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MitOst magazin Weggefahren Titelthema Auslandsaufenthalt (Seiten 14 – 33) Hingefahren Deutscher Kabarettist in Polen (Seiten 32/33) Heimgefahren Harte Landung in Deutschland (Seite 18) Abgefahren Mammutprojekt Mezium Rychnov (Seite 6) Zug gefahren Lektorenprogramm feiert 10jähriges Jubiläum (Seiten 42/43)

MO NR.12|03 RZ · - Ausstellungsprojekt „Moj Gorod/Moje Miasto/Meine Stadt“ 43 - Angebote, Ausschreibungen und Projekte der Kooperationspartner 44/45 - Mitgliedsantrag 45/46 -

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MitOstmagazin

Weggefahren Titelthema Auslandsaufenthalt (Seiten 14 – 33)

Hingefahren Deutscher Kabarettist in Polen (Seiten 32/33)

Heimgefahren Harte Landung in Deutschland (Seite 18)

Abgefahren Mammutprojekt Mezium Rychnov (Seite 6)

Zug gefahren Lektorenprogramm feiert 10jähriges Jubiläum (Seiten 42/43)

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EDITORIAL

Man kann MitOst als „Vagabunden-Verein“ bezeichnen: fast alle Mitglieder waren

für mehr oder weniger lange Zeit im Ausland. Entsprechend viele und vielfältige

Artikel haben wir zu unserem Schwerpunktthema „Auslandsaufenthalt“ erhalten.

Lesen Sie auf den Seiten 14 bis 33 persönliche Erfahrungsberichte, Reportagen

und Interviews über das Weggehen, Wo-Anders-Sein und Zurückkommen sowie

Tipps zum Umgang mit dem Kulturschock.

In dieser Ausgabe haben wir erstmals parallel zum Schwerpunktthema einen

Fotowettbewerb durchgeführt. Die Teilnehmer sollten charakteristische Motive

eines Landes oder einer Stadt schicken. Das Siegerbild von Doreen Blask finden

Sie auf dieser Seite. Die weiteren Gewinner sind Dominik Kretschmann (S. 46),

Anja Kretzer (Seite 8), Kamila Nevludova (S. 5, 15), Darius Polok (S. 18), B. Stoklosa

(S. 28), Natalija Pintschuk (S. 16), Robert Teschner (S. 19, 22), Roger Just (S. 15)

und Corinna Lambernd (S. 4).

Auch dieses Mal kommen die Projekte von MitOst nicht zu kurz. Auf den ersten

Seiten des Heftes erfahren Sie mehr über ein Filmprojekt, eine Mega-Tanz-

Performance-Schreib-und-Gestalt-Veranstaltung in Tschechien, eine literarische

Veranstaltungsreihe in der Schweiz – MitOst bleibt bunt und vielfältig. Die ver-

bleibenden Seiten des Heftes sind wie immer gut gefüllt mit Ausschreibungen

für Projekte, Praktika und Arbeitsangebote, Buchbesprechungen und Reportagen.

Viel Spaß beim Lesen!

Das Redaktionsteam Dorothea Leonhardt und Arndt Lorenz.

Liebe Leser,

das Magazinteam (v.o.n.u.)Dorothea Leonhardt, München(Redaktion)Arndt Lorenz, Dresden (Redaktion)Susanne Töpfer, Dresden(Gestaltung)

Das ist nicht die Chefredakteurin

Foto: Doreen Blask

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INHALT

Anmerkung: Einige Texte sind in der originalen Orthographie von Autoren aus Ländern in Mittel- und

Osteuropa wiedergegeben.

Impressum

MitOst-Magazin

Heft Nr. 12 | November 2003

Herausgeber:

MitOst e.V.

Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-,

Ost- und Südosteuropa, gegründet von ehemaligen

Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung

Verantwortlich:

Gereon Schuch, Vorstandsvorsitzender MitOst e.V.

Schillerstraße 57

D-10627 Berlin

vors tand@mitost .de

Projektleitung, Redaktion:

Dorothea Leonhardt, München

Arndt Lorenz, Dresden/Aachen

Korrekturen:

Susanne Hausner, Julia Holzem, Volker Joksch,

Stephanie Kraus, Markus Sedlaczek,

Robert m. Sobotta, Sabine Toussaint, Alexandra Zander

Titelfoto:

Andreas Metz

Gestaltung:

Susanne Töpfer, Grafik-Design, Dresden

Tel: +49-(0)351-310 22 60

sus . t@t-onl ine .de

Preis:

Einzelpreis EUR 3,50, bei Vereinsmitgliedern ist der

Bezugspreis im Mitgliederjahresbeitrag enthalten

Druck:

Union Druckerei Dresden GmbH

Auflage:

2.500 Exemplare

Wir danken der Robert Bosch Stiftung für die

Unterstützung

Inhalt

Geschäftsstelle MitOst e.V.

Schillerstraße 57

D-10627 Berlin

Tel.: +49 - (0)30 - 31 51 74 - 70

Fax +49 - (0)30 - 31 51 74 - 71

geschaef tss te l le@mitost .de

www.mitos t .de

- Grenzen erfahren – ein Projekt über Grenzorte und Grenzreisen 4

- Kwass, Kaviar und leere Kartons – Reise nach Sibirien 5

- Lasset uns singen, tanzen und springen – Kulturspektakel Mezium Rychnov 6

- Doswidanija Berlin – Ein deutsch-russisches Filmprojekt 7

- Zeit und Wunden – Gedenkdienstseminar in Polen 8

- Störche, Stasi und bunte Trachten – Reise nach Weißrussland und Litauen 8

- litauRATURen – Fortsetzung folgt: Übersetzung litauischer Lyrik 9

- Nase hoch beim Übersetzen – Züricher Veranstaltungsreihe Okno mit russischer Kultur 10/11

- Das Erreichte im Auge behalten 12

- Fährtensucherin zwischen West und Ost –„Junge Wege in Europa“ – neue Ausschreibungen 13

- Ein paar Zahlen vorab – Statistik zum Auslandsaufenthalt 14

- Filzstiefel und Sommerfrische – Leben in Sibirien 15

- Zwischen den Kulturen – wie sich ein Auslandsaufenthalt am besten meistern lässt 16/17

- Harte Landung in Deutschland – was Rückkehrer erwartet 18

- Ausland ist immer auch Rausland – Flucht aus der Heimat 19

- Du wirst es nie bereuen! – Ein Jahr in Moskau 20- Highlife oder lieber gut behütet? – Die Qual der Wahl

zwischen Gastfamilie und Wohnheim 20/21

- Gehen oder Lesen 22/23

- Liebe? Überflüssig! – Heiratsagenturen locken ins Ausland 24/25

- Die vierte Chance – Auslandsaufenthalt ist oft kein Zuckerschlecken 26

- Deutsche Pennergesellschaft – erste Bekanntschaften mit Deutschland 27

- Ich war im Ausland – welche Satire sich dahinter verbirgt 28

- Keine Spur alltäglich – Schulalltag in der Ukraine 28/29

- Lernen, mit sich selbst klar zu kommen – ein deutscher Unternehmer in Russland 30/31

- Das absolute Italien! – Gespräch mit dem in Polen lebenden Kabarettisten Steffen Möller 32/33

- Versäumte Lektionen – der Historiker L. Boia über rumänische Geschichtsschreibung 34

- Lob der Unvollkommenheit – eine Biographie über den tschechischen Pfarrer S. Karásek 34

- Im Mittelpunkt der Welt – der Autor J. Andruchowytsch über Galizien 35

- Roma-Kinder im Kosovo – eine Reise zu vergessenen Volksgruppen 36

- Pani Jola verkauft Erleichterung – Polen vor dem EU-Beitritt 37

- Selbstbilder – ein neues Buch stellt Menschen jüdischer Herkunft vor 38

- Solidarität für Russland – die Russland-Kampagne von amnesty international 39

- Ideen verwirklichen – Richtung Südost 40/41

- 10 Jahre Lektorenprogramm – eine Zugreise 42/43

- Ausstellungsprojekt „Moj Gorod/Moje Miasto/Meine Stadt“ 43

- Angebote, Ausschreibungen und Projekte der Kooperationspartner 44/45

- Mitgliedsantrag 45/46

- Anmerkung zum Heft Nr. 11 46

- Litauischer Honig-Wodka 47

- In Warschau – ein Gedicht von Laurynas Katkus 48

MitOst-Projekte 2003

MitOst InternJunge Wege in Europa

Thema:

Auslandsaufenthalt

Interview

Feuilleton

Reise

Feuilleton

Theodor-Heuss-Kolleg

Lektorenprogramm

Kooperationspartner

MitOst Intern

Leserbrief

Kochrezept

Lyrik

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PROJEKTINFO

Grenzorte und Grenzreisen“, ein

rinationales MitOst-Projekt, führte

eilnehmer aus der Ukraine, Polen und

Deutschland nach Lemberg, Krakau,

elenia Gora und Görlitz.

Vom 28. April bis zum 4. Mai 2003 wurde

das vielschichtige Phänomen „Grenze“

n seiner ganzen Breite thematisiert,

rlebt und diskutiert. In Lemberg stand

die Grenze zwischen Mann und Frau im

Vordergrund, in Krakau erlebten die

eilnehmer im Theaterspiel und malend

hre Körpergrenzen, in Jelenia Gora und

Görlitz drängte sich schließlich der

politische Aspekt des Grenzthemas auf.

Weitere Informationen:

Katja Ezel, [email protected]

Foto: Katja Ezel

Katja Ezel, seit 2002 Boschlektorin in Rzeszow/Polen

MitOst Nr. 12 | November 20034

Die Teilnehmer des MitOst-Projektes „Grenzorte – Grenzreisen“ machen an der Grenzezwischen der Ukraine und Polen die Erfahrung, dass Menschen von Grenzen leben,wenn auch auf bescheidenstem Niveau.

Es ist ein drückend heißer Tag, als wir nach drei Projekttagen in Lemberg (Ukraine) in den Zug nachPolen steigen, um über Przemysl nach Krakau weiter zu reisen. Zuvor gilt es jedoch, die Bahnbeamtinzu besänftigen, die sich im quirligen Gewimmel des Lemberger Bahnhofs fauchend vor unsererGruppe aufbaut. Reservierungsscheine? Daran hatten wir nicht gedacht, was ich nun angesichts deruniformierten Gefahr schwer bereue. Nach langem Hin und Her lässt sie uns schließlich in den Zug.Es gibt ein Abteil, für das keine Platzkarten nötig sind, was noch lange nicht bedeutet, dass es tat-sächlich Platz für uns gibt. Das Abteil ist vom grau verschmutzten Boden bis unter das gewölbteZugdach vollgestopft mit Waren: Paletten von Wodka lassen die kleinen ausklappbaren Zugtischchenfast zusammenbrechen, Unmengen von Gardinenrollen belagern die Sitzbänke, überall liegen Zigaretten-stangen. Die Besitzer der Waren rücken aber, als sie uns sehen, höflich zur Seite.

Wir nehmen den Platz dankbar an, aber das Glücksgefühl hält nicht lange vor. Da sich die Fensternicht einen Spalt breit öffnen lassen, gleicht die Temperatur im Zug der einer Sauna, nur dass es dortnach Tannennadeln riecht. Im Zug von Tannengeruch keine Spur – Schweiß vermischt mit ukrainischerKnoblauchwurst strapaziert unsere Geruchsnerven. Bald rinnt auch uns der Schweiß in Bächen vomKörper. Dabei sitzen wir nur da, schauen und können nicht glauben, was wir sehen: SämtlicheMitreisende im Abteil kleben ihre Gardinenrollen möglichst kunstvoll mit Paketklebeband zu. Mir warbisher nicht klar, welch Gänsehaut erregendes Geräusch das Abziehen von Klebeband erzeugt. Aufmeine Frage, was die Klebeaktion bringe, erklärt man mir, dass die Rolle, in deren Hohlraum Wodkaoder sonstiges Schmuggelgut versteckt sei, so gut zugeklebt werden müsse, dass es den polnischenZollbeamten zu blöd sei, sie zu öffnen. Klingt logisch und das Geräusch ist nun besser zu ertragen.Langsam zeigen wir uns solidarisch mit den schmuggelnden Mitreisenden. Nicht, dass dasRechtsbewusstsein bei verknappter Luftzufuhr abnimmt – die Schmuggler sind allesamt sehr sym-pathisch. Trotz der Arbeit haben sie Zeit für ein Schwätzchen mit uns.

Mein Gesprächspartner interessiert sich für den Kilopreis für Walnüsse in Deutschland und dieMöglichkeiten, deutsche Zollbeamte zu bestechen. Ungern glaubt er, dass ich mit beidem keineErfahrung habe. Nachdem die Gardinenrollen besser verpackt sind, als es Christo jemals gelingenwürde, kommen die Zigarettenstangen an die Reihe. Alle Mitreisenden im Abteil beginnen, sichauszuziehen. Allerdings nicht wegen der Hitze, sondern um sich die Zigarettenpäckchen sorgfältig umden Körper zu binden. In ein, zwei oder sogar drei übereinander liegenden Schichten. Inzwischenhaben wir die Grenze auf der ukrainischen Seite erreicht. Ukrainische Zollbeamte kontrollieren diePässe, während die Schmuggler unbeeindruckt weiter kleben. Dann ein erschrockener Schrei„Polacy“. In Sekundenschnelle verschwindet, was verschwinden kann, unter den Sitzen und in kariertenRiesentaschen. Ein Kind wird noch schnell gekämmt, der angebliche Vater zieht Anzug und Krawatteüber die Zigarettenschichten und die Mutter pudert sich frisch. Eine richtig gediegene Familie, nichtfürs Familienfoto, sondern für den Grenzübertritt frisiert. Dann kommen die gefürchteten „Polacy“,werfen einen kurzen Blick in die Pässe und der Zug fährt in Przemysl ein. Dort müssen alle Reisendenaus der Ukraine durch die Zollabfertigung. Hier entscheidet sich, ob ein gekämmtes Kind die polnischenZollbeamten von den ausgebeulten Röcken, Hosen und Jacken ablenkt.

Grenzen erfahren

Heiße Ware, gut gekühlt

Blick über die Grenze von Görlitz auf Zgorzelec

to: Corinna Lambernd

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Foto: Monika Kozaczka

PROJEKTINFO

Vom 24. Mai - 16. Juni 2003 fand die

Studienreise „Sibirien“ statt. MitOst-Mit-

glieder konnten sich für bis zu drei „Bau-

steine“ bewerben:

1 Woche Anreise mit der Transsib, Kultur-

und Begegnungsprogramm in den Städten

Nowosibirsk und Tomsk, Übernachtung

teilweise in Gastfamilien; 1 Woche Irkutsk

und Baikalsee, interkultureller Workshop

mit russischen Teilnehmern, Einblicke ins

russische Arbeitsleben, Ökologie am Baikal;

1 Woche Baikalinsel Olchon, Burjatische

Kultur, Trekking, Natur, Erholung.

Die Reise führte 16 MitOstler aus 4

Ländern in eine Region, die eigentlich gar

nicht mehr zu Osteuropa gehört. Sibirien

ist widersprüchlich, es schreckt ab durch

eine geballte Portion Jahrhunderte alter

Gruselklischees. Aber gleichzeitig lockt es

mit ebenso ewigen Bildern von Freiheit,

Weite und Natur. Die Klischees sitzen tief,

deswegen erscheint Sibirien vielen heute

fremder als die meisten anderen

Regionen der Welt.

Die Reise wurde gefördert aus Mitteln der

Robert Bosch Stiftung und der Deutsch-

Russischen Gesellschaft e.V. in Pforzheim.

Zusätzliche Unterstützung leisteten das

Generalkonsulat der Bundesrepublik

Deutschland in Nowosibirsk und die

Fluggesellschaft SibAvia.

Weitere Informationen:

Heike Mall und Roger Just, j jhr@irk . ru

Was ist das? Es findet in der Regel im Freien statt. Auf Tischen, manchmal auch auf not-dürftig dafür hergerichteten Kisten wird eine bunte Vielfalt unterschiedlicher Warenangeboten. Und es riecht gut, verdammt gut. Ja richtig, das ist ein Markt. DasPhänomen „Markt“ scheint international zu sein oder vielleicht auch nicht. Das dach-ten zumindest die Nowosibirsker Marktleute: „Warum fotografieren die den Markt,kennen die so was nicht?!“ warfen sie sich auf Russisch zu, nachdem sie ins Visierunzähliger Kameraobjektive geraten waren. Für sie stand fest: Den Deutschen ist dasunbekannt. Irgendwie hatten sie damit recht, aber irgendwie auch wieder nicht. So wasnennt man Fremdheitserfahrung.

Wo gibt es in Deutschland schon Kwass? Das aus gegorenem Brot hergestellte Erfrischungsgetränk wirdaus riesigen, schmutzig-gelben Fässern ausgeschenkt. Es prickelt leicht auf der Zunge und hinterlässteinen säuerlichen Geschmack. Der ideale Durstlöscher bei sommerlichen Temperaturen! Gesundheits-bewusste Deutsche kennen Kwass auch unter dem Namen „Brottrunk“. Sie müssen diesen allerdingsteuer aus dem Reformhaus beziehen und können sich sicher sein, dass er von allen schmackhaftenBestandteilen, wie etwa Gewürzen und Alkohol, befreit ist. Eben ein typisch deutsches Ökoprodukt.

Fisch und vor allem Kaviar gibt es natürlich in rauen Mengen. Der Begriff Kaviar geht auf den iranischenVolksstamm der Khediven zurück. Das Störei hieß bei ihnen Cahv-Jar und bedeutete „Kuchen der Freude“.Aber woher weiß die hilflose Konsumentin, welcher „Kuchen der Freude“ der beste ist? Da hilft nur derSelbstversuch. Der Rote hat dann mit seinem kräftigen, würzigen Geschmack das Rennen gemacht.

Und die Nowosibirsker Marktleute? Verstört waren sie nicht nur durch die unerklärliche Fotografierwutder Fremdlinge, sondern auch durch deren abstruse Wünsche. So gerieten kirgisische Marktleute insStaunen, als sie gebeten wurden, einen Karton mit getrockneten Aprikosen zu leeren. Nicht für die Apri-kosen, nein für den buntbedruckten Karton selbst sollten sie den stolzen Betrag von 100 Rubel erhalten.Ihren Gesichtern war anzusehen, dass sie sich bis dahin nicht bewusst gewesen waren, ein wertvollesSammlerobjekt zu besitzen. Ein besseres Geschäft haben sie an diesem Tag wohl nicht mehr gemacht.

Übrigens: Wer über einen sibirischen Markt streift, sollte auf jeden Fall Zedernnüsse, jungen Farn unddie georgische Spezialität „Tschurtschcheda“ probieren. Was sich hinter diesem unaussprechlichen Wortverbirgt? Ja, wenn das keine Reise nach Sibirien wert ist.

PROJEKTE 2003

Almut Ingelmann, 1998/1999 Boschlektorin in Karviná/Tschechien, pädagogische Mitarbeiterin im

Bereich Weiterbildung

Kwass, Kaviar und leere Kartons

Foto: Kamila Nevludova

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Foto: Kamila Nevludova

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MitOst Nr. 12 | November 20036

Die 5. Internationale Sommerakademie MEZIUM Rychnov 2003 war das größte Mit Ost-Projekt in diesem Jahr. Insgesamt glänzte die Veranstaltung mit 29 Kursen, von deneneine kleine Auswahl hier beleuchtet werden soll.

Bereits zum fünften Mal waren dabei: Dr. Richard Rothenhagen von der Pädagogischen UniversitätBrno als Chefdolmetscher, Deutschlehrer und Übersetzer sowie Florian Tilzer, einer der geistigenVäter der Sommerakademie, der als Regisseur der Abschlussveranstaltung seine Schüler auch nichtmit Fischers Fritzen in Cottbusser Postkutschen und anderen Zungen(zer)brechern verschonte.

Der unzerbrechliche Vater Klaus Tilzer als guter Flaschengeist formte Durchsichtiges und kam mitseinem Glasworkshop auch beim fünften Male gut zum Zuge. Er brannte mit seinen Teilnehmern somanche Nacht hindurch. Katerina Linhartová, 1999 seine Schülerin, kam bereits zum zweiten Maleals Workshopleiterin. Ihre Teilnehmer malten, was das Glas hielt, und außerdem noch eine Seidenach der anderen, so dass die begleitende Ausstellung gut betucht war.

Offensichtlich: der Unsichtbare-Theater-Regisseur (Name s.o.) zum fünften Male überall und nirgendszu sehen, nebenbei der Hauptorganisator des Ganzen, war mit Schreibkursteilnehmern intuitiv unter-wegs, die ihre real entstandenen Texte in ein Buch einbinden konnten. Dass jenes Buch diesenNamen verdient, verdankt man der Binderin Ivona Gazdíková, die auch theoretische Vorträge ver-buchen konnte.

Dieser Sommer war der heißeste seit 500 Jahren, nicht zuletzt vielleicht wegen Ivo NovotnysKeramikbrennofen. Lad’a Valásek, mit seinem kleineren Ofen nicht etwa E-Mails gestaltend, aberEmaille formend, weiß, dass es auch bei ihm heiß herging. Wohl fühlte sich bei dem Wetter auchThomas P. Sunar, der aus Griechenland gefahren kam, um sich bei „Yoga meets Tantra“ nicht ebenabzukühlen. Uta Kühn aus Deutschland nannte ihren Workshop anstelle von Bauchtanz „Orientalischtanzen“, weil frau ja nicht nur mit dem Bauch tanzt. Was die Teilnehmerinnen abschließend ganzkör-perlich vortanzten, diente ebenfalls nicht der Abkühlung.

Ein MEZIUM-Höhepunkt waren zweifellos die 17 Schlangen, die längste ca. 8 m lang, 72 kg schwer,des Artisten Rainer Scheller, der meint, Gleichgewicht sei zum Leben relativ wichtig und schaffe manes, indem man Balance hält und niemanden aus dem Gleis wirft. Denn wenn man in der Schlangesteht, ist es zu spät.

Jeden Abend gab es im Stadttheater von Rychnov und einer Kirche Konzerte und Vorführungen:Musik des Volkes Canki, afrikanische Trommelmusik, indische Sitar-Musik, ein Konzert mit dem elek-tronischen Dudelsack, Lesungen, Tanz, fünf Schlangenshows, Vorführungen einer Luftartistin – und natür-lich die furiose Abschlussveranstaltung. Dies und vieles andere wird uns in guter Erinnerung bleiben.

Lasset uns singen, tanzen und springen ...

Frank Weiße, musizierender, dichtender, kulturorganisierender Deutschlehrer mit Projekthaus

PROJEKTE 2002

PROJEKTINFO

Die 5. Sommerakademie unter dem

Motto „Gleichgewicht. Nicht immer ein-

ach im selben bleiben, denn ...“ fand

om 9. bis 23. August 2003 in Rychnov

m Fuße des Adlergebirges/Tschechien statt.

An der Veranstaltung nahmen insgesamt

174 Personen teil: Organisatoren, Helfer,

Mitarbeiter des Info-Zentrums, Web-

master, Dolmetscher, Workshopleiter,

Küchenkräfte, Beleuchter, Tonmeister

und natürlich die Teilnehmer. Auch viele

inheimische nutzten die Gelegenheit,

die insgesamt 29 Kurse zu besuchen.

Unterstützt wurde das Projekt auch von

der Robert Bosch Stiftung, der Deutschen

Botschaft in Prag, dem Tschechisch-

Deutschen Zukunftsfonds, der Stadt

Rychnov und vielen anderen.

m nächsten Jahr findet die 6. Inter-

nationale Sommerakademie MEZIUM

Rychnov vom 17. Juli bis zum 8. August

2004 statt.

Weitere Informationen und Anmeldung

ür das MEZIUM Rychnov 2004:

[email protected]

otos: Ales Cernohous, Eda Cupak

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Die zwei Städte Berlin und St. Petersburg - dazu zwei Personen, deren Leben eng mitdiesen Orten verknüpft ist. Der Petersburger Sergej kommt nach Berlin, um dortGeschichte zu studieren. Sandra aus Berlin wiederum reist in die russische Stadt an derOstsee, um ihr freiwilliges soziales Jahr in einem Kinderheim abzuleisten. Beide ver-lassen ihre Heimat zum ersten Mal und müssen sich im Ausland zurechtfinden.Besonders die Sprache führt zu großen Schwierigkeiten. Ob beim Einkaufen oder aufder Post – Verwechslungen und Missverständnisse sind unvermeidlich.

So die Handlung eines Filmprojektes von jungen Russen und Deutschen, das vom Fremdsein imAusland erzählt. Gezeigt wird die Konfrontation mit einer neuen Kultur und Sprache, das Auf-Sich-Allein-Gestellt-Sein in einer fremden Umgebung, das Knüpfen der ersten Kontakte und Freundschaften.Der Film macht das mit skurrilen, teils dramatischen Szenen deutlich. Die beiden Städte werden abseitsvon Stereotypen und Klischees dargestellt. Nicht die bekannten Wahrzeichen und schönen Fassadensollten als Schauplätze dienen, sondern Orte, die kaum wahrgenommen werden, wie z. B. Hinterhöfe.

Die Dreharbeiten gestalteten sich manchmal schwierig. In St. Petersburg hatte das Team mit der rus-sischen Bürokratie zu kämpfen. So gelang es nicht, Genehmigungen für alle gewünschten Drehorte zubekommen, was zum Improvisieren zwang. Die Projektteilnehmer übernahmen während des Filmensspezielle Aufgaben wie Ton, Licht, Ausstattung oder Kamera, um Erfahrungen zu sammeln. Ingesamtwurde an 20 Tagen zum Teil bis zu 10 Stunden täglich gedreht. Das Filmen in den zwei verschiedenenStädten und Ländern bedeutete eine enorme Organisationsleistung im Vorfeld. Drehbuch undDrehplan mussten ausgearbeitet, Technik und Requisiten beschafft, Drehgenehmigungen eingeholtsowie die Reise und Unterbringung für die Teilnehmer organisiert werden.

Der Film soll zeigen, wie wichtig es ist, sich gegenüber einer neuen Kultur zu öffnen und mitUnvoreingenommenheit auf die Dinge zuzugehen. Besonders Jugendliche ohne Auslandserfahrungensollen durch das positive Filmbeispiel ermutigt werden, auch einmal den Gang in die Fremde zu wagen.

Jewgenij Muratow, Fotograf, und Torsten Wenzel, Student der Geschichte, Germanistik und der

Medienwissenschaften

Doswidanija Berlin –Ein deutsch-russisches

Filmprojekt

7MitOst Nr. 12 | November 2003

PROJEKTE 2003

Fotos: Jewgenjs Muratow

PROJEKTINFO:

Junge Russen und Deutsche sollten über

Dreharbeiten zusammengeführt werden

und einen Film über das „Fremdsein im

Ausland“ produzieren. Der fiktionale 20-

minütige Kurzfilm wurde im Sommer

2003 in Berlin und St. Petersburg

aufgenommen. Zum Drehteam gehörten

15 Schüler, Studenten und Berufstätige.

Insgesamt beteiligten sich 40 Leute am

Zustandekommen des Filmes, neben

Russen und Deutschen auch Franzosen,

Georgier, Spanier und Brasilianer. Die

Produktion soll auf mehreren Filmfestivals

in Deutschland und Russland zu sehen

sein. Unterstützt wurde das Projekt auch

von der Flick-Stiftung und der Stiftung

West-Östliche Begegnungen.

Weitere Informationen:

[email protected]

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Zeit ohne Wunden, Wunden ohne Zeit –

heilt die Zeit alle Wunden?Eine Auseinandersetzung mit

dem jüdischen Leben in Polen einst und heute

Marianne Heinzlmeier, Journalistin

Vor dem 2. Weltkrieg lebten gut 70.000 Juden im jüdischen Viertel

Kazimierz in Krakau. Aus dem Ghetto und dem KZ kehrten nur 3.000

zurück. Inzwischen zählen sich 5.000 jüdische Bürger zu den Mit-

gliedern der religiösen Gemeinschaften. Weitere 20.000 leben eher

unauffällig.

Als wir mit dem Holocaust-Überlebenden Bernard Offen einen knapp

siebenstündigen Marsch von Kazimierz beginnend durch das ehemalige

Krakauer Ghetto in Podgórze und das KZ Plasów antreten, wird die

Verwahrlosung und Missachtung jüdischer Kultur überaus deutlich. Oder

wie kann man sich sonst erklären, dass das einstige KZ-Gelände als Picknick-

und Motocross-Gelände missbraucht wird. Eigentlich ein Friedhof, noch

dazu mit einem überdimensional großen Kreuz samt Dornenkrone ver-

sehen. Bernard Offens Meinung dazu: „Wer leidet eigentlich mehr? Die

Polen, die Juden…?“

„A Journey of Witnessing and Healing“ nennt Bernard Offen seinen per-

sönlichen Aufarbeitungsprozess und plädiert gleichzeitig für das sensi-

ble Wahrnehmen diskriminierender Äußerungen auf kleinstem Nenner:

PROJEKTE 2003

„Der Beginn von Auschwitz fängt damit an, wenn ich jemandem das

Gefühl gebe, weniger wert zu sein. Das ist die Straße nach Auschwitz.“

Einige Tage später zeigte uns Offen seine „Erfahrungsorte“, wo er 1944 fast

drei Monate interniert war. Der nach Kalifornien emigrierte Offen küm-

mert sich dann in Führungen und Rundgängen um ein erweitertes Ge-

schichtsverständnis. Er setzt dabei auf Dialog und kritische Rezeption

statt auf bloßes touristisches Besuchen von Auschwitz. Und man merkt

es ihm an: Die Vergangenheit hinterlässt Spuren bis heute. Beim Betreten

der Holzbaracke 5, seiner ehemaligen „Wohnstätte“, macht er zaghafte

Schritte und erklärt verhalten: „Ich hatte viele Engel, die mir halfen.

Niemals blickte ich jemandem in die Augen“. Aber: „Everything goes on.“

Diese Form der Aufarbeitung treibt ihn seit 1981 immer wieder für einige

Monate zurück in die alte Heimat. Seine tätowierte Lager-Nummer erin-

nert ihn permanent daran. Wohl aber nicht mehr mit dem Gefühl: Eine

Nummer zu sein. Beliebig austauschbar. Be-Zeichnend.

Das Projekt ermöglichte den Teilnehmern eine Reise mit unter-

schiedlichsten Eindrücken. Es gab mehrere Anlaufstationen: Weißruss-

land mit seiner Hauptstadt Minsk und dem wunderschönen, romanti-

schen Umland mit vielen Sümpfen und Storchennestern, Litauen mit sei-

ner Hauptstadt Vilnius und letztlich die Kurische Nehrung an der Ostsee.

Weißrussland und Litauen sind geschichtlich stark miteinander verbun-

den. Um so stärker wirkt auf den Besucher der derzeitige politische Unter-

schied beider Systeme, welcher sich auch im alltäglichen Leben der Bür-

ger bemerkbar macht. Litauen, westlich orientiert, bereitet sich auf die

Europäische Union vor. Bei der 750-Jahrfeier der Stadt Vilnius anlässlich

der Krönung von Mindaugas, des ersten Königs von Weißrussland und

Litauen, bestaunten wir die fröhlichen Menschen in ihren bunten Trachten,

die überall tanzten und sangen. Trotz der nationalen Volkstümlichkeit war

eine gewisse Internationalität zu spüren.

Im Gegensatz zum bunten Treiben in Litauen beeindruckte uns in Minsk

eine nächtliche Militärparade. Streng marschierten die jungen Soldaten im

Takt und übten für den „Tag der Befreiung durch die Rote Armee“. Dieser

Nationalfeiertag zelebriert die Befreiung der Stadt Minsk von den deutschen

Faschisten im Zweiten Weltkrieg. Uns befiel eine beängstigende Faszi-

nation. Einige Meter weiter, die Hauptstraße aufwärts, kann man das alte

Gebäude der Staatssicherheit bewundern. Noch am gleichen Abend stand

ich vor diesem Haus und wollte gerade ein Foto machen, als mich ein steinaltes

Mütterchen auf Russisch ansprach: Ich solle ein Foto vom dunklen Kellerge-

wölbe machen, denn wer da reinkomme, sehe nie wieder das helle Tageslicht!

Glücklicherweise gab es auch schönere Eindrücke: Am nächsten Morgen ging

es auf Landpartie ins weißrussische Umland: sonnige Eichenalleen, Seen

und Flüsse mit badenden Kindern, Schlösser und Burgen, katholische und

orthodoxe Kirchen, heilige Quellen und heidnische Kultstätten mit ihren

Legenden hinterließen bei uns einen unvergesslichen Eindruck. Auf den Kriegs-

friedhöfen suchte ich unwillkürlich nach mir bekannten Namen. Auch in

Nida an der Kurischen Nehrung ertappte ich mich wieder bei dieser

Beschäftigung. Die deutschen Teilnehmer waren scheinbar mehr von den

verstaubten Gräbern beeindruckt als von der schönen Umgebung an der

Ostsee. Unser Projektabschluss wurde würdig im Thomas-Mann-Haus

gefeiert. Am Kamin werteten wir gemeinsam unser Projekt bei Wein und

Käse aus, es war ein voller Erfolg!

PROJEKTINFO

In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Auslandsdienst organi-

sierten Anna Sosna und Miroslaw Gugula für MitOst-Mitglieder im

dritten Gedenkdienst-Seminar in Südpolen (23.-31. Juli 2003) die Teil-

nahme am Themenkomplex „Schoah (Holocaust) und ostjüdische

Kultur“. Teilnehmer aus Österreich, Deutschland, Polen, der Slowakei

und Russland setzten sich in Vorträgen, Diskussionen und Stadtführungen

mit Holocaust-Überlebenden auseinander und informierten sich in

Filmen und Workshops über die Geschichte von 1933-1945 sowie

über die gegenwärtige jüdische Lebensweise. Veranstaltungsorte

waren Krakau, Tarnów und Nowy Sacz sowie Auschwitz-Birkenau.

Weitere Informationen.

Marianne Heinzlmeier, [email protected]

PROJEKTINFO

Ziel der MitOst-Mitgliederreise war das Kennenlernen der belorussis-

chen, litauischen und polnischen Kultur. Die Teilnehmer aus ver-

schiedenen Ländern setzten sich dabei auch mit dem Leben der

Minderheiten in den jeweiligen Staaten auseinander. Bei Gesprächen

mit Künstlern und Wissenschaftlern wurden interessante Einblicke in

den Alltag der Menschen dieser Regionen gegeben.

Weitere Informationen:

Saskia Dau, [email protected]

Saskia Dau, Psychologin

Störche, Stasi und bunte Trachten –

Reise nach Weißrussland und Litauen

Kurische Nehrung – Was ist hier verboten ?

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gebiet. Das eigene Leben, vor und nach der politischen Wende, verwebt

sich mit dem historischen Geschehen zu einer privaten Weltgeschichte,

die intime Einblicke in das Woher eines jungen Europäers gewährt. Ein

kleiner Vorgeschmack findet sich am Ende dieser Ausgabe des Magazins.

Weitere Informationen zu off-beats:

Silke Brohm, off-beats-Verein für Kulturkontakt,

[email protected]

Mehr zu den Büchern unter www.erata .de .

litauRATURen – Fortsetzung folgt

Junge litauische Lyrik in deutscher Übersetzung

Als wir im September 2002 das „off-

beats-Festival für experimentelle Kunst

aus Litauen“ mit einer Lesung

eröffneten, ahnten wir nicht, dass fast

80 Leute den Weg in den Berliner

Kunstverein ACUD finden würden, um

den deftigen „Deutsch als Fremd“-

Dialogen von Arna Aley, einer in Berlin

lebenden litauischen Dramatikerin, und

den leisen Tönen des Klaipedaer

Dichters und Musikers Gintaras Grajauskas zu lauschen. Der Erfolg der

Veranstaltung und das große Interesse an mehr Texten in deutscher

Übersetzung bestärkten uns, über den Rahmen des Festivals hinaus in

Sachen Veröffentlichung aktiv zu werden, auch wenn klar war, dass

diese bis zur kurz darauf stattfindenden Buchmesse in Frankfurt nicht

mehr zustande kommen würde.

Erfreulicherweise fanden wir in der Leipziger Edition Erata einen Partner,

der sich als kleiner Verlag nicht vor dem „Zuschusssektor“ Lyrik (und

auch nicht vor „unverständlicher“ litauischer Lyrik) scheute. In Zusammen-

arbeit mit Books from Lithuania, einer staatlichen Institution, die sich

um die Verbreitung litauischer Literatur im Ausland kümmert, konnten

zur Leipziger Buchmesse im Frühjahr 2003 zwei Bände mit litauischer

Poesie in zweisprachigen Ausgaben präsentiert werden.

Gintaras Grajauskas, von dem wir im letzten MitOst-Magazin eine

Kostprobe lesen konnten, balanciert leichtfüßig-tiefsinnig auf dem

schmalen Grat lakonischer Melancholie, ohne in trashigen Zynismus

oder ins Privat-Depressive abzugleiten. Stattdessen strahlen die Texte

Ruhe und Gelassenheit aus und überraschen immer wieder durch ihre

in feine Ironie und Klarheit gesetzte Einsicht in die Dinge. Hier hat

jemand sein Metrum auch ohne klassische Metrik gefunden.

Ganz anders Laurynas Katkus (1972 geboren), der als Vertreter einer

neuen Dichtergeneration aus Vilnius gilt. In seinen „Tauchstunden“

beschreibt er mit kraftvollen Bildern das Aufwachsen in der Sowjetunion

zwischen Indianergeheul und Panzerparade, Punkkonzert und Neubau-

Silke Brohm, 1997 Kultur- und Sprachassistentin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in Klaip •eda und Silute/Litauen, derzeit Promotion

In diesem und im letzten Jahr wurden über den MitOst-Soforthilfe-Pool Theateraufführungen im Rahmendes „off-beats-Festival für experimentelle Kunst aus Litauen“ mitfinanziert (s. MitOst-Magazin Nr. 11).Kleine Ursache – große Wirkung: aus dem Festival entstand die Idee, einen Gedichtband mit jungerlitauischer Lyrik herauszugeben. Der Gedichtband entstand ohne finanzielle Unterstützung von MitOst,aber es würde ihn ohne die Mitfinanzierung des Festivals durch den Soforthilfe-Pool kaum geben.

9MitOst Nr. 12 | November 2003

DER SOFORTHILFE-POOL

Viele Projekte müssen langfristig geplant werden. Die

Anmeldezeit dafür beträgt oft mehrere Monate oder gar Jahre. Um

jedoch spontane Aktionen besser unterstützen zu können, rief der

MitOst-Verein 2002 einen „Soforthilfe-Pool“ ins Leben. Hier

können MitOst-Mitglieder ohne komplizierte Antragsverfahren

dringend benötigtes Geld für kleinere Initiativen beantragen. Im

Jahr 2003 wurden folgende Projekte unterstützt:

Filmseminar Kino der moralischen Unruhe und der moralischen

Beunruhigung (Krakau/Polen)

Podiumsdiskussion „Frankfurt/Oder liegt an der Seidenstrasse“

(Deutschland)

Übersetzungsworkshop in Nida (Litauen)

MitOst-Salon Sprach- und Kulturbörse Berlin (Deutschland)

off-beats2 Experimentelle Kunst aus Litauen, Weißrussland und

Kaliningrad in Berlin (Deutschland)

Weitere Informationen zum Soforthilfe-Projekt:

sofor thi l fepool@mitost .de

Laurynas Katkus

Gintaras Grajauskas

Fotos: Viktor Kalinke

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Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Okno –Fenster zur russischen Kultur“ führte SwetlanaGeier, die „grande dame“ der russisch-deut-schen Kulturvermittlung, ein großes Publikumin die Welt der russischen Märchen ein. DieÜbersetzerin ließ dabei ihr ganzes Charismaspielen, das auch in ihren Literaturüberset-zungen zum Tragen kommt.

Swetlana Geier verfügt über eine enorme Präsenz im Raum. Mitihren bald achtzig Jahren geht sie zwar leicht gebückt, spricht abermit einer geistigen Energie, von der manch Dreißigjähriger träumenkönnte. Ihre hellen blauen Augen mustern jedes Gegenüber kurz;wenig später signalisiert ein kurzes Aufblitzen der Pupillen, dass siesich ein Bild von ihrem Gesprächspartner gemacht hat. SwetlanaGeier strahlt jene gütige Strenge aus, die als Grundlage jedes Charis-mas gelten darf. Ihre Menschenkenntnis hat Swetlana Geier währendeines ebenso ungewöhnlichen wie abenteuerlichen Lebens erworben.1923 wurde sie in Kiew geboren. Die eine Großmutter hatte dieprestigereichste Ausbildung absolviert, die im vorrevolutionärenRussland für Frauen überhaupt möglich war, die andere Großmutterkonnte weder lesen noch schreiben. Swetlanas Eltern boten ihreine glückliche Kindheit in der Ukraine – sofern von Glück währendder grausamen stalinistischen Kollektivierung überhaupt die Redesein konnte. Bereits in ihrer Kindheit erhielt sie von einerHauslehrerin aus Bromberg Deutschunterricht. Von ihr übernahmsie zunächst nicht nur den ostpreußischen Akzent, sondern auch

die wichtigsten Regeln des Übersetzens. „Nase hoch!“ – lautete dieDevise: Beim Übersetzen dürfe man nicht an der Reihenfolge derWörter oder am Satzbau kleben. Auch heute noch plädiert SwetlanaGeier dafür, das Ganze zu überblicken und vor diesem Hintergrundeinen Text in der anderen Sprache zu rekonstruieren – nicht sklavi-sche Nachahmung, sondern ein gültiger Ausdruck des Originals inder Zielsprache sei das Ziel einer literarischen Übersetzung.Swetlana Geier vergleicht das Übersetzen mit einer musikalischenInterpretation: „Auch ein Geiger muss den Schlussakkord kennen,bevor der den Bogen ansetzt – sonst stimmt das ganze Stück nicht.“

An einem Samstag im Jahr 1941 schloss Swetlana ihreSchulausbildung ab, am Sonntag marschierten die Deutschen inKiew ein. Die Mutter arbeitete als Köchin, Swetlana dolmetschte fürdas „Reichskommando Süd“. Dort wurde man bald auf die sprach-begabte Russin aufmerksam und bot ihr ein Stipendium in Deutsch-land an, das sie sich zuerst aber durch harte Arbeit verdienenmusste. 1943 wurde Swetlana mit ihrer Mutter in ein Ostarbeiter-lager nach Dortmund überführt, wo alle Russen als Erkennungs-zeichen eine blaue Raute tragen mussten. „Ich habe mich ge-schämt“, sagt Swetlana Geier, „– für die Deutschen. In ihrer aggres-siven Rassenpolitik war ihre große Bildungstradition völlig unterge-gangen.“ Im selben Jahr erhielt Swetlana in Berlin einen Pass fürStaatenlose und ein Alexander von Humboldt-Stipendium, mit demsie ihr Philologiestudium in Freiburg im Breisgau antrat. Dort gründetesie eine Familie, dort arbeitete sie als Russisch-Lektorin an derUniversität, und dort begann sie russische Literatur zu übersetzen.Aus Russland hatte sie zwei Jahrgänge einer exklusiven symboli-stischen Zeitschrift nach Deutschland mitgenommen und war dortauf Erzählungen von Leonid Andrejew gestoßen, die sie insDeutsche übertrug. Zunächst von Hand – allerdings erschien ihrihre Handschrift nicht fremd genug, deshalb tippte sie den Textnochmals ab und korrigierte dann die maschinengeschriebenenBlätter. Am Übersetzen interessiere sie eigentlich am meisten derVerlust, „das, was nicht geht,“ sagt Swetlana Geier noch heute –nach der Veröffentlichung von über dreißig Büchern: Sie hat Tolstojübersetzt, die Modernisten Belyj und Bulgakow, den „russischenKafka“ Platonow, die Nobelpreisträger Bunin und Solschenizynsowie das Gesamtwerk von Andrej Sinjawskij. Mit ihrem jüngsten

PROJEKTE 2003

MitOst Nr. 12 | November 200310

Ulrich Schmid, Professor für Slawistik in Bern

Foto: Sabine Witt

Nase hochbeim Übersetzen

Die Organisatorin Arina Kowner (li.) stellt Swetlana Geier (re.) vor

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Projekt hat sie ihren eminenten Rang in der russisch-deutschenKulturvermittlung auf beeindruckende Weise bestätigt. Seit 1990 über-setzt Swetlana Geier die großen Romane von Dostojewski neu – indiesem Herbst erscheinen die „Brüder Karamasow“. In ihren Textengelingt es Swetlana Geier, die harte Fügung von DostojewskijsSprache in ihrer ganzen Widerborstigkeit im Deutschen fühlbar zumachen. Die Arbeit der Übersetzerin ist aber immer eine Arbeit imHintergrund. Swetlana Geier vergleicht ihre Kunst mit der Praxismittelalterlicher Steinmetze, die an einem grandiosen Bau heimlichVerzierungen anbrachten. Dasselbe gelte für den übersetzen Text:„Man sitzt und weiß: Niemand wird es sehen, nicht einmal der Lektor.“

Der Artikel wurde in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht.

„okno – Fenster zur russischen Kultur“ ist eine Veranstaltungsreihe,

die in verschiedenste Facetten russischer Kultur Einblick geben soll.

Okno schließt eine Lücke in der kulturellen Landschaft der Schweiz.

Seit der ersten Veranstaltung finden sich jeweils 80 bis 100 Gäste zu

den einmal monatlich stattfindenden Veranstaltungen ein. An einigen

beteiligt sich Sabine Witt für MitOst. Das Projekt wird in Zusammen-

arbeit mit dem „Arina Kowner KulturAtelier“ durchgeführt. Die erste Okno-

Veranstaltung gab es im Mai 2002 mit einer Lesung von W. Kuprijanow.

Weitere MitOst-Veranstaltungen bei Okno waren:

06.10.2002

Literatur zwischen Staatskultur und Verschwörungstheorien

Podiumsrunde über das Verhältnis zwischen Literatur und Macht in

Russland u.a. anhand des Romans „Der himmelblaue Speck“ von W.

Sorokin. Teilnehmer: Michail Berg (Literaturkritiker und Schriftsteller,

St. Petersburg), Schamma Schahadat (Slawistin, Universität

Konstanz), Ulrich M. Schmid (Slawist, Universität Basel) und

Dorothea Trottenberg (Slawistin und Übersetzerin).

26.01.2003

Anna Achmatowa – Alexander Lokschin. Literarisch-musikalische

Anspielungen

Der von der Dichterin Anna Achmatowa in den Jahren 1935–1940

geschaffene Gedichtzyklus „Requiem“ wurde von Alexander Lokschin

in seinem Opus „Mater Dolorosa“ vertont. Der Klavierauszug wurde

interpretiert durch den Pianisten Boris Chnaider (St. Petersburg/

Basel) und die Sängerin Tatjana Polt Lutzenko (Kiew/Basel). Die

Schauspielerin Lilly Friedrich las den Gedichtzyklus auf Deutsch.

23.02.2003

Felix Philipp Ingold und sein Russland

In einer Diskussion mit dem Slawisten Ulrich M. Schmid sprach Felix

Philipp Ingold über seine Leidenschaft für Russland und die Bedeutung

der russischen Literatur für sein eigenes Schaffen. Er zeigte verschie-

dene Facetten seiner Übersetzertätigkeit an Gedichten von O. Mandel-

stam, M. Zwetajewa, G. Ajgi und las aus seinen neuesten Gedichtbänden.

13.04.2003

Swetlana Geier und das russische Märchen

Siehe Text

25.05.2003

Russisches Kulturschaffen in der Emigration. Literarisch-

musikalische Anspielungen

Der in Leningrad geborene, seit 1993 als freier Schriftsteller und

Übersetzer in Salzburg lebende Schriftsteller Wladimir Wertlib las

deutsch und russisch aus seinen Werken. Alex Schlesinger, Romanist,

führte mit Wertlib ein Gespräch über Emigration.

28.09.2003

Traktat über Engel

Vera Zubarewa (Odessa/Philadelphia) las mit ihrer Übersetzerin

Kirstin Breitenfellner (Wien) aus ihrem neuen Buch „Traktat über Engel“.

Die letzten beiden MitOst-Oknos fanden im Oktober (Lesung mit

Wladimir Makanin „Underground oder Ein Held unserer Zeit“) und

November 2003 statt (Inszenierte Lesung aus den unveröffentlichten

Notizen und Tagebüchern von Wenedikt Jerofejew).

Weitere Informationen: www.kulturatel ier.com 11MitOst Nr. 12 | November 2003

Unterstützen Sie uns!MitOst ist ein gemeinnütziger Verein, der sich ausFördergeldern, Mitgliedsbeiträgen und Spendenfinanziert. Die MitOst-Erfolgsgeschichte lebt vom ehren-amtlichen Engagement der über 900 Mitglieder inmehr als 20 Ländern.

MitOst wächst – und damit auch die Zahl der zukunfts-weisenden Projektideen. Mit Ihrer Hilfe wollen wirmöglichst viele dieser wertvollen Initiativen in die Tatumsetzen. Ihre Spende ermöglicht, dass junge Men-schen von Köln bis Kaliningrad, von Novi Sad bis Novo-sibirsk auch weiterhin kleine und große Brücken zwischenOst und West bauen können.

Was wird durch Ihre Spende möglich?MitOst-Projekte überschreiten politische und kulturelleGrenzen. Sie leisten Basisarbeit, verbinden Menschenund Regionen, stiften tragfähige Beziehungen zwischenalten und neuen Nachbarn. Nähere Informationen zu denProjekten erhalten Sie auf den vorhergehenden Seiten desMitOst-Magazins. Im Internet (www.mitost.de) gibt esaußerdem ausführliche Dokumentationen unserer ehren-amtlichen Kultur- und Begegnungsarbeit seit 1997. MitIhren Fragen und Anregungen können Sie sich auchgern telefonisch oder per E-Mail an uns wenden.

Jede Spende trägt zum Gelingen eines MitOst-Projekts bei!Projektkonto: MitOst e.V., Deutsche Bank Berlin, BLZ 100 700 24,Konto-Nr. 101 50 15 00, Stichwort „Projektspende“

Ihre Unterstützung kommt zu hundert Prozent denProjekten zugute, kein Cent bleibt in der Verwaltunghängen. Selbstverständlich übersenden wir Ihnen eineZuwendungsbestätigung zur Vorlage beim Finanzamt.Geben Sie dazu bitte auf der Überweisung IhreAnschrift an. Auf Wunsch schicken wir Ihnen gerneeinen vorbereiteten Überweisungsträger zu.

MitOst e.V. GeschäftsstelleAnne StalfortSchillerstr. 5710627 BerlinTel.: 030-31 51 74 70geschaeftsstel le@mitost .de

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MITOST INTERNA

nzeige

In Pécs treffen sich viele von Euch, neue Bekanntschaften ent-stehen. Unser Zusam-menkommen bietet Gelegenheit, das Er-reichte im Auge behaltend nach vorne zu blicken: MitOst hatsich in den vergangenen zwei Jahren bedeutend weiterentwik-kelt, aber dennoch stehen wir vor großen Aufgaben: Ziele müs-sen konkretisiert, neue Finanzierungsmöglichkeiten diskutiertund das Sinnvolle und Machbare umgesetzt werden.

Das Festival in Ungarn macht erneut auf eindrucksvolle Weisedeutlich, worin das Besondere und Lebendige von MitOst liegt,denn die Vorbereitung und Organisation war nur mit Hilfe der

MitOstler vor Ort möglich, denen wir an dieser Stelle nochmalsganz herzlich für ihr Engagement danken möchten.Wir sind überzeugt, MitOst wird in Pécs zu einer Brücke zwi-schen Menschen aus Ost und West. Damit möchten wir unse-ren bescheidenen Anteil zur Verständigung zwischen denKulturen, Regionen und Ländern beitragen.

Euer MitOst-Vorstand

wieder geht ein MitOst-Jahr zu Ende – oderbesser gesagt, beginnt ein neues! EtwasNeues ist auch das MitOst-Festival inPécs/Ungarn, das eine Woche lang (No-vember 2003) ein riesiges Angebot fürOsteuropa-Interessierte und Vereinsmit-glieder bereithält.

Gereon Schuch, 1. Vorsitzender im Jahr 2003 (1. von links)

Liebe MitOstler,

Foto: Anne Stalfort

Der MitOst-Vorstand 2003

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Weitere Informationen:astr id .s [email protected]

13MitOst Nr. 12 | November 2003

Fährtensucherin zwischen West und Ost

Seit dem 1. August 2003 leite ich das Pro-gramm „Junge Wege in Europa“ der RobertBosch Stiftung, das jetzt in Trägerschaft desMitOst e.V. geführt wird.

Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft,dem anschließenden Referendariat für das Lehramt anGymnasien und einer zweijährigen Tätigkeit im Institut fürAuslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart begleite ich dasProgramm auf seinem Weg von der Schwabenstadt nach Berlin.

Räumlich gesehen nähere ich mich meiner Arbeit auch nochaus einer zweiten Richtung: Geboren in Rumänien, kann ich aufdie Frage nach meinen Osteuropa-Erfahrungen spontan mit „14Jahre Rumänien!“ antworten. Die Verbindung nach Osteuropahielt ich inhaltlich während meines Studiums und bei derTätigkeit im ifa aufrecht – hier war ich für das Kultur- undMedienassistenzprogramm sowie das Kulturmanagerprogrammder Robert Bosch Stiftung zuständig.

Dass sich diese persönliche Ost-West-Verbindung auch imProgramm „Junge Wege in Europa“ und nicht zuletzt auch inder Stadt Berlin widerspiegelt, finde ich besonders spannend.Ich freue mich auf zahlreiche Wegbegleiter und lade alle herz-lich ein, das Programm mit frischen Projektideen und wertvol-len Kontakten zu bereichern!

Astrid Stefani

„Junge Wege in Europa“ haben neueProgrammleitung

Sieht man sich die Karte Europas genaueran, so sind darauf zahlreiche junge Fuß-spuren zu erkennen, die emsig von Ostnach West, von St. Petersburg nach Lüne-burg, von Plovdiv nach Landsberg führen.Spuren, die so zahlreich und mit sicheremTritt gezogen wurden, dass daraus Wegeentstanden sind: Junge Wege in Europa.

Im Programm „Junge Wege in Europa“ fördert die Robert BoschStiftung seit 1998 gemeinsame Projekte von Schüler- undJugend-gruppen aus Deutschland und Mittel- und Osteuropa.Die Teilnehmer können sich mit spannenden Themen beschäfti-gen sowie interessante Leute und neue Orte kennen lernen.

„Junge Wege in Europa“ will die junge Generation bei derGestaltung des gemeinsamen Europa unterstützen, indem esüber die Projektförderung jungen Menschen die Möglichkeitbietet, ihre Ideen, Interessen und Zukunftserwartungen inPartnerschaften zwischen Ost und West einzubringen.

Seit dem 1. August 2003 führen die „Jungen Wege“ auch ver-stärkt nach Berlin: Von hier aus wird das Programm jetzt inTrägerschaft des MitOst e.V. geleitet. Wer mitwirken will, dieVerbindungen zwischen Deutschland und seinen Nachbarn inMittel- und Osteuropa zu verstärken und zu vertiefen, kann sichseit Oktober 2003 für das Programm bewerben.

Ausschreibungen 2003/2004Der Förderwettbewerb wird zweimal jährlich im Herbst und imFrühjahr ausgeschrieben. Bewerben können sich Schüler- undJugendgruppen im Alter von 13-21 Jahren aus Deutschlandund Mittel- und Osteuropa, die zusammen ein Projekt durch-führen möchten. Der gemeinsam ausgearbeitete Projektplankann bis zum 15. Dezember 2003 eingereicht werden. EndeMärz 2004 werden die Einsender der besten Vorschläge zueiner Beratung eingeladen. Dort können Schüler undJugendliche aus Ost und West ihre Pläne weiterentwickelnsowie Unterstützung für ihre Vorhaben finden. Die Projekte derAusschreibung im Dezember 2003 sollen vom 1. Mai 2004 bis zum30. April 2005 stattfinden. www.jungewege.de

Junge Wege in Europa, jungeWege in Berlin

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Albanien 491Armenien 353Aserbaidschan 257Bosnien-Herzegowina 2.206Bulgarien 9.897Estland 617Georgien 2.551Kasachstan 759Kirgistan 289Kroatien 4.730Lettland 839Litauen 1.465Mazedonien 660Moldawien 464Polen 12.601Rumänien 3.449Russische Föderation 9.601Serbien und Montenegro 3.310Slowakei 1.481Slowenien 561Tadschikistan 40Tschechien 2.243Ukraine 6.071Ungarn 3.129Usbekistan 402Weißrussland 1.327

Lehrerfahrung 64 43,54 %Kennenlernen von MOE-Ländern 44 29,93 %Erleben anderer Kulturen 41 27,89 %Selbstständigkeit 39 26,53 %Persönliche Erfahrungen und menschliche Beziehungen 32 21,77 %Sprach- und Landeskenntnisse verbessert 28 19,05 %Berufliche Bestätigung und Orientierung 25 17 %Freundschaften und Erlebnisse 20 3,6 %Arbeiten im Ausland 16 10,88 %Gesellschaftliche Konflikte 15 10,2 %Außenperspektive auf Deutschland 15 10,2 %Sonstiges 13 8,84 %Konfliktbewältigung 9 6,12 %Politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen 8 5,44 %Eigene Grenzen kennenlernen 8 5,44 %Organisation und Kreativität 6 4,08 %Völkerverständigung 6 4,08 %Historischer Hintergrund 6 4,08 %Freiheit 5 3,4 %Horizonterweiterung 5 3,4 %Zusammen- und Projektarbeit 4 2,72 %Aufbau eines Netzwerkes 3 2,04 %Selbstdisziplin und Kompromissfähigkeit 3 2,04 %

AUSLANDSAUFENTHALT

Ein paar Zahlen vorab

Interesse an Mittel- und Osteuropa 91 60,26 %Sammeln von Lehrerfahrung 76 50,33 %Interesse an einem Auslandsjahr 69 45,69 %Interesse am Gastland 61 40,4 %Verbesserung bzw. Erwerb von Sprachkenntnissen 53 35,1 %Verbesserung der beruflichen Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt 35 23,18 %Aus persönlichen Gründen 21 13,91 %Vorbereitung auf ein DAAD-Lektorat 12 7,95 %Fortsetzung des Promotionsvorhabens unter gesicherten finanziellen Bedingungen 11 7,28 %Keine andere berufliche Alternative nach Abschluss des Studiums 11 7,28 %Sonstiges: (z.B. Transformation in MOE) 11 7,28 %

Dorothea Leonhardt, Marketing-Managerin, München, Arndt Lorenz, Journalist, Dresden/Aachen

1 Statistisches Bundesamt: Ausländische Studierende und Studienanfänger/innen nach Hochschularten und Herkunftsland, Wintersemester 2002/2003

2 Bundesministerium für Bildung und Forschung: Statistischer Überblick 1991 bis 2000, Deutsche Studierende im Ausland

3 Auswertung des Evaluierungsbogens: Weiterführende Fragen zur Lektoratszeit und zum Berufseinstieg, Robert Bosch Stiftung, 2001

Wer hält sich wann, wo auf? Das haben wir uns bei der Vorbereitung auf das Schwerpunkthema "Auslandsaufenthalt" gefragt.Zahlen des Statistischen Bundesamts und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) geben darauf einigeHinweise. Zum Einstieg also ein bisschen Statistik. Die Zahlen beziehen sich in erster Linie auf Studenten. Wer, wo, warumwar und wie es wem, wo gefallen hat – darüber finden Sie dann mehr in den Artikeln auf den nachfolgenden Seiten.

In Deutschland haben im Wintersemester 2002/2003 insgesamt 227.026 Ausländer studiert, davon:1

Aus welchen Gründen haben Sie sich dazu entschlossen, dasLektorat anzutreten? Bitte nennen Sie die drei wichtigsten Gründe. (151 ausgewertete Antworten)

Warum ins Ausland gehen?

Einen kleinen Einblick bieten zwei Zitate aus der Auswertung der Ver-bleibstudie der Robert Bosch Stiftung über ehemalige Boschlektoren 2:

Was waren für Sie die drei wichtigsten Erfahrungen IhrerLektoratszeit? (147 ausgewertete Antworten)

Auch immer mehr deutsche Studenten gehen ins Ausland2. 1980 kamenauf 1.000 Studierende in Deutschland 18, die sich ins Ausland wagten,im Jahr 2000 waren es mit 31 fast doppelt so viel, insgesamt etwa50.000. Das Studieren in Osteuropa jedoch bleibt exotisch: Die meistenStudenten, nämlich 73 Prozent (Angaben für das Jahr 2000), gehen indie USA, nach Großbritannien, Österreich, Frankreich und die Schweiz.Im östlichen Nachbarland Polen wurden bis 1994 gar keine deutschenStudenten gezählt, ab 1995 sind es immerhin rund 150. Ein ungewöhn-lich beliebtes Land ist Ungarn. Aufgrund des Numerus Clausus fürMedizin in Deutschland gehen viele Studenten dieser Studienfächerzunächst nach Ungarn, wo an manchen Unis sogar eigene deutschspra-chige Kurse eingerichtet wurden.

Überhaupt sprechen die Zahlen des DAAD eine deutliche Sprache: Nurknapp über 2.000 Deutsche gingen im Jahr 2001 nach Mittel- und Osteuropafür ein Studium. Am unattraktivsten war Moldawien. Dort war imSommersemester 2001 kein einziger deutscher Student. In der Gegen-richtung förderte der DAAD fast 10.000 Osteuropäer für ein Studium inDeutschland. Spitzenreiter unter den deutschen DAAD-Stipendiaten warRussland mit knapp 800 Geförderten im Jahr 2001.

Die Zahlen zeigen: Der Trend geht nach wie vor von Osten nach Westen.Insofern hat hier die Robert Bosch Stiftung, die für ihre Lektoren- undTutorenprogramme und Projekte einen starken Schwerpunkt auf die MOE-Länder setzt, eine Ausnahmestellung. Gleiches gilt für MitOst mit seinenosteuropabegeisterten Mitgliedern. Ob sich der Trend in Zukunft ändernwird, wird sich zeigen – vielleicht kann MitOst einen kleinen Beitrag leisten.

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Heike Mall, 2000-2003 Boschlektorin in Irkutsk/Russland

15MitOst Nr. 12 | November 2003

THEMA

„Papa, wann fangen sieendlich an, die Rutschezu bauen?“ fragt Juljaund stapft mit ihrenFilzstiefeln durch denfrisch gefallenen Schneeauf der Uliza KarlaMarksa. „Wenn das Eisauf dem Fluss dick ge-nug ist.“ antwortet Ro-ger. Roger ist mein Mann.Und er unterhält sich mitunserer älteren Tochterüber die 10 Meter langeEisrutschbahn, die jedesJahr an Silvester feier-lich eröffnet wird. Aufdiesen Moment wartetJulja sehnsüchtig.

Bis dahin dauert es nocheine Weile. Es ist November.Das Semester an der Uni istin vollem Gange und ich binfroh, dass bis Neujahr mit der

Prüfungszeit noch eine Zeit hin ist. Meine Studenten auch. Siestudieren in Irkutsk an der Staatlichen Uni, an der ich Boschlektorinbin. Inzwischen schon im dritten Jahr. Dass wir so lange bleibenwürden, war uns nicht klar, als wir kurz nach der Geburt unsererjüngeren Tochter Jette unsere Wohnung ausgeräumt und Julja erklärthatten: „Wir fahren nach Russland. Das ist gaaanz weit weg. So weit,dass man mit dem Zug fünf Tage fahren müsste.“

Roger, bis dahin Altenpfleger, nahm Erziehungsurlaub und stürztesich ins Abenteuer: Hausmann in Sibirien mit einem Säugling undeinem Kindergartenkind. Schon im Oktober, nach wenigen Wochensonnigen Herbstwetters, fiel der erste Schnee. Zeit, sich mitWinterkleidern zu beschäftigen. Was zieht man den Kindern hieran? Irgendwie überleben die sibirischen Kinder den Winter ja auch.„Also“, meinten die anderen Eltern im Kindergarten, „zu Anfangreicht noch ein dicker Schneeanzug und Winterstiefel. Aber dannmuss schon eine Felljacke her. Und natürlich Walenki, Filzstiefel.“„Filzstiefel?“ „Klar, das ist das Beste bei minus 30°C. Ihr werdetschon sehen.“ Der Winter kam. Und wir sahen: Schnee, Eis, Rauhreifund viel, viel Sonne! Nie hätten wir uns das so schön vorgestellt.Die Kinder sahen in erster Linie Rutschbahnen. Überall. Aus Eis, ausSchnee oder aus einfachen, mit Wasser begossenen Brettern. Inzwischen haben wir auch einige Sommer hier erlebt. Sie dauerngenau drei Monate, sind kurz, aber dafür sehr intensiv. Meistens

packt Roger Ende Juni mich, die Kinder und die Rucksäcke und wirfahren Zelten. Er findet, das hat er sich dann verdient. Nach einemJahr Einkaufen, Putzen, Kochen und Kinder abholen, ganz zuschweigen von Extra-Widrigkeiten wie Behörden, Handwerkern,Geldwechseln, abgestelltem Wasser und Überraschungsbesuchen –der russische Alltag ist nicht ohne. Aber es ist wohl so, dass man mitden Aufgaben wächst, die sich einem stellen. Und eine Tatsache ist,dass ich Roger nie überreden musste, wenn sich mal wieder dieFrage stellte, ob wir verlängern.

„Warum nur?“ fragen viele Freunde aus Deutschland. „Was ist es,was euch dort hält, in diesem Plattenbau, in dieser furchtbar ver-smogten Stadtluft, bei dem Gehalt und den Flugpreisen?“ Vielleichtweil die Kinder nicht wissen, was Teletubbies sind, vielleicht weil

sie Seen kennen, aus denen man einfach so trinken kann, weil sieRussisch sprechen und wissen, wie man einen Ofen heizt. Vielleichtweil wir merken, dass wir als Muttersprachler an Unis und Schulenhier so richtig gebraucht werden. Oder vielleicht der etwas geruh-samere Lebensrhythmus und die Gesellschaft, die – all die Widrig-keiten in Betracht ziehend – doch viel nachsichtiger ist gegenüberder Unvollkommenheit des Einzelnen. Russland ist, so absurd dasklingen mag, oft ein sehr menschliches Land.Und natürlich ist es die Faszination, so ganz in eine fremde,bisweilen sehr fremde Kultur einzutauchen und dabei so ganznebenbei sehr viel über die eigene zu erfahren.

Filzstiefel und Sommerfrische

Burjate mit Pelzmütze

Kleine Burjaten

Foto: Roger Just

Fotos: Kamila Nevludova

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MitOst Nr. 12 | November 200316

Karen Oßmann, 1994-1995 Boschlektorin in Banská-Bystrica/Slowakei und von 1995-1998 DAAD-Lektorin in Bratislava/Slowakei, Referentin

Personalentwicklung, Robert Bosch GmbH

Von der Kunst, sich zwischen den Kulturen zu bewegen ...

…und von den Schwierigkeitendes Anpassungsprozesses. Wie sich ein Auslandsaufenthaltam besten meistern lässt.

Wenn man für längere Zeit ins Ausland geht, um dort zuleben und zu arbeiten, begibt man sich in eine fremde,nur zum Teil überschaubare Umwelt: Nicht nur das Essenschmeckt ungewohnt, es gibt auch andere Gesellschafts-strukturen, neue Regeln (wer darf wann was), unge-wohnte Riten (Begrüßung, Konfliktbewältigung) undWerte. Häufen sich Situationen, in denen der Rückgriffauf das eigene Kulturwissen nicht weiterhilft, löst diesStress aus. Dieser Stress wird auch als Kulturschockbezeichnet.

Der Kulturschock lässt sich beschreiben als Verlust vonOrientierungsklarheit und Verhaltensangemessenheit.1

Während beide sich im Heimatland auf einem konstan-ten, relativ hohen Niveau befinden – man ist zuversicht-lich, normgemäß zu handeln und die Rückmeldungenaus der Umwelt bestätigen das – kann es im Ausland zueiner drastischen Veränderung kommen.

Die Symptome des Kulturschocks können relativ harmlossein: Heimweh Gefühle von Hilflosigkeit und Rückzug, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, ständiges Schlafbedürfnis Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit

Sie können aber auch von gravierenderer Natur sein: große Besorgnis um Sauberkeit und Gesundheit Angst davor, überfallen, ausgeraubt, betrogen zu werden Angst und Paranoia

In jedem Fall desorientieren Kulturschocksymptome undverhindern zunächst die effektive Kontaktaufnahme vor Ortund damit die Anpassung an die neue Umwelt.

Die Phasen eines AuslandsaufenthaltsDie erste Phase ist gekennzeichnet durch das erwartungs-volle Vorbereiten des Auslandsaufenthalts, durch Vorfreudegepaart mit Befürchtungen, ob man die neue Aufgabe auchwirklich bewältigen wird. Die zweite Phase, der sogenannte„Honeymoon“, kann ein paar Wochen bis sechs Monatedauern und ist geprägt durch vorwiegend euphorischeGefühle: Alles ist neu und aufregend und erscheint wunder-voll, die Leute sind nett, viel offener und herzlicher als zuHause, das Essen schmeckt toll. Ganz anders dann die drit-te Phase, in der der Kulturschock oder die „Depression“ ein-setzt: Alles wird als schrecklich empfunden, Enttäuschungmacht sich breit, Ungeduld und Frustration kommen dazu:Die sprachliche Verständigung klappt doch nicht so gut wieerwartet, Einkaufen ist schwierig, die öffentlichen Verkehrs-mittel sind eine einzige Katastrophe, das Essen schlägt aufden Magen, die Umwelt interessiert sich nicht für die eige-nen Probleme. Diese Phase der „Depression“ kann zwi-schen ein paar Wochen und mehreren Monaten dauern undunterschiedlich stark sein, abhängig von der Euphorie desHoneymoon und der Vorbereitungsphase vorher.

AUSLANDSAUFENTHALT

Foto: Natalija Pintschuk

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Wie kommt man aus dieser Phase wieder heraus? Para-doxerweise, in dem man sie wahrnimmt, bewusst durchlebtund akzeptiert. Für die Anpassung an das Neue ist die Wahr-nehmung der Unter-schiede und der eigenen Prägungenunabdingbar. Menschen, die mit dem Motto leben „Ichkomme überall zurecht.“, sind oft gar nicht in der Lage, sich aufNeues einzulassen. So zeigen neuere Studien aus den USA,dass Auslandsaufenthalte keinesfalls automatisch die inter-kulturelle Kompetenz steigern.2

Auch die Überanpassung („go native“) ist kein Königsweg:Sie verhindert die Auseinandersetzung mit Unterschiedenund erhöht nicht gerade die Akzeptanz der Umwelt: Hippiesin Indianerkleidung werden keinesfalls von den Indios alsihresgleichen akzeptiert ... Erfolgversprechender sind dreiandere Wege3: Die neue, fremde Kultur nicht wertend be-trachten, sondern mit offenen Augen und Ohren versuchenzu erfassen, wie die Menschen „ticken“ – das führt zu einemtieferen Verständnis der Kultur. Etwas für sich tun, das Spaßmacht (Sport, Kochen, Musik, Tanzen gehen, Lesen,Wandern ...) und Stress reduziert (Meditieren, Tagebuchoder Briefe schreiben, mit zu Hause telefonieren ...) – dasbringt Selbstvertrauen und innere Ruhe.Sich um die anderen kümmern: Beziehungen zu Kollegenund Bekannten ausbauen und aktiv auf andere Menschenzugehen – das schafft ein Netzwerk vor Ort, das einen beider nächsten Krise auffangen kann.

Wenn der Kulturschock schließlich (vorläufig) überwundenist, beginnt die vierte Phase, die Anpassung: Man genießtdie Akzeptanz der Umwelt, weil das eigene Verhalten ange-messen erscheint, man hat für sich selbst Orientierungs-klarheit gewonnen, das Verständnis für die jeweilige Kulturist gewachsen, es ist zu einem Ausgleich der positiven undnegativen Eindrücke gekommen.

1 vgl. Grove und Torbiörn, zitiert in:

Günther K. Stahl, Internationaler Einsatz

von Führungskräften, München 1998

2 vgl.: Andrea Graf:

Trugschluss Auslandserfahrung. In:

management & training 3/2003: 19-21

3 Marc Mendenhall / Gary Oddou:

The Dimensions of Expatriate

Acculturation. In: Academy of

Management Review, 1985:10, 1: 39-47

4 Black, J.S / M. Mendenhall:

The U-curve adjustment hypothesis revisi-

ted: A review and theorectical

Frameweork. In: Journal of International

Business Studies, Vol. 22, 1991: 225-247

17MitOst Nr. 12 | November 2003

AUSLANDSAUFENTHALT

Degree of Adjustment

7,0

6,5

6,0

5,5

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

Culture Shock

Honeymoon

Adjustment

Mastery

Time in Month

0-2 3-4 4-6 6-9 10-12 13-24 25-36 36-48 49+

Der Prozess der Anpassung wird oft in einem U-Kurven-Modell dargestellt:4

Aber nichts währt ewig: Die Anpassung vollzieht sich als einProzess, der auch nach Jahren noch nicht komplett abge-schlossen ist – und dementsprechend können Kulturschock-phänomene immer wieder auftreten, dargestellt ist.Allerdings werden sie weniger bedrohlich wahrgenommenund führen zu einem immer tieferen Verständnis der eige-nen und der anderen Kultur.

Übrigens: Auch bei der Rückkehr nach Hause kann es zueinem Rückkehrerschock kommen, der umso intensiver ist,als er unerwartet auftritt, schließlich kennt man doch dieHeimat. Aber immer wieder berichten Rückkehrer, dass sienach der ersten Wiedersehensfreude frustriert waren, weil:

ihre Auslandserfahrungen nicht gebraucht werden sie selbst sich verändert hatten, die Daheimgebliebenen

aber scheinbar kaum Kontakte abgebrochen sind und es schwerer fiel als

erwartet, diese wieder anzuknüpfen.

Aber ein Trost zum Schluss: Die Vorbereitung der Rückkehrbeginnt mit der Ausreise: Wer Kontakte hält und sich regel-mäßig austauscht, fühlt sich später weniger „abgehängt“!

LESETIPP:

Storti, Craig: The Art of Crossing

Cultures. Yarmouth, Intercultural

Press, 1990.

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Eine Prüfung allerdings lag vor mir: mich mit Deutschland wiederanzufreunden. Dinge wieder zu entdecken, die einst auch für michselbstverständlich gewesen waren: mit Messer und Gabel essen,zur Begrüßung die Hand reichen. Ersteres hatte ich mir abgewöhnt,weil kasachische Speisen gabel- bzw. löffelgerecht serviert werden,letzteres stand in Kasachstan nur den Männern zu.

Jetzt war ich wieder in dem Land, in dem Öffnungszeiten eingehal-ten werden, in dem man Gartenhecken mit dem Winkelmesser aus-richtet, sich an Warteschlangen hinten anstellt und dazu neigt, denNachbarn zu verklagen. Ich war nach 9 Monaten zurückgekommenund hatte den Eindruck, die Zeit sei ohne mich weitergelaufen unddoch auch stehen geblieben. Irgendwie hatte sich nichts verändert.Meine Sicht auf Deutschland allerdings schon und auch meine Sichtauf mich selbst. Sicher kam auch die Tatsache dazu, dass ich inDeutschland plötzlich wieder eine von vielen war, nicht mehr denExoten-Status inne hatte. Das Leben war wieder alltäglich, unddarauf war ich nicht vorbereitet.

Inzwischen bin ich schon zum dritten Mal von einem längerenAuslandsaufenthalt zurückgekehrt. Die Ankunft verlief ohneZwischenfälle. Vielleicht war ich etwas stiller, weil ich ein paarMinuten brauchte, um die Gedanken, Gefühle und Länder zu ord-nen, aber ich wollte nicht sofort wieder ins Flugzeug steigen, umzurückzufliegen.

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MitOst Nr. 12 | November 200318

Harte Landung in Deutschland

Silke Erdmann, n-ost Korrespondentin, seit 1999 verschiedene

Stipendien in Kasachstan und Mittelosteuropa, Boschlektorin in

Charkow/Ukraine seit 2003

Fotos: Darius Polok

Auf die Frage des Frankfurter Zollbeamten, wieviele Zigaretten ich mitgebracht hatte, reagierte ichübermäßig gereizt. Und das lag nicht daran, dass ermich für eine russische Zigarettenschmugglerinhielt. Es war das erste Anzeichen eines nicht er-warteten Problems in Deutschland: Heimkehrer-frust. Ich wurde vom Flughafen abgeholt und be-grüßte die Menschen, die mich erwarteten, mit denWorten: „Ich will zurück.“

Nach neun Monaten Leben und Arbeiten in Kasachstan kam ich inmeiner Heimat an und litt plötzlich unter allem. Die Sprache, dieOrdnung, die Pünktlichkeit, die Sauberkeit – all die so genannten„deutschen Tugenden“ waren mir einfach nur unangenehm. MeinEinkaufsbummel in der Heidelberger Fußgängerzone dauerte ganzezwei Minuten, denn nach nur 100 Metern glaubte ich, die miese-petrigen Gesichter und die durch unsichtbares Gesetz geregelteLaufrichtung nicht ertragen zu können. Ich fuhr zurück in mein Zim-merchen und legte eine russische CD auf. Dann ging es mir besser.

Mein Freundeskreis wusste nichts Rechtes mit mir anzufangen – ichwar schlecht gelaunt und von all dem genervt, was für meine Freunde ihr geliebter Alltag war. Sie behandelten mich meist wieein rohes Ei. Nur eine Person schrie mich regelrecht an und ichhatte es verdient. Sie hatten sich auf mich gefreut. Ich hatte michauch gefreut, doch davon merkte man nichts.

Sie erzählten mir von Dozenten, von Seminaren, von Prüfungen. Icherzählte von Kasachstan. Ein anderes Thema hatte und fand ichnicht. Der letzte schrullige Dozent und das letzte langweilige Semi-nar lagen Ewigkeiten zurück.

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„Finde ich toll, dass du so wasmachst, ich könnte das nicht.“sagt eine Freundin, die selber mit16 für ein Jahr in die USA gegan-gen ist. „Dass du dir das zu-traust“, wundert sich eineandere, die selber mit ihrem Mann

von Kiel in einen kleinen Ort in Bayern gezogen ist,ohne eine Menschenseele im Umkreis von 500 kmzu kennen.

Ist es schwer, ins Ausland zu gehen? Alle fragen, warum ausgerech-

net nach Minsk, aber keiner fragt, warum ausgerechnet ins Ausland?

Der Auslandsaufenthalt im Lebenslauf, die Sprachkenntnisse und die

landeskundliche Kompetenz, wie es in der Broschüre für die

Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung steht … alles gute

Gründe. Aber ist das die ganze Wahrheit, für uns, fertig ausgebildet,

oft in einer mehr oder weniger festen Beziehung und alt genug, um

ins geordnete Berufs- und Familienleben durchzustarten und die eine

oder andere Karriere anzupeilen?

Sind wir vielleicht auf der Flucht vor der Ernsthaftigkeit? Vor geregel-

ten Arbeitszeiten, einem festen Job, vor Hierarchien und Bewerbun-

gen um einen konkreten Arbeitsplatz mit direkter Konkurrenz und

viel Verantwortung? Auf der Flucht vor Bindung und der Festlegung,

wo wir mit wem wie leben wollen. Woran wollen wir inhaltlich arbei-

ten, im Büro oder draußen, angestellt oder freiberuflich? Oder sind

wir doch nur auf der Flucht vor dem mangelnden Arbeitsplatzangebot

in Deutschland? Auf der Flucht vor uns selbst, ein Weglaufen vor

unserer Identität, auf der Suche nach etwas, das uns weiterbringt in

einem Leben, das später als Patchworklebenslauf bezeichnet wird.

Fragen, die in den schicken Cafés von Vilnius oder bei Regen im Zelt

am Baikal diskutiert und in tetradi1 notiert werden. Später wieder auf-

gegriffen. Antworten wird es selten geben.

19MitOst Nr. 12 | November 2003

AUSLANDSAUFENTHALT

Ausland ist immer auch einbisschen „Rausland“

Ina Werner, seit 2002 Fachlektorin in Minsk

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Krakau

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Foto: Andreas Metz

Fotos: Robert Teschner

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Foto: Sören Urbansky

Liebe Carolin, nun jährt sich deine Abreise nach Moskau an dieStaatliche Universität für Management zum erstenMal. Ich weiß noch, wie nervös, voller Unsicherheit,aber gleichzeitig auch voller Neugier du die Tagevor dem Abflug warst. Heute bin ich um ein JahrAuslandserfahrung reicher. Die Carolin, die ich heutebin, könnte dir, der Carolin von vor einem Jahr,Vieles erzählen und viele Zweifel zerstreuen!

Die Zeit vor deiner Abreise bestand für dich eigentlich nur ausStress: Du warst mit Prüfungen, Wohnungsauflösung, Vorstel-lungsgesprächen und mit Visumproblemen konfrontiert unddiskutiertest mit deinem Freund, wie eure Beziehung aufrecht-erhalten werden kann – und zu allem Übel bist du vor der Ab-reise auch noch krank geworden. Du hattest die Nase so voll, dassdu dir geschworen hast, dich selbst nie wieder so unter Druckzu setzen. Aber glaub mir, es hat sich in diesem Fall gelohnt!

Carolin an Carolin –Du wirst es nie bereuen!

Ein Jahr in Moskau.

Carolin Schilling, Boschlektorin 1999/2000 in Moskau/Russland

Highlife oder liebergut behütet?

Die Entscheidung zwischen Wohnheim

oder Gastfamilie fällt oft schwer.

Oksana Vovk, Moskau, International Sales Manager für PC-Spiele

AUSLANDSAUFENTHALT

MitOst Nr. 12 | November 200320

Viele Bedenken gingen dir vor der Abreise durch den Kopf. Zu-nächst möchte ich dich wegen deiner Befürchtungen hinsichtlichmangelnder russischer Sprachkenntnisse beruhigen. Diese Sorgeist gänzlich unbegründet! Studenten und Kollegen sind überausgeduldig und gerne bereit, mit dir Russisch zu sprechen – auchwenn sie alles tausendmal wiederholen müssen. Die Zeit inRussland wird dir viele Bekanntschaften und einige intensiveFreundschaften bringen. Darauf kannst du dich wirklich freuen!

Wegen Moskau, dieser riesigen, schmutzigen und gefährlichenHauptstadt, hattest du auch Beklemmungen. Dennoch wirst duin Moskau nie riskanter als irgendwo sonst auf der Welt leben.Zwar wird dir vor deiner Nase dein Geld weggeklaut, aber selbstdas kann dir nun wirklich überall passieren. Mein Ratschlag: Seiweder überängstlich, noch begib dich leichtfertig in Situationen,die du nicht abschätzen kannst. Lass dich auf deine neueUmgebung ein, beobachte alles aufmerksam um dich herum.

Ich will dir nicht verschweigen, dass es auch Phasen gebenwird, in denen du alles hinschmeißen und nach Hause fahrenwillst. Die überfüllte Moskauer Metro wird dir auf die Nervengehen, die Not vieler Menschen aufs Gemüt schlagen. Weil du füralle Kleinigkeiten – ob Hörsaalreservierung, Organisation desFlughafentransfers für Dozenten oder Übernachtungen für deinenBesuch – tausende von Anträgen stellen musst, wird dich oft dasBedürfnis überkommen, in Schreikrämpfe auszubrechen. Dochdiese Phasen werden nie lange andauern. Bleib hartnäckig amBall und lass dich nicht entmutigen!

Du siehst, liebe Carolin, das vor dir liegende Jahr wird voller Ein-drücke sein. Ich kann dir jetzt schon verraten: Du wirst dein Jahrin Moskau nie bereuen! Ich wünsche dir eine wunderschöne,erlebnisreiche Zeit. Habe Geduld, sowohl mit deinen Mitmen-schen als auch mit dir selbst!

Bis zum Wiedersehen, deine Carolin.

Mein Fall war in bestimmter Hinsicht ein besonderer.Normalerweise werden die Stipendiaten von Coperni-cus Berlin e.V. (s. Kastentext) in Gastfamilien unter-gebracht. Da ich aber eine Haustier-Allergie habe,konnte zunächst keine Gastfamilie gefunden werden.Deshalb habe ich die ersten drei Monate meinesBerlinaufenthalts im Studentenwohnheim gewohnt,danach drei Monate in einer Gastfamilie. Ich bin da-rüber recht froh, so habe ich beides kennengelernt.

Fotos: Alexej Vovk

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THEMA

21MitOst Nr. 12 | November 2003

Es gibt gute Gründe, warum Copernicus Stipendiaten in derRegel bei Gastfamilien unterbringt:

die Jugendlichen werden betreut und fühlen sich im fremden Land nicht so einsam,

sie leben in einem deutschen Umfeld und sind gezwungen, stets Deutsch zu sprechen,

sie konzentrieren sich mehr auf ihr Studium und sie lernen die Familienkultur und den Alltag in deutschen

Familien kennen.

In der Gastfamilie war ich von allen Alltagssorgen befreit. DieGasteltern waren an meinem Wohlergehen sehr interessiertund ich fühlte mich beschützt und sicher wie zu Hause. Ich konntefast alle meine Probleme mit ihnen besprechen und sie habendafür gesorgt, dass ich in Ruhe studieren konnte. Dabei konnteich frei über meine Freizeit verfügen, sie waren nie aufdringlichund haben mich nie in etwas eingeschränkt. Im Großen undGanzen waren sie fast wie Eltern, aber ohne die zahlreichen„Schikanen“, die im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern oftüblich sind.

Dagegen hat man in einem Studentenwohnheim mehr Freiheitund kann selbstständiger handeln. Aber man ist mehr Gefahrenund Versuchungen ausgesetzt. In einem Studentenwohnheimist man stets von anderen Studenten umgeben, das mag lusti-ger und interessanter sein, aber es ist schwieriger, konzentriertzu studieren. Das Deutsch wird nicht besser: Der Wortschatzwird hauptsächlich durch umgangssprachliche Wörter aus ver-schiedenen Sprachen bereichert. Dieser Mix aus „Deutsch-Englisch-und-so-weiter-je-nachdem-wer-dein-Nachbar-ist“nützt einem gar nichts. Aber es ist jeden Abend etwas los: Kino,Disco, Party, gemeinsames Kochen, Spieleabende, Plaudern ...Man kann frei, ohne um Erlaubnis zu fragen, jederzeit jeman-den zu sich einladen. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstel-len, wie ich einen Partner fürs Rock-n-Roll-Tanzen gefundenhätte, wenn ich zu dieser Zeit schon in der Gastfamilie gewohnthätte: Im Tanzunterricht gab es wie immer mehr Mädchen alsJungs, deswegen wurden nur Paare aufgenommen. Frustrierthabe ich davon meinen Nachbarn in der gemeinsamen Kücheerzählt – da wachte ein Franzose auf: Ich mag doch Rock-n-Rollund habe schon zu Hause in Frankreich getanzt!

Ich kann nicht sagen, was besser ist: Wohnheim oder Familie.Es kommt aber sicher auf das Ziel des Aufenthaltes an: Wenn esdas Studium, die Verbesserung der Deutschkenntnisse und dasErwerben von landeskundlichen Kenntnissen sind, dann ist dieEntscheidung von Copernicus hundertprozentig richtig. Schließ-lich ist man auch in der Gastfamilie nicht ganz von der Weltabgeschnitten, es gibt ja immer noch die anderen Stipendiaten.

Copernicus e.V. ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung

mittel- und osteuropäischer Studierender. Mit Unterstützung

der Robert Bosch Stiftung konnte dieser Verein nach den

erfolgreichen Hamburger und Münchner Modellen im Jahr 2000

auch in Berlin ins Leben gerufen werden.

Copernicus Berlin e.V. vergibt halbjährige Studienstipendien an

Studierende aus Mittel- und Osteuropa (einschließlich Kaukasus

und Mittelasien). Die Stipendiaten sollen erfolgreich im Haupt-

studium sein, bereits über fundierte Deutschkenntnisse verfügen

und sich außerdem durch besonderes soziales oder politisches

Engagement auszeichnen.

Mit einem regulären Studiensemester der Wirtschafts-, Rechts-

oder Politikwissenschaften sowie einem Schnupper-Praktikum in

einer Berliner Firma, Behörde oder nichtstaatlichen Organisation

erwerben die Stipendiaten wertvolle wissenschaftliche und

praktische Erfahrungen, die sie zum Aufbau marktwirtschaftlicher

und demokratischer Strukturen in ihren Heimatländern motivieren

sollen. Eine öffentliche Vortragsreihe und ein Blockseminar in der

Ost-Akademie in Lüneburg, in dem die Stipendiaten ein

Spezialthema erarbeiten, sind Pflicht-Bestandteile des Programms.

Ein reichhaltiges Kulturangebot sowie die Unterbringung in

deutschen Gastfamilien sorgen darüber hinaus für eine schnelle

und tiefe Integration in die hiesige Mentalität und Lebensweise.

Kontakt:

Nina Götte, [email protected]

Weitere Informationen:

www.copernicus .de

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MitOst Nr. 12 | November 200322

Die so mitgebrachten Erzählungen lassen sich meist ein-teilen in zwei Gruppen. Die ersten sind lobpreisendeBerichte aus der anderen Welt, die sich melancholischerAugen unter den Zuhörenden gewiss zu sein meinen: Einruhigeres Tempo bestimmt den Alltag, Arbeit ist nicht sowichtig. Gefolgt von: Dort gibt es einen größeren Zusammen-halt der Familien, dort ist man kreativer, kann besser impro-visieren. Dort haben die Alten eine Aufgabe, dort bestimmtder Konsum nicht den Alltag und deswegen hat man dortnoch andere Werte. Dort also. Ganz beliebt in westlichgeprägten deutschen Feuilletons ist auch die elegischeErzählung eines unberührten 19. Jahrhunderts, das mandort noch finden könne. Ohne Autos und Hochhäuser, mitklar in Hütten und Palästen zu Tage tretenden Klassen-gegensätzen und Vielsprachigkeit. Mit der damaligen Mühe,und aber auch mit der damaligen Muße für manches.

Die andere Gruppe der Erzählungen führt im Gegensatzdazu Belege dafür an, dass man sich zu Recht wie ein stolzzurückgekehrter Held fühlen darf: Dort fällt der Strom aus,dort ist es kalt. Dort wird geraubt und gemordet, dort wirdschlampig gearbeitet, dort kennt man selbstverantwortlich-es Handeln nicht. Dort ist man dem Chef hörig, dort kenntman keine Öffentlichkeit. Dort hat niemand Initiative, dortist Wodka ein Nahrungsmittel. Dort werden Schafe auf derKühlerhaube geschlachtet, dort laufen Menschen in Bade-schlappen durch den Schnee. Und zu guter letzt. Dort schreibtjeder im Seminar an der Uni alles mit und niemand redet.Und meist war es dort aber irgendwie trotzdem schön.

Also, denke ich, lieber M., Du hast völlig recht. Alles dieskann man lesen und hören. Diese Erzählungen wiederholen

Gehen oder LesenÜber Auslandskompetenzen und westliche Erfahrungshindernisse

Odila Triebel, Studium der Germanistik, Philosophie, Öffentliches

Recht, seit 2002 Fortbildungsreferentin der Robert Bosch Stiftung in

Tartu/Estland

Foto: Robert Teschner

Am Anfang steht die Neugier. Alles, was zum Inbegriff derAndersheit taugen kann, wird in der neuen Heimat auf Zeiterworben. Eierbecher aus in schwungvollen Falten gelegtemLeder, ein Kochbuch für Getreidesuppen, ein tönerner Trollfür den Christbaum, alles erfreut, was den Blick vomMarktkonformismus unserer Markenwelt ablenkt. Gekauftwird auch der Filzhut und zu Hause gezeigt. Völlig ungestörtdavon, dass die Hüte aus der kasachischen Steppe auchnicht gerade das Straßenbild von Almaty prägen.

AUSLANDSAUFENTHALT

Mit vielem hatte ich gerechnet,aber damit nicht: Ich komme weit-gereist und ferngelebt zurück aufBesuch und ein Bekannter, nen-nen wir ihn M., sagt: „Es gibt nichts,was man im Ausland lernen mussund nicht auch hier bei uns inDeutschland lesen könnte.“ Beglei-ten wir also mal einen von uns aufdem Weg, ihn zu widerlegen.

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sich auf geradezu gespenstische Art und Weise immerwieder. Also muss man gar nicht gehen. Kein Informations-gewinn. Du hast Recht.

Doch da erinnere ich mich wieder an all die Kommentare,bevor ich ging: Ob das sein müsse oder ob ich freiwilligginge. Nur wenige hängten immerhin noch die Frage an,was ich „dort“ denn machen wolle. Diese Menschenbekehrt vielleicht niemand. Doch auch hier, das muss ich M.wieder gestehen, könnten aufgeklärte Schriftzeugnissegenügende Arbeit leisten. Und ebenso, das füge ich diesemGeständnis gleich hinterher, feit ja das bloße Leben imAusland keinen davor, auch noch in weiteren Erzählmusterngefangen zu bleiben, wie zum Beispiel den „Wiederaufbau-Mythen“. Immer wieder fallen nämlich Mittler auchetablierter Mittlerorganisationen unbewusst über fastbeliebige Länder in die beliebten Noch-nicht-Sätze: „Diesind dort noch nicht soweit.“ Auch von Mitgliedern derauswärtigen Kulturpolitik werden auf diese Weise wohlge-meinte entwicklungsfördernde Tipps für die neuen „Kinder“ausgeteilt. Aber wie falsch kann man liegen, wenn jedeIrritation des deutschen Erwartungshorizontes östlichBerlins ein „Ost-Erbe“ oder auch „Sowjet-Erbe“ ist: DasSchweigen und vermeintlich teilnahmslose Blicken in denSeminarräumen ist nicht immer nur Lethargie, sondernmanchmal bitter in Unfreiheit gelernte Strategie, manchmalMentalität, manchmal schlicht mangelnde didaktischeFähigkeit des Dozenten.

Wie nun aber kann man dieses abwägende Urteilsvermögenerwerben? Jemand wie M. mag einwenden, dass eineBildung des Taktgefühls, der Toleranz und des vorsichtigenUrteils auch in Schule und Elternhaus oder in Kommuni-kationsseminaren erlernbar sei. Aber stimmt das wirklich?Reicht das? Ist dies nicht vielmehr die Lightvariante derVerständigung? Ähnlich der Friedenssicherung durchJugendbegegnungsstätten. Wo es aber doch so einfach ist,sich in Festival- und Camp-Atmosphäre zu mögen und zuverstehen. Auch das ehemalige Jugoslawien hatte einenmultikulturellen Nationalchor, der herzzerreißend schön bisweit nach Mitternacht mehrstimmig improvisieren konnte.

Was wir mehr als alles andere letztendlich brauchen, ist vonder eigenen Befindlichkeit distanziertes Expertenwissenüber andere Gesellschaften, Kulturen, Geschichtserzählun-gen. Was wir brauchen, ist die Arbeit, die einfach vor Ort, imAusland, gemacht werden muss. Wir alle sind schließlichökonomisch und politisch darauf angewiesen, zusammen-zuarbeiten, uns zu kennen, unsere Vielfalt zu schätzen. Was

schwierig ist, ist das Abwägen zwischen Verstehen undToleranz auf der einen Seite und den Grenzen, die gesetztwerden durch unverrückbare Maßstäbe an eine Zivilgesell-schaft. Es ist schwierig, in diesem Balanceakt handlungs-fähig zu bleiben.

Nicht lesen kann man die Erfahrungen der unbequemenLernprozesse und schwierigen Kommunikationsversuchemit einem „Anderen“. Nicht lesen kann man die Gefühle,die sich fast archaisch des eigenen Körpers bemächtigen,wenn man aufbricht. Jene etwa, die durch einen brausendenChor historischer Erfahrungen hervorgerufen werden, etwaeine schlesische Großmutter, die sich im nationalsozialisti-schen Verband der Auslandsdeutschen engagierte oder dieErinnerungen jüdischer Freunde in Amerika. Lesen kannman auch nicht die Ohnmacht, mit der man sich selbstertragen muss, wenn liebgewonnene ökonomische Äqui-valenzen durchgerüttelt werden. Nicht lesen auch die Ge-fühle der Einsamkeit und der Anstrengung des alltäglichenmühseligen Entzifferns. Nicht anlesen eine Antwort aufSätze wie: „Verkauft doch nicht als Freiheit und Emanzi-pation, wenn eine Mutter im Angestelltenverhältnis arbeitenmuss.“ Und erwirbt man auch nicht durch Lektüre die freund-liche Beharrlichkeit, die ein probates Mittel im Umgang mitNomenklaturen ist.

Und wofür das alles? Vielleicht für ein bisschen mehr Mut,Skepsis und Selbstkritik in der interkulturellen Zusammen-arbeit. Um dann wirklich partnerschaftlich zu arbeiten.Günstigstenfalls. Nun stehe ich natürlich vor einem Paradox:Mein M. kann diesen Text hier lesen. Aber für das Gehengibt es keine Gebrauchsanleitung.

23MitOst Nr. 12 | November 2003

AUSLANDSAUFENTHALT

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MitOst Nr. 12 | November 200324

besuchte eine Ukrainerin in Kiew, eine zweite lud er zu sichnach Deutschland ein. „Doch mit beiden stimmte die Chemienicht“, sagt Norbert.

Sicherlich ist die Liebesgeschichte von Norbert und Ina eineAusnahme. Nicht viele osteuropäische Frauen, die übers Interneteinen deutschen Mann kennen lernen, haben so viel Glück wieIna. Den meisten deutschen Mitbürgern gilt solch einePartnerschaft schon von vornherein als zutiefst ungehörig, alsunvereinbar mit einer aufgeklärten, die Gleichberechtigung derGeschlechter anstrebenden Gesellschaftsordnung. „Dabei kön-nen Menschen in einer solchen Beziehung sehr glücklich sein“,sagt der Familiensoziologe Horst Herrmann, Professor an derUniversität Münster. Voraussetzung sei natürlich, dass die aus-ländische Frau die Partnerschaft mitplane und aus freienStücken eingehe. „Akzeptierte Abhängigkeit“ nennt Professor Herrmann InasSituation. Von Ehen, die allein aus Liebe geschlossen werden,hält der Familienexperte ohnehin wenig. Denn so schön dieLiebe ist, so trügerisch kann sie sein. „Von diesem Gefühl soll-ten wir uns bei der Partnerwahl, der vielleicht wichtigstenEntscheidung unseres Lebens, nicht zu sehr beeinflussen lassen“,warnt Herrmann. Die Geschichte von Ina und Norbert ist derbeste Beleg für Herrmanns These, dass sich auch Liebes- undLebensglück von langer Hand planen lassen.

„Die Bedeutung, die unsere liebesgläubige Gesellschaft dieserEmotion zumisst, ist in der Menschheitsgeschichte einmalig“,sagt dazu der Familiensoziologe Herrmann. Für Platon war dieLiebe eine Geisteskrankheit. Und auch im Mittelalter wäre keinMensch auf die Idee gekommen, nur aus Liebe zu heiraten.Bezahlte Heiratsvermittler zogen von Dorf zu Dorf und sorgtendafür, dass „Hektar auch zu Hektar“ fand. Anfang des 19. Jahr-hunderts entdeckte das Bürgertum das Ideal der romantischen

Die Geschichte der großen Liebe von Norbert Volz begann andem Tag, als er eine E-Mail von Ina im Posteingang fand. Ina lebtein Moldawien und war 16 Jahre jünger als er. Trotzdem ver-liebten sich die beiden. Mit einem Wörterbuch auf dem Schoßführten sie stundenlange Telefonate. Und schon vier Monatespäter lud Ina Norbert nach Tiraspol ein, Hauptstadt der auto-nomen moldawischen Teilrepublik Transdnjestrien. Ihre Adressehatte Norbert bei einer Partnervermittlung im Internet gekauft.

Heute haben die beiden einen zehn Monate alten Sohnnamens Alexej und Ina studiert im dritten Semester BWL an derHochschule Anhalt in Bernburg. Ina und Norbert sind seit mehrals drei Jahren verheiratet. Glücklich, wie sie sagen. Auf eineVollvermittlung, wie sie von anderen Partnervermittlungenangeboten wird, wollte sich der 43-jährige Norbert Volz zwarnicht einlassen. Aber sich nach seiner Scheidung wieder ins ost-deutsche Nachtleben zu stürzen, dazu fehlten ihm ebenfallsZeit und Lust. Der Diplom-Mathematiker, der auf einem Hof beiDessau lebt, hatte genug damit zu tun, seine Software-Firmaam Laufen zu halten. „Und auf One-Night-Stands hatte ichohnehin keinen Bock mehr“, erinnert er sich, „beziehungsweiseman fand halt keinen.“ Deshalb bestellte er eines Abends einigeE-Mail-Adressen und setzte sein Foto in eine Männergalerie. Er

Liebe? Überflüssig!

Florian Töpfel, Studium der Kulturwirtschaft mit Schwerpunkt

Mittel- und Osteuropa in Passau

Wenn man dem Klischee glaubenwill, sehnen sich viele Frauen inOsteuropa nach einem westeuro-päischen Mann, um sich den Traumvon Wohlstand und Glück zu er-füllen. Die Vermittlungsagenturenhaben jedenfalls viele Osteuro-päerinnen im Angebot, die so ihren„Auslandsaufenthalt“ planen. Sichereine risikoreiche Methode, die oftnicht das erhoffte Glück bringt, abermanchmal eben doch.

AUSLANDSAUFENTHALT

Moskauer Studentinnen

Foto: Doreen Blask

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Liebe für sich. Auf diese Weise wollte man sich vom Adel ab-grenzen, für den Heirat als Fortsetzung der Politik mit anderenMitteln galt. Erst mit dem Aufstieg des Bürgertums trat die Liebeihren Siegeszug in den westlichen Gesellschaften an, bis sie zudem wurde, was sie heute ist: das einzige, was wirklich zählt.

Die Familien- und Paartherapeutin Ida Schrage arbeitet bei derFrauenhilfsorganisation „agisra“, deren Ziel es ist, Rechte undLebensbedingungen von Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen zuverbessern. Immer wieder hört sie Leidensgeschichten vonFrauen, die eingesperrt, geschlagen und missbraucht wurden.Einige werden von Heiratsvermittlern gar mit „dreimonatigerUmtauschgarantie“ nach Deutschland geschleust: Ist der zukün-ftige Ehemann nicht zufrieden, werden sie wieder abge-schoben, sobald ihr Touristenvisum ausläuft. All diese Frauensind erpressbar, auch sexuell, und manche Männer nutzen dieSituation aus. Andererseits: Gewalt gibt es auch in deutschenEhen. Etwa 45.000 überwiegend deutsche Frauen flüchtenjährlich in Frauenhäuser. „Natürlich ist die Abhängigkeit vonausländischen Frauen in vermittelten Ehen besonders prob-lematisch“, sagt Schrage, „aber Schwierigkeiten in einer Be-ziehung kann es immer geben.“ Deshalb will Schrage nichts vonVorurteilen gegenüber internationalen Partnervermittlungen wis-sen: „Wenn es eine seriöse Agentur ist, wieso nicht?“

Es ist allerdings schwierig, eine solche zu finden. Von den über400 internationalen Partnervermittlungen im Internet arbeitenneunzig Prozent „unseriös“, heißt es in einer Studie des„Berufsverbands für Partnervermittler“. Der Kunde bekommtdort für sein Geld wenig oder gar keine Gegenleistung. Zudemsind die meisten Seiten voll von skurrilen, beinahe rassistischenKlischees. In dieser Hinsicht ist auch der vom Bundesverbandherausgegebene „Ratgeber für Internationale Partnersuche“keine Ausnahme. So warnt die Broschüre vor Südamerikanerin-nen: „Diese Frauen sind heißblütig und haben Temperament.Kaum ein Deutscher kann damit lebenslang umgehen.“ FürTschechinnen spreche, dass sie im Allgemeinen „Freude an derHausarbeit“ haben. Russinnen besäßen „Charaktereigen-schaften, die man bei westlichen Frauen immer seltener findet:Anmut, Schönheit, Treue, Intelligenz, Familiensinn“. Der großeVorzug aller Osteuropäerinnen sei außerdem, dass sie durch ihrÄußeres in Deutschland kaum auffallen. Wer sich anhand dieserInformationen für eine „Dame“ entschieden hat, klickt auf denButton „Bestellung“ und legt die Frau in den „Warenkorb“. DasInternet hat auch den Heiratsmarkt revolutioniert: Währendman(n) sich vor ein paar Jahren noch anhand von ver-schwommenen Passfotos in einem DIN-A5-Partnerkatalogentscheiden musste, finden sich auf den Seiten der Netzagen-turen Bilder von jeder Kandidatin, oft in aufreizenden Posen,sowie ein Persönlichkeitsprofil inklusive Hobbies und Wün-schen für die Partnerschaft. Dem Kunden bieten die Vermittlerindividuell zugeschnittene Dienstleistungen, von der E-Mail-

Adresse bis hin zur Reiseorganisation. „Für eine Vollvermittlungbis zum persönlichen Erfolg inklusive Betreuung vor Ort undDolmetscherdiensten sollte der Kunde allerdings mit 2.500 bis4.000 Euro rechnen“, warnt der Ratgeber.

Wie viele Ehen die Partner-Agenturen pro Jahr vermitteln, lässtsich nicht nachvollziehen; im Ausland geschlossene Ehen wer-den nämlich von keiner deutschen Statistik erfasst. Fest stehtnach der aktuellsten Aufschlüsselung des Statistischen Bundes-amts nur, dass 1999 rund 32.000 deutsche Männer in Deutsch-land ausländische Frauen heirateten, am häufigsten Polinnen,genau 5.304 Mal. Außerdem ehelichten deutsche Junggesellen2.223 Russinnen, 2.148 Thailänderinnen, 1.592 Rumäninnenund 1.436 Ukrainerinnen. Dass Frauen aus dem „alten Europa“in dieser Statistik so schlecht abschneiden, ist ein weiteres Indizfür den Erfolg der Partnervermittlungen: Sie führen vor allemOsteuropäerinnen in ihren Katalogen. Tausende Fotos von Bank-direktorinnen und Hausfrauen finden sich dort, von Lehrerinnenund Studentinnen, Sekretärinnen und Putzfrauen. Alle dieselächelnden Gesichter haben eines gemeinsam: die Hoffnung, ineinem reichen Land glücklicher zu werden.

25MitOst Nr. 12 | November 2003

AUSLANDSAUFENTHALT

An

zeige

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normal unterhalten kann, war das keine gute Aussicht für dieZukunft, gerade was das Staatsexamen in Deutsch betrifft. Alsomusste ich ein letztes Mal, ein allerletztes Mal, nachDeutschland fahren, um richtig Deutsch zu lernen. 2001 bin ichdann über ein Erasmus-Stipendium nach Dortmund gegangen,um die Forschung für meine Diplomarbeit fortzusetzen. Ichhabe mich darauf überhaupt nicht gefreut.

Alle hatten mich vor der deutschen Bürokratie gewarnt. Nachmeiner Ankunft in Dortmund ging ich zuerst zum Studenten-werk, um ein Zimmer zu bekommen. Zu meinem Erstaunenwaren die Zimmer schon vorbereitet und ich bekam sofort einkomplett eingerichtetes, neues Zimmer. Auch der Rest: Kontoeröffnen, Krankenkasse, Uni-Einschreibung – alles ging glatt.Am Nachmittag war ich noch auf der Ausländerbehörde. Trotzeiner langen Schlange kam ich nach einer halben Stunde dran.Eine sympathische Frau mit Zigarette im Mund stellte mir einVisum aus mit der Erlaubnis, 90 Tage zu arbeiten.

Nach diesem Tag fing ein verrücktes Leben an – ich lernte neuenette Leute verschiedener Nationalitäten kennen, wir unternah-men Ausflüge, Abendessen, Partys, Mittagessen-Stammtische,ich besuchte regelmäßig den Unterricht – 22 Stunden pro Woche,um eine gewisse Punktzahl für das Stipendium zu erreichen.Daneben suchte ich Material für meine Diplomarbeit, und amWochenende arbeitete ich als Spüldienst in einem bekanntenRestaurant in Dortmund, worauf ich sehr stolz war. Hier stiegauch mein Selbstbewusstsein, das für zukünftige Entscheidun-gen sehr wichtig war – die Professoren behandelten mich alsGleichberechtigte, in der Arbeit wurde ich akzeptiert und be-handelt, als ob ich eine normale Deutsche wäre – sie sprachenmit mir und fragten nach meiner Meinung!

Aber nichts dauert ewig – bald kommt die Zeit des Abschieds. InDeutschland habe ich die schlimmste Zeit, aber auch die schönsteZeit meines Lebens erlebt und weiß, dass ich dankbar sein muss,denn ich hatte die Möglichkeit, viel Schönes zu erleben und einMensch zu werden, der weiß, was er vom Leben will.

Verbotenes und Halbverbotenes

Marc Sagnol, 1996 bis 2000 Direktor des Französischen

Kulturzentrums in Kiew/Ukraine

MitOst Nr. 12 | November 200326

AUSLANDSAUFENTHALT

Seit Beginn meines Germanistik-Studiums inTschechien bin ich in den Ferien immer übereine tschechische Jobvermittlungsagentur nachDeutschland gefahren, um ein bisschen Geldfür das Studium zu verdienen und meinDeutsch zu verbessern. Zwei Jahre habe ich inder Nähe von Aachen Erdbeeren gepflückt, dasdritte Jahr bin ich in den Schwarzwaldgefahren, um als Küchenhilfe zu arbeiten. Inkeinem Fall habe ich viel Deutsch gesprochen.In den beiden ersten Fällen vor allem deswe-gen, weil außer mir noch 40 andereTschechinnen dieselbe gute Idee hatten. ImSchwarzwald habe ich weder Deutsch nochTschechisch gesprochen – die Besitzer hattenkeinerlei Interesse, überhaupt mit der billigenArbeitskraft aus dem Ostblock zu sprechen.

Nach dem Aufenthalt im Schwarzwald hatte ich so schlechteErinnerungen an Deutschland und die Deutschen, dass ich mirgeschworen habe, nie wieder in dieses Land zu fahren. Aber alsGermanistin, die nur Schuldeutsch beherrscht und sich nicht

Die vierteChance

Jana Stillerova, tschechische Deutschlehrerin

Foto: Nataliya Tereza

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„Die Schönheit des Lebens liegt in dem, dassjeder Mensch das Leben seiner Natur gemäßgenießt.“ G. Büchner

Ich, der durchschnittliche Germanistik-Student aus Maze-donien, hatte das Glück und das Privileg, in Deutschland zustudieren, sogar in einer so berühmten Stadt wie Dresden. Alsich es meiner besten Freundin erzählte, meinte sie, dassDresden von einem der schwärzesten Flüsse der Welt durch-quert werde und eine magische, funkelnde und leuchtendeStadt sei. Eine Weile später erinnerte ich mich: Sie ist ein großerFan von E.T.A. Hoffmann, dem Schriftsteller, der eine gewisseZeit in der Elbestadt gelebt und gearbeitet hat. Ich konnte mirein Lächeln nicht verkneifen ...

Meine erste direkte Bekanntschaft mit Dresden verlief jedochnicht ganz so poetisch. Ich traf in einer kalten Oktobernacht einund da ich keinen Jugendherbergsausweis besaß, wurde mirvon einem unfreundlichen Mädchen die Übernachtung in demHaus verwehrt. Diesem Ereignis folgten weitere unangenehmeErfahrungen. Die Computer in der Dresdner Bank fielen aus-gerechnet in dem Moment aus, als ich mein Stipendiumabheben wollte, um die Kaution für das Wohnheimzimmer zubezahlen. Da ich auch sonst kein Geld mehr hatte, konnte ichmir die Übernachtung im Youth Hostel „Mondpalast“ nichtmehr leisten. Nach kurzer Überlegung fiel mir ein, dass ich inder Dresdner Heide einen schönen Schlafplatz finden könnte.Gesagt - getan. Gesellschaft leisteten mir ein Skinhead und seinSchäferhund. Als ich ihm erklärte, dass ich der „DeutschenPennergesellschaft“ angehöre, benahm er sich gleich viel freund-licher. Super, dachte ich mir. Was für ein Start! Ich hoffte bloß,dass sich meine Zeit in Dresden nicht in eine einzigeKatastrophe verwandeln würde.

Der Aufenthalt in der Stadt an der Elbe wurde aber doch nochso eindrucksvoll und begeisternd, dass es mir schwer fällt, dierichtigen Worte zu finden. Immer wenn ich Zeit hatte, habe ichseitdem die schönen Momente in Elbflorenz und Umgebungverewigt: der Zwinger mit der Semperoper, Pillnitz mit der selt-samen chinesischen Architektur, das Schloss Moritzburg mittenin einem Teich, die Neustadt mit über 100 Kneipen und dergroßen Wahrscheinlichkeit, dass man dort mindestens einmalalle 500 Meter in Hundescheiße tritt, das schöne Kino Schau-burg, wo schon 101 Wochen hintereinander der Film „SchwarzeKatze, weißer Kater“ gezeigt wird, dann der Albertplatz mit demDenkmal Erich Kästners, das Wandergebiet „SächsischeSchweiz“. So eine wunderbare Stadt und Umgebung habe ichbisher noch nie gesehen oder erlebt. Und wer kann es leugnen,dass ich mich in Dresden verliebt habe. Ein deutscher Freundmeinte, dass man sich in „der“ oder in „die“ Stadt verliebenkann. Ich sage nur: „in Dresden!“.

Foto: Sören Urbansky

Haushaltsdebatte

Jörg Kassner, Deutschlehrer in Tbilissi/Georgien

27MitOst Nr. 12 | November 2003

AUSLANDSAUFENTHALT

Marc Sagnol, 1996 bis 2000 Direktor des Französischen

Kulturzentrums in Kiew/Ukraine Deutsche Penner-gesellschaft –

Liebe finden im Ausland

Milan Josifov, Germanistik-Student, Dresden

Fotos: Steffen Giersch

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MitOst Nr. 12 | November 200328

THEMA

Aus was setzt sich ein klassischer„Auslandsaufenthalt“ zusammen?Das Wichtigste daran ist wohl dasAusland. Für sich genommen sagtder Begriff nur aus, dass es sichdarum handelt, aus dem Land her-aus zu sein. Um welches Land essich dabei dreht, spielt keine Rolle.Die Aussage „Ich war im Ausland!“ist daher genau genommen nur für

diejenigen auf Anhieb verständlich, die die Welt in dieKategorien „mein Land“ und „alle anderen Länder außerhalbmeines Landes“ einteilen. „Aus“ kann beim „Aus-seinem-eige-nen-Land-herausgehen“ einerseits bedeuten, dass nun allessowieso vorbei und alle ist oder dass man andererseits dieBeziehung zu seiner Heimat durch den oft zitierten Satz „Ichkomme aus ...“ aufrechterhält. Wenn man den Schritt über dieLandesgrenzen gewagt hat, gibt es dann eine besondereBezeichnung für das dortige Dasein: „Aufenthalt“. Dabei han-delt es sich wohl um etwas ganz anderes als „Leben“ oder„Wohnen“ oder „Sein“, denn die Widersprüche dieserDaseinsform springen einen förmlich an. Man hält sich zwar(wie eigentlich überall) an verschiedenen Plätzen auf, hält sichfest, um nicht zu fallen, hält Reden, um sich zu bedanken oderseine Kenntnisse mitzuteilen, hält an, um nicht überfahren zuwerden, hält dies oder jenes für wichtig oder unwichtig, hältMittagschläfchen und Versammlungen ab. Das Interessantedaran ist das „auf“: man ist auf-geschlossen (und total tolerant)gegenüber allem Neuen, Fremden, Unerträglichen. Gleichzeitigbewegt man sich aufwärts (in höhere Sphären der Erkenntnis).Wenn da nicht der Halt wäre, an dem vor einem dann doch dieSchranke der kulturellen Unüberwindlichkeit heruntergelassenwird und der einen in seinem Streben nach Dazugehörigkeitaufhält. Oder ist es der Halt, den man im Fremden sucht und alsKrücke in den versprengten Abenteuersuchenden gleicherHerkunft findet? Der eigentliche Clou besteht allerdings in derTatsache, dass das zu beschreibende Dortsein unermesslich vielan Lebenserfahrung, Erkenntnis und Horizonterweiterungenthält, gleichzeitig aber dem Dortseienden auferlegt, sich sei-ner Stimme zu enthalten, sich nicht in intrakulturelle und poli-tische Probleme zu mischen, die der von außen Gekommenenicht beurteilen kann. Nicht nur da gilt es auszuhalten, beson-ders beim Saufen wird deutlich, wer geeignet ist, sich in den„Ländern-außerhalb-des-eigenen-Landes“ aufzuhalten oder werlieber wie eine Ente in heimischen Gewässern planscht.

Auslandsaufenthalt –was verbirgt sich

hinter dem Begriff

Maja Heidenreich, Boschlektorin in Saratow und Moskau 2001-2003

Keine Spur alltäglich –Schulalltag in der

Ukraine

Silke Erdmann, n-ost Korrespondentin, seit 1999 verschiedene

Stipendien in Mittelosteuropa, u.a. in einer Schule in Kiew,

Boschlektorin in Charkow/Ukraine seit 2003

Foto: Silke Erdmann

1. Schulwoche

Du beginnst deine Stunde mit der Aufforderung, einenStuhlkreis zu bilden. Überraschenderweise kommt keiner dein-er Aufforderung nach. Du wiederholst langsam und mit verän-dertem Wortlaut die Aufforderung. Dann kommt ein Schülernach vorn, seinem Gesicht kann man die nahende Angst vor derkommenden Hinrichtung in Form einer Leistungskontrolle able-sen. Schließlich schaffst du es, dass alle anderen auch nachvorn kommen. Ohne Stühle. Das erschwert die Formation einesStuhlkreises. Irgendwann jedoch fällt der Groschen und siekommen mit ihren Stühlen nach vorn und stellen diese in zweiReihen hintereinander auf. Es klappt schließlich, als du einenKreis an die Tafel malst.

2. Schulwoche

Heute lernst du einen neuen Schülertrick kennen, der dir inDeutschland noch nie begegnet ist: Flöhe. Ein Kind fängt an,sich zu kratzen, alle anderen tun es ihm nach. Da du nichtreagierst, vergessen sie nach ein paar Minuten, dass es sie amganzen Körper furchtbar juckte ... so schnell wird man Flöhe los.Du hättest allerdings nie gedacht, dass Schüler das Klischee „AlleRussen haben Flöhe“ ausnutzen, um Lehrer zu verunsichern.

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29MitOst Nr. 12 | November 2003

AUSLANDSAUFENTHALT

3. Schulwoche

Du wurdest vorgewarnt, dass in deiner Schule gern gefeiertwird. Die erste Feier ist der Tag des Lehrers. In Deutschland istdieser Tag etwas verloren gegangen, mit ihm auch dieSelbstverständlichkeit, mit der sich Schüler auf die Bühne vordie gesamte Schule stellen und singen, tanzen, Theater spielen.Sie kommen sich weder lächerlich vor, noch scheinen sieLampenfieber zu haben.Beim Anhören der Gedichte und Reden und beim Anblick derzahlreichen Geschenke stellt sich natürlich die Frage, welchesZiel diese Geschenke verfolgen. Eine Lehrerin sagt: „Ich lassemich nicht bestechen. Ich bekomme Topfpflanzen, pflege dieseund beobachte sie genau: Wenn sie aus gutem Herzengeschenkt worden sind, dann wachsen sie. Wenn sie ausschlechtem Herzen geschenkt worden sind, dann gehen sie ein.Aber sie haben keinen Einfluss auf die Noten.“

5. Schulwoche

Schulköchinnen, aus irgendeinem Grund sind sie recht unfreund-lich. Entweder liegt es an den lästigen Schülern oder es ist eineGrundvoraussetzung, um diesen Beruf ergreifen zu können.Eine von ihnen ist besonders übellaunig, meist brummt siemehr als sie spricht. Dadurch kannst du sie nicht verstehen undmusst wiederholt nachfragen. Nach der 2. Wiederholung brülltsie dann so laut, dass es der gesamte Speisesaal versteht. Sieist sichtlich genervt, und es ist erst Dienstag. Am Mittwochkommst du wieder und sie brüllt noch lauter. Zu deinerErlösung fragt die etwas freundlichere Köchin, ob du Deutschebist. Du bejahst, und die andere Köchin schlägt entsetzt dieHände vors Gesicht: „Ach, sie ist Deutsche! Ich dachte, sie wäreschwerhörig!“ Du bist froh, dass du nur Deutsche und nichtauch noch schwerhörig bist ...

7. Schulwoche:

Deutsch-Olympiade der Schule: Ausgewählte Schüler tretengegeneinander an, um pro Klassenstufe drei Sieger zu ermit-teln, die dann an der Deutsch-Olympiade der Stadt teilnehmen.Du sitzt in der Kommission „Frei über ein Thema sprechen“.

Deine Schüler mögen das Thema „Sport in meinem Leben“mehr als du, und du hörst die gleichen Sätze in regelmäßigerWiederkehr. Ein Junge sagt den tollen Satz „Es ist nicht leicht,die Bedeutung des Sports in unserem Leben nicht zu unter-schätzen.“ Einen Karate treibenden Jungen fragst du, ob er anWettkämpfen teilnimmt und ob er schon einen Preis gewonnenhat. Daraufhin sieht er dich an, als hättest du gefragt, ob er dirhundert Mark leihen kann.

Die letzte Schulwoche

Die Schüler bereiten kleine Programme vor, du bekommstBlumen und Schokolade. Die Schulköchin stellt dir überfreund-lich Teller für die Abschiedsfeier zur Verfügung. Entweder hat sieeinen guten Tag oder ein schlechtes Gewissen, oder sie ist froh,dass du weg fährst und sie nicht mehr brüllen muss.Du jedenfalls fährst ungern weg, die Schüler lassen dich ungerngehen. Es graut dir schon vor dem deutschen Schulalltag, dereben so alltäglich ist. Nicht wie hier, wo du am Morgen nieweißt, was diesen Tag zu etwas Besonderem machen wird.

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MitOst Nr. 12 | November 200330

Lernen, mit sich selbstklar zu kommen

Irma Rybnikowa, Studium der Psychologie in Vilnius/Litauen und

Münster, derzeit Doktorandin an der Universität Dresden

INTERVIEW

Interview mit Christoph Richter, Geschäfts-

führer einer deutsch-russischen Software-

firma, über Auslandsaufenthalte, Familie,

Freunde und die Kunst, zurecht zu kommen

Christoph Richter arbeitete nach dem Studium der Sozialpädagogik

zunächst als Trainer. Später war er für die Fraunhofer Management

GmbH als Consultant in Rumänien, Polen, Georgien, der

Tschechischen Republik und Russland tätig. 2001 gründete er die

PROXY IT Outsourcing & Consulting GmbH. Die Proxy mit Sitz in

Moskau und München betreibt ein Software-Entwicklungszentrum in

Moskau (Outsourcing-Leistungen für deutsche Unternehmen) und

berät in Russland ansässige ausländische und russische Unternehmen

bei der Einführung von Qualitätsmanagement-Systemen. Herr Richter

selbst lebt in München und Moskau, seine Frau und Tochter in München.

Herr Richter, Sie haben schon einige Jahre Auslandserfahrung

in Osteuropa, insbesondere in Russland. Warum gerade

Russland?

Ich wollte schon immer im Ausland arbeiten, allerdings eher im

Westen, z.B. in England. Durch Kurzprojekte in Polen und Rumänien

habe ich meine erste Osterfahrung gesammelt. Dann wurde mir

von meiner Firma ein Projekt in Sibirien angeboten.

Russland zieht mit seinem Marktpotenzial westliche Firmen beson-

ders an. Andererseits ist man als westliches Management-Consul-

ting-Unternehmen bei russischen Kunden auch gefragt: Russische

Unternehmen wollen die deutsche Denkweise und Mentalität ken-

nen lernen und auch übernehmen. Man ist dort nicht nur aufgrund

spezieller Kenntnisse, sondern auch aufgrund des kulturellen

Hintergrunds sehr angesehen; wenn man es etwas drastisch for-

muliert, kann man von einer Art Mentalitätsimport sprechen.

War die Entsendung nach Russland für Sie eine akzeptable

Alternative oder haben Sie es als notwendiges Übel

wahrgenommen?

Es war nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte, aber die

Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten und Neues zu erleben, hat

mich gelockt. Die Arbeit im Ausland bietet mehr Gestaltungs-

möglichkeiten und fachliche Freiheiten – man ist auf sich selbst

angewiesen und trifft eigene Entscheidungen. Aber gerade damit

verdirbt man sich den Rückweg nach Deutschland: Man will auf

diese Gestaltungsfreiheiten nicht mehr verzichten.

Wie wirkt sich ein Auslandsaufenthalt auf die weitere beruf-

liche Laufbahn aus? Ist es ein Karrieresprung oder doch eher

ein Karriereknick?

Das ist schwer zu bewerten, es kann so und so laufen. Gerade für

Osteuropa werden vielleicht nicht immer die besten Mitarbeiter

ausgewählt und auch nicht immer diejenigen, die tatsächlich nach

Osteuropa gehen wollen. So kann es auch zum Karriereknick kom-

men. Eine Strafe ist eine Entsendung nach Osteuropa dennoch

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31MitOst Nr. 12 | November 2003

INTERVIEW

Foto: Natalia Debaltchouk

nicht: für Unternehmen ist es oft eine teure Geschichte. Schon

allein wegen der höheren Gehaltserwartungen der Entsandten, um

einen vermuteten schlechteren Lebensstandard zu kompensieren.

Sie haben Ihr erstes Jahr in Russland in Sibirien verbracht.

Ich war ziemlich naiv, als ich nach Sibirien kam – ich hatte keine

Ahnung, was kommt. Es war kein einfaches Jahr für mich. Ich hatte

keine Sprachkenntnisse, dadurch waren die Freizeitmöglichkeiten

und die Möglichkeit, Leute kennen zu lernen, ziemlich begrenzt.

Selbst die banalsten Dinge wie Einkaufen waren am Anfang nicht

einfach. Es ging die erste Zeit nur mit Dolmetscherin, später konnte

ich auch allein damit umgehen. Aber das Schwierigste war zu lernen,

mit mir selbst klar zu kommen.

Wie meinen Sie das?

Kurz gesagt – kein Alkoholiker zu werden oder nicht total durch-

zudrehen. Zu dem üblichen Alltagsstress im Büro kommt ja der

Stress eines fremden Landes. Aber es wirkte auch als Ansporn, neue

Bekanntschaften und Freundschaften anzuknüpfen.

Nach dem Jahr in Sibirien wurden Sie nach Moskau

versetzt, sie mussten wieder einen Bekanntenkreis

aufbauen. Bleibt denn dadurch dieser „Bekanntschaften-

Optimismus“ überhaupt erhalten?

Ja, natürlich, mit jeder neuen Stadt lernt man neue Leute kennen

und lässt ehemalige Kontakte versanden. Aber es ist Teil des

Geschäfts: Man trifft sich nur auf Zeit.

Es hört sich für mich ziemlich traurig an, wenn private

Freundschaften der Willkür der beruflichen Zufälle ausgesetzt

werden. Wie ist es denn, wenn man sich von einem Freund

verabschiedet und denkt, dass man ihn nie mehr sieht?

„Nie mehr“ gibt es nicht – wenn ein Kontakt wichtig ist, hält man

ihn auch aufrecht. Mit manchen Leuten bleibt man eben für einige

Monate, mit anderen über Jahre hinweg befreundet.

Und was die Partnerschaft und das Familienleben angeht –

inwieweit lässt sich das mit der Mobilität vereinbaren?

Die Partnerschaft ist wie die Freundschaften durch dieses

„Nomadentum“ auch etwas anders ausgeprägt. Eine Beziehung, in

der man morgens aus dem Haus geht und abends zurück kommt,

ist sicher anders als eine Beziehung, bei der man etwa ein Viertel

des Jahres in Deutschland verbringt und die andere Zeit im

Ausland. Es ist immer die Frage, was man daraus macht. Mein Frau

und ich haben mittlerweile auch eine Tochter, das private Leben

lässt sich schon gestalten.

Wie hat die russische Erfahrung Ihr Leben verändert?

Eine schwierige Frage. Ganz banale Antworten kommen mir in den

Sinn: „Horizont erweitert“, „Erfahrung gesammelt“.

Am meisten vielleicht fällt mir auf, dass sich der Freundeskreis

verändert hat. Es ist schwieriger, Leuten, die nicht „herum-

vagabundieren“ zu erzählen, was man die ganze Zeit gemacht hat,

was man erlebt hat. Menschen, die selbst ein solches Leben führen,

können es eher verstehen, das prägt den Freundeskreis.

Das erste Jahr kam ich mir in Deutschland wie ein Exot vor – alle

haben von mir wilde Geschichten erwartet, z.B. dass man in

Russland so lange Verhandlungen führt, bis alle betrunken unter

dem Tisch liegen. Mit der Zeit fand ich das nicht mehr lustig. Der

eigentliche russische Alltag ist nicht so romantisch oder wild, wie

man sich das vorstellt. Und die üblichen Sorgen – Stromausfall oder

dass es mal wieder kein heißes Wasser gibt – interessieren hier

kaum jemanden.

Das heißt nicht, dass zu meinem Freundeskreis nur Leute gehören,

die selbst viel im Osten reisen. Auf keinen Fall – ich habe alte

Freunde in Deutschland, die ein ganz geregeltes, ruhiges Leben

führen. Aber durch die Auslandserfahrung ist der Freundeskreis dif-

ferenzierter geworden.

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INTERVIEW

Das absolute Italien!

Arndt Lorenz, Journalist

Gespräch mit dem Kabarettisten Steffen

Möller, der seit fast zehn Jahren in Polen

lebt. Seine Spezialität: Klischees über die

Deutschen.

MitOst Nr. 12 | November 200332

Steffen Möller

gehört heute zu den bekanntesten Kabarettisten in Polen.

Er spielt in polnischen Fernsehshows und Radiosendungen mit.

In Wuppertal geboren, studierte Möller in Berlin Germanistik. Seit acht

Jahren lebt er in Polen. Seinen Durchbruch erzielte der Lehrer als

Alleinunterhalter in einem Jazzclub. Mittlerweile spielt er in der populä-

ren Fernsehserie „L wie Liebe“ mit. Seine Rolle: ein deutscher naiver

Bauer. Seit mehreren Monaten läuft in Polen auch seine eigene

Radiosendung „Mit Möller nach Europa“.

Herr Möller, wie lange leben Sie schon im Ausland?

Ich bin seit neun Jahren in Polen. Am Anfang war es tief-

stes Ausland, ich konnte die Sprache überhaupt nicht.

Was für Polen sprach, war für mich die Nähe zu Berlin.

Ich habe in Berlin studiert und war danach zuerst in

Italien. Ich habe aber gemerkt, dass die italienische

Mentalität mir nicht so sehr entspricht wie die polnische.

Die Polen sind einerseits Menschen des Nordens, also

diszipliniert und ordentlich wie die Deutschen, anderer-

seits werden die Polen ab 20 Uhr zu den Italienern des

Nordens. Dann können sie feiern, tanzen, singen, trinken,

und dann ist das hier das absolute Italien! Ich habe mich

hier mentalitätsmäßig immer genau richtig gefühlt, viel-

leicht sogar richtiger als in Deutschland. Das ist auch einer

der Gründe, warum ich hier geblieben bin.

Sind Sie ausgewandert aus Deutschland?

Das Wort „ausgewandert“ passt genau auf mich. Doch

vom Sprachgebrauch her wird das Wort mehr für Leute

benutzt, die aus Wut oder auch Verfolgung ihre Zelte hinter

sich abbrechen.

Aber bei mir hat sich das einfach so ergeben im Laufe

der Jahre. Ich bin immer noch sehr oft in Deutschland.

„Ausgewandert“ trifft vielleicht eher auf solche zu, die ein

schlechtes Verhältnis zu Deutschland haben. So was hab’

ich nicht, ich brauche immer wieder neue Impulse aus

Deutschland.

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33MitOst Nr. 12 | November 2003

INTERVIEW

Welches Land ist Ihr Zuhause?

Eine Zeit lang war das eine Art Dualismus für mich. Als

ich erstmals nach Polen kam, war ich fremd im Land und

hab’ mich als Deutscher gefühlt. Nach den ersten

Monaten fuhr ich nach Deutschland. Das war die

Heimkehr nach Hause aus der Fremde, aber das hat sich

nach einer Weile umgedreht. Die nächsten drei, vier

Jahre lang hab’ ich dann ausdrücklich Polen als meine

Heimat bezeichnet, habe alle meine Bücher hier hinge-

schafft. Heute, nach sieben, acht Jahren sind die

Intercity-Reisen von Warschau nach Berlin für mich über-

haupt nicht mehr Fahrten zwischen zwei Ländern, son-

dern ich sehe das als ein großes Land an. Das liegt auch

daran, dass ich inzwischen die polnische Sprache sehr

gut kann und dass ich hier und dort gute Freunde habe.

Diese Grenze existiert für mich nicht mehr. Ich empfinde

Grenzen nach Russland oder Frankreich viel stärker als

zwischen Deutschland und Polen.

Haben Sie sich am Anfang fremd gefühlt in Polen?

Natürlich war ich ein Außenseiter. Wenn ich Bus gefahren

bin, hatte ich den Eindruck, dass die Leute im Bus sich

doch alle sehr gut kennen müssten, sie sprechen dieselbe

Sprache, haben keinerlei Verständigungsprobleme. Das

Gefühl meiner Sprachbarriere war so stark, dass ich den

Eindruck hatte, alle, die dieselbe Sprache teilen, sollten

sich quasi wie Familienmitglieder behandeln. Doch die

Polen beobachteten sich untereinander mit Schweigen

und Misstrauen. Heute versteh’ ich das natürlich sehr gut.

Ich habe mich in Deutschland ja auch nie anders verhalten.

Aber meine damaligen Erwartungen von Polen waren

ein Indiz dafür, dass ich mich wirklich fremd gefühlt habe.

Wie würden Sie sich bei einer Rückkehr nach

Deutschland fühlen?

Fremd vielleicht nicht, aber es würde alles davon abhän-

gen, ob ich eine Arbeit hätte, ob ich gebraucht werde.

Eine andere Sache ist die Mentalität. Diese sehe ich

etwas anders als früher. Die polnische Mentalität ist für

mich ideal: improvisierend und humorvoll, aber auch

stark gefühlsbetont. Den deutschen Alltag sehe ich heute

eher mit den Augen eines Polen.

Werden Sie in Polen als Ausländer gesehen?

Ich werde absolut als Ausländer gesehen. Damit mache

ich hier ja mein Geld. Ich bin inzwischen in Polen so etwas

wie Rudi Carrell (holländischer Showmaster und Kabarettist,

d. R.) in Deutschland. Ich werde als polnisch sprechen-

der Ausländer gesehen, der die Leute zum Lachen bringt.

Werden Sie nicht ernst genommen?

Das ist ja ein Ziel von mir, nicht ernst genommen zu wer-

den. Die Deutschen werden ja viel zu ernst genommen

in Polen. Deutschland ist das bevölkerungsmäßig größte

Land in Europa. Die meisten Völker haben Respekt bis

Furcht, die Polen ganz besonders. Insofern ist es immer

gut, wenn die Deutschen sich als schwach darstellen.

Das wundert die Polen, wenn ein Deutscher Schwächen

zugibt. Man hält die Deutschen für humorlos, überheb-

lich und absolut gefeit gegen jede Art von Selbstkritik.

Und wenn ich das sozusagen zu meinem Markenzeichen

mache, dann kränkt mich das nicht. Dadurch, dass ich ja

gut Polnisch kann, nehmen die Leute mich doch ernst.

Verlieren Sie die Bodenhaftung zu Deutschland?

Ich lese regelmäßig deutsche Zeitungen, kenne immer

die Bundesligaergebnisse am Montag und gucke deut-

sches Fernsehen, Harald Schmidt (Moderator einer TV-

Satire-Show, d. R.) sehe ich sehr oft. Ich kenne nur weni-

ge Deutsche, die so lange wie ich hier in Polen sind.

Viele kommen und gehen sehr schnell wieder, weil sie

Angst haben, in Deutschland von der Karriereleiter zu fal-

len. Ich habe mir diese jedoch in Polen aufgebaut. Viele

Leute können sich nicht integrieren, weil sie eine

Karriere im Ausland nicht anerkennen. Da wird so man-

cher gefragt: „Wie, du bist Lehrer in Polen? Komm doch

zurück, in Deutschland kriegst du deine Rente und hast

ein Versicherungssystem.“ Viele wollen die polnische

Sprache lernen oder haben sich in eine polnische Frau

verliebt, aber lassen sich nicht richtig auf das Land ein.

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In jeder Epoche wird die Geschichte eines Staates neugeschrieben, das Geschichtsbild mit den veränderten geistigenStrömungen in Einklang gebracht. Geschichte lässt sich nichtvöllig entmythisieren, objektive Geschichtsschreibung musssomit eine Illusion bleiben. Dennoch konnte in Rumänien langeZeit, auch nach 1989, nicht die Rede von Pluralismus in derHistoriographie sein. Bestimmte Mythen, z.B. die ununterbroch-ene Besiedlung Rumäniens durch die Rumänen, wurden von vie-len als objektive Wahrheit aufgefasst oder blieben dochunwidersprochen und erfüllten zum Teil manipulative Zwecke.„Die nationalistischen Mythen mit ihrer autoritären und frem-denfeindlichen Botschaft sind nicht der beste Wegbegleiter“, –so der Bukarester Historiker Lucian Boia.

Bojas Buch „Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart des Ver-gangenen in der rumänischen Gesellschaft“, ist nicht als Einführungin die rumänische Geschichte konzipert. Es überprüft vielmehr Gemein-plätze in der traditionellen rumänischen Geschichtsschreibung.Nach einem einführenden Kapitel über die Zusammenhänge vonGeschichte, Mythologie und Ideologie folgt eine Auseinandersetzungmit den gängigen Mythen im rumänischen Geschichtsbild. Außer-dem wird die Gestalt des idealen Staatsoberhauptes (u.a. diemythische Überhöhung von Ceausescu) sowie das Verhältnis zum„Anderen“ (z.B. die Idealisierung des Verhältnisses zu Frankreichoder zu Deutschland, die Beziehung zu den Ungarn, von denen 1,7Millionen in Siebenbürgen leben) beleuchtet.

Noch 2001 bezeichnete der offiziöse rumänische Historiker Ioan Scurtu„Alter, Kontinuität, Unabhängigkeit und Einheit“ als die vier Grund-pfeiler der rumänischen Geschichte und setzte damit die Traditionder Nationalideologie unter Ceausescu fort. Schlagworte, die auchgerne von der rechtsextremen Partei „Großrumänien“ (PRM) verwendetwerden, die bei den Parlamentswahlen 2000 zur zweitstärksten politi-schen Kraft wurde. Genau bei diesen Mythen setzt Boia an und fördertdabei Erkenntnisse zu Tage, die nicht jeden freuen werden. Die Ein-leitung zu dem 1997 erstmals erschienenen und mittlerweile zum Best-seller gewordenen Werk beschreibt die Rezeption des Buches in Ru-mänien bis 2002. Sie reicht von mehrheitlich begeisterter Aufnahmebis zur schroffen Ablehnung seitens der betroffenen Historiker.

Das flüssig geschriebene Werk bietet nicht nur eine spannende undanregende Lektüre, sondern kann vielleicht auch dazu beitragen, denMythenanteil im eigenen Geschichtsbild bzw. in der Selbstdarstellunganderer Länder bewusst zu machen. Man würde sich wünschen, dassfür andere Länder eine ähnlich übersichtliche und interessanteHinterfragung gängiger Stereotypen veröffentlicht würde.

Versäumte Lektionen –der Historiker Lucian Boia wagt eine kritische Auseinader-setzung mit der rumänischen Geschichtsschreibung.

Holger Wochele, 1998-2002 Boschlektor in Nitra/Slowakei,

wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wirtschaftsuniversität Wien

Als 1978 mit dem Almanach „Stunde namens Hoffnung“ eine Be-standsaufnahme unabhängiger und verbotener tschechischerLiteratur von 1968 bis 1978 vorgestellt wurde, fanden sich darinauch Texte des evangelischen Pfarrers Svatopluk Karásek.

Zwanzig Jahre später unterhielten sich zwei junge tschechischePfarrer, Stepán Hájek und Michal Plzák, mit Svatopluk Karásek. Das Er-gebnis liegt jetzt als „fröhlich-ernster Lebenslauf Prag-Zürich retour“auch in deutscher Übersetzung vor. Karásek berichtet in der ihm eige-nen lebhaften Weise über seine Herkunft, seine frühe Aversion gegenden „Bolschewismus“ und die ersten Begegnungen mit dem Rock‘nRoll. Eine spezielle Mischung, die sich in ähnlicher Form bei einemMitschüler spiegelte, der in Karáseks Lebensweg bis zum heutigenTag eine Rolle spielt: Vratislav Brabenec, der spätere Saxophonist derlegendären Underground-Band „The Plastic People of the Universe“.

Karásek plaudert gewissermaßen aus dem Nähkästchen, wenn erErinnerungen an große protestantische tschechische Gelehrte wie A.Molnár oder J. Milic Lochman preisgibt. Der damals weit über dieGrenzen bekannte und geschätzte Theologe Josef L. Hromádkakommt hingegen schlecht weg, ebenso die gerade in linken west-lichen Kreisen beachtete „Christliche Friedenskonferenz“ (CFK): „Eswar ein trügerischer Frieden ohne Gerechtigkeit. Für uns war die CFKein moralischer Sumpf [...].“ Folgerichtig kam von Seiten der CFK auchkeine Unterstützung, als die „Normalisierungspolitik“ unter GustavHusák einen zunehmend repressiven Charakter angenommen hatte.

Der Einmarsch vom August 1968, der Alexander Dubceks „PragerFrühling“ unter Panzerketten zermalmte, war in das zehnte traurigeJahr der Rückführung von kulturellen wie politischen Freiheitengetreten. Der Staat trat eine geradezu hysterische Jagd auf die eher un-politische Szene langhaariger Rockmusiker in Böhmen los. Der Pro-zess gegen die Musiker der „Plastic People“ brachte das Fass zum Über-laufen: Schriftsteller wie Václav Havel, Philosophen wie Jan Patockaaber auch Reformkommunisten taten sich zusammen. Die politischenProzesse schweißten politisch wie weltanschaulich unterschiedlichePersönlichkeiten zur Sammelbewegung CHARTA 77 zuammen.

1980 erlag Karásek dem politischen Druck und emigrierte schwerenHerzens mit seiner Familie in die Schweiz, wo er wieder als Pfarrer arbei-tete. Die Schweizer Gemeindeglieder waren überrascht, dass „plötzlichein Pfarrer mit langen Haaren, ohne Zähne, der nicht Deutsch kann“ in ihrwohlorganisiertes Leben eingebrochen war: „Auf einmal konfrontiertesie das Leben damit, dass ein Leben ohne Vollkommenheit wiederumeine andere Dimension und eine andere Schönheit hat.“ 1990 kehrteKarásek zurück und leitet seit 1997 die größte evangelische Gemeinde inPrag. Neue Unvollkommenheiten werden ihm willkommen sein!

Lob der UnvollkommenheitVolker Strebel, Autor und Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-

Universität München

Boia, Lucian: Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart des Vergangenen inder rumänischen Gesellschaft, Übersetzung aus dem Rumänischen von A. Weber, Köln/Weimar/Wien, Böhlau Verlag, 2003.

Karásek, Svatopluk: Der durchnässte Pfarrer. Aus dem Tschechischen vonRudolf Bohren, 288 Seiten, G2W Verlag, Zollikon 2000

Fotos: Brigitte Kamm-Tibad Ansichten aus Rumänien

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„... Das bin ich selbst und ich habe keinen Ausweg als diesenStreifen, diesen Flecken, diese Flicken zu verteidigen, die nachallen Seiten zerfasern.“

Juri Andruchowytsch führt uns durch sein Land, durch das letzteTerritorium, sein Galizien, seine Provinz, gleich am Nabel der Weltgelegen. Mal ähnelt dieses Land einem bunten Teppich, mal einemmehrmals beschriebenen Pergament, mal ist es mit dem vielschichti-gen Putz an einem der einstmals galizischen Häuser zu vergleichen.Ein Palimpsest (immer wieder beschriebenes Pergament, d. R.), sagtder Autor. Was für ein schönes Wort. Wie oft, wie übertrieben oft wurdedieses Pergament überschreiben. Stanislau, Stanislawów, Ivano-Frankiwsk. Lemberg, Leopolis, Lwów, Lwow, Lwiw.

Das letzte Territorium, das zu verteidigende, ist manchmal die Stadt,der Ort, den man gerne verlassen würde, wo man aber letztenEndes doch stecken bleibt. Man lebt wie alle anderen auch. „Sie hal-ten, typisch ukrainisch, das Leben für unmöglich, unerträglich, er-bärmlich, schimpfen auf die Regierung, die Mafia, die Polizei, auf jedeUkraine und jedes Russland dieser Welt, aber sie leben hier; gehen,atmen und dabei kaufen und verkaufen sie Wohnungen, hinter-ziehen Steuern, picknicken im Grünen, singen ihre Volkslieder, trinken undessen reichlich. Dabei bemerken sie nichts von der Magie dieser Stadtdes Autors, Iwano-Frankiwsk, in der er 1960 auf die Welt kam.

Im „Letzten Territorium“ schreibt Andruchowytsch die alte symboli-sche Geographie neu. Die Stadt im Mittelalter, die Stadt unter denPolen. Ständige Überlagerungen auf dem Putz der Bürgerhäuserund auf den Friedhöfen. So auch in Lwiw. „Ein Labyrinth einerKleinstadtmythologie“. Für Józef Wittlin war die Stadt bunt wie einorientalischer Teppich: „Balaban, Korniakt, Kohyla, Boim – was füreine buntscheckige Mischung! Das eben ist Lemberg! (...) Griechen,Armenier, Italiener, Sarazenen, Deutsche verlembergten unter denpolnischen, ruthenischen und jüdischen Einheimischen.“ Andrucho-wytsch weitet diese Reihe aus – außer Serben, Dalmatinern,Arnauten, Argonauten, Tataren, Schotten lebten hier auch Agripper,Lestrigonen, Androgyne und Zyklopen. „Sie waren alle da“, schreibtAndruchowytsch, „denn Lwiw liegt im Mittelpunkt der Welt.“

Fotos: Renata Makarska

35MitOst Nr. 12 | November 2003

Im Mittelpunkt der Welt –der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch schreibt dieGeographie Galiziens neu

Renata Makarska, polnische Boschtutorin von 1996-1998 in

Jena/Deutschland, seitdem Lektorin für Polnisch

FEUILLETON

Andruchowytsch ist auch Lokführer eines virtuellen

Zuges durch Mitteleuropa. Der Autor bezeichnet die

Kultur- und Literatur-Internetzeitschrift „Zug 76“ als „onla-

jnowa reinkarnacja“ (Online-Reinkarnation) eines Zuges,

den es einmal gab und der durch den halben Osten fuhr.

Einsteigemöglichkeiten unter:

w w w . p o t y a h 7 6 . o r g . u a

Das heutige Lwiw hatte schon viele Namen

Andruchowytsch, Juri, Das letzte Territorium. Essays, Aus dem Ukrainischen vonAlois Woldan, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2003

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REISE

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Kosovo haben inden letzten Jahren viele Einwohner vertrieben. Auch tausendeRoma verließen die Region. Sie leben heute in ganz Serbien unterden schlechtesten Lebensbedingungen in Baracken an Schnell-straßen, Autobahnkreuzungen, Brücken oder gar auf Müllkippen.Die hygienischen Bedingungen sind meist katastrophal.

Meine Reise trete ich im November 2002 an. Im Auftrag der GTZ(Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GmbH) sollich Kinder- und Jugendinitiativen untersuchen, die durch dasProjekt „Trauma und Versöhnung“ inhaltlich und finanziell von ihrunterstützt werden. Ziel meiner Arbeit im Kosovo ist unter anderemdie Begutachtung zweier Bildungsprojekte in Roma-Siedlungen. Mitdem Auto fahren wir rechts von der betonierten Hauptstraße aufeinen schlammigen Weg Richtung Müllhalde. Ein älteres Roma-Ehe-paar kommt uns auf einem klapprigen Pferdekarren mit Blechabfallentgegen. Schnaufend versucht das abgemagerte Pferd, den vollbeladenen Karren durch den Schlamm zu ziehen. In der Siedlungbietet sich uns ein Bild von äußerster Armut. Auf einem weiten Feldsieht man zusammengebastelte Blech- und Müllhütten. Hier wohnendie Roma-Familien unter extrem schwierigen Lebensbedingungen.Der uns begleitende albanische Sozialarbeiter führt uns in dasmoderne, in der Siedlung zentral gelegene Gebäude, das als Schuleund Gemeindezentrum dient und von Spendengeldern finanziertwurde. Kinder kommen uns neugierig entgegen gerannt und be-grüßen uns in vielen Sprachen. Wir betreten mehrere Klassenzim-mer, in denen Schüler verschiedener Altersstufen gemeinsam lernen.Vormittags werden die Kinder und Jugendlichen unterrichtet undnachmittags versucht man, die Eltern über Gesundheit, Hygiene,Bildung und vieles andere mehr aufzuklären.

Am nächsten Tag besuchen wir eine Siedlung von sogenannten„Egyptians“. Mehrere nicht verputzte Häuser bilden zusammen einkleines Dorf. Die Familienklans sind so groß, dass man das Gefühlhat, jeder sei hier mit jedem verwandt. Wir betreten Haus und Hofeiner in der Gemeinde angesehenen und gebildeten Frau. Schonüber dreißig Jahre „alt“, bildschön und untypischerweise unverheiratet,lebt diese Lehrerin im Hause ihres Vaters. Sie ist selbstbewusst undengagiert sich für ihre Gemeinde. Gastfreundlich werden wir mitTee und Gebäck empfangen. Die Schuhe ziehen wir, trotz der Kälte,vor der Haustür aus, wie es die Tradition verlangt. Drinnen sitzen

drei Kinder auf dem Fußboden, eingepackt in Pullover und Jacken,aber immer noch vor Kälte zitternd, an einem kleinen elektrischenHeizofen und malen Buchstaben. Die Gastgeberin erzählt über ihreGemeindearbeit und Rolle als Repräsentantin des Volkes. Manmüsse die Kinder und ihre Familien immer wieder davon überzeu-gen, dass Schulbildung wichtig sei und vor Armut schützen könne.Eltern müssten von ihr überredet werden, ihre Kinder regelmäßig indie Schule zu schicken und die Schüler selbst davon überzeugt wer-den, regelmäßig zu erscheinen. Die drei neunjährigen Kinder voruns auf dem Fußboden besuchen regelmäßig die Schule. Sie kön-nen gut schreiben und lesen. Aus Spaß mache ich den Kindern aufDeutsch ein Kompliment. Prompt bekomme ich eine Antwort aufSchweizerdeutsch. Sie erzählen mir, dass sie einige Jahre in einemFlüchtlingslager in der Schweiz gewohnt haben und dort zur Schulegegangen sind. Stolz präsentieren die Kinder ihren eigenenKlassenraum, der sich neben dem Wohnzimmer befindet und vonSpendengeldern finanziert wurde. Doch er ist im Winter nichtheizbar, es gibt nur den kleinen Ofen im Wohnzimmer.

Auch meine Novembernacht wird in der privaten Unterkunft kaltund ungemütlich. Weder Heizung noch Warmwasser funktionieren.Ich muss das allerdings nur ein paar Tage aushalten, für die Roma-Kinder gehören Minusgrade bis zu 20 Grad zum täglichen Leben.

Roma-Kinder im Kosovo –

eine Reise zu vergessenenVolksgruppen

Saskia Dau, Psychologin, Berlin

Fotos: Saskia Dau

Die Aschkali und Kosovo-Ägypter sind albanisch sprechende

Minderheiten im Kosovo. Ihre Herkunft ist umstritten. Sie

gelten als albanisierte Roma, gelegentlich jedoch als Nach-

kommen ägyptischer oder türkischer Einwanderer. Von den

ursprünglich etwa 150.000 Roma, Aschkali und Kosovo-

Ägyptern im Kosovo leben heute drei Viertel in den Nachbar-

ländern Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Maze-

donien oder Albanien. Viele der im Kosovo Gebliebenen

werden in Lagern für „displaced persons“ geschützt, weil

sie Opfer gezielter ethnischer Vertreibung geworden sind.

Ihnen wird von der albanischen Bevölkerung vorgeworfen,

während des Kosovo-Krieges mit Serbien paktiert zu haben.

Etwa 14.000 Häuser der Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter

wurden in Brand gesteckt, 74 Dörfer und Siedlungen dieser

Minderheiten vollständig zerstört.

(Quelle: gesellschaft für bedrohte völker, www.g fbv.de)

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37MitOst Nr. 12 | November 2003

FEUILLETON

pani jola verkauft erleichterung. besonders an wochen-enden, die zunehmend sonniger werden, auch in diesemland. wenig hält die menschen in ihren ein-zwei-drei-zimmerwohnungen der trabantenblocks am rande dergroßen stadt. alles, was da volk ist, strömt auf den ring,den größten marktplatz polens, wenn nicht europas unddie rathausfassade in gotik gratis dazu. europa. je reiferdie erdbeeren auf dem felde, desto europer. es rückt dasdatum bedrohlich näher, wenige stunden werden überdas schicksal eines ganzen, schwer gebeutelten landesentscheiden. noch ist es nicht juni, noch ist polen nichtverloren. also wird abgerechnet. alle sind sie auf denbeinen, arbeiten gegen europa, gegen den präsidenten,für die bauern, für die polnischen produkte. gut weil pol-nisch, verkündet die kirschmarmelade mit niedrigzucker-gehalt. die arbeitslosen invaliden packen ihre krückenund glatzköpfigen söhne untern arm und halten tapferplakate in den gegenwind. eu-beitritt gleich verrat anden wiedergewonnenen gebieten. blut für den boden. esbleiben ein paar alte mit ihren sonntagshüten stehen.

pani jola sagt: früher war alles besser, in der kommune. panijola hat keine gebiete wiedergewonnen. pani jola hat ihreheimat hinterm bug verloren. im polnischen gibt es fürheimat kein wort. pani jola nimmt gerne die bunten luftbal-lons und die pro-europa-hochglanzprospekte für ihre enkelmit. neulich zu muttertag haben sie auch der oma ein fen-sterbild daraus gebastelt. sie leben zu sechst in drei zimmerküche-diele-bad, die rente der oma reicht selten. am bestenzahlen die heimwehtouristen aus deutschland. 80 groschenfür einmal kabine plus händewaschen, klopapier vomlaufenden meter. da wird oft auf einen zloty aufgerundet.

pan edek verkauft zerstreuung. mit seinem ächzenden akkor-deon zieht er von block zu block. sein repertoire istunendlich. derzeitiger schlager, unübertroffen: ode an diefreude. das hat doch ein deutscher geschrieben, sagt panedek. und: in deutschland arbeiten sie anständig. in ihremschrebergarten zieht die ganze familie radieschen, die aufdem markt verkauft werden. wenn polen in die eu kommt,kann ich einpacken, sagt der schwiegersohn. die tochterhält unterm ehebett eine sprühdose mit schwarzer farbeversteckt. in den lauen mainächten streicht sie ums hausund schreibt auf die wände: uni europejska nie. nachmit-tags kommen die kinder aus der schule und sagen: oma,wenn wir in der eu sind, dann bist du nicht mehr die klo-oma. dann kriegst du eine uniform aus gold. dann wird allesbesser. dann nennen wir dich: mc clean.

Pani Jolaverkauft

Erleichterung –Polen vor dem EU-Beitritt

Melanie Haller, 2001–2003 ifa-Kulturassistentin in

Wroclaw/Polen, derzeit Promotion

Foto: Dominik Kretschmann

Foto:Melanie Haller

Wieviele Stunden sind es noch bis zur Entscheidung

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MitOst Nr. 12 | November 200338

FEUILLETON

Selbstbilder –ein neues Buch stellt Menschen jüdischer

Herkunft vor und beschreibt ihre ganz

persönlichen Schicksale

Elke Bredereck, Boschstipendiatin, seit 2001 DAAD-Lektorin in

Odessa/Ukraine

Die Autorin des Buches befragte als Stipendiatin der

Robert Bosch Stiftung während des Programms

„Stiftungskolleg für internationale Aufgaben” jüdische

Bürger zu ihrer Vergangenheit und Gegenwart.

Erscheinungstermin des 160 Seiten umfassenden Buches:

Dezember 2003. Im Januar 2004 finden Lesungen aus

dem Buch in Berlin, Halle, Erfurt und Weimar statt.

Weitere Informationen: [email protected]

Margarita, *1931, Bibliothekarin, St. Petersburg:Ich bin in einem Leningrader Arbeiterbezirk aufgewachsen, dortlebten kaum Juden. Bei uns in der Familie gab es keine jüdi-schen Traditionen, denn meine Eltern waren völlig assimiliert.Sie hatten lange in Prag gelebt, dort studiert. Sie sprachen keinJiddisch mehr und waren nicht religiös. Im Krieg, als ich erfuhr,was im okkupierten Gebiet vor sich geht, dass die Juden umge-bracht werden, da habe ich das erste Mal begriffen, dass ichJüdin bin. Ich hörte, auf welch furchtbare Weise mein Vater,mein Onkel, meine Tante, meine Großmutter und meinGroßvater in Odessa umkamen. [...]

Ich habe einen Russen geheiratet, aber wenn in meinemUmfeld jüdische Männer gewesen wären, hätte ich sicher einenJuden geheiratet. Denn in einer Situation, wo der Antisemitismusim Land ziemlich stark ist, versteht man sich einfach besser.Man hat mehr Sicherheit, dass man nicht beleidigt wird. Wennnicht vom Mann, so doch von dessen Verwandtschaft. Außer-dem ist die Mentalität eine andere. Mir gefallen Juden einfachbesser, in ihnen finde ich mehr Humor, mehr Fähigkeit zumGlück. Aber alle Freunde meines Mannes sind Juden. Ich sag dirwas: Für einen Russen und sogar für einen Juden ist dieVorstellung, die er vom Äußeren einer typischen Jüdin hat, einenegative. Eine typische Russin ist schön, eine typische Jüdinhässlich. Also eine Jüdin ist eigentlich nur dann schön, wenn sieanders aussieht. Darum wollte ich immer etwas Anderes sein. [...]

Ja, ich habe auch über Auswanderung nachgedacht, aber ichweiß, dass es ausgeschlossen ist, solange ich mit meinemMann lebe. Er will nirgendwo hin. Ich würde natürlich gern ineinem Land leben, wo es nicht solche antijüdischen Zeitungenund Aufschriften auf den Wänden gibt oder wo du nicht auf derStraße beleidigt wirst. Aber ich liebe dieses Land, seineProbleme sind meine, seine Kultur ist meine Kultur. Eben dierussische, nicht die jüdische. Ja, ich habe Schalom-Alejchimgelesen, und er gefällt mir. Doch ich bin russisch erzogen. Dasist meins. [...]

Typisch für die jüdische Mentalität scheint mir der Spott, sonsteigentlich nichts. Es gibt auch unter den Juden böse und gute,ich mache keinen Unterschied, bin auch mit Russen befreundet.Vielleicht suche ich nur dann Juden, wenn es ein gemeinsamesGesprächsthema gibt. Sonst ist mir die Nationalität egal, ichsehe da keinen besonderen Unterschied. [...]

Es gibt bei uns massenhaft jüdische Witze. In letzter Zeit höreich sie selten, vielleicht, weil so viele Juden ausgewandert sind.In diesen Witzen ist der Jude immer gierig oder listig. Ich erzäh-le gern jüdische Witze und imitiere den Akzent. Natürlich sinddas keine, die Juden erniedrigen. Im Land gab es eine Mengesolcher erniedrigender Witze, das ist eine andere Sache. Icherzähle auch keine unanständigen. Eine Kostprobe:

„Treffen sich zwei Juden.Wie geht`s, Abraham?O, schlecht.Warum schlecht?Ich hab Krebs.Das ist schlecht, ja. Aber es könnte doch noch schlechter gehen.Was kann denn schlechter sein?I c h könnte Krebs haben.“

Bredereck, Elke, Menschen jüdischer Herkunft. Selbstbilder aus St. Petersburg,Vilnius und Berlin, Hartung-Gorre Verlag Konstanz, Hrsg. Erhard Roy Wiehn

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39MitOst Nr. 12 | November 2003

FEUILLETON

Annette Hartmetz und Anne-Catherine Paulisch, Fachreferentinnen

bei amnesty international

Solidarität fürRussland–eine Kampagne von amnesty international

„Solidarität für Russland“ – ist das Motto der im Oktober2002 gestarteten weltweiten Russland-Kampagne vonamnesty international (ai). Schwerpunktthemen derKampagne sind die Situation von Frauen, Kindern undJugendlichen in Haft sowie der weit verbreitete Rassismusund die Diskriminierung ethnischer Minderheiten.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde mit neuenGesetzen Grundlagen für einen Rechtsstaat gelegt. Aber zwi-schen Verfassung und Realität klafft nach wie vor eine Lücke.Ein Beispiel: das von Russland unterzeichnete UN-Übereinkom-men über die Rechte des Kindes von 1989 garantiert Kindernund Jugendlichen spezielle Rechte, die sie vor Übergriffen wieFolter und Misshandlungen z.B. in Haftanstalten schützen sol-len. Dennoch erfährt amnesty international immer wieder vonsolchen Übergriffen gegen Kinder. Oftmals werden Kindern inUntersuchungshaft sogar grundlegende Rechte vorenthalten,wie etwa das Recht, nur im Beisein eines Anwalts, eines Familien-angehörigen oder einer anderen geeigneten erwachsenenPerson vernommen zu werden.

Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien

Der Konflikt in Tschetschenien wird von massiven Menschen-rechtsverletzungen und Verstößen gegen humanitäres Völker-recht begleitet. Glaubwürdige Quellen werfen den russischenSicherheitskräften vor, für willkürliche Festnahmen, Folterungen,Hinrichtungen und das „Verschwindenlassen“ von Menschenverantwortlich zu sein. Gefangene werden oft unter katastro-phalen Bedingungen – manchmal sogar in Erdlöchern – festge-halten. Der Kontakt zu ihren Familienangehörigen oder einemRechtsbeistand wird ihnen verwehrt. Überlebende berichtenvon routinemäßiger und systematischer Folter, darunter dieVergewaltigung von Männern und Frauen, Schläge, Elektro-schocks und die Anwendung von Tränengas. Aber auch denbewaffneten tschetschenischen Gruppen werden massive Ver-letzungen des humanitären Völkerrechts zur Last gelegt. Sie sollenbeispielsweise Anschläge auf Zivilisten verübt und gefangengenommene russische Soldaten exekutiert haben.

Weit verbreitete Straflosigkeit

Den Menschenrechtsverletzungen steht die weit gehendeStraflosigkeit der Täter entgegen. Die Verurteilung des ranghohenOberst Jurij Budanow zu zehn Jahren Haft für die Entführungund Ermordung der 18-jährigen Cheda Kungajewa im Juli 2003ist daher für ai ein konkreter Erfolg der Russland-Kampagne.Der Hintergrund: am 26. März 2000 wurde Cheda Kungajewavon russischen Soldaten unter dem Kommando von OberstBudanow aus der Wohnung ihrer Familie in der Nähe vonGrosny verschleppt. Der Oberst hatte die junge Frau mit in seinZelt genommen und dort erwürgt. Nach der Obduktion wurdefestgestellt, dass sie etwa eine Stunde vor ihrem Tod brutal ver-gewaltigt worden war. In einem ersten Gerichtsverfahren wurdeOberst Budanow als zeitweilig unzurechnungsfähig erklärt undlediglich eine zweijährige stationäre psychiatrische Behandlungangeordnet. Anlass für ai aktiv zu werden: Aus der ganzen Welt gingenAppellbriefe bei den zuständigen russischen Behörden ein, dieeine unparteiische Untersuchung der Vorwürfe forderten. DasMilitärkollegium des Obersten Gerichtshofs hob das vorherigeUrteil schließlich auf und verwies das Verfahren an das Militär-gericht zur Verhandlung zurück. Das endgültige Urteil erging imJuli 2003.

Staaten- und Passlosigkeit für ehemalige BürgerInnen derSowjetunion

Ein besonders aktuelles Thema der Kampagne ist die drohendeStaaten-und Passlosigkeit für viele ehemalige BürgerInnen derSowjetunion. 1991 wurde das russische Staatsangehörigkeits-recht neu geordnet. Während dieses Recht von den meistenrussischen StaatsbürgerInnen problemlos in Anspruch genom-men werden kann, wird es nach Informationen von ai bis zumheutigen Tag Hunderttausenden von Menschen, insbesondereAngehörigen verschiedener ethnischer Minderheiten vorenthal-ten. Die Folgen für die Betroffenen sind dramatisch. So habensie beispielsweise keinen Zugang zu Krankenversorgung,Sozialleistungen und Schulwesen. Mit dem Ende einer Über-gangsperiode, in der noch der alte sowjetische Pass galt, drohtden Betroffenen mit dem 1. Januar 2004 praktisch auch nochdie Staatenlosigkeit.

Die Russland-Kampagne endet am 10.12.2003, dem Inter-nationalen Tag der Menschenrechte. Die deutsche Sektion wirdam Wochenende davor eine Abschlusskundgebung in Berlinveranstalten. Vor der russischen Botschaft soll mit großenBannern nochmals eindrücklich gezeigt werden, wem unsereSolidarität in Russland gilt!

Weitere Informationen: www.amnesty.de

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THEODOR-HEUSS-KOLLEG

Ideen verwirklichen – Richtung Südost

Die Maschen des „Kollegiatennetzes“ werden in Südosteuropa immer dichter

Karen Hauff, Koordinatorin beim Theodor-Heuss-Kolleg, Berlin

Die Zahl der Teilnehmer im Theodor-Heuss-Kolleg aus Bulgarien, Bosnien undHerzegowina, Kroatien, Mazedonien, Ungarn, Rumänien und Serbien-Montenegro nimmt zu. Bei den Sommerseminaren des Heuss-Kollegs erklin-gen jetzt häufig Balkanbeats und Yugoton, die Georgier und Russen erhaltenKonkurrenz auf dem Tanzboden. In Gesprächen zu gesellschaftlichen Proble-men werden nun häufig Beispiele aus der Balkanregion genannt. Ein Thema,das den Kollegiaten aus Südosteuropa auf der Seele brennt: Wie kann dasZusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen harmonisch verlaufen?Was können wir dafür tun? Die Teilnehmer bemühen sich um Erklärungen fürdie Konflikte zwischen der ungarischen Minderheit und der rumänischenBevölkerung in Cluj/Koloszvar oder erzählen von ihren Erlebnissen undEindrücken, wie Serben, Kroaten und Bosniaken nebeneinander in Sarajewoleben. Sie wehren sich dagegen, über einen Kamm geschoren zu werden. Bal-kan ist nicht gleich Balkan, und welche Länder gehören überhaupt dazu?

Projekte in Südosteuropa

Im vergangenen Jahr waren Aktivitäten mit Waisenkindern in Bukarest, Budapest und Sombor(Serbien), ein Seminar in Slowenien zu sprachbezogenen Vorurteilen sowie eine Fortbildung zuProjektmanagement des Theodor-Heuss-Kollegs in Cluj der Auftakt für die Projektarbeit inSüdosteuropa.

IN DIESEM HERBST LÄUFT EINE GANZE REIHE VON PROJEKTEN AN:

Demokratie lernen und diskutierenKollegiaten entwickeln Seminarprojekte, um die Situation in ihren Regionen zu diskutieren und zulernen, eigene Standpunkte einzunehmen. Bereits im Sommer 2003 wurden dazu während derEinstiegsseminare des Theodor-Heuss-Kollegs erste Erfahrungen gesammelt. „Demokratie alsFremdsprache“ betiteln zwei rumänische Kollegiaten ein Treffen mit Studierenden aus Süd- undMittelosteuropa an der Universität Konstanz, wo sie sich mithilfe von Theatermethoden mit Demo-kratiekonzepten auseinandersetzen wollen. „Die Seminarsprache ist Deutsch und die gemeinsameFremdsprache ist die Demokratie,“ so Ramona Trufin und Florin Veringa. Kontakt: Ramona Trufin, [email protected].

Balkan in EuropaIn internationalen Seminaren und auf Reisen stellten südosteuropäische Kollegiaten fest, wie wenigandere Mittel- und Osteuropäer über die Balkanregion wissen. Eine Ahnungslosigkeit, die nachAnsicht der Kollegiaten manchmal zu verletzenden Äußerungen und zu Gleichgültigkeit gegenüberder aktuellen Lage in dieser Region führt. Kollegiaten aus Bosnien, Serbien und Slowenien planendeshalb nun ein Vertiefungsseminar, wo sie die politischen und geschichtlichen Beziehungen zwi-schen Nationen und ethnischen Gruppen in der Balkanregion, aktuelle Entwicklungen und Krisen er-klären und diskutieren wollen. Das Seminar soll auch für MitOst-Mitglieder und Lektoren offen sein.Kontakt: Sandra Topalovski, zandreta@hotmai l .com.

Bosnische Identität – von der Dreisamkeit zur Gemeinsamkeit? Svjetlana Lugonjic lädt kroatische, serbische und bosniakisch-muslimische Studenten, die in Bosnienleben, zu einem Treffen ein, um herauszufinden, ob es eine gemeinsame bosnische Identität gibt.„Das Ziel ist, zu lernen, miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten, weil langfristig dieHauptprobleme in Bosnien nur gemeinsam und von dieser Studentengeneration gelöst werden kön-nen. Teilnehmer sollen sich mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen, anstatt zu resignieren und

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41MitOst Nr. 12 | November 2003

eine Identität in einem anderen Land zu suchen. Viele unter ihnen fühlen sich als Fremde im eige-nen Land und ziehen dann leider eine andere Fremde der Fremde Bosniens vor, weil es viel Kraftkostet hier zu leben. Ich will versuchen zu zeigen, dass es doch viel Gemeinsames gibt, wir habendie gleichen Wurzeln, die gleiche Geschichte, Kultur, die gleichen Träume, Hoffnungen …“Kontakt: Svjetlana Lugonjic, svjet lana. lugonj [email protected] .ac .uk .

Schreibwerkstatt SüdostDas Engagement der Heuss-Kollegiaten wendet sich auch der Praxis zu. In zwei Werkstätten zumThema „E-Media“ in Blagaevgrad (Bulgarien) und „Online-Journalismus“ in Cluj-Napoca (Rumänien)wollen Nachwuchs-Journalisten sich mit Medienethik befassen, das Schreiben von Online-Artikelnüben und im Umgang mit elektronischen Medien handfeste technische Kompetenzen erlangen. „DieIdee des Projekts ist wegen des Vakuums an professionellem Journalismus in Südosteuropa ent-standen“, so einer der Projektleiter. „Das Internet bietet eine große Chance für unabhängigen undkreativen Journalismus.“ Kontakt: Vlad Vlasceanu, vladvlasceanu@hotmai l .com (Bulgarien), Leon-Eduard Bruckner, [email protected] (Rumänien)

Die Projektleiter freuen sich über Anregungen, Unterstützung und Euer Interesse!

Gemeinsam akt iv für e ine lebendige Demokrat ie

Jetzt für das Kollegjahr 2004/2005 bewerben!

Das Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung fördert jährlich 100 aktiveJugendliche aus Deutschland, Österreich und den Ländern Mittel-, Ost- und Südost-europas, die sich an ihrer Hochschule, im Heimatort oder in internationalen Projektenengagieren möchten.

Heuss-Kollegiaten werden zu internationalen Sommerseminaren mit gesellschafts-politischen und interkulturellen Themen eingeladen. Gemeinsam mit weiterenStudenten lernen sie dort, ein eigenes Projekt systematisch zu entwickeln. Ein Sti-pendium der Robert Bosch Stiftung ermöglicht die Realisierung der besten Projekt-ideen. Die Heuss-Kollegiaten nehmen an Fortbildungsseminaren teil und tauschensich bei regionalen Treffen aus. Mit einem Bilanzseminar in Berlin wird die Ausbil-dung nach einem Jahr abgeschlossen.

Bewerber für das Theodor-Heuss-Kolleg sollten zwischen 18 und 24 Jahre alt sein,über gute Deutschkenntnisse verfügen und Lust auf Projektarbeit haben.Bewerbungsschluss: 10.03.2004

Weitere Informationen: www.theodor-heuss-kol leg .de . Kontakt: info@theodor-heuss-kol leg .de .

Neu erschienen!

Demokratie und Gemeinsinn - Bericht über die Kollegjahre 2000-2003

Die Publikation des Theodor-Heuss-Kollegs der Robert Bosch Stiftung berichtet über die Entstehung undEntwicklung des Kollegs und stelltKollegiatenprojekte seit der Gründungdes Kollegs vor.

Die Broschüre sowie weiteresInformationsmaterial schickt dasTheodor-Heuss-Kolleg gerne zu.

Ausschreibung

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MitOst Nr. 12 | November 200342

LEKTORENPROGRAMME

oto: Paul Cahoj

Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart

„Es fährt ein Zug nach Nirgendwo,den es noch gestern gar nicht gab ...“

Ralf Kirmse, Boschlektor in Szeged/Ungarn 1998-2000

otos: Dominik Kretschmann

Auch wenn das Ziel des „Lektorenzugs“ zum 10jährigen Jubiläum nicht im Nirgendwo lag, sondernin Brünn, Budapest, der Hohen Tatra und Krakau, so gab es diesen Zug in der Tat gestern noch nicht,und er wird wohl auch einzigartig bleiben. Drei Abteilwagen, Salon-, Speise- und Gesellschaftswagenmit Bar, allesamt im Bundesbahncharme der 70er Jahre, boten 160 ehemaligen Lektoren der RobertBosch Stiftung und zahlreichen Jubiläumsgästen ein außergewöhnliches und unvergesslichesAmbiente für die sechstägige Reise, die viele Lektoren nochmals durch die Gegenden führte, indenen sie einst wirkten. Sämtliche Lektorenländer präsentierten sich in facettenreichen Ausstellungenim Zug sowie während der Fahrt durch zahlreiche Veranstaltungen im Salon- und Gesellschaftswagen.So konnte man Erfahrungen austauschen, in alten Zeiten schwelgen, neue Länder kennen lernen undabends in Brünn, Budapest, Tatranska Lomnica und Krakau 10 Jahre Lektorenprogramm angemessenfeiern. Fotos und Berichte von dieser einmaligen Reise sind unter www.boschlektoren.de zu finden.

Die wahren Helden der Reise

Sowohl denjenigen, die mit der Organisation und Durchführung der Zugreise betraut waren, als auchden vielen Helfern an den „Haltestellen“ gilt unser aufrichtiger Dank. Ihre hervorragenden Leistungenhatten Anteil am besonderen Erfolg dieser Reise. Unter all den Fleißigen gibt es jedoch ein Kollektiv,das den Titel „Helden der Reise“ in ganz besonderer Weise verdient: Es handelt sich um dieMasseurbrigade aus dem Rudas-Bad in Budapest. Sie sorgte definitiv für einen Höhepunkt der Reise!

Wer einmal den etwas düsteren Innenraum des Bades mit seiner von Säulen getragenen Kuppel,dem achteckigen Hauptbecken, mit den in Nischen gelegenen kleinen Becken und den verschiede-nen Saunakammern betreten hat, weiß, welchen Belastungen die Angestellten des Gesundheits-wesens ausgesetzt sind: 40 °C heißes Schwefelwasser und Küchendampfbrodeln allerorten. DieMassagestube liegt etwas abseits, der Badelärm dringt nur von fern herüber. Hier ist die Luft wenigerstickig, dafür erfüllt von Seifenduft. Hinter den in zwei Reihen angeordneten Blechpritschen stehendie vier muskulösen Masseure, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, die schweren Händeerwartungsvoll auf die Liegen gestützt.

Normalerweise geht es im Rudas-Bad vorrangig um Klasse. Hier entspannen sich Künstler undIntellektuelle – sogar der Staatspräsident soll regelmäßiger Gast sein. Bei unserer Gruppe fiel jedochauch die Masse ins Gewicht. Weil eine Verständigung auf Ungarisch nicht möglich war, rief eine kurzeKopfbewegung die Delinquenten zur Massagebank. Schon begannen die eingeseiften Hände mitihrer Arbeit. Packten verspannte Muskelgruppen, zogen sie hin und her - Widerstand war zwecklos.Gelenke wurden in alle möglichen und unmöglichen Richtungen gebogen und gefaltet. Ein Finger-zeig forderte dazu auf, sich einmal um die Längsachse zu drehen, um sich die andere Körperhälftebearbeiten zu lassen. Während die Gäste stumm auf den Pritschen lagen und die Hände derMasseure wie selbst ständige Lebewesen auf dem Körper umherwanderten, entspann sich in der

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43MitOst Nr. 12 | November 2003

LEKTORENPROGRAMME

In 10 Programmjahren hat die Robert

Bosch Stiftung rund 460 Stipendiaten

gefördert. Lektoren waren seit 1993 in

17 Ländern aktiv:

Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei,

Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien,

Bosnien-Herzegowina, Serbien und Monte-

negro, Kroatien, Belarus, Ukraine, Russland,

Kasachstan, Georgien.

Etwa ein Drittel der ehemaligen Lektoren –

und darunter Vertreter aus allen Programm-

jahren! – ging vom 24.-29. September mit

dem Lektorenzug auf Reisen.

Die Ausschreibung für das neue

Stipendienjahr 2004/05 ist in vollem

Gange. Bewerbungsunterlagen und

Informationen unter

www.boschlektoren.de .

Bewerbungsschluss ist der 31. Januar 2004!

„Polnische und russische Studenten organisieren getrennt eine Ausstellung über ihre Heimat-städte Olsztyn und Kaliningrad, besuchen sich gegenseitig und präsentieren dabei ihre Ausstellunggemeinsam vor großem Publikum“ – so könnte die Kurzbeschreibung der Projektidee sein, diedie beiden Boschlektoren Aneta Jachimowicz (Olsztyn) und Andreas Metz (Kaliningrad) imFrühjahr 2003 in die Tat umsetzten.

Die ehemaligen ostpreußischen Städte Allenstein (Olsztyn) und Königsberg (Kaliningrad) sind durcheine jahrhundertelange Geschichte miteinander verbunden. Die Gegenwart ist jedoch durch eineschwierige Grenze zwischen dem nun zu Polen (Olsztyn) und Russland (Kaliningrad) gehörendenGebiet geprägt. Seit 1990 wachsen langsam Kontakte, sie werden aber durch die EU-Osterweiterungund die Einführung der Visapflicht an der polnischen Grenze zum 1. Oktober 2003 wieder erschwert.Das Projekt stellte eine der letzten Gelegenheiten für Studenten aus beiden Ländern dar, sichunproblematisch kennen zu lernen.

Am Austausch nahmen rund 28 Studenten teil. Sie hatten die Gelegenheit, sich im Mai und Juni 2003je ein Wochenende lang gegenseitig zu besuchen. Die jeweiligen Gastgeber organisierten dieUnterkunft in Privatquartieren und stellten auch ein Programm zusammen, das aus Ausflügen,Lagerfeuern, Stadtrundgängen und gemeinsamen Essen und Feiern bestand. Kommuniziert wurdedabei vorrangig auf Deutsch.

Die jeweiligen Höhepunkte der beiden Wochenenden waren die feierlichen Eröffnungen der gemein-samen Ausstellung „Moj Gorod / Moje Miasto /Meine Stadt“ im Rathaus in Olsztyn und im Deutsch-Russischen-Haus in Kaliningrad vor jeweils über hundert Gästen. Die Ausstellung, die in rund drei-monatiger Arbeit entstand, besteht aus etwa 80 Fotografien aus beiden Städten und rund 50 Texten,die zu den jeweiligen Fotos eine sehr persönliche Geschichte erzählen.

Die beiden Wochenenden waren trotz unterschiedlicher Geschichte, Mentalität und Kultur von großerHarmonie geprägt – viele Freundschaften entstanden. Beim Abschied am Busbahnhof wollte dasUmarmen kein Ende nehmen. Gegenseitige Nachtreffen sind vereinbart.

Moj Gorod/Moje Miasto/Meine Stadt

Massagestube ein lebhaftes Gespräch. Weil ein Großteil der Gruppe kein Ungarisch verstand, konntedie Masseurbrigade sich relativ unbelauscht fühlen und bestimmt das eine oder andere Witzchenüber die Kundschaft reißen. Auch die Hände der Masseure hatten ihre Unterhaltung. Normalerweiseist das traditionelle osmanische Bad den Männern vorbehalten, zu unserer Gruppe gehörte dagegeneine nicht geringe Anzahl jüngerer Frauen.

Ein Blick zum Eingang muss den Masseuren ein Gefühl wie dem Hl. Georg, dem Drachentöter,beschert haben. Denn so, wie dem Drachen stets neue Köpfe wuchsen, nahm auch die Schlange derAspiranten kein Ende und schien sich stets von selbst zu erneuern. So waren die lendenbeschürztenKörperbändiger während ganzen Nachtschicht von 22 Uhr bis ein Uhr morgens beschäftigt. Drei StundenDauermassage ziehen sich auch für Profis in die Länge. Der Laie konnte das an den gequälten Blickenerkennen, die sich besonders in der letzten Stunde immer häufiger zur Uhr über der Tür richteten.

Ein paar Abstriche müssen an dieser Glanzleistung nur deshalb gemacht werden, weil nicht in allenFällen die geforderte Gleichbehandlung angewendet wurde und einige Kunden in den Genuss einerextra langen Massage kamen. Ob dies aus medizinischen oder anderen Gründen erfolgte, bleibtdahingestellt.

Fotos: Dominik Kretschmann

Andreas Metz, 2002–2003 Boschlektor in Kaliningrad/Russland, 2003–2004 in Danzig/Polen,

Mitinitiator des n-ost-Korrespondentennetzes

Foto: Andreas Metz

Betonruine in Kaliningrad (ehemals Schloss)

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Katrin Peerenboom, ehemalige Stipendiatin des Programms „Völkerverständigung macht Schule“ in

Krakau/Polen und Alumni-Vertreterin von MitOst

Seit nun fast 2 Jahren ist die Robert Bosch Stiftung um ein Stipendienprogramm im BereichVölkerverständigung mit Mittel- und Osteuropa reicher. In Zusammenarbeit mit der Zentral-stelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) sowie dem Pädagogischen Austauschdienst (PAD)bietet dieses Programm die Möglichkeit, während eines drei- oder sechsmonatigen Praktikumsan einer Schule in Mittel- und Osteuropa Unterrichtserfahrung zu sammeln. Daran teilnehmenkönnen Studierende und Absolventen von Lehramtsfächern, aber auch anderer Sozial- undGeisteswissenschaften.Neben dem Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache ist die Realisierung eines Projektes einwichtiger Bestandteil des Praktikums. So wurden bisher beispielsweise in den Bereichen Film,Musik, Geschichte, Theater, Kunst, Internet und Literatur mit großem Engagement der Prakti-kanten kreative und sehr gelungene Projekte verwirklicht.Um die Erfahrungen und die Begeisterung nach der Rückkehr aus dem Praktikum weiterlebenzu lassen, haben sich die Ehemaligen von „Völkerverständigung macht Schule“ unter dem Dachvon MitOst zusammengetan.

eitere Informationen:

usan Rößling und Katrin Peerenboom

ms@mitost .de)

hannes Deublein, Februar-Mai 2002

St. Petersburg/Russland:

ch habe gesehen, dass die Schüler in

ussland häufig motivierter sind als in

eutschland, da sie mit Blick nach Westen

re Chance nutzen wollen. Ich habe ge-

rnt, dass auch mit bescheidenen Mitteln

uter Unterricht möglich ist. Und ich habe

ealistinnen gesehen, die trotz niedrigster

öhne und schlechten Ansehens motiviert

ren Job taten.“

ngélique Leszawski, Februar-April 2003

Liepaja/Lettland

Das Praktikum war für mich eine wichtige

nd neue Erfahrung, denn zum ersten Mal

nterrichtete ich Schüler. Trotz kleinerer

chwierigkeiten hatte ich sehr viel Spaß

abei. Besonders die Projektarbeit förderte

ei mir und auch bei den Schülern neue

ngeahnte Fähigkeiten und Talente.“

ndreas Gelke,

eptember 2002-März 2003

Prag/Tschechien

Wichtig war die Möglichkeit, eine Zeit lang

te, eingetretene Pfade zu verlassen, ein

nderes Land „hautnah“ in vielen seiner

acetten kennen zu lernen und sich der

erausforderung zu stellen, sich ein neues

oziales Umfeld aufzubauen.“

lke Erdmann,

eptember-Dezember 2003 in

ew/Ukraine

ch habe dabei gelernt, wie leicht wir

eutschen aufgeben würden an Hürden,

e hier noch nicht einmal als Hürden

ngesehen werden.“

Internationales Deutschlehrerkolleg der Robert BoschStiftung für Fortbilder an Schulen in Mittel- undOsteuropa 2004/05

Im Jahr 2004 vergibt die Robert Bosch Stiftung zum zweiten Mal Stipendien anDeutschlehrer an allgemeinbildenden Schulen in Lettland, Estland, Litauen, Tschechienund in der Slowakei, die selbst Fortbildungen für Deutschlehrer durchführen oder inZukunft als Fortbilder tätig werden möchten.

Die Stipendien richten sich an pädagogisch engagierte Lehrkräfte, die nicht älter als 50 Jahresind, ihre berufliche Zukunft in der Schule sehen und ihre methodischen und pädagogischenMöglichkeiten weiterentwickeln möchten. Die Stipendien sind für Bewerber gedacht, die einGermanistikstudium abgeschlossen haben und seit mindestens 5 Jahren im Schuldienst tätigsind. Sie sollten über sehr gute deutsche Sprachkenntnisse verfügen und in den letzten zweiJahren regelmäßig an sprachlichen, methodischen oder landeskundlichen Fortbildungen ineinem deutschsprachigen Land oder in ihrem Heimatland teilgenommen haben.

Die Ausbildung dauert insgesamt 20 Monate und erfolgt in Zusammenarbeit mit der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und dem interDaF e.V. am Herder-Institut der Universität Leipzigsowie mit den Goethe-Instituten in den genannten Ländern.

Weitere Informationen: www.bosch-st i f tung.deMitOst Nr. 12 | November 200344

Lehrer auf Zeit –Völkerverständigung macht Schule

KOOPERATIONSPARTNER

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Katrin Peerenboom, ehemalige Stipendiatin des Programms „Völkerverständigung macht Schule“ in

Krakau/Polen und Alumni-Vertreterin von MitOst

Ist Ironie, etwa die so heitere wie feine Distanziertheit eines Thomas Mann,übersetzbar? Warum wimmelt es in russischen Texten von „Täubchen“ und„Herzchen“? Wird Kafkas Liftjunge Karl Roßmann gegen die Schulter oder inden Hintern gestoßen? Und wie kommt es, dass „aktualnost“ und „Aktualität“nicht dasselbe bedeuten? Spurwechsel fragt nach den Unterschieden undGemeinsamkeiten zwischen den beiden Kulturen, wie sie in den Sprachen zuTage treten und von den Übersetzern gestaltet werden. Zu Wort kommen

deutsche und russische Literaturübersetzer. Bestimmte Wörter, sagt Marina Korenewa, habeneinen „Hinterhof“, der sich nicht mittransportieren lasse. Und Ilma Rakusa spricht von denunterschiedlichen „Temperaturen“ des Russischen und des Deutschen. „Spurwechsel“ zeigt dievielfachen Brechungen, die sich ergeben, wenn ein Text die Sprache wechselt. Der Film ent-stand anlässlich des Länderschwerpunktes Russland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.Die Herstellung wurde auch von der Robert Bosch Stiftung gefördert. Für einen Einsatz imUnterricht ist der Film sehr geeignet.

Bei Interesse am Film bitte an anja .harms@bosch-st i f tung.de wenden.

Spurwechsel – ein Film vom Übersetzen

„Spurwechsel“

Filmdokumentation von Gabriele Leupold,

Eveline Passet, Olga Radetzkaja, Anna

Schibarowa und Andreas Tretner.

Kamera: Jakobine Motz. Schnitt: Stefan

Stabenow, ca. 80 Minuten.

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MitOst e.V.

GeschäftsstelleSchillerstraße 57

D -10627 Berlin

Mitglieder aus Deutschland bitten wir, uns aus Kosten- und Organisations-

gründen folgende (jederzeit widerrufbare) Einzugsermächtigung zu erteilen.

Ich erteile dem MitOst e.V. ab sofort bis auf Widerruf die Berechtigung

zum Einzug meines jährlichen Mitgliedsbeitrags von meinem Konto bei der

Bankeinzug

Bank, Ort

BLZ

Kontonummer

Kontoinhaber/-in

Datum, Unterschrift

LESERBRIEF

Da ich seit 1997 als „Frau aus dem Westen“ in Polen lebe,möchte ich mich hier zu Wort melden. Ich habe denEindruck, dass die Verfasserin Polen in dem einen Jahr ihresAufenthaltes nicht wirklich kennen gelernt hat. DieGesellschaft in Polen ist hermetischer als die Gesellschaft inDeutschland. Kontakte zu den „Einheimischen“ zu finden, istschwerer als in Deutschland, braucht mehr Zeit und Geduld.

Ich bin überzeugt davon, dass eine Frau in Polen von ihremMann im Haushalt und bei der Kindererziehung mehrUnterstützung als eine Frau in Deutschland erwarten kann.Nirgendwo anders als in Polen habe ich Väter so liebevollmit ihren Kindern auf den Spielplätzen spielen sehen. Zwarist die Frau in Polen für die Hausarbeit verantwortlich, dasheißt jedoch, dass sie diese koordiniert und managt. Siebestimmt, was wann geschehen soll und gibt entsprechendeAnweisungen an die restlichen Familienmitglieder. Es istselbstverständlich, dass der Mann sich um das Staubsaugen,Müllwegtragen oder Einkaufen kümmert, wenn die Frau dieswünscht.

Ich selbst würde eine Menge Gründe finden, warum dasLeben für eine Frau in Deutschland einfacher ist als in Polen –keinen finde ich in dem genannten Artikel. Sei es derhöhere Lebensstandard in Deutschland, wirtschaftlicheFaktoren wie höherer Lohn, höheres Kindergeld, höheresErziehungsgeld oder die bessere soziale Absicherung oderdie insgesamt offenere Gesellschaft. Dies sind nur einigeBeispiele.

Gerhild Bär, Wroclaw/Polen

MitOst Magazin Nr. 11,Mai 2003, S. 26:„Warum ich als Fraulieber im Westen lebenwill.“

Beiträge auf der Seite „Leserbriefe“ sind in keinem Fall Meinungs-

äußerungen der Redaktion. Wir behalten uns Kürzungen der Texte vor

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Schilderwald im Ausland – der zweite Platz in unserem Fotowettbewerb

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VORSCHAU/REZEPT

Schwerpunkt der nächsten Ausgabe ist das Thema Grenzen.Im Jahr 2004 werden die Karten in Europa kräftigdurcheinander gemischt. Durch den EU-Beitritt mehrererLänder werden Grenzen neu definiert. Alte Barrieren fallenweg, neue, schwer überwindbare Schranken werden z.B.durch Visapflicht an den EU-Außengrenzen in RichtungOsten aufgebaut. In welche Turbulenzen geraten dieMenschen durch Grenzveränderungen? Sind Grenzen nichtmehr wichtig oder geben die Zäune gar mehr Sicherheit undGeborgenheit? Was machen Pendler, die von den bisherigenGrenzsituationen profitierten? Entstehen neue Mauern inden Köpfen? Welche Chancen bieten sich durch den Wegfallder Grenzen? Wie wird das „neue“ Europa aussehen? Wir

bitten um viele Beiträge zu diesem Thema. Wie immer sind wir auch an Buchbesprechungen, Reise-berichten, Hintergrundberichten, Reportagen etc. interessiert.Und natürlich an Satiren, Glossen, Comics, Cartoons undKarikaturen – diese Kategorie kommt immer wieder zu kurz!

Beiträge, Vorschläge, Lesermeinungen und Fotos dazu bitte an:

magazin@mitost .deoder per Post an die Geschäftsstelle.Schillerstraße 57D-10627 Berlin

An dieser Stelle möchten wir auch die Projektleiter bitten, unsrechtzeitig interessantes Material zu Projekten zu schicken.

Vorschau auf die nächste Ausgabe des MitOst-Magazins(erscheint im Frühjahr 2004)

Fotos: Kathrin Hölker

Honig-Wodka Krupnikas

Dieses Mal wollen wir ein litauisches Rezept vorstellen. In wenigenLändern wird Honig so gerne zum Süßen verwendet wie in Litauen. Erfindet aber auch in alkoholischen Getränken Verwendung. Der selbst-gemachte Honig-Wodka ist ein raffiniertes Getränk, das besonders gut indie kalte Herbst- und Winterzeit passt. In dekorative Flaschen abgefüllt, istder Honig-Wodka auch ein schönes Weihnachtsgeschenk.

ZUTATEN FÜR CA. 1 LITER:◗ 1 Vanilleschote◗ große Prise Muskat◗ 6-8 Stangen Zimt◗ 3-4 Gewürznelken◗ 6-8 große Streifen Orangenschale oder 5 Streifen Zitronenschale ◗ 180 ml Wasser◗ 380 ml Honig◗ 750 ml Wodka

ZUBEREITUNG:Vanilleschote, Muskat, Zimt, Gewürznelken, Orangenschale bzw. Zitronen-schale und Wasser in einen großen Topf geben und aufkochen lassen. DenHonig einrühren. Bei geschlossenem Topf kurz kochen lassen (ca. 5 Min.),damit sich die Zutaten gut miteinander verbinden.

Topf von der Herdplatte nehmen und den Wodka einrühren. Ganz wichtig:das Gewürzwasser muss heiß sein, darf aber nicht mehr kochen, wenn derWodka eingerührt wird, sonst verflüchtigt sich der Alkohol.

Krupnikas ist heiß und kalt ein Leib- und Seelenwärmer!

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In Warschau

Ich gehe hinaus auf den Balkon, mich dir zu zeigen,

du schönster Koloss der Hauptstadt.

Sandberg in Form geschlagen; in der Höhe – ein Stern,

zu Füßen rumort die Menge.

Violette Flecken am Himmel, nackt stehst du mir,

nackt stehe ich dir gegenüber, erstaunt

wie wenig uns trennt, unbeweglich starren wir und schweigen.

Der Schriftzug deines Vaters hat die Landkarten

gezeichnet; sein Kopf

vermodert seit langem, ich aber begreife noch die Sprache deiner Kapitelle.

Gleich dir, gelangweilt und einsam,

fordere ich Pflege, Frühstück und Wolkenfilz.

Gleich dir: ist das nicht seltsam?

Klar wie der Morgen: geheime Freude für einen Tag,

vielleicht für eine Woche,

flüsternd den Freunden ins Ohr, wie schön es war,

scharf und exotisch: vielleicht im Herbst,

werde ich Pizza kauen an der Bushaltestelle, emporblicken zum Lorbeerkranz,

aber die Zeit ruft zur Abfahrt.

Und sie eilen, kommen zu spät, zu spät, schon brennen die Lichter

und den Himmel retuschiert das Dunkel.

Was bleibt zu tun – das Objektiv auszurichten und abzuziehen

deiner Seele Dunkelheit, Freund.

Aus dem Litauischen übertragen von Mala Vikaite und Viktor Kalinke.

Laurynas KatkusLaurynas Katkus (geb. 1972) ist Lyriker und Übersetzer. Nach dem Studium arbeitete er in der

Landwirtschaft, beim Radio, im Verlagswesen sowie als Dolmetscher. 1998 debütierte er mit

dem Gedichtband Balsai, rasteliai (Stimmen und kleine Briefe). Daneben übersetzte Katkus u.a. Hölderlin, Benn,

e.e.cummings und Yeats ins Litauische. Er lebt und arbeitet als freischaffender Künstler in Vilnius.

Laurynas Katkus

Tauchstunden. Gedichte, litauisch – deutsch.

Leipzig: Edition Erata 2003

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