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Modellierung natürlicher Prozesse und Optimierungsstrategien [email protected] Theoretische Physik TU Bergakademie Freiberg Bildernachweis: Soweit die Quelle nicht explizit angegeben ist, stammen die Bilder von http://de.wikipedia.org/ oder wurden selbst erstellt.

Modellierung natürlicher Prozesse und Optimierungsstrategientu-freiberg.de/sites/default/files/media/institut-fuer... · 2018. 4. 17. · Modellierung und Simulation des Fußgänger-

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  • Modellierung natürlicher Prozesse und

    Optimierungsstrategien

    [email protected] Physik

    TU Bergakademie Freiberg

    Bildernachweis: Soweit die Quelle nicht explizit angegeben ist, stammen die Bilder von http://de.wikipedia.org/ oder wurden selbst erstellt.

    mailto:[email protected]://de.wikipedia.org/

  • 2

    „Ohne Glauben daran, daß es grundsätzlich möglich ist, die Wirklichkeit durch unsere theoretischen Konstruktionen begreiflich zu machen, ohne den Glauben an die innere Harmonie unserer Welt, könnte es keine Naturwissenschaft geben.“ A. Einstein

    * 14. März 1879 in Ulm; † 18. April 1955 in Princeton, USA

  • 3

    Vorbemerkung

    Diese Vorlesung folgt in großen Teilen dem Entwurf von Prof. J. Monecke. Eine vergleichbare Vorlesung ist mir nicht bekannt, so dass es kein Lehrbuch mit diesen Inhalten gibt.

    1. Worum geht es in der Vorlesung?

    Bisherige Herangehensweise in der theoretischen Physik (Mechanik, ED, QM) - Grundgleichungen sind bekannt - wohldefinierte Systeme (Massenpunkt, Elektron im Kasten usw.)

    Problemlösung:● Gleichungen aufstellen● Randbedingungen und Erhaltungssätze aufstellen● Lösung der Gleichungen● Interpretation der Ergebnisse

  • 4

    1.1 Reduktionismus

    Komplexe Systeme aus der Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Ökologie, Wirtschaftswissenschaften, Politik, ...

    komplex: viele Objekte, komplizierte Objekte, komplizierte Wechselwirkungen zwischen den Objekten

    z.B.Population = Menge von LebewesenLebewesen = Menge von ZellenZellen = Menge von MolekülenMolekül = Menge von Atomen

    -> Moleküle kann man mit QM berechnen, kann ich dann auch Populationsdynamik herleiten?Solch ein Vorgehen bezeichnet man auch als Reduktionismus.

    Reduktionismus bezeichnet die Auffassung, dass man Phänomene komplexer Systeme auf elementare gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen den Objekten zurückführen kann.

  • 5

    René Descartes hielt Tiere - im Gegensatz zu Menschen - für reduktiv erklärbare Automaten - De homine (1622) Bild: Mechanical Duck, built by Jaques de Vaucanson (1738, France) http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:MechaDuck.png

    René Descartes,* 31. März 1596 in La Haye/Touraine, Frankreich; † 11. Februar 1650 in Stockholm, Schweden

  • 6

    Julien Offray de La Mettrie

    1746: Zwei Schriften offiziell per Gerichtsbeschluss verbrannt Historie de l'âme (1745) Politique du Mèdecin de Machiavel (Polemik gegen Ärzte)

    -> Flucht in die Niederlande 1748: Mensch als Maschine (L'homme maschine) Seele als Resultat komplexer Körperfunktionen

    -> Flucht nach Preußen zu Friedrich II● Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, ● Leibarzt und Vorleser des Königs● 1748 Discours sur le boneur● nachhaltige Verstimmung bei Hof, aber keine Sanktionen (Toleranz)● Rolle des Hofnarren● starb angeblich an Lebensmittelvergiftung

    * 25. Dezember 1709 in Saint-Malo; † 11. November 1751 in Potsdam

  • 7

    1.2 Aufgabe der Modellierung

    Aufgabe der Modellierung ist die Beschreibung des Verhaltens komplexer Systeme ohne Zurückführung auf Eigenschaften der Bestandteile.Gesucht wird ein mathematischer Zusammenhang, der die zeitliche Entwicklung wiedergibt, um eine Prognose zu ermöglichen.

    In vielen Fällen ist der Reduktionismus unpraktisch, da er viele Informationen liefert, die wir gar nicht benötigen, oder einfach zu aufwändig ist.

    ● Reduktionismus funktioniert in einigen Fällen tatsächlich.● Kinetische Gastheorie (Thermodynamik) ● Molekulardynamik● Verkehrsdynamik

    Modellierung und Simulation des Fußgänger- und Autobahnverkehrs, basierend auf einem Mix physikalischer und sozialwissenschaftlicher Konzepte, will kollektive Bewegungsmuster erklären, die durch Selbstorganisation entstehen

    http://vwisb7.vkw.tu-dresden.de/~treiber/Vkmod/index.html

  • 8

    Einschränkungen:- zeitliche Schwankungen der Geburtenrate- Kriege, Hungersnöte

    Problem: Nahrungsmittel (Ressourcen) steigen nur linear mit der Zeit -> Bedarf wird irgendwann Angebot übersteigen

    Malthus: Hebung des allgemeinen Bildungsstandards liefert einen Beitrag zur Reduktion der Geburtenrate.

    d Nd t

    = r⋅N N t = N 0 er t

    t

    Thomas Robert Malthus1798 „An Essay on the Principle of Population“ http://www.econlib.org/library/Malthus/malPop.html(brit. Geistlicher, 1804 Prof. für Nationalökonomie am Kollegium der Ostindischen Kompanie)

    Idee: Wenn jedes Paar 4 Kinder hat und diese wieder 4 Kinder pro Paar, wächst die Bevölkerung immer schneller (exponentiell).N: Bevölkerungszahl

    13. Februar 1766 Rookery bei Guildford † 23. Dezember 1834 Bath

    http://www.econlib.org/library/Malthus/malPop.html

  • 9

    http://www.census.gov/ipc/www/worldhis.html

    http://www.census.gov/main/www/popclock.html

    -2000 -1000 0 1000 2000 30000

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    Bevölkerungswachstum

    Jahr

    Wel

    tbev

    ölke

    rung

    / M

    rd

    -2000 -1000 0 1000 2000 30000,01

    0,1

    1

    10

    Bevölkerungswachstum

    JahrW

    eltb

    evöl

    keru

    ng /

    Mrd

    6 Milliarden Menschen 12. Oktober 1999, http://www.unfpa.org/6billion/

    http://www.census.gov/ipc/www/worldhis.htmlhttp://www.census.gov/main/www/popclock.htmlhttp://www.census.gov/main/www/popclock.htmlhttp://www.unfpa.org/6billion/

  • 10

    Angenommen, wir kennen die Zeitreihe und wollen daraus den mathematischen Zusammenhang ermitteln:

    Messfehler: Durch Punkte mit Messfehlern können verschiedene Kurven gelegt werden.

    Gesucht wird eine mittlere (optimale), geglättete Kurve:N t = N 0 e r t

    N t = N 0 a1 t a2 t2 ... an t

    n = ∑i=0

    a i ti

    Welche Kurvenform ist die richtige?

    Im Allgemeinen: Keine Ahnung!

    ●Durch das Aufstellen eines Modells sollen bekannte kausale Zusammenhänge berücksichtigt und eine gute Anpassung an experimentelle Daten erreicht werden.●Eine gute Anpassung bedeutet nicht, dass unser Modell korrekt ist!

    oder

  • 11

    1.3 Optimierung (Fitten von Daten, Anpassung)

    Messwerte Ni zur Zeit tiModellwerte seienM t = M 0 e r t

    F = 1k ∑i=1

    k

    N i−M t i2

    Suche Minimum der Funktion F in Abhängigkeit von M(0) und r.-> entspricht tiefstem Punkt der Fläche

    ●Numerische Mathematik:● Intervallhalbierungsverfahren ● Sekantenverfahren● Simplex-Verfahren● Gradientenverfahren ● Konjugierte-Gradienten-Verfahren.● Newton-Verfahren● genetische Algorithmen

    mittlere quadratische Abweichung:

  • 12

    O. Bénichou et al. PRL 94, 198101Optimal Search Strategies for Hidden Targets

    Für nur einen Parameter und ein Minimum

    Suchstrategien:

    aber oft viele lokale MinimaF

    ?

    Jetzt: Beschränkung auf Modellierung(Optimierung: freundlicher Mathematiker :-)

    Modell = mathematisches Erfassen kausaler Zusammenhänge mit dem Ziel der Prognose.

    Kausale Zusammenhänge = bekannte oder oft nur vermutete Zusammenhänge

    F

    Hund folgt Spur Student folgt SchokospurJ. Porter et al.

    Nature Neuroscience - 10, 27 - 29 (2007)

    http://link.aps.org/abstract/PRL/v94/e198101doi:10.1038/nn1819

  • 13

    „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ A. Einstein

    Gefahr: Prognosen können falsch sein!● nicht ausreichender Wissensstand● falsche Vermutungen über kausale Zusammenhänge● falsche / zu ungenaue Messwerte● zu wenig Messwerte● falsches Modell

    "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." (zugeschrieben Karl Valentin, Mark Twain, Winston Churchill, G. B. Shaw u.a.)"Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt. "Thomas Watson, Vorsitzender von IBM, 1943"Schwerere als Luft? Flugmaschinen sind unmöglich."Lord Kelvin, Präsident der Royal Society, 1895"Bohrer für Öl? Sie meinen, in die Erde bohren und versuchen Öl zu finden? Sie sind verrückt."Bohrer, die Edwin L. Erpel, zu seinem Projekt, nach Öl zu bohren,1859 einstellen wollte

  • 14

    Modellierung chemischer Reaktionen als Beispiel für Probleme

    a) direkte Umwandlung A -> C

    d nAd t

    = −1 nAd nCd t

    = 1 nA

    Soviel, wie A zerfällt, muss C entstehen, d.h. die entsprechenden Zerfallsraten und Entstehungsraten müssen gleich sein.

    d nAd t

    = −d ncd t

    b) Umwandlung über Zwischenprodukt A -> B -> C

    d nAd t

    = −1 nAd nBd t

    = 1 nA − 2 nBd nCd t

    = 2 nB ≠ −d nAd t

    Falls B kurzlebig ist, langsam gebildet und schnell verbraucht wird: -> κ1 « κ2, dann ist nB ≈ 0, κ1nA = κ2nB.

  • 15

    1.4 Wichtig für die Modellbildung:

    Typisches Verhalten ist oft unabhängig von der Art des Systems und der Wechselwirkung. (z. B. chemische Reaktion und Kernzerfall)Damit sind aber die entsprechenden DGL und deren Lösungen gleich.

    z. B. Populationsdynamik eines WaldschädlingsWählerverhalten in der PolitikPhasenübergänge flüssig – gasförmig

    lassen sich für bestimmte Fragestellungen durch ähnliche Gleichungen beschreiben.(Tieferer Grund: statistisches Verhalten von Systemen mit sehr vielen Objekten.)

    -> Kenntnisse aus einem Gebiet können für Probleme aus anderen Gebieten hilfreich sein.

    Allgemeine Theorien die sich damit beschäftigen:●H. Haken „Synergetik“●R. Thom „Katastrophentheorie“

  • 16

    2. Modelle zeitlicher Entwicklung

    N = Menge von Objekten (Atome, Menschen, Bakterien, Vermögen, ...)

    n = NV

    = Dichte (eventuell auch n = NF

    = Flächendichte)

    Gesucht ist N(t) bzw. n(t).

    Kontinuierliche Vermehrung (bzw. Abnahme):

    d Nd t

    = F N keine zeitliche Abhängigkeit der Funktion F(N), d.h. keine Abhängigkeit von z. B. Jahreszeiten

    Diskrete Vermehrung:

    N i1 = F N i z. B. jährliches Wachstum der Schulden um 3% (k = 0,03).

    N i1 = N i k N i = N i 1k

    nach n Jahren N n = N 01k n

  • 17

    2.1. Exponentielles Wachstum

    (siehe Malthus 1798)

    d Nd t

    = F N = r N

    r = Vermehrungsrate = Geburtenrate – Todesrate = gr – tr ≠ 0

    Die Lösung ist uns bereits bekannt:N t = N 0 e r t

    N N

    t t

    (z. B. radioaktiver Zerfallgr = 0, r = -tR ), Zerfall von Bierschaum, Absorption von Licht pro Eindringtiefe

    z. B. Moore`sches Gesetz,Zinseszinseffekt, Falten von Papier oder Folie, Bakterienwachstum

  • 18

    Am 19. April 1965 publizierte Gordon Moore in der Zeitschrift „Electronics Magazine“, in welcher er eine Voraussage bezüglich der Entwicklung der Halbleiterindustrie machte.Bildquelle: Intel

  • 19

    Pat Gelsinger, Chef der Digital-Enterprise-Sparte von Intel, sieht das Mooresche Gesetz auch für die nächsten Jahre nicht gefährdet. So prognostizierte er während seiner Eröffnungs-Keynote beim IDF in Shanghai 2008, dass die Rechenleistung von Supercomputern ungefähr im Jahr 2029 die Zetta-Flop-Marke (1 Trilliarde Gleitkommaoperationen pro Sekunde) erreichen werde. Das ist seiner Meinung nach die für eine 14-Tage-Wetterprognose mit der theoretisch maximalen Genauigkeit nötige Rechenleistung. Für eine vollständige genetische Simulation einer Zelle reicht ein Exa-Flop (1 Trillion Flop/s), das 2017 möglich werden soll.

    Bereits mit einem Petaflop (1 Billiarde Flop/s) lassen sich Aufnahmen aus einem Kernspintomographen in Echtzeit analysieren. Für eine solche Analyse brauchen aktuelle Systeme noch rund zwei Stunden. Der Spitzenreiter (212.992 PowerPC-440-Kerne mit je 700 MHz) der Top-500-Liste vom November 2007 schafft 478,2 TFlop/s (Billionen Flop/s). Intels schnellstes System aus 3584 Quad-Core Xeons (65-nm-Clovertown) mit je 3 GHz kommt auf Platz 3 (126,9 TFlop/s). Auf die direkte Frage im Interview, wann Intel denn an physikalische Grenzen stoßen werde, verglich Gelsinger das Mooresche Gesetz mit einer nächtlichen Autofahrt auf einer nebligen Straße – die Sichtweite betrage nur 10 Jahre.

    Quelle: http://www.heise.de/newsticker/IDF-Moore-s-Law-bis-2029--/meldung/105872

  • 20

    Zeit T = ∣1r∣ entspricht der Zeit, in der N(0) um einen Faktor e = 2,718 gewachsen oder gesunken ist. (T = Relaxationszeit entspricht der Halbwertszeit)

    Da die Ressourcen immer begrenzt sind, kann ein exponentielles Wachstum nicht beliebig weitergehen. Laut National Academy of Science USA beträgt für die Weltbevölkerung Nmax≈ 30Mrd

    dNd t

    = r N mit r > 0 ist nur zur Beschreibung des Beginns von Wachstum geeignet, d.h. eine Prognose ist nur für kurze Zeit möglich.

    Die Gesamtmenge an (Fach-)Literatur wächst exponentiell - Die Verdopplungsrate beträgt etwa 20 Jahre, das entspricht einer Zunahme von etwa 3,5 % pro Jahr.

    Beispiele:

    Die Volkswirtschaften mancher Staaten wachsen exponentiell, z.B. USA, China, Irland

  • 21

  • 22

  • 23

    2.2. Chemische Reaktionen

    Allgemeine Reaktion

    A AB B... x X y Y ...

    νA = Molzahl von A (Stöchiometriekoeffizient)nA = cA Konzentration von A

    z. B. 1 H 2 1 J 2 2 HJ

    Definition Reaktionsgeschwindigkeit:

    v = 1 id nid t

    positiv bei Zunahme von ninegativ bei Abnahme von ni

    v = −dnH 2d t

    = −d N J 2

    d t= 1

    2d nHJd t

  • 24

    Reaktionsgleichungen:Für einfache Reaktionen von 2 Ausgangsstoffen ergibt sich für dieses Beispiel

    v = k T nH 2 nJ 2Beide Ausgangsstoffe müssen vorhanden sein, die temperaturabhängige Konstante k(T) ist ein Maß für die Reaktivität.Einfach heißt, es gibt keine Zwischenprodukte.

    a) k1, k2: Reaktionskonstanten

    AB k 2

    k1CD

    (z: B: 2 NO2 -> 2 NO + O2)(Rohrzucker + H2O -> (α)-D-Glucose + (α)-D-Fructose)

    d nAdt

    = −k 1 nA nB k 2 nC nD

    d nBdt

    = −k1 nA nB k 2 nC nD

    d nCdt

    = k1 nA nB − k 2 nC nD

  • 25

    Nach einiger Zeit wird ein Gleichgewicht erreicht, dabei kompensieren sich die Änderungen der Hin- und Rückreaktion, d.h. dni/dt = 0. Wir erhalten einen Fixpunkt:

    k1 nA nB = k 2 nC nD nC nDnA nB

    =k1k 2

    = K MassenwirkungsgesetzK = Gleichgewichtskonstante

    Ohne die Lösung der Reaktionsgleichung direkt zu kennen, erlaubt uns die Kenntnis des Fixpunktes (Gleichgewicht) eine Aussage über das Verhältnis der Gleichgewichts-konzentrationen.

    b) A X k

    2Y

    d nAd t

    = −k nA nX

    d nXd t

    = −k nA nX

    d n yd t

    = 2 k nA nX

    Gleichgewicht (Ende der Reaktion) wird erreicht, wenn nA oder nX = 0.

  • 26

    c) Autokatalytische Reaktion

    A X k

    2 X (schon bekannt, entspricht Fall b) mit X = Y)

    d nAd t

    = −k nA nX

    d nXd t

    = k nA nX (Addition der Gleichungen für d n xd t

    und d n yd t

    )

    d) „Paarreaktion“ (Lebewesen)

    M W K M W

    Es ist eine Folgereaktion Kind -> Erwachsener notwendig.Die Umwandlung des „Zwischenproduktes“ K stellt eine Parallelreaktion dar.

  • 27

    Für „kurzlebige Zwischenprodukte“ gilt ungefähr

    M Wk M

    k W

    d nMd t

    = k nM nW = R nM nW

    d nWd t

    = k nM nW = R nM nW

    da n = nM nW und nW ≈ nM ≈n2

    d nd t

    = 2 R n22

    =R2

    n2

    Lebewesen sterben nach einer gewissen Zeit. Die Todesrate sei tR:

    d nd t

    =R2

    n2 − t R n

    mit R=k

  • 28

    Es existiert ein Gleichgewichtszustand (Fixpunkt)!

    R2

    n2 = tR n n =2 tRR

    Damit haben wir kein exponentielles Wachstum!Warum verhält sich die zeitliche Entwicklung der Weltbevölkerung dann deutlich anders?Ursache: Unterschiedliche „Suchstrategien“

  • 29

    2.3. Suchstrategien

    a) Zufällige Stöße

    Gültig für chemische Reaktionen, aber auch Infektionen verhalten sich ähnlich.

    A B C

    Angenommen, wir haben zwei unterschiedlich große Molekülsorten A und B. Eine Reaktion findet statt, wenn A und B in einem Volumen zusammen stoßen. Ein Stoß erfolgt, wenn der Abstand r

    r < rA + rB ist.

    r

    2rA 2rB

    F

    2(rA+rB)effektiverStreuquerschnitt

    F = π( rA+ rB)2

  • 30

    ZA = Zahl der Zusammenstöße pro Zeiteinheit von einem A-Molekül mit NB B-Molekülen, wenn Molekül A die konstante Geschwindigkeit vA hat.

    Z A =F⋅vA

    V⋅N B

    F⋅vA : pro Zeiteinheit von A durchquertes Volumen F⋅vAV

    : Anteil am Gesamtvolumen pro Zeiteinheit

    ZAB = Zahl der Zusammenstöße für NA Moleküle

    Z AB =F⋅vA

    V N A N B

    w = Wahrscheinlichkeit für eine Reaktion bei einem Zusammenstoß

    d N Cd t

    = wF⋅vA

    V N A N B ∣⋅1V

    d nCd t

    = w⋅F⋅vA⋅N AV

    ⋅N BV

    = w⋅F⋅vA⋅nA⋅nB = k⋅n A⋅nB

  • 31

    Näherungen:● w: weitgehend unbekannt● F: effektiver Streuquerschnitt durch Kugeln genährt● vA: Geschwindigkeit ist nicht konstant, B-Moleküle bewegen sich auch

    --> Man kann diese Unbekannten in einer Größe k zusammenfassen, die am besten aus

    Messungen bestimmt wird. Im allgemeinen ist k=k(T) eine Funktion der Temperatur.

    Für chemische Reaktionen (zufällige Stöße) erhalten wir damit die bekannten Reaktionsgleichungen der Form:

    A B C

    d nCd t

    = k⋅nA⋅nB

  • 32

    b) Partnersuche (Lebewesen)

    Offensichtlich nicht basierend auf zufälliger Paarung (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) mit jedem potenziellen Partner!

    -> ZA= Zahl der Zusammenstöße eines A-Moleküls pro Zeiteinheit ist nicht proportional zu NB

    Ein „A-Molekül“ findet pro Zeiteinheit (Lebensdauer, Jahr, Monat) nur eine gewisse Zahl p von „B-Molekülen“ unabhängig von der Menge NB.

    -> ZA= p = Zahl der Bekanntschaften pro Zeiteinheit

    Für die gesamte Population gilt dann

    Z AB = p⋅N A

  • 33

    Wird mit der Wahrscheinlichkeit wA bzw. wB ein Nachkomme vom Typ A oder B erzeugt:

    d N Ad t

    = wA p N A

    d N Bd t

    = wB p N A

    N = N A N B

    wA = wB = w

    N A ≈ N B ≈N2

    d Nd t

    = w p N = r N

    Der Fall der Partnersuche kann auch im Vergleich zum vorherigen Fall als Suche mit der Geschwindigkeit v ~ 1 / NB interpretiert werden.

    NB klein: intensive Suche, hohe Suchgeschwindigkeit

    NB groß: geringe Suche, geringe Suchgeschwindigkeit

  • 34

    Da die Suchgeschwindigkeit für NB -> 0 nicht gegen unendlich gehen kann, sind reale Suchstrategien besser durch eine Modifikation beschrieben:

    v ≈ N BN B

    2 Z 2

    1N B

    falls N B ≫ Z

    N BZ 2

    falls N B ≪ Z

    c) Räuber – Beute - Problem

    Diese Probleme ähneln mathematisch stark der Partnersuche. Im folgenden ist A = Räuber und B = Beute. Im Unterschied zur Partnersuche gilt allgemein NA ≠ NB.Für die Suchgeschwindigkeit wird die folgende Beziehung angenommen:

    v = N BN B

    2 Z 2

    Die Suchstrategie für Räuber ist im allgemeinen für Wirbeltiere (Vertebraten) korrekt und wird nach ihrem Entdecker „Holling III“ genannt.

  • 35

    Damit lässt sich die zeitliche Änderung der Beute mit folgender Ratengleichung beschreiben

    d N Bd t

    = Vermehrung − k N BN B

    2Z 2⋅ N A⋅ N B

    = Vermehrung − r N B N A

    Die beim exponentiellen Wachstum konstante Rate r ist nun eine Funktion von NB.

    r N B = kN B

    2

    N B2 Z 2

    ≈ vN B

    Suchverhalten als Funktion des Angebotes.

    r(NB)

    NB

    k~ NB2

    Für kleines NB ist r(NB) ~ NB2, für großes NB wird eine Sättigung bei r(NB -> ∞) = k erreicht. Die Sättigung bei k entspricht einer konstanten Suchgeschwindigkeit und damit dem exponentiellen Wachstum nach Malthus.

  • 36

    d) Holling I

    Bartenwale filtern Nahrung aus dem Wasser. Holling I beschreibt die Suchstrategie solcher Filtrierer.

    Nahrung

    Wasser Wasser

    n = Konzentration der Nahrung = NB / V

    f = Filtriererdichte = NA / V

    v = Suchgeschwindigkeit ~ Wassermenge, die pro Zeiteinheit geschluckt wird

  • 37

    Bei wenig Nahrungsangebot öffnet der Wal das Maul maximal und schluckt alles, was er bekommen kann.

    v = const., falls n n0

    Ist genügend Nahrung vorhanden (n > n0), dann kann die Suchgeschwindigkeit entsprechend verringert werden:

    v ~ 1n

    falls n n0r(n)

    n

    n0

    r n ≈ n⋅v

    Die Nahrungsaufnahme ergibt sich aus dem Produkt der Suchgeschwindigkeit mit dem Nahrungsangebot r = v n.

  • 38

    d nd t

    = Vermehrung −~ n f n n0

    ~ k f n n0 konstante Abnahme

    zufällige Suchstrategie

    BuckelwalSeescheide Auster Kaltwasserkoralle

    IFM GEOMAR

    Die entsprechende Ratengleichung für das Nahrungsangebot entspricht für geringes Nahrungsangebot chemischen Reaktionen (proportional zum Produkt von Nahrung und Filtrierer), für großes Nahrungsangebot wie konstantes Abnehmen (proportional zur Anzahl der Filtrierer).

  • 39

    e) Holling IISuchstrategie, die für Wirbellose (Invertebraten) Gültigkeit besitzt

    r N B = knB

    N BZSuchgeschwindigkeit

    v = kN BZ

    Der Erfolg der Suche r(NB) ist nahezu konstant für kleine NB. Dem Tier, z. B. einer Schnecke, ist eine intensive Suche nicht möglich. Bei niedrigem Nahrungsangebot wird zwar Nahrung gesucht, aber die Suchgeschwindigkeit ist begrenzt.

    PosthornschneckeRosenkäferSchmetterlingsraupe Nordseegarnele

  • 40

    Bei großem Nahrungsangebot ist

    v ~ 1N B

    Eine intensive Suche ist nicht nötig, die Motivation, Nahrung zu suchen, sinkt mit dem Nahrungsangebot.

    NB

    r(NB) ~ v NB

    r N B~N B für N B ≪ Z

    const. für N B ≫ Z

    Trotz höherer Suchgeschwindigkeit im Anfangsbereich ist der Erfolg geringer, da das Angebot (NB) klein ist.

    d N Bd t

    = Vermehrung − k N BN BZ

    ⋅ N A

  • 41

    Zusammenfassung: Suchstrategien nach Holling:

    r(NB)

    NBN0

    Holling I

    NB

    r(NB)

    ~ NB

    Holling II

    r(NB)

    NB

    ~ NB2

    Holling III

  • 42

    d Nd t

    = F N = r N N

    ● Form von r(N) (bzw. F(N)) hängt von der Suchstrategie ab● bei allen Suchstrategien existiert bei großem Angebot ein Bereich der Sättigung

    r(N)

    N?

    rmax d Nd t

    = rmax⋅NexponentiellesWachstum

    ● Zufällige Stöße sind: proportional zum Produkt der Anzahlen der Partner F ~ NANB ≈ N2

    ● radioaktiver Zerfall, natürlicher Tod: proportional zur Anzahl der Objekte F ~ N

    ● bewusste Suchstrategien (Partner, Beute): unterschiedlich bei geringem Angebot

    ● Auch wenn Holling I, II, III ähnlich aussehen, haben die entsprechenden Differenzialgleichungen sehr unterschiedliche Lösungen. Insbesondere mögliche Gleichgewichte (stabile Fixpunkte) hängen stark von der Suchstrategie ab.

  • 43

    Chemie: A B ⇔ C D

    Gleichgewicht nach Massenwirkungsgesetz

    K =nC nDn A nB

    Ökologie: spezielle Suchstrategien können ökologische Bestände stabilisieren.

    Warum können kleine Unterschiede in den Differenzialgleichungen große Unterschiede im zeitlichen Verhalten erzeugen?

    Beispiel aus der Mechanik: harmonischer Oszillator

    Eine beliebig kleine Reibung (µ ≠ 0) sorgt für einen stabilen Fixpunkt.

    x x

    p pµ=0

    µ≠0

  • 44

    Generische Systeme

    Die starke Abhängigkeit des Ergebnisses von der konkreten Form einer DGL ( oder von deren Parameterwerten) ist für die Modellierung problematisch.Ziel der Modellierung ist es, typische (generische) Modelle für natürliche Systeme zu finden.Mathematisch ist das Finden von Näherungslösungen und genäherten Gleichungen ein kompliziertes Problem.

    x−a2 = x2−2a xa2 = 0

    2 Lösungen x1 = a x2 = a

    Angenommen, a sei klein, dann ist a2 sehr klein. Eine Näherungsgleichung für die exakte obige Gleichung wäre

    x2−2a x = 0

    2 Lösungen x1 = 0 x2 = 2a

    die beide komplett falsch sind.

  • 45

    Allgemein:Die genäherte Lösung einer exakten Gleichung ist ungleich der Lösung einer genäherten Gleichung

    [Lösung, Näherung] ≠ 0

    Da die exakte Gleichung aber oft unbekannt ist, sind wir gezwungen, Lösungen einer genäherten Gleichung zu suchen.

    P.F. Verhulst 1844 (logisitische Gleichung)

    * 28. Oktober 1804 in Brüssel, † 15. Februar 1849 in Brüssel

    ● gelegentlich auch logistische Gleichung genannt● Exponentielles Wachstum kann nicht beliebig lange andauern. Wie kann man die Annäherung an eine Sättigung nach anfänglichem exponentiellen Wachstum modellieren?

    N

    t

  • 46

    d Nd t

    = F N = r N ⋅N = r 1− Nk

    ⋅N

    r(N)r

    Nk

    Die Wachstumsrate als Funktion von N wird bei überschreiten eines Wertes k (=Nmax) negativ.„Zinssatz“ sinkt mit steigendem Kapital

  • 47

    Lösung der logistischen Gleichung durch Separation der Variablen und Integration

    dN

    1− Nk

    N= r dt

    ∫N 0

    N t dN

    N 2

    k−N

    = −r∫0

    t

    dt ' = −r t

    ∫ dxa x2b xc

    =1

    −ln 2 a xb−−

    2 a xb− falls =−4a c−b2 0

    a = 1k

    , b =−1 , c = 0 =−1

    ∫N 0

    N t dNN 2

    k−N

    =ln

    2 Nk

    −2

    2 Nk

    ∣N 0

    N t

    = ln N −kN ∣N 0

    N t

    ln N t −kN t

    − ln N 0−kN 0

    C

    =−r t c =−lnN 0−k

    N 0

  • 48

    ln N t −kN t

    =−r t−c⋅-1und e hoch

    N t N t −k

    = ertc

    N t [1−e rtc ] =−k ertc

    N t = k ertc

    e rtc−1ec =

    N 0N 0−k

    N t =N 0 er t

    1N 0

    kert−1

    c =−ln N 0−kN 0

    Lösung für die logistische Gleichung nach Verhulst:

  • 49

    ● Für kleine Zeiten t, also am Anfang des Wachstums:

    N 0k

    e r t−1 ≪ 1 , da er t ~ 1r t

    N t ≈N 0er t

    N 0k r t ≪ 1 , da N 0 k = N max

    ● Für t -> ∞ erhalten wir N(∞) = k .

    Eine Begrenzung des exponentiellen Wachstums ist möglich!

    r(N)r

    NK

    N(t)

    t

    k

    r negativ für N > k

    r positiv für N < k

    N t =N 0 er t

    1N 0

    kert−1

  • 50

    Wie kann man die logistische Gleichung interpretieren?Warum ist das Wachstum begrenzt?

    z. B. Konkurrenz!

    d Nd t

    = g R N −tR N

    t R = ⋅N (natürliche Todesrate γ + Konkurrenz)

    d Nd t

    = g R− N − N2 = g R− N [1− gR− N ] = r⋅N [1−

    Nk ]

    mit r = g R− und k =g R−

  • 51

    Einfachstes Epidemiemodell

    S = Zahl der Gesunden (susceptibles)I = Zahl der Infizierten

    Annahmen für das Modell: ● Epidemie ist nicht tödlich● kein Bevölkerungswachstum während dieser Zeit● keine Immunität

    dIdt

    = I S− I

    ß = Ansteckungsrate entsprechend zufälligen Zusammenstößenγ = GesundungsrateS = N - I

    dIdt

    = I N− I − I= N− I− I 2

    ● entspricht logistischer Gleichung dNdt

    =rN − rk

    N 2

    N=S I=const.

  • 52

    R0 = N

    = basic reproductive ratio {R01 EpidemieR01 keine Epidemie●Bemerkungen:● Ansteckungsrate ß kann beeinflusst werden durch Mundschutz (SARS), Seuchenmatten, ...● Gesundungsrate γ wird beeinflusst durch Stärke des Immunsystems, Medikamente, ...● In βΝ ‹› γ geht die Zahl der Gesunden/Infizierten nicht ein. Aufgaben des Arztes: Senkung der Zahl der Infizierten (I) Aufgabe der WHO: Senkung ß und Erhöhung γ

    ii

    N

    I

    t N

    I

    t

  • 53

    ● Impfen, Seuchenmatten, Mundschutz --> ß klein➔ Ausbruch von Diphtherie in Russland 95/96, da das Impfen

    eingestellt wurde (plus überlagerte, unwirksame Chargen des Impfstoffs)

    ➔ Masern/Röteln/Mumps in Deutschland sind eine Gefahr, da aufgrund von Impfreaktionen das Impfen eingestellt wurde.

    ● Antibiotika in den USA, Krankenhausinfektionen Anzahl der Infizierten wird gesenkt, aber die Gesundungsrate sinkt durch Züchtung multiresistenter Stämme

    I

    t

  • 54

    Fixpunkte, Stabilitätsanalyse, Attraktoren

    Aus der Mechanik sind die Hamilton'schen Gleichungen und der Begriff des Phasenraumes bekannt.

    dqkdt

    =∂ H qk , pk

    ∂ pk= f k qk , pk

    dpkdt

    =−∂ H qk , pk

    ∂qk=g k qk , pk

    ● Mathematisch sind das DGL 1. Ordnung, deren Lösung im Phasenraum diskutiert werden kann.

    NR

    NBharmonischer Oszillator Ökologisches Gleichgewicht

    NR = RäuberNB = Beutex

    p

  • 55

    ● Der entsprechende Phasenraum ist 1 D, jeder Punkt entspricht einer Anzahl von Objekten

    dNdt

    =F N =rN 1− Nk ● Hier haben wir auch DGL 1. Ordnung mit z. B. nur einer Variablen N

    0 N

    ● Die Dynamik für das exponentielle Wachstum nach Malthus kann im Phasenraum dann so dargestellt werden:

    N

    N0

    0

    N(0)

    N(0)r > 0

    r < 0

  • 56

    ● logistische Gleichung nach Verhulst:

    Es existiert ein Gleichgewichtszustand, der durch einen stationären Punkt im Phasenraum (Fixpunkt) charakterisiert ist.

    Def. Fixpunkt = stationärer Punkt = singulärer PunktdNdt

    =0=F N

    Exponentielles Wachstum: F(N) = rN = 0 --> nur N = 0 Fixpunkt

    Logistische Gleichung:

    F N =rN 1− Nk =0 {N 1=0N 2=k sind Fixpunkte

    x k NN(0)N(0)0r > 0

  • 57

    Stabilität von Fixpunkten

    dNdt

    0 falls F0

    F N =rN 1− Nk

    N1 = 0 ist ein instabiler Fixpunkt: Trajektorien entfernen sichN2 = k ist ein stabiler Fixpunkt: Trajektorien laufen zum Punkt k

    F(N)

    N t

    t t

    r > 0

    a) Verhulst

    k0

  • 58

    b) Malthus:F N = r NF(N)

    Nr > 0t

    t

    N = 0 instabiler Fixpunkt

    F(N)

    N

    r < 0t

    t

    N = 0 stabiler Fixpunkt

    In der Nähe eines Fixpunktes (F(N)=0) ist F(N) klein, so dass die Annäherungsgeschwindigkeit an einen stabilen Fixpunkt immer kleiner wird.

    Bei instabilen Fixpunkten wächst die Geschwindigkeit mit der Entfernung vom Fixpunkt.

  • 59

    Stabile Fixpunkte nennt man auch Attraktoren, da die Trajektorien von solchen Punkten „angezogen“ werden. Analog nennt man instabile Fixpunkte auch Repeller.

    ●Wendepunkte?Ein Wendepunkt kann als Grenzfall für das Zusammenfallen eines Maximums und eines Minimums interpretiert werden.

    N1 N2 N N

    (siehe z.B. Thermodynamik, Phasenübergänge)

  • 60

    Allerdings lassen kleine Änderungen den Wendepunkt verschwinden, so dass es keine typische (generische) Eigenschaft des Systems darstellt. Aus diesem Grund werden Wendepunkte im Weiteren nicht beachtet.

    RelaxationszeitNach dem ein System einen stabilen Zustand (Fixpunkt) erreicht hat, kann er durch eine äußere Störung wieder davon abgebracht werden. Wie schnell stellt sich das Gleichgewicht wieder ein?

    Die Störung sei eine Abweichung x = N – k zum Zeitpunkt t0 . Das System ist durch beschrieben. d N

    d t= F N

    d xdt

    =d N −k

    dt= dN

    dt= F N = F kx

    N

    t

    k

    t0

  • 61

    Für kleine Störungen x können wir F(k+x) in eine Taylorreihe entwickeln

    dxdt

    = F kx = F k dFdN ∣N =k x . . .

    An der Stelle ist F(k) = 0 , da es ein Fixpunkt ist. Die Tangente an dieser Stelle ist negativ.

    dFdN ∣N =k =− (mit 0 )

    dFdN ∣N =k = Tangente

    F

    N

  • 62

    Damit erhalten wir für die Reihe bei Abbruch nach dem linearen Glied:

    dxdt

    =− x

    x = x0 e− t= a e− t−t0

    mit . Die Stärke der Störung zum Zeitpunkt t = t0 beträgt a . Die Größe α hat die Dimension der reziproken Zeit

    a = x0 e− t0

    =− dFdN ∣N =k=

    1T

    Τ wird Relaxationszeit genannt und ist ein Maß für die Erholungszeit des Systems.

    z.B. die logistische Gleichung Verhulsts:

    F N = r N − rk

    N 2

    =− dFdN ∣N =k=−r−2

    rk

    N ∣N =k

    = r = 1T

  • 63

    Zusammenfassung

    Aus F(N) = 0 lassen sich alle möglichen Fixpunkte eines dynamischen Systems bestimmen.

    Eine lokale Stabilitätsanalyse unterscheidet zwischen stabilen und instabilen Fixpunkten.

    Eine globale Stabilitätsanalyse untersucht weiterhin die Einzugsgebiete von Attraktoren (Bereiche, in denen das System sich dem Attraktor nähert).

    Bei Störungen aus dem Gleichgewicht gibt die Relaxationszeit an, wie schnell das System zum Gleichgewicht (Fixpunkt) zurück kehrt.

    =− dFdN ∣N =k =

    1T {T groß: langsamT klein: schnell

  • 64

    3. Nutzung einer Ressource

    Ressource sei hier zum Beispiel ein Fischvorkommen oder auch der Gewinn einer Firma.Der Ressource soll ein konstanter Anteil Q je Zeit-einheit entnommen werden.

    dNdt

    = F N = r N − rk

    N 2Vermehrung mit Begrenzung

    −Qkonstante Fangrate

    = F 1 N −Q

    Bestimmung der Fixpunkte:

    F N = r N− rk

    N 2−Q = 0 N 2−k NQ kr

    = 0

    N 1/2 =−k2± k

    2

    4− k Q

    rQ

    r k4 kein reeler Fixpunkt

    Q= r k4

    =Qkrit ein Fixpunkt

    Q r k4

    zwei Fixpunkte

  • 65

    Für die Funktion F1 bestimmen wir das Maximum:

    N

    F1(N)

    rk4

    k2

    k

    dF 1dN = 0 = r−2

    rk N

    N max=k2

    ,

    F 1 k2 = r k2 1− k2 1k =

    rk4

    = Qkrit

    Für Q > Qkrit gibt es keinen Schnittpunkt, für Q = Qkrit einen und für Q < Qkrit zwei Schnittpunkte.

    Q > QkritQ = Qkrit

    Q < Qkrit

    F1(N)

    N

    F N = r N− rk

    N 2−Q = F 1 N −Q = 0

  • 66

    Stabilitätsanalyse

    a) Q < Qkrit Im Vergleich zur Lösung der logistischen ohne konstanten Abfang ist der instabile Fixpunkt N1 nicht bei Null.

    N1 N2

    F1(N)

    N

    Bestände, die kleiner als N1 sind, werden aussterben (konvergieren gegen Null). Alle Bestände größer N1 konvergieren zum stabilen Fixpunkt N2 .

    N

    N1

    N2

  • 67

    b) Q = QkritF(N)

    Q = Qkrit

    N

    In diesem Spezialfall existiert nur ein Fixpunkt bei k/2 , der den Charakter eines Wendepunktes besitzt.

    c) Q > Qkrit

    Es existiert kein Fixpunkt, das System wird schnell zusammenbrechen. Das wird ersichtlich, wenn wir den Bestand (N) als Funktion der Abfangrate (Q) auftragen.

    Q Qkrit

    N

    stabil

    instabilEin stabiler Bestand nimmt mit wachsender Fangrate ab und bricht plötzlich bei Überschreiten von Qkrit zusammen.

  • 68

    Der Bestand geht zuerst langsam gegen k/2 (Hälfte des maximalen Bestands ohne Abfischung), um dann katastrophenartig schnell zusammenzubrechen.Angestrebt wird i.A. eine maximale Abfangrate ohne Zusammenbruch (Q ≤ Qkrit).Die Gefahr liegt dann in Fluktuationen des Bestandes, so dass der Bestand trotzdem zusammenbricht.

    Wenn die maximalen Fangraten nahe Qkrit liegen, kann der gesamte Bestand schon bei einmaliger Überfischung durch ein Land zusammenbrechen.

    Weiterhin wird die Relaxationszeit (Erholung der Bestände) in der Nähe von Qkrit groß,

    1T

    =−dFdN

    da in der Nähe des Maximums die erste Ableitung klein wird.

    siehe auch Robert Kunzing „Der unsichtbare Kontinent“ 12. Kapitel „Der Untergang des Kabeljaus“

    Q Qkrit

    N

    stabil

    instabil

  • 69

    Beseitigung der Gefahr?Lassen sich maximale Fangquoten nahe Qkrit festlegen, so dass trotzdem ein konstanter Bestand gesichert ist?

    Ja, wenn die Fangraten in Abhängigkeit vom Bestand festgelegt werden.Sinnvollerweise sollte nur ein bestimmter Prozentsatz α abgefischt werden. Das sichert eine Rückkopplung der Fangquoten mit dem Bestand.

    Q = N

    dNdt

    = r N 1− Nk − N = r− N−r N2

    k

    Die Fixpunkte liegen bei

    N 1 = 0 N 2 =r−

    rk

    Das Verhalten entspricht der logistischen Gleichung, der Fixpunkt N1 ist instabil, N2 ist ein stabiler Fixpunkt für r > α .

  • 70

    3.1 Maximale Fangquote mit Rückkopplung

    Im stabilen Gleichgewicht bei gilt für die Fangquote:N 2 =r−

    rk

    Q = N 2 = r−kr

    =−2 kr k

    Um die maximale Fangquote zu bestimmen, benötigen wir das Maximum von Q :

    dQd

    =−2 krk = 0 max =

    r2

    Qmax = max N 2 =−r2

    4kr

    r2

    k =r k4

    = Qkrit

    Durch die Rückkopplung zum tatsächlichen Bestand ist eine maximale Fangratebei konstantem Bestand realisierbar.Allerdings funktioniert das nur, wenn alle beteiligten Länder sich fair verhalten.Wenn ein einzelnes Land seine Fangquote überschreitet, müssen die restlichenLänder dies mit geringeren Fangquoten bezahlen.

  • 71

    3.2 Mathematische Verallgemeinerung

    Das dynamische Verhalten der DGL nach Verhulst mit konstanter Abfangrate ist typisch für eine ganze Klasse von DGLs.

    dNdt

    =−rk

    N 2+r N−Q

    ist mathematisch identisch zu

    dzdt = F z =−a z

    2−b z−c

    mit b < 0 .

  • 72

    Das lineare Glied bz lässt sich durch quadratische Ergänzung mit Hilfe der Binomischen Formeln eliminieren.

    −a z2−b z−c =−a z b2 a 2

    y

    b2

    4 a−c

    −d

    Substitution y = z b2a

    und −d = b2

    4a−c

    dzdt

    =dydt

    =−a y2−d

    Der Faktor a wird durch die gewählten Zeitbereiche skaliert, da das Verhalten des Systems nicht davon abhängt, ob man in Tagen, Wochen oder Monaten rechnet.

  • 73

    Wir ersetzent = 3

    ax

    dt = 3a

    dx

    und erhalten die folgende DGL

    dydx

    =−3 y2− 3da

    =−3 y2− p

    Rein formal kann man ein Potenzial in Analogie zur Mechanik definierendydx

    = f y =−d v y

    dy

    v = y3 p y

    Man bezeichnet y als Ordnungsparameter und p als Kontrollparameter (in der Physik nach Landau und Haken). In der Mathematik und Katastrophentheorie (R. Thom) wird y als gesuchte Größe und p als Parameter bezeichnet.Sinn dieser Umformungen besteht darin, dass nur noch eine Zahl (p) anstelle von 3 Zahlen (a,b,c) benötigt wird. Die Fixpunkte für t -> ∞ sind identisch zu denen für x -> ∞ .

  • 74

    Fixpunktanalyse

    Zur Untersuchung der Fixpunkte von –3 y2-p = 0 unterscheiden wir drei Fälle:1. p > 0 kein reeller Fixpunkt1. p = 0 y = 0 reeller Fixpunkt3. p < 0 zwei reelle Fixpunkte

    y1 /2 =±∣p∣ 3Für p < 0 ergeben sich folgende Graphen

    y

    f(y)

    −∣p∣3 ∣p∣3y

    v(y)

    −∣p∣3∣p∣3

  • 75

    p

    stabil

    instabil

    y1/2Die Lösung der DGLzeigt Bifurkationsverhalten.

    dydx = -3 y

    2 - p

    Bei kleinen Änderungen des Kontrollparameters treten plötzliche Änderungen des Gleichgewichts auf, wenn ein kritischer Wert pkrit überschritten wird.

    Das hier beschriebene System wird nach René Thom auch 1. Elementarkatastrophe genannt. Katastrophe bedeutet die plötzliche unstetige Änderung des Verhaltens bei stetiger Änderung eines oder mehrerer Parameter.

  • 76

    Die Katastrophentheorie sucht nach generischen Typen für Katastrophen und klassifiziert deren Typ. Allerdings existieren nur wenige generische Sorten von Katastrophen. Die Katastrophen können durch die Zahl ihrer Kontrollparameter (≤ 5) klassifiziert werden.

    Ziel der Anwendung solcher Theorien besteht in der Vermeidung von Bifurkationen (soweit möglich).

    Ähnliche Beispiele:● Kapitalabschöpfung aus einer Firma („Heuschrecken“)● Ein Steuersatz proportional zum Ertrag (~αN) ist vernünftig. Aber eine Erhöhung der Steuern (α ), wenn es der Wirtschaft schlecht geht, um Q ungefähr konstant zu halten (oder zu erhöhen), ist gefährlich.● chemische Reaktionen:● Golfstrom? U x ⇔

    k 2

    k 1 2 x , vx ⇔k 4

    k 3 E

  • 77

    3.3 Zeitabhängige Ressourcen

    In den meisten Fällen ändern sich die verfügbaren Ressourcen mit der Zeit.Bei Verhulst

    dNdt

    = r N 1− Nk entsprach k der maximalen Population und war konstant. Wenn sich die Bedingungen ändern (Jahreszeiten, Eiszeiten, Trockenperioden), wird also auch k nicht mehr konstant sein, sondern eine Funktion der Zeit k = k(t) .

    Vorüberlegung: Wie wird sich ein System an ein vorgegebenes k(t) in Abhängigkeit von r anpassen?

    N N

    k(t) k(t)

    t t

    ? ?

    r klein r groß

  • 78

    Erwartung:● Kleines r entspricht einem kleinen anfänglichen Anstieg und einer langsamen Annäherung an k(t) .● Großes r entspricht einem großen anfänglichen Anstieg, die Kurve schießt über k(t) hinaus und nähert sich ihr dann wieder.

    Die numerische Lösung für diese Fälle zeigt allerdings ein anderes Verhalten.

    NN

    k(t)k(t)

    t

    t

    r großr kleinT

  • 79

    Das Verhalten wird aus der Beziehung r zur Relaxationszeit verständlich.r = 1T

    a) r klein: Die Dynamik der Population ist langsam (T = 1/r) im Vergleich zur Ressource -> „Überschießen“ (langsames Anpassen an neue Bedingungen)

    b) r groß: Die Dynamik der Population ist schnell im Vergleich zur Änderung der Ressourcen (schnelles Anpassen an neue Bedingungen)

    Die Größe mit der schnelleren Dynamik passt sich an die Bedingungen der langsameren Dynamik an.Für die Zeiten t >T = Relaxationszeit folgt die Population N bereits dem Fixpunktwert N(t) ≈ k(t) .

    Die langsamste Dynamik bestimmt das zeitliche Geschehen (z.B. Chemie in derMichaelis-Menten-Kinetik)H. Haken hat in deiner Synergetik den Begriff „Versklavungsprinzip“ für diesesVerhalten eingeführt.

  • 80

    3.4 KlimaschwankungenAls Modell für periodische Änderungen wollen wir Klimaschwankungen mit k(t) = a + b sin(ωt) beschreiben. Mit ist τ die Periodendauer. Dabei kann es sich um τ = Jahrtausende (Warm-/Kaltzeiten) oder Monate (Jahreszeiten) handeln.

    = 2

    Vergleichen wir den Einfluss von Jahreszeiten auf Blumen und Bäume:Blumen: schnelles Wachstum, geringe Lebenserwartung

    -> kleine Relaxationszeit große Relaxationszeit >> τDer Bestand folgt dem Mittel der Schwankungen.

  • 81

    N

    t

    N

    tBlumen Bäume

    Wenn die Relaxationszeiten ungefähr gleich τ sind, lassen sich keine allgemeinen Aussagen mehr treffen. -> DGL lösen

    Klima

  • 82

    3.5 Zeitverzögerte Reaktionen(time lag, Hutchinson 1948)

    Zeitverzögerte Reaktionen können eine weitere Ursache für periodisches Verhalten sein. Ressourcen, die wir heute verbraucht haben ( N(t-t0) ), haben Einfluss auf die Wachstumsraten r(t) zu einem späteren Zeitpunkt.

    tt-t0

    kN(t)

    Der Wert von N zum Zeitpunkt t-t0 bestimmt das Wachstum ( r(t) ) zum Zeitpunkt t .

    In diesem Fall kann r(t) immer noch positiv sein, obwohl die Population N(t) den Maximalwert k bereits überschritten hat, so dass N(t) weiter wachsen würde. Das System „merkt“ zu spät, dass es k überschritten hat.

  • 83

    Systeme, die solch ein Verhalten zeigen:1. Investitionen: abhängig vom Gewinn des vergangenen Jahres2. Regelsysteme: Jedes Regelsystem reagiert auf die bereits vergangenen Werte3. Virenerkrankungen: Anzahl richtet sich nach ihrer Anzahl zu einem früheren Zeitpunkt4. politische Entscheidungen

    d N t dt

    = r N t [1− N t−t 0k ] = r t N t In Analogie zu Verhulst

    r t = r [1− N t−t 0k ]Die Lösung solcher DGLs mit zeitabhängigen Parametern ist komplizierter im Vergleich zu solchen mit konstanten Parametern. Vor allem ist ein einzelner Anfangswert nicht mehr ausreichend, sondern man benötigt Anfangswerte in eine Intervall früherer Zeiten.

  • 84

    Fixpunkte und Stabilität

    Die Fixpunkte ergeben sich allgemein wieder aus

    r N t − rk

    N t N t−t0 = 0

    Wir untersuchen die Stabilität der beiden Fixpunkte bei N = 0 und N = k .

    ● Fixpunkt bei N=0:●Die Abweichung vom Fixpunkt n=N-Nfix=N bedeutet, dass N selbst die Abweichung (von Null) darstellt. Für kleine Abweichungen gelte N2≈0, so dass

    d nd t

    = r n n = n0 er t

    Der Abstand von Null wächst exponentiell mit der Zeit, der Fixpunkt ist instabil.● Fixpunkt bei N=k:●Die Abweichung vom Fixpunkt n(t)=N(t)-k ist klein in der Nähe des Fixpunktes.

    d Nd t

    =d nd t

    = r [ n t k ] [1− kn t−t0k ] =− rk [ n t k ] n t−t0

  • 85

    Für kleine Abweichungen n(t) ist n2≈0, so dass

    d nd t

    =−rk

    [n t k ] n t−t 0 ≈−r n t−t0

    Der Fixpunkt ist nur stabil, wenn der Abstand mit der Zeit kleiner wird. Das r>0 ist, ist allerdings nicht hinreichend, da der Abstand n(t-t0) zu einem früheren Zeitpunkt positiv oder negativ sein kann.

    Zur Lösung nutzen wir als Ansatz eine Exponentialfunktion mit komplexem λ= −µ+iω,

    n t = n 0e t = n 0 e− tDämpfung

    0

    ei tSchwingung

    d n t d t

    = n t ≡ −r n t−t 0 = −r n 0e t−t 0 =−r n 0e t

    n t

    e− t0

    =−r e− t0

  • 86

    Der Ansatz ist nur dann Lösung, falls die obige Beziehung gilt. Umformen ergibt:

    r

    = −e−

    rr t 0

    mit r= 1T

    '= −e− '

    t oT

    ist der wesentliche Parameter für die Stabilität.t 0T

    Je nach Wert von λ ergibt sich ein unterschiedliches Verhalten der Lösungen n(t)=n(0) eλt.Da λ= −µ+iω, erhalten wir für µ > 0 einen stabilen Fixpunkt da die Abweichung exponentiell kleiner wird. Für µ < 0 ist der Fixpunkt instabil. der Wert µ = 0 stellt die Grenze des Stabilitätsbereiches dar.

    Für µ = 0 gilt dann λ = iω

    i =−r e−i t 0

    =−r e− t0

  • 87

    Die Gleichung ist nur korrekt für und . t0=2 =r=

    1T

    e−i

    2 = −i i =ir =r t0 = r t0 =

    t0T

    = 2

    1. N = k ist ein stabiler Fixpunkt fürt 0T

    2

    2. N = k ist ein instabiler Fixpunkt für

    t 0T

    2

    Für die Schwingung in der Nähe der Stabilitätsgrenze gibt es eine Periode.

    Da gilt zusammen mit den vorherigen Beziehungen .

    = 2 t0=2

    t0=2 t 0=

    2

    =4 t0

  • 88

    Für Systeme ohne Verzögerung (t0=0) erhalten wir ein Verhalten entsprechend Verhulst, bei dem keine solche Schwingungen existieren. Aus diesem Grund erwarten wir für kleine Verzögerungen mögliche Lösungen mit λ= −µ und µ>0, ω= 0.

    An der Stabilitätsgrenze (bzw. in der Nähe) ist die Periode der Schwingung vier mal so lang wie die Verzögerungszeit. Dies wird in der Natur gelegentlich tatsächlich beobachtet.

    = −r e− t0

    µr

    = eµt 0

    µ

    µr

    µrkrit

    eµ t0

    1 Berglemming (Lemmus lemmus)

  • 89

    Quelle: J.D. Murray Mathematical Biology I: An introduction, S. 16, Springer, 3rd Edition

  • 90

    Der Anstieg der Geraden ist durch 1/r gegeben.

    r < rkrit kleiner Wert von r bedeutet großer Anstieg, 2 Schnittpunkte µ1 und µ2r = rkrit: Schnittpunkte laufen zusammen zu einem Schnittpunktr > rkrit: keine Lösung ohne Schwingung

    Der Wert für rkrit lässt sich bestimmen ausr=e t0

    dd r = dd e t0

    (1)

    (2)

    da die Gerade auch die Tangente zur Exponentialfunktion in diesem Punkt ist.Aus (2) folgt: 1

    r=t0 e

    t 0

    1r t0

    =e t0=r

    = 1t0

  • 91

    Einsetzen in (1) 1

    r t0=e

    t 0t 0=e

    r krit t 0=r kritµ

    =1e

    2

    1. Der Fixpunkt k ein stabiler Fixpunkt, an den sich das System ohne Schwingungen annähert, falls

    0rt0=t0T

    1e

    2. Der Fixpunkt k ein stabiler Fixpunkt, an den sich das System durch eine gedämpfte Schwingung annähert, falls

    1er t0=

    t0T

    2

    Zusammenfassung:

  • 92

    3. Der Fixpunkt k ist kein stabiler Fixpunkt. Das System zeigt ungedämpfte zeitlich periodische Schwingungen, falls

    2r t 0=

    t0T

    = 4 t 0 bei r t0 =t 0T

    = 2

    4 t 0 bei r t02

    Dies ist eine andere Art von Bifurkation, bei der unperiodisches Verhalten in periodisches Verhalten umschlägt. r t 0

    2

    r t02

    Beobachtet bei:● Lemming-Population in Kanada● Schmeißfliegen-Populationen (Nicholson)● chronische Krankheiten

    Zeitverzögerte Reaktionen sind eine Möglichkeit zur Erzeugung von periodischem Verhalten in der Natur. Weitere Ursachen sind periodische äußere Änderungen und Grenzzyklen.

  • 93

    4. Zweite Elementarkatastrophe

    a) Vermehrung von Beutetieren bei konstanter Räuberdichte

    NB = Zahl der Beutetiere (Insekten)NR = Zahl der Räuber (Vögel)Im Moment nehmen wir an, dass NR konstant sei und die Räuber der Suchstrategie nach Holling III folgen. Die Vermehrung sei durch begrenztes Wachstum nach Verhulst beschrieben.

    dN Bdt

    =r N B 1− N Bk −R N B2

    N B2 Z 2

    Haussperling (Passer domesticus)Rotkehlchen (Erithacus rubecula)

    Gewürfelte Tanzfliege Moschusbock

    Stielaugenfliege

  • 94

    Fixpunktanalyse F(NB) = 0

    r N B 1− N Bk =R N B2

    N B2 Z 2

    N B2Z 2 r N B 1− N Bk =R N B2Ein Fixpunkt liegt bei NB = 0.Dieser Fixpunkt ist instabil, da für kleine NB gilt: NB2 ≈ 0.

    F(NB) ≈ r NB

    F(NB)

    NB

    Drei weitere Fixpunkte ergeben sich aus der Lösung der noch verbleibenden kubischen Gleichung

    N B2Z 2 r 1− N Bk =R N B

  • 95

    r N B2 − r

    kN B

    3 r Z 2− rk

    Z 2 N B=R N B

    N B2Z 2 r 1− N Bk =R N B

    rk

    N B3 −r N B

    2 +( rk Z 2+R ) N B−r Z 2=0Im Allgemeinen hat die Gleichung 3 reelle oder 1 reelle und 2 komplexe Lösungen in Abhängigkeit von den Parametern. Meist ist es einfacher, die Lösungen graphisch zu bestimmen.

    F N B =r N B 1− N Bk −R N B2

    N B2 Z 2

    =r N B N B−wN B N B=[ r N B −wN B ] N B

    r N B = r−rk

    N B , wN B = RN B

    N B2 Z 2

    wN B ~ {N B für N B klein1N B für N B groß

  • 96

    Für feste Werte von R und Z skizzieren wir r(NB) und w(NB) für verschiedene Werte von k.

    w(NB)r(NB)

    0 k1 < k2 < k3NB

    1) k klein -> 1 Fixpunkt (bei kleinen Werten)2) k mittel -> 3 Fixpunkte3) k groß -> 1 Fixpunkt (bei großen Werten)

  • 97

    Stabilität der Fixpunkte

    1) k klein Für NB < Nfix ist r(NB) > w(NB) -> F(NB) positiv

    Für NB > Nfix gilt r(NB) < w(NB) -> F(NB) negativ

    w(NB)r(NB)

    0 k1 NB

    w(NB)r(NB)

    0 k3 NB

    Für NB < Nfix ist r(NB) > w(NB) -> F(NB) positiv

    Für NB > Nfix gilt r(NB) < w(NB) -> F(NB) negativ

    Der Fixpunkt ist stabil.

    Der Fixpunkt ist stabil.

    3) k groß

  • 98

    2) k hat einen Wert im mittleren Bereich mit drei Fixpunkten

    N1 und N3 sind stabile Fixpunkte, der Fixpunkt N2 ist instabil.

    w(NB)r(NB)

    0 N1 N2 N3 NB

    F N B = [ r N B−wN B ] N B

  • 99

    Wenn wir nun die Fixpunkte als Funktion von k auftragen, ergibt sich

    NFix

    k1 k2

    kstabil N1

    instabil N2

    stabil N3

    Für kleine k < k1 existiert nur ein Fixpunkt bei kleinen Werten von NB . Für große Werte k > k2 existiert ebenfalls nur ein Fixpunkt, allerdings bei großen Werten von NB. Im Bereich k1 < k < k2 existieren zwei stabile Fixpunkte und ein instabiler Fixpunkt dazwischen.

  • 100

    Interpretation

    ● N1 und N3 sind stabile Fixpunkte, die das dynamische System im Laufe der Zeit annehmen wird, d.h. es existieren bei fester Räuberanzahl zwei mögliche Populationen von Beutetieren (große und kleine), die beide stabil sind.● Angenommen, die Relaxationszeit des Systems sei klein ( r groß, T = 1/r klein) und es findet eine langsame Änderung von k = k(t) statt.

    k(t) wachsend rotk(t) fallend blau

    NFix= N(t)

    k1 k2

    k(t)

    Das System zeigt bistabiles Verhalten (=Hysterese). k als Maximalbestand der Beutetiere entspricht einem ökologischen Parameter, der durch Umweltbedingungen beeinflusst wird. Mit sinkendem k bricht die Population plötzlich auf einen kleinen Wert zusammen. Erst nach deutlich größerem k (besseren Bedingungen) wird wieder eine große Population erreicht. Es existiert eine Erinnerung (Hysterese=Speicher) des Systems.

  • 101

    4.1 Einfaches Modell für periodische Massenvermehrung

    ● Der Wald wächst langsam, so dass die Anzahl der Raupen ebenfalls langsam wächst (mehr Nahrung).● Irgendwann setzt eine plötzliche Massenvermehrung der Raupen ein (Änderung des Fixpunktes N1 -> N3).● Da der Wald kahl gefressen wird, sinkt k wieder ab. Die Population bricht zusammen (N3 -> N1).● Der Wald erholt sich wieder und der Zyklus kann erneut ablaufen.

    Quelle: U.S. Department of Agriculture, Forest Servicehttp://www.na.fs.fed.us/spfo/pubs/fidls/westbw/fidl-wbw.htm

    In Nordamerika und Kanada existiert eine Raupe (Spruce budworm) des Tannentriebwicklers (choristoneura fumiferana), die sich von den Nadeln von Koniferen ernährt. Gefressen werden sie durch Vögel (z.B. getigerte Waldsänger, Cape May warbler).

    Der Einfluss der Vögel ist wesentlich, auch wenn diese in der Er-klärung nicht direkt auftauchen. Wesentliche Ursache des bi-stabilen Verhaltens ist das Verhalten der Räuber nach Holling III. Eine andere Suchstrategie (z.B. Holling II) würde nicht zu diesem bistabilen Verhalten führen.

  • 102

    4.2 Standardform 2. Elementarkatastrophe

    Das Räuber-Beute-Problem ist ein Spezialfall einer DGL der Form

    dydt = f y =−4 y

    3−2 p1 y p2 =−d V y

    dy

    V y = y4 p1 y2− p2 y

    y = Ordnungsparameterp1/p2 = Kontrollparameter

    2. Elementarkatastrophe, da Abhängigkeit von zwei Parametern.Fixpunktanalyse ergibt als Funktion der Kontrollparameter die folgenden Ergebnisse

    Fall 1: p1 > 0a) p2 = 0 c) p2 > 0b) p2 < 0

    y = 0 einzigerstabiler Fixpunkt

    stabiler Fixpunktfür y < 0

    stabiler Fixpunktfür y > 0

    VV V

    y y y

  • 103

    Es existiert nur ein stabiler Fixpunkt für positive p1, der nicht weiter interessant ist.

    p1 > 0p1 kleinp1 groß

    yFix

    P2

    Fall 2: p1 < 0

    a) p2 = 02 stabile Fixpunkte1 instabiler Fixpunkt(alles symmetrisch)

    V(y)

    y

    V y = y4 p1 y2− p2 y= y y

    3 p1 y− p2

  • 104

    p2 >> 0V(y)

    y

    p2 p2

    p2 0V(y)

    yp2 p2

    Wert von V(y) am Minimum wirdfür y < 0 größer für y > 0 kleiner.

    Das Minimum für y < 0 verschwindet undes existiert nur ein Fixpunkt für y > 0.

    Wert von V(y) am Minimum wirdfür y > 0 größer und für y < 0 kleiner.

    Das Minimum für y > 0 verschwindet undes existiert nur ein Fixpunkt für y > 0.

  • 105

    NFix

    p2stabil N1

    instabil N2

    stabil N3

    Fall 3: p2 = 0 V y = y4 p1 y 2− p2 y= y2 y 2 p1Für positive p1 haben wir nur einen Fixpunkt bei y=0, für negative p1 haben wir zwei stabile Fixpunkte.

    Das ist die so genannte Heugabelbifurkation.p1

    y1/2

    instabil

    stabil

    Wenn wir nun alle Fixpunkte als Funktion von p2 auftragen, ergibt sich ein völlig analoges Bild zur Räuber-Beute Beziehung, nur das die Fixpunkte gegenüber dem Ursprung symmetrisch sind.

  • 106

    4.3 Durchbiegung (Plaste-Lineal)

    Druck von oben entspricht negativem p1Zug nach oben entspricht positivem p1Druck von der Seite entspricht p2Ohne seitlichem Druck erhalten wir die Heugabel-Bifurkation.

    Das thermodynamische Gleichgewicht entspricht den Fixpunkten des dynamischen Systems. Reale Gase können durch die Van-der-Waals-Gleichung beschrieben werden.

    p aV 2 V −b =RT

    4.4 Phasenübergänge in der Physik (z. B. flüssig gasförmig)

  • 107

    Umformen in kubische Gleichung:

    V 3−V 2 b RTp ap V −abp =0 4 y32 p1 y− p2=0

    y=V −13 b RTp

    Diese Gleichung beschreibt die Beziehungen zwischen V, p, und T im thermo-dynamischen Gleichgewicht und kann zur Fixpunkt-Analyse genutzt werden.

    p V 2a V −b =RT V 2

    mit p1=−2ap 2

    3 b RTp 2

    und

    p2=−4abp

    − 827 b RTp

    3

    43

    ap b RTp

  • 108

    Wenn V als Ordnungsparameter genommen wird, sind T und 1/p Kontrollparameter. Für kleine T und große 1/p erhalten wir den Fall 2: p1 < 0 mit Hysterese-Verhalten (= Phasenübergang)

    übliche Darstellung im p-V-Diagramm:

    Quelle: Fließbach: Statistische Physik

  • 109

    Der Ordnungsparameter u

    Wie kann man die Dynamik von u modellieren?

    u= 1N

    N 1−N 2 {u0 Partei 1 gewinntu0 Partei 2 gewinntdudt

    = ?

    Es wurden bisher 3 Terme zur Beschreibung genutzt:

    1. [Objektive] Tatsachen, die einer Partei nutzen oder schaden (Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Umwelt, Bildung, Kinder, ...)

    dudt

    =c t {c0 für Partei 1c0 für Partei 2 c(t) hat eine sehr langsame Dynamik von Jahren.

    4.5 Modell der Meinungsbildung (nach Weidlich 1971)

    N Personen sollen sich zwischen zwei Parteien entscheiden. N1 seien die Stimmen für Partei 1; N2 analog für Partei 2.

  • 110

    3. Da jeder nur eine Stimme hat, ist eine Begrenzung notwendig: |u| ≤ 1

    dudt

    =cau−b∣c∣u3 mit ba

    U

    C

    2. Gegenseitige Beeinflussung, Propaganda, „Meinungsbildung“ besitzt eine schnelle Dynamik (z.B. kurz vor Wahlen)

    dudt

    =ca u mit a0

  • 111

    z.B. Al Gore gegen Bush 2000:Das Ergebnis der Wahl war 50 % : 50 % mit einer Genauigkeit von ~ 10-5 (wenige 1000 Stimmen bei 100 Mio. Wählern, das Auszählverfahren (Florida!) erreichte diese Genauigkeit nicht).Dass so etwas passieren wird, wurde schon 1929 vorausgesagt! Hauptursache für dieses Verhalten ist, dass die Dynamik von c(t) nicht immer langsam sein muss. Politiker und Parteien können ihren Standpunkt ändern, die Wahrnehmung und Bedeutung mancher Themen kann sich schnell ändern (Klimawandel).

    Allerdings zeigen Wahlen nicht immer solch deutliches Kippen der Meinung, wie in diesem Modell.

    Falls die Dynamik schnell ist ( a groß, T = 1/a klein, Fernsehen, schnelle Kommunikation) spielt die zeitliche Entwicklung von c(t) keine Rolle und eine Fixpunkt-Analyse ist hinreichend.Der Meinungsumschwung findet nicht bei c = 0 statt, wie man bei objektiver Bewertung erwarten würde. Es gibt ein Beharrungsvermögen in der öffentlichen Meinung (Kanzler(innen)-Bonus). Die öffentliche Meinung zeigt bistabiles Verhalten.

  • 112

    4.6 Gleichgewicht durch Wettbewerb „Eisverkäufer“ (nach Hotelling 1929)Wir untersuchen einen Strand auf dem die Käufer gleichmäßig verteilt sind, die nur beim nächstgelegenen Eisverkäufer das Eis kaufen. (Preise, Qualität usw. seien gleich).

    x1 x20 1

    z1 z2

    x1 und x2 sind die Positionen der Eisverkäuferz1 und z2 die Anzahl der Käufer bei x1 und x2 mit z1+z2=z = const.

    Solange wie x1 < x2

    z1=zx1x2

    2z2=z−z1

    Im Fall x1=x2 erhalten wir z1=z2=z/2 unabhängig von der Position der Eisverkäufer.Bei Standortänderung ändert sich die Anzahl der Käufer

    dz1d x1

    ={ z2 x1x20 x1=x2 d z2d x2 ={−z2

    x1x2

    0 x1=x2

  • 113

    Die Eisverkäufer versuchen mehr Kunden durch Änderung ihres Ortes zu gewinnen Dabei bewegen sie sich mit Geschwindigkeiten α

    1 und α2 die

    proportional zur Änderung der Anzahl der Kunden sei.

    d x1dt

    ={ 1 z2 x1x20 x1=x2 d x2dt ={−2z2

    x1x2

    0 x1=x2

    Als Lösung erhalten wir

    x1t =x10 1z2

    t

    x2 t =x20−2z2

    t } bis x1t = x2 t Die Zeit und Ort des Gleichgewichts ist

    x101z2

    t e=x20−2z2

    t e

    t e=2

    z 12[ x 20−x10 ]

    x1t e= x2t e=1 x 202 x10

    12

  • 114

    Bei gleichen Geschwindigkeiten treffen sich die Eisverkäufer in der Mitte, so dass keiner etwas gewinnt. Die Mitte ist ein stabiler Fixpunkt.

    Für gleiche Startbedingungen mit 1=2= und x10=14

    x20=34

    x1t e = x2 t e = x20 x10

    =

    x20x102

    = 12

    Ein ähnliches Optimierungsproblem ergibt sich auf dem Spielplatz, wenn jeder oben sitzen möchte.

    Hotelling diskutiert in „Stability in Competition“ den Einfluß unterschiedlicher Preise und Qualitäten, die zu Abweichungen vom Gleichgewicht führen. Weitere Faktoren sind eine unterschiedliche Käuferdichte oder (Transport)Kosten der Käufer.

  • 115

    Allgemein kann man die zeitliche Entwicklung zweier Spezies N1 und N2 durch Ratengleichungen der Form

    d N 1t d t

    = F 1 N 1 t , N 2t , t d N 2t

    d t= F 2 N 1t , N 2 t , t

    beschreiben. Systeme, bei denen die Zeit explizit in den Funktionen F1 oder F2 auftaucht, nennt man nicht autonome Systeme. Nicht autonome Systeme lassen sich formal als System mit einer weiteren Spezies „Zeit“ behandeln.

    t = N 3

    Autonome Systeme hängen nicht explizit von der Zeit ab.

    d N 1t d t

    = F 1 N 1 t , N 2t d N 2t

    d t= F 2 N 1t , N 2 t

    5. Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Spezies

    d N 3d t

    = 1

  • 116

    Die zeitliche Entwicklung von N1 und N2 lässt sich in einem zweidimensionalen Phasenraum beschreiben.

    Erinnerung an die Mechanik:z. B. gedämpfter harmonischer Oszillator:

    m ẍ = f x , ẋ = µ ẋ−k x

    Bewegung entspricht einer Kurve im Phasenraum. Ohne Reibung (µ = 0) gilt der Energieerhaltungssatz

    E = p2

    2 m k

    2x2 = const

    mit m ẋ = p ṗ = f x , p

    x x

    p pµ=0

    µ≠0

  • 117

    Analog beschreiben N1(t) und N2(t) eine Kurve im Phasenraum. Aufgrund der Eindeutigkeit der Lösung sind Überschneidungen im Phasenraum verboten.

    Erhaltungssätze der Form G(N1,N2) = const bestimmen die Kurve im Phasenraum eindeutig. Allerdings existiert nicht für jedes System solch ein Erhaltungssatz.Falls solch ein Erhaltungssatz existiert, können wir die Ratengleichungen schreiben als

    dN 1dt

    = F 1 =∂G∂ N 2

    dN 2dt

    = F 2 =−∂G∂ N 1

    N2

    N1

  • 118

    Chaotisches Verhalten für Systeme mit zwei Spezies und kontinuierlicher Vermehrung ist nicht möglich.

    Lotka-Volterra-Gleichungen (1910 - 1925)Bezeichnungen: N1 = Beute = x

    N2 = Räuber = y(Wobei x und y der Anzahl, aber auch einer Dichte entsprechen kann.)

    N2

    N1

    N2

    N1

    N2

    N1

    N2

    N1

    5.1. Räuber-Beute-Beziehung

    Die Hamilton'schen Gleichungen der Mechanik kann man als Spezialfall von G(N1, N2) = const sehen. Die Konstante von G(N1, N2) = const ergibt sich aus den Anfangsbedingungen. Aufgrund der Eindeutigkeit der Kurve im Phasenraum ergeben sich im zweidimensionalen Raum nur wenige mögliche Kurventypen.

  • 119

    Beute: exponentielle Vermehrung und gefressen werden durch y mit zufälliger SuchstrategieRäuber: exponentielles Sterben, wenn keine Nahrung gefunden wird, Vermehrung, wenn Nahrung gefunden wird

    Als die Lotka-Volterra-Gleichungen aufgestellt wurden, waren noch keine anderen Suchstrategien bekannt, so dass die zufällige Suchstrategie aus der Chemie genutzt wurde.

    Der triviale Fixpunkt x = y = 0 ist nicht weiter interessant.

    0 = a x−b x y y = ab

    0 =− c yd x y x = cd

    Fixpunkte und Stabilitätsanalyse

    dxdt

    = a x−b x⋅y

    dydt

    =−c yd x⋅y

  • 120

    Die Bestimmung der Stabilität von Fixpunkten im Zweidimensionalen ist komplizierter. Ein Potenzial, dessen Minima und Maxima den Fixpunkten entspricht, existiert nur im Spezialfall von Hamilton'schen Systemen. Im Allgemeinen muss die Stabilität von Fixpunkten numerisch untersucht werden.

    Eine numerische Betrachtung der Lotka-Volterra- Gleichungen ergibt, dassbeide Fixpunkte instabil sind. Eine mögliche Entwicklung der Räuber-Beute-Zahl ist:

    x,y

    t

    ab

    cd

    x

    y

  • 121Feldhase (Lepus europaeus) = Hare

    Kanadischer Luchs (Lynx canadensis)

  • 122

    Dieses System ist kein Hamilton'sches System, allerdings existiert ein Erhaltungssatz der Form

    M x , y = d x−c ln xb y−a ln y = const.

    Beweis:

    d Md t

    = ∂ M∂ x

    ẋ ∂M∂ y

    = d− cx ẋ b− ay ẏ= d− cx a x−b x y b− ay −c yd x y = d a x−d b x y−a cbc y−bc ybd x yac−a d x= 0

  • 123

    Für das Lotka-Volterra-System ergeben sich folgende mathematischen Aussagen:

    1. M(x,y) = const. hängt nur von den Anfangsbedingungen ab.2. Da die Fixpunkte instabil sind, verschwinden kleine Änderungen von x oder y nie wieder. Das System ist instabil gegen äußere Eingriffe.

    3. Das System ist nicht generisch, kleine Zusatzbedingungen können das dynamische Verhalten drastisch ändern. Zum Beispiel können durch kleine Zusatzterme die Fixpunkte stabil werden anstelle des periodischen Verhaltens.

    y

    x

  • 124

    Auch wenn die Lotka-Volterra-Gleichungen periodisches Verhalten als Lösung zeigen, können sie nicht zur Beschreibung realer periodischer Vorgänge in der Natur genutzt werden. Periodisches Verhalten hat seine Ursache in:

    ● periodischen äußeren Änderungen● time lag● Grenzzyklen

    Lotka-Volterra-Regeln:

    1. Periodische Populationsschwankung: Die Populationsgrößen von Räuber und Beute schwanken periodisch. Dabei folgen die Schwankungen der Räuberpopulation denen der Beutepopulation.

    2. Konstanz der Mittelwerte: Trotz periodischer Schwankungen ist die durchschnittliche Größe (Mittelwert) der Räuber- bzw. Beutepopulation konstant.

    3. Schnelleres Wachstum der Beutepopulation: Werden Räuber- und Beutepopulation gleichermaßen für einen begrenzten Zeitraum dezimiert, so erholt sich die Beutepopulation stets schneller als die Räuberpopulation.

  • 125

    Das Wachstum der Beute wurde begrenzt nach der logistischen Gleichung (Verhulst). Der Erhaltungssatz M(x,y) = const. ist nicht mehr gültig (dM/dt < 0).Das System besitzt einen stabilen Fixpunkt (x ≠ 0, y ≠ 0) .

    Räuber jagen nach Holling II Räuber jagen nach Holling III

    d xd t

    = a x1− xk −b x yexd yd t

    =−c yd x y

    d xd t

    = a x1− xk − b x2 y

    e2x2

    d yd t

    =−c yd x y

    d xd t

    = a x1− xb −b x yd yd t

    =−c yd x y

    Verbessertes Lotka-Volterra-Modell

  • 126

    Kein exponentielles Wachstum der Beute, sondern nur ein lineares Wachstum mit der Zeit.

    5.2. Loktka-Volterra-Prinzip: Wirkung von Insektiziden

    Die Beute seien Schadinsekten und die Räuber Vögel. Insektizide sollten viele Insekten (ε) und wenig Vögel (δ) töten. Der Einfluss der Insektizide wird durch zwei zusätzliche Terme modelliert, die beschreiben, dass sowohl Insekten als auch Vögel an den Insektiziden sterben.

    d xd t

    = a x−b x y− x

    d yd t

    =−c yd x y− y mit ≫ (hoffentlich)

    d xd t

    = r−b x y

    d yd t

    =−c yd x y

    Modell nach Lotka 1910

  • 127

    Fixpunktanalyse ergibt:

    x = y = 0

    a x−b x y− x = 0 y fix = a−b−c yd x y− y = 0 x fix = cd

    1.2.

    Das überraschende Ergebnis lautet: Die Anzahl der Vögel nimmt stark ab, und die Anzahl der Schadinsekten nimmt zu.

    Dieses Ergebnis ist nicht Resultat der speziellen Form der Lotka-Volterra-Gleichung. Alle vorher genannten Modifikationen zeigen dieses Verhalten. Der Fixpunkt für die Anzahl der Insekten (xfix) folgt aus der Ratengleichung für Räuber, die in allen vier Modifikationen gleich ist.

    Die Schlussfolgerung ist, dass die Wirkung der Insektizide (ε) auf lange Sicht keine Rolle spielt. Es ist ein Eingriff in die Räuberdynamik notwendig.

  • 128

    6. Grenzzyklen

    Grenzzyklen existieren in Systemen, die nach einer äußeren Störung wieder ein stabiles periodisches Verhalten annehmen. Sie sind eine weitere Ursache für periodisches Verhalten.

    6.1. Modell von Hopf (1942)Hopf untersuchte ein rein mathematisches Modell, das Grenzzyklen als Lösung zeigte:

    dxdt

    =− yx a− x2− y2

    dydt

    =x y a−x2− y2

    Das System besitzt einen Fixpunkt bei xfix = 0, yfix = 0. Durch Umformung in neue Variablen (Polarkoordinaten) können wir die gekoppelten DGL in ein System ungekoppelter DGL überführen.

    x=r cosy=r sin } r2=x2 y2=t

  • 129

    Für und setzen wir die rechten Seiten des Hopf'schen Modells ein. ẋ ẏ

    2 r ṙ=2 x [−yx a−x2− y2]2 y [ x y a−x2− y2]=2 x2− y2a−x2− y2=2 r 2a−r2

    drdt

    =r a−r 2 d d t

    =1

    Diese beiden DGL sind zu den Ausgangsgleichungen äquivalent. Die Fixpunkte des Systems liegen bei:

    1. r fix=0 ≙ x= y=02. r fix=a reel für positive a

    Der „Fixpunkt“ rotiert mit konstanter Winkelgeschwindigkeit und konstantem Abstand um den Ursprung.

    x t =a cos ty t =a sin t

    y

    dr2

    dt=2 r ṙ=2 x ẋ2 y ẏ

  • 130

    Um zu entscheiden, ob diese Lösung einen Grenzzyklus darstellt, benötigen wir eine Stabilitätsanalyse in der Nähe von rfix.

    Die Werte für r werden kleiner und nähern sich rfix.

    rr fix=adrdt

    =r a−r 2negativ

    rr fix=adrdt

    =r a−r2positiv

    Die Werte für r nehmen in Richtung rfix zu. Der Kreis zieht damit alle Punkte in seiner Umgebung an, er ist ein Attraktor.

    Jeder Anfangspunkt, der nicht auf dem Kreis liegt, wird vom Grenzzyklus nach einiger Zeit aufgenommen.

    y

    x

  • 131

    Falls a negativ ist, gilt immer a0 drdt

    =r a−r 20In diesem Fall ist rfix nicht reell und es existiert nur der echte Fixpunkt bei x=y=0.

    Damit erhalten wir ein Bifurkationsverhalten. Für a ≤ 0 existieren nur Fixpunkte bei x=y=0, für a > 0 treten Grenzzyklen auf. Die Grenzzyklen zeigen periodisches Verhalten.

    Das periodische Verhalten ist in Systemen mit zwei oder mehr Spezies möglich und hat seine Ursache nicht in periodischen äußeren Änderungen oder time-lag.

    mathematische Kriterien für Grenzzyklen:1. Theorem von Bendixson2. Theorem von PoincaréBeide Theoreme sind schwer zu beweisen und in der Anwendbarkeit praktisch unbrauchbar, so dass oft nur Numerik weiterhilft.

    0

    a

    Unter bestimmten Voraussetzungen garantiert das Liénard Theorem die Existenz eines stabilen Grenzzyklus.

  • 132

    6.2. Räuber-Beute-Modell mit Grenzzyklus

    Wir verändern die Räuber-Beute-Gleichungen

    dxdt

    =a x 1− xk −b x yc xdydt

    =d⋅y 1− eyx ≡d⋅y 1− yk 2 Die Größe k2 gibt die maximale Anzahl der Räuber vor und ist z. B. durch das Nahrungsangebot bestimmt.

    Die numerische Lösung der DGL zeigt die Existenz eines stabilen Grenzzyklus. Die Form hängt natürlich von den gewählten Parametern ab, vor allem vom Wert von d. Für bestimmte Werte von d existiert ein Grenzzyklus, für andere Werte von d nimmt das System einen stabilen Fixpunkt an. Im Gegensatz zum einfachen Lotka-Volterra-Modell ist das System stabil.

  • 133

    Numerische Lösung der veränderten Räuber-Beute Gleichungen

    Für d=0.1 entsteht ein Grenzzyklus.

    Für d=0.4 nimmt das System einen Fixpunkt an.

    Die weiteren Parameter waren identisch und betrugen: a=e=k=1, b=1.5, c=0.2.

    t

    xy

    xy

    t

  • 134

    6.3. Erzeugung von Schwingungen

    Grenzzyklen lassen sich nutzen, um stabile Schwingungen zu erzeugen. Das ist in vielen Bereichen sehr wichtig:

    ● Musikinstrumente Uhren Funksender Herzschlag

    Die grundlegende Idee soll am Beispiel des harmonischen Oszillators aus der Mechanik verdeutlicht werden.

    m ẍa ẋkx=0

    Die Konstanten m und k sind nicht weiter wichtig und wir setzen Die Energie beträgt

    Für positive a: Reibung, Energieverlust --> E sinkt.Für negative a: negative Reibung, Energiezufuhr --> E steigt:

    m=k=1.ẋ=vv̇=−x−a v2 E= ẋ2x2

  • 135

    Um eine stabile periodische Schwingung zu erzeugen, müssen wir Reibungsverluste durch Energiezufuhr kompensieren.

    ẍx− ẋ ∣a∣− ẋ2−x2 =0Falls ; falls ist die Reibung negativ ist die Reibung positiv

    2 E=x2 ẋ2∣a∣ 2 E=x2 ẋ2∣a∣

    Solch ein System zeigt einen Grenzzyklus nach Hopf. Eine gute Realisierung dieses Modells stellt die Anregung einer Saite durch einen Geigenbogen dar.

    Geigen-bogen

    Durch den Bogen (Pfeil) wird die Saite aus der Ruhelage gebracht. Der Bogen lenkt die Saite so lange aus, wie die Haftreibung groß genug ist. Bei einer bestimmten Auslenkung schnellt die Saite zurück, bis sie wieder vom Bogen mitgenommen wird.

    x

    v

  • 136

    6.4. Van-der-Pol-Oszillatorvan der Pol und van der Mark, Nature, 120, 363-364, (1927).

    Diese Schaltung wird zur Erzeugung einer festen Frequenz genutzt.

    U 0 = angelegte Spannung

    U ind =−L⋅dI Ldt

    U C = Spannung KondensatorU R = Spannung Widerstand

    I C =dQdt

    = C⋅d U C

    dtU R=U C ParallelschaltungU R=U 0U ind ReihenschaltungI L= I R I C

    U R = U 0−LdI Ldt

    =U 0−L İ R İC L İC = U 0−U R−L İ R

    LC Ü C= U 0−U R−LdI RdU RReibung

    dU Rdt

  • 137

    Der Reibungsterm entspricht dem Widerstand im Schaltbild. Allerdings soll der Widerstand einen nichtlinearen Widerstand R = R(U) darstellen (z.B. Röhren-schaltung oder Gunn-Effekt in GaAs).Die Kennlinie sieht schematisch so aus:

    in der Nähe vom Arbeitspunkt bei U0

    I= I 0−a U−U 0b U −U 03

    Betrachtet man kleine Abweichungen vom Arbeitspunkt u = U - U0,so erhält man

    I = I 0−aubu3

    dIdU

    =−a3 bu2

    LC üL −a3bu2 u̇u=0

    I

    U

    0I

    0U

  • 138

    Für große Weite von u ist 3bu2 > a, so dass die Reibung positiv ist und u abnimmt. Für den Fall 3b u2 < a ist die Reibung negativ und u wächst. Die Energiezufuhr kommt aus dem Netz (U0), der Energieverlust durch den Widerstand. Mit diesem Mechanismus wird das System stabilisiert, so dass eine stabile Schwingung entsteht.

    Durch Substitution der Variablen erhalten wir die van-der-Pol-Gleichung:

    2 = t2

    L Cx = u 3ba = a LCd 2 x

    d 2− 1−x2 d x

    d x = 0

    Fitzhugh und Nagumo haben diese Gleichung erweitert als Modell für Aktivitätspotenziale von Neuronen. In der Seismologie wurde sie zur Beschreibung zweier Platten einer Verwerfung genutzt .

    x

    px

    τ

    μ=1

  • 139

    Bemerkung zur Stabilität

    Im Allgemeinen existiert kein Potenzial, so dass eine Stabilitätsuntersuchung aufwendig ist.

    Aus lassen sich die Fixpunkte bestimmen, allerdings können es bei nichtlinearen Gleichungen viele sein. Durch Untersuchungen von kleinen Abweichungen δx, δy von den Fixpunkten lassen sich Informationen zur Stabilität finden. Durch Reihenentwicklung und Linearisierung in der Nähe des Fixpunktes führt das zu Gleichungssystemen, die Bedingungen für die möglichen Lösungen geben.

    Allerdings kann es Bereiche geben („Schwarze Löcher“), in denen ein nur leicht ausgelenkter Punkt nicht mehr auf den Attraktor zurückkehrt, sondern auf einen anderen Attraktor zustebt. Das bedeutet auch, dass ein Eingriff gleicher Stärke zu unterschiedlichen Zeitpunkten völlig verschiedene Reaktionen des Systems erzeugen kann.

    ẋ= ẏ=0

  • 140

    Eingriff bei t1 ändert nichts, Eingriff bei t0 hält die Uhr an

    Pendeluhr: Grenzzyklus + Fixpunkt

    φ

    d d t

    t1t0

    Eingriff mit gleicher Stärke zuverschiedenen Zeitpunkten.

    Die rote Ellipse kennzeichnet die Grenze des Einzugsgebietes des Attraktors für den Grenzzyklus. Innerhalb des roten Bereiches zieht einFixpunkt die Trajektorien an.

  • 141

    7. Systeme mit drei (und mehr) Spezies: chaotische Systeme

    Dies kann z.B. Ein System mit mehreren verschiedenen Räubern sein, diedie selben Beutetiere jagen. Auch ein nicht autonomes System mit zwei Spezies fällt in diese Klasse von Problemen.Durch die Wechselwirkungen kann es neue Arten von dynamischem Verhalten (Attraktoren) geben, die sich qualitativ von den bereits diskutierten unterscheiden.

    7.1. HIVM. A. Nowak und R. M. May: Virus Dynamics, Oxford University Press 2000Das einfachste Modell, das hier diskutiert wird, ist allerdings (zu) stark vereinfacht.

    x(t): gesunde (T4-)Immunzellenv(t): freie Vireny(t): befallene (T4-)Immunzellen

  • 142

    Die starke Vereinfachung besteht in der Berücksichtigung nur einer Sorte von Immunzellen. Die Immunzellen werden nicht durch die Anwesenheit freier Viren (v(t)) zu verstärkter Produktion angeregt.Allerdings sollen im Modell Immunzellen mit einer konstanten Rate ständig produziert werden.

    Stark vereinfachter Prozess der HIV-Erkrankung:

    v

    Vermehrung Platzen Sterben Infektion

    x:

    y:

    HI-Viren sammeln sich vor dem Verlassen der Immunzelle an der Membran

    HI-Virus, das sich aus einer Immunzelle herauslöst

  • 143

    In den befallenen Immunzellen vermehrt sich das Virus, bis es die Zelle zum Platzen (Lysieren) bringt. Von den freigesetzten Viren werden einige durch das Immunsystem zerstört. Der Rest der Viren befällt die gesunden Immunzellen.

    d xd t

    =−d x− xv

    d yd t

    = xv−a y

    d vd t

    = k y−uv

    Für gesunde Menschen ist v = 0 , so dass die Anzahl der Immunzellen xfix = λ/d beträgt. λ entspricht der Rate, mit der neue Zellen gebildet werden, d der natürlichen Todesrate der Zellen. Die Größe a beschreibt den natürlichen Tod plus das Platzen der Zellen (a > d). Die Parameter k und u entsprechen der Bildung (Freisetzung) neuer Viren und deren Tod durch Immunzellen und andere Einflüsse.

  • 144

    Die Werte dieser Größen könnte man rein prinzipiell aus medizinischen Daten über den Krankheitsverlauf gewinnen. Aufgrund der zu starken Vereinfachung des Modells ist dies aber nicht sinnvoll.

    Fixpunkte:

    1. x fix =d

    , v fix = y fix = 0 (gesunder Mensch)

    2. x fix =au k

    , y fix = k−d au

    a k(krank)

    v fix = k−d auau

    = ku

    y fix

  • 145

    Stabilitätsanalyse (ohne Beweis)

    Def.: basic reproduktive ratio Ro = kd au

    Ro 1 v fix ~ y fix 0

    Ro 1 v fix ~ y fix 0

    Falls Ro> 1 , ist der Fixpunkt für krank ein stabiler Fixpunkt und der andere (gesund) ein instabiler Fixpunkt. Für Ro< 1 kehrt sich die Stabilität um (gesund ist ein stabiler Zustand).

    Das Modell beschreibt nur:● akute Phase (Ausbreitung, erste Symptome bis maximal 3 Monate● chronische Phase (bis maximal 10 Jahre)

  • 146

    Spätere AIDS-Phase:Es existiert kein Fixpunkt mehr. Die Anzahl der befallenen Immunzellen (y) und Viren (v) wächst weiter an. Die Zahl gesunder Immunzellen (x) sinkt, da der Körper irgendwann keine neuen mehr produzieren kann. Damit ändern sich die entsprechenden Differenzialgleichungen, so dass unser Modell keine Gültigkeit mehr besitzt.

    Ein wesentliches Ergebnis des Modells ist, dass der Wert von Ro über die Krankheit entscheidet.

    Ro =kd au

    Man sollte also nicht direkt in die Zahlenwerte (x,y,v) eingreifen, sondern versuchen, die Parameter der Dynamik zu beeinflussen.

  • 147

    In unserem zu stark vereinfachten Modell (das aus diesem Grund nicht wirklich für Therapien genutzt werden sollte) ergibt sich:

    x fix =au k

    Die Anzahl gesunder Immunzellen hängt weder von der Neubildungsrate (λ) noch von der natürlichen Todesrate (d) der Zellen ab (im Unterschied zum gesunden Fall).Damit wäre nach diesem Modell eine Therapie, die λ erhöht und d senkt, kontraproduktiv, da xfix unverändert bleibt, aber Ro wachsen würde. Am sinnvollsten erscheint die direkte Bekämpfung der Viren (u wächst), so dass auch Ro sinkt.

  • 148

    7.2. Lorenz-Modell

    Edward Lorenz hat 1963 ein vereinfachtes Modell für Wettersimulationen vorgestellt.

    geboren 23. Mai 1917 in West Haven, Connecticut

    d xd t

    = y−x

    d zd t

    = x y−bz

    d yd t

    = r x−y−x z

    (Typische Werte: σ = 10, b = 8/3)

    Zwischen zwei Platten mit geringem Abstand befinde sich eine viskose inkompressible Flüssigkeit. Kleine Temperaturdifferenzen zwischen der Ober- und Unterseite der Schicht können noch durch Wärmeleitung ausgeglichen werden. Bei Überschreiten einer kritischen Temperaturdifferenz setzt eine Flüssigkeitsbewegung ein und es kommt zur Ausbildung von Konvektionsrollen, durch die ein effizienterer Wärmetransport realisiert wird. Dabei steigen von unten erwärmte Flüssigkeitselemente auf Grund ihrer geringeren Dichte auf und kältere sinken ab.

  • 149

    ●Eine numerische Lösung ergibt:● r ≤ 24,7 Fixpunkt● 99,5 ≤ r ≤ 100,8 145 ≤ r ≤ 166 ungefähr

    r ≥ 214-> Grenzzyklen („XXX-jähriger Kalender“)● Für andere Werte von r -> chaotisches Verhalten z.B. r = 28 ergibt den Lorenzattraktor

    xyz

    r=100

  • 150

    Deterministisches Chaos ist ein irregulär erscheinendes chaotisches Verhalten, welches jedoch den Regeln einer deterministischen Dynamik folgt. Es wird nicht durch zufällige äußere Umstände, wie beispielsweise dem Rauschen, verursacht.Die Lösungen sind bei gegebenen Anfangsbedingungen eindeutig determiniert. Allerdings reichen kleinste Änderungen der Anfangsbedingungen, um völlig verschiedene Lösungen zu erhalten (Schmetterlingseffekt).Ein Seltsamer Attraktor ist eine geometrisches Objekt im Phasenraum, dass den Endzustand eines dynamischen Prozesses beschreibt, dessen Dimension nicht ganzzahlig ist. Es handelt sich um ein Fraktal, das nicht in geschlossener Form geometrisch beschrieben werden kann.

    Gallerie seltsamer Attraktoren: http://hbar.servebeer.com//attractors/index-1.html

    http://hbar.servebeer.com//attractors/index-1.html

  • 151

    7.3 Chaotische Systeme

    Folgende notwendige Bedingungen für deterministisches Chaos sind bekannt:● nichtlineare Gleichungen● mindestens 3 verschiedene Spezies (oder time lag, diskontinuierliche Vermehrung, nicht autonome 2-Speziessysteme)

    Hinreichende Bedingungen für das Auftreten von Chaos sind unbekannt.

    Es gibt viele weitere Beispiele für Chaos:● Wetter● Doppelpendel, magnetische Pendel bei denen eine Eisenkugel über mehreren Magneten pendelt.● Systeme mit stoßenden Kugeln und/oder Reflektion an gekrümmten Flächen (Gerät zur Ziehung der Lottozahlen, der Flipper und Billard)● Dreikörperproblem ● Herzrhythmus● Turbulenz (z.B. Bénard-Konvektion)● Bäcker-Transformation: Ort einer Rosine im Kuchenteig beim abwechselnden Auswalzen und Falten des Teigs ● Börsenkurse.

    The dance of chaos: http://polymer.bu.edu/museum/

    http://polymer.bu.edu/museum/

  • 152

  • 153

    Schmetterlingseffekt

    Bei Kenntnis der Lösung einer DGL und den Anfangsbedingungen bei t=0 können wir eindeutige Vorhersagen zu einem späteren Zeitpunkt t machen.

    r t=0

    r t t=0

    t

    Für chaotische Systeme ist der Schmetterlingseffekt typisch: Wenn sich zwei Anfangswerte nur um einen kleinen Wert ε unterscheiden, so können die entsprechenden Punkte sehr schnell mit der Zeit auseinander laufen. In dynamischen Systemen, bei denen man die zeitliche Entwicklung durch Bewegungim Phasenraum darstellt, kann man sich bei jedem Zeitschritt eine Abbildung allerPunkte des Phasenraumes auf andere Punkte vorstellen.Der Ljapunow-Exponent λ beschreibt die Geschwindigkeit, mit der sich zwei Punkte im Phasenraum eines dynamischen Systems voneinander entfernen oder annähern.

    Der Schmetterlingsjäger von Carl Spitzweg

    t ≈ 0e t

  • 154

    Arnolds Katze (nach V.I. Arnold russischer Mathematiker)

    Bildquelle: http://www-chaos.umd.edu/misc/catmap.html

    Die Bildtransformation der nxn Matrix entspricht der Operation: T xy=2 x yx y modulusn

    http://www-chaos.umd.edu/misc/catmap.html

  • 155

    FraktaleFraktal ist ein von Benoît Mandelbrot geprägter Begriff (lat. fractus: gebrochen, von frangere: brechen, in Stücke zerbrechen), der natürliche oder künstliche Gebilde oder geometrische Muster bezeichnet, die einen hohen Grad von Skaleninvarianz bzw. Selbstähnlichkeit aufweisen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht.

    Benoît B. Mandelbrot 20. November 1924 in Warschau

  • 156

    Selbstähnlichkeit ist die Eigenschaft von Objekten in verschiedenen Maßstäben, dieselben oder ähnliche Strukturen wie im Anfangszustand zu zeigen.

    Selbstähnlichkeit

    Selbstähnlichkeit findet sich auch in der Natur. Dabei ist jedoch die Anzahl der Stufen von selbstähnlichen Strukturen begrenzt und beträgt oft nur 3-5. Typische Beispiele aus der Biologie sind die fraktalen Strukturen bei der grünen Blumenkohlzüchtung Romanesco und bei Farnen.

    Weit verbreitet sind Strukturen ohne strenge sondern mit statistischer Selbstähnlichkeit. Dazu zählen beispielsweise Bäume, Blutkreislauf, Lunge, Gehirn, Flusssysteme, Wolken und Küstenlinien.

    Java-Applets:http://www-lehre.informatik.uni-osnabrueck.de/~cgPythagorasbaum:http://www.ies.co.jp/math/java/geo/pytree/pytree.html

    http://www-lehre.informatik.uni-osnabrueck.de/~cg/2000/skript/8_8_Beispiel_Applet_zu.htmlhttp://www.ies.co.jp/math/java/geo/pytree/pytree.html

  • 157

    Fraktale Dimensionen (Hausdorff-Dimension)Besteht ein Objekt aus einer best