1
Montag, 2. Dezember 2013 Kultur 47 LEUCHTSPUR Zoo-Palast D ie Jury muss kurz den Auftrag vergessen haben, fürs renovierte Regierungsgebäude ein geeig- netes Kunstwerk zu finden, und entschied sich für einen Jux. Die ungemein witzige Lösung heisst «Der gute Regierungsrat», besteht aus fünf Bronzefiguren, die mit der Darstellung von Fuchs, Biber, Eule, Wildschwein und Hase die Eigenschaften unserer Magistraten symbolisie- ren und zum heiteren Rätsel- raten ermuntern, wer durch- trieben ist, baumfällend fleissig, Unheil verkündend, land- schaftszertrampelnd oder paa- rungsexzessiv. Der regierende Zoo wirkt ulkig. Für die Jury ist die Kunst am Bau die im Bau geübte Kunst, mit der sich die Regie- rungsmitglieder als Spottfiguren vom hohen Ross aufs Nieder- wild schwingen. Der Haken an diesem Schnitzelbank-Humor ist nur, dass er nicht gefragt war. Die sieben zum Wettbewerb eingeladenen Thurgauer Kunst- schaffenden wurden beauftragt, dem architektonisch bedeuten- den Regierungsgebäude eine «würdige Gesamterscheinung» zu verleihen und dessen «her- ausragende Bedeutung für das politische Leben und die Iden- tität des Thurgaus» zu themati- sieren. Diesen anspruchsvollen Kri- terien genügt das Siegerprojekt nicht. Die abgelehnten Kunst- schaffenden, die ihre Vorschläge fürs Regierungsgebäude ein- reichten und nicht für den Plättli-Zoo, müssen sich düpiert fühlen, allen voran Markus Graf und Gabriel Mazenauer. Die Kritik an der Jury hat mit der Frage zu tun, ob ein Wett- bewerbsreglement gilt oder missgrifflich angewendet wer- den darf. Irrig ist es, die thur- gauische Staatsidee ohne Volk und lediglich in der Figürlich- keit der Regierung erfasst zu sehen. Die schiefe Verfremdung durch faunische Waldbewohner ändert nichts an der Hinnahme eines undemokratischen Perso- nenkults. Bald 150 Jahre alt, strahlt der Bau Johann Joachim Brenners noch immer eine dem Kanton angemessene noble Nüchtern- heit aus. Die Jury hätte es als Pflicht verstehen müssen, dar- auf mit einer modernen künst- lerischen Sprache auf der Höhe der Architektur antworten zu lassen. Auch um an einem pro- minenten und von weither er- lebbaren Ort vor Augen zu füh- ren, dass der Thurgau eine starke zeitgenössische Kunst besitzt. Was er gegenwärtig nicht be- sitzt, ist eine starke Kulturpoli- tik, die eine künstlerische Er- gänzung des Regierungsgebäu- des und eine räumliche Ergän- zung des Kunstmuseums frei von Fehl und Tadel in die Tat umsetzt. Alex Bänninger Ende gut, alles gut Olli Hauenstein aus Sommeri inszeniert Friedrich Karl Waechters Stück «Ixypsilonzett» für die Konstanzer Bühne. Eine Liebeserklärung an das Theater – nicht nur das junge. BRIGITTE ELSNER-HELLER KONSTANZ. Wie schön, dass es die heile Welt doch noch gibt, we- nigstens für die Kleinen und wenigstens am Ende des Spiels. Und wie schön, dass es Inszenie- rungen gibt wie die des Waech- ter-Stückes «Ixypsilonzett» in der Konstanzer Spiegelhalle. Der be- kannte Thurgauer Clown, Komi- ker und Schauspieler Olli Hau- enstein hat hier Regie geführt, Alissa Snagowski, Thomas Fritz Jung und Zeljko Marovic haben sich dem buchstäblich hingege- ben, und Stefan Leibold, der auf offener Bühne für Musik und Ge- räusche sorgt, wird am Ende so- gar als heimlicher Held gefeiert werden können. Aber so weit sind wir ja noch gar nicht. Zett verliebt sich in Ypsilon Erste (für das Publikum unbe- kannte) Heldin ist zunächst ein- mal Bozena Szlachta, die liebe- voll die Bühne bereitet hat für die drei Hauptakteure des Stü- ckes. Schulhefte und ein Wörter- buch sind überdimensional aus- gebreitet, Spitzer, Radiergummi und einige Filzstifte geben dem Raum zusätzlich Tiefe. Und dann tritt Zett auf, ein Träumer, der pantomimisch mit den Requisiten spielt, bis ihm die Kappen der Filzstifte zu Schuhen und der Abfall vom Spitzen zum Kragen geworden sind. Natürlich muss man den lieben, der zwar Zett ist, aber doch irgendwie auch aussieht wie ein Bleistift. Lange bleibt Zeljko Marovic als Zett nicht alleine auf der Hefte-Bühne, denn schon tritt mit Alissa Snagowski die wun- derschöne Ypsilon auf den Plan. Zarte Annäherungsversuche, in- dem man sich mit den Spitzen der Filzstifte piekt, was die jun- gen Theaterbesucher natürlich wieder zu grossem Gelächter an- stiftet. Ypsilon, die mit ihrer Far- bigkeit auch ein Buntstift sein könnte, ist zwar auch eine zarte Seele mit hinreissender panto- mimischer Körpersprache, je- doch ist sie nicht ganz so schüchtern wie Zett. «Ich habe mich verliebt!», schleudert sie dann auch bald Zett entgegen. Und der bringt tatsächlich auch ein leises «Ich habe mich auch – was du hast, Ypsilon» hervor. Wie schön. Musiker und Muskelmann Stefan Leibold, der muntere Musikus am Rande der Bühne, hat das Spiel bisher mit viel An- teilnahme und lebendigen Melo- dien am Klavier begleitet, doch jetzt leitet er mit gefährlichen Geräuschen die dramatische Wende ein: Auftritt Ix! Der ist ein vor Kraft und Eitelkeit strotzen- der Muskelmann, dessen über- dimensionierter Helm (die Spit- ze eines Kugelschreibers?) ihm immer wieder zur Selbstbespie- gelung dient. Thomas Fritz Jung hat den Part der tolpatschigen Clownsfigur, er spielt den Super- mann, der Ypsilon dem schüch- ternen Zett abspenstig macht. Verfolgungsjagden und Hand- greiflichkeiten, die mit Filzstiften oder dem Radiergummi so aus- getragen werden, dass die ausge- feilte Choreographie im Hinter- grund deutlich wird, treffen den Nerv des jungen Publikums, das von Beginn an mitten in der Ge- schichte drin ist. Dass auch be- gleitende Erwachsene ihre Freu- de am Spiel haben, wie die vielen lächelnden Gesichter zeigen, dürfte für die Theatermacher eine weitere schöne Rückmel- dung sein. Ix verschwindet im Wörterbuch Fast wäre die Sache allerdings schiefgegangen – beide Recken liegen schliesslich wie tot am Boden (auf einem Heft, versteht sich), der Winter kommt, und der Musikus wirft mal eben die Windmaschine an, um Papier- schnee rieseln zu lassen. Doch als der Frühling kommt, erwacht das Leben erneut, und Zett fin- det seine Ypsilon wieder. Wäre da nur nicht schon wieder dieser Ix, der dem jungen Glück auf- lauert. Mannomann. Doch da hält es den Musikus nicht länger auf seinem Sitz, da muss er end- lich eingreifen. Und schon ver- schwindet Ix auf Nimmerwie- dersehen im Wörterbuch, der Musikus ist Held des Tages und – aus die Maus. Langer, verdienter Applaus für eine rundum liebe- voll gestaltete Geschichte. «Ixypsilonzett», ab 6 Jahre. Weitere Vorstellungen: 3.–31.12. Bild: Theater Konstanz/Bjørn Jansen Heile Welt: Zeljko Marovic (Zett), Thomas Fritz Jung (Ix), Alissa Snagowski (Ypsilon) spielen unter Olli Hauensteins Regie am Theater Konstanz. Bild: Dorothee Kaufmann T 4 2 Dance Projects mit «Another chopsticks story» in Steckborn. Tanzfaktor tourt bis in den Thurgau Tanzfaktor interregio 2013 gibt schweizweit – wie jedes zweite Jahr – einen Querschnitt des aktuellen Schweizer Tanztheaters mit fünf Kurzchoreographien und machte halt im Phönix-Theater Steckborn. DOROTHEE KAUFMANN STECKBORN. Esprit, gesellschafts- relevante Themen und vor allem die Rückkehr zu wirklich tänzeri- schem Ausdruck: So könnte das esum´ e lauten der fünften Auf- lage des Tanzfaktors – ein Faktor des zeitgenössischen Tanzthea- ters, mit dem man rechnen kann. Herausragend die Produktion von T 4 2 (Tea for two) aus Bern zum Thema kulturelle Identität: Das Eigene und das Fremde, Ge- schlechterrollen, globaler Ein- heitsbrei und Individualität wer- den hier durchgetanzt. Tanzen sich aus der Schale Das Choreographenpaar F´ elix Dum´ eril und Misato Inoua knüpfen geschickt an die Ge- schichte der Madame Butterfly an: Eine fremde Besatzungs- macht dringt in die Welt einer traditionsgebundenen Geisha ein. Hier spielt die Kleidung der Tänzer – ein steifer Soldaten- mantel und der schwingende, bunte Kimono – eine besondere Rolle. Kleidung, Rolle und Identi- tät der Tänzer entsprechen sich anfangs, doch lösen sie sich tän- zerisch bald aus ihrer Schale – und hier macht Entkleidung bis auf die Unterwäsche seit langem einmal wieder Sinn auf der Büh- ne – humoristisch genial tanzt sich der Soldat aus seinem grau- en Mantel, während die Geisha eher unfreiwillig ihre Hülle ver- liert. Aus sich heraus kennt sie nur den Ausweg des Harakiri, den sie tänzerisch verharrend zunächst auch andeutet. Einmal befreit aus der Tradition, gebär- det sie sich nun als moderne Japanerin und versucht für einen Moment den Mann mit Essstäb- chen zur Geisha zu dressieren, zu dominieren. Dies wiederum ist tänzerisch reizvoll umgesetzt in einem marionettenhaften Stäbchentanz. Schliesslich finden sich beide in global verflachter Unkultur wieder: dröger, digitaler Disco- Einheitsbrei – musikalisch, be- wegungstechnisch und persön- lich, denn der Ort, an dem beide physisch stehen, ist zu einem japanischen Kissenbezug ge- schrumpft. Das Happy End des Stückes besteht in der indivi- duellen Wahrnehmung des Ge- genübers, was im Schlussbild der Umarmung Ausdruck findet. «Another chopsticks story» schöpft in nur 14 Minuten die sehr eigenen Möglichkeiten des Genres kreativ und gekonnt aus. Ein Feinschliff an Intensität und mancher Bewegungsqualität könnten dieser Produktion zu einer Bestnote verhelfen. Spinnenhaft und skurril Die Bewegungsstudie «meta- morfosis» von Christina Mertzani und Evangelos Poulinas über- zeugt durch grosse Stimmigkeit beim Thema «Entwicklung einer Symbiose» und dem tänzeri- schen Ausdruck in der Umset- zung. Die anfängliche symbioti- sche Verbundenheit ist tänze- risch so perfekt eingefangen, dass die beiden schwarz geklei- deten Körper und Gliedmassen zu immer neuen Wesen ver- schmelzen: spinnenhaft, krab- benartig, skurril. Die Dramatik der unfreiwilligen Separation – durch akustische Klingenschnit- te evoziert wird schliesslich eindrücklich in aller Dramatik bis zum Erliegen durchgetanzt. Experimentell bemerkens- wert ist «To be or Orthopädie», eine Produktion von Kilian Ha- selbeck und Meret Schlegel aus Zürich. Sie machen den eigent- lichen Beweggrund schmerzlich skurril sichtbar: Was geschieht, wenn alle Mimik, Gestik und Aktion nur dem Ziel dienen, sich von den kneifenden Wäsche- klammern zu befreien, die die Tänzer sich zuvor gegenseitig angelegt haben? Der Transfer auf alle Bereiche des menschlichen Lebens liegt ebenso befreiend wie bedrückend auf der Hand: Wie viel unseres Lebens ist Ak- tion oder nur Reaktion auf Ver- letzungen oder Einschränkun- gen? Der Titel der Choreographie ist mehr als nur ein Wortspiel. Die letzten beiden Produktio- nen von Joshua Monten und Jozsef Trefeli/Gabor Varga haben weder in Bedeutungstiefe noch in der Nutzung der eigenen Aus- drucksmöglichkeiten des Tanz- theaters mithalten können. www.tanzfaktor.ch FILM AB Cinema italiano FRAUENFELD. Luca ist ein schwie- riger 15-Jähriger ohne Vater, Bruno Beltrami hält sich mit Bio- graphien über Fussballer und Nachhilfestunden über Wasser. Als Luca in seine Stunde kommt, findet Bruno heraus, dass Luca sein Sohn ist. Francesco Brunis «Scialla!» ist eine temporeiche Komödie aus Rom über zwei unterschiedliche Charaktere, die sich zusammenraufen müssen. Mo–Mi, 2.–4.12., 19.30, Cinema Luna Kunst damals & heute WARTH. In den letzten Jahrzehn- ten hat sich die Kunst und die Vorstellung, was sie zu sein hat, radikal verändert. Neue Aus- drucksmittel stehen zur Verfü- gung, und es stellen sich andere Fragen als damals. Im Vortrag «Paradigmenwechsel in der Kunst seit 1960» spürt Museums- direktor Markus Landert diesen Veränderungen nach. Er zeigt die wichtigsten Bruchlinien der Entwicklung und skizziert Ge- brauchsanweisungen für den Umgang mit Gegenwartskunst. Di, 3.12., 19.00, Kunstmuseum Ausstellung «Konstellation 6» Blues & Ragtime AADORF. Marco Marchi & The Mojo Workers spielen den Blues aus der Zeit, als der Alkohol aus Teetassen getrunken wurde und Al Capone für Nachschub sorgte, aber auch Ragtime und eigenes. Mo, 2.12., 20.15, Rotfarbkeller Anatolien & Argentinien KREUZLINGEN. Taylan Arikan (Langhalslaute Baglama) und Ju- lio Azcano (klassische Gitarre) bringen ihre musikalischen Wur- zeln aus Anatolien und Argenti- nien in einen vielschichtigen Dialog mit Elementen der klassi- schen Musik und des Jazz. Das Duo Ayres bewegt sich zwischen Wohlklang und Dissonanz, sehn- süchtigen Melodien und pulsie- render Perkussion, zwischen kompositorischer Strenge und freier Improvisation. Di, 3.12., 20.00, Planetarium

Montag,2.Dezember2013 LEUCHTSPUR Zoo-Palast … · Fuchs, Biber, Eule, Wildschwein und Hase die Eigenschaften unserer Magistraten symbolisie-ren und zum heiteren Rätsel-raten ermuntern,

  • Upload
    lephuc

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Montag,2.Dezember2013 LEUCHTSPUR Zoo-Palast … · Fuchs, Biber, Eule, Wildschwein und Hase die Eigenschaften unserer Magistraten symbolisie-ren und zum heiteren Rätsel-raten ermuntern,

Montag, 2. Dezember 2013 Kultur 47

LEUCHTSPUR

Zoo-Palast

D ie Jury muss kurz denAuftrag vergessenhaben, fürs renovierte

Regierungsgebäude ein geeig-netes Kunstwerk zu finden, undentschied sich für einen Jux.

Die ungemein witzige Lösungheisst «Der gute Regierungsrat»,besteht aus fünf Bronzefiguren,die mit der Darstellung vonFuchs, Biber, Eule, Wildschweinund Hase die Eigenschaftenunserer Magistraten symbolisie-ren und zum heiteren Rätsel-raten ermuntern, wer durch-trieben ist, baumfällend fleissig,Unheil verkündend, land-schaftszertrampelnd oder paa-rungsexzessiv.

Der regierende Zoo wirktulkig. Für die Jury ist die Kunstam Bau die im Bau geübteKunst, mit der sich die Regie-rungsmitglieder als Spottfigurenvom hohen Ross aufs Nieder-wild schwingen. Der Haken andiesem Schnitzelbank-Humorist nur, dass er nicht gefragt war.

Die sieben zum Wettbewerbeingeladenen Thurgauer Kunst-schaffenden wurden beauftragt,dem architektonisch bedeuten-den Regierungsgebäude eine«würdige Gesamterscheinung»zu verleihen und dessen «her-ausragende Bedeutung für daspolitische Leben und die Iden-tität des Thurgaus» zu themati-sieren.

Diesen anspruchsvollen Kri-terien genügt das Siegerprojektnicht. Die abgelehnten Kunst-schaffenden, die ihre Vorschlägefürs Regierungsgebäude ein-reichten und nicht für denPlättli-Zoo, müssen sich düpiertfühlen, allen voran Markus Grafund Gabriel Mazenauer.

Die Kritik an der Jury hat mitder Frage zu tun, ob ein Wett-bewerbsreglement gilt odermissgrifflich angewendet wer-den darf. Irrig ist es, die thur-gauische Staatsidee ohne Volkund lediglich in der Figürlich-keit der Regierung erfasst zusehen. Die schiefe Verfremdungdurch faunische Waldbewohnerändert nichts an der Hinnahmeeines undemokratischen Perso-nenkults.

Bald 150 Jahre alt, strahlt derBau Johann Joachim Brennersnoch immer eine dem Kantonangemessene noble Nüchtern-heit aus. Die Jury hätte es alsPflicht verstehen müssen, dar-auf mit einer modernen künst-lerischen Sprache auf der Höheder Architektur antworten zulassen. Auch um an einem pro-minenten und von weither er-lebbaren Ort vor Augen zu füh-ren, dass der Thurgau einestarke zeitgenössische Kunstbesitzt.

Was er gegenwärtig nicht be-sitzt, ist eine starke Kulturpoli-tik, die eine künstlerische Er-gänzung des Regierungsgebäu-des und eine räumliche Ergän-zung des Kunstmuseums freivon Fehl und Tadel in die Tatumsetzt.

Alex Bänninger

Ende gut, alles gutOlli Hauenstein aus Sommeri inszeniert Friedrich Karl Waechters Stück «Ixypsilonzett» für die Konstanzer Bühne.Eine Liebeserklärung an das Theater – nicht nur das junge.BRIGITTE ELSNER-HELLER

KONSTANZ. Wie schön, dass es dieheile Welt doch noch gibt, we-nigstens für die Kleinen undwenigstens am Ende des Spiels.Und wie schön, dass es Inszenie-rungen gibt wie die des Waech-ter-Stückes «Ixypsilonzett» in derKonstanzer Spiegelhalle. Der be-kannte Thurgauer Clown, Komi-ker und Schauspieler Olli Hau-enstein hat hier Regie geführt,Alissa Snagowski, Thomas FritzJung und Zeljko Marovic habensich dem buchstäblich hingege-ben, und Stefan Leibold, der aufoffener Bühne für Musik und Ge-räusche sorgt, wird am Ende so-gar als heimlicher Held gefeiertwerden können. Aber so weitsind wir ja noch gar nicht.

Zett verliebt sich in Ypsilon

Erste (für das Publikum unbe-kannte) Heldin ist zunächst ein-mal Bozena Szlachta, die liebe-voll die Bühne bereitet hat fürdie drei Hauptakteure des Stü-ckes. Schulhefte und ein Wörter-buch sind überdimensional aus-gebreitet, Spitzer, Radiergummiund einige Filzstifte geben demRaum zusätzlich Tiefe.

Und dann tritt Zett auf, einTräumer, der pantomimisch mitden Requisiten spielt, bis ihm dieKappen der Filzstifte zu Schuhenund der Abfall vom Spitzen zumKragen geworden sind. Natürlichmuss man den lieben, der zwarZett ist, aber doch irgendwieauch aussieht wie ein Bleistift.

Lange bleibt Zeljko Marovicals Zett nicht alleine auf derHefte-Bühne, denn schon trittmit Alissa Snagowski die wun-derschöne Ypsilon auf den Plan.Zarte Annäherungsversuche, in-dem man sich mit den Spitzender Filzstifte piekt, was die jun-gen Theaterbesucher natürlichwieder zu grossem Gelächter an-

stiftet. Ypsilon, die mit ihrer Far-bigkeit auch ein Buntstift seinkönnte, ist zwar auch eine zarteSeele mit hinreissender panto-mimischer Körpersprache, je-doch ist sie nicht ganz soschüchtern wie Zett. «Ich habemich verliebt!», schleudert siedann auch bald Zett entgegen.Und der bringt tatsächlich auchein leises «Ich habe mich auch –was du hast, Ypsilon» hervor. Wieschön.

Musiker und Muskelmann

Stefan Leibold, der muntereMusikus am Rande der Bühne,hat das Spiel bisher mit viel An-teilnahme und lebendigen Melo-

dien am Klavier begleitet, dochjetzt leitet er mit gefährlichenGeräuschen die dramatischeWende ein: Auftritt Ix! Der ist einvor Kraft und Eitelkeit strotzen-der Muskelmann, dessen über-dimensionierter Helm (die Spit-ze eines Kugelschreibers?) ihmimmer wieder zur Selbstbespie-gelung dient. Thomas Fritz Junghat den Part der tolpatschigenClownsfigur, er spielt den Super-mann, der Ypsilon dem schüch-ternen Zett abspenstig macht.

Verfolgungsjagden und Hand-greiflichkeiten, die mit Filzstiftenoder dem Radiergummi so aus-getragen werden, dass die ausge-feilte Choreographie im Hinter-

grund deutlich wird, treffen denNerv des jungen Publikums, dasvon Beginn an mitten in der Ge-schichte drin ist. Dass auch be-gleitende Erwachsene ihre Freu-de am Spiel haben, wie die vielenlächelnden Gesichter zeigen,dürfte für die Theatermachereine weitere schöne Rückmel-dung sein.

Ix verschwindet im Wörterbuch

Fast wäre die Sache allerdingsschiefgegangen – beide Reckenliegen schliesslich wie tot amBoden (auf einem Heft, verstehtsich), der Winter kommt, undder Musikus wirft mal eben dieWindmaschine an, um Papier-

schnee rieseln zu lassen. Dochals der Frühling kommt, erwachtdas Leben erneut, und Zett fin-det seine Ypsilon wieder. Wäreda nur nicht schon wieder dieserIx, der dem jungen Glück auf-lauert. Mannomann. Doch dahält es den Musikus nicht längerauf seinem Sitz, da muss er end-lich eingreifen. Und schon ver-schwindet Ix auf Nimmerwie-dersehen im Wörterbuch, derMusikus ist Held des Tages und –aus die Maus. Langer, verdienterApplaus für eine rundum liebe-voll gestaltete Geschichte.

«Ixypsilonzett», ab 6 Jahre.Weitere Vorstellungen: 3.–31.12.

Bild: Theater Konstanz/Bjørn Jansen

Heile Welt: Zeljko Marovic (Zett), Thomas Fritz Jung (Ix), Alissa Snagowski (Ypsilon) spielen unter Olli Hauensteins Regie am Theater Konstanz.

Bild: Dorothee Kaufmann

T 4 2 Dance Projects mit «Another chopsticks story» in Steckborn.

Tanzfaktor tourt bis in den ThurgauTanzfaktor interregio 2013 gibt schweizweit – wie jedes zweite Jahr – einen Querschnitt des aktuellenSchweizer Tanztheaters mit fünf Kurzchoreographien und machte halt im Phönix-Theater Steckborn.DOROTHEE KAUFMANN

STECKBORN. Esprit, gesellschafts-relevante Themen und vor allemdie Rückkehr zu wirklich tänzeri-schem Ausdruck: So könnte dasResume lauten der fünften Auf-lage des Tanzfaktors – ein Faktordes zeitgenössischen Tanzthea-ters, mit dem man rechnenkann.

Herausragend die Produktionvon T 4 2 (Tea for two) aus Bernzum Thema kulturelle Identität:Das Eigene und das Fremde, Ge-schlechterrollen, globaler Ein-heitsbrei und Individualität wer-den hier durchgetanzt.

Tanzen sich aus der Schale

Das Choreographenpaar FelixDumeril und Misato Inouaknüpfen geschickt an die Ge-schichte der Madame Butterflyan: Eine fremde Besatzungs-macht dringt in die Welt einertraditionsgebundenen Geishaein. Hier spielt die Kleidung derTänzer – ein steifer Soldaten-mantel und der schwingende,bunte Kimono – eine besondereRolle. Kleidung, Rolle und Identi-tät der Tänzer entsprechen sichanfangs, doch lösen sie sich tän-zerisch bald aus ihrer Schale –und hier macht Entkleidung bisauf die Unterwäsche seit langemeinmal wieder Sinn auf der Büh-ne – humoristisch genial tanztsich der Soldat aus seinem grau-

en Mantel, während die Geishaeher unfreiwillig ihre Hülle ver-liert. Aus sich heraus kennt sienur den Ausweg des Harakiri,den sie tänzerisch verharrendzunächst auch andeutet. Einmalbefreit aus der Tradition, gebär-det sie sich nun als moderneJapanerin und versucht für einenMoment den Mann mit Essstäb-chen zur Geisha zu dressieren,zu dominieren. Dies wiederumist tänzerisch reizvoll umgesetztin einem marionettenhaftenStäbchentanz.

Schliesslich finden sich beidein global verflachter Unkulturwieder: dröger, digitaler Disco-Einheitsbrei – musikalisch, be-wegungstechnisch und persön-lich, denn der Ort, an dem beidephysisch stehen, ist zu einemjapanischen Kissenbezug ge-schrumpft. Das Happy End des

Stückes besteht in der indivi-duellen Wahrnehmung des Ge-genübers, was im Schlussbildder Umarmung Ausdruck findet.

«Another chopsticks story»schöpft in nur 14 Minuten diesehr eigenen Möglichkeiten desGenres kreativ und gekonnt aus.Ein Feinschliff an Intensität undmancher Bewegungsqualitätkönnten dieser Produktion zueiner Bestnote verhelfen.

Spinnenhaft und skurril

Die Bewegungsstudie «meta-morfosis» von Christina Mertzaniund Evangelos Poulinas über-zeugt durch grosse Stimmigkeitbeim Thema «Entwicklung einerSymbiose» und dem tänzeri-schen Ausdruck in der Umset-zung. Die anfängliche symbioti-sche Verbundenheit ist tänze-risch so perfekt eingefangen,

dass die beiden schwarz geklei-deten Körper und Gliedmassenzu immer neuen Wesen ver-schmelzen: spinnenhaft, krab-benartig, skurril. Die Dramatikder unfreiwilligen Separation –durch akustische Klingenschnit-te evoziert – wird schliesslicheindrücklich in aller Dramatikbis zum Erliegen durchgetanzt.

Experimentell bemerkens-wert ist «To be or Orthopädie»,eine Produktion von Kilian Ha-selbeck und Meret Schlegel ausZürich. Sie machen den eigent-lichen Beweggrund schmerzlichskurril sichtbar: Was geschieht,wenn alle Mimik, Gestik undAktion nur dem Ziel dienen, sichvon den kneifenden Wäsche-klammern zu befreien, die dieTänzer sich zuvor gegenseitigangelegt haben? Der Transfer aufalle Bereiche des menschlichenLebens liegt ebenso befreiendwie bedrückend auf der Hand:Wie viel unseres Lebens ist Ak-tion oder nur Reaktion auf Ver-letzungen oder Einschränkun-gen? Der Titel der Choreographieist mehr als nur ein Wortspiel.

Die letzten beiden Produktio-nen von Joshua Monten undJozsef Trefeli/Gabor Varga habenweder in Bedeutungstiefe nochin der Nutzung der eigenen Aus-drucksmöglichkeiten des Tanz-theaters mithalten können.

www.tanzfaktor.ch

FILM AB

Cinema italianoFRAUENFELD. Luca ist ein schwie-riger 15-Jähriger ohne Vater,Bruno Beltrami hält sich mit Bio-graphien über Fussballer undNachhilfestunden über Wasser.Als Luca in seine Stunde kommt,findet Bruno heraus, dass Lucasein Sohn ist. Francesco Brunis«Scialla!» ist eine temporeicheKomödie aus Rom über zweiunterschiedliche Charaktere, diesich zusammenraufen müssen.Mo–Mi, 2.–4.12., 19.30, Cinema Luna

Kunst damals & heuteWARTH. In den letzten Jahrzehn-ten hat sich die Kunst und dieVorstellung, was sie zu sein hat,radikal verändert. Neue Aus-drucksmittel stehen zur Verfü-gung, und es stellen sich andereFragen als damals. Im Vortrag«Paradigmenwechsel in derKunst seit 1960» spürt Museums-direktor Markus Landert diesenVeränderungen nach. Er zeigtdie wichtigsten Bruchlinien derEntwicklung und skizziert Ge-brauchsanweisungen für denUmgang mit Gegenwartskunst.Di, 3.12., 19.00, KunstmuseumAusstellung «Konstellation 6»

Blues & Ragtime

AADORF. Marco Marchi & TheMojo Workers spielen den Bluesaus der Zeit, als der Alkohol ausTeetassen getrunken wurde undAl Capone für Nachschub sorgte,aber auch Ragtime und eigenes.Mo, 2.12., 20.15, Rotfarbkeller

Anatolien & Argentinien

KREUZLINGEN. Taylan Arikan(Langhalslaute Baglama) und Ju-lio Azcano (klassische Gitarre)bringen ihre musikalischen Wur-zeln aus Anatolien und Argenti-nien in einen vielschichtigenDialog mit Elementen der klassi-schen Musik und des Jazz. DasDuo Ayres bewegt sich zwischenWohlklang und Dissonanz, sehn-süchtigen Melodien und pulsie-render Perkussion, zwischenkompositorischer Strenge undfreier Improvisation.Di, 3.12., 20.00, Planetarium