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32 mus i k Ein Anti-Seriafist: Der ungarische Komponist Mcirton /lies Musik als klingende. Energie Zu zeitgenössischen Klängen gehören für Mcirton tues, geboren 1975 in Budapest, emotionale Qualitäten mit sinnlichen Erlebnis- werten. Nach wegweisenden Studien bei Detlev Müller-Siemens in Basel und bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe, ist er nun ein international anerkannter Komponist sowie Klavier spielender und dirigierender Interpret seiner Musik. Bei Wergo ist soeben ein Porträt-Album erschienen. Hans-Dieter Grünefeld

Musik als klingende. Energie...Musik als klingende. Energie Zu zeitgen ssischen Kl ngen geh ren f r Mcirton tues, geboren 1975 in Budapest, emotionale Qualit ten mit sinnlichen Erlebnis-werten

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    Ein Anti-Seriafist: Der ungarische Komponist Mcirton /lies

    Musik alsklingende. EnergieZu zeitgenössischen Klängen gehören für Mcirton tues, geboren 1975 in Budapest, emotionale Qualitäten mit sinnlichen Erlebnis-

    werten. Nach wegweisenden Studien bei Detlev Müller-Siemens in Basel und bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe, ist er nun ein

    international anerkannter Komponist sowie Klavier spielender und dirigierender Interpret seiner Musik. Bei Wergo ist soeben ein

    Porträt-Album erschienen.

    Hans-Dieter Grünefeld

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    M&r WelcheAufgaben reklamieren Sie für sich alszeitgenössischer Komponist?Märton Illes: Für mich ist Musik per seeine Ausdrucksform oder sogar ein 'Aus-druckszwang. Musik transportiert emoti-onale und körperlich-gestische Inhalte.Diese Inhalte werden von Interpretendurch klingende Energie übertragen.Eine wesentliche Voraussetzung dafür istnatürlich, dass Inhalte selbst die substan-zielle «Energiedeckung» vom Klangma-terial haben. Insofern wünsche ich, dassZuhörer in meiner Musik feinste psycho-physische Regungen wieder erkennenund körperlich erleben können und sobei ihnen Energiepotenziale mobilisiertwerden.

    M&T:Wasbedeutet Kommunikation für Sie?Märten Illes: Kommunikation ist Gebenund Nehmen zur gleichen Zeit, das istMusik nicht. Bei Kunst im Allgemeinenund Musik im Besonderen geht Aus-druck nach aussen, ist dadurch einseiti-

    ge Kommunikation. Ich nehme als Rezi-pient Impulse an und verarbeite sie. AlsKomponist gebe ich zunächst nur, undim Konzert übertragen sich die Inhalte.

    M& t: In Kompositionen ist aber etwas angelegt, wo-rauf die Zuhörer reagieren können oder sollen. Sonstwäre Musik hermetisch oder esoterisch.Märten Illes: Natürlich sollen Menschenauf meine Musik reagieren, aber siemüssen mir das nicht mitteilen. Deshalbist das keine Kommunikation, sondernnur eine Reaktion. Was ich mache, isttraditionelle Darbietung. Meine Musik

    mussten damals Hunderte Volksliederauswendig lernen, und diese Ressourcenmit all ihrer Urgestik habe ich nicht ver-gessen. Ebenso in der Schulzeit hatte ichunter anderem Begegnungen mit Mini-malmusic: ein Schlagzeug-Ensemble hat-te Werke von Steve Reich aufgeführt. Einpaar Jahre später war dieser Stil für michnicht mehr interessant, aber man ist alsjunger Mensch eben auch solchen Im-pulsen wehrlos ausgeliefert. Später habeich bemerkt, dass mich organisch wu-chernde Strukturen mehr interessierenals vorab definierte anorganisch geomet-

    «Musik ist einseitige Kommunikation))

    soll genau so funktionieren wie traditi-onelles oder kanonisiertes Repertoireklassischer Musik. Ich führe Musik aufoder meine Musik wird aufgeführt undvom Publikum empfangen. Solange ichgenug geben kann, ist das schön. Wasich komponiere, soll selbstverständlichvom Inhalt sinnfällig sein. Ich möchte,dass die Inhalte meiner Musik durch dasMedium Energie möglichst präzise wie-der erkannt werden können.

    M& T: Wenn Sie an Tradition denken, woran orientie-ren Sie sich?Märten Illes: Wir haben, wenn wir nuran die Menge der Kunst denken, die inden letzten sechzig Jahren entstandenist, eine uferlose Tradition. Die Produk-tion im Kunstbetrieb ist enorm und derZugang zu einem gigantischen Spekt-rum an sehr unterschiedlichen Infor-mationsquellen ist einfach und zugleichextrem selektiv. Sogar wenn zwei Künst-ler in der gleichen Stadt aufwachsen undarbeiten, ist es sehr unwahrscheinlich,dass sie sich der gleichen künstlerischenTradition verpflichtet fühlen. Wenn dieKunst in Europa während der spätenKolonialzeit zum Schmelztiegel europä-ischer und importierter aussereuropä-ischer Kulturen wurde, ist sie jetzt eineriesige Zentrifuge aller Kulturen undauch Trivialitäten geworden: Finde erst-mal einen Halt darin und finde am Endeheraus, aus welcher Klamotte der einzel-ne Wassertropfen kommt.

    M& I: Wiesieht das für Sie persönlich aus?Märton Illes: Jeder einzelnen Biografieist heute ein persönliches Traditionsbe-wusstsein zuzuordnen, eine Kette vonReibungsmomenten mit jenen Traditi-onssegmenten, welchen während desSchleudervorgangs das Individuum be-ViUSStoder zufällig begegnet. In unseremBildungssystem war die Volksmusik sehrpräsent und sie hat mich beeinflusst. Wir

    rische. Ich bin ein Anti-Serialist und glau-be, dass die Ereignisse in der Musik aufeiner ausschliesslich sinnlichen Ebenemiteinander korrespondieren können.Jedes einzelne Detail als Konsequenz desvorhergehenden kann deshalb nur imglühenden, physisch erlebten Echtzeit-moment des Setzens geboren werdenund seine Rechtfertigung erlangen.

    M& I: Welche Lehrer haben Ihr Selbstverständnis alsKomponist nachhaltig geprägt?Märton Illes: Mein erster Kompositions-lehrer war Detlev Müller-Siemens ausHamburg und ehemaliger Student vonGyörgy Ligeti. In Basel, wo er unterrich-tet, war ich als Ungar bei ihm sehr will-kommen. Er war sehr wichtig für mich,weil er mich mit mir damals unbekann-ten ästhetischen Ansichten konfrontierteund zugleich half, den Weg zur eigenenStilsprache zu finden. Er hat ein Senso-rium für kräftiges, raues Klangmaterial,was mir sehr nahe ist. Als ich im Altervon 25Jahren zu Wolfgang Rihm gekom-men bin, hatte ich schon eine stilistischeStabilität. Zu Rihms vielen Fähigkeitengehören ein ausserordentliches Gespürfür Energetik und gestaltphysiognomi-sche Differenzierung. Was aber für michdas Wichtigste ist: sein unerschöpflicheskathartisches Potenzial.

    M& T: Hat die ungarische Sprache irgendeinen Ein-fluss auf Ihren Kompositionssti/?Märten Illes: Ja. Ich glaube, die ges-tisch-rhythmische Welt der ungarischenVolksmusik und Sprache habe ich so tiefin mir, dass sie dauerhaft und essenziellfür meine Musik ist. Aber nicht alles istungarisch konnotiert, meine musikali-sche Syntax etwa empfinde ich als seh~deutsch, so beim Anspruch auf Dichteund Sperrigkeit, meiner Formliebe undAffinität zu einem gewissen inhaltlichenKonfliktreichtum. Deshalb würde ichmeine Kompositionen, ähnlich wie bei

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    M& T: Ungarisch ist keine indoeuropäische Spracheund hat genuin ganz andere Grammatik- und Beto-nungsregeln. Daraus ergibt sich ein bestimmter, inDeutsch unbekannter Tonfall. Ist dieser Tonfall beiIhnen präsent?Märton Illes: Dazu kann ich sagen, dassdie erste immer betonte Silbe im Un-garischen je nachdem unterschiedlichlang und anders gefärbt sein kann unddie Satzmelodik sehr abwechslungsreichist. Und ja, den Tonfall der ungarischenSprache kann ich in meiner Musik ganzkonkret nachweisen, in scharfer Rhyth-mik, in der Betonungsstruktur, eine oftschroffe Welt, doch auch durchaus insamtig-sinnlichen Sprachgesten. JedesWort ist ausserdem ein komplexes rhyth-misches Gebilde, das man relativ präzisenotieren und in meiner Musik hörenkann.

    Bela Bart6k, als Synthesen aus mehrerenKulturressourcen sehen.

    M& T: Ihren Werken kann man gewisse Topoi wieTorso, Polydimensionalität und Synchronizität vonKlangereignissen zuordnen. Was ist Ihr ästhetischesKonzept?Marton Illes: Musik ist eine Kunst in derZeit. Bei Torso habe ich viel Freude dar-an, wie ich Bruchstücke und Leerräumeenergetisch zusammenfasse und ihnenin bestimmten Konstellationen Sinn zu-weise, wie ich überfüllte Klangräume soaufladen kann, dass sie ihren "Schatten»auf die ereignisleeren Passagen werfenund so die Stille mit Energie füllen.Mit Polydimensionalität haben bereitsCharles Ives und Elliot Carter gearbeitet,sie ist eine exzessive Form der Polyfonie.Ich arbeite mit linearen Schichtungen,die in den meisten Parametern wie Puls,Harmonik und Spannungs temperaturvoneinander abweichen. Die dabei ent-stehende faszinierende Komplexitätkann jedoch immer wieder in simple,einförmige Gestalten wie Unisono oder

    Einstimmigkeit münden. Diese Gegen-sätze sind interessant. Was nicht bedeu-tet, dass ich alles mehrdimensional kom-poniere, sondern da können auch ganzandere Aspekte in den Vordergrundtreten.

    M& I: Sie sind auch praktizierender Solist, Interpreteigener Werke und Dozent für Musiktheorie undKomposition. Haben diese Tätigkeiten eine Wechsel-wirkung auf Ihre musikalischen Ideen?Märten Illes: Ja, aber das ist ziemlichunbewusst. Oft wird mir gesagt, dass ichnicht so viel unterrichten solle, weil esschädlich für meine kompositorischeTätigkeit sein könnte. Das merke ichüberhaupt nicht. Theorie ist eine ande-re Denkweise, eher analytisch mit leichtmusealem Charakter, sodass es kaumBerührungen der Sphären gibt. DenKornpositionsunterricht mache ich nochnicht so lange, dass ich Schlüsse ziehenkönnte. Manchmal kann es hemmendwirken, wenn ich meine Klavierwerkespielend komponiere, dann höre ichsie auch anders. Als ich mein Klavier-konzert schrieb, hatte ich Bedenken,von meinen pianistischen Reflexen be-einflusst zu werden. Aber von solchenReflexen waren auch Brahms und Lisztnicht frei. Die Wechsel der Perspektivenhat Vor- und Nachteile.

    M& T: Brauchen Sie das Klavier zum Komponieren?Märten Illes: Früher immer, jetzt weni-ger. Ich improvisiere gerne und ich erle-be dann die Musik körperlich. Die phy-sisch-auditive Wahrnehmung durch dasOhr kombiniert mit der taktilen unter-scheidet sich vom inneren Hören in dersinnlichen Qualität. Mein vor Kurzemvollendetes Werk für Streichorchesterhabe ich komplett ohne Klavier kompo-niert, auch weil es vierteltönig ist.

    M& T: Welche Verbindungen haben für Sie Klänge undvisuelle Assoziationen?Märton Illes: Visualität spielt eine gros-se Rolle. Auf jeden Fall denke ich sehrintensiv in und an Linien. Oft sehe ichkomponierend Zeichnungen, und es istdeshalb keine Überraschung, dass mei-ne neueste Werkreihe den Titel «Raj-zok», also Zeichnungen, trägt. Ich geheauch gern zu Ausstellungen, weil derRaum in der bildenden Kunst sehr di-rekt zu erleben ist. In der Zeitkunst Mu-sik kommt der Raum immer zu kurz. Ichglaube allerdings, dass in beiden Küns-ten beides existiert. Ich denke sehr vielin Raumdimensionen, also was in derMusik als Zeit erscheint, ist räumlich-grafisch empfunden.

    M& T: Komponieren Sie vor allem per Auftrag oderauch in Eigeninitiative für Solisten und Ensembles?

    Märton Illes: Sowohl als auch. Mit demEnsemble Modern habe ich engen Kon-takt und schon mehrere Werke verwirk-licht. Am 3. November wird in Frankfurtein weiteres Ensemblestück zur Urauf-führung kommen. Gelegentlich kom-poniere ich für Freunde und Solisten.Ausserdem spiele ich mit einigen mirvertrauten Musikern regelmässig zusam-men.

    M& T: Sie haben in fast allen Genres publiziert. HabenSie Präferenzen?Märten Illes: Grössere Klangkörper sindträger als Ensembles mit solistischenStimmen. Und einzelne Instrumentesind paradoxerweise durchdringenderals in chorischer Funktion. Und da mir- oft virtuose - Bewegung sehr wichtigist, bevorzuge ich Kammerbesetzungen.Auch Transparenz ist bei hohem Kom-plexitätsgrad in kleinen Besetzungenbesser zu kontrollieren. Doch das Wesenmeiner Musik ist nicht wirklich kamrner-musikalisch, sondern sie hat Wucht undist extrovertiert. Das ist eine Diskrepanz,die sich darin niederschlägt, dass dieWerke für Kammerensembles meistensorchestral und die Orchesterkompositi-onen wie grossbesetzte Kammermusik-werke klingen. •