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328 BIOTECHNOLOGIE BIOspektrum | 03.13 | 19. Jahrgang STEPHANIE GEIER, RAINER BUCHHOLZ LEHRSTUHL FÜR BIOVERFAHRENSTECHNIK, UNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERG Microalgae offer a very diverse and also economically attractive product spectrum which gives them the potential to become a relevant organism group for biotechnology beyond fundamental research. Besides the al- ready established processes for the production of coloring agents and poly-unsaturated fatty acids, further value products such as bioactives for cosmetics, pharmaceuticals and nutraceuticals could be promoters for the economic production of bulk or low-value products such as bio- fuels and animal feed. DOI: 10.1007/s12268-013-0314-0 © Springer-Verlag 2013 ó Am Badesee, im Gartenteich oder Aqua- rium verpönt und doch in fast aller Munde – Algen gewinnen zunehmend das Interesse der Industrie und Endverbraucher. Nahezu unbemerkt haben Algen, insbesondere Mikro- algen, als Produzenten für Nahrungsergän- zungsmittel, Farbstoff in Süßigkeiten oder Wirkstoff in Kosmetika mit ihren Inhaltsstof- fen einen festen Platz in den Produktregalen von Supermärkten, Drogerien und Reform- häusern erobert. Mit dem Begriff Mikroalgen werden häu- fig die eukaryotischen einzelligen Algen und die prokaryotischen Cyanobakterien (früher: Blaualgen) zusammengefasst. Dieser allge- meine Begriff beschreibt eine sehr diverse Gruppe von mindestens 50.000 Arten, die eine sowohl rein photosynthetische, aber auch mixotrophe oder rein heterotrophe Lebens- weise aufweisen und sowohl in Salz-, Brack- oder Süßwasser als auch als terrestrische Lebensformen vorkommen können. Nur eine Handvoll Algenstämme werden derzeit im großtechnischen Maßstab kultiviert und kom- merziell in den unterschiedlichsten Pro- duktsparten genutzt (Tab. 1). Bioenergie Große Aufmerksamkeit in der Politik und den Medien sowie intensive, internationale For- schungsaktivitäten erfahren Mikroalgen und Cyanobakterien derzeit vor allem aufgrund ihres Potenzials, Energieträger wie Biodiesel und Bioethanol auch auf landwirtschaftlich nicht nutzbaren Flächen zu produzieren. Und in der Tat erreichen einige Arten wie Botryo- coccus braunii und Nannochloropsis spec. unter optimalen Wachstumsbedingungen Ölgehalte von bis zu 70 Prozent [1]. Aller- dings bringen oftmals gerade die ölhaltigsten Algen die größten Herausforderungen für eine großtechnische Nutzung mit sich, da aufgrund von geringen Wachstumsraten nur niedrige Raum-Zeit-Ausbeuten erzielt werden oder weil optimale Kultivierungsbedingungen verfah- renstechnisch nur schwer im großen Maßstab umsetzbar sind. Bis dato konnte die Produk- tion von Biodiesel oder Bioethanol bzw. die Kultivierung der notwendigen Biomasse unter Nutzung von Sonnenlicht nur in den USA mit- hilfe von hohen Investitionssummen demon- striert werden. Eine sich wirtschaftlich selbst- tragende Umsetzung der Verfahren zur Her- stellung annähernd relevanter Mengen konn- te jedoch bisher noch nicht gezeigt werden. Im Rahmen der aktuellen Diskussionen zur Klimaentwicklung wird auch sehr intensiv die Bindung von CO 2 aus industriellen Abga- sen diskutiert und untersucht. Tatsächlich wird Kohlendioxid bei photosynthetisch akti- ven Mikroalgen als Kohlenstoffquelle benö- tigt. Für jede Produktion ist deshalb eine aus- reichende Versorgung mit CO 2 obligatorisch. Rauchgase dafür zu nutzen, könnte sowohl ökonomisch als auch klimaschonend sein, der derzeitige Stand des Wissens bezieht sich in diesem Zusammenhang jedoch auf erst sehr vorläufige Experimente im Labor- und Tech- nikumsmaßstab. Nahrungs- und Futtermittel Das Aminosäurespektrum in Mikroalgen ent- spricht dem von pflanzlichen Proteinquellen, allerdings ist der Gehalt an Vitaminen und Spurenelementen höher als in gängigen Fut- termittelerzeugnissen, und die Nährstoffzu- sammensetzung ist insgesamt sehr ausge- wogen [2]. Mikroalgen könnten aufgrund die- ser Eigenschaften eine wertvolle Alternative zu bisherigen Nahrungs- und Futtermitteln oder als Additiv darstellen. Getrocknete Spirulina-Mikroalgenplatten (Arthrospira platensis) wurden bereits vor Jahrtausenden von den Azteken und werden nach wie vor von dem Volk der Kanembu am Lake Chad als Nahrungsmittel genutzt. Aber auch die westliche Welt kennt getrocknete Algentabletten oder Algen in Pulverform (Spi- rulina, Chlorella) als Nahrungsergänzungs- mittel für eine erhöhte Zufuhr der Vitamine A, B, K und von Eisen. Die Kultivierung von A. platensis ist neben der β-Carotin-produ- zierenden Grünalge Dunaliella salina eines der wenigen Verfahren im großen Maßstab, da aufgrund der ungewöhnlichen und damit hochselektiven Wachstumsoptima bei pH 10 bis 11 (A. platensis) bzw. in stark salzhalti- gem Meerwasser (D. salina) besonders kos- tengünstig und leicht in offenen Becken, open ponds (Abb. 1), kultiviert werden kann, ohne dass Kontaminationen eine signifikante Ein- schränkung darstellen. Pigmente und Antioxidanzien Da Mikroalgen in der Regel photosynthetisch aktive Organismen sind, haben sie diverse Pigmente und Antioxidanzien entwickelt, um den negativen Effekten von Licht und Sauer- stoff, wie die Bildung von freien Radikalen, entgegenzuwirken. Eine Vielzahl von Photo- synthesepigmenten aus Mikroalgen wie die Carotinoide Astaxanthin und β-Carotin oder Marine Biotechnologie Mikroalgen: Produktionsorganismen der Zukunft?

Mikroalgen: Produktionsorganismen der Zukunft?

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328 BIOTECHNOLOGIE

BIOspektrum | 03.13 | 19. Jahrgang

STEPHANIE GEIER, RAINER BUCHHOLZ

LEHRSTUHL FÜR BIOVERFAHRENSTECHNIK, UNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERG

Microalgae offer a very diverse and also economically attractive productspectrum which gives them the potential to become a relevant organismgroup for biotechnology beyond fundamental research. Besides the al -ready established processes for the production of coloring agents andpoly-unsaturated fatty acids, further value products such as bioactivesfor cosmetics, pharmaceuticals and nutraceuticals could be promotersfor the economic production of bulk or low-value products such as bio-fuels and animal feed.

DOI: 10.1007/s12268-013-0314-0© Springer-Verlag 2013

ó Am Badesee, im Gartenteich oder Aqua-rium verpönt und doch in fast aller Munde –Algen gewinnen zunehmend das Interesseder Industrie und Endverbraucher. Nahezuunbemerkt haben Algen, insbesondere Mikro -algen, als Produzenten für Nahrungsergän-zungsmittel, Farbstoff in Süßigkeiten oderWirkstoff in Kosmetika mit ihren Inhaltsstof-fen einen festen Platz in den Produktregalenvon Supermärkten, Drogerien und Reform-häusern erobert.

Mit dem Begriff Mikroalgen werden häu-fig die eukaryotischen einzelligen Algen unddie prokaryotischen Cyanobakterien (früher:Blaualgen) zusammengefasst. Dieser allge-meine Begriff beschreibt eine sehr diverseGruppe von mindestens 50.000 Arten, dieeine sowohl rein photosynthetische, aber auchmixotrophe oder rein heterotrophe Lebens-weise aufweisen und sowohl in Salz-, Brack-oder Süßwasser als auch als terrestrischeLebensformen vorkommen können. Nur eineHandvoll Algenstämme werden derzeit imgroßtechnischen Maßstab kultiviert und kom-merziell in den unterschiedlichsten Pro-duktsparten genutzt (Tab. 1).

BioenergieGroße Aufmerksamkeit in der Politik und denMedien sowie intensive, internationale For-schungsaktivitäten erfahren Mikroalgen undCyanobakterien derzeit vor allem aufgrund

ihres Potenzials, Energieträger wie Biodieselund Bioethanol auch auf landwirtschaftlichnicht nutzbaren Flächen zu produzieren. Undin der Tat erreichen einige Arten wie Botryo-coccus braunii und Nannochloropsis spec.unter optimalen WachstumsbedingungenÖlgehalte von bis zu 70 Prozent [1]. Aller-dings bringen oftmals gerade die ölhaltigstenAlgen die größten Herausforderungen für einegroßtechnische Nutzung mit sich, da aufgrundvon geringen Wachstumsraten nur niedrigeRaum-Zeit-Ausbeuten erzielt werden oder weiloptimale Kultivierungsbedingungen verfah-renstechnisch nur schwer im großen Maßstabumsetzbar sind. Bis dato konnte die Produk-tion von Biodiesel oder Bioethanol bzw. dieKultivierung der notwendigen Biomasse unterNutzung von Sonnenlicht nur in den USA mit-hilfe von hohen Investitionssummen demon-striert werden. Eine sich wirtschaftlich selbst-tragende Umsetzung der Verfahren zur Her-stellung annähernd relevanter Mengen konn-te jedoch bisher noch nicht gezeigt werden.

Im Rahmen der aktuellen Diskussionen zurKlimaentwicklung wird auch sehr intensivdie Bindung von CO2 aus industriellen Abga-sen diskutiert und untersucht. Tatsächlichwird Kohlendioxid bei photosynthetisch akti-ven Mikroalgen als Kohlenstoffquelle benö-tigt. Für jede Produktion ist deshalb eine aus-reichende Versorgung mit CO2 obligatorisch.Rauchgase dafür zu nutzen, könnte sowohl

ökonomisch als auch klimaschonend sein, derderzeitige Stand des Wissens bezieht sich indiesem Zusammenhang jedoch auf erst sehrvorläufige Experimente im Labor- und Tech-nikumsmaßstab.

Nahrungs- und FuttermittelDas Aminosäurespektrum in Mikroalgen ent-spricht dem von pflanzlichen Proteinquellen,allerdings ist der Gehalt an Vitaminen undSpurenelementen höher als in gängigen Fut-termittelerzeugnissen, und die Nährstoffzu-sammensetzung ist insgesamt sehr ausge-wogen [2]. Mikroalgen könnten aufgrund die-ser Eigenschaften eine wertvolle Alternativezu bisherigen Nahrungs- und Futtermittelnoder als Additiv darstellen.

Getrocknete Spirulina-Mikroalgenplatten(Arthrospira platensis) wurden bereits vorJahrtausenden von den Azteken und werdennach wie vor von dem Volk der Kanembu amLake Chad als Nahrungsmittel genutzt. Aberauch die westliche Welt kennt getrockneteAlgentabletten oder Algen in Pulverform (Spi-rulina, Chlorella) als Nahrungsergänzungs-mittel für eine erhöhte Zufuhr der VitamineA, B, K und von Eisen. Die Kultivierung vonA. platensis ist neben der β-Carotin-produ-zierenden Grünalge Dunaliella salina einesder wenigen Verfahren im großen Maßstab,da aufgrund der ungewöhnlichen und damithochselektiven Wachstumsoptima bei pH 10bis 11 (A. platensis) bzw. in stark salzhalti-gem Meerwasser (D. salina) besonders kos-tengünstig und leicht in offenen Becken, openponds (Abb. 1), kultiviert werden kann, ohnedass Kontaminationen eine signifikante Ein-schränkung darstellen.

Pigmente und AntioxidanzienDa Mikroalgen in der Regel photosynthetischaktive Organismen sind, haben sie diversePigmente und Antioxidanzien entwickelt, umden negativen Effekten von Licht und Sauer-stoff, wie die Bildung von freien Radikalen,entgegenzuwirken. Eine Vielzahl von Photo-synthesepigmenten aus Mikroalgen wie dieCarotinoide Astaxanthin und β-Carotin oder

Marine Biotechnologie

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β-Carotin 300–1.500/kg Dunaliella Cognis Nutrition & Health (Australien), jetzt BASFNikken Sohonsha Corporation (Japan)Cyanotech (Hawaii, USA)AquaCarotene (Washington, USA)Tianjin Lantai Biotechnology (China)Parry Pharmaceuticals (Indien)

Astaxanthin bis zu 10.000/kg Haematococcus Algatechnologies (Israel)Bioreal (Hawaii, USA)Cyanotech (Hawaii, USA)Mera Pharmaceuticals (Hawaii, USA)Parry Pharmaceuticals (Indien)BlueBiotech International GmbH (Deutschland)

Phycocyanin 500–100.000/kg Arthrospira platensis BlueBiotech International GmbH (Deutschland)DIC Corporation (Japan)

Nahrungsergänzungsmittel 50/kg Arthrospira platensis BlueBiotech International GmbH (Deutschland)(Spirulina); Chlorella Cyanotech (Hawaii, USA)

IGV GmbH (Deutschland)Earthrise Nutritionals (Kalifornien, USA), jetzt DIC Corporation (Japan)

Fisch- und Viehfutter 70/l Tetraselmis Aquatic Eco-Systems (Florida, USA)Nannochloropsis BlueBiotech International GmbH (Deutschland)Isochrysis Coastal BioMarine (Connecticut, USA)Nitzschia Reed Mariculture (California, USA)n. v. Alltech (Deutschland)n. v. Cellana (Hawaii, USA)

mehrfach ungesättigte 80–160/kg Crypthecodinium BlueBiotech International GmbH (Deutschland)Fettsäuren Crypthecodinium Martek Biosciences (Maryland, USA), jetzt DSM

n. v. Cellana (Hawaii, USA)

isotopenmarkierte 60–26.000/g n. v. Spectra Stable Isotopes (Maryland, USA), jetzt Cambridge Isotope Metaboliten Laboratories, Inc.(Fettsäuren, Aminosäuren, Nucleotide)

Phycoerythrin 15/mg Rotalgen BlueBiotech International GmbH (Deutschland)(Fluoreszenzlabel) Cyanobakterien Cyanotech (Hawaii, USA)

145–1.500/mg n. v. Martek Biosciences (Maryland, USA), jetzt Columbia Biosciences(gekoppelt an Protein/Antikörper)

Kosmetika n. v. Aphanizomenon flos-aquae n. v.Nannochloropsis oculata Pentapharm (Basel, Schweiz); Partner: DSM Nutritional Products AGDunaliella salinaChlorella n. v.Arthrospira platensis n. v.Anacystis nidulans AGI Dermatics (USA)n. v. BlueBiotech International GmbH (Deutschland)n. v. Cellana (Hawaii, USA)

Pharmazeutika n. v. Chlamydomonas Rincon Pharmaceuticals (Kalifornien, USA), Partner: Mera Pharmaceuticals (Hawaii, USA)Phycobiologics, Inc. (Tochtergesellschaft: Phycotransgenics, Inc.; Indiana, USA)

Biokraftstoffe n. v. Botryococcus Cellana (Hawaii, USA), Inhaber: HR BioPetroleumChlorella LiveFuels, Inc. (Kalifornien, USA)Dunaliella PetroAlgae, Umbenennung in Parabel (Florida, USA)Neochloris Sapphire Energy (Kalifornien, USA), Partner: Linden. v. Solazyme, Inc. (Kalifornien, USA), Partner: Unilever, Chevronn. v. Solix Biofuels (Colorado, USA), Partner: BASFCyanobakterien Algenol (Florida, USA),

Partner: Cyano Biofuels GmbH (Berlin, Deutschland)

Tab. 1: Kommerziell relevante Produkte aus Mikroalgen (nach [6–8] sowie aktueller Internetrecherche).

n. v.: nicht verfügbar

Produkt Preis in US-Dollar Mikroalge Hersteller und Produktionsstandort

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die für Cyanobakterien und Rotalgen typi-schen Pigmente Phycoerythrin oder Phyco-cyanin können als Lebensmittelfarbstoffegenutzt werden. Astaxanthin, β-Carotin undPhycocyanin sind darüber hinaus auch viel-versprechende Antioxidanzien mit poten-ziellen Anwendungen als Nahrungsmittelzu-satz und in Kosmetika.

Aufgrund einer zunehmend bewusster wer-denden Ernährung und einem wachsendenInteresse an Nutriceuticals werden natürlicheFarbstoffe als Alternative zu synthetischenbzw. chemischen Farbstoffen im Nahrungs-mittelbereich immer stärker nachgefragt,sodass ein steigender Bedarf zu erwarten ist.

Die Carotinoid-Farbstoffe Astaxanthin undβ-Carotin werden aufgrund ihrer antioxida-tiven Wirkung neben ihrer Verwendung alsFarbstoff auch als Nahrungsergänzungsmittel,als Sonnenschutz und in Kosmetika einge-setzt. Weitere potenziell wirtschaftlich attrak-tive Antioxidanzien wie α-Tocopherol (Vita-min E) oder Koenzym Q10 können in denMikroalgen Dunaliella tertiolecta, Tetraselmissuecica, Euglena gracilis, Porphyridum pur-pureum und Anabaena variabilis produzierenwerden.

Mehrfach ungesättigte FettsäurenVon besonderer Attraktivität und aktuellerMarktrelevanz ist die Gewinnung mehrfachungesättigter Fettsäuren, der Omega-3- undOmega-6-Fettsäuren bzw. PUFAs (poly unsa-turated fatty acids). PUFAs werden vommenschlichen Körper oft nicht in ausrei-chendem Maße synthetisiert bzw. aufgenom-men und müssen daher mit der Nahrungzugeführt werden. PUFAs wie die Eicosa -pentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure(DHA) sind Bestandteile der Zellmembranenund beeinflussen durch ihre Molekülstruk-

tur die Funktion verschiedenster Zellen. Dieserklärt ihr erstaunlich breites Wirkspektrumbei der Prävention von kardiovaskulärenund neurologischen Erkrankungen (Alzhei-mer, Schizophrenie, Depression) sowie vonKrebs [3].

Die auf dem Markt als Nahrungsergän-zungsmittel verfügbaren PUFAs werden der-zeit aus Fischölen gewonnen. Allerdingsnimmt zum einem die Nachfrage nach PUFAsbei zugleich steigendem Preis zu, zum ande-ren ist das Angebot an Fischöl begrenzt. Dar-über hinaus ist Fischöl zunehmend mitSchwermetallen belastet [3]. Diese Gründelimitieren seine Verwendung, sodass die Eta-blierung einer alternativen Quelle dringenderforderlich erscheint. Da Algen die Primär-produzenten der PUFAs sind, die in Fischölvorkommen, können sie ohne den Umwegüber die Nahrungskette bzw. das Fischöl auchdirekt zur Produktion herangezogen werden.Die Herstellung von DHA mit dem heterotro-phen Dinoflagellaten Crypthecodinium cohniials Nahrungsergänzungsmittel für Schwan-gere und Stillende (z. B. Hipp) und Zusatz zuSäuglingsnahrung ist bereits auch auf demdeutschen Markt etabliert. Schizochytriumspec. und die Kieselalge Phaeodactylum tri-cornutum sind ebenfalls in der Lage, großeMengen PUFAs zu produzieren, und eignensich prinzipiell als Produktionsorganismen.

Vor allem durch eine immer weniger aus-gewogene Ernährung der Bevölkerung bei(paradoxerweise) zunehmendem Wissen undBewusstsein für essenzielle Bestandteile inNahrungsmitteln finden Nahrungsmittelzu-sätze mit PUFAs zunehmendes Interesse derLebensmittelindustrie. Die Food and Agricul-ture Organization der Vereinten Nationen pro-gnostiziert bereits für das Jahr 2015 eine starksteigende Nachfrage nach PUFAs [3].

Bioaktive Substanzen für diepharmazeutische AnwendungMikroalgen produzieren eine Reihe von phar-mazeutisch hochinteressanten bioaktivenSubstanzen. Dazu gehören die bereits obengenannten Antioxidanzien (z. B. KoenzymQ10) und PUFAs, aber auch antivirale (z. B.Sulfoquinovosyldiacylglyceride, SQDGs; sul-fatierte Exopolysaccharide) und antibiotischeWirkstoffe. Neben der kostenintensiven Extra-hierung dieser Wirkstoffe aus den Zellen istdie Nutzung der gesamten Algenbiomasse mitbioaktiver Wirksamkeit (antivirale Wirksam-keit, hoher Gehalt an PUFAs, Astaxanthin etc.)als Fisch- oder Viehfutter prinzipiell denk-bar. Dies könnte im Hinblick auf eine zuneh-mende Intensivierung der Aquakultur- undTierhaltung generell zukunftsweisend sein,da so potenziell die Verabreichung von teu-ren und umweltbelastenden Antibiotika oderMedikamenten reduziert werden könnte.Auch der Einsatz für die Behandlung am Men-schen ist durchaus denkbar, auch wenn hierbislang noch klinische Studien fehlen. Ein inÖsterreich bereits zugelassenes Nasenspraynutzt die Fähigkeit der in roten Makroalgenproduzierten Carragelose® (Marinomed),Viren zu binden, und verhindert so das Ein-dringen von Schnupfenviren in die Nasen-schleimhaut. Dieses Marktbeispiel aus demBereich der Makroalgen verdeutlicht das hiernoch vorhandene Potenzial für die weitereAnwendung von Wirkstoffen aus Mikroalgen.

Rekombinante therapeutischeProteine und VakzineMikroalgen vereinen wichtige Eigenschaftenpflanzlicher und mikrobieller Systeme, wiez. B. eine geringe Verdopplungszeit, die Kul-tivierbarkeit als Suspensionskultur in Bio -reaktoren bei geringen Kosten für die Nähr-medien sowie das geringe Risiko einer Ver-unreinigung durch virale und bakteriellePathogene oder Endotoxine. Dies macht sieals Expressionssystem für pharmazeutischeProteine und Vakzine interessant.

Die einzellige Grünalge Chlamydomonasreinhardtii ist derzeit die am intensivstenuntersuchte Mikroalge, sodass neben der voll-ständigen Sequenzierung ihres Kern-, Chlo-roplasten- und Mitochondriengenoms [4] auchetablierte Methoden zu Transformation sowieSelektionsmarker und Reportergene vorlie-gen [5]. Die Möglichkeit, Proteine von bio-pharmazeutischer oder biotechnologischerRelevanz zu gewinnen, wie z. B. Antikörper,Antigenproteine oder Enzyme, wurde bereitsin etlichen Fällen gezeigt (Überblick in [5]).

˚ Abb. 1: Die Kultivierung von Mikroalgen ist in offenen Systemen (open ponds) und geschlosse-nen Photobioreaktoren umsetzbar. A, raceway ponds zur Kultivierung von Arthrospira platensisund anderen Mikroalgen am Produktionsstandort von Cyanotech in Icona, Hawaii, USA (Bild:Cyanotech). B, horizontale tubuläre Photobioreaktoren zur Kultivierung von Mikroalgen für dieAstaxanthinherstellung am Produktionsstandort von Algatech in Israel (Bild: Algatechnologies)

A B

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Eine denkbare Umsetzung dieses in derGrundlagenforschung demonstrierten Poten-zials könnte in der Herstellung von verzehr-baren Vakzinen liegen. Da viele Algenartenals GRAS-Organismen (generally regarded assafe) eingestuft sind, können sie ohne Beden-ken verzehrt oder verfüttert werden. Eine rela-tiv kostengünstige Produktion sowie Lage-rung einer essbaren Algenimpfdosis könntegerade für den Einsatz gegen eine Vielzahlvon Krankheiten in Entwicklungsländerninteressant sein [5].

Weitere mögliche Produkte bzw.AnwendungenMikroalgen werden aktuell auch als interes-sante Werkzeuge zur Brauchwasseraufreini-gung diskutiert, und das nicht nur, weil siemit der Nährstofffracht der Abwässer poten-ziell kostenreduziert kultiviert werden kön-nen. Mikroalgen können allein, in Mischkul-turen mit anderen Algen oder mit Bakteriensowohl Giftstoffe als auch die Umwelt bzw.Gewässer belastende Salzfrachten entfernen.Gegen über reinen Belebtschlammverfahrenergeben sich nicht nur bessere Reinigungs-leistungen, sondern auch Energieersparnisse.Darüber hinaus verfügen einige Arten überEnzyme und Proteine, die es ihnen ermög-lichen, beispielsweise Phenol biologisch abzu-bauen oder Schwermetalle zu binden. Durcheine reversible Bindung der Schwermetalleauf der Zelloberfläche ist neben der Aufrei-nigung kontaminierten Wassers prinzipiellauch eine Rückgewinnung von wertvollenMetallen möglich. Algenbiomasse bzw. diefür eine Bioremediation relevanten Enzymekönnten daher potenziell als nachwachsen-der Werkstoff im Bereich der industriellenBiotechnologie von Bedeutung sein.

FazitDas vielseitige und auch wirtschaftlich attrak-tive Produktspektrum verdeutlicht das enor-me Potenzial der Mikroalgen, über die Grund-lagenforschung hinaus eine hochinteressan-te Organismengruppe für die Biotechnologieund Bioökonomie zu werden. Als Gruppe derphototrophen Organismen haben sie vorder-gründig den Charme, allein mit Licht, CO2

und Wasser kultivierbar zu sein. Bei nähererBetrachtung sind allerdings zusätzlich Nähr-salze, unter anderem auch Phosphat, und einerheblicher apparativer und verfahrenstech-nischer Aufwand zu leisten. Derzeit bestehtüber die gesamte Prozesskette von der Kulti-vierung der Mikroalgen über das down streamprocessing zur Produktvermarktung im groß-technischen Maßstab noch Entwicklungs- undOptimierungsbedarf. Kernherausforderungensind hier zum einen die Versorgung der Zel-len mit Licht bzw. die Reaktorentwicklungund daraus folgend das Scale-up und zumanderen die Gewährleistung einer energetischbzw. wirtschaftlich nachhaltig attraktivenBilanz. Hier ist sicherlich, ähnlich wie bei derbiotechnologischen Nutzung von Pilzen,zunächst ein Hochwertprodukt, wie z. B. Peni-cillin im Falle der Pilze, als Entwicklungs-treiber förderlich, bevor die Nutzung vonMikroalgen als Rohstofflieferant oder Pro-duktionsorganismus der biotechnologischausgerichteten oder orientierten Industrie rea-lisiert werden kann. ó

Literatur[1] Chisti Y (2007) Biodiesel from microalgae. Biotechnol Adv 25:294–306[2] Becker EW (2004) Microalgae in human and animal nutri-tion. In: Richmond A (Hrsg) Handbook of Microalgae Culture.Biotechnology and Applied Phycology. Blackwell Science,Oxford

[3] Pyle DJ, Garcia RA, Wen Z (2008) Producing docosa -hexaenoic acid (DHA)-rich algae from biodiesel-derived crudeglycerol: effects of impurities on DHA production and algalbiomass composition. J Agric Food Chem 56:3933–3939[4] Merchant SS, Prochnik SE, Vallon O et al. (2007) TheChlamydomonas genome reveals the evolution of key animaland plant functions. Science 318:245–250[5] Griesbeck C, Kirchmayr A (2012) Algae: An Alternative tothe Higher Plant System in Gene Farming Molecular Farming.In: Wang A, Ma S (Hrsg) Plants: Recent Advances and FutureProspects. Springer, Heidelberg. 125–143[6] Kim SK, Ravichandran YD, Khan SB et al. (2008)Prospective of the cosmeceuticals derived from marine orga-nisms. Biotechnol Bioprocess Eng 13:511–523[7] Spoloare P, Jioannis-Cassan C, Duran E et al. (2006)Commercial applications of microalgae. J Biosci Bioeng 101:87–96[8] Rosenberg JN, George A, Oyler GA et al. (2008) A greenlight for engineered algae: redirecting metabolism to fuel abiotechnology revolution. Curr Opin Biotechnol 19:430–436[9] Borowitzka MA (2013) High-value products from micro -algae – their development and commercialisation. J Appl Phycol, DOI:10.1007/s10811-013-9983-9

Stephanie Geier und Rainer Buchholz

Korrespondenzadresse:Dr. Stephanie GeierLehrstuhl für BioverfahrenstechnikFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergPaul-Gordan-Straße 3D-91052 ErlangenTel.: [email protected]