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New Testament Studies http://journals.cambridge.org/NTS Additional services for New Testament Studies: Email alerts: Click here Subscriptions: Click here Commercial reprints: Click here Terms of use : Click here Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt: Martial und Matthäus im Vergleich CHRISTOPH G. MÜLLER New Testament Studies / Volume 49 / Issue 01 / January 2003, pp 1 - 21 DOI: 10.1017/S0028688503000018, Published online: 06 February 2003 Link to this article: http://journals.cambridge.org/abstract_S0028688503000018 How to cite this article: CHRISTOPH G. MÜLLER (2003). Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt: Martial und Matthäus im Vergleich. New Testament Studies, 49, pp 1-21 doi:10.1017/S0028688503000018 Request Permissions : Click here Downloaded from http://journals.cambridge.org/NTS, IP address: 147.142.186.54 on 28 Mar 2015

Müller (2003) - Bitten Und Beten Im NT Und Seiner Umwelt

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Exegesis of the New Testament

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    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt: Martial undMatthus im Vergleich

    CHRISTOPH G. MLLER

    New Testament Studies / Volume 49 / Issue 01 / January 2003, pp 1 - 21DOI: 10.1017/S0028688503000018, Published online: 06 February 2003

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    How to cite this article:CHRISTOPH G. MLLER (2003). Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt: Martial undMatthus im Vergleich. New Testament Studies, 49, pp 1-21 doi:10.1017/S0028688503000018

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    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt:Martial und Matthus im Vergleich*

    CHRISTOPH G. MLLERSachsenstrae 5, D-36043 Fulda, Germany

    Bittgebete gehren zu den besonderen Ausdrucksformen religiser berzeugun-gen. Schon in der Antike lassen sich Beziehungen zwischen Bitten, die anMenschen adressiert sind, und Bitten, die an Gott bzw. Gtter gerichtet werden,ausmachen, Fr einen Vergleich mit Ermutigungen zum Bittgebet imMatthusevangelium werden Beispiele aus den Epigrammen Martials vorgestellt.Der Bittsteller, der bei Martial vor allem materielle Gter anstrebt, scheut sichbeim Bitten nicht, den Kaiser mit Jupiter zu parallelisieren. Doch prgt ihn dieUnsicherheit, ob die ausgesprochenen Bitten Gewhrung finden. VonErhrungsgewiheit, wie sie fr die verglichenen Texte im Matthusevangeliumkennzeichnend ist, kann nicht gesprochen werden. In den Epigrammen Martials wird vor allem um die Steigerung persnlicher Lebensqualitt gebeten.Demgegenber begegnen bei Matthus Gemeinschaftsbitten, die nicht nur persn-liche Interessen im Auge haben. Nicht die bloe materielle Existenzsicherung oderpersnliche Bedrfnisbefriedigung ist hier das Thema, sondern die HerrschaftGottes.

    1. Einfhrung

    Bittet, und euch wird gegeben werden (Mt 7.7/Lk 11.9), sagt Jesus.Wer sie [die Gtter] bittet, der . . . erschafft sie, meinte der im erstenJahrhundert nach Christus lebende und arbeitende Dichter Martial(Epigramm 8.24).

    Bitten gehren zum tglichen Leben. Ausgesprochen, geschrieben oder auf

    eine andere Weise werden sie weltweit in immer neuen Variationen zum

    Ausdruck gebracht. Neben dem Bitten soll im folgenden vom Beten die Rede sein,

    nherhin vom Bittgebet. Bitten an Menschen und Bittgebete, die an Gott bzw. die

    Gtter gerichtet werden, sind interkulturelle Phnomene, nicht nur in der

    Entstehungszeit neutestamentlicher Schriften. Bittgebete gehren wohl schon

    * Vortrag im Rahmen des Habilitationsverfahrens an der Katholisch-Theologischen Fakultt

    Wrzburg, vorgetragen am 29. Januar 2001. Ich danke den Mitgliedern des Habilitations-

    ausschusses fr die Beitrge in der an den Vortrag angeschlossenen wissenschaftlichen

    Aussprache.

    New Test. Stud. , pp. . Printed in the United Kingdom Cambridge University PressDOI:10.1017/S0028688503000018

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    immer1 und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu den besonderen

    Ausdrucksformen religiser berzeugungen.2 Doch gab es auch schon in der

    Antike eine Diskussion ber die berflssigkeit des Bittgebets. So stellten etwa

    manche Stoiker auf dem Hintergrund der Vorstellung von der Allgte Gottes eine

    Fragwrdigkeit des Bittgebets fest.3 Eine dezidierte Position vertritt im 2. Jh. n.

    Chr. Maximus von Tyrus (DIALEXEIS 5.3, 4, 7). Nach Maximus (vgl. 5.4) machtdie Vorstellung von einer Vorsehung das Bittgebet unsinnig.

    In neutestamentlichen Texten werden demgegenber andere Positionen

    erkennbar;4 hier sind an verschiedenen Stellen ausdrckliche Aufforderungen

    zum Bitten zu lesen. Paulus z.B. ruft explizit zum Bitten auf (Phil 4.6): Um nichts

    macht euch Sorgen, sondern in allem sollen durch das Gebet und die Bitte mit

    Dank eure Anliegen/Forderungen (ta; aijthvmata uJmw`n) kundgetan werden beiGott.5

    Lesern und Kennern des ATs ist das Bitten vor Gott aus vielfltigen Texten und

    aus der von daher angeregten Gebetspraxis vertraut.6 Immer wieder begegnen

    Bitten vor oder zu Gott, vor allem im Buch der Psalmen, aber auch in erzhlender

    Literatur des ATs. Die Inhalte der Bitten sind vielfltig: Gesundheit, Sicherheit,

    Schutz, Segen . . . Das Bitten kann als Aufschrei, als Flehen oder als Klage

    2 .

    1 Beispiele fr antike Bittgebete: Homer, Ilias 6.305310; 7.177180; Odyssee 3.5561 (vgl. auch

    J. T. Beckmann, Das Gebet bei Homer [Diss.; Wrzburg, 1932] 1019); Gebet des Sokrates in

    Alkibiades 2. Nach Platon (Gesetze 7.801a) sind Gebete Bitten an die Gtter (eujcai; para;qew`n aijthvsei~ eijsivn); vgl. auch Ders., Euthyphron 14c: to; d eu[cesqai aijtei`n tou;~ qeouv~.Vgl. auch Simon Pulleyn, Prayer in Greek Religion (Oxford, 1997) 5669. Beispiele aus rmi-

    schen Gebeten bietet E. von Severus, Gebet I, RAC 8 (1972) 1134258, hier vor allem 1156.

    2 Vgl. F. Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Unter-

    suchung (Mnchen, 51923) 60; J. M. Velasco, Bitt- und Dankgebet in den Religionen,

    Conc(D) 26 (1990) 18996, hier 192.

    3 Vgl. zur philosophischen Kritik am Bittgebet auch Heiler, Gebet, 204; H. Schaller, Bitten

    und danken eine sinnvolle Einheit, Conc(D) 26 (1990) 1858, hier 186. In De beneficiis

    2.2.12 spricht Seneca von der belastenden bzw. unangenehmen Notwendigkeit der Bitten.

    4 Vgl. vor allem Mt 7.711; 21.22; Lk 11.513; 21.36; Joh 14.13f.; 15.7; 16.23f.; Jak 1.5f. Vgl. zu diesen

    Texten u.a. die Arbeiten von J. Caba, La oracin de petitin. Estudio exegtico sobre los evan-

    gelios sinpticos y los escritos joaneos (AB 62; Rom, 1974); F. G. Untergamair, Im Namen Jesu

    beten: Biblische Impulse zu christlichem Gebet (Stuttgart, 1990).

    5 Vgl. auch die Aufforderung in 1 Tim 2.1: Ich ermahne euch zuallererst, Bitten (dehvsei~) zuverrichten, Gebete (proseuca;~), Frbitten (ejnteuvxei~), Danksagungen (eujcaristiva~) fralle Menschen. Vgl. auch im Hirt des Hermas, Mand 9.4: Reinige also dein Herz von allen

    Nichtigkeiten dieser Welt und von dem, was ich dir eben aufgezhlt habe, und bitte den

    Herrn, dann wirst du alles erhalten und wirst alle deine Bitten erfllt sehen, wenn du den

    Herrn zuversichtlich bittest.

    6 Vgl. u.a. E. S. Gerstenberger, Der bittende Mensch: Bittritual und Klagelied des Einzelnen im

    Alten Testament (WMANT 51; Neukirchen-Vluyn, 1980); R. Albertz, Gebet II. Altes

    Testament, TRE 12 (1984) 3442, vor allem 36f.

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    begegnen, auch als Sthnen, Seufzen, Rufen oder Schreien. Im Bitten schttet der

    Mensch sein Herz vor Gott aus oder tritt betend fr andere ein.7

    Damit unmittelbar verbunden ist die Frage nach dem dabei vorausgesetzten

    Gottesbild. Der Glaube an die Geschichtsmchtigkeit Gottes8 (vgl. z.B. Jes 45.7)

    kann in biblischen Texten als die Voraussetzung des Bittgebets gekennzeichnet

    werden. Entsprechend sind viele dieser Texte von einer ausgeprgten

    Erhrungsgewiheit vgl. z.B. Ps 94.9; Hiob 22.27; Jes 30.19; 65.24 (vgl. auch PsSal

    6.8) bestimmt.9

    Doch wie hren sich in der Entstehungszeit neutestamentlicher Texte Bitten

    und Bittgebete von Menschen an, denen der kulturelle und religise

    Verstehenshintergrund des ATs nicht gegeben war? Gab es in der Antike alterna-

    tive Rezeptionsmglichkeiten, die neutestamentlichen Ermutigungen zum Bitten

    und Beten aufzunehmen? Lassen sich andere Zugnge fr Menschen der Antike

    aufzeigen? Lt sich u.U. ein Rezeptionshorizont fr Bewohner des rmischen

    Reichs in der zweiten Hlfte des ersten Jahrhunderts beschreiben? Solchen

    Fragen nachgehend soll ein mglicher Verstehenshintergrund aufgezeigt werden,

    indem einige Facetten des antiken Klientelwesens beschrieben werden, da dem

    Bitten im Patronat zentrale Bedeutung zukam. Dabei beziehe ich mich auf Texte

    eines antiken Autors, der in der Exegese des NTs bislang noch zu wenig Beachtung

    findet, den Epigrammatiker Martial.

    2. Das sprachliche Phnomen Bitte

    Das Bitten kann in sprachlicher Hinsicht (wie das Fragen oder

    Vorschlagen) als Initialsprechakt verstanden werden.10 Es handelt sich nach W.

    Franke um direktive Sprechakte eine Klassifizierung von J. R. Searle , die voll-

    zogen werden, um jemand dahin zu bringen, etwas zu tun oder zu unterlassen.11

    Das Bittverhalten ist freilich nicht nur ein sprachliches Phnomen, es ist

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 3

    7 Im Judentum kann das Schemone Esre/Achtzehngebet als das Bittgebet der Synagoge

    schlechthin gelten; so R. Zorn, Die Frbitte im Sptjudentum und im Neuen Testament

    (Diss.; Gttingen, 1957) 61; vgl. auch J. J. Petuchowski, Beten im Judentum (Stuttgart, 1976)

    52; L. A. Hoffman, Gebet III. Judentum, TRE 12 (1984) 427.

    8 Vgl. dazu G. Lohfink, Die Grundstruktur des biblischen Bittgebets, Bittgebet Testfall des

    Glaubens (ed. G. Greshake/G. Lohfink; Mainz, 1978) 1931, hier 1921; H. Frankemlle,

    Matthus. Kommentar 1 (Dsseldorf, 1994) 244.

    9 Spr 21.13 bindet die Erhrungsgewiheit der Gott Bittenden an ihre soziale Verantwortung:

    Wer sein Ohr verstopft vor dem Bittruf des Geringen, auch er wird einst rufen, ohne erhrt

    zu werden.

    10 W. Franke, Elementare Dialogstrukturen: Darstellung, Analyse, Diskussion (Reihe

    Germanistische Linguistik; Bd. 101; Tbingen, 1990) 19.

    11 Ebd., 5.

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    grtenteils nichtverbaler Art.12 Tonfall, Gestik, Mimik oder Krperhaltung spie-

    len hufig eine ganz entscheidende Rolle.

    Im Bitten ist der Mensch in einem besonderen Ma ganz bei sich selbst, in

    seiner spezifischen Situation, die er im Bitten ausspricht. Mit seiner Bitte wendet

    sich der Bittsteller an einen Bittempfnger, dem er sich mit seiner Bitte unterord-

    net. Das Gestndnis, angewiesen zu sein,13 ist begleitet von der Hoffnung auf

    Erfllung. Worum kann es dabei gehen? Meist geht es um die Aufhebung eines

    Mangels14, hufig um die nderung einer Situation,15 (z.B. die Lsung bzw.

    Bewltigung eines Problems oder die Befreiung aus einer Bedrngnis), oft um die

    Suche nach Schutz und Hilfe.

    Nach E. S. Gerstenberger besteht eine genetische Beziehung zwischen der

    gesellschaftlichen Bitte und dem Bittgebet,16 d. h. zwischen den Bitten, die an

    Menschen adressiert sind und den Bitten, die im Gebet an Gott (bzw. die Gtter)

    gerichtet werden. Das lasse eine Verwandtschaft der Bittstrukturen erwarten.17

    Diese Beobachtung hat mich veranlat, das Bitten in den literarischen Zeugnissen

    eines rmischen Autors, der in der Entstehungszeit zahlreicher neutesta-

    mentlicher Texte gelebt und gearbeitet hat, etwas genauer unter die Lupe zu

    nehmen.

    3. Martial und seine Epigramme

    Marcus Valerius Martialis ist von seiner Herkunft her ein Spanier. Geboren

    um das Jahr 40 n. Chr. kommt Martial ungefhr im Jahr 64 nach Rom. Er findet in

    den Kreisen der in Rom lebenden Spanier (Seneca, Quintilian u.a.) wohlwollende

    4 .

    12 Gerstenberger, Mensch, 19.

    13 Schaller, Bitten, 185.

    14 Die Bitte zielt darauf ab, eine Mangelsituation zugunsten des Bittstellers im vorgegebenen

    sozialen Beziehungsfeld auszugleichen (Gerstenberger, Mensch, 60). Beim Betteln wird

    der Ausdruck der Bedrftigkeit besonders deutlich. In einer sozialkonomischen Studie

    bietet M. Prell, Sozialkonomische Untersuchungen zur Armut im antiken Rom: Von den

    Gracchen bis Kaiser Diokletian (Beitrge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 77; Stuttgart,

    1997) 6874 Beispiele fr die Armut und das Betteln im antiken Rom. Prell gibt (ebd., 68)

    auch eine hilfreiche Definition: Unter Bettler soll hier im Gegensatz zum Bettelarmen eine

    Person verstanden werden, die ihren Lebensunterhalt beinahe ausschlielich aus den

    Hilfeleistungen fremder Mildttigkeit bestreitet und die sich nicht mittels Arbeit aus

    eigener Kraft versorgen kann oder will. Betteln konnte aber auch Bestandteil einer bewut

    gewhlten Lebensform sein (beispielsweise bei den Kynikern).

    15 Zur Bitte als Bestandteil neutestamentlicher Wundererzhlungen (Mk 9.22; 10.48; Mt 9.27;

    15.22; Lk 17.13) vgl. auch G. Theien, Urchristliche Wundergeschichten: Ein Beitrag zur form-

    geschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien (SNT 8; Gtersloh, 1974) 64f. (vor

    allem zur Verbindung von Bitte und Vertrauensuerung).

    16 Gerstenberger, Mensch, 18; vgl. auch Albertz, Gebet II, 34.

    17 Gerstenberger, Mensch, 18.

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    Aufnahme.18 Zugang findet er auch zu diversen, ihn finanziell untersttzenden

    Husern.

    Martial kann als Begrnder und Vorbild der satirischen Epigrammdichtung

    gelten.19 Es sind etwa 1170 Einzeltexte berliefert. Dazu zhlen vor allem die zwlf

    Bcher der Epigramme, aus denen die nachfolgenden Textbeispiele entnommen

    sind. Diese zwlf Bcher sind einzeln und nacheinander in den Jahren zwischen

    85 und 101 entstanden bzw. verffentlicht worden. Schon dieser Zeitraum ist fr

    die Exegese des NTs besonders interessant, da hier auch das Entstehen einer

    Reihe neutestamentlicher Schriften angesetzt wird.

    Fr die Abfassung von Epigrammen wurde schon frh eine poetische Form

    verwandt. Martial nutzt in vielen seiner Gedichte das Distichon20 mit der

    Gegenberstellung von Hexameter und Pentameter. Zu den besonderen Merk-

    malen des Epigramms zhlt neben der Krze (brevitas) eine konklusive Pointe

    (acumen), die hufig eine unerwartete Lsung der Spannung am Ende des

    Gedichts mit sich bringt.21

    Es handelt sich bei den Gedichten Martials um Gelegenheitsdichtung. Dabei

    spiegelt der Dichter vielfltig das rmische Leben seiner Zeit. Jede Seite von mir,

    so schreibt er selbst, schmeckt nach dem Menschen (10.4.10).22 Zu diesem

    Leben gehrt auch das Patronat bzw. Klientelwesen23 als ein in allen ihren

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 5

    18 Zu den Patronen des Martial vgl. E. Fantham, Literarisches Leben im antiken Rom:

    Sozialgeschichte der rmischen Literatur von Cicero bis Apuleius (Stuttgart/Weimar, 1998)

    1689.

    19 Martial nennt seine Gedichte Epigramme (vgl. Vorrede zu Buch I). Sein Name steht

    sozusagen fr die Sache, da er die formalen und inhaltlichen Mglichkeiten des Epigramms

    geradezu exzessiv ausgemessen hat.

    20 Vgl. dazu M. Lausberg, Das Einzeldistichon: Studien zum antiken Epigramm (Mnchen,

    1982). Zwei der im folgenden behandelten Texte zeigen diese Form: 6.10 und 8.24 (Beispiele

    4.1 und 4.2). Daneben kann Martial auch Hinkjamben verwenden (vgl. z.B. 10.5; 10.74), oder

    den Hendekasyllabus (vgl. Beispiel 4.3).

    21 Bei den Epigrammen Martials handelt es sich um mehr oder weniger geistreiche, meist

    boshafte nugae (6.64); er spricht auch von ioci oder carmina iocosa.

    22 Der Dichter will einen Spiegel rmischen Lebens vorhalten, hufig mit einer satirisch-

    karikierenden berzeichnung der Personen und Phnomene; so U. Walter, in Ders. (Ed.),

    M. Valerius Martialis Epigramme (Paderborn, 1996) 279.

    23 In etwa 127 Epigrammen kommt Martial auf das Klientelwesen bzw. auf Interaktionen zwi-

    schen Patron und Klient zu sprechen (vgl. z.B. 1.55, 70, 108; 2.18; 3.4, 7, 30, 36, 46; 4.40; 5.22;

    6.88; 7.39; 9.9, 100; 10.10, 58, 70, 74, 82; 11.24; 12.18, 29, 68). Zum Patronatswesen bei Martial

    vgl. R. R. Nauta, Poetry for Patrons: Literary Communication in the Age of Domitian (Diss.;

    Leiden, 1995) 3687; N. Holzberg, Martial und das antike Epigramm (Darmstadt, 2002)7485. Martial setzt immer wieder einen Kunstgriff ein, die Beobachtung aus der

    Perspektive des Klienten, um an den Schwchen dieser gesellschaftlichen Institution

    humorvolle Kritik zu ben; vgl. N. Holzberg, Martial (Heidelberger Studienhefte zur

    Altertumswissenschaft; Heidelberg, 1988) 73. Er brandmarkt Auswchse und Verfehlungen

    des Systems auf beiden Seiten (vgl. z.B. 2.37; 9.14).

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    Schichten wesentliches Element der rmischen Gesellschaft, durch das eine ver-

    tikale Solidaritt24 gebt werden sollte.25 In 99 seiner Epigramme stellt sich das

    lyrische Ich als von der Gnade des Patrons abhngigen armen Schlucker dar.26

    Dabei streicht der Dichter besonders die negativen Seiten eines solchen

    Verhltnisses heraus.27 Zu den Diensten (obsequium) des Klienten gehrte vor

    allem die husliche Aufwartung am Morgen, die sog. salutatio28 (vgl. 1.55, 70, 108;

    3.36; 5.22; 9.100; 10.70, 82; 11.24; 12.29), die Anrede mit rex oder dominus,29 die

    Begleitung auf dem Weg (prosequi, reducere; vgl. 2.18; 3.36.5; 3.46; 4.78; 9.100; 10.10;

    11.24), z.B. aufs Forum, in die Thermen, bei Besuchen, aufs Land und auf Reisen,

    das Tragen einer Snfte (vgl. 3.46; 10.10), das demonstrative Aufstehen fr den

    Patron oder die Bewunderung (vgl. 10.10; 11.24), der Gru auf der Strae oder der

    Applaus bei Reden (vgl. 2.27; 3.46; 9.14; 10.10). Die entsprechende Gegenleistung

    bestand in der sportula, die ursprnglich aus Nahrungsmitteln bestand. Zur Zeit

    Martials kon-kretisierte sie sich in einem finanziellen Tagessatz, in der Regel

    hundert Quadrans.30

    4. Die Bitte bei Martial

    Martial beklagt in seiner Dichtung hufig finanzielle Schwierigkeiten.31

    Doch ist bei dem Versuch, solche Gedichte auf seine tatschliche finanzielle

    6 .

    24 U. Walter, Appendix 6: Das Klientelwesen in Rom zur Zeit Martials, in Ders. (Ed.; vgl. Anm.

    22) 28491, hier 285.

    25 Zugleich handelt es sich um eine Institution der privaten Prachtentfaltung; so auch P.

    Veyne, Brot und Spiele: Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike

    (Mnchen, 1994) 599.

    26 Der Dichter kann aber auch in der Rolle des Patrons begegnen; vgl. 1.27; 2.37; 3.95; 4.15; 5.50;

    9.35; 10.58.

    27 Vgl. Holzberg, Martial, 68: Es handelt sich dabei weitgehend um Moralsatire auf die z.T.

    anscheinend tatschlich entwrdigenden Bedingungen. Martial ist allerdings weiterhin an

    einem Ethos der Gegenseitigkeit (Walter, Klientelwesen, 289 nach Garnsey/Saller) gele-

    gen.

    28 Der bliche Zeitraum war die erste und zweite Tagesstunde. Vgl. zur salutatio A. Winterling,

    Aula Caesaris: Studien zur Institutionalisierung des rmischen Kaiserhofes in der Zeit von

    Augustus bis Commodus (31 v. Chr. 192 n. Chr.) (Mnchen, 1999) 11744.

    29 Vgl. zur Anrede des Patrons mit rex z.B. 4.40.9; 5.22.14 oder mit dominus 1.112; 2.18; 2.68; 3.7.5;

    5.19.13; 6.88.2; 10.10; 10.96.13; 12.60.14.

    30 Vgl. 1.59; 3.7; 6.88; 8.42; 10.70.13f.; 10.74.4; 10.75. Dieser Betrag drfte als Armutsgrenze

    anzusehen sein; so auch W. Hofmann, Nachwort: Martial ein groer Kritiker des antiken

    Rom, in Ders. (Ed.), Martial, Epigramme (Frankfurt/Leipzig, 1997) 74366, hier 749. Auer

    den 100 Quadranten spielt in Martials Dichtung das Ergattern einer Einladung bzw.

    Mahlzeit hufig eine zentrale Rolle (vgl. z.B. 2.14, 19, 27; 3.30; 9.14).

    31 Von daher hat man in der Martial-Forschung von Bettelpoesie oder Bettellyrik

    gesprochen. In der Diskussion um die finanzielle Situation Martials in Rom werden unter-

    schiedliche Positionen vertreten. R. P. Saller (Martial on Patronage and Literature, CQ 33

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    Situation zu beziehen, Vorsicht geboten.32 Fr Martial war ein Patron vor allem als

    publisher von besonderer Bedeutung (vgl. z.B. 7.97).33 Wiederholt lt sich in

    seinen Epigrammen der Ruf nach einem neuen Mzenatentum34 beobachten

    (vgl. 1.107; 8.55; 11.3; 12.3). Der Kaiser, Domitian (8196), spielte in dieser Zeit als

    Patron fr Literaten35 eine besondere Rolle (vgl. 8.24). Bei Martial lt sich eine

    Flle von Huldigungen an Domitian ausmachen, die das hoffende Ringen um die

    Gunst des Monarchen36 dokumentieren. Er sieht sich in einem Wechsel-

    verhltnis zum Kaiser. Der Kaiser gilt ihm als oberster, hchster, ja universeller

    Patron. Zu ihm will er in ein Klientelverhltnis treten; durch ihn will er zu

    Publikum und Ruhm gelangen. Domitian geht er auch um Geld an, was in Beispiel

    4.1. besonders deutlich wird. Ein Abhngigkeitsverhltnis lt sich zweifellos

    dann am eindringlichsten veranschaulichen, wenn es aus der Sicht des . . . nach

    oben Blickenden dargestellt wird und dieser seinen Standort mglichst tief

    ansetzt.37 Dies kommt beim Bitten der Klienten besonders deutlich zum

    Ausdruck. Ein Beispiel aus dem Jahr 90 (oder 91):

    4.1. Die Bitte um Geld Epigramm 6.1038

    Als ich Jupiter krzlich um nur wenige Tausender bat,sagte er: Jener gibt sie bestimmt, der mir die Tempel gegeben hat.Tempel gab jener dem Jupiter zwar, doch Tausendergab er mir keine. Wie schme ich mich, ach, da ich so wenig nur vonJupiter erbat!

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 7

    [1983] 24657) geht anders als P. White (Amicitia and the Profession of Poetry in Early

    Imperial Rome, JRS 68 [1978] 7492) davon aus, da Martial von Subventionen reicher

    nobiles abhngig war (literary patronage).

    32 Immerhin gehrte er dem Ritterstand an (vgl. A. L. Spisak, Gift-Giving in Martial, in Toto

    notus in orbe: Perspektiven der Martial-Interpretation [Palingenesia 65; ed. F. Grewing;

    Stuttgart, 1998] 24355, hier 245), in dem ein betrchtliches Grundkapital (400 000

    Sesterzen) vorausgesetzt werden kann.

    33 Vgl. White, Amicitia; Saller, Martial, 246f.; Holzberg, Martial, 72; Fantham, Leben, 68.

    34 Vgl. J. P. Sullivan, Martial: The Unexpected Classic. A Literary and Historical Study

    (Cambridge, 1991) 41; M. Kleijwegt, Extra fortunam est quidquid donatur amicis: Martial on

    Friendship, in Toto notus in orbe (vgl. Anm. 32) 25677, hier 260.

    35 Vgl. die Epigramme 5.5; 8.82. Vgl. in diesem Zusammenhang Nauta, Poetry, 30533;

    Fantham, Leben, 16471; P. White, Promised Verse: Poets in the Society of Augustan Rome

    (Cambridge/London, 1993). Zu Domitian als Patron des Martial vgl. Nauta, Poetry, 31821.

    36 W. Hofmann, Martial und Domitian, Philologus 127 (1983) 23846, 246. Vgl. z.B. Epigramm

    7.99.

    37 Holzberg, Martial, 68; hnlich jetzt in Ders (vgl. Anm. 23), Epigramm, 78: . . . wenn es vom

    Point of view des von unten nach oben Sehenden betrachtet wird und dieser seinen

    Standort mglichst tief ansetzt.

    38 Dt. bersetzung nach P. Bari und W. Schindler, Martial, Epigramme (Dsseldorf/Zrich,

    1999).

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    Aber wie las er mein Bittgesuch, mit welch freundlicher Miene!Keineswegs finster oder von Zorn verdstert war er dabei!So war seine Haltung, als er den flehenden Dakern das Diadem verlieh,39

    so geht er die Straen zum Kapitol hinauf und wieder zurck.Sag, ich bitte dich, Jungfrau, die du die Gedanken unseres Donnerers

    kennst:Wenn er mit dieser Miene sich weigert, mit welcher pflegt er dann zu geben?So ich, und so erwiderte Pallas mir knapp und legte dabei die Gorgo zur

    Seite:Was man dir noch nicht geschenkt hat, meinst du, das sei dir verweigert, du

    Tor?

    Jupiter, der hchste Gott der Rmer, wurde nach Z. 1 um Geld40 angegangen.

    Dieser jedoch verwies den Bittsteller weiter, auf einen anderen, der in Z. 2 zwar

    nicht mit Namen genannt wird, aber aus dem Inhalt zu erschlieen ist: Titus

    Flavius Domitianus. Domitian hat in seiner Regierungszeit verschiedene Tempel

    erneuern lassen,41 u.a. erbaute er im Jahr 82 den Tempel des Jupiter Capitolinus

    neu.42 Als Himmelsgott und ltester Gott Roms hatte Jupiter eine Vorrangstellung

    inne. Zudem spielte er im rmischen Herrscherkult eine besonders wichtige

    Rolle. J. R. Fears spricht fr die flavische Zeit von a Jovian theology of imperial

    power.43 So ist Domitian auf einer seiner Mnzen mit Panzer, Speer und

    Blitzebndel zu sehen.44 Von 85/86 an ist die Anrede Domitians mit dominus et

    deus belegt.45 Besonders interessant ist in Epigramm 6.10 die Parallelisierung der

    8 .

    39 Der Dakerfrst wurde zum Vasallenknig; vgl. auch Epigramm 5.3.

    40 Zur Bitte um Geld vgl. auch Epigramm 10.15. Auch dort ist das Ergebnis des Bittens ent-

    tuschend; der Freund gibt kein Geld. Zur Bitte um Geld vgl. auch die Epigramme 6.20; 6.87.

    41 Vgl. Epigramm 6.4.3: so viele neu erstehende Tempel, so viele wieder aufgebaute.

    42 Zum Tempelbau fr Jupiter vgl. J. R. Fears, The Cult of Jupiter and Roman Imperial

    Ideology, ANRW II 17.1 (1981) 3141, hier 77. Im Jahr 80 n. Chr. erneuerte Domitian das

    Kultbild Jupiters auf dem Kapitol; vgl. dazu C. Maderna, Iuppiter Diomedes und Merkur als

    Vorbilder fr rmische Bildnisstatuen: Untersuchungen zum rmischen statuarischen

    Idealportrt (Archologie und Geschichte; Bd. 1; Heidelberg, 1988) 27. Nach Tacitus

    (Historien 3.74) trug die Kultstatue im Tempel des Jupiter Custos ein Bild Domitians im

    Bausch des Gewandes; vgl. M. R.-Alfldi, Bild und Bildersprache der rmischen Kaiser:

    Beispiele und Analysen (Kulturgeschichte der antiken Welt 81; Mainz, 1999) Bild 221 Anm. 8.

    43 Fears, Cult, 76; vgl. auch 79: Jupiter protects and gives victory to Domitian, who in turn

    protects the human race.

    44 Vgl. den Sesterz auf Tafel 16 bei Maderna, Iuppiter.

    45 Vgl. M. Bs, Eine Weihung an Jupiter und den Genius Domitians, BoJ 158 (1958) 2935 mit

    Tafel 22, hier 34. Er hielt sich am Beginn seiner Regierungszeit gegenber der Titulatur mit

    dominus zunchst ablehnend zurck, spter nicht mehr; vgl. M. Clauss, Kaiser und Gott:

    Herrscherkult im rmischen Reich (Stuttgart/Leipzig, 1999) 119f. Zur gttlichen Verehrung

    des Domitian vgl. auch ebd., 129. Bei Martial setzt die Titulatur des Kaisers mit dominus et

    deus in Buch 5 ein; vgl. 5.8.1; 7.34.89; 8.2.6; 9.66.3; Sueton, Domitian 13 (vgl. dazu H.-J.

    Klauck, Die religise Umwelt des Urchristentums II: Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie,

    Gnosis [KStTh 9.2; Stuttgart, 1996] 60). Die Bezeichnung Domitians als deus ist in Martials

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    Bitte an Jupiter und an Domitian. Martial hatte Domitian offenbar um einen

    greren Betrag gebeten. Nach Z. 4 wurde Martials Bitte allerdings zurck-

    gewiesen.46 Der Schlu des Epigramms deutet auf weiterhin bestehende

    Hoffnung auf Erfolg hin; man kann auch von einem noch nicht sprechen. Da

    allerdings kein entsprechendes Dankgedicht erhalten ist, bleibt unklar, ob Martial

    jemals etwas erhalten hat.

    Ein Schaubild soll helfen, die im Epigramm angesprochenen Beziehungen

    deutlich vor Augen zu haben. Dabei zeigen die unterbrochenen Linien bzw. Pfeile

    die Interaktionen an, deren Realisierung im Epigramm offen bleibt, die fr den

    Bittsteller allerdings von entscheidender Wichtigkeit sind:

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 9

    In den Epigrammen Martials ist wiederholt eine Identifizierung Domitians mit

    Jupiter47 zu beobachten.48 Domitian heit bei Martial unser Jupiter (vgl. 4.8.12;

    14.1), mein Jupiter (9.91) oder unser Donnerer (vgl. 6.10; 7.56). Auch nach

    Jupiter Domitianunser Donnerer

    Minerva

    Bittender

    Bitte A Bitte C Bitte B

    verweist auf

    gibt Tempel

    Epigrammen hufig zu beobachten; vgl. 4.1.10; 5.3; 5.5.2; 7.5.3; 7.8.2; 7.40.2; 7.99.8; 8.8.6;

    8.88.3. Er kann ihn auch unser Gott (7.2) nennen. Mit dem Tod des Domitian gibt Martial

    diese Titulatur allerdings wieder auf. Vgl. in diesem Zusammenhang auch B. W. Jones, The

    Emperor Domitian (London/New York, 1992) 108f.

    46 Die Zurckweisung einer geringfgigen Bitte wird als besonders beschmend erlebt.

    47 Vgl. 4.8; 5.6; 6.10; 7.56; 7.99; 14.1. Vgl. dazu F. Sauter, Der rmische Kaiserkult bei Martial und

    Statius (TBAW 21; Stuttgart, 1934) 5278; Clauss, Kaiser, 125. Die Identifizierung des Kaisers

    mit Jupiter begann unter Augustus; vgl. Clauss, Kaiser, 247f. Zu Martial vgl. Sauter,

    Kaiserkult, 55: alles ist adulatio; F. J. Dlger, Die Kaiservergtterung bei Martial und Die

    heiligen Fische Domitians, AuC 1 (1929) 16373, hier 163; K. M. Coleman, The Emperor

    Domitian and Literature, ANRW II 32.5 (1986) 3087115, hier 3111.

    48 In der bildlichen Darstellung erscheint Domitian als erster rmischer Kaiser mit dem

    Blitzbndel Iupiters in der Hand (Clauss, Kaiser, 125); vgl. Maderna, Iuppiter, Tafel 16 Abb.

    3. Vor allem die Mnzprgung zeigt die Tendenz, den dominus Domitian dem Jupiter

    anzugleichen (Bs, Weihung, 34). Eine Unterscheidung von himmlischem und irdischem

    Jupiter bleibt aber sehr wohl mglich; vgl. 1.6; 8.39; 9.91.

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    Epigramm 6.10 ist der Kaiser the mediator of the supreme god.49 Von diesem

    erhofft sich Martial vor allem eines: Geld.

    In Z. 9 wird Minerva mit Jungfrau angesprochen, in Z. 11 trgt sie den Namen

    Pallas; sie ist die persnliche Schutzherrin des Kaisers. Domitian verehrte sie, die

    zur kapitolinischen Trias gehrt, in besonderer Weise;50 er betrachtete Minerva

    als seine Patronin. Martial schliet sich in Epigramm 6.10 der Minerva-Verehrung

    des Kaisers an, jetzt in eigener Sache.51 Die Vertrstung durch Minerva kommt

    einer weiteren Bitte gleich.52 Der Dichter versucht es also erneut, jetzt ber die

    Patronin.

    4.2. Bitte an den Kaiser Epigramm 8.24

    Wenn ich dich vielleicht um etwas in meinem scheuen, schmalen Bchleinersuche,

    dann gewhre es falls meine Seiten nicht unverschmt sind.Und wenn du es mir nicht gewhrst, Caesar, dann erlaube doch, da man

    dich bittet:Weihrauch und Gebete beleidigen Jupiter nie.Wer in Gold, in Marmor die heiligen Zge abbildet,erschafft nicht die Gtter: Wer sie bittet, der erst erschafft sie.

    Das achte Buch der Epigramme, das im Jahr 93 oder 94 von Martial verf-

    fentlicht wurde, zeigt eine starke Ausrichtung auf Domitian.53 Der Kaiser wird in

    bzw. mit dem Epigramm 8.24 auch unmittelbar angesprochen. Wiederum geht es

    um eine Bitte des Dichters an Domitian (vgl. petam in Z. 1, rogari in Z. 3 und rogat

    in Z. 6). Wenn in Z. 4 von Weihrauch und Gebeten (tura precesque) die Rede ist,

    Ausdrucksformen der Religiositt, die fr Verehrung und Bitte stehen, so sind

    diese zunchst fr Jupiter bestimmt. Weihrauch und Gebete knnen hier aber

    auch auf Domitian ausgerichtet sein.54

    Die Z. 56 erinnern mit ihrer ersten Aussage an Gtterbildkritik, wie sie auch

    in weisheitlicher Tradition begegnet; vgl. vor allem Weish 13.115.19. Auch dort

    wird sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, da Handgemachtem nicht der

    Name Gott beigelegt werden kann.55 In Weish 13.10 werden die armselig

    10 .

    49 Fears, Cult, 80.

    50 Vgl. zur Minerva-Verehrung Domitians Sauter, Kaiserkult, 92; Fears, Cult, 78; E. Simon, Die

    Gtter der Rmer (Mnchen, 1990) 179; R.-Alfldi, Bild, 16, 44.

    51 Das Haupt der Gorgo Medusa war auf dem Schild oder Panzer der Pallas Athene abgebildet.

    Der Anblick fhrte zum Erstarren bzw. Versteinern. Das Ablegen dieses Bildes ist als Geste

    des Friedens zu werten.

    52 Vgl. Sauter, Kaiserkult, 93.

    53 Vgl. Holzberg, Epigramm, 71.

    54 Vgl. auch Epigramm 8.66.1: Augusto pia tura victimasque . . ..

    55 Vgl. H. Engel, Das Buch der Weisheit (Neuer Stuttgarter Kommentar, Altes Testament 16;

    Stuttgart, 1998) 226.

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    genannt, die Machwerke menschlicher Hnde als Gtter anriefen, Kunstgebilde

    aus Gold und Silber.56 Bei einem Vergleich solcher Texte mit Martials Epigramm

    8.24 fllt vor allem der Schlu auf: qui rogat, ille facit. Eine Gottheit erweist sich fr

    Martial offensichtlich darin, da sie sich als der richtige Adressat fr Bittsteller

    erweist. Die Gtter das sind die Gebenden, wobei sie im Grunde durch die

    Bittenden zu Gttern gemacht werden. Martials Jupiter heit deshalb

    Domitian.57 Ihn will er als Patron gewinnen.

    4.3. Gebet an Jupiter Epigramm 7.60

    Ehrwrdiger Lenker der tarpejischen Halle,den wir am Wohlergehen unseres Frsten als den Donnerer erkennen,da dich jeder mit seinen Bitten ermdet58

    und das von dir verlangt, was ihr Gtter geben knnt:zrne mir nicht, als wre ich hochmtig,wenn ich nichts fr mich selbst erbitte, Jupiter.Dich mu ich fr Caesar anrufen:Fr mich mu ich Caesar anrufen.

    Es liegt in Epigramm 7.60 (im Jahr 92 verffentlicht) auf den ersten Blick ein im

    Gebetsstil abgefates Bittgedicht an Jupiter also ein Bittgebet vor. Doch

    erweist sich Jupiter, der als Herr des kapitolinischen Tempels angesprochen wird,

    bei genauer Lektre nicht als einziger Adressat. Das vermag vielleicht ein

    Schaubild zu veranschaulichen, aus dem hervorgeht, in welches Beziehungs-

    geflecht Martial sich einbindet:

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 11

    56 Dabei wird gegen die Herstellung wie auch die Verehrung solcher Machwerke polemisiert.

    57 Vgl. in diesem Zusammenhang Valerius Maximus, Praefatio: . . . Denn die brigen Gtter

    haben wir berkommen, die Csaren haben wir (als Gtter) uns selber gegeben (Text bei

    Dlger, Kaiservergtterung, 165).

    58 Zum fatigare deos vgl. auch Horaz, Oden 1.2.26; Seneca, Ep. 31.5.

    Jupiter Caesar

    BittenderBeter

    Bitte B(fr den Bittenden)

    Bitte A(fr Caesar)

    sorgt fr

    Gebetsanrede(1. Adresse) erhoffte Gabe

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    Wiederum (vgl. 6.10) ist eine Parallelisierung mit dem Kaiser zu beobachten.59

    Nach W. Hofmann zeigt das Gedicht klar, da Jupiter und Domitian nicht gleich-

    geordnet werden.60 So klar ist das ganz und gar nicht. So zeigt z.B. ein in Kln

    aufgefundener Altar,61 der dem Jupiter Optimus Maximus und dem Genius des

    Kaisers geweiht ist, eine deutliche Parallelisierung Jupiters und Domitians (vgl.

    auch 1.6). In 7.60 scheint Domitian, wie auch in 9.91, in der Vergleichung mit

    Jupiter fr Martial sogar berlegen zu sein. Man kann demnach bei Martial Gott

    im Himmel und Gott auf Erden62 unterscheiden. Jupiter wird hier als fr das

    Wohlergehen des Kaisers zustndig betrachtet; der Kaiser wiederum ist als irdi-

    scher Jupiter Martials Adressat. Der Dichter kann Domitian auch meus in terris

    Iuppiter nennen (9.91.6).

    4.4. Zwischenergebnis:

    Fr die hier untersuchten Beispiele aus den Epigrammen Martials63 und

    den in Abschnitt 6. anzustellenden Vergleich lassen sich vorlufig folgende

    Beobachtungen festhalten:

    Der Bittende hier in der Regel Martial selbst bzw. die persona, die in

    der 1. Person spricht begibt sich in ein besonderes Verhltnis zum

    mglicherweise Gebenden. Vom Patronatswesen her gedacht ist diese

    Beziehung als ein Wechselverhltnis angelegt.64 Der Bittsteller strebt in

    den untersuchten Beispielen vor allem materielle Gter (Lebensunterhalt;

    Zugewinn) an.

    Der Dichter scheut sich dabei nicht, den Kaiser mit Jupiter zu paral-

    lelisieren, ja im Grunde zu identifizieren. Domitian begegnet als von Martial

    selbstgemachter Gott.

    12 .

    59 Das in Z. 1 verwendete aula ist auch das Wort fr den Kaiserpalast; vgl. z.B. die Epigramme

    5.6; 7.40; 9.34.

    60 Hofmann, Domitian, 244.

    61 Vgl. dazu Bs, Weihung; Clauss, Kaiser, 254 (jeweils mit Abbildung).

    62 Bs, Weihung, 35.

    63 Weitere Beispiele fr Bitten in den Epigrammen Martials: in 1.54 (Bitte um Freundschaft);

    2.91 (Bitte um Verleihung des Dreikinderrechts); 4.1 (Bitte um Groes); 6.20 (um Geld); 6.87

    (um Geld); 9.18 (um eine Wasserleitung); 9.42 (um das Konsulat fr Stella; daraus wird

    allerdings erst 102 unter Trajan Wirklichkeit); 9.46 (Bitte um Verleihung des Drei-

    kinderrechts); vgl. auch 9.66.

    64 Eine in diesem Zusammenhang vergleichbares, aber doch unterschiedlich zu bewertendes

    Beziehungsgefge lt sich im Hirt des Hermas beobachten; nach Sim 2.110 untersttzen

    die Reichen die Armen, die wiederum fr die Reichen beten. N. Brox (Der Hirt des Hermas

    [KAV 7; Gttingen, 1991] 295) gibt allerdings den wichtigen Hinweis: Was die Armen den

    Reichen bieten, ist dem, was die Reichen ihnen geben, entscheidend berlegen. Die

    Reichen sind ohne die Armen viel schlechter dran als die Armen ohne die Reichen.

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    Dennoch prgt viele Epigramme Martials die Unsicherheit, ob die

    ausgesprochenen Bitten Gewhrung finden. Von Erhrungsgewiheit

    kann nicht gesprochen werden.

    Martial gibt in seinen Epigrammen wiederholt den Rat, von den Groen

    Groes zu erbitten; vgl. z.B. Epigramm 4.1: . . . magna quidem, superi, petimus

    (vgl. auch 11.68). Dieser Rat schlgt eine Brcke zu den Texten des NTs, die aus-

    drcklich zum Bitten ermutigen. Wenn schon Menschen auf Bitten hin zum

    Geben bereit sind, um wieviel mehr der Vater im Himmel.

    5. Neutestamentliche Ermutigungen zum Bitten

    5.1. Mt 7.711 (// Lk 11.913)

    Die Selbstverstndlichkeit, Bitten als einen Grundvollzug des Lebens zu

    begreifen, ist auch in der Verkndigung Jesu65 sprbar; in einem weisheitlichen

    Mahnwort66 sagt er in Mt 7.7 (// Lk 11.9): Bittet, und euch wird gegeben werden.

    Die Spruchgruppe vom Bitten (Mt 7.711) stimmt mit Lk 11.913 in wesentlichen

    Teilen wrtlich berein und kann der Logienquelle zugeschrieben werden.67 Die

    Gottesbezeichnung euer Vater in den Himmeln (Mt 7.11; vgl. Lk 11.13) kann

    matthischer Redaktion zugerechnet werden. Die in Lk 11.13 (vgl. Mt 7.11) genann-

    te Gottesgabe des pneu`ma a{gion drfte auf die redaktionelle Arbeit des Lukaszurckzufhren sein.

    Die Dreierreihe Bitten Suchen Anklopfen in Mt 7.7 (// Lk 11.9) wird in V. 8

    aufgegriffen. Das geschieht jeweils in einem dreifachen synthetischen

    Parallelismus. Das in V. 7 als Imperativ mit futurischem Nachsatz Vorgetragene

    wird in V. 8 als Behauptung aufgenommen. In den anschlieenden exempla fr

    die Argumentation68 geht es allerdings nur noch um das Bitten. Die Beispiele sind

    nach M. Ebner erst nachtrglich mit den jetzt vorausgehenden Mahnworten bzw.

    Maximen (Mt 7.7f. // Lk 11.9f.) ber die Stichwortassoziation bitten/ geben

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 13

    65 Die Worte Mt 7.711 (// Lk 11.913) werden hufig auf Jesus selbst zurckgefhrt; vgl. z.B. U.

    Luz, Das Evangelium nach Matthus, 1. Teilband: Mt 1 7 (2. durchgesehene Aufl.; EKK I/1;

    Zrich u.a., 1989) 383; G. M. Soares-Prabhu, Zum Abba sprechen. Das Gebet als Bitte und

    Danksagung in der Lehre Jesu, Conc(D) 26 (1990) 20614, hier 210.

    66 Vgl. D. Zeller, Die weisheitlichen Mahnsprche bei den Synoptikern (FzB 17; Wrzburg, 1977)

    128; Soares-Prabhu, Abba, 209.

    67 Vgl. Zeller, Mahnsprche, 127; M. Ebner, Jesus ein Weisheitslehrer? Synoptische

    Weisheitslogien im Traditionsproze (HBS 15; Freiburg u.a., 1998) 304. Vgl. zu diesem

    Argument der Zuschreibung auch C. M. Tuckett, Q and the History of Early Christianity:

    Studies on Q (Edinburgh, 1996) 10f. Zeller (Mahnsprche, 127) und Ebner (Jesus, 306f.) bieten

    auch einen rekonstruierten Text des Abschnitts.

    68 Ebner, Jesus, 307.

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    verbunden worden.69 Auffllig ist in Mt 7.711 (// Lk 11.913) die Polaritt der

    Verben des Bittens und Gebens.70 Fnfmal wird eine Form von aijtein`71 ver-wendet. Mt 7.7 hebt mit einem Imperativ der 2. Person Plural von aijtei`n an.Dasselbe Verb wird auch am Schlu von V. 11 verwendet. Dadurch ist nicht nur

    eine markante Stichwortverbindung gegeben; es handelt sich zugleich um eine

    inclusio, die deutlich das Thema des gesamten Abschnitts erkennen lt: das

    Bitten.

    In V. 7 ist zunchst unklar, wer der Gebende ist. In dem zweimal verwendeten

    Passiv kann man vielleicht eine Andeutung des Handelns Gottes erkennen.72 Aber

    erst V. 11 enthllt . . . das theologische Passiv von V. 7.73

    Auffllig ist der Perspektivenwechsel der in den exempla Mt 7.910 (// Lk

    11.1112) vollzogen wird. Es kann eine unterschiedliche Hreridentifikation kon-

    statiert werden. Wurden die Leser bzw. Hrer in den VV. 78 zum Bitten ermutigt,

    so verlangen die rhetorischen Fragen in den VV. 910 eine Antwort in der

    Geberrolle. Dabei wird jeweils eine verneinte Antwort erwartet. Kein Mensch wird

    Stein anstelle von Brot74 oder eine Schlange anstelle von Fisch geben.

    Unbrauchbares kann den Hunger des bittenden Kindes nicht stillen.

    Fr die Erhrungsgewiheit entscheidend ist in Mt 7.711 freilich die in V. 11

    durchgefhrte conclusio a minori ad maius: Wenn nun ihr, die ihr bse seid,

    wit, euren Kindern gute Gaben zu geben, um wieviel mehr wird euer Vater in den

    14 .

    69 Ebd. Zur ursprnglichen Unabhngigkeit der exempla und Mahnsprche voneinander vgl.

    auch R. A. Piper, Matthew 7.711 par Luke 11.913. Evidence of Design and Argument in the

    Collection of Jesus Sayings, in Logia. Les paroles de Jsus The Sayings of Jesus (BETL 59;

    ed. J. Delobel; Leuven, 1982) 41118, hier 412.

    70 Vgl. Zeller, Mahnsprche, 127.

    71 Von J. Jeremias (Die Gleichnisse Jesu [Gttingen, 91977] 159) wird bei der Auslegung auf

    Erfahrungen von Bettlern verwiesen: Diese sprichwortartige, kurze Sentenz stammt offen-

    bar aus der Erfahrung des Bettlers: man mu nur zh bleiben beim Betteln, darf sich nicht

    abweisen und durch harte Worte abschrecken lassen, dann erhlt man eine Gabe . . . Jesus

    wendet die Bettlerweisheit auf die Jnger an; demgegenber ablehnend Zeller,

    Mahnsprche, 129; H. Schrmann, Das Lukasevangelium. Zweiter Teil, Erste Folge:

    Kommentar zu Kapitel 9.51 11.54 (HTK III/2.1; Freiburg, 1994) 215 Anm. 307. Von

    Bettlerweisheit oder Bettelweisheit spricht wiederholt auch G. Theien (vgl. z.B.

    Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der berlieferung von Worten Jesu

    im Urchristentum [1973], in Ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, [WUNT 19;

    Tbingen, 21983] 79105, hier 94).

    72 So vertreten von Zeller, Mahnsprche, 127. Piper (Evidence, 413) gibt den Hinweis, da V. 8

    lambavnei zu lesen ist, nicht wie in V. 7 doqhvsetai. Damit drfte eine gewisseZurckhaltung geboten sein, in den passivischen Formulierungen von V. 7 bereits gtt-

    liches Handeln zu erkennen.

    73 Zeller, Mahnsprche, 128.

    74 Die Zusammenstellung bzw. Kontrastierung von Brot und Stein lt sich in der Literatur

    ausgesprochen hufig beobachten; vgl. auch die Wendung steiniges Brot bei Horaz,

    Satiren 1.5.91, oder Seneca, De beneficiis 2.7.1.

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    Himmeln Gutes geben den ihn Bittenden! Auf diese conclusio mit ihrem Qal wa-

    chomer-Schlu75 luft in Mt 7.711 alles zu;76 hier ist der Schlssel zum Verstndnis

    des Abschnitts. Damit geht es vor allem um die Bitte an Gott bzw. um die

    mgliche Hreridentifikation als Bittende zu Gott.

    Innerhalb der Bergpredigt greift Mt 7.11 auf Mt 6.8 zurck: . . . denn es wei

    euer Vater, wessen ihr Bedarf habt, bevor ihr ihn bittet (vgl. auch Mt 6.32). Mt 7.11

    sagt den Bittenden die Erhrung unbedingt zu. Die Ursache der Gebetserhrung

    ist die Gte des himmlischen Vaters, der wei, wessen der Bittende bedarf (vgl. Mt

    6.26, 31f.).

    Dabei fllt auf, da mit Gutes (ajgaqa;) geben eine sehr allgemeine bzw.offene Formulierung verwendet wird.77 Interessante Vergleiche ermglichen zwei

    Stellen aus der profanen antiken Literatur. In der Vita Pythagorica (87) des

    Jamblichus (etwa 250325 n. Chr.) heit es: Denn da es einen Gott gibt und da

    dieser ber alle Herr ist, mu man . . . vom Herrn das Gute erbitten (to; ajgaqo;naijtei`n); geben doch alle denen, die sie lieben und an denen sie Freude haben,Gutes (didovasi tajgaqav).78 Und schon Xenophon (etwa 430355 v. Chr.) schrieb inden Memorabilia Socratis 1.3.2: Und er betete auch einfach zu den Gttern, das

    Gute zu gewhren, da doch die Gtter am besten wten, welcher Art das Gute

    sei. Wer aber um Gold oder um Silber oder um die Herrschaft oder um etwas

    anderes dieser Art bitte, der bitte nach seiner Meinung um nichts anderes, als

    wenn er um Erfolg im Wrfelspiel bte, in einer Schlacht oder in etwas anderem

    von dem, dessen Ausgang offensichtlich ungewi sei.

    Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der soziologi-

    schen Verortung der Verse Mt 7.711 (// Lk 11.913). Auf die Herkunft aus der

    Logienquelle Q wurde bereits hingewiesen. Die Logienquelle kann mit G. Theien

    (und vielen anderen) als Sammlung von Worten Jesu beschrieben werden, die

    vom Geist des urchristlichen Wanderradikalismus geprgt ist.79 Von den ersten

    Nachfolgern Jesu sagt er: Sie lebten ein asketisches Leben abhngig von den

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 15

    75 Beispiele bei Ebner, Jesus, 308 Anm. 30. Das Stichwort ponhroiv gibt einen deutlichenHinweis auf die Herkunft dieses Verses aus der Logienquelle. Gemeint sind diejenigen, die

    auf die Botschaft der Q-Missionare nicht reagieren (vgl. 7,31; 11,31.32.41) (Ebner, Jesus, 309).

    Im matthischen Kontext verdeutlicht der Ausdruck den Abstand zwischen den Menschen

    und Gott, der allein gut ist; vgl. Zeller, Mahnsprche, 130.

    76 So auch J. Gnilka, Das Matthusevangelium. I. Teil: Kommentar zu Kap. 1.1 13.58 (HTK I/1;

    Freiburg 1986) 264.

    77 Der Ausdruck ta ajgaqav kann in alttestamentlicher Tradition (vgl. z.B. Dtn 26.11 LXX) fr dieNahrung stehen; manche Stellen zeigen aber auch ein weiteres Verstndnis (vgl. z.B. Tob

    4.19 LXX; Ps 83.12 LXX).

    78 Vgl. dazu Platon, Euthyphron 14e, wonach jedes Gute von den Gttern gegeben ist.

    79 G. Theien, Die Religion der ersten Christen: Eine Theorie des Urchristentums (Gtersloh,

    2000) 329; vgl. auch T. Schmeller, Brechungen: Urchristliche Wandercharismatiker im

    Prisma soziologisch orientierter Exegese (SBS 136; Stuttgart, 1989) 66.

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    unplanbaren Spenden und der Gastfreundschaft vieler Menschen in den Drfern

    Galilas80 (vgl. Mt 10.9ff. [// Lk 10.4ff.]; vgl. auch Mt 10.41). Ein solches

    Lebenskonzept war mit Bitten um das Lebensnotwendige unmittelbar verbun-

    den.81 Auch wenn es den warnenden Hinweis von T. Schmeller zu beachten gilt,

    da bei der Untersuchung von Q die Zuteilung der Logien an bestimmte ber-

    lieferungstrger in den meisten Fllen unmglich ist,82 schliet er selbst jedoch

    nicht aus, da eine Reihe von Q-Logien ursprnglich oder sogar noch z.Zt. der

    schriftlichen Fixierung der Logienquelle ihren Sitz im Leben in der Verkndigung

    von Wandercharismatikern hatte.83 Das scheint mir bei den hier untersuchten

    Versen der Fall zu sein. Auf dieser Ebene knnen wir in den erbetenen und

    gewhrten Gaben Konkreta erkennen wie Nahrung, Speise und Trank, vor allem

    aber auch Unterkunft, vielleicht auch Kleidung.

    Wenden wir uns nun dem matthischen Text zu, in dessen Rezeption es

    gewissermaen zu einem Wechsel des Systems kommt. Der Evangelist Matthus

    setzt so U. Luz die wandernden Propheten und Weisen von Q voraus.

    Gegenber Q hat sich aber die Perspektive verschoben: Mt schreibt aus der

    Perspektive einer sehaften Gemeinde.84 Nach Ostern gewinnen nach T.

    Schmeller prinzipiell alle Jesusworte in mehr oder weniger wrtlichem

    Verstndnis, jedenfalls nie einfach im gleichen Sinn wie vor Ostern fr alle

    Christen85 Interesse und Autoritt. Was bedeutet das fr den hier untersuchten

    Text?

    Bei Matthus werden die von Gott gegebenen Gaben im Unterschied zu

    Lukas (vgl. Lk 11.13) nicht genauer gefat. Die Bitte um Brot im Beispiel von Mt

    7.9 erinnert den Leser des Matthusevangeliums an das Vaterunser, genauer

    gesagt an Mt 6.11. Dadurch, da es in Mt 7.910 jeweils ein Sohn ist, der den Vater

    bittet, wird noch eine zustzliche Verbindung zum Gebet des Unser Vater

    erkennbar.86 Von daher kann man auch in Bezug auf den Inhalt des Bittens in Mt

    16 .

    80 Theien, Religion, 328.

    81 I. Broer (Einleitung in das Neue Testament, Bd. I: Die synoptischen Evangelien, die

    Apostelgeschichte und die johanneische Literatur [NEB.Ergnzungsband 2/1; Wrzburg,

    1998] 63) unterscheidet bei der Frage nach den Trgerkreisen der Logienquelle zum einen

    Leute, die geben knnen, zum anderen Leute, die auf diese Gaben angewiesen sind und

    gleichzeitig die Besitzenden zum Geben auffordern.

    82 Schmeller, Brechungen, 95.

    83 Ebd., 94.

    84 Luz, Mt I, 66.

    85 Schmeller, Brechungen, 95; vgl. auch Ders., Die Radikalitt der Logienquelle. Raben, Lilien

    und die Freiheit vom Sorgen (Q 12,2232), BiKi 54 (1999) 858, hier 88.

    86 Luz, Mt I, 386: Ganz bewut spricht er [Matthus] am Ende des Hauptteils der Bergpredigt

    nochmals, wie in ihrem Zentrum 6.615, vom Gebet zum Vater; zum Anknpfen an der

    Gebetskatechese in 6,515 vgl. Frankemlle, Mt I, 265, 268.

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    7.711 an das ntige Brot (Mt 6.11)87 und damit an jegliche Nahrung88 denken,

    doch ist das innerhalb von Mt 7.711 nicht zwingend. Das Vaterunser als

    Mustergebet Jesu ist vor allem von Bitten geprgt. Von daher wre hier auch an

    die anderen Vaterunser-Bitten89 zu denken, die Bitte um Sndenvergebung (Mt

    6.12) oder die Bitte um Errettung vom Bsen (Mt 6.13). So meint D. Zeller, es sei in

    Mt 7.7 zunchst an das fr das Wohlergehen Notwendige90 gedacht. Aber wenn

    man zuvor das ganze Vater-unser gehrt hat, weitet sich der Horizont des

    Betens.91 Der Inhalt des Bittgebets wird mit Gutes geben offengehalten. Die

    Angeredeten werden ermutigt, ihre alltglichen Nte vor Gott zu tragen.

    Das Bitten vor Gott ist nach Mt 7.711: Ausdruck der bedrftigen

    Geschpflichkeit,92 zugleich Ausdruck der Gotteskindschaft, des Vertrauens auf

    den himmlischen Vater und dessen Frsorge.93 Gleichzeitig ist es Einbung in das

    Gott-Vertrauen,94 Ermglichung einer sich vertiefenden Bindung an den himm-

    lischen Vater.95

    5.2. Mt 21.22

    Die Mahnung zu vertrauensvollem Gebet96 kann bei Matthus als

    Hauptthema der Gebetsunterweisung Jesu verstanden werden. So lesen wir in Mt

    21.22 ein aus Mk 11.24 bernommenes Wort, das noch einmal ausdrcklich zum

    Bitten ermutigt: und alles, wieviel immer ihr erbittet im Gebet, glaubend werdet

    ihr (es) empfangen (vgl. auch Joh 14.13f.). Der Vertrauensglaube uert sich im

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 17

    87 Zur Diskussion um das Verstndnis von ejpiouvsio~ vgl. G. Schneider, Das Vaterunser beiMatthus, LD 123 (1985) 5790, hier 66; J. Zmijewski, Gott, Jesu Vater und unser Vater nach

    dem Zeugnis der Evangelien, in: Gott als Vater in Bibel und Liturgie (FHSS 34; ed. B.

    Willmes u.a.; Frankfurt, 2000) 5988, hier 768.

    88 Zmijewski, Gott, 76; vgl. auch Schneider, Vaterunser, 66: irdische Nahrung.

    89 Zur Theozentrik des Vaterunsers vgl. H. Schrmann, Das Gebet des Herrn, aus der

    Verkndigung Jesu erlutert (Die Botschaft Gottes, II. Neutestamentliche Reihe, 6. Heft;

    Leipzig, 1958) 29; W. Thsing, Die Bitten des johanneischen Jesus in dem Gebet Joh 17 und

    die Intentionen Jesu von Nazaret, in Die Kirche des Anfangs (EThSt 38; FS H. Schrmann;

    ed. R. Schnackenburg u.a.; Leipzig, 1977) 30737, hier 315f.

    90 D. Zeller, Kommentar zur Logienquelle (SKK.NT 21; Stuttgart, 1984) 58.

    91 Ebd. Vgl. R. Schnackenburg, Matthusevangelium 1.1 16.20 (NEB; Wrzburg, 1985) 74.

    92 Frankemlle, Mt I, 265. Vgl. die Bitten um Heilung bzw. Gesundheit in Mt 8.5f.; Mt 9.27; Mt

    15.22. Vgl. auch Nazarerevangelium frgm. 10.

    93 Verschiedentlich wurde fr Jak 1.5 eine traditionsgeschichtliche Verbindung zu Mt 7.7 kon-

    statiert, die sich allerdings nicht als literarische Abhngigkeit nachweisen lt. Vgl. H.

    Frankemlle, Der Brief des Jakobus, Kapitel 1 (TBK 17/1; Gtersloh/Wrzburg, 1994) 216; M.

    Tsuji, Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung: Eine Untersuchung zur lite-

    rarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohrenz des Jakobusbriefes (WUNT 2.93; Tbingen,

    1997) 119, 130.

    94 So auch Gnilka, Mt I, 264.

    95 So Schnackenburg, Mt I, 64.

    96 Lohfink, Grundstruktur, 23, 26.

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    Gebet, das als Bittgebet Gott alles zutraut (vgl. Sir 7.10), in dem der Mensch restlos

    auf Gott setzt.97 Dabei ist bei Matthus das Bitten der Einzelnen im Blick wie auch

    das Bitten in Gemeinschaft (vgl. Mt 18.19).

    In der Aufforderung Jesu, Bitten an Gott zu richten, kann eine Verbindung zu

    seiner Reich Gottes-Verkndigung konstatiert werden, da der Bittende ja in

    betonter Weise zum Ausdruck bringt, sich beschenken zu lassen. So ist auch das

    Vaterunser vom Anfang bis zum Ende ein Bittgebet.98 In seinem Vertrauen auf

    die bergrozgigkeit des himmlischen Vaters, seine unbegrenzte Gte (vgl. Mt

    5.45), gewinnt der Christ nach Matthus die Freiheit von einer von Furcht und

    Sorge bestimmten Existenz . . . nicht aus sich selbst, sondern im Vertrauen auf die

    sich ihm zuwendende vterliche Frsorge Gottes.99 Er wird damit auch frei fr die

    berflieende Gerechtigkeit (vgl. Mt 5.20) und hat einen Blick fr den Mehrwert

    der Gottesherrschaft. So wird in Mt 6.33 (// Lk 12.31) gefordert: Sucht aber zuerst

    das Reich und seine Gerechtigkeit, und dieses alles wird euch dazugegeben

    werden.

    6. Martial und Matthus im Vergleich

    Ein abschlieender Vergleich der matthischen Texte mit den Bitten, die

    uns bei Martial begegnet sind, soll helfen, die Besonderheit des Bittgebets

    nach neutestamentlichen Texten genauer zu profilieren und wie in einer

    Synkrisis100 besondere Zge genauer sehen zu lernen. Ein Schaubild soll

    zunchst den Vergleich erleichtern:

    a) Gemeinsamkeiten

    Das Bitten gehrt in den Epigrammen Martials wie auch bei Matthus zu

    den regelmig wiederkehrenden Lebensvollzgen. In ausgeprgter

    Selbstverstndlichkeit wenden sich bei Martial wie im Matthusevangelium die

    Bedrftigen an den Groen. Bei diesem wird die Mglichkeit zur Hilfe vorausge-

    setzt, bei Martial vor allem in materieller Hinsicht. Auch bei Matthus geht es um

    Bitten als Ausdruck der Bedrftigkeit und die Hoffnung auf Erfllung. Die

    18 .

    97 R. Pesch, Das Markusevangelium, II. Teil: Kommentar zu Kap. 8.27 16.20 (HTK II/2;

    Freiburg, 1977) 206.

    98 Lohfink, Grundstruktur, 23; vgl. H. von Campenhausen, Gebetserhrung in den ber-

    lieferten Jesusworten und in der Reflexion des Johannes, KuD 23 (1977) 15771, hier 159.

    99 P. Hoffmann, Der Q-Text der Sprche vom Sorgen Mt 6.2533/Lk 12.2231. Ein

    Rekonstruktionsversuch (1988), in Ders., Tradition und Situation: Studien zur Jesus-

    berlieferung in der Logienquelle und den synoptischen Evangelien (NTA NF 28; Mnster,

    1995) 80.

    100 Vgl. zu diesem literarischen Verfahren und seinem Einflu in antiker Literatur C. G. Mller,

    Mehr als ein Prophet: Die Charakterzeichnung Johannes des Tufers im lukanischen

    Erzhlwerk (HBS 31; Freiburg u.a., 2001) 4958, 604.

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    Ermutigungen zum Bitten scheinen auch hier lebensnotwendige materielle Gter

    zu implizieren. Die Gre dessen, der geben kann,101 wird ausdrcklich

    anerkannt. Hier zeigen sich Vergleichbarkeiten in den Bittstrukturen, die auch die

    beim Bitten verwendeten Sprachmuster bestimmen; das drfte fr die

    Rezeptionsmglichkeit neutestamentlicher Ermutigungen zum Bitten von

    Bedeutung sein.

    Auch Matthus widmet dem Verhltnis des Bittenden zum Gebenden, bzw.

    ihrer Beziehung zueinander, gezielte Aufmerksamkeit. Der Bittende tritt in eine

    besondere Beziehung zum Bittempfnger; es ist ein Wechselverhltnis intendiert

    (vgl. die Bitten um Aufnahme in ein Patronatsverhltnis bei Martial). Diese

    Beziehung und sptestens da dominieren die gravierenden Unterschiede mu

    sich der Bittende allerdings nicht erst ergattern. Sie wird ihm als Vorgabe gewhrt.

    b) Unterschiede

    Martial bleibt bei allem Bitten, das auch wie im Beispiel 4.3. die Form

    des Gebetes102 annehmen kann, unsicher, ob er Gehr oder gar Erfllung seiner

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 19

    101 Menschen, die geben, knnen auch bei Matthus in Parallele zu Gott stehen, der Gutes

    gibt; vgl. Mt 7.711. Damit werden sie freilich nicht zu Gttern gemacht.

    102 Es bleibt im Blick auf Beispiel 4.3 eine letzte Unsicherheit, ob es sich wirklich um ein Gebet

    JupiterMartial:

    Matthus:

    unser Donnerer(Domitian)

    [Minerva]

    Bittender

    Bittender Bittende

    sorgt fr

    baut Tempel fr

    Vater in den Himmeln Vater in den Himmeln

    Bitten Bitten Bitten erhoffte Gaben (vor allem Geld)

    zugesagte Gaben ('Gutes') zugesagte Gaben ('Gutes')

    Bitten Bitten

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    Sehnsucht findet.103 Dabei scheinen bittere bzw. enttuschende Erfahrungen aus

    dem anthropologischen Bereich auch auf die Beziehung zu den Gttern abzufr-

    ben.

    Die matthischen Texte sind demgegenber von einer ausdrcklichen

    Erhrungsgewiheit geprgt.104 Auf der Ebene von Q, aber auch im

    Matthusevangelium, scheint diese Vertrauensgewiheit im Vergleich zu

    Martial von positiven Grunderfahrungen unter Menschen abgesttzt zu sein.

    Nach H.-J. Klauck ist eine ungemein optimistische Einstellung zur

    Gebetserhrung . . . fester Bestandteil der synoptischen Jesustradition; sie wird

    auf Jesus selbst zurckgehen.105 Das vertrauensvolle Bitten entspricht dieser

    Erhrungsgewiheit (vgl. Mt 7.7 [// Lk 11.9]).106

    Die Beziehung des Bittenden zum Empfnger der Bitte ist nach Matthus eine

    Beziehung des Vertrauens, nicht des Nutzens.107 Nicht die Bitte von A bewirkt den

    hilfreichen Eingriff von B, sondern in der von A ausgesprochenen Bitte finden A

    und B zueinander.108 Es geht strker um die Beziehung des Menschen zu Gott als

    um den funktionalen Einsatz des Bittgebets, wie er sich ungeschminkt bei Martial

    zeigt. Es geht nicht wie bei Martial um ein System des Tauschs, sondern um

    den Empfang einer Gabe. Der Vater im Himmel wird darin als der

    Vertrauenswrdige schlechthin erfahren. In der Bitte kommt das intersubjektive

    Verhltnis zum Ausdruck, das von einer bleibenden Beziehung getragen ist. Dabei

    wei der Grere, der durch einen menschlichen Geber nicht ersetzt werden

    kann (vgl. demgegenber die Rolle des Kaisers bei Martial) schon lngst, wessen

    der Bittende bedarf. Gott mu nicht erst informiert werden.

    Nach Matthus ist dabei auch kein besonderer Frsprecher notwendig,109 wie

    20 .

    handelt oder nicht vielmehr um eine Parodie. Nach Beispiel 4.1 hat Jupiter, dem groe

    Tempel gebaut werden, nur auf den Kaiser verwiesen; auch Minervas Beitrag blieb

    unsicher. Wird auch in solchen Texten die Martial so kennzeichnende Ironie sprbar? Geht

    es Martial vielleicht sogar um eine Kritik an entsprechenden Gebeten?

    103 Das wird im Schaubild vor allem durch die gestrichelten Linien bzw. Pfeile angedeutet.

    104 Zu einer vergleichbaren Erhrungsgewiheit in atl. Texten vgl. z.B. Jes 30.19; 58.9; Jer

    29.1214; Hos 2.23.

    105 H.-J. Klauck, Der erste Johannesbrief (EKK XXIII/1; Zrich u.a., 1991) 221f.

    106 Vgl. von Campenhausen, Gebetserhrung, 158, 162, 164; Untergamair, Namen, 60. Vgl.

    auch Jak 1.6a; 5.15; Hirt des Hermas, Mand 9.5f.810.

    107 Vgl. dazu Petuchowski, Beten, 58: Es wre letzten Endes ein ziemlich primitiver Begriff, sich

    Gott als eine Art kosmischer Selbstbedienungsautomaten vorzustellen. Man wirft ein Gebet

    ein, und heraus kommt jede Wohltat, die man sich ausgedacht hat. Vgl. allerdings auch

    Epiktet, Handbuch 31: Denn wo Nutzen ist, dort ist auch Frmmigkeit (o{pou ga;r to; sum-fevron, ejpei` kai; to; eujsebev~).

    108 J. Werbick, Bilder sind Wege: Eine Gotteslehre (Mnchen, 1992) 144.

    109 In diesem Zusammenhang erweist sich eine bei Strack-Billerbeck (Kommentar I, 452)

    wiedergegebene rabbinische Tradition (pBerakh 9,13a,54) als interessant, da hier

    Bedingungen des Patronats reflektiert werden.

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    er uns bei Martial beispielsweise in der Gestalt der Minerva (vgl. Beispiel 4.2.)

    begegnete, die er fr seine Ziele einspannen wollte. Nach Matthus haben die

    Bittenden unmittelbaren Zugang zum Vater in den Himmeln. Martials Gtter

    erscheinen demgegenber als selbstgemacht vor allem um materieller Gter

    willen oder zur Absicherung persnlicher Bedrfnisse.110

    Es wird in den matthischen Texten nicht um Groes im Sinne von materiell

    gro gebeten, sondern um das Notwendige. Martial hat es bei seinem in den

    Beispielen vorgestellten Bitten vor allem auf Geld abgesehen. Hier lt sich in

    frhchristlicher Tradition eine explizite Gegenposition ausmachen. In der

    Didache heit es in 11.6: Geht der Apostel weiter, soll er nichts bekommen auer

    Brot, bis er bernachtet! Wenn er aber Geld (ajrguvrion) nimmt, ist er einLgenprophet (vgl. Mt 10.9; Lk 9.3; Mk 6.8 und die Warnung in Mt 6.24).

    Der Bittsteller bei Martial bittet in den aufgefhrten Beispielen fr sich, fr die

    Steigerung seiner persnlichen Lebensqualitt.111 Die Bitten sind selbstbezogen.

    Demgegenber begegnen bei Matthus, vor allem im Vaterunser,

    Gemeinschaftsbitten, die nicht nur persnliche Interessen im Auge haben (vgl.

    auch die Bitte Mt 8.5f.). Nicht die bloe materielle Existenzsicherung oder persn-

    liche Bedrfnisbefriedigung ist hier das Thema, sondern die Herrschaft Gottes.

    Das Bittgebet ist nach J. J. Petuchowski auf der einen Seite die natrlichste

    Art von Gebet wie auch gleichzeitig die Art, die theologisch am schwierigsten zu

    rechtfertigen ist.112 Es geht bei Matthus, aber auch in anderen neutesta-

    mentlichen Texten, die zum Bitten ermutigen, vor allem um die Selbst-

    Expression des Betenden,113 die Anerkennung der Geschpflichkeit im Sinne

    einer bleibenden Abhngigkeit114 und den Ausdruck des Gottvertrauens.

    Auffllig ist eine im Vergleich mit anderen antiken Texten ausgeprgte

    Erhrungsgewiheit (vgl. auch Jak 1.5; Hirt des Hermas, Mand 9.2). Sie ist genhrt

    von einem Vertrauen, das auch in Rm 8.28 Ausdruck gefunden hat, wenn Paulus

    formuliert: Wir wissen aber, da den Gott Liebenden alles zusammenwirkt zum

    Guten, denen, die nach Vorsatz berufen sind.

    Bitten und Beten im NT und seiner Umwelt 21

    110 Vgl. demgegenber Test XII. Juda 19.1: durch Geld verfhrt, benennen sie ja Gtter die, die

    keine sind.

    111 Zur Kritik an solchem Bitten vgl. Jak 4.2f. M. Konradt (Christliche Existenz nach dem

    Jakobusbrief: Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption [SUNT 22;

    Gttingen, 1998] 128) denkt an Bitten um materielle Gter.

    112 Petuchowski, Beten, 52. Zur theologischen Diskussion um das Bittgebet vgl. u.a. H. Schaller,

    Das Bittgebet: Eine theologische Skizze (SlgHor 16; Einsiedeln, 1979); ders., Bitten; O. Knoch,

    Grundregeln christlichen Betens nach dem Neuen Testament, TPQ 133 (1985) 296303, hier

    besonders 299.

    113 Werbick, Bilder, 142.

    114 Lohfink, Grundstruktur, 28: Wohl in kaum einer anderen Gebetssituation wird das

    Gegenber Gottes, wird die Ansprechbarkeit Gottes im Du so elementar vollzogen wie im

    Bittgebet.