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MIKE DASH Der Untergang der Batavia

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MIKE DASH

Der Untergang der Batavia

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Buch

Sieben Schiffe der »Vereinigten Ostindischen Kompanie« verlassen imHerbst 1628 den Hafen von Amsterdam. Darunter auch die »Batavia«,das Flaggschiff der Holländer und der ganze Stolz der niederländischenKaufleute. Schwer beladen mit Gold, Silber und Edelsteinen, mit Geld-truhen, kostbaren Stoffen und Waffen tritt der prächtige Dreimasterseine Jungfernfahrt mit Kurs auf Java an. Doch der Segler wird sei-nen Bestimmungsort nie erreichen. In den frühen Morgenstunden des4. Juni 1629 gerät die »Batavia« in einen schweren Sturm und läuft vorder Westküste Australiens auf ein Riff. 250 Menschen überleben dieKatastrophe und retten sich auf eine kleine Koralleninsel. Doch was zu-nächst wie eine wunderbare Rettung erscheint, entpuppt sich schnellals ein Abstieg in die Hölle: Denn unter den Überlebenden befindetsich auch der Kaufmann Jeronimus Cornelisz, ein machthungriger Psy-chopath, der eine blutige Schreckensherrschaft auf der Insel errichtet.Für die unschuldigen Männer, Frauen und Kinder von der »Batavia«beginnt ein grausamer Kampf ums nackte Überleben, und nur den we-

nigsten gelingt es am Ende, dem Grauen zu entrinnen.

Autor

Mike Dash wurde 1963 in Großbritannien geboren und wuchs in Ber-lin, Zürich, Paris und Cannes auf. Nach seinem Geschichtsstudium inCambridge arbeitete er als Journalist und freier Schriftsteller. MikeDash gilt in England als einer der renommiertesten Autoren kulturhis-torischer Bücher. »Der Untergang der Batavia« wurde von der interna-tionalen Presse begeistert aufgenommen und als eines der besten Sach-bücher der vergangenen Jahre ausgewiesen. Mike Dash lebt in London.

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Mike DashDer Untergang

der BataviaSie landeten im Paradies, doch ein einzelner Mann

machte ihnen das Leben zur Hölle

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

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Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Batavia’s Graveyard«bei Weidenfeld & Nicolson, London.

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das FSC-zertifizierte Papier München Super für Taschenbücher aus dem Goldmann Verlag liefert Mochenwangen Papier.

1. AuflageTaschenbuchausgabe Oktober 2005

Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Originalausgabe 2002 by Mike DashCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 2003

Umschlaggestaltung: Design Team MünchenUmschlagfoto: Corbis/Mayer (MA02599A)

KF · Herstellung: Str.Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in GermanyISBN-10: 3-442-15351-4

ISBN-13: 978-3-442-15351-0

www.goldmann-verlag.de

SGS-COC-1940

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Für Penny, meine Creesje

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Inhalt

Prolog: Der Morgen am Riff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1. Der Ketzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

2. Die »Herren XVII« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

3. Die Ozeankneipe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

4. Terra Australis Incognita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

5. Der Tiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

6. Das Große Beiboot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

7. »Wer will erstochen werden?« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

8. Verdammt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

9. Aufs Rad geflochten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Epilog: An den Gestaden des Großen Südlandes . . . . . . . . 308

Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

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Vorbemerkung

Nichts in diesem Buch ist erfunden. Es hält sich eng an die zeit-genössischen Quellen, aus denen sämtliche Zitate entnommensind. Die wenigen Stellen, an denen ich über Gedanken undHandlungen der Passagiere und Besatzungsmitglieder von derBatavia meine eigenen Schlüsse gezogen habe, sind in den An-merkungen kenntlich gemacht.

Jeronimus Cornelisz und seine Kameraden unternahmen ihreSeereise zu einer Zeit, als Familiennamen in der Republik der Ver-einigten Niederlande noch eine Seltenheit waren, und entspre-chend häufig kam es vor, dass ein Name in ein und demselben Do-kument unterschiedlich geschrieben und buchstabiert wurde. Soweit es zeitgenössische Belege dafür gibt, habe ich diese Tatsachegenutzt, um Verwechslungen zwischen ähnlichen Namen zu ver-meiden. Deshalb wird der Meuterer Daniel Cornelisz einheitlichals »Cornelissen« bezeichnet, damit man ihn nicht mit Jeronimusverwechselt; und von den beiden Männern namens Allert Jansz,die auf dem Schiff mitfuhren, wurde einer zu Allert Janssen.

Genaue Vergleiche zwischen der Kaufkraft der Währungen imgoldenen Zeitalter der Niederländischen Republik und heute sindunmöglich, aber man kann ungefähr abschätzen, dass ein Guldenim Jahr 1629 heute einen Wert von rund 75 Euro hätte.

Ortsnamen sind so geschrieben, wie es im siebzehnten Jahr-hundert üblich war, beispielsweise Leyden statt Leiden und Sar-dam statt Zaandam.

mike dash, London, Juni 2001

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Ich betrachtete ihn voller Kummer, diesen Bösewicht, diese Ur-sache so vieler Katastrophen und schrecklichen Blutvergießens.Besudelt auf jede Weise nicht nur mit abscheulichen Missetaten,sondern auch mit verdammenswerter Ketzerei … hatte er den-noch die Absicht weiterzumachen.

Aus dem Verhör des Jeronimus Cornelisz durch Francisco Pelsaert

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prolog

Der Morgen am Riff

Die Last aller Katastrophen hat sich zusammengeballt und an meinen Hals gehängt.

francisco pelsaert

Der Mond ging schon in der Abenddämmerung auf am 3. Juni1629. Seine weichen grauen Lichtsäulen tanzten auf den gewal-tigen Wogen des östlichen Indischen Ozeans. Die Strahlen schos-sen von Wellenberg zu Wellenberg, eilten Meile um Meile überdie öde Leere des Meeres, bis sie schließlich einen Augenblicklang etwas einfingen und einen Schatten warfen – eine großedunkle Masse, die sich in einem Tal zwischen den Wellen dahin-schleppte.

In der nächsten Sekunde schoss die Silhouette vorwärts,schob sich an einer beweglichen Wasserwand hinauf, tauchte indie nächste Woge ein. Dabei bäumte sie sich kurz auf, und derMond schien sie festzuhalten, als sie wieder aufs Wasser krachteund Fahnen aus feiner weißer Gischt auf beiden Seiten in dieLuft steigen ließ.

Im Zwielicht des südlichen Winters entpuppte sich dieschwarze Masse schließlich als ansehnliches Schiff, das mit einersteifen Brise von achtern nach Norden steuerte. Es war nach eu-ropäischer Art gebaut, gedrungen und mit viereckigen Segeln,und schien nicht im Gleichgewicht zu sein: Der Bug lag viel tie-fer als das Heck. Sein wie ein Schnabel gebogener Bug hing sodicht über dem Meer, dass er häufig von einem Schwall dunklenWassers überspült wurde, aber dahinter schwang sich das Deckin die Höhe wie ein massiver hölzerner Krummsäbel, so steil,dass das Heck sich fast zwölf Meter über das Wasser erhob. Wäh-rend das Schiff mühsam vorankam, traten im hellen Mondlicht

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ein paar Einzelheiten am Rumpf hervor: die Galionsfigur (einspringender Löwe aus Holz), eine verworrene Masse von Tauen,die riesigen eisernen Anker, die verkehrt herum an ihren Seitenvertäut waren. Der Bug war stumpf, und sowohl seine Breite alsauch der große Tiefgang wiesen es als Kauffahrer aus.

Der Mond schien hell an jenem Abend. Dennoch reichte dasLicht nicht aus, um das Schiff an den Flaggen zu identifizieren,die von allen drei Masten flatterten und knatterten, und an Deckwar kaum eine Bewegung zu sehen. Alle Geschützluken warengeschlossen, und nicht einmal der flüchtige Schimmer einerLampe, der durch ihre Ritzen schien, deutete auf Leben im In-neren hin. Nur über dem Heck hing eine riesige, eineinhalbMeter hohe Laterne; ihr gelber Schein beleuchtete die reichenHolzschnitzereien unter ihr gerade so gut, dass ein scharfes Augedie aufgemalten Lettern entziffern konnte, die den Namen desSchiffes und seinen Heimathafen verkündeten.

Es war der Ostindienfahrer Batavia, seit sieben Monaten vonAmsterdam auf Jungfernfahrt. Noch 30 Tage trennten die Bataviavon ihrem Bestimmungsort, den holländischen Handelsniederlas-sungen auf der Insel Java. Hinter ihr, jenseits des phosphoreszie-renden Kielwassers, lagen 13 000 Meilen Meer. Und vor sich hattesie noch einmal 1800 Meilen unbekannten Ozean, den damals, gegen Ende der dreißiger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts,erst eine Hand voll europäischer Schiffe überquert hatte. Unterden Geografen in England, den Niederlanden und Spanien kur-sierten Gerüchte und Spekulationen zuhauf über das, was hinterdem Horizont in jener ungeheuren Leere liegen mochte, südlichder bekannten Gewässer Ostindiens, aber Berichte gab es nurwenige, und genaue Kenntnisse überhaupt nicht. Die wenigenKarten des Gebietes, die man auf der Batavia besaß, waren äu-ßerst bruchstückhaft und als Navigationshilfe so gut wie nutz-los. Also segelte das Schiff blind, im Vertrauen auf Gott und denSteuermann, in die hereinbrechende Nacht. Im Stundenglas ver-rannen die Minuten bis Mitternacht und dem Wachwechsel.

Als das Schiff die Niederlande verließ, war es nagelneu gewe-sen, aber jetzt sah es mitgenommen aus. Die Teile über der Was-serlinie waren hellgrün gestrichen gewesen, mit Verzierungen inRot und Gold, aber jetzt waren sie abgeschabt und vom Meersalz

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zerfressen. Die Unterseite, einst glatt und sauber, war mit so vie-len Seepocken und Tangpflanzen besetzt, dass sie das Fortkom-men nach Norden bremsten. Und der Rumpf, obwohl aus Eiche,hatte alle nur denkbaren Temperaturextreme erlebt und bebtejetzt, wenn das Schiff in den Wogen rollte. Anfangs, im Winterdes Nordens, war das Holz aufgequollen: Die Batavia hatte inAmsterdam gegen Ende des vorangegangenen Oktobers abgelegt,als die nördlichen Meere schon kalt und stürmisch waren. Dannwaren die Planken in der Sonne geschrumpft, als das Schiff anden Fieberküsten Afrikas entlangsegelte, sich vor Sierra Leonenach Westen wandte und über den Äquator Kurs auf Brasiliennahm. An der südamerikanischen Küste hatte sie dann eine öst-liche Richtung eingeschlagen und eine Strömung gefunden, diesie zum Kap der Guten Hoffnung trug. Von dort trieben heftigeOstwinde sie durch die »Roaring Forties« und über den süd-lichen Ozean, wo es wiederum Winter war. Eine ständige Brisebrachte sie schließlich zwischen die öden Inselchen St. Paul undAmsterdam und von dort in die unbekannten Gewässer des Os-tens.

Wenigstens war es jetzt wärmer, und die Stürme hatten nach-gelassen. Nach mehr als sieben Monaten auf See nahm die Bata-via Kurs nach Norden. Die endlosen Unannehmlichkeiten derReise waren immer schlimmer geworden, und sie wogen weitschwerer als die langsame Wetterbesserung. Frische Lebens-mittel gab es schon lange nicht mehr, im Trinkwasser wimmeltendie Würmer, und unter Deck stank das Schiff nach Urin, unge-waschenen Körpern und verdorbenem Atem. Am übelsten warin gewisser Weise die schwerfällige Eintönigkeit der endlosenTage auf See, die den Passagieren den letzten Nerv raubte unddie Leistungsfähigkeit der Mannschaft untergrub.

Um 12 Uhr war Wachwechsel.1 Die neue, die Mitternachtswa-che, galt allgemein als die schwierigste und gefährlichste vonallen. Jetzt herrschten die schlechtesten Arbeitsbedingungen,und auf die Aufmerksamkeit der Männer konnte man sich nichtimmer verlassen. Deshalb war es üblich, dass der Kapitän selbstnachts an Deck blieb, und als die letzten Sandkörner durch dasStundenglas rannen, öffnete sich auf einem der oberen Deckseine kleine Tür: Er kam herauf.

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Der Kommandant eines holländischen Ostindienfahrers hattein seinem kleinen Reich nahezu uneingeschränkte Macht. Er be-fehligte ein Schiff, dessen Bau Zehntausende von Gulden gekos-tet hatte und dessen Fracht im Indienhandel noch einmal dasDoppelte wert war. Ihm oblag die sichere Navigation, und er warfür das Leben mehrerer hundert Seelen verantwortlich, die unterseinem Kommando standen. Aber auf der Batavia wie auf jedemanderen niederländischen Ostindienfahrer war der Kapitän auchUntergebener eines Offiziers, der in der Regel keine Erfahrungenmit dem Meer hatte und nichts von der Führung eines Schiffesverstand.

Dieser Mann war der Oberkaufmann oder Superkargo. Wieder Titel schon sagt, war er ein Kaufmannsagent, und er hatte da-für zu sorgen, dass die Reise für seine eigenen Vorgesetzten, dieDirektoren der Vereenigde Oostindische Compagnie – der Vereinig-ten Ostindischen Kompanie –, der das Schiff gehörte, einen Ge-winn abwarf. Die VOC war in der ersten Hälfte des siebzehntenJahrhunderts nicht nur das wichtigste Unternehmen und einerder größten Arbeitgeber in den Vereinigten Provinzen der Nie-derlande, sondern sogar die reichste und mächtigste Firma derWelt. Reich und mächtig war sie geworden, weil Handel und Ge-winn bei ihr vor allen anderen Zielen kamen. Deshalb waren derOberkaufmann und sein Stellvertreter, der Unterkaufmann, be-fugt, dem Kapitän die Weiterfahrt zu befehlen oder ihn inirgendeinem dreckigen Hafen ankern zu lassen, bis die Lade-räume voll waren, selbst wenn Tod und Krankheiten unter derBesatzung grassierten.

Der Kommandant eines niederländischen Ostindienfahrerswar also in einer recht ungewöhnlichen Lage. Man erwartete vonihm, dass er die Fähigkeiten in Seefahrt und Menschenführung,die jeder Kapitän besitzen musste, mit einem Maß an Taktgefühlund sogar Unterwürfigkeit verband, das einem in vielen Jahrenauf See abgehärteten Mann alles andere als leicht fällt. Zwar be-fehligte er tagtäglich das Schiff, aber er konnte jeden Augenblickeinen Befehl erhalten, den er zu befolgen hatte. Er konnte einenKurs setzen, aber er entschied nicht darüber, welche Richtungdas Schiff einschlug. Und im Hafen hatte er fast überhaupt nichtszu sagen.

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Der Kapitän der Batavia, ein zäher alter Seemann mit be-trächtlicher Erfahrung im Indienhandel, hieß Ariaen Jacobsz.*2

Er stammte aus Durgerdam, einem Fischerdorf wenige Meilennördlich von Amsterdam, und stand schon seit über zwanzigJahren in Diensten der VOC.3 Der Oberkaufmann – er hieß Fran-cisco Pelsaert – war in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteilvon Jacobsz, nicht nur was Reichtum und Bildung anging – daswar zu jener Zeit üblich –, sondern auch was seine Herkunft be-traf. Erstens war Pelsaert kein Holländer; er kam aus Antwerpenin den südlichen Niederlanden, der großen Konkurrentin Ams-terdams. Außerdem war er in einer katholischen Familie geborenworden, und das zu einer Zeit, als die VOC nur Protestanten alsOffiziere einstellte. Ihm fehlten Jacobsz’ Führungsqualitäten,und trotz langer Dienstjahre in Indien war er ebenso unent-schlossen, wie der Kapitän selbstbewusst war. Die beiden Män-ner waren alles andere als Freunde.

Ariaen Jacobsz wiederum war ein Veteran, der schon mehrereReisen in den Fernen Osten hinter sich hatte; mit Mitte vierzigdürfte er einer der ältesten Männer an Bord gewesen sein. Dasser ein hervorragender Seemann war, steht außer Zweifel. Er hattebereits andere große Kauffahrerschiffe der VOC mit Erfolg ge-führt, und die Ostindienkompanie pflegte ihre neuesten Schiffekeinen mittelmäßigen Offizieren anzuvertrauen. Die Berichteüber seine Dienstzeit besagen aber auch, dass Jacobsz cholerischwar, schnell aufbrauste und auf Kränkungen empfindlich rea-gierte, dass er manchmal zu viel trank und dass er ein Lüstlingwar, der sich nicht scheute, den weiblichen Passagieren an Bordseine Aufmerksamkeit aufzudrängen.

Das also waren die Männer, die in den frühen Morgenstundendes 4. Juni 1629 für die Sicherheit der Batavia sorgen sollten. DieVerantwortung lastete nicht sonderlich schwer auf dem Kapitän.4

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* Nachnamen waren in den Vereinigten Provinzen Anfang des siebzehnten Jahr-hunderts noch etwas recht Ungewöhnliches. Die meisten Menschen gaben sich durchden Namen des Vaters zu erkennen – Ariaen Jacobsz wäre demnach der Sohn einesMannes namens Jacob gewesen. Da es umständlich war, immer den vollständigenNamen – in diesem Fall Jacobszoon – zu nennen, war es außerdem üblich, im ge-schriebenen Namen das »oon« von »zoon« (Sohn) wegzulassen und »dochter« (Toch-ter) zu »dr« zu verkürzen. Ausgesprochen wurde der Name aber vollständig.

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Seit 211 Tagen waren sie auf See, und in der ganzen Zeit war Wa-che auf Wache gefolgt, beinahe ohne dass es einen einzigen er-wähnenswerten Vorfall gegeben hätte. In dieser Nacht war gutesWetter; der Wind wehte böig aus Südwesten, und da nichts aufeinen Sturm oder ein Gewitter hindeutete, herrschten ideale Be-dingungen zum Segeln. Das Schiff war solide gebaut, und nachder Position, die Jacobsz am Mittag des vorangegangenen Ta-ges berechnet hatte, war die Batavia 600 Meilen von jedem be-kannten Land entfernt. Es schien, als sei von den Wachhaben-den keine besondere Aufmerksamkeit gefordert, und da eseigentlich kaum etwas zu tun gab, konnten zumindest einigevon ihnen sich unterhalten und ausruhen. Jacobsz selbst standan einem Ausguck auf dem Oberdeck und blickte aufs Meer.Neben ihm stand ein Seemann auf dem Beobachtungsposten,und der Steuermann hatte seinen Platz unmittelbar unterhalbdes Kapitäns.

Kurz nach drei Uhr morgens, als die Wachsamkeit der Besat-zung ihren Tiefpunkt erreicht hatte, schöpfte Hans Bosschieterauf dem Ausguck zum ersten Mal Verdacht, dass etwas nichtstimmte. Von seinem Platz oben im Achterschiff bemerkte derSeemann gerade voraus etwas, das wie weißes Wasser aussah.Bosschieter starrte in die Nacht und glaubte, er könne Gischt-fahnen ausmachen, wie von Wellen, die sich an einem unsicht-baren Riff brachen.5 Er bat den Kapitän um eine Bestätigung,aber Jacobsz war anderer Meinung. Er beharrte darauf, diedünne Linie am Horizont sei nichts anderes als das Mondlicht,das auf den Wogen tanzte. Der Kapitän vertraute auf sein eigenesUrteil und ließ die Batavia Kurs halten. Sie fuhren mit allem, wassie an Segeln setzen konnten.

Als das Schiff auflief, geschah es mit voller Geschwindigkeit.6

Mit gewaltigem Krachen bohrte sich die Batavia in das halbverborgene Riff, das ihr den Weg versperrte. Beim ersten Auf-prall riss eine Korallenbank knapp fünf Meter unter der Ober-fläche das halbe Ruder weg,7 und im nächsten Augenblick schlugder Bug auf die Hauptmasse des Riffs. Die Batavia war zwarschwer, aber der Vorwärtsimpuls hob sie aus dem Wasser, undihr vorderer Teil pflügte im Getöse aus zerschmettertem Fels und

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splitterndem Holz über die ersten paar Meter des Hindernisses.Das ganze Schiff heulte auf, als Korallenschalen an den Seitenentlangschabten, und der Rumpf erbebte unter dem Schlag.

Oben auf dem Deck wurden Jacobsz, Bosschieter und die an-deren Männer der Mitternachtswache nach links geschleudert,und während das Schiff auf das Riff krachte, schlitterten sie gegenSeitenwände und Reling.8 Unten, in den dunklen, überfülltenAufenthaltsräumen, wurden die übrigen Besatzungsmitgliederund Passagiere, insgesamt 270 Menschen, aus ihren Hängemat-ten und Schlaflagern auf die Decks gekippt.9 Lampen und Fässer,Geschirr und Taue lösten sich aus den Befestigungen und regne-ten ihnen auf den Kopf. Im Handumdrehen wurde aus dem ge-ordneten, schlafenden Schiff ein stockfinsteres Inferno.

Nach einer oder zwei Sekunden kam die Batavia zitternd zumStehen. Die Vertiefung, die das Schiff in die Korallen gerissenhatte, drückte das Heck ins Wasser und verdrehte den Rumpfin einem unnatürlichen Winkel wie einen menschlichen Körper,der sich im Fallen einen Bruch zugezogen hat. Der Lärm des ers-ten Aufpralls verebbte in der Dunkelheit. An seine Stelle trat dasDröhnen der Brecher, die gegen den Rumpf rollten, und das pa-nische Angstgeschrei aus seinem Inneren.

Als Erster war der Oberkaufmann an Deck. Pelsaert hatte imHalbschlaf in seiner Kabine am Heck gelegen, nur wenige Fußentfernt von der Stelle, wo Jacobsz und Bosschieter gestandenhatten, und der Aufprall hatte ihn aus dem Bett geworfen. Er rap-pelte sich vom Kabinenboden auf, stürmte noch im Nachtgewandnach oben und wollte wissen, was passiert war.

Er fand ein Chaos vor. Die Batavia hatte Schlagseite nachBackbord, und ihre Balken bebten unter dem rhythmischenSchlag der Wellen, die sich unter dem Heck auftürmten und denKiel immer wieder mit furchterregendem Geräusch über die Ko-rallen schaben ließen. Ein kalter Schleier aus Gischt, aufgewor-fen von der gegen den Rumpf anrollenden Brandung, hing umdas ganze Schiff in der Luft, und der Wind trieb den Schaumüber die Decks, aber auch in die Gesichter der halb nackten Män-ner und Frauen, die jetzt aus den Luken an Deck strömten undbeim Herauskommen sowohl durchnässt als auch nahezu blindwurden.10

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Pelsaert kämpfte sich bis zum Achterdeck durch. Der Kapitänwar noch dort und schrie der Mannschaft Befehle zu. Selbst derOberkaufmann mit seinen geringen seemännischen Kenntnissenerkannte sofort, dass sie in einer gefährlichen Lage waren. »Washaben Sie bloß gemacht?«, schrie er Jacobsz über das allgemeineGetöse hinweg zu. »Haben Sie mit Ihrer bodenlosen Unaufmerk-samkeit diese Schlinge um unseren Hals gelegt?«11

Die Batavia befand sich tatsächlich in einer verzweifeltenSituation. Das Schiff war nicht nur mit hoher Geschwindigkeitauf das Riff gelaufen, sondern seine zehn großen Segel blähtensich auch noch an den Rahen und drückten es immer fester in dieKorallen. Die Balken am Bug waren beim Aufprall zerborsten, undobwohl es bisher kein schwer wiegendes Leck gab, erweckte derächzende Rumpf den Anschein, als könnten seine Fugen jedenAugenblick reißen. Und was am schlimmsten war: Sie hatten sichverfahren. Die Batavia befand sich – zumindest nach Jacobsz’Ansicht – in der Nähe keiner bekannten Untiefe oder Küste.

Keiner der anderen Offiziere hatte einen Anlass gesehen, diePositionsbestimmung des Kapitäns infrage zu stellen. Deshalbhatte jetzt niemand die leiseste Ahnung, wo sie sich befanden,auf welches Riff sie aufgelaufen waren und welches Ausmaß dieUntiefe hatte, die sich ihnen hier in den Weg stellte.

Der tosende Südwestwind peitschte das Meer um sie herumauf, und der Mond war fast untergegangen, aber sie machten sichan die Arbeit und wollten versuchen, das Schiff zu retten. Zual-lererst musste die Belastung des Rumpfes vermindert werden.Seeleute wurden angewiesen, auf die Masten zu klettern und die8900 Quadratfuß Segeltuch der Batavia zu reffen, während derBootsmann und seine Leute unten auf dem Kanonendeck hin undher liefen und fast alles, was nicht niet- und nagelfest war, überBord warfen, um das Schiff leichter zu machen. Mit geteertenTauen wurde auf dem Rücken der Männer »nachgeholfen«,wenn sie sich um die Arbeit zu drücken versuchten, aber es gabkaum Anlass, sie anzuwenden. Alle Seeleute auf dem Schiffwussten, dass sie ohne solche Notmaßnahmen vielleicht dennächsten Tag nicht mehr erleben würden.

Die Schützen der Batavia holten sich Äxte und durchtrenntendie Seile, mit denen ihre Kanonen auf dem Deck befestigt waren.

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Von der Verankerung befreit, wurden die massiven Bronze- undEisengeschütze, jedes rund 1000 Kilo schwer, durch die Lukenins Meer bugsiert, sodass das Schiff um 30 Tonnen leichter wurde.Den Kanonen folgte ein Regen von Kisten, Tauen und anderenGerätschaften vom Hauptdeck. Währenddessen nahm eine an-dere Gruppe Seeleute den kleinsten der acht Anker12 und knoteteein ausreichend langes Tau daran. Wenn es Morgen wurde, sollteder Anker vom Heck in tieferes Wasser herabgelassen werden,und das Tau würden sie an einer Ankerwinde befestigen. Dann,so die Hoffung, konnten sie das Schiff vielleicht rückwärts vomRiff herunterziehen.

Mittlerweile graute schon fast der Morgen. Der Wind fegte mitzunehmender Heftigkeit über die Decks, und es begann in Strö-men zu regnen. Oben auf dem Achterdeck verlangte Pelsaertnach dem Senklot, einem schlanken Metallzylinder an einer lan-gen Leine, mit dem man die Wassertiefe messen konnte.13 Soschnell er konnte, bestimmte der Handloter rund um das Schiffdie Tiefe: Er fand am Bug nicht mehr als 3,60 Meter und am Heckeine größte Tiefe von 5,40 Metern, nur unwesentlich mehr alsden normalen Tiefgang eines Ostindienfahrers von etwa fünfMetern.

Das war eine erschreckende Erkenntnis. Vor allem anderenhatten sie die Hoffnung, dass sie bei Niedrigwasser auf Grund ge-laufen waren. Wenn das stimmte, konnte die Batavia von selbstwieder freikommen, sobald das Wasser stieg. Waren sie aber beiFlut aufgelaufen, befand sich unter dem Schiff so wenig Wasser,dass sie bei Ebbe sehr schnell stranden würden und es unmög-lich mit dem Anker vom Riff wegziehen konnten, denn dann hät-ten sie den Rumpf noch mehr belastet, und sie hätten ihm viel-leicht den Rücken gebrochen, wenn der große Kiel geborstenwäre.

Nachdem sie das Schiff erleichtert hatten, warteten sie ab undfragten sich, ob wohl Flut war. Irgendwann zwischen fünf undsechs Uhr morgens wurde klar, dass das Schicksal es nicht gutmit ihnen meinte: Das Wasser unter dem Rumpf stieg nicht, son-dern es fiel. Die zerklüfteten Spitzen des Riffs, auf denen sie ge-strandet waren, tauchten allmählich aus den Wellen auf, undkurz darauf waren sie auf drei Seiten von wilder Brandung und

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Korallenklauen eingeschlossen. Als das Wasser zurückging, be-gann die Batavia rhythmisch gegen das Riff zu schlagen. An Deckzu stehen oder zu gehen, wurde unmöglich. Die Rettungsversu-che mussten eingestellt werden, und sowohl die Passagiere alsauch die Mannschaft konnten kaum etwas anderes tun, als inkläglichen Häuflein zusammenzusitzen und auf das entsetzlicheÄchzen des Rumpfes zu lauschen.

Niederländische Ostindienfahrer waren solide gebaut.14 IhreBalken waren doppelt so dick wie die anderer Kauffahrerschif-fe. Aber sie waren nicht dafür konstruiert, die Strandung auf ei-nem Korallenriff zu überstehen, und insbesondere der Bodenwar nicht so ausgelegt, dass er ohne Unterstützung das ganze Ge-wicht des Hauptmastes tragen konnte. Dieser Mast, fast 55 Meterbeste skandinavische Kiefer, wog mit Segeln, Rahen und Take-lage weit über 15 Tonnen. Er verlief durch alle vier Decks undruhte unmittelbar auf dem Kiel. Jetzt, da die Batavia fast völligaus dem Wasser ragte, hob die heftige Brandung das Schiff jedeMinute sechs bis sieben Mal vom Riff, um sich dann ebensoschnell wieder zurückzuziehen, sodass der Rumpf gegen die Ko-rallen krachte. Der Hauptmast hatte sich in einen gigantischenRammbock verwandelt, der immer wieder auf den Kiel donnerteund sich durch den Schiffsboden zu bohren drohte.

Ohne Hauptmast konnte die Batavia kaum noch segeln. Abermit ihm würde sie mit Sicherheit hier auf dem Riff auseinander-brechen. Die Belastung des Rumpfes musste unbedingt vermin-dert werden, und es gab nur einen Weg, das Schiff zu retten.Kurz nachdem es hell geworden war, gab Jacobsz den Befehl, denMast zu kappen.

Den Hauptmast umlegen – das war in den Zeiten der Segel-schifffahrt eine Tat von so grausiger Bedeutung, dass der Kapi-tän in der Regel selbst die Verantwortung für die Folgen über-nahm, indem er den ersten Axthieb eigenhändig führte. Jacobszschwang das Werkzeug, und dann taten mehrere andere es ihmgleich: An der Stelle, wo der Mast das Hauptdeck durchstieß,hackten sie auf ihn ein. Aber in ihrer Hast hatten sie es ver-säumt, die Fallrichtung festzulegen. Statt über Bord in die Bran-dung zu fallen, donnerte der riesige Mast mit Spieren und Ta-kelage auf die Batavia selbst herab, zermalmte Ausrüstung und

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Reling, verfing sich in den an Deck verbliebenen Gerätschaftenund richtete gewaltigen Schaden an. Wie durch ein Wunderwurde niemand getötet oder auch nur verletzt, aber die Men-schen auf dem Schiff inspizierten die Verwüstungen mit Entset-zen. Der Mast ließ sich nicht bewegen, und es wurde klar, dasskeine Aussicht auf eine Rettung der Batavia bestand. Für alle anBord gab es nur eine Hoffnung: dass irgendwo in der Nähe Landwar, das mittags, wenn die Flut kam, nicht in den Wellen ver-schwand.

Der Oberkaufmann kletterte so hoch er konnte auf das Heckund blickte nach Norden. Jetzt, da die Sonne aufgegangen unddas Wasser gefallen war, konnte er erkennen, dass sie an der Süd-spitze eines riesigen, halbmondförmigen Riffs aufgelaufen waren.Eine ununterbrochene Linie von Brechern erstreckte sich zweiMeilen nach Osten, eine Meile nach Norden und eine Meile nachWesten. Und in der Ferne konnte Pelsaert Inseln ausmachen.15

Die größten – und die einzigen von nennenswerten Ausmaßen –schienen ihm fast sechs Meilen entfernt zu sein.16 Aber mehrerekleinere Inseln aus zerbrochenen Korallen waren viel näher, dreiin nordwestlicher Richtung und mindestens eine weitere imOsten. Um das Eiland auf der Ostseite des Riffs tobte die Bran-dung – dass sie dort landen konnten, erschien unwahrscheinlich.Der Kaufmann konnte aber erkennen, dass das Riff eine halbeMeile westlich von ihnen eindeutig durch eine Tiefwasserrinneunterbrochen war, die mitten ins Herz des rätselhaften Archipelsführte. Mit gebotener Vorsicht konnten die Boote vielleicht indas Riff vordringen und auskundschaften, ob eines der Inselchenihnen eine sichere Zuflucht bot, und wenn ja, welches.

Während der Dunkelheit hatten sie den Kutter, das kleinereder beiden Beiboote der Batavia, zu Wasser gelassen. Er lag jetzttänzelnd längsseits in den Wellen. Das Boot eignete sich hervor-ragend für die Aufgabe, und ungefähr um sieben Uhr morgensmachte sich der Kapitän mit einer handverlesenen Mannschaftauf, um die Inselgruppe zu erkunden. Um neun kamen sie mit er-mutigenden Neuigkeiten zurück. Jacobsz berichtete, sie hättenmehrere kleine Koralleninseln angelaufen, und offenbar werdekeine davon bei Flut ganz überschwemmt.

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Ariaens Entdeckung bedeutete, dass eine reelle Chance be-stand, Passagiere und Mannschaft der Batavia zu retten. Die VOCging nicht gerade freundlich mit Angestellten um, die durchPech oder Unfähigkeit Gesellschaftseigentum verloren, das wussteer. Seinen Arbeitgebern gegenüber war er sicher verpflichtet, zu-erst die Ladung zu retten; erst wenn die Wertgegenstände inSicherheit waren, durfte er sich um das Leben von Passagierenund Mannschaft kümmern. Aber er bezweifelte, dass eine solcheVorgehensweise realistisch war. Selbst wenn er seine Seeleuteunter Kontrolle halten konnte, würden die panisch verängstig-ten Soldaten und Zivilisten an Bord höchstwahrscheinlich nichtruhig zusehen, wie die Boote Kisten voller Handelswaren undTruhen voller Silber zu den Inseln brachten. Also schloss derOberkaufmann einen Kompromiss. Pflichtschuldigst notierte er:»Wegen des großen Jammers der Frauen, Kinder, Kranken undkleinmütigen Männer auf dem Schiff entschlossen wir uns, zu-erst einen Großteil der Menschen an Land zu bringen und in derZwischenzeit das Geld sowie die wertvollsten Güter an Deck be-reitzustellen.«17

Es war die richtige Entscheidung. Um zehn Uhr vormittags,noch bevor die ersten Boote mit Überlebenden die Leinen losma-chen konnten, siegte die erbarmungslos hämmernde Brandungüber die Widerstandskraft des Rumpfes der Batavia. Das Schiffplatzte unter der Wasserlinie auf, und das schäumende Wasserlief tonnenweise in den Frachtraum. Es war ein so gewaltiger Brecher, dass Kalfaterer und Zimmerleute vor der schnell stei-genden Flut flüchten mussten. Ein großer Teil der Vorräte unterDeck ging verloren, und nur unter erheblichen Schwierigkeitenkonnten sie ein paar Lebensmittel und etwas Wasser aus den La-gerräumen retten.

Beim Anblick der Ballen mit Handelswaren, die in dem über-fluteten Laderaum schwammen, war den meisten Passagierenund Besatzungsmitgliedern klar, dass das Schiff aufgegeben wer-den musste. Kurz darauf wimmelte es an Deck von Männern undFrauen, die um die besten Plätze für die Beiboote rangelten. Wiezu jener Zeit üblich, erfolgte die Evakuierung völlig ungeord-net.18 Die Stärksten drängten in die Boote. Frauen, Kinder undleitende VOC-Beamte blieben zurück. Ein Dutzend Passagiere

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Mike Dash

Der Untergang der BataviaSie strandeten im Paradies, doch ein einzelner Mann machteihnen das Leben zur Hölle

Taschenbuch, Broschur, 448 Seiten, 12,5 x 18,3 cm3 s/w AbbildungenISBN: 978-3-442-15351-0

Goldmann

Erscheinungstermin: September 2005

Eine packende Abenteuergeschichte – und eine faszinierende Studie des Bösen. Im Jahre 1628 verlässt die „Batavia“, das stolze Flaggschiff der holländischen Handelsflotte,reich beladen mit Kostbarkeiten den Hafen von Amsterdam. Doch sie wird ihren Bestimmungsortnie erreichen. Stattdessen wird die „Batavia“ Mittelpunkt eines der grauenvollsten und blutigstenKapitel der Seefahrtsgeschichte...