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I. Niedermayer 1 · H. Kolles 1 · W. Henn 2 · K.D. Zang 2 · W.-I. Steudel 3 · W. Feiden 1 1 Abteilung für Neuropathologie, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg-Saar 2 Institut für Humangenetik, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg-Saar 3 Neurochirurgische Klinik, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg-Saar Meningeome Klassifikation und Grading * hängigen gynäkologischen Tumoren festgestellt. Klassifizierung und Grading Wenngleich Meningeome in der Regel histologisch gutartige Neoplasien sind, deren Prognose wesentlich von der Vollständigkeit der neurochirurgischen Resektion abhängt, so zeigt doch die Erfahrung, daß es – zusätzlich zu den seltenen anaplastischen Meningeomen – eine Gruppe von Meningeomen gibt, die eine erhöhte Rezidivneigung trotz vollständiger Resektion aufweist [15]. In die revidierte Fassung der WHO-Klas- sifikation der Hirntumoren wurde des- halb zusätzlich das sog. atypische Me- ningeom aufgenommen, welches “eine gesteigerte Tendenz zur Rezidivbil- dung” zeigt [8]. Es werden 3 Menin- geom-“Grade” definiert [8]: Meningeome (WHO-“Grad” I) Diese Gruppe umfaßt die üblichen Me- ningeome (meningothelial, “fibrös”, transitional) sowie verschiedene Me- ningeomsubtypen, die sich durch be- sondere Strukturmerkmale auszeich- nen (psammomatös, angiomatös, mi- krozystisch, sekretorisch, klarzellig, chordoid, lymphoplasmazellreich, me- taplastisch). Die Diagnose ist in der Re- gel unproblematisch (s. auch ausführli- che Darstellung bei [2]). Einige dieser Häufigkeit, Ätiopathogenese Meningeome gehören zu den häufig- sten primären Neoplasien des zentralen Nervensystems im Erwachsenenalter [2, 11] und machen etwa 20%–30% der Einsendungen primärer intrakranialer Neoplasien aus neurochirurgischen Kliniken aus. Obgleich sie gelegentlich unerwünschte Folgeerscheinung viele Jahre nach vorausgegangener Schädel- bestrahlung sind, ist ihre Ätiologie zu- meist nicht bekannt. Der Verlust eines Chromosoms 22 [3, 18] mit oder ohne weitere Abweichungen vom Chromoso- mensatz gehört zu den typischen zyto- genetischen Veränderungen bei spon- tan entstandenen Meningeomen. Bei Patienten mit der seltenen zentralen Form der Neurofibromatose (Neurofi- bromatose Typ II) kann ein Genlocus auf Chromosom 22 (NF2-Gen) für das Auftreten multipler Meningeome mit- verantwortlich sein. In einigen Fällen wird eine Assoziation mit östrogenab- Der Pathologe 5·97 | 353 Übersicht Pathologe 1997 · 18:353–358 © Springer-Verlag 1997 Zusammenfassung Meningeome gehören zu den häufigsten in- trakranialen Tumoren im Erwachsenenalter. Das sog. atypische Meningeom wurde 1993 in die revidierte Fassung der WHO-Klassifika- tion für Tumoren des zentralen Nervensy- stems zusätzlich aufgenommen und soll Me- ningeome mit einer gegenüber üblichen Meningeomen erhöhten Rezidivneigung be- zeichnen. Da für dieses Meningeom die glei- chen qualitativ-histologischen Kriterien an- gegeben werden wie für das anaplastische Meningeom, erscheint eine rein histologi- sche Diagnose mit gewissen Unsicherheiten behaftet.Wir haben nach weiteren progno- stisch relevanten Parametern gesucht: Mit Hilfe des morphometrisch ermittelten kern- flächenbezogenen Ki-67-(MIB1-)Index lie- ßen sich für Meningeome aller 3 Grade (N=160) 95%-Konfidenzintervalle berech- nen, die sich im Vergleich mit den “Rezidiv”- freien Intervallen als valide erwiesen. Histo- logisch zeichnen sich die sog. atypischen Me- ningeome durch ein wenig strukturiertes, “synzytiales”Wachstumsmuster und große prominente Nukleolen aus. Fakultativ fanden sich Kernpleomorphie, Nekrosen und Mitose- figuren. Zytogenetisch wiesen die sog. atypi- schen und anaplastischen Meningeome, ab- gesehen von dem typischen Verlust eines Chromosoms 22 und unsystematischen klo- nalen Veränderungen, in 50% der Fälle einen distalen Stückverlust am kurzen Arm eines Chromosoms 1 (1p-) auf. Histochemisch konnte von uns gezeigt werden, daß bei Meningeomen die gewebeunspezifische Form der alkalischen Phosphatase (ALPL), deren Strukturgen auf 1p liegt, als progressi- ons- und rezidivassoziiertes Markerenzym eingesetzt werden kann (Verlust der Enzym- aktivität in 30/39 intermediären und 8/8 anaplastischen Meningeomen). Anstelle des Begriffes “atypisch” , der im klinischen Alltag * Herrn Professor Dr. med. Georg Dhom zum 75. Geburtstag gewidmet. Gefördert durch Mittel der Heinrich-Dietz-Stiftung, Universität des Saarlandes Dr. Isolde Niedermayer Abteilung für Neuropathologie, Universitätskliniken des Saarlandes, D-66421 Homburg/Saar& / f n - b l o c k : & b d y : vieldeutig ist und im Zusammenhang mit dem Tumorgrading Anlaß zu Fehlinterpreta- tionen geben kann, schlagen wir für diese zwischen den üblichen und den anaplasti- schen Meningeomen gelegene Gruppe rela- tiv rezidivgefährdeter Tumoren die Bezeich- nung Meningeome vom intermediären Typ vor. Schlüsselwörter Alkalische Phosphatase (ALPL) · Chromosom 1p · Grading · Ki-67 · Meningeom

Meningeome Klassifikation und Grading*

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Page 1: Meningeome Klassifikation und Grading*

I. Niedermayer1 · H. Kolles1 · W. Henn2 · K.D. Zang2 · W.-I. Steudel3 · W. Feiden1

1 Abteilung für Neuropathologie, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg-Saar2 Institut für Humangenetik, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg-Saar3 Neurochirurgische Klinik, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg-Saar

MeningeomeKlassifikation und Grading*

hängigen gynäkologischen Tumorenfestgestellt.

Klassifizierung und Grading

Wenngleich Meningeome in der Regelhistologisch gutartige Neoplasien sind,deren Prognose wesentlich von derVollständigkeit der neurochirurgischenResektion abhängt, so zeigt doch dieErfahrung, daß es – zusätzlich zu denseltenen anaplastischen Meningeomen– eine Gruppe von Meningeomen gibt,die eine erhöhte Rezidivneigung trotzvollständiger Resektion aufweist [15]. Indie revidierte Fassung der WHO-Klas-sifikation der Hirntumoren wurde des-halb zusätzlich das sog. atypische Me-ningeom aufgenommen, welches “einegesteigerte Tendenz zur Rezidivbil-dung” zeigt [8]. Es werden 3 Menin-geom-“Grade” definiert [8]:

Meningeome (WHO-“Grad” I)

Diese Gruppe umfaßt die üblichen Me-ningeome (meningothelial, “fibrös”,transitional) sowie verschiedene Me-ningeomsubtypen, die sich durch be-sondere Strukturmerkmale auszeich-nen (psammomatös, angiomatös, mi-krozystisch, sekretorisch, klarzellig,chordoid, lymphoplasmazellreich, me-taplastisch). Die Diagnose ist in der Re-gel unproblematisch (s. auch ausführli-che Darstellung bei [2]). Einige dieser

Häufigkeit, Ätiopathogenese

Meningeome gehören zu den häufig-sten primären Neoplasien des zentralenNervensystems im Erwachsenenalter[2, 11] und machen etwa 20%–30% derEinsendungen primärer intrakranialerNeoplasien aus neurochirurgischenKliniken aus. Obgleich sie gelegentlichunerwünschte Folgeerscheinung vieleJahre nach vorausgegangener Schädel-bestrahlung sind, ist ihre Ätiologie zu-meist nicht bekannt. Der Verlust einesChromosoms 22 [3, 18] mit oder ohneweitere Abweichungen vom Chromoso-mensatz gehört zu den typischen zyto-genetischen Veränderungen bei spon-tan entstandenen Meningeomen. BeiPatienten mit der seltenen zentralenForm der Neurofibromatose (Neurofi-bromatose Typ II) kann ein Genlocusauf Chromosom 22 (NF2-Gen) für dasAuftreten multipler Meningeome mit-verantwortlich sein. In einigen Fällenwird eine Assoziation mit östrogenab-

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ÜbersichtPathologe1997 · 18:353–358 © Springer-Verlag 1997

Zusammenfassung

Meningeome gehören zu den häufigsten in-trakranialen Tumoren im Erwachsenenalter.Das sog. atypische Meningeom wurde 1993in die revidierte Fassung der WHO-Klassifika-tion für Tumoren des zentralen Nervensy-stems zusätzlich aufgenommen und soll Me-ningeome mit einer gegenüber üblichenMeningeomen erhöhten Rezidivneigung be-zeichnen. Da für dieses Meningeom die glei-chen qualitativ-histologischen Kriterien an-gegeben werden wie für das anaplastischeMeningeom, erscheint eine rein histologi-sche Diagnose mit gewissen Unsicherheitenbehaftet.Wir haben nach weiteren progno-stisch relevanten Parametern gesucht: MitHilfe des morphometrisch ermittelten kern-flächenbezogenen Ki-67-(MIB1-)Index lie-ßen sich für Meningeome aller 3 Grade(N=160) 95%-Konfidenzintervalle berech-nen, die sich im Vergleich mit den “Rezidiv”-freien Intervallen als valide erwiesen. Histo-logisch zeichnen sich die sog. atypischen Me-ningeome durch ein wenig strukturiertes,“synzytiales”Wachstumsmuster und großeprominente Nukleolen aus. Fakultativ fandensich Kernpleomorphie, Nekrosen und Mitose-figuren. Zytogenetisch wiesen die sog. atypi-schen und anaplastischen Meningeome, ab-gesehen von dem typischen Verlust einesChromosoms 22 und unsystematischen klo-nalen Veränderungen, in 50% der Fälle einendistalen Stückverlust am kurzen Arm einesChromosoms 1 (1p-) auf. Histochemischkonnte von uns gezeigt werden, daß beiMeningeomen die gewebeunspezifischeForm der alkalischen Phosphatase (ALPL),deren Strukturgen auf 1p liegt, als progressi-ons- und rezidivassoziiertes Markerenzymeingesetzt werden kann (Verlust der Enzym-aktivität in 30/39 intermediären und 8/8anaplastischen Meningeomen). Anstelle desBegriffes “atypisch”, der im klinischen Alltag

* Herrn Professor Dr. med. Georg Dhom zum 75.Geburtstag gewidmet. Gefördert durch Mittel derHeinrich-Dietz-Stiftung, Universität des Saarlandes

Dr. Isolde NiedermayerAbteilung für Neuropathologie,Universitätskliniken des Saarlandes,D-66421 Homburg/Saar&/fn-block:&bdy:

vieldeutig ist und im Zusammenhang mitdem Tumorgrading Anlaß zu Fehlinterpreta-tionen geben kann, schlagen wir für diesezwischen den üblichen und den anaplasti-schen Meningeomen gelegene Gruppe rela-tiv rezidivgefährdeter Tumoren die Bezeich-nung Meningeome vom intermediären Typvor.

Schlüsselwörter

Alkalische Phosphatase (ALPL) ·Chromosom 1p · Grading · Ki-67 ·Meningeom

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I. Niedermayer · H. Kolles · W. Henn ·K.D. Zang · W.-I. Steudel · W. Feiden

Meningioma. Classification and grading

Summary

Meningiomas account for the most frequentprimary intracranial neoplasms in adults. In1993, the so-called atypical meningioma hasadditionally been introduced in the revisededition of the WHO Classification of Tumorsof the Central Nervous System and shouldcharacterize meningiomas with an increasedpropensity to recur. Since the given qualita-tive histological criteria apply both to the“atypical”and anaplastic meningioma, merehistological grading appears somewhat criti-cal.Therefore, additional parameters weretested for their contribution to meningiomagrading: First of all, we succeeded in defining3 meningioma “grades”by calculating corre-sponding 95% confidence intervals for themorphometrically assessed Ki-67 indices of160 meningiomas in total, the validity ofwhich was proved by comparison with the“recurrence”-free intervals. Histologically,atypical meningiomas were distinguished bya “syncytial”, poorly structured growth pat-tern and macronucleoli. Only occasionally,nuclear pleomorphism, necroses and mitoticfigures were found. Cytogenetics revealed, in50% of the “atypical”and anaplastic menin-giomas, partial loss of the short arm of onechromosome 1 (1p-). Histochemically, wecould demonstrate, that the tissue non-spe-cific type of alkaline phosphatase (ALPL),which is coded on chromosome 1p, is a con-venient recurrence- and progression-asso-ciated marker enzyme for meningiomas with1p-loss (loss of enzyme activity in 30/39 ofintermediate and 8/8 anaplastic meningi-omas).We favor to address the WHO “aty-pical”meningioma as meningioma of the in-termediate type, since the attribute “aty-pical” in the context of histological diagno-ses is highly susceptible tomisinterpretations.

Key words

Alkaline phosphatase (ALPL) · 1p- · Grading ·Ki-67 · Meningioma

phatase [14] die Klassifikation und dasGrading der Meningeome zu verbes-sern bzw. zu lernen, wie am “einfachen”HE-Schnitt ein progressions- und rezi-divgefährdetes Meningeom vom inter-mediären Typ erkannt werden kann.Anstelle des Begriffes “atypisch”, derim klinischen Alltag vieldeutig ist undim Zusammenhang mit dem Tumor-grading Anlaß zu Fehlinterpretationenseitens der weiterbehandelnden Ärztegeben kann, schlagen wir für die zwi-schen den üblichen und den anaplasti-schen Meningeomen gelegene Grupperezidivgefährdeter Meningeome dieBezeichnung Meningeome vom inter-mediären Typ vor [10, 13].

Beiträge von Histologie,Morphometrie und Histoche-mie zum Meningeomgrading

Zunächst haben wir in einer retrospekti-ven Studie [10] an 160 makroskopischvollständig resezierten Meningeomenversucht, histologisch und unterstütztdurch morphometrische Methoden so-wie die Ki-67-(MIB1-)Reaktion [9] 3 Me-ningeomgrade zu definieren und diesemit den entsprechenden Rezidivraten zukorrelieren. Diese betrugen 9% beimüblichen Meningeomtyp einschließlichder verschiedenen Subtypen, 29% beimintermediären Typ, also dem sog. atypi-schen Meningeom der WHO-Klassifika-tion, und 50% beim anaplastischen Typ.Die mediane Nachbeobachtungszeit indiesem Kollektiv betrug 10 Jahre. Vonverschiedenen morphometrischen Pa-rametern (minimal spannende Bäume,relative Kernflächen, volumengewichte-te Kernvolumina) erwies sich nur derkernflächenbezogene Ki-67 Index (T-Test; α=0,1%) als geeignet, 3 Menin-geomgrade zu definieren.

Zytogenetisch korrelierten die in-termediären und anaplastischen Me-ningeome v.a. mit einem distalenStückverlust am kurzen Arm einesChromosoms 1 (1p-). Die Relation weib-lich zu männlich betrug bei Patientenmit üblichen Meningeomen (n=110)3,5:1, war ausgeglichen beim interme-diären Typ (n=42) und bei anaplasti-schen Meningeomen (n=8) zum männ-lichen Geschlecht verschoben. Stati-stisch waren sowohl die bildanalytischermittelten Ki-67 Indices als auch 1p-unabhängige Prädiktoren einer erhöh-ten Rezidivneigung.

Subtypen können differentialdiagno-stisch jedoch schwieriger abzugrenzensein, weil sie “prima vista” nicht wie einMeningeom aussehen, so z.B. der mi-krozystische (Abb. 1) oder der seltenechordoide Subtyp (Abb. 2).

Atypische Meningeome(WHO-“Grad” II)

Meningeome mit folgenden Charakteri-stika: häufige Mitosen, erhöhte Zell-dichte, kleine Zellen mit hoher Kern-Zy-toplasma-Relation und/oder prominen-ten Nukleolen, strukturarmes Wachs-tumsmuster, Nekrosen.

Anaplastische Meningeome(WHO-“Grad” III)

Meningeome “mit offensichtlichen Mali-gnitätszeichen, die weit über die Abnor-malitäten atypischer Meningeome hin-ausgehen” [8].

Mit der Einführung des sog. atypi-schen Meningeoms (WHO-“Grad” II)wurde der Versuch unternommen, die-se zwischen den üblichen (WHO-“Grad” I) und den anaplastischen(WHO-“Grad” III) Meningeomen ange-siedelten Tumoren zu definieren undzu benennen. Da die WHO-Klassifikati-on jedoch für das atypische Menin-geom qualitative Kriterien aufführt, dieebenso für das anaplastische Menin-geom gelten, erscheint die Abgrenzungdes sog. atypischen Meningeoms “withhistologic and cytologic features thatfall short of frank anaplasia” [2] sowohlgegenüber dem üblichen als auch demanaplastischen Meningeom problema-tisch. Möglicherweise auftretendendiagnostischen Unsicherheiten – “Al-though the definition of atypical men-ingiomas varied somewhat between theparticipants of the Working Group...”[8] – wird mit dem Vorschlag begegnet,daß proliferationskinetische Untersu-chungen die Unterscheidung zwischenbenignen und atypischen Meninge-omen erleichtern könnten – “...the useof ploidy analysis and proliferationmarkers appear ideally suited to distin-guishing benign from atypical menin-giomas” [2].

Wir haben versucht, mit Hilfe derKi-67-Immunhistochemie sowie derZytogenetik [10, 13], ferner mit der ein-fach durchzuführenden histochemi-schen Detektion der alkalischen Phos-

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Übersicht

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Morphologie der Meningeome vomintermediären Typ (WHO “atypisches”Meningeom)

Basierend auf den Erfahrungen dieserStudie versuchten wir in einer Folgestu-die [13], die histomorphologischenCharakteristika der Meningeome vomintermediären Typ herauszuarbeitenund haben dazu 49 Beobachtungen ausjüngerer Zeit, darunter 3 Rezidive ehe-mals üblicher Meningeome, mit dengleichen morphometrischen Methodenwie bei der retrospektiven Studie unter-

geom vom intermediären Typ gedachtwerden: Im Vordergrund steht dasWachstumsmuster, zum einen eine Ar-chitektur, die als “synzytial” (n=30)(Abb. 3, 4) bezeichnet werden kann,zum anderen ein Muster mit einer Ähn-lichkeit zum “storiform pattern” (n=15)(Abb. 5). Die letztgenannten Meningeo-me werden z.T. als “fibrös” bezeichnet,wenngleich eine nennenswerte Kolla-genfaserbildung in vielen Fällen garnicht vorhanden ist. Nach Stochdorphhandelt es sich hier um gekippt zuein-ander verlaufende Plattenstapel der fla-chen, tellerförmigen Tumorzellen. Der“synzytiale” Wachstumstyp zeichnetsich dadurch aus, daß die Tumorzellenin nicht weiter strukturierten Feldernangeordnet sind und der Gewebever-band die typische Differenzierung, z.B.in Form von konzentrischen Zwiebel-schalen vermissen läßt bzw. nur nochangedeutet abbildet (Abb. 4). In derWHO-Klassifikation [8] wird dies als“uninterrupted patternless or sheet-like growth” bezeichnet. In einem klei-neren Teil der Fälle waren weitere parti-elle Differenzierungen, wie sie bei denSubtypen in der WHO-Klassifikation

sucht. Das Geschlechtsverhältnis vonweiblich zu männlich lag bei 1,6:1, dasmittlere Lebensalter der Patienten zumZeitpunkt der Operation bei 61,7±11,6Jahren (Spannweite: 31 bis 87 Jahre). DieLokalisation dieser Tumoren war ganzüberwiegend supratentoriell (n=44).Innerhalb des Beobachtungszeitraumesvon 5 Jahren traten bei 6 dieser 49 Pati-enten sog. Lokalrezidive auf.

Wenn bei der feingeweblichen Un-tersuchung HE-gefärbter Schnittpräpa-rate mindestens 2 der folgenden Krite-rien erfüllt sind, sollte an ein Menin-

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1 2

Abb. 1 m Mikrozystisches Meningeom. Die kleinen intra- und extrazellulären Zysten enthalten Flüs-sigkeit (Meningioma forme humide – Masson). Dieser Subtyp bildet kaum typische Schichtungsfigu-ren aus. Typisch sind die sklerosierten Blutgefäße (unten rechts, HE)

Abb. 2 m Chordoides Meningeom. Säulen- und netzartig angeordnete Tumorzellen; dazwischenschleimartiges (Alzianblau-positives) Material (HE)

3 4

Abb. 3 . Meningeom vom intermediären Typ (WHO “atypisches” Meningeom). 1. Rezidiv nach 5 Jah-ren. Metaphase-Zytogenetik: 1p-. Histologisch “synzytiales” weitgehend strukturloses Wachstums-muster; prominente Nukleolen. 2. Rezidiv 2 Jahre später (HE)

Abb. 4 . Meningeom vom intermediären Typ. Zytogenetisch Hyperdiploidie, ohne 1p-. Histologischgroße “synzytiale” Felder aus epitheloiden Zellen; einige angedeutete Schichtungsfiguren. Promi-nente Nukleolen. Nur vereinzelte Kernteilungsfiguren (in diesem Ausschnitt keine). Mittlerer Ki-67-Index 5,2% (3,5%–6,2%). Lokalrezidiv 2 Jahre später: zytogenetisch jetzt 1p- und partieller Verlustder alkalischen Phosphataseaktivität (HE)

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aufgeführt sind, erkennbar, z.B. Partienmit mikrozystischem Erscheinungs-bild. Ein weiteres wesentliches Kriteri-um sind große prominente Nukleolen(Abb. 4, 5). Nekrosen und Kernteilungs-figuren können, müssen aber nicht vor-handen sein. Hervorzuheben ist, daßdie Mitosehäufigkeit in diesen Tumo-ren sehr stark schwankt. Es gibt immerwieder großflächige Areale ohne er-kennbare Kernteilungsfiguren, ganz an-ders als es die Definition in der WHO-Klassifikation [8], “frequent mitoses”,vermuten läßt. Gerade bei den Menin-geomen mit ihrem relativ niedrigenProliferationsniveau [7] halten wir da-her die morphometrische Bestimmungdes Ki-67 Index für verläßlicher als das

1p- als progressionsassoziiertezytogenetische Veränderung beiMeningeomen

Analog zur Vorstudie zeigte die Hälfteder von uns als intermediär klassifizier-ten Meningeome, unabhängig vomtypischen Verlust eines Chromosoms22 und klonalen numerischen undstrukturellen Chromosomenaberratio-nen [17], den progressionsassoziiertenVerlust von genetischem Material aufeinem Chromosom 1 (1p-) [1, 6]. Hier-bei lag in 9 der 28 zytogenetisch unter-suchten Fälle ein distaler Verlust einesChromosoms 1p vor, während die ver-bleibenden 5 Meningeome den Verlusteines vollständigen Chromosoms 1 auf-wiesen [13].

Meningeomgradingund alkalische Phosphatase

Interessanterweise war schon früher be-obachtet worden, daß geweblich gerin-ger differenzierte Meningeome, insbe-sondere der “synzytiale” Wachstumstyp,histochemisch einen Verlust der Expres-sion von alkalischer Phosphatase (EC3.1.3.1.) innerhalb der Tumorzellen er-kennen ließen [4, 17]. Da bekannt ist, daßdas in weichen Hirnhäuten und ge-wöhnlichen Meningeomen exprimierteIsoenzym dem gewebeunspezifischen(syn. Leber/Knochen/Nieren-) Typ deralkalischen Phosphatase (ALPL) ent-spricht, deren Strukturgen auf dem kur-zen Arm von Chromosom 1 (1p) liegt [5],lag es nahe, dessen Eignung als Marker-enzym für 1p- zu testen. Die Validierungder Ergebnisse erfolgte durch Vergleichmit den zytogenetischen Resultaten.

Dazu untersuchten wir histoche-misch in einer prospektiven Studie [14]

Abzählen von Kernteilungsfiguren [12].Das 95%-Konfidenzintervall für diemittleren Ki-67 Indizes reicht in dieserjüngeren Serie von mittlerweile 81 Men-ingeomen beim intermediären Typ von3,8% bis 4,7%, wobei sich keine stati-stisch signifikanten Unterschiede zwi-schen Patientenalter, Geschlecht oderWerteverteilung ergaben. Zu betonenist, daß die Werte der Ki-67 Indizes je-doch sowohl in die eine als auch andereRichtung streuen können (Spannweitebeim intermediären Typ: 0,4% bis9,9%, beim anaplastischen: 4,0% bis24,0%), und daß der Ki-67 Index alleinzum Grading eines Meningeoms nichtausschlaggebend sein kann.

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Übersicht

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Abb. 5 m Intermediäres (WHO “atypisches”) Meningeom. Storiform-pattern-Typ (gekippt zueinanderangeordnete Plattenstapel). Prominente Nukleolen. Kaum Kernteilungsfiguren (in diesem Aus-schnitt keine). Mittlerer Ki-67-Index 3,9% (HE)

6 7

Abb. 6 . Anaplastisches Meningeom. Durchgehend strukturloses,“synzytiales” Wachstumsmuster.Relativ uniforme Tumorzellkerne mit prominenten Nukleolen. Mehrere Mitosen. Mittlerer Ki-67-In-dex 6,9%. Zytogenetisch 1p-. Alkalische Phosphatase komplett negativ (s. Abb. 8, HE)

Abb. 7 . Intermediäres Meningeom. Alkalische Phosphatasereaktion. Positive und negative Tumor-felder (alk. Phosphatase, 50fach, Original)

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Zamboni-fixierte (15%ige 2mal filtrier-te gesättigte Pikrinsäure und 2% Para-formaldehyd in PBS, pH 7,3, 10 min,4°C) Kryostatschnitte von 66 Meninge-omen aller Grade histochemisch mitNeufuchsin und Naphthol-AS-MX-Phosphat, pH 8,8, bei Raumtemperatur[16]. Der Färbevorgang wurde nach30 min durch 10 min Spülen in Lei-tungswasser unterbrochen und die Ker-ne mit Haematoxylin gegengefärbt.

Von 19 gewöhnlichen Meninge-omen bzw. Subtypen zeigten 18 eine ho-mogene Anfärbung des Tumorparen-chyms. Ganz im Gegensatz hierzu lie-ßen 75% der intermediären (30/39) und100% der anaplastischen Meningeome(8/8) eine Farbreaktion innerhalb grö-ßerer und gelegentlich auch kleinererTumorareale oder im ganzen Tumor-parenchym vermissen (Abb. 7, 8). DieBlutgefäßendothelien zeigten in jedemFall eine brillant-rote Farbreaktion undkönnen somit als endogene Positiv-und Qualitätskontrolle eingesetzt wer-den (Abb. 8).

Die zytogenetischen Befunde, diein knapp 50% der Fälle verfügbar wa-ren, zeigten, daß der Verlust der alkali-schen Phosphataseaktivität innerhalbder Tumorzellen sehr hoch zu 1p- kor-reliert war (15/19). In den verbleibenden4 ALPL-negativen Meningeomen wur-de ein normaler Chromosomensatzfestgestellt. Die Probleme der Reprä-sentativität der Zellkultur für klassi-sche zytogenetische Untersuchungenversuchen wir derzeit mit Hilfe der In-

geführt werden kann [14]. Mit dem Verlustder alkalischen Phosphatase allein ist esjedoch nicht möglich, zwischen interme-diären und anaplastischen Meningeomenzu diskriminieren. Dies trifft auch auf diezytogenetischen Befunde des distalen Ver-lustes des kurzen Armes eines Chromo-soms 1 (1p-) zu. Ein entsprechend hoherKi-67-Index (Median 8%) sowie der histo-logische Befund mit evidenter mitotischerAktivität, die – wie oben ausgeführt –beim intermediären Meningeom häufigfehlt,Tumornekrosen, die beim interme-diären Meningeom in maximal 20% derFälle vorkommen (Achtung: Zustand nachpräoperativer Tumorembolisation aus-schließen), sowie ein durchgehend struk-turloses,“synzytiales”Wachstumsmusterführen zur Diagnose eines anaplastischenMeningeoms. Dabei müssen die Tumorzell-kerne keineswegs eine ausgeprägte Pleo-morphie und Hyperchromasie aufweisen,welche in regressiv veränderten üblichenMeningeomen imponieren können, son-dern sie können auch relativ uniform ge-staltet sein (Abb. 6).

Was bedeutet die Diagnose eines Menin-geoms vom intermediären oder anaplasti-schen Typ? Für den Neurochirurgen bzw.weiterbehandelnden Arzt bedeutet dieDiagnose eines Meningeoms vom interme-diären Typ (WHO “atypisches” Menin-geom), daß bei diesen Patienten engma-schigere postoperative Verlaufskontrollenals beim üblichen Meningeom durchge-führt werden sollten, um ein Rezidiv bzw.ein weiteres Wachstum frühzeitig erken-nen und entsprechend handeln zu kön-nen. Ob im seltenen Falle eines anaplasti-schen Meningeoms unbedingt eine post-operative Radiotherapie und/oder Chemo-therapie angeschlossen werden sollte,wird derzeit kontrovers diskutiert.

Wir bedanken uns bei den Mitarbeitern derNeurochirurgischen Klinik für die Asservie-rung von Frischgewebe bei Meningeomope-rationen. Den Mitarbeitern unseres Labors,insbes. Herrn W. Förderer, danken wir fürdie technische Unterstützung.

terphase-Zytogenetik zu kompensie-ren. Umgekehrt fand sich bei keinemder ALPL-positiven Meningeome (je 5übliche und 5 intermediäre) ein Verlustvon Chromosom 1p. In dem einzigenALPL-negativen üblichen Meningeomfand sich eine perizentrische Inversionam Chromosom 1, die offenbar mit ei-ner Deletion des ALPL-Gens verbundenwar.

Fazit für die Praxis

Die primäre Untersuchung eines Menin-geomresektates ist zunächst die histologi-sche am üblichen HE-Schnitt. Wenn in denhistologischen Schnittpräparaten einevom üblichen Gewebemuster abweichen-de Differenzierung festgestellt wird undinsbesondere dann, wenn eine “synzytiale”oder “storiforme” Gewebearchitektur vor-liegt und zusätzlich Makronukleolen(Abb. 3–5) erkennbar sind, erscheint einemorphometrische Bestimmung des Ki-67-Index angezeigt (95%-Konfidenzintervallfür intermediäre Meningeome:3,8%–4,7%, für anaplastische Meningeo-me: 6,6%–12,7%). Da wir ferner zeigenkonnten, daß der histochemisch detektier-bare Verlust der alkalischen Phosphatase-Expression als progressions- und rezidiv-assoziierte Veränderung zu werten ist, er-scheint diese einfach durchzuführende En-zymreaktion besonders gut geeignet, dieDiagnose eines rezidivgefährdeten Menin-geoms vom intermediären Typ zu stützen.Voraussetzung ist die Zusendung desResektatgewebes als “Schnellschnitt”, dadie alkalische Phosphatase nach den eige-nen Erfahrungen nicht am Formalin-fixier-ten Paraffin-eingebetteten Gewebe durch-

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Abb. 8 m Kompletter Ausfall der alkalische Phosphatase-Reaktion in einem anaplastischen Menin-geom (s. Abb. 6). Positive Blutgefäße (alk. Phosphatase, 25fach, Original)

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