zu schaffen --, keiner kann je in diese Einsamkeit

    gelangen.

    Nein, ganz gewi nicht. Denn (dieses Sein)6 ist so innerlich, so weit, so weit(drinnen): es hatweder Zeit noch Ort. Es ist einfach und ohne Unterschied, undwerauf rechte Weise da hineinkommt, dem ist, als ob er hier e wig gewesen sei und ereins mit Gott sei, obwohl das (stets) nur fr Augenblicke gilt. Aber diese kurzenAugenblicke werden empfunden und erscheinen wie eine Ewigkeit. Dies erleuchtetund bezeugt, da der Mensch, ehe,er geschaffen wurde, von aller Ewigkeit her inGott war. Als er in ihm war, da war der Mensch Gott in Gott. Sankt Johannesschreibt: "Alles, was gemacht ist, hatte Leben in ihm." Dasselbe, was der Mensch jetztin seiner Geschaffenheit ist, war er von Anbeginn her in Gott in Ungeschaffenheit,mit ihm ein seiendes Sein. Und solange der Mensch nicht zurckkehrt in diesenZustand der Bildlosigkeit7 , mit dem er aus dem Ursprung herausflo, aus derUngeschaffenheit in die Geschaffenheit, wird er niemals wieder in Gotthineingelangen.

    Solange er nicht ganz und gar die Neigungen, die Anhnglichkeit, die

    Selbstgeflligkeit ablegt, berhaupt alles, was den Grund durch irgendein Gefhl desHabenwollens befleckt hat, was der Mensch je mit Lust sein eigen nannte, freienWillens, im Geist oder in seiner (menschlichen) Natur, was je Eingang in ihn fand, inungeordneter Weise und mit Wissen und Willen aufgenommen wurde,

    6Um im Hinblick auf Kunisch, Textbuch, S. 97 Anm.3 den Eindruck des Gemthaften zu vermeiden, fge ich .dieses

    Sein" hinzu.

    7Um die irrige Vorstellung zu vermeiden, die sich fr uns heute mit demWorte .Lauterkeit" verbindet, habe ich im

    Anschlu an Kunisch, Textbuch, S. 97,Anm. 8 das Wort .Bildlosigkeit" gewhlt.

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    kurz, solange das (in ihm) nicht restlos ausgetilgt wird, wie es war, als der Menschaus Gott hervorging 8, so lange gelangt er nicht wieder in seinen Ursprung.

    Aber damit ist der Befreiung (des Menschen) von menschlichen Bildern undFormen noch nicht Genge geschehen, es sei denn, der (menschliche) Geist werdezuvor mit dem Licht der Gnaden berformt. Wer dieser berformung (seinesmenschlichen Wesens) nun vllig folgte und in rechter Ordnung in seinen innerenGrund eingekehrt wre, dem knnte wohl (schon) in diesem Leben ein Anblick derhchsten berformung zuteil werden, obwohl sonst niemand in Gott gelangen nochGott erkennen kann als in dem ungeschaffenen Licht, das heit in Gott selber:"Domine, in lumine tuo videbimus lumen." Wer oft in seinen Grund sich kehrte undein vertrautes Verhltnis zu ihm htte, der erhielte wohl manchen erhabenen

    (kurzen) Blick auf diesen inneren Grund, der ihm noch klarer und deutlicher zeigte, was Gott ist, deutlicher als seine leiblichen Augen die Sonne am Himmel zu sehenvermgen.

    Mit diesem Grunde waren (schon) die Heiden vertraut; sie verschmhtenvergngliche Dinge ganz und gar und gingen diesem Grunde nach. Dann aber kamendie groen Meister Proklos und Platon und gaben denen, die das nicht selbst findenkonnten, eine klare Auslegung. Sankt Augustinus sagt, da Platon das Evangelium"Im Anfang war das Wort ..." schon vllig ausgesprochen habe bis zu der Stelle: "Es ward ein Mensch von Gott gesandt." Das geschah freilich mit verborgenen, verdeckten Worten. Aber die Heiden, fanden die Lehre von der heiligenDreifaltigkeit. Das, meine Lieben, kam (ihnen) alles aus diesem inneren Grunde zu:sie lebten fr ihn, sie pflegten seiner.

    Es ist doch ein schwerer Schimpf und eine groe Schande, da wir armenNachzgler, die wir Christen sind und so groe Hilfe haben -die Gnade Gottes, denheiligen Glauben, das heilige Sakrament und noch manch andere groe

    Untersttzung -, recht wie blinde Hhner herumlaufen und unser eigenes Selbst,das in uns ist, nicht erkennen und gar nichts darber wissen': das ist die Wirkungunseres zerteilten und nach auen gerichteten Wesens, und da wir zuvielNachdruck auf die Sinne legen, wenn wir ttig sind, auf unsere (eigenen) Vorhaben,(das Beten der) Vigilien, Psalter und hnlicher bungen, die uns so starkbeschftigen, da wir niemals in uns selbst kommen knnen.

    8Die Feststellung des Sinnes der Stelle bei Vetter 332,9 fhrt bei Kunisch, Lehmann und Corin zu einem voneinander

    abweichenden Ergebnis.

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    Liebe Schwestern, wer seine Fsser nicht mit edlem Zypern wein fllen kann, derflle sie doch mit Steinen und Asche, damit sie nicht ganz leer und ungefllt bleibenund der Teufel sich darin niederlasse. Das wre immer noch besser, als vielmalsRosenkrnze herunterzubeten9.

    Noch ein anderes Zeugnis findet sich in den oberen Krften, das ist die Kraft desLiebens, des Wollens. Wir haben diese Woche vom heiligen Johannes gesungen:lucerna lucens et ardens: er ist ein leuchtendes, ein brennendes Licht. Diese LeuchtegibtWrme und Licht. Du empfindest die Wrme an der Hand und siehst doch keinFeuer, es sei denn, da du oben hinein'blicktest, und das Licht siehst du nur durchdie Hornscheiben schimmern. Ach, wer doch den Sinn (in diesem Vergleich)wahrnhme und auf dieses Licht und diese Wrme hufiger achtete.! Da ist dieverwundende Liebe, die dich in diesen Grund fhrenwird. Und solange du sie in dir

    fhlst, sollst du dich antreiben lind mit ihr voranstrmen und deinen Bogen auf dasaller hchste Ziel hin spannen.

    Kommst du aber in diesem verborgenen Abgrund in die gefangene Liebe, so mutdu dich ihr nach ihrem Willen berlassen; da hast du nicht mehr Gewalt ber dichselbst; du hast in dir weder einen Gedanken noch eine bung der Krfte, auch keinWerk der Tugend. Aber gewinnst du' so viel Platz und so viel Freiheit, da du wiedereinen Gedanken fassen kannst und zurck in die verwundende Liebe fllst, so nimmdeine ganze Kraft zusammen, richte dich auf, und reie dich (wie) im Sturm mit derLiebe voran, und begehre und er(bitte) und treibe sie vorwrts. Kannst du nichtsprechen, so denke und begehre, wie der heilige Augustinus es ausdrckte: "Herr, dubefiehlst mir, dich zu lieben, gib mir das, was du mir gebietest; du befiehlst mir, dichzu lieben von ganzem Herzen, aus ganzer Seele mit allen Krften, aus meinem ganzenGemte. Gib mir, Herr, da ich dich vor allem und ber alles liebe. Und kannst dudas nicht in Gedanken fassen, so sprich es mit dem Mund aus. Das versumen die zutun, die sich ohne bung niedersetzen, als ob alles (bereits) getan sei: die lernendiese Liebe nicht kennen.

    Hierauf kommt die qulende Liebe und schlielich, an vierter Stelle, die entrckteLiebe. Ach, liebe Schwestern, die Liebe ist (heute) gar sehr untergegangen und die Vernunft recht aufgestiegen. Die Menschen waren (noch) nie so vernnftig beimZahlen und Verkaufen wie heute. Die Liebe der Entrckung ist gleich der Lampe.

    9Corin, Sermons Ir, 257 f. und Lehmann 2,139weichen hier in der Auffassung von Kunisch ab (Textbuch S. 99). Bei der

    Stellung Taulers zu ueren Frmm igkeitsbungen, zu denen keine entsprechende innere Haltung kommt, ist es wohldenkbar, da er selbst ein geringes Ma inneren. Lebens -die Fllung der Fsser mit Asche und Steinen -der uerlichenbung des Gebetesvorzieht.

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    Der Mensch wird ihres Feuers wohl gewahr; sie macht ihn ungestm in all seinenKrften: er seufzt (voll Angst) nach dieser Liebe und wei nicht, da er sie besitzt.Sie verzehrt ihm Mark und Blut. Hier sieh dich vor, da du die Natur nicht mitdeinen eigenen ueren bungen (der Frmmigkeit) verdirbst. Wenn die Liebe ihr

    Werk tun soll, so darfst du dich ihr nicht entziehen, du mut ihr in ihren Strmenund in ihrem Hinausdrngen folgen. Da sagen etliche, sie wollten sich vor demSturm schtzen, um nicht zugrunde zu gehen: das gehre nicht zu ihrem Leben.Meine Lieben! Wenn die Liebe der Entrckung (ber einen Menschen) kommt,geht alles menschliche Werk unter; da kommt unser Herr und spricht durch diesenMenschen ein Wort: erhabener und nutzbringender als hunderttausend Wrter, diealle Menschen je sprechen knnten.

    Sankt Dionysius sprach: "Wenn das ewige Wort in den Grund der Seele gesprochen

    wird und der Grund so viel Bereitschaft und Empfnglichkeit zeigt, da er das Wortaufnehmen kann in seiner Ganzheit und in erzeugender Weise, nicht (nur) teilweise,sondern gnzlich: da wird der Grund eins mit dem Wort in Wesenheit; doch behltder Grund seine Geschaffenheit in seinem Wesen noch in der Vereinigung. Das bezeugt unser Herr mit den Worten: ,Vater, la sie eins werden (mit dir), wie wireins sind'; und zu Augustinus: ,Du sollst in mich verwandelt werden.' Dazu kommtniemand auer ber die Liebe. -Nun sagte Johannes, er sei die Stimme einesRufenden 'in der Wste: "Bereitet den Weg des Herrn"; damit meint er den Weg derTugenden. Dieser Weg ist gar eben. Und er fhrt fort: "Machet gerade, richtet ausseine Pfade." Fupfade fhren rascher zum. Ziel als Wege. Wer (freilich)jetzt imKorn die Fupfade suchenwollte, dem mte das wohl sauer werden, und er verliefesich gar; und doch fhren sie auf einem geraderen und krzeren Weg zum Ziel alsdie allgemeinen, breiten Straen.

    Meine Lieben! Wer die Pfade auffinden knnte, die in den Grund fhren, wie wrdeder seinen Weg zielgerecht whlen und ihn so sehr abkrzen, da er irgend etwas desGrundes wahrnhme und vor allen Dingen bei sich selbst bliebe und auf die Pfade

    achtete; denn die sind gar wild, (nur) fr den Geschickten geeignet, dunkel,unbekannt und (unserer Natur) fremd. Wer das beachtete, der trfe auf keineWiderwrtigkeit, auf keine Drangsal, weder auen noch innen, ja auch nicht auf dieGebrechen, die den Menschen befallen: alles wrde zum Grunde hinleiten, lockenund treiben.

    Man ' sollte die Pfade auch im Innern ebnen, auf sie achten und auf die Wege des(menschlichen) Geistes zu Gott und Gottes zu uns, denn die sind nur mit Geschickzu begehen und verborgen. Und das kehren viele Leute um und laufen ihren ueren

    (Frmmigkeits)bungen und uerer Wirksamkeit nach; sie verhalten sich wie jener, der nach Rom reisen wollte, das ist landaufwrts, und das Land abwrts gingauf Holland zu. Je mehr er voranging, um so mehr kam er von seinem Ziel ab.

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    Und wenn diese Menschen (dann) zurckkommen, sind sie alt, der Kopf schmerztsie, und sie knnen dem Werk der Liebe und ihren Strmen nicht mehr gengen.

    Meine Lieben, wenn der Mensch in diesem Sturm der Liebe steht, soll er nicht an

    seine Snde denken noch an Demut, noch an irgend etwas anderes, sondern nurdaran, da er der Liebe in ihrem Werk genugtue. Der Sturm der Liebe kann aucheinen kalten, gelassenen, harten Menschen berkommen. Da soll man sich der Liebeberlassen, ihr ganze Treue bewahren und sich frei und ledig halten alles dessen, wasnicht Liebe ist; begehre nach dieser Liebe stets eifrig, habe ein ganz festes Vertrauenzu ihr, halte dich an ihr fest, und du wirst ebenso stark und ebensoviel empfinden, als je ein Mensch in dieser Zeitlichkeit empfand. Wenn deine Treue nicht vollkommenist, so wird dein Begehren geschwcht, und deine Liebeverlischt, und aus (all) dem wird nichts. Und wenn du alle Wahrzeichen hast, die man haben kann, und

    empfindest nicht das Zeugnis der Liebe, so ist alles verloren.

    Das mag dich wohl hart bedrcken; der Feind lt dir gerne alle anderen Merkmale,wenn dir nur das wahre Zeugnis der Liebe nicht wird. Die betrogene Liebe berlter dir. Manchen Menschen bednkt, er besitze die Liebe; she er aber tief in seinenGrund, er fnde wohl, wie es um seine Liebe steht. Alles, woran es euch gebricht, ist:ihr knnt nicht in -den Grund gelangen; gelangtet ihr dahin, ihr fndet die Gnade, dieeud1 ohne Unterla antriebe, euch mit erhobenem Geiste ber euch selbst zuerheben. Dieser Mahnung widersteht der Mensch so sehr und so oft: er macht sich(dadurch) ihrer so unwrdig, da sie ihm in alle Ewigkeit nicht mehr zuteil wird; das verdirbt der Mensch alles durch seine Selbstgeflligkeit. Wre der Mensch demGnadenblicke (Gottes) gehorsam, er wrde ihn zu solch einer Vereinigung (mitGott) fhren und bringen, da er in dieser Zeitlichkeit das empfnde, dessen er sichin alle Ewigkeit erfreuen soll; das hat Erfahrung uns bereits gezeigt.

    Da uns allen dies geschehe, dazu helfe uns Gott.

    AMEN.

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 4 5 Diese Predigt auf den achten Sonntag (nach Dreifaltigkeit) aus der Epistel des heiligen Paulus sagt, wie Gott bereit wre, unsere Werke selbst zu tun, wenn wir unsere eigenenVorstze aufgeben wollten; sie berichtet sodann, wie manche Menschen Gott nur gezwungendienen, andere Mietlinge sind; schlielich, dass es zwei Arten von Gotteskindern gibt.

    ALLE WE R K E, die alle Menschen und Geschpfe schufen oder die bis zum Endeder Welt geschaffen werden, das alles zusammen ist ein reines Nichts, wie gro das Werk auch sei, das man ausdenken oder verwirklichen mag, gegenber dem

    geringsten, das von Gott in den Menschen gewirkt wird, damit der Mensch von Gottangetrieben werde. Um so viel mehr als Gott besser ist denn alle Geschpfe, um soviel mehr berragt sein Wirken das Werk, die Handlungsweisen, das Vorhaben, diedie Menschen mit all ihrer Anmaung ausdenken knnen.

    Nun kommt der Heilige Geist oft in den Menschen, mahnt und treibt ihn an inseinem inneren Grund oder auch durch die Lehrmeister, so als ob er sprche:"Lieber Mensch, wolltest du dich mir berlassen und mir allein voll und ganz folgen,so wollte ich dich auf den rechten Weg bringen; ich knnte in dir wirken und dich

    selber wirken." Ach, es ist wahrlich ein Jammer, da nur wenige diesem weisen, guten Rat folgenoder ihn auch nur anhren wollen; vielmehr bleibt jeder bei seinem eigenenVorhaben, seiner eigenen, gewohnten Art und Weise, bei seinen blinden, sinnlichen Werken und seiner Selbstzufriedenheit; das hindert die liebevolle Einwirkung desHeiligen Geistes, da (der Mensch) dessen Sprache weder hrt noch versteht undseinem gtlichen Wirken weder Sttte noch Raum gewhrt. Warum (wohl)? Manmu es aussprechen, da, um das Wort (des Heiligen Geistes) zu vernehmen, mannichts besseres tun kann, als sich zu besnftigen, zuzuhren, zu schweigen. Soll Gottsprechen, so mssen alle Dinge schweigen. Soll Gott in eigentlicher und ' edler Weise wirken, so mu ihm eine Sttte, ein Platz eingerumt werden, und man mu ihngewhren lassen. Denn zweierlei Werk vertrgt sich nicht miteinander. Eins muleiden, das andere wirken.

    Hiermit will ich nicht sagen, da junge, starke, ungebte Menschen sich nicht in werkttiger Weise ben sollten, denn die haben ntig, sich viel und sehr zu bendurch manche gute Art und viele gute Werke, innerlich und uerlich, wie man sieanweist. Ich spreche von gebten Leuten, die gerne die besten aller Gotteskinder

    wren und deren Wege andere sein mssen als die derer, die am Beginn (ihrerHeiligung) stehen.

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    Betrachten wir die Welt im ganzen, so sieht man, da der grte Teil (derMenschen) dieser ganzen Welt leider Feinde Gottes sind. Andere wieder sinderzwungene Knechte Gottes, die man zum Dienst Gottes ntigen mu. Und daswenige, was sie tun, geschieht nicht aus Liebe zu Gott oder aus Andacht, sondern aus

    Furcht. Und das sind geistliche Leute ohne Gnade und Liebe, die man zumChordienst und zu vielen anderen Diensten drngen mu. Dann sind (ferner) da diegewhnlichen gedungenen Knechte Gottes. Das sind Geistliche und Ordensfrauenund alle die, welche Gott dienen um des Ertrages ihrer Pfrnde willen oder ihrerPrsenzgelder; wren sie derer nicht sicher oder erhielten sie die nicht, so wre esmit ihrem Gottesdienst vorbei; sie gingen ins andere Lager und wrden Gefhrtender Feinde Gottes. Von all diesen Leuten hlt Gott nichts, derart, da sie nach derArt, wie sie Gott dienen, nicht Kinder oder Shne Gottes sein knnen; freilich tun sienach auen viele groe Werke: aber Gott kmmert sich darum nicht, denn nicht er

    ist der Grund (dieser Werke), sondern diese Leute selbst sind die Ursache dessen,was sie tun.

    Die Leute der vierten Gruppe sind Kinder Gottes, doch nicht seine allerliebsten : sie beharren auf ihrem ueren oder inneren Vorhaben, auf ihrer eigenen Weise; sowirken sie ihre guten Werke; und weiter geht ihr Streben nicht.

    Diese Leute stehen unten an des Baumes Rinde; und daran halten sie sich mit allerKraft fest; aber auf den Baum steigen wollen sie nicht. Sie lassen sich in ihrer eigenen

    Art gengen, die sie in ihrer Anmaung ben, denken gar sehr in sinnhafter Weiseund lieben nach eigener Absicht, in bildhafter Weise und ebensolchen bungen.Doch lieben sie Gott gar sehr, und unser Herr liebt sie auch. Sie sind zwar KinderGottes, aber nicht seine allerliebsten: denn sie beharren auf ihren eigenen Werkenund haben keinen Frieden, wenn sie die nicht vollenden (knnen).

    Die liebsten Kinder Gottes, die, von denen Sankt Paulus spricht, werden vom GeistGottes angetrieben gem dem Wort, da man vom Geist Gottes getrieben werde. Wie dieser Antrieb geschehe, davon sagt Sankt Augustinus: Das Wirken desHeiligen Geistes in den Menschen geschieht auf zweifache Art: die erste ist so, dader Mensch zu jeder Zeit vom Heiligen Geist geleitet und bewegt wird, der ihn stetszu einem geordneten Leben mahnt, antreibt, lockt und zieht. Das tut der HeiligeGeist bei all denen, die ihn erwarten und seinem Wirken Raum geben, um ihm zufolgen. Die andere Art, die der Heilige Geist befolgt in seinem Wirken in den Seinen, besteht darin, da er sie pltzlich und auf einmal ber alle Weisen und Wege (desLebens) an ein Ziel bringt, das hoch ber ihrem Wirken und ihren Fhigkeiten liegt:das sind Gottes liebste Kinder.

    Nun wagen es viele Menschen nicht, und sie wollen es (auch) nicht, sich Gottes

    Wirken zu berlassen. Sie wollen stets auf ihrem eigenen Wirken beharren.

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    Man knnte ihr Tun vergleichen mit dem von Leuten, die einen groen, teuren,edlen Schatz fortbringen sollten ber einen schrecklich tiefen See und die ihn mitgroer Mhe und viel Anstrengung auf einem Irrweg wegbrchten, der finster undneblig wre und wo unreine Tropfen auf den Schatz fielen und ihn beschmutzten

    und ihn rostig und fleckig machten. Kme dann ein ehrenhalber, wackerer Mannund sprche: "Folge mir! Wende dein Steuerruder! Ich will dich fhren und aufeinen kstlichen Weg bringen, wo das Wetter heiter, klar und schn ist, ruhig undhell, wo die Sonne scheint und dir deinen Schatz schn und trocken machen wird, wo der Rost verschwindet und du dich nicht so sehr abmhen mut wie jetztinmitten dieser Wogen!" wer antwortete nicht: "Gerne!" So ist es mit dem Menschenbestellt, der einen solch teuren Schatz ber das wilde Meer dieser schrecklichen Weltgeleiten mu.

    Das Schiff, in dem wir fahren, ist unsere Sinnesttigkeit. Auf diesem Schiff fahren wir weit voran gem unserer Anmaung und Wirksamkeit und arbeiten stets nachunserem eigenen Vorhaben; so fahren wir in finsteren Nebel hinein, das istwahrhafte Verblendung und mangelnde Selbsterkenntnis. Auf diesem Weg lt der bse Feind unreine und schdliche Tropfen in uns fallen, die unseren Schatzbeschmutzen: das Behagen an unserer eigenen Wirksamkeit und anderer Art Hoffartmehr, Eigenwilligkeit, Selbstzufriedenheit, Ungelassenheit, Schwermut, Missgunstund manch andere unreine Tropfen, die der Feind in uns fallen lt, womit ' er unsunseren edlen Schatz befleckt. Wird der Mensch dieser Tropfen in ihm gewahr, so

    will er alles durch die Beichte in Ordnung bringen und gert durch Laufen undSuchen da drauen noch mehr in den Nebel. Kehrtet ihr euch zu euch 'Selber,erkenntet ihr eure Schwchen, klagtet ihr sie Gott und bekenntet ihr ihm eureSchuld, dann wre alles gut: dafr wollte ich meinen Kopf lassen.

    Dann kommt der Heilige Geist: "Wolltest du mir glauben, du lieber Mensch, und mirfolgen, ich fhrte und geleitete dich auf einem sicheren Weg." Wer wollte einemsolch guten, getreuen Rat nicht Glauben schenken und ihm nicht folgen? Wre derMensch so beglckt und weise, da er sich (diesem Ruf) berliee und dem Geist

    Gottes folgte, seinen Weisungen, seinen Mahnungen, seinem Antrieb sich fgte, daswre ein kstliches Ding! Aber leider tut das der arme Mensch nicht und bleibt beiseinen ueren Vorhaben, bei seinen ueren, sinnlich fabaren Weisen (derHeiligung), die er sich nach eigenem Gutdnken zurechtgelegt hat.

    Versteht das nun nicht so, als ob man gute Vorstze und Gewohnheiten guterinnerlicher bung nicht haben solle. Aber man soll nicht an ihnen hngen, sondernin ihnen auf den allerliebsten Willen Gottes warten, auf sein Wirken in allerGelassenheit, und Gottes Ttigkeit nicht zunichte machen in vermessener

    Selbstgeflligkeit.

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    Mit denen, die bei ihrer vernunftgemen Verstandeskraft beharren, steht es so wiemit .einem Obstgarten voll fruchtbeschwerter Bume. Die Apfel fielen nochunausgereift ab und wrden alle wurmstichig. In dem gleichen Garten wchse abergutes Kraut, das dahin welkte. Dann kmen die unreinen Wrmer aus den

    wurmstichigen pfeln und fielen ber das gute Kraut her und fren Lcher hinein.Die Apfel aber, die da am Boden liegen, sehen so frisch und schn aus wie die guten,ehe man sie anrhrt, aufhebt und in die Hand nimmt.

    Jeder sehe also zu, da sein Grund nur Gott sei, ganz lauter; anders wird nichtsdaraus. Unter jenen Frchten fnde man, glaube ich, kaum zwei wirklich gute Apfel,die nicht wurmstichig wren; wie schn sie auch von auen anzuschauen sind, innensind sie voller Lcher. Ebenso ist es mit gar vielen guten bungen (derFrmmigkeit) bestellt. Es gibt da solche von groem und hohem Aussehen und

    wunderbarer Lebensfhrung an hohen Worten und Werken. Und doch ist das allesin dem Grunde wurmstichig oder kann es noch werden; davon ist weder ttigesLeben noch Beschauung, noch Jubel, auch nicht Betrachtung (ausgenommen), nichtda man bis zum dritten Himmel entrckt werde, wie das dem edlen Paulusgeschehen ist, der sagte, er habe die Nackenschlge der Versuchung erfahren, umsich nicht selbst falsch einzuschtzen und in der Hhe der (ihm erwiesenen) Gnadezu irren: all das und auch das groe Voraussagen und Zeichen, Krankenheilungen,Durchschauung der innersten Geheimnisse (eines Menschenherzens),Unterscheidung der Geister, Blick in die Zukunft, kurz gesagt: alle Lebensfhrung,

    alles kann wurmstichig werden, wenn der "Mensch nicht auf seiner Hut ist.

    Besprechen wir jetzt das unterste und grbste. Die Leute geben Almosen, tun groeWerke oder Dienste der Liebe, geben groe Gaben: und ist ihnen (doch gar) nichtgleichgltig, ob die Menschen es wissen oder erfahren und vernehmen oder niemandanders als Gott allein; solche Gaben, solche Dienste, das merket, sind wurmstichig.Da geben die Leute Almosen und wollen, dass andere darum wisseri, damit diese frsie beten. Oder sie stiften Kirchenfenster, Altre und Priesterkleidungen und wollen,dass die Menschen das erfahren; si,e lassen ihr Wappen darauf anbringen, da

    jedermann den Stifter erfahre. Wisset: sie haben ihren Lohn bereits empfangen.Sie entschuldigen sich (damit), da sie wollen, man bete fr sie. In Wahrheit, freilich, wre ihnen ein kleines Almosen, verborgen im Scho Gottes, ihm allein bekannt,ntzlicher, als dass sie eine groe Kirche bauten mit Wissen aller Leute und dassdiese alle fr sie beteten. Gewi, Gott wrde ihnen wohl das geben, was a1J,e Leutemit ihrem Gebet fr sie (bei ihm) gewnnen, wenn sie ihm (nur) ihre guten Werkeberlieen und Vertrauen zu ihm htten. Denn die Almosen, die aus einem Gottergebenen Herzen kommen und nichts als Gott im Sinn haben, bitten mehr durch

    sich selbst, als alle Menschen, die (von jenen Almosen) wissen, es knnten.

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    Und so gibt es gar manche Menschen, die all ihr Werk verdorben und zerstrthaben, so da sie all ihr Lebtage wenig (gute) Werke getan haben; sei es DienstGottes oder der Menschen, Gebet, Wachen, Fasten oder Almosen, immer haben sieihren Nutzen dabei im Auge, sei es von Seiten Gottes oder der Menschen; immer

    wollen sie die Gewissheit eines Entgeltes haben, irgend etwas des Ihren von Ihremguten Werk davontragen, Anerkennung, Belohnung, Gunst, Gegendienst, Sicherheit,(kurz) irgendeinen eigenen Nutzen.

    Alle solche Werke sind wurmstichig, und reichten sie ber die ganze Welt. Das fatnicht als meine eigene Meinung auf; ich verweise euch an den Mund der Wahrheit.Er sagt dergleichen gar oft (in der Heiligen Schrift) und bekrftigt dies imEvangelium des heiligen Matthus, wo er spricht: "Macht es nicht wie die Heuchler,die ihr Fasten zur Schau tragen; sie haben ihren Lohn dahin. Verbirg dein Fasten" -

    und ein gleiches gilt von allen deinen guten Werken -, "und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten." Und anderswo heit es: "Habt acht, da ihreure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen bt, um von ihnen gesehen zu werden;sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Und posaune(deine guten Werke) nicht aus" - das bedeutet die Wappen, mit denen ihr eurefrommen Stiftungen ziert -, "wie die Gleisner tun. Wahrlich, ich sage euch, sie habenihren Lohn (bereits) empfangen.

    Wenn du Almosen gibst, so wisse deine linke Hand nicht, was deine rechte tut, damit

    dein Vater, der ins Verborgene sieht, es wisse und dich belohne." Und anderswoheit es: "Wenn du betest, geh in deine Kammer, schlie die Tr hinter dir zu, undim verborgenen sprich zu deinem Vater." Ihr Lieben!

    Haltet euch an Gottes Wort und nicht an das meine! Und jeder ' sehe zu, welcheFrucht er bei Gott finden knne fr Werke, die nicht allein fr euren Vater imHimmel getan wurden, und ob sie nicht wurmstichig sind.

    Vier Stcke gibt es zu beachten. Wer dies tte, der wre gegen den Wurmfra wohlgesichert, da er dem nimmer verfiele. Das erste wre, da der Mensch entschlossen

    sei; von seinen Werken nichts fr sich zu erhalten, sondern sie innen und auen tteim ausschlielichen Hinblick auf Gott und da er ihn allein liebe und im Sinn habe.Sind diese Werke Gott lieb und wert, so mag er sich dessen freuen, sind sie das nicht,so sind sie gewilich verloren, weil er sie nicht Gott zuliebe und zum Lobe getan hat1.

    1Corins Vorschlag, Sermons 11, 277 und Anm. 1 zu Vetter 187,7 darf angesichts derverdorbenen Stelle in den Texten als befriedigende Lsung gelten.

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    Das zweite Stck besteht darin, da der Mensch sich Gott und allen Menschenunterordne in grenzenlosem Gehorsam und tiefer Demut, die er vor den geringstenwie vor den hchsten zeigen soll. So tat der groe, ehrwrdige Meister Thomas, der,ohne zu zgern und ohne ein Wort zu sagen, eine Laterne in der Hand, einen

    scheltenden Bruder in die Stadt begleitete, wo er wohnte, und ihm in aller Demutfolgte. So soll der Mensch sich jeglichem unterwerfen in dem Gedanken, da alleMenschen mehr im Recht seien als er, und niemandem und auf keine Weise Widerstand leisten und jeden recht haben lassen, denn er soll denken im Grunde,da alle Menschen mehr im Recht seien als er.

    An dritter Stelle soll der Mensch eine tiefe Demut besitzen und sich halten an das,was ihm eigen ist, das heit an sein Nichts. Was an anderem noch in ihm ist, das ist inkeiner Weise sein eigen. Er soll all seine Ttigkeit und all seine Werke, soweit sie von

    ihm sind, fr bse halten und sich selbst auch. So stand (einst) ein heiligerMitbruder, durch den Gott manche Zeichen und groe Wunder getan hatte infolgeseines gottseligen Lebens, in unserem Chor und sprach aus dem Grunde seinesHerzens zu mir: "Wisse, da ich der allerbseste und grbste Snder bin, der in derganzen Welt lebt."

    Diese Meinung soll der Mensch von sich haben vom Grunde seines Herzens aus.Denn htte Gott dem schlimmsten Snder soviel und so mancherlei Gutes erwiesen,als er dir getan hat, so wre der wohl ein groer Heiliger geworden. Und die auf

    diesem wahren, sicheren Grunde stehen, die brchten es nicht fertig, einenMenschen in irgendeiner Weise, deren sie fhig wren, zu verurteilen. Und wre(was ein anderer Mensch tut) auch durch und durch bse, sie schauten sogleich aufihre eigene Schwche, und (in diesem Gedanken) wrden sie auf eines anderenMenschen Verurteilung verzichten.

    Das vierte Stck besteht darin, da der Mensch , sich allzeit demtig verhalte und inFurcht vor den verborgenen Urteilen Gottes, nicht so wie die, denen es an Vertrauengebricht, sondern wie ein wahrhaft liebender Freund, den stets die Furcht bewegt,sein lieber Freund knne ihm zrnen. - Diese vier Punkte sind vom heiligen Bernhardaufgestellt, einem Heiligen voller Liebe, und wisset: wer in Wahrheit sich nicht aufdiesen Boden stellt, knnte so viele gute Werke tun als alle Menschen zusammen: siewrden alle wurmstichig.

    Meine Lieben, wisset, wie es sich damit verhlt. Im Garten der heiligen Kirche gibt es viele kstliche, fruchttragende Bume, das heit viele gute, demtige Menschen:diese allein tragen Frucht und sonst niemand. Aber zwischen den guten Bumen sindsolche, die wurmstichiges Obst tragen. Ihr Obst oder ihre pfel sind von Aussehen(zwar) ppig und schn, vielleicht ppiger und schner als das Obst der guten

    Bume.

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    Und solange das Wetter still und milde ist, bleiben sie hngen. Kommen aberUnwetter, Wind und Sturm, so fallen alle diese Frchte ab, und da sieht man (denn),da sie voller Wrmer und zu nichts gut sind, und dazu verderben und beschmutzenihre Wrmer auch noch das gute Gemse, das im Garten wchst.

    Die Bume, die diese schlechten Frchte tragen, das sind die selbstschtigen,ungelassenen, ungezgelten Menschen, die sich auf ihre groen guten Werke sttzen;sie tun auch mehr und stehen daher in besserem Ansehen als die gerechtenMenschen.

    Sie beharren bei ihren absonderlichen Weisen, die die heilige Kirche nicht eingefhrthat; sie verlassen sich auf ihre Frmmigkeitsbungen, ihr gutes Verstndnis, auf ihreWerke und ihr groes Ansehen.

    Meine Lieben! Solange gut Wetter ist und sie ihren Frieden haben und die Sonneihnen scheint in ihrer Lebensfhrung und in ihrer Selbstgeflligkeit, so langeerscheint ihr Tun schn und besser als das anderer guter und gerechter Leute.Kommen aber Wind und Wetter ber sie, das heit schreckliche Versuchungen undAnfechtungen ihres Glaubens, wie man dies auch zu unserer Zeit erleben kann, oderandere heftige Erschtterungen, dann fallen sie gnzlich ab und sind in ihremGrunde durchaus wurmstichig.

    So da ihrer keiner etwas taugt; die Wrmer aber, die in ihnen sind, schlpfen

    heraus und beschmutzen das gute Kraut, das heit, sie verderben arme, unwissende,schlichte Leute mit ihrer falschen Freiheit und ihren Lehren.

    Ach; ihr Lieben, welche Angst, welchen Jammer wird man dann in der Stunde ihresTodes erleben, wenn Gott nicht seinem Sein nach, sondern nur als erdichtetes Dingin ihrem Grunde gefunden wird: Wird (auch nur) einer von diesen (Menschen)gerettet, so hat er groes Glck! Diese Leute sind den weiten, breiten Weggewandelt, heimlich, in Befolgung ihrer eigenen natrlichen Antriebe und ihrerNeigungen. Aber den engen Pfad wahrer, unergrndlicher Gelassenheit, den haben

    sie nie betreten, denn sie wollten sich nie von Grund aus lassen und der (eigenen)Natur entsagen. Zuweilen streifen sie den schmalen, engen Pfad, aber gIeichschwenken sie wieder auf den breiten Weg der Natur ein.

    Wir kehren jetzt wieder zu unserem Gegenstand zurck, den wir ber denwurmstichigen Leuten (doch) nicht allzu sehr vergessen haben. Die Menschen, die von Gottes Geist angetrieben werden, das sind Gottes liebste Kinder. Das sind die,denen stets daran liegt, den allerliebsten Willen Gottes zu befolgen und seinenEinsprechungen und seinen Mahnungen genugzutun.

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    Diese werden zuweilen auf einen gar wsten und beschwerlichen Weg gewiesen, aufdem sie sich voranwagen mssen. Wagten sie khn diesen Weg zu betreten im Geist,im Glauben und voll Vertrauen, wahrlich, daraus entstnde ein edel Ding! Kehrtensie sich nur in sich selber und achteten auf Gottes Wirken in sich: da shen sie '

    wunderbare Werke, die Gott in ihnen wirkte, Werke, die alle Sinne, alle Natur, allen Verstand bertrfen.

    Und liee ein Mensch ein gutes Jahr verstreichen und tte nichts anderes, als GottesWirken in sich zu betrachten: dann wre kein Jahr von ihm je so gut genutzt worden.Und htte er whrend dieser Zeit nie ein anderes gutes Werk verrichtet, gleichwelcher Art, und es wrde ihm zu Ende eines Jahres ein einziger Blick gewhrt in das verborgene Wirken Gottes in seinem Grunde, ja und wrde ihm dieser Blick sogarnicht gewhrt: selbst dann htte dieser Mensch dieses Jahr besser genutzt als alle die,

    welche aus ihrer eigenen Wirksamkeit groe Werke getan htten. Denn mit Gottkann man sich in nichts versumen; und dieses Werk ist Gottes Werk und nicht desMenschen.

    Nun ist kein Zweifel: Gott ist bei weitem edler als ein Geschpf. So steht auch sein Werk hoch ber allen Geschpfen. Jenem Menschen fllt alle uere Wirksamkeitab; doch. hat er noch immer genug des inneren Werkes zu tun. Da wird er Friedeund ganze Sicherheit finden. Das wollen die Leute nicht glauben und machen mirmit ihren Einwnden den Kopf warm. Wisset: "AlIe Pflanzen, die unser himmlischer

    Herr nicht gepflanzt hat, werden mit der Wurzel ausgerissen werden." Aber mitwelcher 'Liebe, glaubt ihr wohl, wrde Gott den Menschen lieben, der ihm in seinemHerzen einen Platz bereitete, damit er dort sein edles, kstliches Werk vollenden undsich. seiner selbst erfreuen knnte? Welche Liebe ist so gro und berragend?

    Das berschreitet alle menschliche Erkenntniskraft, ja, weit auch die der Engel, denn(hier) wird der Mensch mit der Liebe geliebt, mit der der himmlische Vater seineneingeborenen Sohn umfat. Der Stand, in den der Mensch hier versetzt wird, fhrtin einen Abgrund.

    Timotheus war einer jener Menschen, der Gott in sich. Wirken lie und diesem Wirken entsprach. Die Schler des heiligen Dionysius wunderten sich, wie er sogewaltige Fortschritte vor ihnen allen machte; sie bten ebenso viele gute Werke wieer, und (doch) berragte er sie alle und schritt ihnen weit voraus. Der Meister sagte,das komme daher, da er Gott in sich wirken lasse. Das alles vollzieht sich in denGrenzen des lebendigen Glaubens und geht unaussprechlich hoch ber all dashinaus, was alle Welt auerhalb dieses Glaubens wirkt. Fr dieses hhere Lebenmu, sich der Mensch vor allem tief in den Grund seines eigenen Nichts sinkenlassen, derart, da er sich nichts, aber auch gar nichts von Gottes Werk zuschreibe,

    da er Gott das Seine lasse und er das Seine behalte: das (aber) ist sein Nichts.

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    Denn wollte der Mensch sich dessen etwas anmaen, so wre das der bedenklichsteSturz von allen. Gebe uns Gott, der liebreiche, da wir uns seinem Wirken gegenberedel verhalten; dazu helfe uns der, welcher es allein uns geben und (in uns) wirkenkann.

    AMEN

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 4 6 Diese Predigt aus dem Evangelium des heiligen Lukas auf den zehnten Sonntag nach

    Pfingsten1 spricht davon, da unser Herr ber Jerusalem weinte und die Kufer und

    Verkufer aus dem Tempel jagte; sie tadelt streng Weltleute und Geistliche, die leichtsinnig

    dem Vergngen nachgehen, und bedroht sie mit den furchtbaren Strafen der ewigen

    Verdammnis.

    ALS UNSE'R HERR sich Jerusalem nherte und die Stadt (vor sich liegen) sah, weinte er ber sie und sprach: "Jerusalem, wenn du die Tage kenntest, die dir

    bevorstehen, so wrdest auch du weinen, denn deine Feinde werden eindringen, dichzerstren und keinen Stein auf dem anderen lassen." Dann setzte er seinen Weg fort,trat in den Tempel, trieb die Kufer und Verkufer mit Schlgen hinaus und sagte:"Mein Haus ist ein Haus des Gebetes, ihr aber habt es zu einer Ruberhhlegemacht."

    Die Stadt, ber die unser Herr geweint hat, ist vor allem die heilige Kirche, die heiligeChristenheit. Sodann hat unser Herr ber die weltlich gesinnten Menschen geweint,und in der Tat ist hierzu aller Grund. Alle Menschen knnten und vermchten nicht

    genug ber diese weltlichen Menschen weinen; diese nmlich kennen nicht den Tagihrer Heimsuchung, und sie wollen ihn auch gar nicht kennen. Und wenn sie ihnknnten! Das wrde ihre Ruhe nicht stren. Auch die Einwohner von Jerusalembeunruhigte das nicht, da der Heiland ber sie weinte. Was sind das fr Leute? Alledie, welche nach Lust und Begier ihrer ueren Sinne leben, die bewahren Ruhe. Wenn sie des Gutes genug haben, Herrschaft, Freunde und Verwandte, Gut undEhre, und wonach ihr Herz gelstet, so haben sie Ruhe nach Herzenslust, nachHerzens Begehr; sie haben Wonne und Freude, als ob sie ewiglich leben sollten. Siegehen wohl zur Beichte, beten auch: es dnkt sie, sie seien gut daran. Sagt man ein

    einzig Wort, da es nicht gut um sie stnde, so ist das in den Wind gesprochen. Sieruhen sich in ihrer (Selbst)Gerechtigkeit aus und glauben sich darin vollkommensicher.

    Aber was kommt nach diesen Freuden, diesem Frieden, dieser Sicherheit? IhreFeinde werden ber sie kommen und keinen Stein auf dem anderen lassen. Wenn dieZeit ihrer Heimsuchung kommt, dann, wenn Gott sie heimsuchen wird,

    1

    Diese Angabe entstammt wie die ber den Predigten stehenden Inhaltsangaben zumeist den von K. Schmidtabgeschriebenen Straburger Hss. A 89, A 88, A 91, bei Vetter zusammenfassend als Hs. S bezeichnet, oder auch nur einervon ihnen. -Corin III, 283 gibt an: 2. Pred, auf den 8. Sonntag nach Dreifaltigkeit.

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    in der Stunde ihres Todes, dann kommt der Feind und schliet sie mit den Grbenqualvollen Verzweifelns ein; welchen Weg sie dann auch fliehen wollen, sie strzenstets hinein und knnen nicht einen einzigen Gedanken an Gott denken.

    Das ist kein Wunder: Gott war nie in ihnen, sie haben nie auf ihn gebaut, nie ihn alsGrundfeste (ihres Lebens) betrachtet, ihm nie Aufmerksamkeit geschenkt, sondern(nur) ihren sinnlichen, zeitlichen Freuden. Und strzt der Grund, das Fundament,dann strzt auch der Friede, der darauf gebaut war. Und daraus folgt ein qualvoller,ewiger Unfriede, vor dem alle Menschen 'erbeben, nicht allein Trnen vergieen,sondern verdorren mten, auer sich geraten und blutige Trnen darber weinen.

    Christus hat nicht ohne triftigen Grund geweint; es war und ist Grund, zu weinen, zuklagen, da sie ihren Zustand nicht erkennen, wie Christus sprach: "Erkenntest du(was dir bevorsteht), du weintest." Ach, welche Genugtuung, welche Ruhe! Es steht

    im ersten Brief des heiligen Johannes geschrieben: "Die ganze Welt kennt nurBefriedigung der Sinne, Lust des Leibes, Hoffart des Lebens." Wie Gott das richten wird, wollte Gott, ihr wtet das und httet eine Vorstellung von diesemschrecklichen Tag des Urteils, von diesem Unfrieden, auf den nie Friede folgen wird.Das hrt nicht als mein Wort, sondern als das des heiligen Gregor in seinerErluterung (zu dieser Stelle der Heiligen Schrift).

    Dann ging unser Herr weiter in den Tempel und trieb mit Schlgen alle die hinaus,die dort verkauften und kauften, und sprach: "Mein Haus soll ein Haus des Gebetes

    sein, ihr habt es zu einer Mrdergrube gemacht." Ein Mordhaus, eine Mrdergrube!Beachtet, welches der Tempel ist, der so zur Mrdergrube geworden ist! Das istSeele und Leib des Menschen, im eigentlicheren Sinn ein Tempel Gottes als alleTempel, die je gebaut wurden, denn Sankt Paulus sprach: "Der Tempel Gottes istheilig, und der seid ihr." Wenn unser Herr diesen Tempel besuchen will, findet er ihnzum Mordhaus und Kaufhaus geworden. Was bedeutet "kaufen" und "verkaufen"?Die Leute geben zum Beispiel Korn (das sie haben) gegen Wein, den sie nicht haben:das ist ein Kauf.

    Wer sind diese Kaufleute? Das sind die, die das, was sie haben, gegen das geben, wassie nicht haben. Nun hat der Mensch nichts so sehr eigen als seinen freien Willen;mit dessen .Preisgabe erkauft er die Genugtuung an zeitlichen Dingen, welcher Artsie immer seien. Sie geben ihren eigenen Willen hin und suchen Befriedigung anSpeisen, an Kleidern, die sie ansammeln, an Schmuck, Gefallen an sich selbst und anden Leuten, wo immer sie knnen. "Wahrlich, wir mssen schlielich auch einenLiebhaber haben, ein Herz, das schadet nichts, es ist eine geistliche Liebe, wirmssen uns ergtzen, Zeitvertreib haben; darauf wollen wir nicht verzichten." Nunwisse von mir, solch einen Kauf tust du stets, wenn du deinen freien Willen hingibst;

    solange du in solchen Umstnden bleibst, wird dir Gott immer fremder und ferner.

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    Sankt Bernhard sprach: "Gttlicher Trost ist so zart, da er in keiner Weise sich dafindet, wo man anderen Trost empfngt." -"Aber, Herr, wir sind Ordensleute, wirgehren einem Orden an." -"Nun, tu alle Mntel und Gewnder an, die du willst, tustdu nicht das, was du von Rechts wegen tun sollst, so ntzt dir das alles nichts."

    Ein Mann hatte ein Unrecht begangen; er trat in einen Orden, machte sein Unrechtaber nicht gut; der Teufel kam, zerri ihn in hundert Stcke, lie die Kutte ganz undnahm den Mann mit Leib und Seele mit sich, da man es sah. Seid also ferner mehrauf der Hut! Wie ist doch die Welt solcher Kaufleute voll, unter Priestern und Weltleuten, Ordensleuten, Mnnern wie Frauen; ach, das ist ein weitlufigerGegenstand (fr einen), der das erkunden wollte, wie so voll des Eigenwillens jeglicher ist, so voll, so voll! Und gerade unter den starken Mnnern sind wenige diesich Gott unterwerfen. Die es tun -und wie gering an Zahl sind sie -, sind arme

    Frauen; denn .alles wird von der Natur beherrscht, von der Eigensucht: und damitsuchen sie das Ihre in allen Dingen.

    Wollten sie mit Gott einen Kauf tun und ihm ihren Willen geben, es wre ein seligerKauf! Was haben sie jetzt davon? Sie haben steten Unfrieden. Und doch sind sie besser daran als die (von denen wir oben sprachen), sie haben doch Leid undSchmerzen ; und dadurch werden sie vor dem ewigen Tod bewahrt, was bei jenennicht der Fall ist. Diese sind in stetem Unfrieden; denn wie die Schrift sagt, da ein jeglicher ungeordneter Geist sich selbst eine Marter und eine Last ist, leben sie in

    Unruhe und wissen selbst nicht, was mit ihnen ist: und das heit, da ihr Tempel einKaufplatz ist und sie nicht davon lassen wollen. Sankt Bernhard sagt auch: "Wenn derMensch Freunde und Verwandte verlt, Erbe und Eigentum und die ganze Welt,hat er sich nicht selbst verlassen, so ist das nichts. Er soll seines Eigenen so frei sein,als er war, da Gott ihn schuf." Nun, der Mensch mu sich selbst genugtun: er muessen, trinken, schlafen, sprechen,. hren und dergleichen noch mehr, was alles ihmbildhafte Vorstellungen bringt.

    Merke: der Mensch soll Gott gnzlich im Sinn haben, er soll ihm nachjagen, ihn in allseinem Tun suchen; und hat er das getan, so lasse er die Bilder der Dinge ganz undgar fahren und leere seinen Tempel und halte ihn rein, als wenn es nie andersgewesen wre; dann darf er mit der Braut (im Hohenlied) sprechen: "Unser Lagerist mit Blumen geschmckt"; es ist voll himmlischer Vorstellungen und Gedanken.Wre der Tempel entleert und httest du Kufer, Verkufer und die Phantasien, dieihn eingenommen haben, hinausgeworfen, so knntest du ein Gotteshaus werden,nicht eher, was du auch tust; du httest den Frieden deines Herzens und Freude, unddich strte nichts mehr (von dem), was dich jetzt stets strt, dich bedrckt und dichleiden lt.

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    An anderer Stelle heit es: Unser Herr lie einen Propheten den Tempel vonJerusalem schauen und sprach: "Grabe durch die Mauern in den Tempel durch." Alsder Prophet das getan, sprach er: "Herr, hier innen sind furchtbare Bilder zu sehen."Unser Herr antwortete: "Diese furchtbaren Bilder hat die Tochter Israel sich selbst

    geschaffen; die hat sie sich selber gemacht mit manchem nichtigen Bild; davon musie (nun) auch manche ungeordnete Traurigkeit haben."

    Und daran wird man den Unterschied zwischen den Erwhlten und denNichterwhlten erkennen: denn die Erwhlten finden in ungeordneten Dingen keinevollkommene Ruhe. Selbst wenn sie zuweilen sich selbst verlieren und ihr Wesen (alsdas eines Erwhlten) 'abgestreift und alle gttlichen Dinge hinter sich geworfenhaben, so haben sie doch groe Furcht, groen Schmerz, den Vorwurf desGewissens, sobald sie zu sich selber kommen : das bewirkt der Heilige Geist; wie

    denn geschrieben steht, da der Heilige Geist fr uns bitte mit seufzendem Flehen.Diese Leute bereuen schlielich ihr ungeordnetes Leben; sie weinen darber, und so werden sie zuletzt gerettet: aber das dauert zuweilen recht lange. Das ist eineunermeliche Gnade Gottes; selig der, dem Gott das gibt, da er gemahnt undgewarnt wurde, es sei von innen oder von auen.

    Aber es ist leider an dem, da die Dinge sich ndern werden; in vielen Lndern kannman nicht mehr lehren, nicht predigen, nicht warnen. Das sage ich euch im voraus,solange ihr das Wort Gottes noch habt; denn man wei nicht, wie lange das noch

    sein wird: macht es euch zunutze! Lat das Wort zu eurer Vernunft gelangen, woman es verstehen kann. Das edle Gotteswort wird wenig verstanden; das liegt daran,da es in den 'Sinnen steckenbleibt und nicht bis ins Innere gelangt. Was trgt Schulddaran? Das kommt daher, da der Weg versperrt ist, eingenommen, gestrt durchandere Bilder, da also das (gttliche) Wort nicht ,zur r ichtigen Stelle kommen kann,es sei denn, die Wege wrden gerumt, die (gott)fremden Freuden, die Bilder derGeschpfe ausgetrieben: sonst wird die Wahrheit nicht verstanden.

    Heute predigt man eine Wahrheit, morgen dieselbe, und so oft; und doch soll mandasselbe stets mit Liebe und Flei anhren, denn allerwege ist eine neue Wahrheitverborgen, die entdeckt werden mu und nie ganz und gar verstanden wird; die vorallem haben groen Nutzen, die mit freier Seele dahin kommen; aber viel vom WortGottes geht verloren und bleibt unverstanden bei denen, deren Seele noch2 nicht freiist; es gelangt bei ihnen in die Sinne, die Phantasie und kommt der Hindernissewegen nicht bis an seinen wahren Platz. Wren diese Hindernisse weg, die Kaufleuteausgetrieben, der Tempel gerumt, so wrde der Mensch gnzlich ein Haus des

    2Wrtlich: "die nicht frei sind" ; erluternd: "deren Seele noch nicht frei ist",

    oder: "die in sich noch nicht frei sind" (letzteres Hs. 5).

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    Gebetes, ein Haus Gottes, in dem Gott wohnte: er wre ganz und gar ein Haus desGebetes.

    Welches dieses Gebet und welches dieses Beten sei, davon ein andermal!

    Da wir so die Kaufleute austreiben und von uns tun, damit unser Haus Gottgenehm werde, dazu helfe uns Gott.

    AMEN.

  • 8/9/2019 Tauler Predigten Buch 2

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 4 7 Diese Predigt auf den zehnten Sonntag (nach Dreifaltigkeit) aus der Epistel nach demheiligen Paulus mahnt einen jeglichen Menschen, zu prfen, zu welchem Dienst er von Gottberufen sei, lehrt die Werke der Liebe zu tun, die Tugenden zu ben und auf unseren eigenenWillen Verzicht zu leisten.

    DER HEILIGE PAULUS SAGT in der heutigen Epistel: "Es gibt verschiedenemter, aber der Geist ist der gleiche, der alles zu Nutz und Frommen des Menschenwirkt. Es ist wiederum derselbe Geist, der alles in allen Dingen wirkt. Jeder Menschempfngt eine Offenbarung des Geistes zu seinem Nutzen und Gewinn. So wirdeinem die Kunst der Rede (zur Erklrung des Glaubens) in demselben Geist (wie er

    in einem anderen wirkt) gegeben; und der heilige Paulus nennt viele unterschiedlichegaben, aber in allen wirkt 'ein Geist, und der Apostel spricht Viel zur Bewhrung desGlaubens.

    Vormals wirkte der Geist Gottes in seinen Freunden groe, wunderbare Dinge zurBewhrung des Glaubens: es geschahen groe Zeichen und mannigfaltigeProphezeiungen; Die Heiligen vergossen ihr Blut und erlitten den Tod. Dessen istnun heute keine Not mehr; wisset aber, da leider der wahre, lebendige wirklicheGlaube in manchen Christen so gering ist wie bei Heiden und Juden.

    Wir betrachten jetzt das Wort des heiligen Paulus: Es gibt vielerart Werke undDienste, aber in allen wirkt ein und derselbe Geist. Meine Lieben, ihr seht schonuerlich, was ein Leib ist und wie derselbe Leib viele Glieder und Sinne besitzt, und jedes Glied hat seine besondere Aufgabe und seine besondere Ttigkeit, wie dasAuge, das Ohr, der Mund, die Hand und der Fu, und keines nimmt sich heraus, dasandere sein zu wollen oder anders zu sein, wie Gott ihm zugeordnet hat. So sind auch wir alle ein Leib und Glieder untereinander, und Christus ist das Haupt diesesLeibes; und an diesem Leib sieht man einen groen Unterschied der Glieder. Das

    eine ist das Auge, ein anderes die Hand, ein drittes der Fu, weitere Mund oder Ohr.Die Augen des Leibes der heiligen Christenheit sind die Lehrmeister. Das geht euchnichts an. Aber wir gewhnlichen Christen sollen gut prfen, was unser Anteil sei, zudem uns der Herr gerufen und eingeladen hat, und welches die Gnade sei, die derHerr uns zugeteilt hat. Denn jeder Dienst und jede Ttigkeit, wie gering sie auch sei,sind allesamt Gnaden, und derselbe Geist wirkt sie zu Nutz und Frommen derMenschen.

    Beginnen wir mit dem Geringsten: einer kann spinnen, ein anderer Schuhe machen,

    wieder andere verstehen sich gut auf andere solcher ueren Dinge und sind daringeschftig, und ein anderer kann das nicht. Und das sind alles Gnaden, die der GeistGottes wirkt.

  • 8/9/2019 Tauler Predigten Buch 2

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    Wisset, wre ich nicht Priester und lebte nicht in einem Orden, ich hielte es fr eingroes Ding, Schuhe machen zu knnen, und ich wollte es besser machen als allesandere und wollte gerne mein Brot mit meinen Hnden verdienen.

    Meine Lieben! Fu und Hand sollen nicht Auge sein wollen. Jeder soll den Diensttun, zu dem ihn Gott bestellt hat, wie schlicht er auch sei; ein anderer knnte ihn vielleicht nicht tun. So soll auch jede unserer Schwestern die ihr zugewieseneTtigkeit ausben. Die einen knnen gut singen, die sollen ihre Psalmen singen1. Alles dies kommt von Gottes Geist. Sankt Augustinus sprach: Gott ist eineinfrmiges, gttliches, einfaches Wesen und wirkt doch alle Vielfalt und alles in allenDingen, einer in allem, alles in einem. Es gibt keine noch so geringe Arbeit, keinenoch so verachtete und bescheidene Kunstfertigkeit: auch sie kommt ganz von Gottund ist ein Erweis seiner besonderen Gnade. Und jeder soll fr seinen Nchsten das

    tun, was dieser nicht ebenso gut kann, und soll aus Liebe ihm Gnade um Gnadeerweisen. Und wisse: welcher Mensch sich nicht bt, nichts gibt, nichts tut fr seinenNchsten, mu davon Gott strenge

    Rechenschaft ablegen, wie denn das Evangelium sagt, da jeder fr seine Verwaltung verantwortlich sei und von ihr Rechenschaft geben msse: was er von Gottempfangen hat, das soll und mu ein jeglicher einem seiner Brder wiedergeben, sogut er nur kann und wie es ihm Gott gegeben hat.

    Woher kommt das nun, da so viel geklagt wird und jeder sich ber seine Arbeit

    beschwert, als sei sie ihm ein Hindernis (fr seine Heiligung)? Ist sie ihm doch vonGott gegeben, und Gott legt niemandem ein Hindernis in den Weg. Woher doch dasSchelten im Inneren so mancher Menschen? Kommt nicht die Arbeit von GottesGeist? Und doch lt man sie nicht gelten und erzeugt Unzufriedenheit! Wisse: nichtdie Arbeit lt dich unzufrieden werden, sondern die Unordnung, die du in deineArbeit trgst. Ttest du deine Arbeit, wie du sie nach Recht und Billigkeit tun solltest,httest du Gott lauter und allein im Sinn und nichts des Deinigen, liebtest oderfrchtetest du, weder Gefallen noch Mifallen und suchtest du (bei deiner Arbeit) weder (eigenen) Nutzen noch (eigene) Lust, sondern nur die Ehre Gottes unddiente deine Ttigkeit Gott allein, so knnte es nie zu Tadel oder Gewissenbissenkommen. Und ein geistlicher Mensch sollte sich wahrlich dessen schmen, seine Arbeit so unordentlich und so unlauter getan zu haben, da sie ihn nach seineneigenen Worten beunruhigten. Denn (auf diese Weise) erfhrt man, da seine Werke nicht in Gott noch in rechter, lauterer Meinung getan waren, noch aus wahrer, lauterer Liebe zu Gott und dem Nchsten zu Nutz. Und daran, ob duzufrieden bleibst (bei deiner Arbeit) oder nicht, sollst du auch erkennen und sollerkannt werden, ob du nur im Hinblick auf Gott gearbeitet hast.

    1Weitere Beispiele gibt Tauler nicht.

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    Unser Herr tadelte Martha nicht um ihrer Arbeit willen, denndie war heilig und gut,sondern weil sie (zuviel) Sorge darauf verwandte.

    Der Mensch soll gute, ntzliche Arbeit verrichten, wie sie ihm zufllt; die Sorge abersoll er Gott anheimstellen, und seine Arbeit gar behutsam und im stillen tun. Er soll bei sich selbst bleiben, Gott in sich hereinziehen und oft in sich schauen mit in sichselbst gekehrtem Gemte!2 gar innig und andchtig; und immer soll er auf sich selbstachten (und auf das), was ihn zu seiner Arbeit treibt und ihn ihr geneigt macht. Auchsoll der Mensch gar innerlich darauf achten, wann ihn der Geist Gottes zum Ruhenoder zum Wirken treibt, da er jedem Antrieb folge und gem der Weisung desHeiligen Geistes handle: jetzt ruhen, jetzt wirken, und da er dann seine Arbeit vollguten Willens und in Friede vornehme. Wo ein alter, schwacher, behinderter Menschist, dem sollte man (noch ehe er darum bittet) entgegenkommen; einer sollte dem

    anderen die Gelegenheit, ein Werk der Liebe zu tun, streitig machen und ein jederdes anderen Last tragen. Und tust du das nicht, sei gewi, Gott wird dir nehmen(was du hast3) und es einem anderen geben, der sich seiner gut bedient; und dich wird er an Tugend leer und ledig lassen und ebenso an Gnade. Und erfhrst du indeiner Arbeit eine innere Berhrung, so gib auf sie in deiner Arbeit recht acht, undlerne so Gott in deine Arbeit tragen und entziehe dich nicht allsogleich jenerBerhrung. So, ihr Lieben, soll man lernen, sich in Tugenden zu ben. Denn benmut du dich, willst du ein Meister werden. Doch erwarte nicht, da Gott dir dieTugenden eingiee ohne deine Mitarbeit. Man soll nie glauben, da Vater, Sohn und

    Heiliger Geist in einen Menschen einstrmen, der sich der Tugendbung nichtbefleiigt. Man soll von solchen Tugenden auch nichts halten, solange der Menschsie nicht durch innere oder uere bung erlangt hat.

    Ein wackerer Mann war gerade beim Dreschen seines Korns, als er in Verzckunggeriet. Htte sein Engel nicht den Dreschflegel gehalten, er htte sich selbstgeschlagen. Ihr freilich mchtet am liebsten (von jeder Arbeit) frei sein (um derBetrachtung willen, wie ihr sagt)4. Das sieht sehr nach Faulheit aus: ein jeder willAuge sein; alle wollen betrachten und nicht arbeiten.

    Ich kenne einen der allerhchsten Freunde Gottes: der ist ,,all seine Tage ein Ackersmann gewesen, mehr denn vierzig Jahre, und ist es heute noch. Der fragteeinst unseren Herrn, ob er sein Arbeit drangeben und zur Kirche gehen solle.

    2Beispiel fr das "Niederbeugen des Gemtes in den Grund". Vgl. Wyser, n. a. O. S. 234.

    3Zweckmige Einfgung nam Corin, Sermons, S.295 zu Vette