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DAS AUGE UND DER GEIST

Maurice Merleau-Ponty

Was ich ihnen wiederzugeben versuche, ist unbegreiflicher; es ist mit den Wurzeln des Seins selbst verflochten, an der ungreifbaren Quelle der Empfindungen. J. Gasquet, Czanne

Das Auge und der Geist

Auszug aus:

Das Auge und der Geist: philosophische Essayss. 13-43 Hamburg, 1984 Hrsg. u. bers. von Hans Werner Arndt

Die Wissenschaft geht mit den Dingen um, ohne sich auf sie einzulassen. Sie macht sich eigene Modelle von ihnen, nimmt nach diesen Indizes oder Variablen die durch ihre Definition ermglichten Umformungen vor und dringt dabei nur hin und wieder zur wirklichen Welt durch. Sie ist und war stets ein erstaunlich aktives, einfallsreiches und unbefangenes Denken, eine Entschlossenheit, jedes Seiende als Objekt schlechthin zu behandeln, das heit, gleichzeitig so, als wenn es fr uns nichts bedeutete und dennoch fr unsere Manipulationen prdestiniert wre. Aber die klassische Wissenschaft hatte noch ein Gefhl fr die Undurchdringlichkeit der Welt, der sie durch ihre Konstruktionen gerecht zu werden suchte. Deshalb glaubte sie, eine transzendente oder transzendentale Grundlegung fr ihre Operationen finden zu mssen. Heute dagegen haben wir es - nicht in der Wissenschaft, aber in einer ziemlich verbreiteten Wissenschaftstheorie - mit der ganz neuen Erscheinung zu tun, da die konstruktive Praktik sich als autonom ansieht und da das Denken sich bewut auf die Gesamtheit der Aneignungstechniken, die es erfindet, reduziert. Denken heit jetzt, Versuche machen, Operieren und Transformieren unter dem alleinigen Vorbehalt einer experimentellen Kontrolle, bei der nur stark bearbeitete Phnomene auftreten, die von unseren Apparaten mehr hervorgebracht als blo registriert werden. Daher werden alle mglichen Versuche kurzerhand von einem Forschungsgebiet auf ein anderes bertragen. Niemals ist die Wissenschaft so empfnglich fr die geistigen Moden gewesen wie heute. Hat ein Modell in einem bestimmten Problembereich Erfolg gehabt, so wendet man es berall an. Die Embryologie, die Biologie arbeiten heute mit Gradienten, bei denen man nicht recht wei, wie sie sich von dem unterscheiden, was die klassischen Wissenschaften Ordnung oder Totalitt nannten. Aber diese Frage wird nicht gestellt und darf nicht gestellt werden. Ein solcher Gradient ist ein Netz, das man ins Meer wirft, ohne recht zu wissen, was es einbringen wird. Man knnte auch sagen, er ist ein drrer Zweig, auf dem sich unvorhersehbare Kristallisationen bilden. Diese Handlungsfreiheit vermag sicher manches nutzlose Dilemma zu berwinden, vorausgesetzt, da man sich von Zeit zu Zeit Rechenschaft ablegt, da man sich fragt, warum ein Werkzeug hier funktioniert und dort versagt, kurz, da diese hin und her flatternde Wissenschaft sich

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selbst versteht, da sie sich sieht als eine Konstruktion auf einer unbearbeiteten oder blo seienden Welt und da sie fr blinde Operationen nicht den konstituierenden Wert beansprucht, der in der idealistischen Philosophie den Naturbegriffen zukam. Sagt man auf Grund einer Nominaldefinition: Die Welt ist der Gegenstand X unserer Operationen, so setzt man die Erkenntnissituation des Wissenschaftlers absolut, als wre alles, was war und ist, nur fr das Labor bestimmt. Das operative Denken wird zu einer Art absoluter Konstruktionssucht, wie man es in der kybernetischen Ideologie sieht, wo die menschlichen Schpfungen aus einem natrlichen Informationsproze abgeleitet werden, der jedoch selbst nach dem Modell menschlicher Maschinen konzipiert wird. Wenn eine solche Denkweise sich mit dem Menschen und der Geschichte befat und wenn sie, hinwegsehend ber das, was wir durch direkten Kontakt und unsere eigene Lage davon wissen, sich anschickt, sie auf Grund einiger abstrakter Indizes zu konstruieren, wie es in den Vereinigten Staaten eine dekadente Psychoanalyse und Kulturanthropologie unternommen haben, gert man, weil der Mensch dann tatschlich zu dem manipulandum wird, das er zu sein glaubt, in ein Kultursystem, wo es kein Richtig und Falsch mehr fr den Menschen und die Geschichte gibt, in einen Schlaf oder Albtraum, aus dem nichts ihn zu wecken vermag. Das wissenschaftliche Denken - ein berblicksdenken, ein Denken des Gegenstandes in seiner Allgemeinheit mu sich in ein vorausgehendes Es gibt zurckversetzen, in die Landschaft, auf den Boden der sinnflligen Welt und der bearbeiteten Welt, wie sie in unserem Leben, fr unseren Krper vorhanden sind, nicht fr jenen mglichen Krper, den man, wenn man will, als eine Informationsmaschine betrachten kann, sondern fr diesen tatschlichen Krper, den ich den meinen nenne, diesen Wachtposten, der schweigend hinter meinen Worten und meinen Handlungen steht. Mit meinem eigenen Krper mssen die assoziierten Krper, die anderen erwachen, nicht als meine Gattungsgenossen, wie die Zoologie sagt, sondern als diejenigen, die mir im Umgang vertraut sind, mit denen zusammen ich im vertrauten Umgang zu einem einzigen, gegenwrtigen Sein stehe, wie niemals ein Tier zu denjenigen seiner Art, seines Lebensraumes oder seiner Umwelt gestanden hat. In dieser ursprnglichen Geschichtlichkeit wird das unbeschwerte und improvisierende Denken der Wissenschaft lernen, sich den Dingen als solchen und sich selbst zuzuwenden, es wird wieder Philosophie werden Die Kunst und namentlich die Malerei schpfen aus jener Schicht unverarbeiteter Sinneserfahrung, von der das aktivistische Denken nichts wissen will. Sie sind sogar die einzigen, die dies in aller Unschuld tun. Den Schriftsteller, den Philosophen befragt man um seinen Rat oder seine Meinung, man lt nicht zu, da sie die Welt in der Schwebe halten, man will, da sie Stellung nehmen, sie knnen sich der Verantwor-

tung sprechender Menschen nicht entziehen. Die Musik dagegen ist zu sehr diesseits der Welt und des Bezeichenbaren, um etwas anderes darzustellen als Aufrisse des Seins, sein Aufwallen und Verebben, sein Wachsen, seine Ausbrche, seine Strudel. Nur der Maler hat das Recht, seinen Blick auf alle Dinge zu werfen, ohne zu ihrer Beurteilung verpflichtet zu sein. Vor ihm, knnte man sagen, verlieren die Ordnungsbegriffe der Erkenntnis und der Aktion ihre Tugend. Die Regime, die sich gegen eine entartete Malerei ereifern, zerstren die Bilder selten, sie verstecken sie, und darin liegt ein man kann nie wissen, das fast eine Anerkennung ist. Selten macht man dem Maler den Vorwurf der Flucht. Man ist Czanne nicht bse, da er whrend des siebziger Krieges in Estaque untergetaucht ist, jeder zitiert respektvoll sein Das Leben ist entsetzlich, whrend der kleinste Student seit Nietzsche der Philosophie rundheraus abschwren wrde, wenn es hiee, wir knnten mit ihrer Hilfe nicht lernen, das Leben zu meistern. Als wenn in der Bettigung des Malers eine Dringlichkeit lge, die jede andere Dringlichkeit berbte. Da ist er, lebenstchtig oder nicht, aber unbestreitbar souvern in seiner immer neuen Wiedergabe der Welt, ohne eine andere Technik als die, welche seine Augen und Hnde durch vieles Sehen, durch vieles Malen erworben haben, leidenschaftlich darum bemht, dieser Welt, in der Skandal und Ruhm der Geschichte widerhallen, Gemlde abzugewinnen, die den rgernissen und den Hoffnungen der Menschen kaum etwas hinzufgen werden - und niemand regt sich darber auf. Was ist also dieses Geheimwissen, ber das er verfgt oder das er sucht? Diese Dimension, nach der van Gogh weitergehen will? Jener Grundbestandteil der Malerei und vielleicht der Kultur berhaupt?

II Der Maler bringt seinen Krper ein, sagt Valry. Und in der Tat kann man sich nicht vorstellen, wie ein reiner Geist malen knnte. Indem der Maler der Welt seinen Krper leiht, verwandelt er die Welt in Malerei. Um jene Verwandlungen zu verstehen, mu man den wirkenden und gegenwrtigen Krper wiederfinden, ihn, der nicht ein Stck Raum, ein Bndel von Funktionen ist, sondern eine Wahrnehmung und Bewegung Verbindendes. Ich brauche nur etwas zu sehen, um zu wissen, wie ich es erreichen kann, selbst wenn ich nicht wei, wie das im Nervensystem vor sich geht. Mein beweglicher Krper hat seine Stelle in der sichtbaren Welt, ist ein Teil von ihr, und deshalb kann ich ihn auf das Sichtbare hin richten. Umgekehrt jedoch hngt auch das Sehen von der Bewegung ab. Man sieht nur, was man betrachtet. Was wre das Sehen ohne jede Bewegung der Augen? Und deren Bewegung knnte

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die Dinge nicht anders als verworren wiedergeben, wenn sie selbst reflektorisch oder blind wre, ber keine Fhler verfgte, keine Scharfsichtigkeit bese und das Sehen nicht in ihr sich selbst vorausginge. Alle meine Ortsvernderungen sind im Prinzip auf eine Stelle meiner rumlichen Umgebung beziehbar, sind auf der Karte des Sichtbaren aufgetragen. Alles, was ich sehe, ist prinzipiell in meiner Reichweite, zumindest in Reichweite meines Blickes, vermerkt auf der Karte des ich kann. Jede der beiden Karten ist vollstndig. Die sichtbare Welt und die meiner motorischen Absichten sind erschpfende Teile desselben Seins. Dieses erstaunliche Ineinandergreifen von Sehen und Bewegung, an das man nicht genug denkt, verbietet es, das Sehen als Denkoperation aufzufassen, die vor dem Geist ein Bild oder eine Darstellung der Welt aufbauen wrde, einer Welt der Immanenz und der Ideen. Durch seinen Krper, der selbst sichtbar ist, in das Sichtbare eingetaucht, eignet sich der Sehende das, was er sieht, nicht an: Er nhert sich ihm lediglich durch den Blick, er ffnet sich auf die Welt hin. Und auf der anderen Seite ist diese Welt, von der er ein Teil ist, nicht an sich oder Materie. Meine Bewegung ist kein geistiger Entschlu, kein absolutes Tun, das aus der subjektiven Zurckgezogenheit heraus irgendeine Ortsvernderung dekretierte, die sich auf wunderliche Weise in der Ausdehnung vollzge. Sie ist die natrliche Folge und das Zur-Reife-gelangen eines Sehens. Von einem Ding sage ich, da es bewegt wird, aber mein Krper bewegt sich, meine Bewegung entfaltet sich. Sie ist ber sich nicht im Ungewissen, ist sich gegenber nicht blind, sie strahlt aus einem Sich heraus ... Das Rtsel liegt darin, da mein Krper zugleich sehend und sichtbar ist. Er, der alle Dinge betrachtet, kann sich zugleich auch selber betrachten und in dem, was er gerade sieht, die andere Seite seines Sehvermgens erkennen. Er sieht sich sehend, er betastet sich tastend, er ist fr sich selbst sichtbar und sprbar. Es ist ein Sich, nicht durch Transparenz wie das Denken, das, was es auch immer denkt, sich selbst assimiliert, indem es es als Denken konstituiert, in Denken verwandelt, sondern ein Sich durch ein Einswerden, durch eine narzitische Verbundenheit dessen, der sieht, mit dem, was er sieht, dessen, der berhrt, mit dem, was er berhrt, des Empfindenden mit dem Empfundenen - ein Sich also, das den Dingen verhaftet ist, das eine Vorder- und eine Rckseite, eine Vergangenheit und eine Zukunft hat. .. Aus diesem ersten Paradox ergeben sich immerfort neue. Sichtbar und beweglich zhlt mein Krper zu den Dingen, ist eines von ihnen, er ist dem Gewebe der Welt verhaftet, und sein Zusammenhalt ist der eines Dinges. Da er aber sieht und sich bewegt, hlt er die Dinge in seinem Umkreis, sie bilden einen Anhang oder eine Verlngerung seiner selbst, sind seine Kruste und bilden einen Teil seiner vollen Definition, wie auch die Welt aus eben dem Stoff des Krpers gemacht ist. Diese Ver-

kehrungen und Antinomien sind verschiedene Arten, zu sagen, da das Sehen mitten aus den Dingen heraus geschieht, da, wo ein Sichtbares sich anschickt zu sehen, zum Sichtbaren fr sich selbst durch das Sehen aller Dinge wird und die ursprngliche Einheit des Empfindenden mit dem Empfundenen besteht wie die des Wassers im Eiskristall. Jenes Innensein wird durch die physische Beschaffenheit des menschlichen Krpers nicht vorausgesetzt, folgt aber ebensowenig aus ihr. Wenn unsere Augen so beschaffen wren, da unser Blick keinen Teil unseres Krpers trfe, oder wenn irgendeine bsartige Vorrichtung uns zwar erlaubte, unsere Hnde ber die Dinge gleiten zu lassen, uns aber daran hinderte, unseren Krper zu berhren - oder wenn wir einfach wie bestimmte Tiere seitlich gerichtete Augen htten, so da sich die beiden Sehfelder nicht berschnitten , dann wre dieser Krper, der sich nicht reflektierte, sich nicht fhlte, dieser fast diamantene Krper, der ganz und gar nicht Leib wre, auch kein Menschenkrper und es gbe kein Menschsein. Aber das Menschsein kommt nicht zustande wie eine Wirkung durch unsere Gelenke, durch die Stellung unserer Augen (und noch weniger durch das Vorhandensein von Spiegeln, die immerhin allein uns unseren gesamten Krper sichtbar machen). Diese und hnliche zufllige Umstnde, ohne die es keinen Menschen gbe, bewirken durch bloe Summierung nicht, da es auch nur einen einzigen Menschen gibt. Das Belebtsein des Krpers ist nicht das Aneinandergefgtsein seiner Teile - und brigens ebensowenig das Herabsteigen eines von woanders herkommenden Geistes in einen Automaten, was immer noch implizieren wrde, da der Krper ohne ein Innen und ohne ein Sich wre. Ein menschlicher Krper ist vorhanden, wenn es zwischen Sehendem und Sichtbarem, zwischen Berhrendem und Berhrtem, zwischen einem Auge und dem anderen, zwischen einer Hand und der anderen zu einer Art Begegnung kommt, wenn der Funke des Empfindend-Empfundenen sich entzndet, wenn jenes Feuer um sich greift, das unaufhrlich brennen wird, bis irgendein Zwischenfall dem Krper zustt und zunichte macht, was kein Zwischenfall htte zustande bringen knnen . . . Zugleich mit diesem sonderbaren System wechselseitiger Bezge sind nun schon auch alle Probleme der Malerei angesprochen. Sie illustrieren das Rtsel des Krpers, und dieses Rtsel rechtfertigt sie. Denn weil die Dinge und mein Krper aus dem gleichen Stoff gemacht sind, mu sich sein Sehen auf irgendeine Art in ihnen vollziehen, mu sich ihr offenkundiges Sichtbarwerden in ihm mit einer geheimen Sichtbarkeit koppeln: Die Natur ist innen, sagt Czanne. Qualitt, Licht, Farbe, Tiefe, die sich dort vor uns befinden, sind dort nur, weil sie in unserem Krper ein Echo anklingen lassen, weil er sie empfngt. Jenes innere quivalent, jene leibliche Form ihrer Gegenwart, die die Dinge in mir erwecken, warum sollten sie nicht eine wiederum sichtbare Skizze hervorrufen, in der jeder andere Blick die Motive wiederfinden wrde, die seiner

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Sicht der Welt unterliegen? Dann erscheint ein Sichtbares in der zweiten Potenz, leibliches Wesen oder Abbild des ersten. Es ist dies kein schwcheres Double, kein Trugbild, kein anderes Ding. Die auf die Felswand von Lascaux gemalten Tiere sind nicht in der Weise dort wie die Risse und Wlbungen des Kalksteins, sie sind aber ebensowenig anderswo. Ein wenig davor oder dahinter, von seiner Masse getragen, derer sie sich geschickt bedienen, strahlen sie von ihr aus, ohne jemals ihr ungreifbares Anhaften zu verlieren. Es wrde mir wahrlich Mhe machen, zu sagen, wo sich das Bild befindet, das ich betrachte. Denn ich betrachte es nicht, wie man ein Ding betrachtet, ich fixiere es nicht an seinem Ort, mein Blick ergeht sich in ihm wie im Heiligenscheine des Seins, ich sehe eher dem Bilde gem oder mit ihm, als da ich es sehe. Das Wort Bild hat einen schlechten Ruf, weil man gedankenlos geglaubt hat, da eine Zeichnung ein Abdruck, eine Kopie, ein zweites Ding sei, und das geistige Bild eine Zeichnung dieser Art in unserer privaten geistigen Rumpelkammer. Wenn nun aber das Bild nichts dergleichen ist, so gehren Zeichnung und Gemlde ebensowenig wie das Bild dem Ansich an. Sie sind das Innen des Auen und das Auen des Innen, das die Doppelnatur des Empfindens mglich macht, ohne die man niemals die Quasi-Gegenwart und die imminente Sichtbarkeit verstehen knnte, die das ganze Problem des Imaginren ausmachen. Das Gemlde, die Mimik des Komdianten sind keine Hilfsmittel, die ich der wirklichen Welt entlehnte, um mittels ihrer prosaische Dinge in ihrer Abwesenheit ins Auge zu fassen. Das Imaginre ist viel nher am Aktuellen und gleichzeitig viel weiter von ihm entfernt. Viel nher, weil es das Diagramm seines Lebens in meinem Krper ist, sein Mark oder seine innere Kehrseite, die erstmalig den Blicken ausgesetzt wird, und weil in diesem Sinne gilt, was Giacometti1 nachdrcklich zum Ausdruck bringt: Was mich an jeder Malerei interessiert, ist die hnlichkeit, das heit das, was fr mich die hnlichkeit ist, was mich ein wenig die uere Welt entdecken lt. Viel weiter, weil das Gemlde nur nach Magabe des Krpers ein Analogon ist, weil es dem Geist keine Gelegenheit bietet, die konstitutiven Beziehungen der Dinge nach zuvollziehen, sondern dem Blick die Konturen einer Innenschau darbietet, damit er sich mit ihnen vermhle und dem Sehen zu erkennen gibt, womit es innen ausgestattet ist, das imaginre Gewebe des Wirklichen. Knnen wir also sagen, da es einen inneren Blick gibt, ein drittes Auge, das die Gemlde und sogar die geistigen Bilder sieht, wie man von einem dritten Ohr gesprochen hat, das die von auen her kommenden Botschaften in dem Gerusch erfat, das sie in uns ertnen lassen? Wozu jedoch, wenn es nur darum geht, zu verstehen, da unsere physischen Augen schon mehr sind als nur Empfnger fr Lichter, Farben und Konturen: nmlich Computers der Welt, die die Gabe des Sicht-

baren haben, wie man von einem inspirierten Menschen sagt, er habe die Gabe der Sprache. Sicher wird diese Gabe erst durch bung erlangt, und ein Maler erwirbt seine Sehweise nicht in wenigen Monaten und null nicht in der Abgeschiedenheit. Doch das steht nicht zur Debatte: frh oder spt auftretend, spontan oder im Museum ausgebildet, lernt s e i n Sehen jedenfalls nur, indem es sieht, lernt nur von sich selbst. Das Auge sieht die Welt und was ihr fehlt, um Gemlde zu sein, und was dem Gemlde fehlt, um es selber zu sein, es sieht auf der Palette die Farbe, nach der das Gemlde verlangt, und es sieht nach seiner Fertigstellung das Gemlde, das allen diesen Mngeln nachkommt, und es sieht die Gemlde der anderen, die anderen Antworten auf die anderen Mngel. Ebensowenig wie man ein begrenztes Inventar des Sichtbaren aufstellen kann, kann man ein Inventar der Gebrauchsmglichkeiten einer Sprache oder auch nur ihres Wortschatzes und ihrer Wendungen aufstellen. Als ein selbstbewegtes Instrument und als ein Mittel, das sich seine Zwecke selbst erfindet, ist das Auge eben dasjenige, was einen bestimmten Eindruck der Welt, den es empfing, durch die Zge der Hand in das Sichtbare zurckversetzt. In welcher Zivilisation eine Malerei immer entsteht, von welchem Glauben, welchen Motiven, welchen Denkweisen und welchen Zeremonien sie auch immer umgeben ist, selbst wenn sie fr etwas anderes bestimmt scheint, sei sie reine Malerei oder nicht, figrliche oder gegenstandslose Malerei - seit Lascaux bis zum heutigen Tage zelebriert sie kein anderes Rtsel als das der Sichtbarkeit. Was wir da sagen, luft auf eine triviale Feststellung hinaus: Die Welt des Malers ist eine sichtbare Welt, die anders nicht als sichtbar ist, eine fast irre Welt, da sie ja vollstndig und doch nur partiell ist. Die Malerei erweckt einen Rausch und lt ihn bis zu seiner uersten Strke anwachsen, und dieser Rausch ist eben das Sehen, da ja Sehen nichts anderes ist als ein Habhaftwerden auf Entfernung und da die Malerei diese wunderliche Form der Besitzergreifung auf alle Aspekte des Seins ausdehnt, die in irgendeiner Weise sichtbar werden mssen, um in sie einzugehen. Als der junge Berenson anllich der italienischen Malerei von einem Bewutmachen taktiler Werte sprach, konnte er sich kaum strker tuschen: die Malerei bringt nichts zum Bewutsein und insbesondere nicht das Tastbare. Sie tut eher das Umgekehrte: Sie verleiht sichtbare Existenz dem, was das alltgliche Sehen fr unsichtbar hlt, sie bewirkt, da wir keinen Muskelsinn brauchen, um den Umfangreichtum der Welt zu erfassen. Dieses verschlingende Sehen ffnet sich, ber die visuellen Gegebenheiten hinaus, auf ein Gefge des Seins, dessen vereinzelte Sinnesbotschaften nur die Zeichensetzungen oder Zsuren sind und das das Auge bewohnt, wie der Mensch sein Haus. Bleiben wir beim Sichtbaren im engeren und prosaischen Sinne: Wer auch immer der Maler sei, whrend er malt, praktiziert er eine magische Theorie des Sehens. Er mu schon zugeben, da die Dinge in ihn ber-

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G. Charbonnier: Le Monologue du peintre. Paris 1959, p. 172. 19

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gehen oder da, entsprechend dem sarkastischen Dilemma von Malebranche, der Geist ihm aus den Augen tritt, um sich unter den Dingen zu ergehen, da er ja unaufhrlich sein zweites Gesicht nach ihnen ausrichtet. (Daran ndert sich nichts, wenn der Maler nicht nach dem Motiv malt: er malt auf jeden Fall, weil er gesehen hat, weil ihm die Welt, zumindest einmal, die Chiffren des Sichtbaren eingeprgt hat.) Er mu schon zugeben, da das Sehen, wie ein Philosoph sagt, eine Spiegelung oder Konzentration des Universums ist oder da, wie ein anderer sagt, sich durch das Sehen auf einen hin ffder net, da schlielich dasselbe Ding dort im Innern der Welt und hier im Innern seines Sehens ist; dasselbe oder, wenn man will, ein hnliches Ding, jedoch durch eine wirksame hnlichkeit, die Verwandtschaft, Entstehung und Metamorphose des Seins in seinem Sehen ist. Es ist das Gebirge selbst, das sich von dort hinten vom Maler erschauen lt und das er mit seinem Blick befragt. Was verlangt er eigentlich von ihm? Die Mittel zu enthllen, die nicht anders als sichtbar sind, durch die es unter unseren Blicken zum Gebirge wird. Licht, Beleuchtung, Schatten, Reflexe und Farbe, alle diese Gegenstnde seines Forschens sind nicht im vollen Sinne wirkliche Wesen: sie haben, gleich Phantomen, nur eine visuelle Existenz. Ja, sie befinden sich sogar lediglich auf der Schwelle des alltglichen Sehens und werden im allgemeinen nicht gesehen. Der Blick des Malers befragt sie, wie sie bewirken, da pltzlich etwas da ist, und dieses etwas dazu dient, um jene zauberkrftige Welt zu bilden, um uns das Sichtbare sehen zu lassen. Die Hand, die in der auf uns weist, ist tatschlich da, wenn ihr Schatten auf dem Krper des Hauptmanns sie uns gleichzeitig im Profil zeigt. Im Schnittpunkt dieser beiden Ansichten, die sich nicht zusammenfgen und dennoch gleichzeitig da sind, tritt die Rumlichkeit des Hauptmanns in Erscheinung. Alle Menschen, die Augen haben, waren irgendwann einmal Zeugen von solchen oder hnlichen Schattenspielen. Eben sie sind es, die uns Dinge und einen Raum sehen lassen. Aber sie wirken in ihnen ohne sie, sie verbergen sich, um das Ding zu zeigen. Um das Ding zu sehen, braucht man die Schattenspiele nicht zu bemerken. Das im alltglichen Sinne Sichtbare vergit seine Voraussetzungen, es beruht auf einer umfassenden Sichtbarkeit, die nachgeschaffen werden mu, und die die in ihr gefangenen Phantome freisetzt. Die Modernen haben, wie man wei, noch ganz andere befreit und haben der offiziellen Skala unserer Sehmglichkeiten viele dumpfe Tne hinzugefgt. Aber das Fragen der Malerei zielt in jedem Fall auf dieses verborgene und fieberhafte Entstehen der Gegenstnde in unserem Krper. Es handelt sich also nicht um die Frage dessen, der wei, an den, der nicht wei, die Frage des Schulmeisters. Vielmehr ist es die Frage dessen, der nicht wei, an ein Sehen, das alles wei, das wir nicht bewirken, sondern das in uns wirkt. Max Ernst (und der Surrealismus) sagt zu

Recht: Ebenso wie die Rolle des Dichters seit Rimbauds berhmten darin besteht, unter dem Diktat dessen zu schreiben, was sich in ihm denkt und artikuliert, so ist es die Rolle des Malers, zu umreien und zu projizieren, was sich in ihm sieht.2 Der Maler lebt in der Faszination. Seine eigensten Handlungen - jene Gesten und Linienzge, derer er allein fhig ist und die fr die anderen Offenbarung sein werden, weil sie nicht die gleichen Mngel haben wie er - scheinen fr ihn aus den Dingen selbst hervorzugehen, wie die Umrisse der Sternbilder. Zwischen ihm und dem Sichtbaren kehren sich die Rollen unweigerlich um. Eben deshalb haben so viele Maler gesagt, da die Dinge sie betrachten, wie Andre Marchand nach Klee sagt: In einem Wald habe ich zu wiederholten Malen empfunden, da nicht ich den Wald betrachtete. An manchen Tagen habe ich gefhlt, da es die Bume waren, die mich betrachteten, die zu mir sprachen . . . Ich war da und lauschte nur... Ich glaube, da der Maler vom Universum durchdrungen werden und es nicht selbst durchdringen wollen mu . . . Ich warte darauf, innerlich berflutet und berschttet zu werden. Vielleicht male ich, um wieder emporzutauchen.3 Das, was man Inspiration nennt, sollte wrtlich genommen werden: Es gibt tatschlich eine Inspiration und Expiration des Seins, ein Atmen im Sein, eine Aktion und Passion, die so wenig voneinander zu unterscheiden sind, da man nicht mehr wei, wer sieht und wer gesehen wird, wer malt und wer gemalt wird. Man sagt, ein Mensch werde in dem Augenblick geboren, wo das, was im Mutterleib zunchst nur ein virtuell Sichtbares war, zugleich fr uns und fr sich selbst sichtbar wird. Das Sehen des Malers ist eine fortwhrende Geburt. Man knnte in den Gemlden selbst eine in ihnen verbildlichte, gleichsam ikonographische Philosophie des Sehens suchen. Es ist zum Beispiel kein Zufall, wenn oft in der hollndischen Malerei (und vielen anderen) ein verlassenes Interieur vom runden Auge des Spiegels verschluckt4 wird. Dieser vormenschliche Blick ist das Emblem desjenigen des Malers. Vollstndiger als die Lichter, die Schatten, die Reflexe deutet das Spiegelbild in den Dingen die Arbeit des Sehens an. Wie alle anderen Gegenstnde menschlicher Machart, wie die Werkzeuge, wie die Zeichen ist der Spiegel im offenen Umkreis des sehenden Krpers zum sichtbaren Krper geworden. Jede Technik ist Technik des Krpers. Sie verkrpert und erweitert die metaphysische Struktur unseres Leibes. Der Spiegel tritt in Erscheinung, weil ich ein Sehend-Sichtbarer bin: weil es eine Reflexivitt des Sinnlichen gibt, die er wiedergibt und verdoppelt. Durch ihn vervollstndigt sich mein ueres; was ich an Verschwiegenstem

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G. Charbonnier, a. a. O., p. 34. G. Charbonnier, a. a. O., p. 143-145. Claudel: Introduction la peinture hollandaise. Paris 1935. Neuaufl. 1946. 21

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habe, geht in dieses Gesicht ein, in dieses flache und geschlossene Wesen, das schon mein Spiegelbild im Wasser mich beargwhnen lie. Schilder5 bemerkt, da ich, vor dem Spiegel Pfeife rauchend, die glatte und heie Oberflche des Holzes nicht nur dort fhle, wo meine Finger ruhen, sondern auch in jenen verklrten, nur sichtbaren Fingern, die sich in der Tiefe des Spiegels befinden. Das Phantom des Spiegels zieht meinen Leib nach auen, und gleichzeitig kann das ganze Unsichtbare meines Krpers fr die anderen Krper, die ich sehe, aufkommen. So kann mein Krper nunmehr Teilstcke desjenigen anderer umfassen, wie meine eigene Substanz in sie eingeht; der Mensch ist fr den Menschen Spiegel. Was den Spiegel angeht, so ist er das Instrument einer universellen Magie, die die Dinge in Schauspiele, die Schauspiele in Dinge, mich in andere und andere in mich verwandelt. Die Maler haben oft ber Spiegel nachgesonnen, weil sie in diesem mechanischen Trick wie in dem der Perspektive6 die Metamorphose des Sehenden und des Sichtbaren erkannten, die unseren Leib und ihre Berufung definiert. Eben deshalb haben sie sich auch oft gern beim Malen selbst dargestellt (da sie es auch jetzt noch gern tun, sieht man an den Zeichnungen von Matisse), indem sie dem, was sie dabei sahen, hinzufgten, was die Dinge von ihnen sahen, wie um zu beweisen, da es ein allumfassendes oder absolutes Sehen gibt, auerhalb dessen nichts besteht, und das nichts als sie umschliet. Wie soll man jene okkulten Verfahren benennen, wo soll man sie in der Verstandeswelt ansiedeln, und die Liebestrnke und Gtzenbilder, die sie hervorbringen? Das Lcheln eines seit vielen Jahren verstorbenen Monarchen, von dem in