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Barbara Stein und Fachgruppe „Theorie“ der Dozentenkonferenz der deutschen Montesso- ri-Vereinigung e.V., Stand 2003) Montessori-Pädagogik – Das Konzept der Erziehung in Elternhaus, Kindergarten und Grundschule 1. Das Lebenswerk Montessoris Maria Montessori, geboren in Italien, lebte von 1870 – 1952 1 . Sie war Ärztin und Pädagogin. Maria Montessori als junge Ärztin im Alter von 28 Jahren Durch Studium, Beobachtung und Reflexion gewann sie Erkenntnisse über den kindlichen Selbsterziehungs- prozess und schuf eine pädagogische Philosophie und Praxis, die bestimmt war von der Achtung der Person und - ihrer Selbstbestimmung und vom Be- 1 Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Freiburg 1994, S.207, www.montessori-vereinigung.de/bio- graphie wusstsein der Verantwortung für die Welt. Entscheidend war, dass unter ihrer Anleitung Kindergärten und Schulen gegründet wurden, die aus ihren Er- kenntnissen praktische Konsequenzen zogen. Dadurch wurden neue Unter- richtsformen und didaktisches Arbeitsmaterial entwickelt, die dem kindlichen Forschungs- und Entwick- lungsdrang Raum gaben und selbstbe- stimmtes Lernen ermöglichten. Durch die Umsetzung ihrer Ideen in die Pra- xis und durch Ausbildungskurse in vielen Ländern der Welt schuf Maria Montessori für alle interessierten Pädagogen die Möglichkeit, ebenfalls die neuen Unterrichtsformen und Arbeitsmittel kennenzulernen. So wurde das Konzept der Montessori- Kindergärten und –schulen vielfältig erprobt und gesichert; Montessori- Einrichtungen sind auf der ganzen Welt verbreitet. Maria Montessori, 80-jährig, bei einer Rundfunkauf- nahme Mit der von Maria Montessori und ih- rem Sohn Mario gegründeten "Asso- ciation Montessori International" – AMI, Sitz Amsterdam, arbeiten Mon- tessori-Gesellschaften und –vereine aus allen Kontinenten zusammen. 1

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Barbara Stein und Fachgruppe „Theorie“ derDozentenkonferenz der deutschen Montesso-ri-Vereinigung e.V., Stand 2003)

Montessori-Pädagogik – Das Konzept der Erziehungin Elternhaus, Kindergartenund Grundschule

1. Das Lebenswerk Montessoris

Maria Montessori, geboren in Italien,lebte von 1870 – 19521. Sie war Ärztinund Pädagogin.

Maria Montessori als junge Ärztin im Alter von 28 Jahren

Durch Studium, Beobachtung undReflexion gewann sie Erkenntnisseüber den kindlichen Selbsterziehungs-prozess und schuf eine pädagogischePhilosophie und Praxis, die bestimmtwar von der Achtung der Person und -ihrer Selbstbestimmung und vom Be-

1 Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Freiburg1994, S.207, www.montessori-vereinigung.de/bio-graphie

wusstsein der Verantwortung für dieWelt. Entscheidend war, dass unter ihrerAnleitung Kindergärten und Schulengegründet wurden, die aus ihren Er-kenntnissen praktische Konsequenzenzogen. Dadurch wurden neue Unter-richtsformen und didaktischesArbeitsmaterial entwickelt, die demkindlichen Forschungs- und Entwick-lungsdrang Raum gaben und selbstbe-stimmtes Lernen ermöglichten. Durchdie Umsetzung ihrer Ideen in die Pra-xis und durch Ausbildungskurse invielen Ländern der Welt schuf MariaMontessori für alle interessiertenPädagogen die Möglichkeit, ebenfallsdie neuen Unterrichtsformen undArbeitsmittel kennenzulernen. Sowurde das Konzept der Montessori-Kindergärten und –schulen vielfältigerprobt und gesichert; Montessori-Einrichtungen sind auf der ganzenWelt verbreitet.

Maria Montessori, 80-jährig, bei einer Rundfunkauf-nahme

Mit der von Maria Montessori und ih-rem Sohn Mario gegründeten "Asso-ciation Montessori International" –AMI, Sitz Amsterdam, arbeiten Mon-tessori-Gesellschaften und –vereineaus allen Kontinenten zusammen.

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In Deutschland gibt es derzeit unge-fähr 950 Montessori-Einrichtungen,davon 570 Kinderhäuser oder Kinder-tagesstätten, 300 Elementarstufen(Grund-, Sonder-, Förderschulen) und80 Sekundarstufen (Haupt-, Real-,Gesamtschulen, Gymnasien, Berufs-schulen).2 Die Einrichtungen sind inprivater, städtischer, evangelischer,katholischer oder sonstiger Träger-schaft.Erzieher(innen) und Lehrer(innen), diean Montessori-Einrichtungen arbeiten,müssen in einem standardisiertenAusbildungskurs von ca. 300 Stundendas "Montessori-Diplom"3 erwerbenbzw. das Montessori-Diplom vorweisen

2. Das Kind von 0 – ca. 11Jahren und der Erziehungspro-zess

Das Kind wird geboren mit dem Drangzu lernen und zu wachsen. Sein spon-tanes Bedürfnis, sich aktiv mit derUmwelt auseinander zu setzen, führtzu Erkenntnisprozessen, die seinePersönlichkeit bilden. Es erlebt seinWachstum mit großer Freude, sofernes von einfühlsamen Erwachsenen be-gleitet wird und in einer anregendenUmwelt lebt.

Der Erziehungsprozess ist imWesentlichen ein Selbsterziehungs-prozess. "Hilf mir, meine Arbeitselbst zu tun", ist zu einem Leitwort2 Ludwig, Harald / Fischer, Christian / Fischer,Reinhard (Hg), Montessori-Pädagogik in Deutsch-land. 40 Jahre Montessori-Vereinigung e.V. Münster, 2002 S. 113 www.montessori-vereinigung.de

der Montessori-Pädagogik geworden.Der Satz bezeichnet treffend die beidenKomponenten von Erziehung, wie Mon-tessori sie sieht: Die Erwachsenenschaffen die Bedingungen, die dasKind braucht, damit es durch eigeneKraft seinen Wachstums- und Bil-dungsprozess vorantreiben kann.

Montessori entdeckte , dass bereitskleine Kinder zu tiefer Konzentrationauf eine Sache fähig sind und dadurchzu wesentlichen Erfahrungen mitdieser Sache wie mit sich selbst kom-men. Deswegen ist die Konzentration"von größter Wichtigkeit für das inne-re Wachstum"4. Denn in der "Polari-sation der Aufmerksamkeit"5 setztsich das Kind mit den Dingen und Er-scheinungen seiner Umwelt ausein-ander, lernt sie verstehen und ordnetsie in sein Denken ein.

Dabei gewinnt es nicht nur Wissen undEinsichten, sondern auch Selbsterkenntnis undSelbstvertrauen. Deswegen müssen die erzie-herischen Bemühungen darauf zielen, spon-tane Konzentrationsprozesse zu4 Montessori, Maria Grundgedanken der Montessori-Pädagogik, Freiburg 1967, S. 345 Montessori, Maria, Schule des Kindes, Freiburg1976, S.70 Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Freiburg1994, S.180f

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ermöglichen, zu erhalten und zuvertiefen.Erziehungsziel ist die psychischgesunde und eigenständige Persönlich-keit, die ihre Begabungen wahrnehmenund nutzen und ihre Schwächen kom-pensieren kann.

Das Kind durchläuft verschiedeneEntwicklungsphasen. Jede Entwick-lungsphase ist durch bestimmteSensibilitäten - Montessori nennt sie"sensible Perioden"6 - gekennzeichnet.In bestimmten Zeitphasen sind dieKinder besonders bereit , spezifischeFähigkeiten (Bewegung, Sprache, u.a.)optimal und leicht zu erlernen. Siewenden sich mit intensiver Konzentra-tion entsprechenden Bildungsanreizenzu, erwerben formale und inhaltlicheKompetenzen und prägen sie sich dau-erhaft ein.

So führt beim kleinen Kind (0-ca.6Jahren) die Sensibilität für Bewe-gung zur Freude an allen Übungen, diezur Bewegungs-Koordination, zum Be-greifen der Umwelt und zur Selbst-Beherrschung entscheidend beitragen.Die Sensibilität für Sprache führtzum mühelosen Absorbieren jederMuttersprache und die Sensibilitätfür Ordnung zum Aufbau geistigerOrdnungsstrukturen und zumErfassen ordnender Kategorien(Eigenschaften von Gegenständen wieGröße, Länge, Gewicht u. a. ,von zeitli-chen Ordnungen, von Ritualen usw.) Durch die Sensibilität für sozialeInteraktionen kann bereits das6 Montessori, Maria, Kinder sind anders, München1987, S.46f Holtstiege, Hildegard, , Modell Montessori, Frei-burg 1994, S. 68f

Neugeborene Kontakte aufnehmen undin

die menschliche Gemeinschaft hineinwachsen.

Das Kind von ca. 6 bis ca. 11 Jahrenwill seine Interaktionen ausweiten; die

Gruppe wird wichtig. Es ist sensibelfür Fragen, die sich auf Gerechtigkeitund Moral beziehen, es sucht nachüberzeugenden Wertmaßstäben undmöchte diese im Leben der Gemein-schaft erkennen und einüben. 7 Auf-grund seiner wachsenden Abstrak-tionsfähigkeit möchte das Kind Ursa-chen und Wirkungen von Naturer-scheinungen erforschen. Seine sichsteigernde Vorstellungskraft vermagin immer weitere Zusammenhänge un-seres Kosmos einzudringen. Das Kindinteressiert sich für das Erlernen derSchriftsprache (Lesen, Schreiben,sprachliche Strukturen) und dasErfassen von Mathematik. Sensible Phasen sind an bestimmteEntwicklungsstufen geknüpft und vonvorübergehender Dauer. Es ist Auf-gabe der erziehenden Personen durchgenaue Beobachtung zu erkennen,

7 Montessori, Maria, Von der Kindheit zur Jugend,Freiburg 1966, S. 26f

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welche Aspekte der Umgebung sichdas Kind für das Lernen besonders in-tensiv nutzbar machen kann. Die ver-schiedenen pädagogischen Einrich-tungen orientieren sich an den Lern-bedürfnissen der jeweiligen Entwick-lungsstufe, damit sie durch entspre-chende Angebote bestmöglich daraufantworten können

3. Montessori-Erziehung inElterhaus, Kinderkrippe oderSpielgruppe

Die Eltern und andere Bezugspersonensichern Lernen und Wachstum desKleinkindes. Sie wenden sich ihremKind liebevoll zu und geben ihmOrientierung durch Zuverlässigkeitder persönlichen Beziehungen, desTagesablaufs und der Wohnräume. Siesprechen mit ihm und lassen es an ih-rem Leben teilhaben.

Einrichtung eines Küchenschrankes als vorbereiteteUmgebung für Kleinkinder: So können Mutter und

Kind gemäß ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ak-tiv sein.

Sie regen es zu Tätigkeiten an, indemsie geeignetes Spielzeug oder andereDinge bereitstellen, seinen Spiel- undArbeitszyklus achten und darin seinenSelbsterziehungsprozess erkennen.Sie sorgen für Kontakte mit anderenKindern und mit der Umwelt und sieerfreuen sich an seinen Lernfort-schritten.

4. Das Kinderhaus Der Montessori-Kindergarten wirdKinderhaus genannt, abgeleitet vonital. „casa dei bambini“. Seine Einrich-tung korrespondiert mit der Entwick-lungsphase drei- bis sechsjährigerKinder und bietet Lernanreize, die densensiblen Perioden dieser Phase ent-sprechen. Der Tag ist strukturiert durch Phasendes Freispiels, der gemeinschaftlichenAktivität und der Bewegungsspiele aufdem Spielplatz des Kinderhauses.Im Gruppenraum finden sich nachEntwicklungs- bzw. Lernbereichen ge-ordnete Arbeits- und Spielmittel. Jenach Konzept des Kinderhauseskönnen auch jeweils einzelne Räumethematisch gestaltet sein. Die Erzieherinnen und Erzieher sinddie Interpreten8 kindlicher Verhal-tensweisen. Durch teilnehmende Be-obachtung gewinnen sie Kenntnisseüber den Entwicklungsstand und dieEntwicklungsbedürfnisse des Kindesund unterstützen es in seinem Selbst-erziehungsprozess:8 Montessori, Maria, Das kreative Kind, Freiburg1972, S. 122

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Sie geben den Kindern Orientierungdurch Zuverlässigkeit der persönli-chen Beziehungen, des Tagesablaufsund der Ordnung in den Räumen.Sie respektieren den Spiel- undArbeitszyklus des Kindes und sorgendafür, dass es ungestört arbeiten(spielen) kann.9

Sie gestalten die Räume desKinderhauses und tragen Sorge fürVollständigkeit und Intaktheit desArbeits- und Spielmaterials. Denn die"vorbereitete Umgebung"10 mit ihrendidaktischen Mitteln ist entscheidendwichtig für das Wachstum und Lernendes Kindes.

Eine Erzieherin zeigt, wie man eine Schleife bindet.

Das kindliche Interesse an Bewegung11

und aktiver Nachahmung12 findet in

9 Montessori, Maria, Das kreative Kind, Freiburg1972, S. 25310 Montessori, Maria, Grundgedanken der Montesso-ri-Pädagogik, Freiburg 1967, S. 40 Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Freiburg1994, S. 128f

11 Montessori, Maria, Kinder sind anders, dtv Mün-chen 1992, S. 10312 Montessori, Maria, Das kreative Kind, Freiburg1972, S. 151

den "Übungen des täglichen Lebens"vielfältige Handlungsmöglichkeiten.

Beispiel für eine "Übung des täglichen Lebens":Kerze anzünden und wieder löschen.

Das "Sinnesmaterial"13 korrespondiertmit der Freude an sensorischen Rei-zen, verfeinert die Sinneswahrneh-

Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Frei-burg 1994, S. 94 f13 Montessori, Maria, Die Entdeckung des Kindes,Freiburg 1997, S. 112 f Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Frei-burg 1994, S. 101f

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mung und regt zur Erforschung vongrundlegenden Ordnungskategorienan. Es ist ein "Schlüssel zur Welt"14,der es den Kindern erlaubt, aufgenom-mene Eindrücke zu verarbeiten und zuordnen.

Arbeit mit den Farbtäfelchen

Auch das Mathematik-Material ant-wortet auf das kindliche Interesse anOrdnungsstrukturen, die es in Zahlenund Rechenoperationen entdeckenkann .

Die Freude an der Sprache führtdurch die Ansprache der Erziehe-rinnen und der anderen Kinder zurErweiterung des Wortschatzes; auchzum Kennenlernen von geschriebenerSprache werden dem Kind Materialienangeboten.

Das kindliche Interesse für Fan-tasiespiele findet seine Antwort inPuppen- und Bauecke. Musische Tä-tigkeiten wie Singen, Basteln, Malen

14 Montessori, Maria, Grundgedanken der Montesso-ri-Pädagogik, Freiburg 1967, S. 33

und Handarbeiten sind selbstver-ständlich.

5. Die Grundschule

Die Unterrichtszeit ist geteilt in eineZeit des selbstbestimmten Lernens,genannt Freiarbeit15 und eine Zeit desLernens in gebundenen Formen, ge-nannt Fachunterricht. Die Freiarbeitist fächerübergreifend, der Fachun-terricht ist fachgebunden, kann – alsProjektunterricht – aber auch fächer-übergreifend organisiert sein.

Freiarbeit und Fachunterricht werdenergänzt durch Unterrichtsgänge,Klassen- und Schulfeiern, Gottes-dienste und Klassenfahrten.

15 Stein, Barbara, Theorie und Praxis der Montessori-Grundschule, Freiburg 1998, S. 55f

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Das Grundschulkind ist voller Lernbe-gier. Jetzt kann "die Saat von allemgesät werden", "was zur Bildungkeimen will."16 Das bedeutet: DenKindern sollen die Türen zu vielenWissensgebieten geöffnet werden.Der Unterricht muss so organisiertsein, dass das Kind Erfahrungen ma-chen kann und durch seine AktivitätenBildungsziele erreicht.

Ein wesentlicher Faktor ist dabei dieGestaltung der Lernumgebung. Diesewird bestimmt durch das Interessedes Grundschulkindes

an den Erscheinungen der Naturund Errungenschaften der Kultur,

an Sprache, insbesondere an ge-schriebener Sprache,

Arbeit mit Lesekarten zum Themenbereich Tier

und an Mathematik.

16 Montessori, Maria, Kosmische Erziehung, Freiburg1988, S. 38

Die Arbeit mit dem goldenen Perlenmaterial und demKartensatz ermöglicht Erfahrungen mit dem Dezimal-system

Auch der wachsenden Vorstellungs-und Abstraktionskraft des Kindes,seinem Forscherdrang wie seinem Be-dürfnis nach sozialer Interaktionmuss Rechnung getragen werden.

Die Freiarbeits-Materialien wie auchder gebundene Unterricht zu denSachgebieten der Grundschule (Ma-thematik, Deutsch, Englisch, Sachun-terricht, Kunst, Musik, Religion,Sport) korrespondieren mit den Lehr-plänen des Landes.

Die Arbeit in der Grundschule mussdem Gedanken folgen, dass Bildungkeine Anhäufung von einzelnen Kennt-nissen ist, sondern nur durch dasErfassen von Zusammenhängen er-reicht wird. Das Bewusstsein vom Zu-sammenwirken aller Dinge und allenLebens in der Gesamtheit des Univer-sums soll auf die Übernahme vonVerantwortung für eben dieses Uni-versum vorbereiten17; Montessori be-zeichnet diesen für sie zentralen Er-ziehungsaspekt als "Kosmische Erzie-hung"18."

17 Montessori, Maria , Kosmische Erziehung, Frei-burg 1988, S. 19f18 Montessori, Maria, Kosmische Erziehung, Freiburg1988, S. 19f

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Der Sensibilität des Grundschulkindesfür soziale Beziehungen und mo-ralische Fragen19 wird Rechnung ge-tragen, indem die Lehrpersonen part-ner- und gruppenbezogenem LernenRaum geben und auf eine "geistige"vorbereitete Umgebung achten, in dersich das moralische Bewusstsein desKindes bilden und seine Urteilsfähig-keit im Hinblick auf sozial gerechtesHandeln wachsen kann.Die Klassen sind altersgemischt20, weilKinder in einer Weise voneinander ler-nen, die kein Material und keinErwachsener ersetzen kann.

Freiarbeit in einer altersgemischten Klasse: Ein Erst-klässler lernt lesen, Viertklässler erarbeiten sich dasPlanetensystem.

Durch die Verschiedenheit derCharaktere, der Begabungen, des Ge-schlechtes und des Alters, insbeson-dere des kognitiven Entwicklungs-und Lernstandes erfahren sie sowohlreiche Anregungen wie auch Be-grenzungen. Die Sozialfähigkeit unddie Handlungskompetenz des Kindeswachsen in einer jahrgangsgemischtenKlasse auf Grund der Vielfalt dermöglichen Beziehungen: die Jüngeren

19 Montessori, Maria, Kosmische Erziehung, Freiburg1988 S. 38f 20 Montessori, Maria, Spannungsfeld Kind-Gesell-schaft-Welt, Freiburg 1979, S. 87

bewundern die Älteren, sie über-nehmen von ihnen Arbeitsweisen underbitten Hilfe; die Älteren fühlen sichreifer, in ihren Fähigkeiten anerkanntund übernehmen gerne Aufgaben als"Paten" für die Jüngeren. An Montessorischulen werden unter-schiedliche Modelle der Altersmi-schung verwirklicht; es gibt die Mi-schung von zwei, drei oder vier Jahr-gängen.

6. Die didaktischen Mittel

Damit das Kind in der vorbereitetenLernumgebung seine Bildungsziele er-reichen kann, muss es Mittel finden,die seine Aktivität herausfordern undin sinnvolle Bahnen lenken. Deswegenmuss das Arbeitsmaterial 21 für dieHand des Kindes in Kinderhaus undGrundschule bestimmte Kriterienerfüllen.

Das Material korrespondiert mitder kindlichen Entwicklungsstufeund seiner spezifischen Sensibili-tät.

21 Stein, Barbara, Theorie und Praxis der Montessori-Grundschule, Freiburg 1998, S.76f

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"Sinnesmaterial" aus dem Kinderhaus: Einsatzzylinder, Roter Turm und Farbtäfelchen.

Es erlaubt eigenaktives und eigen-ständiges Arbeiten.

Es zeichnet sich durch Sachge-rechtigkeit und klare Struktur aus.

Übungen zum Dezimalsystem auf drei verschie-denen Schwierigkeitsstufen: Goldenes Perlenma-terial mit Kartensatz, Markenspiel und kleinerRechenrahmen;

Auch abstrakte Sachverhalte sindanschaulich repräsentiert undkönnen handelnd begriffen werden.

Beispiel Sprache: Sandpapierbuchstaben. fürKinderhaus und Schule "Wortsymbole", ein Hilfsmittel zur Unterscheidungder Wortarten.

Das Material erlaubt die isolierteEinübung einer Schwierigkeits-stufe und erleichtert dadurch dieKonzentration auf das Beherrschendieser Schwierigkeit.

Die zu jeder Übung gehörendeFehlerkontrolle ermöglicht es demKind, seine Arbeitsergebnisseeigenständig zu überprüfen.

Regal mit Übungen des täglichen Lebens

Das Material liegt in offenen Rega-len oder Schränken und ist denKindern frei zugänglich.

Das Material ist vollständig, ästhe-tisch ansprechend gestaltet undnach Bereichen geordnet.

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Jedes Material ist nur einmal oderin sehr begrenzter Anzahl in derKlasse vorhanden, was die gegen-seitige Absprache unter denKindern fördert.

Nicht jedes Thema kann adäquatdurch ein Material dargestelltwerden.

Auch spannendes Erzählen oderVorlesen sowie das engagierteGespräch gehören zu den didak-tischen Mitteln.

7. Freiheit und Begrenzung

Die Sensibilität für den Erwerb be-stimmter Kompetenzen kann sich erstauswirken, wenn dem Kind in der vor-bereiteten Umgebung die Freiheitgegeben wird,

sich seine Arbeit selbst auszu-suchen

zu entscheiden, ob es allein oder mit Partner(in) arbeiten will,

seine Arbeitspartner(innen)selber zu wählen,

das Zeitmaß für die Be-arbeitung einer gewähltenÜbung selbst zu bestimmen.

M. Montessori versteht unter Frei-heit niemals ein bloßes Gewähren-lassen. "Freiheit bedeutet nicht,'dass man tut, was man will', sondernMeister seiner selbst zu sein."22 Dazugehört es, Verhaltensregeln einhaltenzu können, die ein geordnetes Arbei-ten des Einzelnen wie der Gruppe ge-währleisten. Die Freiheit innerhalb der vorbereite-ten Umgebung ist eine Freiheit, dieBindungen eingeht und Begrenzungenakzeptiert. Sie ist einerseits didak-tisches Mittel, andererseits auch Er-ziehungsziel. Die täglich Übung, sinn-voll zu wählen und sich so zu ent-scheiden, dass sowohl die eigenenEntwicklungsbedürfnisse wie auch dieBedürfnisse und Rechte der anderenbeachtet werden, führt zu Freiheit inVerantwortung.8. Eltern, Erzieher(innen),Lehrer(innen)

Bezugspersonen, Erzieher(innen) undLehrer(innen), vor allem aber dieEltern sind im Selbsterziehungspro-zess des Kindes von entscheidenderBedeutung. Das Kind braucht ihreLiebe und Einfühlsamkeit, ihr Wissenund ihre Autorität. Die Erwachseneninterpretieren die kindlichen Bedürf-nisse und schaffen die Bedingungen,die das Kind für seine Persönlichkeits-entwicklung braucht.23

22 Montessori, Maria Grundgedanken der Montessori-Pädagogik, Freiburg 1967 Holtstiege, Hildegard, Modell Montessori, Freiburg1994, S. 1623 Holtstiege, Hildegard, Erzieher in der Montessori-Pädagogik, Freiburg 1991Stein, Barbara , Theorie und Praxis der Montessori-Grundschule, Freiburg 1998, S.24 f

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9. Montessori-Sekundarstufe

In einem weiteren Papier:

Profil der Montessori-Pädagogik und

ihrer Einrichtungen,

erarbeitet von Prof. Dr. Hans Diet-rich Raapke, Universität Oldenburg,und der Fachgruppe „Theorie“ der Do-zentenkonferenz der deutschen Mon-tessori-Vereinigung e.V., Stand 2003,finden Sie u.a. auch Ausführungen zurMontessori-Sekundarstufe.

(Literatur zur Sekundarstufe24)

24 Meisterjahn-Knebel, Gudula, Montessori-Pädago-gik in der weiterführenden Schule, Freiburg 2003Raapke, Hans Dietrich, Montessori heute, Reinbek2001, S.146f

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