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Miscellanea Mediaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln Herausgegeben von Andreas Speer Band 33 Wissen über Grenzen Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter Walter de Gruyter " Berlin " New York

Miscellanea Mediaevalia - MGH-Bibliothekt Zu den Einzelheiten der Reise des Petrus Venenabis und ihrem Zeitrahmen siehe Ch. J. Bishko, Peter the Venerable's journey to Spain, in: id.,

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  • Miscellanea Mediaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts

    der Universität zu Köln

    Herausgegeben

    von Andreas Speer

    Band 33

    Wissen über Grenzen

    Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter

    Walter de Gruyter " Berlin " New York

  • Wissen über Grenzen

    Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter

    Herausgegeben

    von Andreas Speer und Lydia Wegener

    Walter de Gruyter " Berlin " New York

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  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik. Von den Möglichkeiten und Grenzen christlich-muslimischer

    Verständigung zur Zeit des Petrus Venerabilis

    LUDWIG VONES (Köln)

    I

    Als Abt Petrus Venerabilis von Cluny von Frühjahr bis Herbst 1142 seine bekannte Spanienreise unternahm, um einerseits, verbunden mit einer Wallfahrt

    nach Santiago de Compostela, eine Visitation der cluniazensischen Klöster und Priorate auf der Iberischen Halbinsel durchzuführen und andererseits das Ver- hältnis seines Verbandes zur Königsgewalt zu festigen', geschah dies zu einer Zeit, als die Reconquista aufgrund der inneren Zerrissenheit des muslimischen Lagers wieder bedeutende Erfolge in al-Andalus erzielen konnte, aber die christ- lichen Kämpfer zugleich bei ihren Eroberungszügen mit brutaler Härte gegen die als Heiden und Ketzer angesehenen maurischen Feinde vorgingen, regel- rechte Säuberungen durchfiihrten, hiezquitas in Brand setzten, den Koran und andere islamische Schriften verbrannten und selbst vor der Ermordung muslimi- scher Geistlicher und Schriftgelehrter nicht zurückschreckten, um schließlich mit reicher Beute, Gefangenen und Sklaven zurückzukehren2. Dies alles konnte dem Abt nicht verborgen bleiben, da er längere Zeit am kastilisch-leonesischen Königshof Alfons' VII., des Hauptinitiators der Kriegszüge, weilte und aus er- ster Hand die Vorbereitung der Reconquistabemühungen mitbekam, die gerade

    t Zu den Einzelheiten der Reise des Petrus Venenabis und ihrem Zeitrahmen siehe Ch. J. Bishko, Peter the Venerable's journey to Spain, in: id., Spanish and Portuguese Monastic History, 600- 1300, London 1984, Nr X'II (ursprgl. in: Petrus Venerabilis 1156-1956, Rom 1956,163-175), sowie id., Peter the Venerable's Traverse of Spain: Some Further Observations, ibid., Nr. XIII, 1-13, der hier die wciterfiihrenden Ergebnisse von J. Kritzeck, Peter the Venerable and Islam, Princeton 1964,3-14, und D. Van den Eynde, Les principaux voyages de Pierre le Venerable, in: Benedictina 15 (1968), 58-110, bes. 95sgq., nicht nur zum Teil übernimmt, sondern noch zusätzliche Korrekturen anbringt

    2 C£ Chronica Adefonsi Imperatoris, cd. A. Maya Sanchez (CCCM L XI), Turnholti 1990,212:

    �Et nu/le cobortu predatorie armbulauemrrtt per dim multar a lauge et predauerant totam terrain de Iaen et

    Baere et Vbete et Anduger [sc. Baeza, Ubeda, Andügar] ei urultaruru aliaram c uitatrmrr et niserunt ignenr in omnibus minis, quascuuque inueniebant, ei q tiagogas commit dutruarrumt et libros legis Afabonleti coumbusre- runt igne. Omnru uiei dactoru his quicuuque inuenti runt, gladio tmrddati raut Vineas et olirreta et ficubreas ei anno arbores fearunt iruidi ei onnir lone, quemcuaque pedes eonrn calcauerurt, uastalus renransit. Post mullos mesa dim wurm runt ad iurperatorrm in eartra portantu nnuu magumrf nmltitudineut captirrormu, uiroruni, nulierum ei paruulonum, nunera auri ei argenli et uestes pretiosissinar et orrmtes lonpletationes eoruu ei iotan rr lkdi/ent ei nagrorgn es equorunr et equarrm ei bowu et «aramuu et ouinu ei capramunr. "

  • 218 Ludwig Vones

    im Juni 1142 mit der Rückeroberung Corias ihren Höhepunkt erreichen sollten3. Obwohl Petrus Venerabilis die Anhänger Mubammads entsprechend dem ge- wandelten Verständnis seiner Zeit mehr als Mitglieder einer ketzerischen Sekte denn als einfache Heiden begriff, so favorisierte er doch gegenüber dem kriege-

    rischen Vorgehen gegen diese sarazenische Sekte' die Anwendung anderer Ge-

    walten, der des Wortes, des Verstandes und der Liebe, oder sah vielmehr in der Anwendung dieser Gewalten seinen Beitrag als Geistlicher, um der kriegerischen Option erst nach dem Scheitern aller anderen Bemühungen stattzugeben und vorher den polemischen Dialog zu nutzen, um einen Krieg der Ideen' zu füh-

    ren4. Zugleich mußte er gerade angesichts der Verhältnisse auf der Iberischen Halbinsel erkennen, daß im Abendland selbst die wesentlichsten Grundlagen für eine geistige und theologische Auseinandersetzung mit dem Islam als Vor- aussetzung für die Vermittlung der spirituellen Wahrheit durch ratio und auctoritas noch nicht vorhanden waren, allen voran gründliche Kenntnisse der Lehre Mu- bammads, seines Lebens und seiner Taten5.

    Es ist allgemein bekannt, in welcher Weise der Abt hier Abhilfe zu schaffen suchte und damit erstmals die notwendigen Grundlagen für die doktrinär- theologischen Auseinandersetzungen des westlichen Abendlandes mit der isla- mischen Welt legte. �In

    Hispania circa Hiberum"6, wohl im cluniazensischen Klo- ster Santa Maria la Real de Näjera7, versammelte er durch seine Überredungs-

    3 Cf. Chronica Adefonsi Imperatoris (nt. 2), 225. Zur Datierung der Eroberung Corias siehe It Recuero Astray, Alfonso VII Emperador. El imperio hispänico en el siglo XII, Lehn 1979,219; B. F. Reilly, The Kingdom of Leon-Castilla Under King Alfonso VII, 1126-1157, Philadelphia 1998,72sq. Zu den Machtumschichtungen im al-Andalus zu dieser Zeit cf. M. Makki, The Political History of al-Andalus (92/711-897/1492), in: S. K. Jayyusi (ed. ), The Legacy of Mus- lim Spain, vol. I, Leiden 1992,3-87, hier: 60 sqq., 68 sqq.

    4 Zur eher schwankenden und unentschlossenen Einstellung des Petrus Venerabilis zum Kreuzzug und zur Gewalt gegenüber Andersgläubigen siehe V. Berry, Peter the Venerable and the Crusades, in: G. Constable/J. Kritzeck (eds. ), Petrus Venerabilis, 1156-1956, Rom 1956,141-162; Krit- zeck, Peter the Venerable and Islam (nt. 1), 15 sqq.; J: P. Torrell, La notion dc prophetic et la methode apologetique dans le Contra Saracenor de Pierre le Venerable, in: Studia Monastica 17 (1975), 257-282; J: P. Torrell/D. Bouthilier, Une spiritualite de combat: Pierre le'Venerable et la lutte contre Satan, in: Revue Thomiste 84 (1984), 47-81; M: T. Brous, La Crociata di Pietro il Venerable: guerra di arma o guerra di idee?, in: Aevum 61 (1987), 327-354. Zur Verwendung der dialogischen Polemik, um eine guerre des idees` zu führen, cf. D. logna-Prat, Ordonner et exclure. Cluny et la societe chretienne face a 1'heresie, au judaIsme eta l'islam, 1000-1150, Paris 1998,332 sqq.

    5 Cf. M. -Th. d'Alverny, La connaissance dc 1'Islam en Occident du IX` au milieu du XII` siecle, in: L'occidente e l'Islam nell'alto medioevo (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo 12), vol. 2, Spoleto 1965,577-602; Ch: E. Dufourcq, Le christianisme dans les pays de 1'Occident musulman, des alentours de l'an mil jusqu'aux temps almohades, in: Etudes de civilisation medievale (IX`-XII` siecles). Melanges offerts ä Edmond-Rene Labande, Poitiers 1974,237-246.

    6 Epistola de translatione sua, cd. R. Glei (ed. ), Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam, Altenberge 1985,24.

    7 So J. M. Lacarra, Una apariciön de ultratumba en Estrella (Pedro el Venerable, De Miraculis, Lib. I, cap. 28), in: id., Estudios de historia navarra, Pamplona 21982 (ursprgl. in: Principe de Viana 5,1944, 173 -184), 159-172, und im Anschluß daran Bishko, Peter the Venerable's journey (nt. 1), 166 sq.

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 219

    kunst, �tam prece guam pretio"8, einen

    Kreis gelehrter Übersetzer unterschiedlich- ster Provenienz um sich, dessen Aufgabe die

    Übertragung einschlägiger Schrif-

    ten aus dem Arabischen ins Lateinische war. Diesem Kreis, erwachsen aus den

    Bemühungen um Wissenstransfer zwischen dem andalusischen und dem okzi- dentalen Kulturkreis, gehörten mit dem Engländer Robert von Ketton, der

    gemeinsam mit Plato von Tivoli in Barcelona studiert hatte, und Hermann von Dalmatien oder Kärnten, einem Schüler des Thierry von Chartres, zwei erfah-

    rene und hochgebildete Übersetzer mathematischer und astronomischer Texte

    an, mit dem Konvertiten Magister Petrus von Toledo ein Kenner der moz-

    arabischen Überlieferungen, der besser des Arabischen als des Lateinischen

    mächtig war, was auf eine mozarabische Herkunft hindeutet - vielleicht aus dem Bereich der Neo-Mozaraber, nach der Eroberung von Toledo bekehrter

    Muslime, die nun einen starken Bevölkerungsanteil stellten10 -, und dem des-

    halb mit Petrus von Poitiers der Notar und Sekretär des Abtes an die Seite

    gestellt wurde, wie Petrus Venerabilis selbst in seiner Epistola de translatione

    sua', seinem in enger Beziehung dazu stehenden Rescriptum` an Bernhard von Clairvaux von 1144 und in seiner ebenfalls in diesen Zusammenhang zu setzen- den Summa totius haeresis Saracenorum' berichtet11. Vervollständigt wurde die-

    ser handverlesene Kreis durch einen nicht genauer identifizierbaren und erst in

    der späteren Schrift Contra sectam siue haeresim Saracenorum' erwähnten Mus-

    lim Muhammad, der als Garant für die Vollständigkeit und Redlichkeit der

    Koranübertragung fungieren sollte12. Diese Übersetzung der Lex Saraceno-

    rum' - �Alkorau id est collectauelu» praeceptorn»1"13 -, die Robert von Ketton nach

    Einen neuen Vorschlag - Tarazona - machenJ. Martinez Gäzquez u. Ö. De la Cruz, Las traduccio-

    nes ärabe-latinas impulsadas por Pedro el Venerable, in: M. D. Budeus/E. Real/J. M. Verdegal (eds. ), Las 6rdenes militares: realidad e imaginario, Castellon de la Plana 2000,284-296.

    8 Contra sectam siue haeresim Saracenorum, ed. Glei, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), 54.

    9 Statt einer Flut von Veröffentlichungen seien hier nur genannt J. Vernet, Die spanisch-arabische Kultur in Orient und Okzident, Zürich-München 1984, und neuestens R. E. Rubenstein, Ari-

    stotle's Children. How Christians, Muslims, and Jews Rediscovered Ancient Wisdom and Illumi-

    nated the Middle Ages, New York 2003. 10 Cf. 1L de Epalza, La islamizaci6n de al-Andalus: mozirabes y neo-mozirabes, in: Revista del

    Instituto Egipcio dc Estudios Islämicos 23 (1985-1986), 171-179; id., Mozarabs: An Emble-

    matic Christian Minority in Islamic al-Andalus, in: S. K. Jayyusi (ed. ), The Legacy of Muslim Spain, vol.!, Leiden 1992,149-170, bes. 150 sq.

    11 Diese beiden Schreiben und die , Summa`, deren Verhältnis zueinander noch immer offene Fra-

    gen zuläßt, finden sich bei Glei (ed. ), Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), 2-22, 22-29, und G. Constable (cd. ), The Letters of Peter the Venerable, vol. I, Cambridge, Mass. 1967,274-299, Nr. 111 (mit Datierung auf 1144), bes. 294sqq.; ibid., vol. II, 172-174,275- 284, App. F, wo Constable die Abhängigkeiten beider Schreiben und des Traktats anhand einer Stellensynopse intensiv diskutiert; doch sind seine Ergebnisse ebenfalls nicht restlos über-

    zeugend, wie G. R. Knight, The Correspondence between Peter the Venerable and Bernard of Clairvaux. A Semantic and Structural Analysis, Aldershot 2002,144 sqq., herausstellt.

    12 Contra sectam siue haeresim Saracenorum, ed. Glci, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), 54.

    13 Epistola de translatione sua, cd. Glei, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), 24.

  • 220 Ludwig Vones

    Unterbrechung seiner eigenen Studien in Geometrie und Astronomie bereits 1143 vollendete, stellte den Grundstock für jene original in einer Handschrift der Pariser Bibliotheque de l'Arsenal erhaltenen, von Marie-Therese d'Alverny

    erschlossenen Textsammlung dar, die unter der Bezeichnung Corpus Toleta-

    num` bzw. Collectio Toletana' bis ins späte Mittelalter hinein als eine der wich- tigsten Informationsquellen über die haeresis Saracenonrvu dienen14 und zu der Petrus Venerabilis selbst neben seiner Translationsepistel die ebenfalls schon erwähnte Summa totius haeresis Saracenorum` beisteuern sollte15. Darüber hin-

    aus fanden sich hier mit den Fabulae Saracenorum', dem Liber generationis Mahumeth' und der Doctrina Mahumet' mit talmudischen Elementen angerei- cherte Schriften zur Geschichte, Genealogie und Lehre des Propheten und der Kalifen, die zum Teil in den Umkreis der islamisch-jüdischen Polemik gehö- ren16; doch verdient der zuletzt angefügte und von Peter von Toledo gemeinsam mit Peter von Poitiers übersetzte Text, die Epistola Saraceni et Rescriptum Christiani'17, besondere Beachtung, da Petrus hier seinen gründlichsten Einstieg in die hispanische anti-muslimische Polemik fand und mit Traditionen konfron- tiert wurde, die weit in die Geschichte der religiösen Auseinandersetzungen auf der Iberischen Halbinsel zurückreichen18.

    14 Cf. M. -Th. d'Alvcrny, Deux traductions latines du Coran au moyen age, in: AHDLMA 22-23 (1947-1948), 69-131; ead., Translations and Translators, in: R. L. Benson/G. Constable/C. D. Lanham (eds. ), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Los Angeles, ca. 1982 (Neu- druck Toronto 1991), 421-462, bes. 444 sqq.; ead., La connaissance de l'Islam dans l'Occident

    medieval, London 1994; J. Kritzeck, Peter the Venerable and the Toledan Collection, in: G. Constable/J. Kritzeck (eds. ), Petrus Venerabilis, 1156-1956, Rom 1956,176-201; id., Peter the Venerable and Islam (nt. 1), 51 sqq., 73 sqq.; L. Hagemann, Der Kur'an in Verständnis und Kritik bei Nikolaus von Kues (Frankfurter Theologische Studien 21), Frankfurt a. M. 1976,17 - 50; A. H. Cutler/H. E. Cutler, Peter the Venerable (1094-1156) and Islam: An Introduction to the Study of Medieval Christian-Islamic Relations, in: idd., The Jew as Ally of the Muslim. Medieval Roots of Anti-Semitism, Notre Dame, Ind. 1986,22-80,346-379; H. Bobzin, The Latin Translations of the Koran. A Short Overview, in: Der Islam 70 (1993), 193-206; J. Martinez Gäzquez/O. De la Cruz/C. Ferrero/N. Petrus, Die lateinischen Koran-Übersetzungen in Spanien, in: M. Lutz-Bachmann/A. Fidora (eds. ), Juden, Christen und Muslime. Religionsdia- loge im Mittelalter, Darmstadt 2004,27-39.

    15 Ed. Glei, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), 2-22. C£ Kritzeck, Peter the Venerable and Islam (nt. 1), 115 sqq.

    16 Zur Einordnung der im Corpus Toletanum vereinten Schriften siehe Glei, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), XV-XVIII; zur Polemik zwischen Juden und Muslimen cf, nt. 57 und die dort zitierten Werke von Brann, Adang und Pulcini.

    17 Al-Kindi, Apologia del Cristianismo. Edition preparada y anotada por J. Munoz Sendino, in: Miscelänea Comillas 11-12 (1949), 337-460; G. Tartar, Dialogue islamo-chretien sous le calife Al-Ma'mnn (813-834). Les epitres d'Al-Hashimi et d'Al-Kindi, Paris 1985, wo 15 sqq. auch die arabische Manuskripttradition und die Editionen der arabischen Version minutiös aufgelistet sind.

    18 Die vollständigsten Überblicke bieten immer noch M. Steinschneider, Polemische und apologeti- sehe Literatur in arabischer Sprache zwischen Muslimen, Christen und Juden, Leipzig 1877 (Neudruck Hildesheim 1965); E. Fritsch, Islam und Christentum im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der muslimischen Polemik gegen das Christentum in arabischer Sprache, Breslau 1930; I. Di Matteo, La divinitä di Cristo e la dottrina della Trinitä in Maometto c nei polemisti musulmani, Rom 1938; A. Bouamama, La litterature polemique musulmane contre le christianisme

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 221

    Denn es handelt sich hierbei um die sog. Risäla` des (Pseudo-)al-Kindi, die

    Apologie des Christentums durch al-Kindi, die wahrscheinlich in Bagdad Ende des 9. oder Anfang des 10. Jahrhunderts entstanden war und von dort ihren

    Weg auf die Iberische Halbinsel und in die mozarabische theologisch-polemische Apologetik genommen hatte19. In Form des Austausches zweier Schreiben sol- len unter dem Kalifen al-Ma'mün (813-833) sein Hofbeamter al-Hasimi, dessen

    Namengebung - Diener Allahs, Sohn Ismaels (Abd Allah Ibn 'Ismä'il) - eher

    auf ein symbolisches Stereotyp verweist, und auf der Gegenseite der mit ihm in

    freundlichen Beziehungen stehende al-Kindi, dessen Namengebung - Diener

    Christi, Sohn Isaaks (Abd al-Masib Ibn 'Isbaq) - wohl ebenfalls symbolisch

    zu verstehen ist, die Positionen des Islams und des Christentums diskutiert ha-

    ben. Dabei erfolgte auf eine kurze Begründung der Vorzüge des Islams und der

    damit verbundenen Aufforderung zum Übertritt eine wesentlich ausführlichere Zurückweisung durch seinen christlichen Korrespondenten, der hier wie in ei-

    nem Brennglas die bewährtesten und erfolgversprechendsten Einwände gegen die Lehre Mubammads vorbringt:. Dem Lob des Islams durch al-Häsimi, der

    durchaus das Alte und Neue Testament sowie die Glaubensrichtungen (firaq) der

    Melkiten, Jakobiten und Nestorianer kennt20, und insbesondere den strengen Monotheismus des Islams, seine Herkunft aus dem Glauben des han f Mono-

    theisten und ersten Muslims Abraham21, der zusammen mit seinem Sohn Ismael

    als Begründer der All ba galt, die Berufung Muhammads zum Propheten und den Koran als Beweis für dieses Prophetentum, den strikten Vollzug der Glau-

    bensriten sowie die Auferstehung, das Endgericht und die damit verbundene Fürsprache Mubammads betont, um zwar den Christen und Juden den Status

    von Leuten des Buches zuzugestehen, aber neben dem Recht, vier legitime Ehe-

    frauen und ebensoviele Sklavinnen als Konkubinen zu haben, vor allem die

    depuis ses origines jusqu'au XUIC siecle, Alger 1988. Außer den nt. 4 genannten Untersuchungen

    sei auch noch verwiesen auf das nachgerade klassische Werk von N. Daniel, Islam and the West. The

    Making of an Image, Edinburgh 1960 (era: Neudr. 1993,1997), sowie id., The Arabs and Medieval

    Europe, London-New York- 21979. Trotz des Titels von Interesse: M. Kniewasser, Die antijüdische Polemik des Petrus Alfonsi (getauft 1106) und des Abtes Petrus Venerabilis von Cluny (1156), in:

    Kairos 22'(1980), 34-76, bes. 56 sqq. 19 Cf. G. C. Anawati, Polemique, apologie et dialogue islamo-chretiens. Positions classiques medi-

    evales et positions contemporaines, in: Euntes docete 22 (1969), 375-451, bes. 380-392; D. Millet-Gerard, Chretiens mozarabes et culture islamique dans l'Espagne des VIII`-IX` siecles, Paris 1984,177 sqq.; Si. Van Koningsveld, La apologia de AI-Kindi en la Espana del siglo XII. Huellas toledanas de un Animal Disputax`, in: Estudios sobre Alfonso VI y la Reconquista de Toledo, voL 3, Toledo 1989,107-129; M. Fierro, Ei Islam andalusi del s. V/XI ante el Judaismo

    y el Cristianismo, in: H. Santiago-Otero (ed), Dialogo filosöfico-religioso entre Cristianismo, Judaismo e Islamismo durante la Edad Media en la Peninsula Iberica, Turnhout 1994,53-98, bes. 66 sqq.

    20 Cf. bes. A. D. von den Brincken, Die Nationes Christianorum Orientalium' im Verständnis der lateinischen Historiographie von der Mitte des 12. bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts (Kölner Historische Abhandlungen 22), Köln-\X5en 1973,76 sqq., 210 sqq., 287 sqq.

    21 Zu seiner Rollein Bibel und Koran ef. J: D. Thyen, Bibel und Koran. Eine Synopse gemeinsamer Überlieferungen, Köln-Wien 1989,42 sqq.

  • 222 Ludwig Vones

    Freuden des Paradieses und die Qualen der Hölle für die Ungläubigen, die ksar, heraufzubeschwören - diesem Lob setzt al-Kindi seine christliche Apologie

    entgegen: die Ablehnung Abrahams als Ahnherr der Muslime oder gar seine Vereinnahmung als genuiner Muslim, die Widerlegung der prophetischen Sen- dung Muhammads und die Zurückweisung seiner persönlichen Lauterkeit, das Fehlen von Wundern im Koran, der außerdem jüdische und christlich-häretische Einflüsse aufweist, die Zurückweisung der islamischen religiösen Praktiken, um zugleich allen Vorwürfen den Boden zu entziehen, die Heiligen Schriften des Christentums seien selbst verfälsch«. Zum Schluß kommt al-Kindi dann zu seinem stärksten Argument, zu den christlichen Positionen: zur Trinitätslehre,

    zur Deutung des Kreuzes als Sinnbild der Gnade Christi, zur auf dem Matthäus- evangelium basierenden Deutung des Wirkens und des Messianismus Christi, die eng mit der Stellung der Jungfrau Maria verbunden werden23 - hier spricht er jene Streitpunkte an, die in der christlich-muslimischen Polemik die unver- söhnlichsten Standpunkte markieren. Die Aufnahme der lateinischen Über-

    setzung des Risälat al-Kind! ', in der al-Hägimi als maurus und fhius cuiusdam bezeichnet wird24, mit ihrer dezidierten Zurückweisung des Islams in das Cor- pus Toletanum' zeigt, daß Petrus Venerabilis über den letztgültigen Stand der polemisch-apologetischen Diskussion innerhalb der mozarabischen Kreise auf der Iberischen Halbinsel bestens unterrichtet worden war, denn wenn die Apolo- gie des al-Kindi auch einst im Orient vielleicht in jakobitischen oder nestoriani- schen Kreisen entstanden war, so hatte sie ihre eigentliche Wirkung im Westen, in der Hispania, entfaltet, wo sie sich in eine lange Tradition theologischer, apologetischer und polemischer Traktate einreihte, in denen sich vor allem die Glaubensvielfalt des al-Andalus mit seiner muslimischen, jüdischen und christ- lich-mozarabischen Bevölkerung widerspiegelt25.

    Diese Tradition der Einflußnahme eigentlich orientalischer Polemiken auf die hispanischen Gegebenheiten, wozu bereits die Ende des B. Jahrhunderts in ihrer originalen syrischen Fassung entstandene Disputation zwischen dem nestoriani- schen Patriarchen Timotheus I. und dem Kalifen al-MahdI26 sowie der im Jeru- salem des frühen 9. Jahrhunderts anzusiedelnde Dialog zwischen dem in einem Kloster in Edessa lebenden Mönch Abraham von Tiberias und dem Emir Abd

    22 23

    24

    25

    26

    Cf. Anawati, Polemique, apologie et dialogue islamo-chretiens (nt. 19), 383 sqq. Ibid., 390 sq. Munoz Sendino (ed. ), Al-Kindi, Apologia del Cristianismo (nt. 17), 392. Cf. Millet-Gerard, Chretiens mozarabes (nt. 19); M. I. Fierro, La heterodoxia en al-Andalus durance cl periodo omeya, Madrid 1987. Zur Überlieferungs- and Editionslage siehe E. Burman, Religious Polemic and the Intellectual History of the Mozarabs, c. 1050-1200, Leiden-New York-Köln 1994,95sgq.; R. Caspar, Les versions arabes du dialogue entre le Catholicos Timothee I et le Calife al-Mahd! (II`/VII° siecle) Mohammed a suivi la voie des prophetes`, in: Islamochristiana 3 (1977), 107-175; H. Putman, L'Eglise et l'Islam sous Timothee I: Etude sur l'Eglise Nestorienne au temps des premiers Abbasides avec nouvelle edition et traduction du dialogue entre Timothee et al-Mahdi, Beirut 1975; A. Mingana, The Apology of Timothy the Patriarch before the Caliph Mahdi, in: Woodbrooke Studies II, Cambridge 1928,1-162.

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 223

    al-Rahmän al-Hä"simi27 zählten, traf gerade im al-Andalus auf fruchtbaren Bo- den, da dort nach der ersten Lähmung der verbliebenen Christen, die anfangs nur eine eher diffuse Wahrnehmung von maiiri, arabes, saraceni, agareni oder matlti- tudo Ishmaelitanar hatten28 und über den Glauben der neuen Herren lieber

    schwiegen, sich zunehmender Widerstand gegen die gesellschaftlich drückenden Verhältnisse zu regen begann29. Nach außen hin hatte sich auf arabischer Seite

    schon längst ein Feindbild herausgebildet, das keine historische Differenzierung

    zuließ und den Gegner pauschal mit erniedrigenden Schimpfnamen belegte,

    ohne sich um genauere Kenntnisse der Verhältnisse auf der Gegenseite zu be-

    mühen30. Darin spiegelte sich der grundsätzliche, aus der religiösen Überzeu-

    gung abgeleitete, letztlich unüberwindliche Gegensatz zwischen dem Haus des

    Islams', dem dar al- Islam, in dem Muslime herrschen und das Gesetz des Islams

    gilt, wider und dem dar al-barb, dem Haus des Krieges`, dem der Rest der

    \Velt und die dort lebenden barbi, definitionsgemäß Feinde, zugehören - dabei

    herrscht zwischen den beiden , Häusern`, wie Bernard Lewis es ausdrückte, ein

    �unumgänglicher, von Recht und Religion vorgeschriebener Kriegszustand, der

    erst mit dem endgültigen und unvermeidlichen Sieg des Islam über den Unglau-

    ben aufgehoben wird"31, der seinerseits höchstens durch eine zweckbestimmte Waffenruhe oder einen begrenzten \\ Waffenstillstand unterbrochen werden kann,

    der aber nicht durch einen Friedensschluß beendet, sondern einzig durch den

    endgültigen Sieg der islamischen Religion über die noch nicht unterworfenen Ungläubigen sein Ende finden kann - ein Sieg, der letztlich herbeigeführt wer- den soll durch den Heiligen Krieg`, den gibäd, zu dem jede Regierung, jedes

    politische Regime, jeder Herrscher, der über die notwendige Macht verfügt, un-

    verbrüchlich verpflichtet ist genauso wie die einfachen Glaubenskämpfer, die

    mugahid oder gihadi32. Im Inneren des muslimischen Gemeinwesens hingegen

    27 Cf. G. Marcuzzo, Le dialogue d'Abraham de Tiberiade avec Abd al-Ralimän al-Häsiml ä Jerusa- lem vers 820: etude, edition critique et traduction annotee de la litterature arabe, Rom 1986.

    28 Zur Herausbildung und Verallgemeinerung der Bezeichnungen Sarazenen` und Agarener' cf

    außer J. V. Tolan, Saracens. Islam and the Medieval European Imagination, New York 2002,

    v a. R. Barkai, Cristianos y musulmanes en la Espana medieval (EI enemigo en el espejo), Madrid

    1984,19 sqq., und E. Rotter, Abendland und Sarazenen. Das okzidentale Araberbild und seine Entstehung im Frühmittelalter, Berlin-New York 1986.

    29 C£ Millet-Gerard, Chretiens mozarabes (nt. 25), 21 sqq. 30 C£ B. Münzel, Feinde, Nachbarn, Bündnispartner. Themen und Formen' der Darstellung christ-

    lich-muslimischer Begegnungen in ausgewählten historiographischen Quellen des islamischen Spanien, Münster i. \\'. 1994, bes. 164 sqq., 181 sqq.

    31 B. Lewis, Die politische Sprache des Islam, Berlin 1991,126. Cf. P. Crone, Medieval Islamic political Thought, Edinburgh 2004,358 sqq.

    32 Zum gibad und seinen unterschiedlichen Ausprägungen als Heiliger Kampf' siehe A. Noth, Heiliger Kampf (Gihad) gegen die , Franken`.

    Zur Position der Kreuzzüge im Rahmen der Islamgeschichte, in: Saeculum 37 (1986), 240-259, der 242 ausführt, darunter sei zu verstehen ein �von

    der Religion befürwortetes (oder vorgeschriebenes) Kämpfen eines jeden muslimischen Individuums gegen Nicht-Muslime, und zwar nur gegen solche, die nicht auf muslimischem Herrschaftsgebiet leben; ein Kämpfen zudem, das ohne vorherige Aufforderung durch irgend-

    eine Autorität oder Institution, in Permanenz also, möglich ist, wenn noch nicht unterworfene

  • 224 Ludwig Vones

    genossen die unterworfenen Ungläubigen den Status von dimmis und wurden als Schutzbefohlene geduldet, die durch einen Vertrag (dinm., a) in das islamische Staatswesen eingegliedert waren, unter muslimischer Aufsicht standen und für die neben einigen Rechten auch Pflichten Geltung hatten, was von vornherein ein Konfliktpotential enthielt33. Nicht nur die muwalladirn oder snursalima, die sich trotz ihres Übertritts vom Christentum zum Islam von vielen Aufstiegsmöglich- keiten gegenüber der arabischen und maurischen Oberschicht abgeschnitten sa- hen, sondern auch die zwar arabisierten - nnesta rib -, aber dennoch ihrem christlichen Glauben treu gebliebenen Mozaraber fühlten immer stärker das muslimische Joch, nicht zuletzt den fast unwiderstehlichen Sog kultureller Assimilation. Ihnen wurde zwar wie auch den Juden zugestanden, zu den im Koran erwähnten Glaubensgemeinschaften, den Leuten des Buches' - den äh! al-kitäb -, zu gehören34 und weiterhin unbehelligt unter islamischer Oberherr- schaft zu leben, doch sollten sie eben als dimmis durch die Zahlung einer Sonder- steuer, der giýya, sowie einer Grundsteuer, der barg g, und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schlechterstellung dazu gebracht werden, zum Islam zu konver- tieren35, obwohl manche von ihnen in öffentliche Ämter gelangen konnten. Zudem mußten sie unter anderem im Gegensatz zu den Arabern 4n den von keinem Mauerring umgebenen Vorstädten leben und spezielle Kleidung sowie markante Kopfbedeckungen tragen, durften weder zu Pferd reiten noch Sklaven von Muslimen erwerben, denen sie wiederum den ehrerbietigsten Respekt bezei- gen mußten, es war ihnen die öffentliche Religionsausübung untersagt und diese mußte in geschlossenen Räumen geschehen, um Anstoß zu vermeiden, die Fort- führung des Gemeindelebens und die Aufrechterhaltung der kirchlichen Struktu- ren wurden erschwert, oft unmöglich gemacht, und natürlich jede Kritik am Islam oder am Propheten Muhammad mit härtesten Strafen bis hin zur Ent- hauptung oder zur Verbrennung belegt - es fällt schwer, hier Spuren eines wie immer gearteten Toleranzgedankens, der in jüngerer Zeit gerne postuliert wird, festzustellen36, wenn auch immerhin Nicht-Muslimen innerhalb des dar al-'islane ein vertragsrechtlicher, gleichwohl zweitrangiger Status zugestanden wurde.

    33

    34

    35

    36

    Andersgläubige in der Nähe sind"; id., Heiliger Krieg und Heiliger Kampf in Islam und Chri- stentum, Bonn 1966; und insbes. A. Morabia, Le Gihad dans l'Islam medieval, Paris 1993, 119 sqq., 145 sqq., 179 sqq. Die ausgleichend-befriedende Interpretation des aus dem Koran abzuleitenden kriegerischen Potentials zwischen Gläubigen und Ungläubigen durch H. Zirker, Der Koran. Zugänge und Lesarten, Darmstadt 1999,132 sqq., bes. 141 sqq., geht leider nicht nur an der Realität mittelalterlicher fundamentalistischer Bewegungen vorbei. Cf. Morabia, Le Gihad (nt. 32), 263 sqq.; Millet-Gerard, Chretiens mozarabes (nt. 25), 28 sqq. Cf. J. Bouman, Der Koran und die Juden. Die Geschichte einer Tragödie, Darmstadt 1990, zum Verhältnis Islam - Juden. Cf. Morabia, Le Gihad (nt. 32), 271 sqq.; A. Fattal, Le Statut legal des non-musulmans en pays d'Islam, Beirut 1958; Millet-Gerard, Chretiens mozarabes (nt. 25), 28 sqq. Den enthusiastischen, aber kaum die Wirklichkeit des al-Andalus reflektierenden und bedauerli- cherweise ohne Belege veröffentlichten Ausführungen bei M. R. Menocal, The Ornament of the World. How Muslims, Jews, and Christians Created a Culture of Tolerance in Medieval

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 225

    Gerade die öffentliche Kritik am mekkanischen Propheten und seiner Lehre

    sollte in dem Jahrzehnt ab 851 zu zahlreichen Verurteilungen wegen Blasphemie

    und nachfolgender Hinrichtung führen, als die sog. , I' lärtyrer von Cordoba` aus

    ihrer leidenschaftlichen Ablehnung des Islams keinen Hehl machten37. Bereits im Vorfeld dieser Bewegung waren polemische Schriften entstanden, die den Islam als Irrlehre verdammten, die prophetische Gabe Mulhammads verwarfen und zum Teil dialogische Strukturen aufwiesen - so die verlorengegangene und nur in einem Alkuinbrief an Karl den Großen erwähnte Disputatio Felicis cum Sarraceno138 des im Zuge des Streites um die adoptianische Lehre bekannter

    gewordenen Bischofs Felix von Urgell, der zudem am nördlichen Rande des

    andalusischen Machtbereichs wirkte. Einflußreicher war gewiß der cordobesi- sche Abt Speraindeo, der zwischen 820 und 830 ebenfalls einen nur als Fragment

    erhaltenen, dialogisch strukturierten Traktat gegen die Sarazenen erstellte39, in dem er die Verheißungen des koranischen Paradieses einem Hurenhaus gleich- stellte, zudem Schriften zur Verteidigung der Trinität und der Inkarnation, Reiz-

    themen in der christlich-muslimischen Auseinandersetzung, verfaßte und als Lehrer an der Schule der Basilika von San Zoll die hauptsächlichen Propagato-

    ren des christlichen Standpunktes während des Streites um die cordobesischen Märtyrer und die Qualität ihres Märtyrertums, den Priester und nachmaligen Märtyrer Eulogius sowie dessen dem Laienstand zugehörigen Freund Paulus Alvarus, zu Schülern hatte40. Ohne hier genauer auf die Werke dieser beiden Apologeten eingehen zu können, deren bedeutendste das Memoriale sancto- rum' und der Liber apologeticus martyrum' des Eulogius41 einschließlich einer dort inserierten anonymen, aber kaum jenseits des Pyrenäenraums bekanntge-

    wordenen Lebensbeschreibung MMiuhammadsa2 sowie der Indiculus luminosus'

    Spain, Boston-New York 2002, sollten die ernüchternden, den Quellen abgerungenen Beob- achtungen von J. V Tolan, Saracens (nt. 28), bes. 106 sqq., entgegengehalten werden.

    37 Cf. zu dieser Bewegung außer den nachgerade klassischen Untersuchungen von R. Franke, Die freiwilligen Märtyrer von Cordova und das Verhältnis der Mozaraber zum Islam, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 13 (1958), 1-170, und E. P. Colbert, The Martyrs of Cordoba (850-859): A Study of the Sources, Washington D. C. 1962, neuerdings K. B. Wolf, Christian Martyrs in Muslim Spain, Leiden 1988; J, A. Coope, The Martyrs of Cordoba. Community and Family Conflict in an Age of Mass Conversion, Lincoln-London 1995; und - den gegenwärtigen Forschungsstand zusammen- fassend - Al. Nieto Cumplido (Coord. ), Historia dc las diöccsis espaiiolas 8: Iglesias de Cordoba y Jaen, Madrid-Cordoba 2003,57 sqq.

    38 MGH. Epp. Karolini aevi, vol. II, cd. E. Dümmler, Berlin 1895,284, Nr. 172. 39 Nur ein Abschnitt findet sich überliefert bei Eulogius, Memorials Sanctorum (nt. 41), 375 sq. 40 Cf. Tolan, Saracens (im 28), 85 sqq.; Millet-Gerard, Chretiens mozarabes (nt. 25), 189 sqq.,

    198 sqq. 41 Eulogius, Memoriale Sanctorum, ed. J. Gfl, Corpus Scriptorum Muzarabicorum, vol. II, Madrid

    1973,363-459; id., Liber apologeticus mart)-rum, ed. Gil, Corpus Scriptorum 1%Iuzarabicorum, vol. II, 475-495.

    42 hf. C. Diaz y Diaz, Los tcxtos antimahomctanos mis antiguos en codices espanoles, in: AHDLMA 37 (1970), 149-164; I. Benedictino Ceitos, Apendice sobre la data y el origen de la Historia de Mahoma, ibid., 165-168; Millct-Gerard, Chretiens mozarabes (nt. 25), 179 sqq.

  • 226 Ludwig Vones

    des Paulus43 sind, sei festgestellt, daß ihr Ziel nicht nur die Verteidigung der

    cordobesischen Glaubenszeugen war, sondern auch die Herabsetzung des Islams

    in den Augen ihrer schwankenden Glaubensgenossen, um die Taten der Märty-

    rer zu begründen und jeglichem Abfall vom Christentum vorzubeugen, denn das eigentliche Zielpublikum ihrer lateinischen Schriften waren weniger die

    sprachunkundigen Muslime als vielmehr jene Christen, die bereit waren, sich auf den Islam und seine religiöse Kultur einzulassen, ihre christliche Identität zugun- sten arabischer Lebensformen aufzugeben und aufgrund wirtschaftlicher Vor-

    teile sowie sozialer Aufstiegsmöglichkeiten ihren Glauben bis hin zur Verleug-

    nung zu vernachlässigen44. Dementsprechend wurden in den Muslimen Ver- folger der Kirche früherer Prägung erkannt, Muhammad als der Antichrist selbst oder zumindest als Typus des Antichristen identifiziert, sein ausschweifendes Sexualleben ebenso wie das seiner Gefolgsleute und der Muslime überhaupt in

    oft gröbsten Anwürfen denunziert und vor allem die versprochenen Freuden des Paradieses, derganna, angezweifelt, so daß Muhammad in letzter Konsequenz als eines der biblisch geweissagten Übel und die arabisch-islamische Gesellschaft

    mit ihrem kulturell so völlig unterschiedlichen Erscheinungsbild als dämonisch-

    trügerisch ausgemacht45, ja der Islam als �la derniere des heresies" betrachtet

    werden konnte46. Anders als im westlichen Abendland verfügten die hispani-

    schen Apologeten des 9. Jahrhunderts über wesentlich bessere Informationen über Muhammad und seine Lehre - vielleicht zu dieser Zeit schon über Kon-

    takte mit den orientalischen Christen -, konnten gezielt die Schwachstellen des Islams, wie sie sich für die Christen darboten, angreifen und besondere Kennt-

    nisse der Lebensumstände Mubammads einbringen, wie sie aus jener anonymen Lebensbeschreibung hervorgingen, die Eulogius überliefert hatte. Diese Schrif- tenproduktion sollte Ende des 9. Jahrhunderts mit einem nur in späterer Über- lieferung fragmentarisch enthaltenen Werk des l Iafs Ibn Albar al-Qüti - wahr- scheinlich Sohn des Paulus Alvarus - ausklingen, der als erster christlich-arabi- scher Autor auf der Iberischen Halbinsel gilt47. Es verwundert, daß aus der

    anschließenden Epoche des Kalifats von Cordoba keine weiteren Polemiken

    43 Paulus Alvarus, Indiculus luminosus, ed. Gil, Corpus (nt. 41), vol. I, Madrid 1973,270-315. 44 Cf. Coope, The Martyrs of Cordoba (nt. 37), 55 sqq. 45 Cf. K. B. Wolf, Christian Views of Islam in Early Medieval Spain, in: Medieval Perceptions of

    Islam, ed. J. V. Tolan, New York-London 1996,85-108; id., Mubammad as Antichrist in Ninth-Century Spain, in: M. D. Meyerson/E. D. English (eds. ), Christians, Muslims, and Jews in Medieval and Early Modern Spain. Interaction and Cultural Change, Notre Dame, Ind. 2000, 3-19; Tolan, Saracens (nt. 28), 78 sqq., 85 sqq.; B. McGinn, Antichrist. Two Thousand Years of the Human Fascination with Evil, New York-Chichester 2000,85 sqq.

    46 Millet-Gerard, Chretiens mozarabes (ne 25), 201-203. 47 Cf. Burman, Religious Polemic (nt. 26), 14 sq., 35 sq., 158 -160; D. Dunlop, 1 Iafg b. Albar -

    the Last of the Goths?, in: Journal of the Royal Asiatic Society (1954), 136-151; id., Sobre Hafs ibn Albar al-Qap al-Qurtubi, in: Al-Andalus 20 (1955), 211-213; Sj. van Koningsveld, La literatura cristiano-ärabe de la Espana medieval y el significado de la transmisi6n textual en ärabe de la Collectio conciliorum, in: Concilio III de Toledo. XIV Centenario, 589-1989, Toledo 1991,695-710.

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 227

    vorliegen, doch scheinen einerseits die straffe Zentralisierung des Staatswesens

    seit Abd al-Rahmän III. und seine innere ideologische Festigung, wie sie Gabriel Martinez-Gros beschrieben hat, keine religiös bedingte Kritik an den bestehen- den Verhältnissen mehr zugelassen zu haben, andererseits hat sich vielleicht auch das Bedürfnis der Christen, sich weiter gegen die nun aufblühende islamisch-

    arabische Kultur zu stemmen, angesichts der herrscherlichen Prachtentfaltung,

    aber auch angesichts des stabilen Zusammenlebens der Religionen abge- schwächt4ß. Für diese Epoche hat man sogar von einer Koexistenz zwischen Christen und Muslimen in al-Andalus sprechen können49.

    Selbst in der nachfolgenden langen, bis 1031 dauernden Periode der frhra, die 1009 durch einen Aufstand der uma}}adentreuen berberischen Aristokratie ge- gen die zwischenzeitliche Amiridenherrschaft ausgelöst wurde und die in einen allgemeinen Aufstand gegen das göttliche Gesetz und den islamischen Glauben, der als Bürgerkrieg verstanden wurde, die frhra a1-barbar)a, gemündet hatte50, finden sich keine Hinweise auf mozarabische Aktivitäten, doch lagen den Ausein-

    andersetzungen zwischen den sich befehdenden Parteien eindeutig ethnische, aber auch religiöse und soziale Konflikte zugrunde51. Am Ende der frhra stand der endgültige Zerfall des Kalifats und der Übergang zu den mehr als 30 Taifen- reichen (duwal al-tawä, deren kleinräumige Ausdehnung sowieso keine allge- meine Religionsunterdrückung im al-Andalus mehr zuließ und die zudem auf- grund ihrer wenig gefestigten inneren Strukturen aus politischen Gründen eher dem Kontakt oder gar Bündnissen mit anderen Religionen, selbst Koalitionen mit christlichen Mächten gegen rivalisierende islamische Reiche, zugänglich wa- ren52. Ausgerechnet in dieser Situation entstand seit 1027/30 mit dem Kitäb al- fasl fl[ 1-milal wa-l-'ahwä' -, va-l-nihal des Ibn Hazm, seinem Hauptwerk bezüglich

    48 C£ G. Martinez-Gros, L'ideologie ome}y-ade. La construction de la legitimite du Califat de Cordoue (X°-XI' siedes), Madrid 1992. C£ auch J. Vallee Bermejo, El Califato de Cordoba, Madrid 1992; D. Wasserstein, The Caliphate in the West. An Islamic Political Institution in the Iberian Peninsula, Oxford 1993.

    49 C£ Ch: E. Dufourcq, La coexistence des chretiens et des musulmans dans Al-Andalus et dann le Maghrib au X` siecle, in: Occident et Orient au X` siede Actes du 1X" Congres de la Societe des historiens medieval- (Dijon 1978), Paris 1979,209-224,225-234.

    so C£ zu den inneren Vorgängen innerhalb des Kalifats während dieser Epoche v a. P. C. Scales, The Fall of the Caliphate of Cordoba. Berbers and Andalusis in Conflict, Leiden-New York- Köln 1994, bes. 38sqq.

    si Scales, The Fall of the Caliphate (nt. 50), pass., unterscheidet: die Sät al-Alaradizya, die

    ummayyadentreu war, sich auf die Marwaniden als Teil der Ummayyadendynastie berief und als Faktion in Konflikt mit der sich auf andere Wurzeln zurückführenden Nasriden-Partei lag; die Si at al-Sagalibba, die sich auf jene Sklavenkontingente zurückführte, die einst vor allem aus Bulgarien und den slawischen Gebieten eingeführt worden waren, im Militärdienst nach der Islami- sierung ihren Aufstieg erlebt hatten und nun begannen, einen eigenen Machtanspruch zu stellen; die Si at a! -Barliariya, die sich aus den eingewanderten Berbern rekrutierte; und die

    SI'at a! -' jraug, die Partei der , Europäer`, die aus Kastiliern und Katalanen bestand und von außen als Verbün- dete oder Betroffene in das Geschehen in al-Andalus eingriff.

    52 C£ dazu D. Wasserstein, The Rise and Fall of the Party-Kings. Politics and Society in Islamic Spain 1002-1086, Princeton, N. J. 1985.

  • 228 Ludwig Vones

    der Auffassungen über die Religionen, Sekten und Häresien, in das er wohl eine frühere polemische Darlegung über die Anderung der Torah und des Neuen Testaments durch die Juden und Christen' ('Izhär tabdil al-yahüd wa-l-nasära li-l-tauräh wa-l-'ingil), also durch die 211 al-kitäb, inseriert hatte53, die ausführ- lichste und tiefdringendste Auseinandersetzung eines von der Iberischen Halbin-

    sel stammenden muslimischen Autors mit den Grundlagen und Unterschieden

    zu Judentum und Christentum bzw. ihrer Zurückweisung, jedoch nicht, wie spä- ter postuliert, im Sinne einer vergleichenden Religionsbetrachtung, da dies dem

    polemischen Grundton der ursprünglichen Häresiologie widersprochen hätte. Ibn Hazm gehörte einer muWalladim-Familie an, die unter der Amiridenherrschaft in hohe Hofämter aufgestiegen war, und war selbst nach einer gründlichen Schu- lung im Koran, im Textcorpus des hadit, also den Nachrichten über die Taten

    und Aussprüche des Propheten und seiner Gefährten, in Recht, Geschichte, Grammatik, Rhetorik und Literatur sowie einem wechselhaften politischen Schicksal während der Bürgerkriegsphase für kurze Zeit zum Wesir aufgestiegen, um nach dem endgültigen Untergang des Hauses Umayya als politisch und gei- stig Heimatloser, dessen Schriften sogar verbrannt wurden, da er der zur herr-

    schenden mälikitischen Rechtsschule im Gegensatz stehenden Schule der Zähiri-

    ten angehörte, sein Leben 1064 auf den Familiengütern bei Huelva zu beschlie- ßen54. Da Ibn Hazm als Vertreter der zähiritischen Schule die buchstäbliche Interpretation der geoffenbarten Quellentexte der Religionen propagierte und folglich nur den äußeren Sinn' des Korans (Zähir) und der Sunna, der Tradition` des Propheten, seiner Taten und überlieferten Worte, wie sie im Textcorpus des hadit niedergelegt ist, sowie zusätzlich höchstens einige wenige überein-

    stimmende Meinungen im Sinne eines consensus unaninrus ('t a`) insbesondere der Gefährten Muhammads als autoritätsbildend gelten lassen konnte, hingegen jede Analogiebildung verneinte, mußte er die jüdische Torah ebenso wie die

    christlichen Evangelien ablehnen, die er beide als nachträglich veränderte, ja

    53

    54

    Kitab al-fall fi 1-milal wa-l- ahwii' wa-l-nibal, 5 vols., Beirut 1395/21975; M. Asin Palacios, Abenhäzam de Cordoba y su historia critica de las ideas religiosas, 5 vols., Madrid 1927-1932. Zur Korrektheit der Bezeichnung Kitäb al-fall gegenüber der herkömmlichen Bezeichnung Ki- täb al-filal cf. Crone, Medieval Islamic Political Thought (nt. 31), 427, s. v. Ibn Hazm`. Zu seinen Schriften und seinem Denken cf. A. Bouamama, La litterature polemiquc musulmane (nt. 18), 52 sqq., 162 sqq.; Anawati, Polemique, apologie et dialogue islamo-chretiens (nt. 19), 400 sq.; D. Urvoy, Pensers d'Al-Andalus: La vie intellectuelle a Cordoue et Seville au temps des empires berberes (Fin XI` siecle-debut XIII` siecle), Toulouse 1990,43 sqq., 165 sqq. C. Adang, Islam frente a Judaismo. La polemica de Ibn I; lazm de Cordoba, Madrid 1994,25 sqq.; id., Muslim Writers on Judaism and the Hebrew Bible: From Ibn Rabban to Ibn Hazm, Leiden 1996,59 sqq. Zur Schule der Zähiriten ef. I. Goldziher, Die Zähiriten. Ihr Lehrsystem und ihre Geschichte. Ein Beitrag zur Geschichte der muhammedanischen Theologie, Leipzig 1884 (Neudruck Hildesheim 1967); id., The Zähiris. Their Doctrine and their History. A Contribution to the History of Islamic Theology, Leiden 1971; 0. A. Farrukh, Zähirism, in: M. M. Sharif (ed. ), A History of Muslim Philosophy, vol. I, Wiesbaden 1963,274 sqq.; zum Gegensatz zwischen den Schulen siehe D. Urvoy, Le monde des ulemas andalous du V/XI` au VII/XIII` siecle, Geneve 1978,137 sqq.

    I

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 229

    verfälschte Überlieferungen zu erweisen suchte55, wobei diese Veränderung (tahrif) sowohl materialiter als auch sinngemäß erfolgt sein konnte56. Ohne hier

    auf die von Camilla Adang und neuerdings von Theodore Pulcini sowie Ross Brann ausführlich untersuchten Argumentationen gegenüber dem Judentum und der Torah eingehen zu wollen57, die vor allem in Ibn Hazms Ausein-

    andersetzungen mit dem jüdischen \V/esir des berberischen Königs von Granada 'Isma il Ibn al-Nagrila (Semu`el ben Yosef ha-Levi) und anderen gelehrten dimrnis ihren Niederschlag gefunden haben58, gibt der versierte Rechtsgelehrte, der zahlreiche christliche Glaubens- und Rechtstexte in arabischer Übersetzung

    kannte - darunter die Psalmen, die Evangelien, wohl aus einer vollständigen Übersetzung ins Arabische, die Konzilsakten und Kanones der mozarabischen Kirche, den leonesisch-kastilischen Fuero Juzgo, also die vernakularsprachliche Transformation der Lex Visigotorum` -, die zukünftigen Grundthemen der

    christlich-muslimischen Religionspolemik vor, indem er die bisherige Argumen-

    tationsebene wesentlich erweitert und über die Verunglimpfung des Gegners

    allein aufgrund der eigenen Glaubensüberzeugung heraushebt: Bei ihm findet

    sich erstmals ein tieferes Verständnis für die Bedeutung der neutesta- mentarischen Trinität und ihrer Herkunft aus dem Alten Testament als jener Basis christlichen Glaubens, die vor allem angegriffen werden mußte; deshalb

    erscheint bei ihm seine Kritik am Neuen Testament als Fortführung seiner Kritik

    an der Torah, eine Kritik, die ausgedehnt wird auf Widersprüche innerhalb der Evangelien und zwischen den Evangelien mit dem letztgültigen Ziel, die Falsch- heit des Dogmas der Dreifaltigkeit zu erweisen, die Vorgänge um die Kreuzi-

    gung in Zweifel zu ziehen und die Authentizität sowie die Autorität der Evange- lien entscheidend abzuweisen, wobei er in listiger Weise versucht, die Diskrepan-

    zen zwischen den Aussagen der Torah und des Neuen Testaments gegeneinan- der auszuspielen59. Als Ergebnis kann natürlich nur die Unterlegenheit der

    55 Cf. 1. Goldziher, Über muhammedanische Polemik gegen Ahl al-Kitäb, in: Zeitschrift der Deut-

    schen Morgenländischen Gesellschaft 32 (1878), 341-387; I. Di Matteo, Le pretese contraddi- zioni della S. Scrittura secondo Ibn Hazm, in: Bessarione 39 (1923), 77-127; H. Lazarus-Yafeh, Intertwined Worlds. Medieval Islam and Bible Criticism, Princeton, N. J. 1992.

    56 Zum tahrif cf. 1. Di Matteo, 11 tabtif` od alterazione della Bibbia secondo i musulmani, in: Bessarione 38 (1922), 64-111,223-260; R. Caspar/J. \L Gaudeul, Textes dc la tradition musul- mane concernant le tahtif (falsification) des Ecritures, in: Islamochristiana 6 (1980), 61-104.

    57 Es bedarf keiner weiteren Erklärung, daß die polemischen Auseinandersetzungen zwischen Mus- limen und Juden bzw. zwischen Christen und Juden sowie vice versa ebenfalls einbezogen wer- den müßten, dies hier aber aus Platzgründen keineswegs möglich ist. Cf. Adang, Islam frente a Judaismo (nt. 54); id., Muslim Writers (nt. 54); Th. Pulcini, Exegesis as Polemical Discourse: Ibn Hazen on Jewish and Christian Scriptures, Atlanta 1998; R. Brann, Power in the Portrayal. Representations of Jews and Muslims in Eleventh- and Twelfth-Century Islamic Spain, Prince- ton, N. J. -Oxford 2002.

    58 C£ E. Garcia Gomez, Polemica religiosa entre Ibn Hazen e Ibn al-Nagrila, in: Al-Andalus 4 (1936-1939), 1-28; Adang, Islam frente a Judaismo (nt. 54), 35sqq.; id., Muslim Writers (nt. 54), 67 sqq.

    59 C£ bes. Pulcini, Exegesis as Polemical Discourse (nt. 57), 97 sqq.; R. Arnaldez, Grammaire et Theologie chez Ibn Hazm dc Cordoue, Paris 1956,305-313; A. M. Turki, Thcologiens et

  • 230 Ludwig Vones

    Religion der Christen, die Ibn Hazm gemeinhin als dumm und irrational charak- terisiert, auf vielen Gebieten festgestellt werden, vor allem auf den von ihnen besonders hervorgehobenen des Asketen- und Märtyrertums, so daß letztlich

    das Christentum trotz aller Ansprüche lediglich in eine Reihe mit Manichäern, Juden oder muslimischen Häretikern zu stellen sei - Ibn Ilazm denkt bei letzte-

    ren eindeutig an die Schiften und weitere muslimische Abspaltungen, von denen

    er eine Verbindung zu den Aposteln herzustellen sucht. Allerdings sind die von ihm angegriffenen Religionsgruppen weniger abendländische Christen und orien- talische Abtrünnige der muslimischen Gemeinschaft, der 'summa al-muslimin, als vielmehr neben den Juden die dimmis des al-Andalus, deren Wirksamkeit er für die Zersetzung des umayyadischen Kalifats mitverantwortlich machte und deren

    weiterem gesellschaftlichen Aufstieg unter den Taifenkönigen, den muluk al-ta- wa'f, er entgegenwirken wollte. Daß er vielleicht zusätzlich muslimischen Dispu-

    tanten hilfreiche Argumente bei ihren Auseinandersetzungen mit jüdischen Geg-

    nern an die Hand geben wollte, liegt ebenfalls nahe. Gleichfalls aus der Abwehrhaltung gegenüber einer Bedrohung heraus, dies-

    mal jedoch gegenüber einer äußeren Bedrohung, entstand in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, wahrscheinlich Ende der 70er Jahre im Vorfeld der Rücker-

    oberung von Toledo, aber nach den bereits zukunftsweisenden Eroberungen

    von Coimbra und Barbastro im Jahr 1064, ein fiktiver Briefwechsel zwischen einem vorgeblichen Mönch aus Frankreich', der angeblich an al-Muqtadir bflläh (1046-1082), den König von Zaragoza, geschrieben hatte, um diesen zur Konversion zu bringen, und dem andalusischen, mälfkitischen fagih (Rechtsge- lehrten) Abü 1-Walid al-Bä n, der mit dem Antwortschreiben betraut worden war60. Ganz im Gegensatz zum eingangs erwähnten Risälat al-Kind! ', der in ähnlicher Weise als Austausch von Schreiben konzipiert war, werden hier die Argumente zugunsten der christlichen Religion nur allzu kurz und ohne jede Durchschlagskraft entwickelt, während die abweisende Antwort al-Bäis we- sentlich ausführlicher die durch den Mönch vernachlässigten Punkte wie die Gottessohnschaft Christi, die Beschaffenheit des Gottesreiches, den einheitli- chen Glauben an Vater und Sohn, die Inkarnation Christi und sein Opfer für das Heil der gesamten Menschheit sowie das falsche Prophetentum Mubammads

    aufgreift, um durch die besseren Argumente zu glänzen, so daß der Gedanke

    naheliegt, eine Entgegnung auf die Apologie des Christentums vorliegen zu ha- ben. Sollte sich eine derartige Annahme bestätigen, wäre dies ein deutliches Zeichen für die Verunsicherung der islamischen Kreise auf der Iberischen Halb- insel angesichts eines zunehmenden Druckes von außen. Andererseits hatte die

    juristes de l'Espagne musulmane. Aspects polemiques, Paris 1982. Die Stellen zu den Anschau- ungen Ibn Hazms über die Trinität stellt P. Khoury, Materiaux pour servir a 1'etude de la controverse theologique islamo-chretienne de langue arabe du VIII` au X1lc siecle, vol. 2, Würz- burg 1991,452sqq., zusammen.

    60 A. Turki, La lettre du Moine de France a Al-Mugtadir Billäh, roi de Saragosse, et la reponse d'Al-Bägl, le fagih andalou, in: Al-Andalus 31 (1966), 73-153; D. Dunlop, A Christian Mission to Muslim Spain in the XPh Century, in: Al-Andalus 17 (1952), 259-310.

    I

  • i Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 231

    muslimische Seite mittlerweile die Hauptthemen ihrer Polemik gegen das Christentum aus dem ganzen Wust unterschiedlicher Argumente herauskristalli-

    siert: die Infragestellung der Authentizität der Evangelientexte (ta/iij), die Ab- lehnung der Trinitätsdoktrin, die Bezweifelung der Vorgänge um die Kreuzigung

    und Wiederauferstehung Jesu und die Betonung des Prophetentums Muham-

    mads, das seinerseits wieder den Angriffen christlicher Autoren ausgesetzt war61. Bemerkenswerterweise finden sich religiöse Polemiken aus dem mozarabi-

    schen Bereich erst wieder, als mit der Rückeroberung von Toledo, der alten westgotischen Hauptstadt und bisherigem Hauptziel der Reconquista, durch Al- fons VI. von Kastilien-Leon und den nachfolgenden Einfall der fundamentali-

    stisch ausgerichteten Almoraviden neue Tatsachen geschaffen wurden, die im

    al-Andalus nach der völligen Überrennung der Taifenreiche auch im religiösen Bereich eine unmittelbare Verschärfung der Lebensumstände nach sich zogen. In einer grundlegenden Studie hat neuerdings Thomas E. Burman die religiöse Polemik der Mozaraber im 11. und 12. Jahrhundert umfassend untersucht62, die

    mittlerweile vorwiegend auf arabisch geführt wurde, aber dementsprechend auf gründliche Kenntnisse der islamischen Lehre zurückgreifen konnte. An erster Stelle ist hier der anonyme Liber denudationis' oder Contrarietas alfolica' zu nennen, dessen lateinische, wahrscheinlich auf ein arabisches Original zu- rückgehende Fassung Burman erstmals edierte, auf die Zeit zwischen 1085 und 1132 datierte und als dessen Entstehungsort er überzeugend Toledo als nun- mehriges Zentrum der mozarabischen Gemeinschaft ausmachen konnte63. Da die zwölf Kapitel des Liber` in besonders harscher Weise mit Muhammad, seiner religiösen Vision und ihren Erscheinungsformen abrechnen, liegt es nahe, die Entstehung der Schrift außerhalb des muslimischen Machtbereichs zu vermuten, da solche Angriffe im Wirkungsbereich der mälikitischen Rechtsschule extrem hart und grausam verfolgt wurden. Andererseits scheint sie eine erhebliche Verschärfung der Frontstellungen zu reflektieren, so daß als auslösendes Mo-

    ment die fundamentalistische Bedrohung durch die Almoraviden oder die nach- folgenden Almohaden nicht von der Hand zu weisen ist. In diese Epoche sind auch die anderen mozarabischen Polemiken einzuordnen, etwa das Schreiben des al-Qü I, des ,

    Goten`, das vielleicht um die litte der 40er Jahre des 12. Jahrhunderts verfaßt und durch einen anonymen mozarabischen Priester von Toledo aus an einen gelehrten andalusischen Muslim namens al-Hazra n gesandt

    61

    62

    63

    Cf. Herrn, Ei Islam andalusi (nt. 19), 60 sq. (mit Nennung weiterer Lit. ). Cf. auch die nt. 59 genannte Lit. sowie M. de Epalza, Jesus otage. Juifs, chretiens et musulmans en Espagne (VI`- XVII° s. ), Paris 1987, bes. 129 sqq. (, L'image islatnique de Jesusl; Thyen, Bibel und Koran (nt. 21), 179 sqq. C£ Th. E. Burman, Religious Polemic (nt. 26). C£ D. Ur oy; La pensee religieuse des Mozarabes face ä l'Islam, in: Traditio 39 (1983), 419-432; NUM. Urvoy, Ia culture et la litterature arabe des chretiens d'al-Andalus, in: Bulletin de litterature ecdesiastique 92 (1991), 259-272. Liber denudationis siue ostensionis auf patefadens, cd. Burman, Religious Polemic (nt. 26), 213-385; zur Einordnung der Schrift cf. ibid., 37 sqq.

  • 232 Ludwig Vones

    worden ist, der wahrscheinlich mit einem zu dieser Zeit in Toledo gefangenge- haltenen jungen Muslim aus Cordoba identisch warG4. Da das Schreiben des al- Qüti nur aus der wesentlich umfangreicheren Antwort al-Hazrais bekannt ist65, liegt offensichtlich der Fall einer nachträglichen kürzenden Bearbeitung vor, wie wir ihn anderwärts schon kennengelernt haben, um die eigenen Argumente um so durchschlagskräftiger gestalten zu können. Ebenfalls nur als Insertionen in

    ein muslimisches Werk, in eine Schrift über die Korruptheit und Täuschungen der Christen sowie die Verdienste der islamischen Religion und die Bekräftigung des Prophetentums Mubammads' eines als Imam von Cordoba, als al-'imäm al- Qurtubi, bekannten andalusischen Muslims, sind zwei weitere, mit großer Si-

    cherheit zwischen 1120 und 1150 entstandene mozarabische Traktate erhalten, der Tatlit al-wabdäniya über die Verdreifachung der Einheit Gottes'66 und der Mushaf al-Sam al-kä'in, das Buch der existierenden Welt', eines gewissen Agustin, in dem man gewiß zu Recht einen mozarabischen Christen namens Augustinus sieht67 .

    Alle diese Schriften legen Zeugnis ab nicht nur für eine Wiederbelebung der Diskussion mit dem Islam von seiten der mozarabischen Christen, da sie, selbst wenn sie im mittlerweile christlichen Machtbereich ent- standen sein sollten, doch für die Auseinandersetzung im al-Andalus bestimmt

    waren, sie legen auch Zeugnis ab für eine Verschärfung der Diskussion und für

    eine besondere Konzentration dieser Diskussion auf die Inkarnation Jesu, seine Gottessohnschaft und die Trinitätslehre, auf die besonders der Tatfit al-ý, vahdä- niya vielleicht im Anschluß an Peter Abaelard und Hugo von Saint-Victor ver- weist68. Diese Themen waren nicht neu, vor allem die Trinitätsdoktrin war be-

    reits seit dem 9. Jahrhundert bei den islamischen Theologen immer wieder aufs neue kontrovers in zahlreichen Traktaten behandelt worden69, doch erreichte die Auseinandersetzung Mitte des 12. Jahrhunderts angesichts der Umsturzbe-

    wegungen innerhalb des muslimischen Lagers eine bisher ungekannte Brisanz. Wir haben bereits in Anschluß an John Tolan hervorgehoben, daß sich das

    Bild des Sarazenen in dieser Epoche vom Heiden zum Ketzer wandelt70, wes- halb es keineswegs verwundert, wenn der hispanische Konvertit Petrus Alfonsi in seinem Dialogus contra Iudaeos`, in dem er das Judentum seiner Zeit als häretisch durchsetzt zu erweisen sucht, ein Kapitel über die islamische Häresie einfügt71, in dem er nicht nur die üblichen Vorwürfe gegen Muhammad und

    64 Cf. Burman, Religious Polemic (nt. 26), 62 sqq. 65 Zur Überlieferungslage und den Editionen cf. ibid., 63 sq. 66 Cf. ibid., 70 sqq., mit Angabe der Editionen; id., Tathlith al-wahdäniyah` and the Twelfth-Cen-

    tury Andalusian-Christian Approach to Islam, in: J. V. Tolan (ed. ), Medieval Perceptions of Islam, New York-London 1996,109-128.

    67 Cf. Burman, Religious Polemic (nt. 26), 80 sqq., mit Angabe der Editionen und einer Diskussion der Person des Verfassers.

    68 Cf. ibid., 78 sq., 180 sqq., 184 sqq. 69 Cf. Bouamama, La litterature polemique musulmane (nt. 18), 135 sqq. 70 Cf. Tolan, Saracens (nt. 28), 147 sqq., 155 sqq. 71 Pedro Alfonso de Huesca, Dialogo contra los Judios. Texto latino, ed. K. -P. Mieth, Huesca

    1996,91-103. Cf. J. V. Tolan, Petrus Alfonsi and His Medieval Readers, Gainesville, Fl. 1993,

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 233

    seine Lehre wiederholt, sondern auch mit bester Kenntnis des Korans glänzt72; und wenn für Petrus Venerabilis, einen Kenner der Schriften des Petrus Alfonsi,

    seine Beschäftigung mit dem Koran und dem Islam, die schließlich zu einem eigenen umfangreichen, wenngleich unvollendet gebliebenen polemischen Werk

    , Contra sectam siue haeresim Saracenorum' führte73, in eine Linie zu stellen ist mit seinen Werken gegen das abendländische Ketzertum, insbesondere die Petrobrusianer. Die Gräben zwischen den Religionen für einen Dialog, selbst wenn er nach heutiger Meinung vorwiegend fiktiv geführt wurde, waren tiefer geworden.

    Blickt man auf den muslimischen Machtbereich auf der Iberischen Halbinsel

    und sucht dort ebenfalls Gründe für eine Verschärfung des interreligiösen Kli-

    mas, stößt man auf die fundamentalistischen Bewegungen der Almoraviden und Almmohaden, und auf der Suche nach einem wegweisenden Theoretiker auf Mu- bammad Ibn Tümart, den ideologischen Begründer der almohadischen Bewe-

    gung74. Während sich die almoravidische Bewegung als religiöse Erneuerungsbewe-

    gung gemäß ihrem gelehrten Begründer °Abd Allah Ibn Yasin an den Gepflogenheiten der traditionellen malikitischen Rechtsschule, also an der Rechtspraxis der Prophetenstadt Medina und der dort angewandten Rechtsme-

    thode (srsfrl al-figh), orientiert hatte und sich bei ihren Entscheidungen weniger auf das Leben und die Taten Mubammads verließ, sondern auf früher ange- wandte Rechtsbräuche, sog. fin ?, ,

    Ableitungen`, rekurrierte75, zeigte sich Ibn Tümart mehr von Gedankengut beeinflußt, wie es der Philosoph al-Gazali ver- trat, obwohl er nicht als sein Schüler bezeichnet werden kann76; doch wurde er ebenso wie dieser im almoravidischen Machtbereich mit seiner Lehre keineswegs

    ohne kriegerische Vorbereitung akzeptiert77. Da al-Gazali das ausschließliche

    27 sqq.; Sj. van Koningsveld, Petrus Alfonsi, een 12de eeuwse schakel tussen islam en christen- dom in Spanje, in: id. (cd. ), Historische betrekkingen russen moslims en christenen, Nijmegen 1982,127-146.

    72 CE G. Monnet, Les citations coraniques dans le Dialogus' de Pierre Alfonse, in: Islam et chrctiens du Midi (XH'-XP. " s. ) (Cahiers de ranjeaux 18), Toulouse-Fanjeaux 1983,261-277.

    73 Ed. Glei, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (nt. 6), 30-239. Cf. Kritzeck, Peter the Ven-

    erable and Islam (nt. 1), 155 sqq. 74 Cf. R. Brunschvig, Sur la doctrine du Mahd! Ibn Tümart, in: Arabica 2 (1955), 137-149; id.,

    Encore sur la doctrine du Mahd? Ibn Tuunart, in: Folia Orientalia (1970), 32-40; D. Urvoy, La

    pensee d'Ibn Tümart, in: Bulletin d'Etudes Orientales 27 (1974), 19-44; Crone, Medieval Is- lamic Political Thought (nt. 31), 251 sqq.; M. Fierro, Le mahdi Ibn Tümart et al-Andalus: l'elabo-

    ration de la 1egitimite almohade, in: Revue des Mondes Musulmans et de la Mediterrane 91- 94 (2000), 107-124; E. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al- Gäzalis Urteil gegen die Philosophie und die Reaktionen der Philosophen, Leiden-Boston- Köln 2000,365 sqq.

    75 Cf. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam (nt. 74), 360 sq.; Urvoy; Pensers d'Al-Andalus (nt. 53), 82 sqq.

    76 Cf. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam (nt. 74), 365 sq.; D. Urvoy; Les divergences thcolo- giques entre Ibn Tümart et Ghazal!, in: Melanges offerts a Mohammed Talbi a l'occasion de

    son 70` anniversaire, Tunis 1993,203-212. 77 Cf. M. Fletcher, Al-Andalus and North Africa in the Almohad Ideology; in: S. K. Jayyusi (ed. ),

    The Legacy of Muslim Spain, vol. I, Leiden 1992,235-258.

  • 234 Ludwig Vones

    Studium der furfi' entschieden ablehnte und seinerseits den aus der Praxis der Streitgespräche christlicher Theologie übernommenen Kalam-Traktat propa- gierte - eine Rede` als Versuch, theologische Probleme durch rationale Argu-

    mente zu lösen, was durchaus einen ungebundeneren, philosophisch-spekulati- ven Umgang mit den islamischen Schriften, dem in ihnen vorgegebenen Of- fenbarungswissen (ilm) und den Grenzen des Glaubens nach sich ziehen konnte78 -, traf sein Vorgehen, das von den Zeitgenossen als Doktrin des Denkens' (madhab al-fikr) qualifiziert wurde79, auf den erbitterten Widerstand

    von Vertretern der mälikitischen Rechtsschule, deren Opposition gegenüber den äh1 al-kalam bzw. den rnntakallimfin schon längst grundsätzliche Formen an- genommen hatte und die seine Meinungen und Auslegungsmethoden als Un- glauben bezeichneten. Sie erreichten schließlich, daß seine Schriften 1109 auf- grund eines igma `in Cördoba öffentlich verbrannt wurden80. Ibn Tümart lernte die Gedankengänge al-Gäzalis bei seinem Studium an der Nizämiya-Medresse in Bagdad kennen und formte im Endeffekt eine eigene, von der anthropomor- phen mälikitischen furz? ̀ -Gelehrsamkeit der Almoraviden stark unterschiedene Lehre, deren Moralstrenge und Rationalismus geeignet waren, ihm Anhänger zuzuführen, die sich nun als Bekenner der absoluten göttlichen Einheit', als al-rrruwahhidan, bezeichneten, woraus im hispano-lateinischen Sprachbereich Al- mohaden wurde. Diese Bezeichnung leitete' sich vom Kern der theologischen Lehre Ibn Tümarts ab, wie sie vor allem in seinem sog. Glaubensbekenntnis (al- ägida) sowie zwei weiteren spirituellen Führern für das einfache Volk (rmmursi- dat) niedergelegt ist81, und in deren Mittelpunkt das Bekenntnis zum tauhrd der Einheit und Einzigkeit Gottes', stand, einem völlig abstrakten,

    alle

    anthropomorphen Attribute negierenden Gottesbild82. Dieses radikale Gottes- bild bedingte eine unversöhnliche Ablehnung der christlichen Dreifaltigkeit, die

    78 Zum Kalam siehe G. Endreß, Der Islam. Eine Einführung in seine Geschichte, München 21991, 59 sqq.; G. Anawati, Theologie Musulmane au Moyen Age, in: P. Wilpert (ed. ), Antike und Orient im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 1), Berlin 1962,196-218, bes. 204 sqq.

    79 Urvoy, Pensers d'Al-Andalus (nt. 53), 84. 80 Cf. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam (nt. 74), 364 sq.; D. Urvoy, The Ulamä' of al-

    Andalus, in: S. K. Jayyusi (ed. ), The Legacy of Muslim Spain, vol. II, Leiden 1992,849-877, bes. 866 sq.; id., Le monde des ulemas (nt. 54), 186 sqq.; id., Pensers d'Al-Andalus (nt. 53), 83 sqq., 167 sqq.; id., Le manuscrit ar. 1483 de l'Escurial et la polemique contre Ghazäli dans al-Andalus, in: Arabica 40 (1993), 114-119; I. Goldziher, Mohammed ibn Toumert et la theolo- gie de I'Islam dans le nord de l'Afrique au XI` siede, Algier 1903. Zu den ursprünglichen philosophischen Voraussetzungen al-Gäzalis und dem Denkansatz seines Lehrers al-Guwaini cf. T. Nagel, Die Festung des Glaubens. Triumph und Scheitern des islamischen Rationalismus im 11. Jahrhundert, München 1988. Zur Verurteilung der Philosophen und zum Apostasievorwurf cf. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam (nt. 74), 217 sqq., 372 sqq., 437 sqq.

    81 D. Luciani (ed. ), Le livre de Mohammed Ibn Toumert, Mahdi des Almohades, Alger 1903; H. Masse, La profession de foi (agida) et les guides spirituels (morchida) du mahdi Ibn Toumert, in: Memorial Henri Basset, vol. II, Paris 1928,105-121.

    82 Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam (nt. 74), 366 sqq.; Urvoy, La pensee d'Ibn Tümart (nt. 74), 29 sq.; id., Pensers d'Al-Andalus (nt. 53), 93 sqq.; M. Fletcher, The Almohad Tawhid: Theology which Relies on Logic, in: Numen 38 (1991), 110-127.

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 235

    aus diesem Blickwinkel nur häretisch sein und zu der keine theologische Brücke

    mehr hinführen konnte. Spätestens mit dem Ende der almoravidischen und dem Beginn der almohadischen Herrschaft im al-Andalus, die mit der endgültigen kriegerischen Machtübernahme durch den Almohaden-Kalifen Abd al-Mu'min Ibn Ali al-Kümi - er legte sich als Schüler Ibn Tümarts im Sinne des mahdiani- schen Messianismus die Titel eines hak fa und eines amir al-mu inirtin zu - -bis Mitte der 40er Jahre Realität werden sollte83, wurde die Lehre des 1130 gestorbe- nen Ibn Tümart, der sich zudem vielleicht schon als der erwartete, in den badit

    geweissagte Mabdi verstanden hatte84, allgemein verbindlich, sein philosophi- scher Denkansatz bei der Glaubensauslegung in überlegener Weise fortgeführt durch Ibn Rusd - Averroes -, dessen Lehrsätze trotz seiner Nähe zum al- mohadischen Kalifen und zur mälikitischen Rechtsschule dann ebenfalls in das

    Visier orthodoxer Glaubenseiferer geraten sollten85. Und der erwähnte mozara- bische Tatfit al-wahdäniya ist wohl nichts anderes als eine in dieser Situation

    verfaßte Zurückweisung der rationalistisch-radikalen Gotteslehre Ibn Twnarts,

    weshalb sich der Verfasser auch der von Peter Abaelard entwickelten Triadik

    von potentia, scientia und voluntas bediente86 - der Einfluß des Denkens Abaelards

    auf diese Diskussion harrt noch einer eingehenderen Untersuchung. Diese bri-

    sante Situation dürfte aber auch Petrus Venerabilis, dessen enge Verbindung zu Petrus Abaelard keines Kommentars mehr bedarf, wenn man die Eigenständig- keit des Denkens mit berücksichtigtS7, bei seinem Aufenthalt 1142 bekannt ge- worden sein, wobei vor allem an seine Bekanntschaft mit Peter von Toledo,

    vielleicht auch dem Muslim Muhammad zu denken ist, was seinen Entschluß, den Koran und die weiteren Schriften dem Abendland durch eine Übersetzung

    zugänglich zu machen, wenn nicht ausgelöst, so doch zumindest beschleunigt haben sollte. Bemerkenswerterweise findet sich zu Beginn des Originalcodex des Corpus Toletanum' eine längere Kommentierung der eigentlich wenig zu- verlässigen Koranübersetzung des Robert von Ketton, die mit Sicherheit von

    83 C£ Makki, The Political History of al-Andalus (nt. 3), 70 sq. Zur Bedeutung und Entwicklung des khalfa-Titels (kbalfal Allah) siehe P. Crone/II. Hinds, God's Caliph. Religious Authority in

    the First Centuries of Islam, Cambridge 1986. 84 Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß Ibn Tümart seine bekannten Titel al-mahdi al-ma'lüm

    wa-l-'imam al-ma'§üm, \Vohlbekannter Mahdi und unfehlbarer Imäm`, erst posthum durch sei-

    nen machtbewußten Nachfolger verliehen worden sind. Zum Mahdismus in al-Andalus und bei

    Ibn Tümart siehe M. Fierro, Mahdisme et eschatologie en al-Andalus, in: A. Kaddouri (Dir. ),

    Mahdisme, crise et changement dans l'histoire du Maroc, Rabat 1994,47-69; Fletcher, Al-

    Andalus and North Africa (nt. 77), 240 sqq. 85 C£ Urvo); Pensers d'Al-Andalus (nt. 53), 85 sqq.; id., Averroes. Les ambitions d'un intellectuel

    musulman, Paris 1998, pass.; F. Niewöhner, Zum Ursprung der Lehre der doppelten Wahrheit. Eine Koran-Interpretation des Averroes, in: F. Niewöhner/L. Sturlese (eds. ), Averroismus im Mittelalter und in der Renaissance, Zürich 1994,23-41.

    86 Cf. Burman, Religious Polemic (nt. 26), 78 sq., 180 sqq., mit minutiöser vergleichender Untersu-

    chung der einschlägigen Passagen; Urvoy, La pensee d'lbn Tumart (nt. 74), 23 sqq. 87 Cf. J. Kritzeck, De l'influence de Pierre Abelard sur Pierre le Venerable dans ses ceuvres sur

    l'islam, in: Pierre Abelard - Pierre le Venerable. Les courants litteraires et artistiques en Occi- dent au milieu du XII` siecle, Paris 1975,205-212.

  • 236 Ludwig Vones

    einer mozarabischen Hand stammt und durchaus doktrinale Verbesserungen

    enthält88. Nicht zuletzt über diese Quelle erhielt Petrus Venerabilis jene Ein- blicke in die mozarabische Polemik, die ihm in seinem Contra sectam siue haeresim Saracenorum` zumindest in einzelnen Punkten erlaubt hätten, nun den Islam aus seinen eigenen doktrinalen Schwächen heraus abzuweisen, wenn er sich auch nach wie vor wohler fühlte, aus dem Religionsverständnis christlicher Überlieferung heraus zu argumentieren und zudem Muhammad als Häresiar- chen und lasterhaften, ungebildeten Araber darzustellen, der seine Prosperität nur Blutvergießen, Diebstahl und Intrigen verdankte, um schließlich auf Anstachelung des Teufels hin gemeinsam mit einem häretischen nestorianischen Mönch sowie verschiedenen Juden eine neue ketzerische Lehre zu formen89. Inwieweit eine Koranübersetzung unter diesen Prämissen wirklich als �Mittel zur Verständigung zwischen Christen und Muslimen im Mittelalter" dienen konnte, muß zu Recht mit einem Fragezeichen versehen werden90. Die nun erreichte neue Stufe der intellektuell-theoretischen Auseinandersetzung abend- ländischer Gelehrter mit dem Islam, seinen Auslegungs- und Angriffsmöglichkeiten und dem Wirken des Propheten Muhammad, für die wohl bereits Alain von Lille in seiner Schrift Contra paganos' auf arabische Quellen, vielleicht sogar auf die Werke Ibn Hazms, zurückgreifen konnte91, sollte bis weit ins 13. Jahr- hundert hinein und darüber hinaus bis zum Ende des Mittelalters reichen, wenn man z. B. die Verwendung der wichtigsten mozarabischen Polemiken durch Ra- mon Llull und Ramon Marti bedenkt92, doch war ein wirklicher Dialog ange- sichts der unüberwindlichen Gräben in der theologischen Doktrin weniger wahr- scheinlich denn je, und die zunehmende Bedeutung der philosophischen Ver- nunft als Grundlage für ein gemeinsames Religionsgespräch tat ein übriges dazu.

    In den hispanischen Reichen hingegen scheint die Koranübersetzung weitge- hend unbekannt geblieben zu sein, denn als der Toledaner Domherr Marcus zu

    88 Cf. Burman, Religious Polemic (nt. 26), 84 sqq. 89 Cf. J. V. Tolan, Peter the Venerable on the Diabolical Heresy of the Saracens`, in: A. Ferreiro

    (ed. ), The Devil, Heresy and Witchcraft in the Middle Ages. Essays in Honor of J. B. Russell, Leiden-Boston-Köln 1998,345-367.

    90 L. Hagemann, Die erste lateinische Koranübersetzung - Mittel zur Verständigung zwischen Christen und Muslimen im Mittelalter?, in: A. Zimmermann/I. Craemer-Ruegenbcrg (eds. ), Ori- entalische Kultur und europäisches Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 17), Berlin-New York 1985,45-58.

    91 Cf. M. -Th. d'Alverny, Alain de Lille et l'Islam. Le Contra Pagans`, in: Islam et chrctiens du Midi (XII`-XIV° s. ) (Cahiers de Fanjeaux 18), Toulouse-Fanjeaux 1983,301-324,325-350 (Edition).

    92 Cf. A. Cortabarria Beitia, La connaissance des textes arabes chez Raymond Martin, O. P., et sa position en face de 1'Islam, in: Islam et Chretiens du Midi (XII`-XIV` s. ) (Cahiers de Fanjeaux 18), Toulouse-Fanjeaux 1983,279-324; id., La conaissance de l'Islam chez Raymond Lulle et Raymond Martin, O. P.: Parallele, in: Raymond Lulle et le Pays d'Oc (Cahiers dc Fanjeaux 22), Toulouse-Fanjeaux 1987,33-55; R. Sugranyes de Franch, L'apologetique de Raimond Lulle vis-a-vis de l'Islam, in: Islam et Chretiens du Midi (XII`-XIV` s. ) (Cahiers de Fanjeaux 18), Toulouse-Fanjeaux 1983,373-393; Th. E. Burman, The Influence of the Apology of al-

  • Zwischen Kulturaustausch und religiöser Polemik 237

    Beginn des 13. Jahrhunderts eine neue, wesentlich wortgetreuere Koranüberset-

    zung im Auftrag des Erzbischofs Rodrigo Jimenez de Rada anfertigte, scheint ihm diejenige Roberts von Ketton, die Textnähe durch interpretative Eingriffe

    ersetzte, keinesfalls vorgelegen zu haben93. Dafür fügte Marcus von Toledo ei- nige Jahre später, im Umfeld der Entscheidungsschlacht von Las Navas de To- ledo im Jahr 1212, eine Übersetzung der Schriften Ibn Tümarts hinzu, darunter

    auch des , Glaubensbekenntnisses`94. Da mittlerweile die Kraft der almohadi-

    schen Bewegung entscheidend erlahmt war und durch die Erfolge der Reconqui-

    sta gegenüber dem verbliebenen Nasridenreich immer mehr Muslime unter christliche Herrschaft gerieten, bedeutete dies gewissermaßen eine Komplettie-

    rung jenes Arsenals, auf das man in den folgenden Jahrhunderten zurückgreifen sollte, um unter Erlernung der fremden Sprachen und in Anbetracht eines neuen Verständnisses für die islamische Kultur gegenüber den bisherigen, unter dem Aspekt der Kreuzzugsidee propagierten Zwangsmaßnahmen stärker das Instru-

    mentarium der Überzeugungsmission bei der Bekehrung der Andersgläubigen

    einzusetzen95. Gleichwohl sollte die Anschauung vom Propheten Muhammad

    und der von ihm gestifteten Religion weiterhin verdunkelt und polemisch ver- zerrt bleiben, so daß sich selbst der gelehrte dominikanische Enzyklopädist Vin-

    cenz von Beauvais, der mit seinem Speculum maius` die spätmittelalterliche Vorstellungswelt nachhaltig prägte, nicht von der traditionellen Haltung gegen- über dem Islam freimachen konnte96.

    Kindi and Contrarietas alfolica on Ramon Lull's Late Religious Polemics, 1305-1313, in: Medi- eval Studies 53 (1991), 197-228; id., Religious Polemic (nt. 26), 200 sqq.

    93 Cf. M. -Th. d'Alverny, Marc de Tolede, in: Estudios sobre Alfonso VI y la Reconquista de Toledo, vol. 3, Toledo 1989,25-59; Martinez Gizquez e. a., Die lateinischen Koran-Übersetzungen (nt. 14), 35 sqq.

    94 Cf d'Alverny, Marc de Tolede (nt. 93), 26,43; M. -Th. d'Alverny/G. Vajda, Marc de Tolede, traducteur d'Ibn Tümart, in: Al-Andalus 16 (1951), 99-139,259-307; 17 (1952), 1-56.

    95 Cf. L. Vones, Mission et frontiers dans 1'espace mediterraneen: Tentatives d'une societe guerriere pour la propagation de la foi, in: G. Armstrong/I. N. Wood (eds. ), Christianizing Peoples and Converting Individuals (International Medieval Research 7), Turnhout 2000,203-222.

    96 Cf. M. Tarayre, L'image de Mahomet et de 1'Islam dans une grande encyclopedic du Moyen Age, Ic Speculum Giriariale de Vincent de Beauvais, in: Le Moyen Age 109 (2003), 313-343.