9
manuelle therapie Muskuloskeletales System – Klinik und Forschung Februar 2012 · Seite 1 – 52 · 16. Jahrgang www.thieme.de / manuelle-therapie 1 · 2012 Herausgeber J. Bessler C. Beyerlein T. Davies-Knorr S. Klien J. H. van Minnen J. Saner-Bissig J. Schomacher SCHWERPUNKT Welche SIG-Tests sind wichtig? Traktion bei kraniomandibulären Dysfunktionen Okuläre Dysfunktionen bei WAD Test der SIG-Tests T es st der SIG G- T ests Lese- probe

mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

manuelletherapieMuskuloskeletales System – Klinik und Forschung

Februar 2012 · Seite 1 – 52 · 16. Jahrgang www.thieme.de / manuelle-therapie 1 · 2012

HerausgeberJ. BesslerC. BeyerleinT. Davies-KnorrS. KlienJ. H. van MinnenJ. Saner-BissigJ. Schomacher

SCHWERPUNKT

Welche SIG-Tests sind wichtig?

Traktion bei kraniomandibulären Dysfunktionen

Okuläre Dysfunktionen bei WAD

Test der

SIG-TestsTesst der

SIGG-Tests

Lese-

probe

Page 2: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

1

Editorial

1

Editorial

Bressler J. Viele der bekannten SIG-Tests sind Jahrmakt-Tests. Manuelle Therapie 2012; 16: 1

:: Viele der bekannten SIG-Tests

sind Jahrmarkt-Tests!

� „Das SIG ist das wichtigste Gelenk im Körper“, so hörte ich es An-fang/Mitte der 90er-Jahre in einer Weiterbildung. Einige Zeit später sagte mein damaliger Lehrer Heiko Dahl während meiner OMT-Aus-

bildung, viele SIG-Tests gehörten eher in die Kategorie „Jahrmarkt-Tests“, nämlich alle, die auf Palpation von Bewegung oder Stellungsveränderungen im SIG beru-hen, darunter so beliebte Tests wie Vorlauf, Rücklauf oder Derbolowsky.

Auch heute noch basieren viele Diagnosen und Verlaufsdokumentationen auf Palpationstests. In unserer neuen Schwerpunktrubrik lesen Sie in dieser Ausgabe, dass diese nicht reliabel sind und damit ihre Aussagekraft eingeschränkt ist. Mal se-hen, wie lange es dauert, bis sich die nachgewiesen reliablen Testverfahren für das SIG in der medizinischen Praxis durchsetzen und die „Jahrmarkt-Tests“ ersetzen. Bekanntlich dauert es durchschnittlich 17 Jahre, bis sich eine neue effektive Metho-de in der Medizin etabliert hat, aber im Schnitt 44 Jahre, bis Nichtbewiesenes als solches erkannt wird [1].

In der englischsprachigen Literatur ist vom Sacroiliac Joint die Rede. Zur Anglei-chung an internationale Nomenklaturstandards verwenden wir daher den Begriff Sakroiliakalgelenk (SIG).

Mark Laslett, ein weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet der SIG-Tests, gibt in seinem Artikel einen Überblick über die vorhandene Literatur und erklärt, welche SIG-Tests wirklich wichtig sind. Er hat dieses Update seines 2009 bei uns er-schienenen Artikels speziell für die 1. Ausgabe der „neuen“ manuelletherapie ge-schrieben. Darauf sind wir ziemlich stolz. Zum Schwerpunktthema tragen auch Arne Vielitz mit seiner Bachelor-Arbeit zur Evidenz der SIG-Tests sowie Georg Supp mit einem ausgezeichneten Praxisartikel bei.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit der 1. Ausgabe der manuelletherapie mit neu-em Konzept und neuem Gewand! Wir, die Herausgeber, sind gespannt auf Ihr Urteil. Wir freuen uns über Lob und Kritik.

Literatur1. Contopoulos-Ioannidis DG, Alexiou GA, Gouvias TC, Ioannidis JPA. Life cycle of translational re-

search for medical interventions. Science 2008; 321: 1298–1299

Johannes Bessler aus Dossenheim ist Manualtherapeut-OMT (AGMT) und Master of Manual Therapy (UWA/Perth). Als Mulligan-Inst-ruktor ist er seit 2002 international, seit 2010 auch an verschiedenen Hochschu-len in Deutschland und der Schweiz tätig. Er arbeitet klinisch in einer Praxis in Heidelberg mit Spezialisierung auf die Behandlung muskuloskeletaler und kraniofazialer Patienten. Seit 2006 ge-hört er dem Herausgeberteam an. [email protected]

Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14D-70469 Stuttgart

Postfach 30 11 20D-70451 StuttgartE-Mail: [email protected]://www.thieme.dehttp://www.thieme-connect.de/ejournals

DOI 10.1055/s-0032-1304750manuelletherapie 2012; 16: 1© Georg Thieme Verlag KGStuttgart · New York · ISSN 1433-2671

BIBLIOGRAFIE

Page 3: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

2

manuelletherapie 1 . 2012

Schwerpunkt SIG 9 Differenzierungs-/Provokationstests

und Behandlung für das SIG Autor: M. Laslett

18 Der Test der Tests: Wie sieht die Evidenz aus? Autor: A. Vielitz

25 Machen Studien gesund? So hilft Forschung den Patienten Autor: G. Supp

31 Refresher-Fragen zum SIG

32 Profi-Tipp: Myofasziales Taping Autor: M. Erhard

Originalia 34 Einmalige manuelle Traktion bei Patienten mit

kraniomandibulären Dysfunktionen – Randomisierte kontrollierte Studie One-Off Manual Traction in Patients with Craniomandibular Dysfunctions – Randomised Controlled Trial Autoren: A.-M. Schmitz, H. von Piekartz

42 Okuläre Dysfunktionen bei WAD: Behandlungsmöglichkeiten und Effekte neuro-muskuloskelettaler Therapie – Systematischer Review Ocular Dysfunctions in WAD: Treatment Modalities and Effects of Neuro-musculoskeletal Therapy – Systematic Review Autoren: D. von Piekartz-Doppelhofer, H. von Piekartz, E. Hengeveld

Rubriken 4 Forschung kompakt 52 Buchbesprechung 52 Termine U3 Impressum

HerausgeberJohannes Bessleraus Dossenheim ist Manualtherapeut-OMT (AGMT) und Master of Manual Therapy (UWA/Perth). Als Mulligan-Instruktor ist er seit 2002 international, seit 2010 auch an verschiedenen Hochschulen in Deutschland und der Schweiz tätig. Er arbeitet kli-nisch in einer Praxis in Heidelberg mit Spezialisie-rung auf die Behandlung von muskuloskelettalen und kraniofazialen Patienten. Seit 2006 im Heraus-geberteam.

Dr. Claus Beyerleinaus Ulm an der Donau ist Manualtherapeut (OMT-DVMT) und Diplom-Sportwissenschaftler. Er ist Mitglied der Mulligan Concept Teachers Association (MCTA). Nach dem Studium an der Curtin Universi-ty of Technology in Perth/Australien promovierte er an der Universität Ulm zum Thema Erstkontakt in der Physiotherapie in Deutschland – Erkennung von Red Flags. Seit 2003 im Herausgeberteam.

Trisha Davies-Knorraus München ist Manualtherapeutin (MCSP, DVMT-OMT) und IMTA-Instruktorin. Sie arbeitet klinisch an der Klinik und Poliklinik für Physikalische Medi-zin und Rehabilitation der Universität München. Ne-ben der Mitgliedschaft im DVMT-Weiterbildungs-kommission und der DFAMT Monitoring Gruppe ist sie Fellow of the Higher Education Academy. Seit der Gründung der Zeitschrift im Jahr 1997 gehört sie dem Herausgeberteam an.

Sebastian Klienaus Freiburg ist seit 1996 Physiotherapeut. Sein Interesse für die Therapie muskuloskelettaler Be-schwerden führte ihn über die Ausbildung im Kal-tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis in Freiburg. Er gehört seit 2007 zum Heraus-geberteam.

Jan Herman van Minnenlebt in Bettlach in der Schweiz. Er ist Manualthera-peut (OMTsvomp), IMTA-Seniorinstruktor und ar-beitet klinisch als Mitinhaber seiner Gruppenpraxis in Grenchen. Seit der Gründung der Zeitschrift im Jahr 1997 ist er im Herausgeberteam.

Jeannette Saner Bissigaus Zürich ist Manualtherapeutin, Adv.DipPT (Ma-nual Therapy), MSc und Dozentin für Muskuloskele-tale Physiotherapie an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie leitet seit 1987 ihre eigene Praxis in Regensdorf. Seit 1999 im Herausgeberteam.

Jochen Schomacherlebt in Zollikon in der Schweiz. Er ist Manualthera-peut und Instruktor Manuelle Therapie (OMT Kalten-born-Evjenth-Konzept). Derzeit macht er seinen PhD an der University of Aalborg, Dänemark. Er gehört seit der Gründung der Zeitschrift 1997 zum Heraus-geberteam.

Page 4: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

25SCHWERPUNK T SIG · PR A XIS

Supp G. Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den Patienten. Manuelle Therapie 2012; 16: 25-30

AnamneseEine 39-jährige Försterin stellt sich mit rezidivierenden unilate-ralen Rückenschmerzen rechts vor. Die Beschwerden bestehen seit fünf Jahren und strahlen zeitweise über das rechte Gesäß und ��������������� ���������� ������������ ����Abb. 1). Die Be-schwerden haben sich in den letzten Jahren kaum verändert. Es gab immer wieder Wochen oder Monate, in denen die Beschwer-den kaum präsent waren. Dann traten sie wieder verstärkt auf. Die Patientin ist eine sehr aktive Sportlerin. Im Sommer fährt sie Rad und läuft regelmäßig. Im Winter macht sie nahezu täglich Ski-������������Abb. 2). Intensives Lauftraining – vor allem Berglauf – und lange Mountainbiketouren führen jedes Mal zu bleibender Verschlechterung. In den letzten Monaten stand der Knieschmerz im Vordergrund. Die Intensität des Gesäßschmerzes gibt die Pati-entin auf der Visuellen Analogskala (VAS) mit 6 an, die Oberschen-kel- und Kniebeschwerden mit 4 (VAS).

Die Patientin hat bereits eine bunte Palette konservativer Therapien erlebt. Von Manueller Therapie für LWS und Hüf-te über intensives Rumpfmuskeltraining bis hin zur kompletten Sportabstinenz. Keine Intervention brachte nennenswerte und anhaltende Verbesserungen. Aussicht auf Erfolg sieht sie eher nicht. Das Datum der ärztlichen Verordnung liegt fast fünf Mo-nate zurück.

Fragebogen – Einschränkung im AlltagDer Roland & Morris Funktionsfragebogen zeigt mit 2/24 keine re-levante Beeinträchtigung im Alltag. Standardisierte Fragebögen werden bisweilen der individuellen Situation von Patienten nicht gerecht. Patientenspezifische funktionelle Outcomes (PSFO) sind aussagekräftiger [2, 16] und sehr einfach in die Untersuchung ein-zubauen [6].

Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den PatientenTESTS IN DER PRAXIS: Einleuchtende Theorien und Erkenntnisse „aus dem Labor“ müssen sich bewähren. Kurzsichtige Konsequenzen, die manche Kliniker bisweilen aus der aktuellen Studienlage ziehen, helfen im therapeutischen Alltag nicht weiter. Andere fragen sich: Kann ich die Erkenntnisse aus klinischen Studien auf mein klinisches Umfeld übertragen? Wie gehe ich mit widersprüchlichen Erscheinungen um? Als der Autor vor Jahren einem Patienten von einer wissenschaftlichen Konferenz und den interessanten For-schungsergebnissen berichtete, fragte der Patient ihn frei heraus: „Machen mich Deine Studien gesund?“ Seine Antwort damals: „Die Chancen darauf steigen auf jeden Fall.“ Eigentlich hält er es aber mit Lukas Po-dolski: „Wichtig is’ auf’m Platz!“

1 2

Abb. 1 Körperkarte der Patientin (Försterin, 39 Jahre).

Abb. 2 Die Patientin beim Skilanglauf.

Page 5: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

26 SCHWERPUNK T SIG · PR A XIS

Supp G. Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den Patienten. Manuelle Therapie 2012; 16: 25-30

Die Antworten auf die Frage nach Aktivitäten im Alltag, die sie zurzeit nicht oder nur eingeschränkt ausführen kann, erge-ben ein differenzierteres Bild. Die Patientin gibt drei Aktivitä-ten an.

Die patientenspezifischen funktionellen Outcomes am Behand-lungstag 1:1. Berglauf: 2;2. Intensiv Mountainbikefahren: 2;3. Schwere körperliche Arbeit – z. B. Harken bei der Gartenarbeit: 2.

Die Zahlen geben die persönliche Einschätzung an auf die Frage: Wie viel davon ist möglich? Nichts = 0, wenig = 1, mäßig = 2, viel = 3, alles = 4.

Klinische UntersuchungDie klinische Untersuchung wurde nach dem Konzept der Mecha-nischen Diagnose und Therapie durchgeführt [15].

Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist unauffällig, ein Bewe-gungsverlust in keine Richtung zu beobachten.

Repetierte Testbewegungen der Lendenwirbelsäule zeigten ��������� �������� ��� ��� �����Abb. 3–8). Sowohl repetier-����������������������Abb. 3���� ������������������������� ����Abb. 5) produzieren endgradige Schmerzen im rechten Gesäß. Diese halten jedoch nach dem Beenden der Bewegungen nicht an. "�#����������������"$������������Abb. 7) produziert initial ei-nen Schmerz im rechten Gesäß und Oberschenkel. Nach etwa 20

Wiederholungen hat die Patientin keine Schmerzen mehr. Die Be-wegung scheint mit zunehmender Wiederholung etwas harmo-nischer zu sein. Im Anschluss wiederum durchgeführte Flexions- und Seitgleitbewegungen im Stehen haben jedoch den gleichen Effekt wie zuvor. Die Bewegung ist zunächst schmerzhaft und nach etwa 20 Wiederholungen schmerzfrei.

TherapieBesuch 1An dieser Stelle ist der nach Effektivität strebende Kliniker natür-lich versucht, weitere potenzielle Schmerzgeneratoren, wie Hüft- oder Sakroiliakalgelenk, zu untersuchen. Um falsch positive Be-funde zu vermeiden, empfiehlt es sich aber, zuerst die Lendenwir-belsäule als Schmerzursache auszuschließen [9, 12, 15]. Oftmals wird das Bild klarer, wenn der Patient über längere Zeit den Effekt einer bestimmten Bewegungsrichtung evaluiert [17]. Der Thera-peut wählt Flexion im Liegen als Probebehandlung über 48 Stun-den. Die Patientin soll die Übung möglichst alle zwei Stunden zehn Mal durchführen. Flexion im Liegen empfiehlt sich, da die-se Bewegung als einzige einen temporären Effekt auf die Mecha-nik zu haben scheint.

Besuch 2Zwei Tage später stellt sich die Patientin wieder in der Praxis vor. Sie hat die Übungen regelmäßig durchgeführt. Von dem anamnes-tischen Wiederbefundzeichen hat sich keines verändert und auch

� TIPP FÜR DIE PRAXIS

�������������� ������������������� ���

Bei der Befundaufnahme fragt der Therapeut: „Was sind drei Dinge in Ihrem Leben, die Sie wegen Ihren Schmerzen nicht oder nur eingeschränkt tun können und die Sie wieder tun möchten, wenn die Behandlung erfolgreich ist?”

Oder er fordert den Patienten auf: „Nennen Sie mir drei Aktivi-täten in Ihrem Leben, die wegen Ihren Beschwerden nur ein-geschränkt möglich sind und die Sie gerne wieder besser oder ���������� ������

Anschließend fragt der Therapeut: „Wie viel ist davon möglich?“ Der Patient erhält mehrere Auswahlmöglichkeiten für seine Ant-wort:

% nichts = 0; % wenig = 1; % mäßig = 2; % viel = 3; % alles = 4.

� Beispiel: ��������������� ����������������������������������der Behandlungsserie

Aktivität nichts wenig mäßig viel alles

Punkte 0 1 2 3 4

Aktivität 1 X

Aktivität 2 X

Aktivität 3 X

Der Patient kann sich somit um 9 Punkte verbessern (4 + 2 + 3); das heißt, wenn er sich um 9 Punkte verbessert, kann er wieder alle Aktivitäten vollständig ausüben.

Bei Zwischenerhebungen und/oder am Ende der Behandlungen stellt der Therapeut erneut die Frage zu den Einschränkungen.

� Beispiel: ��������������� ��������������������������������der Behandlungsserie

Aktivität nichts wenig mäßig viel alles

Punkte 0 1 2 3 4

Aktivität 1 X

Aktivität 2 X

Aktivität 3 X

Die erreichte Verbesserung beträgt 6 Punkte (2 + 1 + 3) oder 67 %.

Page 6: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

27SCHWERPUNK T SIG · PR A XIS

Supp G. Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den Patienten. Manuelle Therapie 2012; 16: 25-30

die patientenspezifischen funktionellen Outcomes (PSFO) sind unverändert. Klinisch zeigt sich das gleiche Bild wie an Tag 1. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule ist in alle Richtungen frei. Endgradige Flexion im Stehen produziert nach wie vor einen Ge-säßschmerz rechts. Genauso wie Seitgleiten nach links. Die Kont-rolle der Eigenübung gibt keinen Anlass zur Korrektur.

Aktive und passive Untersuchung der Hüftgelenke zeigen kei-nerlei Auffälligkeiten.

Als mögliche Schmerzursache drängt sich nun das SIG auf. Schmerzlokalisation sowie die negative LWS- und Hüftuntersu-chung sprechen dafür.

Die im Anschluss durchgeführten Provokationstests [10] sind jedoch allesamt negativ. Nichtsdestotrotz entschließt sich der Therapeut, zusätzlich eine Untersuchung des SIG mittels repetier-ten Testbewegungen durchzuführen [15]. 20 wiederholt ausge-�$���"���������� �������'���� ���������������Abb. 9a) zeigen während und nach den Tests keinerlei Effekt. Auch die zu-

*�������+##��������;���<����������������>����������Abb. 9b) ändert nichts. Repetierte Rotation des Iliums nach posterior ���Abb. 10) zeigt nach zehn Wiederholungen keinen Effekt. Nach weiteren fünf Repetitionen gibt die Patientin einen langsam stär-ker werdenden Gesäßschmerz an, der jedoch nach weiteren zehn Bewegungen wieder verschwindet. Um den Effekt dieser Bewe-gungsserie auf die Wiederbefundzeichen zu evaluieren, führt die Patientin im Anschluss nochmals eine Flexionsbewegung im Ste-hen aus. Hierbei tritt kein Gesäßschmerz mehr auf. Auch wieder-holte Flexionsbewegungen im Stehen lösen den Schmerz nicht mehr aus. Seitgleiten im Stehen war nun initial ebenso schmerz-frei möglich. Bei wiederholtem Seitgleiten stellt sich jedoch wie-der ein leichter Gesäßschmerz ein. Dieser verschwindet aber so-fort nach Beendigung der Bewegungen. Die Patientin beschreibt die getesteten Bewegungen nun als insgesamt flüssiger - ohne das näher erklären zu können.

Abb. 3 Repetierte Flexion im Stehen.

Abb. 4 Repetierte Extension im Stehen.

Abb. 5 Seitgleiten nach links.

Abb. 6 Seitgleiten nach rechts.

Abb. 7 Repetierte Flexion in Rückenlage.

Abb. 8 Repetierte Extension in Bauchlage.

3 4 5

7 8

6

Page 7: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

28 SCHWERPUNK T SIG · PR A XIS

Supp G. Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den Patienten. Manuelle Therapie 2012; 16: 25-30

Die Rotation des Iliums nach posterior erfüllt klar die Kriterien einer Directional Preference. „Alle zwei bis drei Stunden zehn re-petierte Rotationen des rechten Iliums nach posterior“ lautet die neue Trainingsanleitung bis zum nächsten Besuch.

Besuch 3Nach zehn Tagen stellt sich die Patientin wieder in der Praxis vor. Sie hat die Übungen sehr regelmäßig durchgeführt. Knie- und Oberschenkelschmerz sind seit dem letzten Besuch nicht mehr aufgetreten. Mehrstündige Mountainbiketouren hat sie sehr gut überstanden. Beim Berglauftraining hat sie den Gesäßschmerz noch gespürt, musste aber das Training nicht einschränken.

Die patientenspezifischen funktionellen Outcomes am Behand-lungstag 3:1. Berglauf: 3;2. Intensiv Mountainbike fahren: 4;3. Schwere körperliche Arbeit – z. B. Harken bei der Gartenarbeit: 2;

Gartenarbeit hat sich die Patientin noch nicht zugetraut.

Repetierte Testbewegungen produzierten nach einigen Seitgleit-bewegungen nach links den bekannten Gesäßschmerz mit leich-ter Intensität (VAS 2).

Um den Effekt von passiver Bewegung zu evaluieren, führt der Therapeut etwa 20 Mal eine endgradige, passive Rotation des Ili-�� ������#� �������������������������Abb. 11).

Bei den anschließenden repetierten Seitgleitbewegungen kann die Patientin keinen Gesäßschmerz provozieren.

Die regelmäßige Rotation des rechten Iliums nach posterior bleibt weiterhin die Übung für das Eigentraining.

Besuch 414 Tage später folgt der nächste Besuch der Patientin. Sie hat wei-terhin regelmäßig geübt. Bereits zehn Tage zuvor hat sie zwei Stunden ohne Beschwerden im Garten gearbeitet.

Am Wochenende vor dem Besuch beim Therapeuten hat sie zum ersten Mal seit Jahren wieder an einem Berglauf teilgenom-�������Abb. 12). Abgesehen von ordentlicher Erschöpfung an-

10

9a

9b

Abb. 9a u. b Repetierte Rotation des rech-ten Iliums im Einbeinkniestand. a Nach anterior. b Zusätzlich mit Überdruck durch die Patientin.

Abb. 10 Repetierte Rotation des rechten Iliums im Einbeinstand nach posterior.

� DIRECTIONAL PREFERENCE

Im McKenzie-Konzept der Mechanischen Diagnose und Therapie kommt der „Directional Preference“ eine besondere Bedeutung ���������������������������������������������������-strategie, welche Symptome reduziert, eliminiert oder zentralisiert ��������������������"��#��������$&'*�8������<������"�-�����>���Q[������\�����\]�����������^[�]_����������

$`{'|}*���Q����������~�����������������������"������-kation. Während aber Delitto und seine Kollegen [3–5, 7] diese Richtungspräferenz nur bei Patienten mit Wirbelsäulenbeschwer-������<���������������|�������8���������������������Preference im MDT-Konzept, auch Patienten mit Extremitätenbe-schwerden klinisch einzuteilen [1, 8, 13, 14].

Page 8: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

29SCHWERPUNK T SIG · PR A XIS

Supp G. Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den Patienten. Manuelle Therapie 2012; 16: 25-30

gesichts der ungewohnten Höhendifferenz (960 Höhenmeter bei 12 km Länge) hat sie weder während noch nach dem Lauf Be-schwerden.

Die patientenspezifischen funktionellen Outcomes am Behand-lungstag 4:1. Berglauf: 4;2. Intensiv Mountainbike fahren: 4;3. Schwere körperliche Arbeit – zum Beispiel Harken bei Gartenar-

beit: 4.

Die abschließende klinische Untersuchung zeigt keinerlei Auffäl-ligkeiten. Die Behandlung ist nach vier Terminen abgeschlossen.

Kontakt nach zwei MonatenDie Patientin hat mittlerweile an einem weiteren Berglauf teilge-nommen und dabei sogar in ihrer Altersklasse gewonnen. Längere Läufe bis zu 1,40 Stunden gehen problemlos.

Die Frequenz der Übungen hat sie mittlerweile reduziert, meistens einmal täglich. Wenn sie die Übungen mehrere Tage nicht macht und sich dann stärker körperlich belastet, spürt sie leichte Symptome tieflumbal rechts. Die bekannte Eigenübung hilft aber sofort.

Nach einer fünf Jahre dauernden Vorgeschichte ist sie nun schon seit zehn Wochen völlig beschwerdefrei und hat keinerlei Einschränkungen im Alltag und Sport.

Studienergebnisse 1:1 übertragen?Obwohl laut aktueller wissenschaftlicher Evidenz sechs negati-ve SIG-Tests dieses Gelenk als Schmerzursache ausschließen sol-len [10], konnte sich die Patientin mit repetierten Bewegungen im Sinne einer Rotation des rechten Iliums nach posterior erfolgreich selbst behandeln.

Der Autor setzt das von Laslett beschriebene Vorgehen seit mehr als zehn Jahren in der täglichen Praxis bei orthopädischen und sporttraumatologischen Patienten ein. Bei vielen Patienten, die schließlich erfolgreich mit – auf das SIG zielender – mecha-nischer Therapie behandelt werden können, sind drei oder mehr Provokationstests positiv. Allerdings ist oftmals auch kein einzi-ger Provokationstest positiv, doch in Untersuchung oder Probebe-handlung zeigt sich trotzdem eine „Directional Preference“. Oder der Patient wird durch zeitlich begrenztes Tragen eines SIG-Gurts ���������� ��@����������Abb. 13).

Zurück zur eingangs gestellten Patientenfrage „Machen mich Deine Studien gesund?“ Therapeuten führt das eher zu der Frage: „Inwieweit kann ich die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studien auf meinen klinischen Alltag übertragen?“ Verfahren, die irgendwann einmal zum Referenzstandard in der Diagnostik einer Pathologie werden, haben ihre Validität oft bei einer sehr speziel-len Patientenklientel bewiesen. SIG-Infiltrationen lassen nur Pati-enten mit einem enormen Leidensdruck und hohem Invalidisie-rungsgrad über sich ergehen.

Mark Laslett hat mit seiner Forschung einen Quantensprung in der Diagnostik und Therapie von SIG-Problemen bewirkt. Dank

11

13 12

Abb. 11 Repetierte endgradige, passive Rota-tion des rechten Iliums nach posterior in Sei-tenlage.

Abb. 12 Teilnahme am Berglauf.

Abb. 13 SIG-Gurt.

Page 9: mt 0112 Leseprobe...tenborn- und Maitland-Konzept schließlich zur OMT des SVOMP. Im Jahr 2003 absolvierte er die Prüfung zum OMT/svomp. Seit Juni 2011 hat er seine eigene Praxis

30 SCHWERPUNK T SIG · PR A XIS

Supp G. Machen Studien gesund? – So hilft Forschung den Patienten. Manuelle Therapie 2012; 16: 25-30

ihm gehören nicht reliable Palpations- und Inspektionstests miteinem Validitätsgrad von 0 zusehends der Vergangenheit an.

Klinisch tätige Therapeuten sollten aber Lasletts Schlussfolge-rungen nicht 1:1 übertragen. Nicht jeder Therapeut sieht in seiner Praxis regelmäßig LWS-/SIG-Patienten, die hochgradig chronifi-ziert, in psychometrischen Tests auffällig (Zung Depression Index Questionnaire, MSPQ = Modified Somatic Perception Question-naire, DRAM = Distress Risk Assessment Method) und langzeit-arbeitsunfähig sind. Das sind aber exakt die Patienten, die in Las-letts Studien zur Strukturdiagnose untersucht wurden [9–11].

FAZIT

Das Vorgehen, bei Patienten mit Beschwerden im Bereich LWS-Becken-Bein zuerst die LWS als Schmerzursache auszuschließen,dann das Hüftgelenk zu untersuchen und schließlich reliable Schmerzprovokationstests anzuwenden, findet in der Fachwelt breite Zustimmung. Zu Recht!Dogmatische Schlussfolgerungen sind allerdings fehl am Platz. Das vorliegende Fallbeispiel zeigt zum einen den pragmatischenUmgang mit diesem Verfahren. Zum anderen verdeutlicht es den klinischen Wert einer Untersuchung, die auf Bewegungs-tests und deren symptomatischen und mechanischen Antwor-ten beruht.Letztendlich zählt, den Patienten in eine Subgruppe einzuteilen,deren definierte Managementstrategie ihn bleibend verbessert. Provokativ, aber legitim ist die Frage: Hat die vorgestellte Pati-entin denn überhaupt ihr SIG behandelt? War es vielleicht das Hüftgelenk, das reagiert hat? Oder irgendeine periartikuläre Struktur?Für den Therapeuten hat es gereicht, die Rotation des rechten Iliums nach posterior als Directional Preference auszumachen.Die Patientin war einfach nur froh, eine Übung zu haben, diehilft. C

Die Literatur finden Sie online unter thieme connect:www.thieme-connect.de/ejournals/toc/manuelletherapie

DOI 10.1055/s-0032-1304756manuelletherapie 2012; 16: 25-30© Georg Thieme Verlag KGStuttgart · New York · ISSN 1433-2671

BIBLIOGRAFIE

Georg Supp, PT MT DipMDTGeorg Supp ist seit 1992 Physiotherapeut, Miteigentümer desTherapiezentrums PULZ in Freiburg und Senior Instructor desMcKenzie Institute International. Als Mitglied des Board of Directors der International MDT Research Foundation setzt er sich für physiotherapeutische Forschungsprojekte ein.PULZRieselfeldallee 1279111 [email protected]

AUTOR

Klinische Muster erkennen und behandeln24. März 2012 in FellbachVorträge und Seminare unter anderem mit: Hans van Helvoirt, Sven Feil, Nedi Goreta, Hannu Luomajoki, Marina Honold, Christoph Dehner und Konstantin Beinert

Information und Anmeldung unter www.mckenzie.de

3. Deutsches Symposium für Mechanische Diagnose und Therapie

McKenzie Institut Deutschland | Schweiz | Österreich

in Zusammenarbeit mit FOMT

� ������ ������ ��� ��� �� ��������� �������� �� � ������������

� ������� �� ���� � ��� !�"�#�� �� ��$�$#$� %��&'� � ��( �)���#�� *+�+ �� ��� ����� ��� ����� ���,��� ���#��- �$�� ��� �� �������

� ������� ��� . ������/$ ��� ���������0 �������� %��������� 1 ���+'

� 2�� ���� �� � ��� �� � �������#$��������/������ �� ������� ���/���+ 3���������

����"�������������� ���������������$�����

MSc. Manuelle Therapie(OMT)

!�"���, 4������������� 5605 �� 560.�����������������, ��$"+ &�+ 3���7 *$� ������8

3+*$�9������8:��9$������� +�4�����, ///+/��$+��9$������� +�;��9�� +������� ��"�������,�<� ��� ��������,��=����*����+ .6 �

>?61@ ������A ���, 6B>0;?@?9.B.@$�� 6B>0 9 ?@?;5??B$��3+*$�9������8:��9$������� +�

www.thieme.de/ physioonline