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Musik Colleg 1 Musikepochen

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  • Musik-Colleg 1 Musikepochen

    von

    Hille Kopp und Richard Taubald

    Bayerischer Schulbuch-Verlag Mnchen

  • Inhalt

    Historische Musik in unserer Zeit 3

    Mittelalter: Der Gregorianische Choral 8 Renaissance: Das Chorlied 17 Barock: Das Concerto grosso 30

    Klassik: Die Sinfonie 49 Romantik: Das Kunstlied 67

    20. Jahrhundert: Stilisierte Tanzformen 81 Avantgarde: Aleatorik 96

    Epochengliederung 104

    Zeittafel 108 Sachregister 110

    Das Umschlagbild zeigt Ernest Ansermet und Igor Strawinsky {am Flgel) in einem Konzert (Zeichnung von Rene Auberjonois). Ansermet dirigierte die Urauffhrung der Geschichte vom Soldaten", Auberjonois fertigte die Dekorationen an.

  • Historische Musik in unserer Zeit

    Die Vielfalt des Musikangebots

    Das Musikangebot unserer Zeit ist mannigfaltiger denn je. Der Zugang zur Musik wird auf verschiedene Weise ermglicht:

    - durch die abrufbaren ffentlichen Medien Rundfunk und Fernsehen oder die Konserven" Schallplatte und Tonband - durch unmittelbare Begegnung (live") mit Sngern und Instrumentalisten, sei

    es im offiziellen Konzert oder beim zuflligen Mithren zwangloser musikali scher uerung - durch eigene musikalische Aktion in Gesang und Spiel, allein oder in der Grup

    pe, fr sich selbst oder fr einen Hrerkreis. Dabei unterliegen Wahl und Wertschtzung der jeweiligen Musik keinem aus drcklichen Reglement. Es ist blich, sich auf den persnlichen Geschmack zu be rufen, die Vielfalt des Angebots als einen Supermarkt" mglicher Interessen gebiete zu durchstreifen und sich gem eigener Vorlieben zu bedienen.

    Die Vielfalt zeigt sich in drei Perspektiven:

    - Gattungen und Stile unseres zeitgenssischen Musikbetriebs - berlieferte Musik der abendlndischen Musikepochen

    - Klangwelten auereuropischer Kulturen.

    D> a) Nennen Sie Beispiele fr diese drei Blickrichtungen, und geben Sie jeweils Auffh rungsformen an. b) Versuchen Sie die folgenden vier Hrbeispiele zu bestimmen und den drei Per

    spektiven zuzuordnen. O

    Funktionen der Musik

    Eine gngige Unterscheidung, ausgehend von Gepflogenheiten der Medienanstal ten, gliedert das Musikangebot in U-Musik" und E-Musik" (Unterhaltungs- und ernste Musik). Das ist weniger hinsichtlich der Musik als im Blick auf ihre Auffh rungsformen berechtigt. Anstelle der Musik wird eigentlich das Anliegen des jewei

    ligen Hrers und dessen Verhalten charakterisiert.

    > Beurteilen Sie die Unterscheidung U-Musik/E-Musik kritisch anhand folgender Hr beispiele: - ein Tanz (Gavotte) von W. A. Mozart

    - ein Blues aus der Folklore der amerikanischen Neger.

  • C3) l>

    Man ist heute weitgehend geneigt, die Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik mit der zwischen lterer klassischer und moderner flotter Musik gleichzusetzen, d. h. alle historische Musik vergangener Jahrhunderte - abgese hen von Johann Strau und lebendig gebliebener Tanzmusik des brgerlichen 19. Jahrhunderts - der E-Musik zuzuordnen. Doch gab es Musik fr U-Hrer auch in frherer Zeit, und auch heute werden z. B. Kompositionen aus Romantik, Klassik und Barock vielfach zur Unterhaltung konsumiert.

    Versuchen Sie zu erklren, warum U-Musik aus alter Zeit heute den Anstrich von E-Musik erhlt. Beziehen Sie sich in diesem Zusammenhang auf folgende Hrbei spiele:

    - mittelalterliche Spielmannsmusik - Lied des Oswald von Wolkenstein - neue Folkmusik aus Irland.

    Die beschriebene Polarisierung ist sehr grob. Die Musik bernimmt in ihren vielfl tigen Stilarten, Gattungen und Darbietungsformen differenziertere Funktionen fr

    den Hrer, z. B. - die unmittelbare Umgebung angenehmer gestalten - musikalische Unterhaltung bereiten - Gefhle erregen und mitreien - Krperbewegungen rhythmisch steuern - den Verlauf von Klangstrukturen bewut machen - Mitteilungen ausdrcken und verdeutlichen - einen Gemeinschaftsgeist symbolisieren - zur nderung einer persnlichen Einstellung bewegen. Darber hinaus ist die Musik Geschftsobjekt, Gegenstand wirtschaftlicher Pro zesse - als Grundlage eines weitgefcherten Berufsstands, als Ware im Wechsel spiel von Produzenten und Konsumenten. Alle Funktionen sind zu jeder Zeit anzutreffen gewesen, mag auch der Schwer

    punkt des zeitgemen Umgangs mit Musik jeweils gewechselt haben und gewi auch von der jeweiligen Gesellschaftsschicht im sozialen Gefge einer histori schen Lebensordnung abhngig gewesen sein.

    a) Welche Darbietungsformen von Musik in unserer Zeit verstrken die Funktion der Musik als Ware? b) Nennen Sie Beispiele fr den Funktionswandel einer historischen Musik bei ihrer

    bernahme in das gegenwrtige Musikangebot.

    Verschiedene Einschtzungen historischer Musik Die Gegenwrtigkeit von Musik aus vergangenen Jahrhunderten ist nicht selbst verstndlich. In frheren Epochen pflegte man meist nur das jeweils Neue, ja man

    fand oft eine zweite Auffhrung desselben Musikstcks fr denselben Zuhrerkreis uninteressant. Lebendige Traditionen reichten kaum bewut ber die unmittelbare Vergangenheit zurck, und neue Generationen versuchten seit eh und je sich da von abzusetzen. Mancher weiterreichende Rckgriff auf ehrwrdige Quellen dien te nur dazu, einen Vorsto in Neuland abzusichern, indem man sich auf neu ge

    deutete einstige Ideale berief.

  • Erst im 19. Jahrhundert tauchte in der Musik ein allgemeines Interesse an lteren Epochen auf. Im Licht dieses Historismus gewannen Werke der Barockmusik und die Welt des Mittelalters wieder an Bedeutung. Noch mehr stellte die Jugendbewe gung des frhen 20. Jahrhunderts dem traditionellen brgerlichen Konzertbetrieb und neuesten Entwicklungen musikalischer Komposition die aktive Beschftigung mit alter Musik entgegen.

    Inzwischen haben sowohl Musikwissenschaftler und ausfhrende Knstler als auch die Institutionen der Musikindustrie (Rundfunk, Schallplattenfirmen, Noten verlage, Konzertunternehmer, Instrumentenbau) das musikalische Erbe weitge

    hend erschlossen und verfgbar gemacht.

    Vergleichen Sie folgende Zitate hinsichtlich ihrer Einschtzung lterer Musik:

    O wenn jene alten, musikkundigen Gelehrten die Modernen hrten, was wrden sie tun, was wrden sie sagen!" (Jacobus von Lttich um 1330) Worber ich mich nicht genug wundern kann, ist dies: da es erst seit etwa vierzig Jahren eine den Gebildeten angemessene Musik gibt." (Johannes Tinctoris 1477)

    Was die Zeit betrifft, so ist bekannt, da musikalische Sachen ein rechtes Mcken-Leben haben, und viel eher veralten und erkalten, als andre. Wenn eine Composition

    einige Monath, will nicht sagen, Jahr, auf sich hat, .. werden indessen viele Umstn de eine fremde Gestalt gewonnen haben, welche dannenhero eine merkliche nde rung in den Zierrathen erheischen." (Johann Mattheson 1724)

    Sollte es nicht fr einen Verieger jetzt wohl der Mhe wert sein, von einigen Haupt-Oratorien von Hndel die Original-Partituren in Deutschland zu stechen?... Ich wr de dann die Orgelstimmen machen; die mten aber mit kleinen Noten von einer an

    deren Farbe in der Partitur stehen." (Felix Mendelssohn-Bartholdy 1838) Es gibt keine Kunst, welche so bald und so viele Fonven verbraucht wie die Musik.

    Modulationen, Kadenzen, Intervallfortschreitungen, Harmoniefolgen . .. nutzen sich in fnfzig, ja dreiig Jahren dergestalt ab, da der geistvolle Komponist sich deren nicht mehr bedienen kann.. . Man kann von einer Menge Kompositionen, die hoch ber dem Alltagsstand ihrer Zeit stehen, ohne Unrichtigkeit sagen, da sie einmal schn waren." (Eduard Hanslick 1845)

    Fr uns... ist es nicht schwer, die Verpflichtung zu erkennen, die uns aus diesem Erbe erwchst... Ein solches Besserwerden wird uns unduldsam machen gegen mindere Musik, gegen Geklingel, gegen Fahrlssiges und Nichtgekonntes."

    (Paul Hindemith 1950)

    Abneigung gegen Traditionspflege oder gegen Wiederbelebungen in der Musik wer den heute verschieden begrndet: Die junge Generation argumentiert meistens mit

    dem modernen Geist", der auch musikalisch neue usdrucksformen verlangt. Oder man wehrt sich gegen die Gewhnung der Hreinstellung an die Klangwelt eines traditionellen Repertoires (affirmatives Hren) bzw. verweigert die Orientie rung an Denkmlern" der historischen Tonkunst, die im traditionellen Konzertbe trieb den Blick fr neue Musik zu verstellen drohen. Vielfach befremden Klangbei spiele aus frherer Zeit aber gerade deshalb, weil man sie aus dem Musikver stndnis spterer Entwicklungen her miversteht und keinen angemessenen Zu

    gang mehr findet.

  • Auch die Hinwendung zu historischen Musikstilen hat unterschiedliche Motive: Oft ist es ein allgemein historisches Interesse, vorhandene Kenntnisse ber Epochen

    und Regionen zu ergnzen und zu vertiefen. Vielleicht verklrt Nostalgie das Alt hergebrachte, weil man es frei sieht von den gegenwrtigen Problemen und Bela stungen, die kaum mehr zu bewltigen sind. Durch den Umgang mit einem unge whnlichen, erlesenen" Musikstil pflegt sich auch der Snob den Anstrich von Ex travaganz und Kennerschaft zu verleihen, In den meisten Fllen aber ist das Motiv

    der Rckschau sicherlich das Erlebnis der Betroffenheit, die der klangliche Reiz al ter Musik immer wieder dem Unvoreingenommenen bereitet.

    Welche technischen Fortschritte ermglichten in frheren Epochen und in der Gegen wart die zunehmende Hinwendung zu alter Musik?

    ZB

    Die Verbundenheit der Gegenwart mit traditioneller Musik

    Auch wer sich nicht ausdrcklich um historische Rckblicke bemht, ist heute weit gehend in der Musik der Vergangenheit verhaftet: Das allgemeine Musikverstnd nis des Musikliebhabers und -Verbrauchers fut noch auf den musikalischen

    Grundlagen des 18. und 19. Jahrhunderts. Dies besttigen die durchaus traditio nellen Strukturen der heutigen populren Musik. Die Neue Musik des 20. Jahrhun derts hat noch immer nicht die breite Zustimmung der Zeitgenossen gefunden, weil sie gngige Hrerwartungen nicht erfllt und beliebte Funktionen des Musikbe triebs nicht abdeckt.

    Im heutigen Musikbetrieb wird durch ein Repertoire von erfolgreichen, immer wie der aufgelegten traditionellen Meisterwerken eine Hrgewohnheit genormt, die als

    Mastab fr alle Bewertungen abweichender Klangformen dient. Die unterschiedli chen persnlichen Ausprgungen von Geschmack im Zeitalter pluralistischer Wert

    ordnungen werden durch dieses Repertoire und die Masse der traditionell struk turierten populren Musik zu einem recht einheitlichen Dutzendgeschmack" nivel

    liert. Die Kenntnis der Vielfalt historischer Musikstile hilft hier Verkrustungen aufbre chen. Programme lassen sich abwechslungsreicher gestalten, das Veranstal tungsangebot kann vielseitiger und reichhaltiger werden. Das Nebeneinander vie

    ler Epochenstile relativiert enge Ansichten und Wertsetzungen. Im Umgang mit Kunst hat sich auch bezglich der Musik die Einstellung durchgesetzt, da jede hi storische Epoche auf ihre Art vollkommene Schpfungen hervorbrachte, die uns noch heute unmittelbar berhren knnen, wenn wir uns von einseitigen Modellvor stellungen lsen.

    Das musikalische Erbe wird um so mehr in unsere Gegenwart integriert, je deutli cher zeitgenssische Musiker aktuelle Bezge historischer Erscheinungsformen

    aufdecken, angeregt aufgreifen und in moderne Zusammenhnge einfgen.

    i> Hren Sie Ausschnitte zeitgenssischer Musik, die an historische Stile anknpft (Hin-demith, Orff, Klassik in Popfassung). a) Welches Beispiel greift Ihrer Meinung nach am weitesten zurck? b) Welche Beweggrnde mgen bei einzelnen Beispielen zur bernahme histori

    scher Strukturen gefhrt haben?

  • Begegnung mit den Musikepochen

    Angesichts der Bedeutung unserer musikalischen Vergangenheit fr das heutige Musikleben ergibt sich die Aufgabe,

    - Kenntnisse aus der Musikgeschichte zu differenzieren, um Unterschiedlichkeit und Reichtum aufzuzeigen - einen berblick ber die wichtigsten Stilepochen zu schaffen, um die Orientie

    rung im Musikangebot zu erleichtern - historische Musik im Umfeld ihrer Zeit zu begreifen, um der Gefahr unangemes

    sener Hrerwartung und Werteinschtzung entgegenzuwirken und dadurch sich ihrem elementaren Reiz offenzuhalten. Bei der Beschreibung der fr die Epochen reprsentativen Musikbeispiele werden sich die grundlegenden Strukturen musikalischer Komposition anbieten: melo disch-rhythmisches, harmonisches und als Klangfarbe geprgtes Tonmaterial, die

    Prinzipien seiner Formung, die Ideen, die dem jeweiligen Werk Zielsetzung und Bedeutung verleihen.

  • Mittelalter: Der Gregorianische Choral

    o

    Bei der historischen Betrachtungsweise der Musik stellt sich zwangslufig die Fra ge nach ihrem Ursprung. Der Vergleich zweier ausgewhlter Klangbeispiele aus verschiedenen Epochen kann Aspekte zu dieser Fragestellung verdeutlichen. Das

    erste Beispiel ist ein mittelalterlicher Psalm, das zweite ein Lied aus dem Konzen trationslager Sachsenhausen (aufgezeichnet 1944).

    Hren Sie die zwei Gesnge: Der eine enthlt die Aufforderung Machet die Tore weit und die Tren der Welt hoch, da der Knig der Ehren einziehe ...", der andere Ich bin es, die verbrannte Mutter, die von ferne zu eueren Herzen schreit: da hie wieder jemand die Kinder tte, da nie wieder jemand die Mtter verbren

    ne ..." Welchen Sinn kann es haben, diese Texte zu singen statt zu sprechen?

    Der mittelalterliche Psalm, der heute noch in lebendiger Tradition (Liturgie der Messe) gesungen wird, stammt aus dem Gregortanischen Choral: Um das Jahr 600 bemhte sich - wie mehrere Ppste im Mittelalter - vor allem Papst Gregor I. um die Sammlung und Ordnung aller damals gebruchlichen christlichen Singeweisen. Nach dem Vorbild der von Gregor I. eingesetzten rmi schen Schola cantorum (7 speziell geschulte Snger und verstrkende Knaben stimmen) wurde der Choralgesang zunchst vornehmlich in Klstern gebt und

    berliefert, dort auch in einer speziell entwickelten Schrift festgehalten und zur Grundlage musikalischer Wissenschaft und knstlerischen Schaffens gemacht. Die lateinische Sprache verhalf dem Choral zu seiner weltumspannenden Bedeu

    tung. Wichtige Wurzeln sind - gem der Entstehung der christlichen Kirche - j dische Tempelgesnge, Musik der Antike und des Vorderen Orients.

    Dem feierlichen Sprechen am nchsten kommt das Psalmsingen, die Psalmodie. Schon Bischof Ambrosius von Mailand (4. Jahrhundert) bezeugt: Der Psalm wird nicht allein von den Herrschenden gesungen, sondern ebenso auch von den einfachen Leuten im Jubel dargebracht... Ohne Mhe lt sich der

    Psalm begreifen und erlernen, ohne Beschwerlichkeit dem Gedchtnis einprgen. Der Psalm fhrt die Zwietrchtigen zusammen, vershnt die Zerstrittenen und be

    snftigt die Beleidigten. Er ist Belohnung und Erquickung in einem, er dient, wenn er gesungen und sein Inhalt verstanden wird, der Erbauung wie gleicherweise der Erziehung der Menschen."

    (Aus P. Glke: Mnche, Brger, Minnesnger. Leipzig: Khler und Amelang 1975, S. 30)

    Jeder der verschiedenen berlieferten Psalmtne folgt der natrlichen Sprachme lodie des feierlichen Rezitierens in Form des Satzbogens.

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    Matutin des ersten Adventsonntags mit einer Darstellung von Papst Gregor I., dem Groen, der die vom Heiligen Geist (Taube) eingegebenen Melodien aufschreibt (Benediktinisches Antiphonar aus dem 12 bis

    14. Jahrhundert. Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, Ms. Aug. LX, toi. 2 v)

  • Das Modell: Mediatio (Mittelkadenz)

    Rezitationston Initium (Anstieg) (.Tenor")

    Aus Psalm 116 - im 8. Psalmton:

    Rezitationston

    Terminatio (Kadenz1)

    Lau-da te Dominum omnes gen-tes Quoni - arn confirmata est super nos misericordia e - jus Glo -ri a Patri et Fi - lio Sie ut e - rai in prineipio et nunc et sern-per

    laudate eum om - nes et veriias Domini manet in - ae et Spiri - - tu - i et in saecula saecu - lo

    popu - li. ter- num Sanc- to. - mm. A - men.

    Aus Psalm 23 (Machet die Tore weit")2 - im 7. Psalmton:

    Die Modellzeichnung deutet eine Notierung des Tonhhenverlaufs an. Mitunter setzte man hnlich einer solchen Verlaufskurve die einzelnen Textsilben auf ver schiedene Hhe. Oder man notierte Handzeichen, d.h. Winkbewegungen des

    einstudierenden Chorleiters, die den Richtungsverlauf der Melodie andeuteten, als Gedchtnissttze ber die Silben: die sogenannten Neumen. Aus ihnen entstan den die heutigen, anfangs quadratischen Notenkpfe. Im Rahmen vieler genaue rer Notationsversuche setzte sich das Liniensystem des Guido von Arezzo

    (t 1050) durch. Die Zahl der Notenlinien war noch nicht festgelegt; meist wurden vier Linien im Terzabstand verwendet (d. h. auch der Linienzwischenraum galt schon als eine Tonhhe); Notennamen, spter Schlssel markierten bestimmte Linien als Bezugston. Zugrunde lag die aus der Antike bernommene diatonische Tonreihe.

    Unser Notenliniensystem tuscht eine Gleichheit aller Tonleiterschritte vor. Welche Notenlinien mten eigentlich nher zusammenrcken? (Gehen Sie dabei von ver schiedenen Notenschlsseln aus.)

    Im Mittelalter kennzeichnete man die Lage von Halbtonschritten z. T. durch farbige Notenlinien.

    Notieren Sie nach Gehr den Melodieverlaul einer Psalmodie bzw. einen weiter aus greifenden Melodieverlauf mit Tonwiederholungen, -schritten und -Sprngen. Die Notation erfate noch keine differenzierten Tonlngen. Das entspricht dem gleichmig fortschreitenden gregorianischen Gesang, der auf rhythmische Glie derung weitgehend verzichtet und schon gar keine regelmig akzentuierende Takteinteilung kennt.

    ' lat. cadere = fallen 2 vgl. Hrbeispiel 5a; dort durch eine Antiphon" refrainartig unterbrochen

  • 10

    Beurteilen Sie anhand des folgenden Klangbeispiels, welche Beweggrnde wohl vor allem zur Entwicklung einer Notenschrift gefhrt haben knnten.

    i Al-Ie-Iu

    Pa-schano - strum

    im-mo-la

    - tus est

    i * - * Chri - - - - stus. Allelujal Unser Osterlamm ist geschlachtet. Christus."

    Dieser sog. Jubiius steht im Gegensatz zur Psalmodie. Die Singeweise ist aus der Ausschmckung der letzten Alleluja-Silbe hervorgegangen und geht auf hebr

    isch-orientalische Ursprnge zurck. Fast alle Textsilben werden auf viele Melo dietne gebunden: melismatischer"1 Stil im Gegensatz zum syllabischen"2 Stil

    der Psalmodie. Der Text tritt in den Hintergrund; nicht Sprache, sondern Gefhls ausdruck (hier sterlicher Jubel) ist Funktion des Gesangs, allerdings streng kon trolliert und stilisiert in der Zucht chorischen Einklangs.

    Eine Singeanleitung aus dem 11. Jahrhundert lautet: Was du auch singst oder liesest, beginne in der Mittellage und solcher Stimme,

    da es sich ohne Geschrei vollfhren lt... Komdiantenstimmen, Alpen- oder Gebirgsjodier, Donnerndes, zischendes Gewieher und Eselsgeschrei, Rinderge-brfi und Schafsbiken, auch weibische Klnge, jede Verflschung der Stimme,

    Geprunk und Neuerung lehnen wir ab und verbieten wir in unsern Chren, weil sie mehr Narrheit und Dummheit als Frommsein bekunden..."

    (Aus: Instituta patrum de modo psallendi, zitiert nach H. J. Moser in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Friedrich Blume, Bd. 4. Kassel und Basel: Brenreiter 1955, Sp,

    1891, Artikel Gesang")

    a) Bei welchen Silben des Jubilus-Textes wird Sprache am meisten verfremdet? b) Anders als in der Psalmodie lt der Gefhlsausdruck die Melodie weit ausgreifen.

    Welche greren Intervalle kommen am hufigsten vor?

    Melisma (griech.): melodische Gesangsverzierung auf einer Silbe Syllabik (griech. syllabe = Silbe): silbenweise Textvertonung

  • 11

    Die Melodie des Jubilus entfaltet sich nicht regellos; gewisse Tonketten wiederho len sich, heben sich dadurch als Figuren ab, verleihen dem Gesang charakteristi sche Konturen (Form").

    Welche lngeren Tongruppen lassen sich mehrmals im Verlauf des Jubilus finden?

    Hufig vorkommende krzere Tonfiguren wurden in der ursprnglichen Notation durch zusammengefate Figuren"-Zeichen wiedergegeben (siehe im nchsten Notenbeispiel).

    Die folgende Sequenz des Thomas von Celano (t 1256) Dies irae" stellt bereits eine sptere Entwicklungsstufe des Gregorianischen Chorals dar, hervorgegan gen aus Versuchen, die fremdartiger Jubilus-Melodien durch Textierung im ger manisch-deutschen Kulturraum einzubrgern.

    I.Di - es i-rae, di-es II - la, Sol - vet saeclum in fa - vil - la: 2. Quan-tus tremor est fu-tu-rus, Quan-do ju - dex est ven- tu -rus.

    Teste Da-vidcum Si-byl-la. Cuncta stricte dis-cus-su- rus!

    3.Tu-ba mi - rum spar-gens so-num Per se-pul-cra re-gi-onum, 4. Mors stupe-bit et na- tu - ra, Cum re-sur-get cre-a -tu-ra.

    Co-get o - mnes an-te thronum. Ju-di-can- ti res-ponsu - ra.

    fci: ' fr T 3 '' M1 5. Li-bar scriptus pro-fe-re-tur. In quo to-tum con-ti-ne-tur, Un - de mun-dus ju -di-ce-tur. 6. Ju-dex er - go cum se-de-bit, Quidquid la-tet ap - pa-re-bit: Nil in - ul - turn re - ma- ne- bit.

    7. Quid sum miser tunc dicturus? Quem patronum rogaturus? Cum vix justus sit securus 3. Rex tremendae majestatis, Qui salvandos salvas gratis, Salva me, fons pieiatis. 9. Recordare Jesu pie, Quod sum causa tuae viae: Ne me perdas illa die 10. Quaersns mersedisti lassus: Redemisti crucem passus: Tantus labor nan sit cassus. 11. Juste judex ultionis, Donum fac remissionis, Ante diem rationis. 12. Ingamisco, tamquam reus: Culpa rubet vultus meus: Supplicanti parca Deus. 13. Qui Mariam absolvisti. Et latronem exaudisti, Mihi quoque spem dedisti. 14. Preces meae non sunt dignae: Sed tu bonus fac benigne, Ne perenni cremer igne. 15. tnter oves locum prassta. Et ab haedis me sequestra, Statuens in parte dextra. 16. Confutatis maledictis, Flammis acribus addictis: Voca me cum benedictis. 17. Oro supplex et acclinis, Cor contritum quasi cinis: Gere curam mei finis.

    18. La-cri-mo - sa di - es il - la, Qua re-sur-get ex fa - vil - la, 19. Ju - di -can -dus ho-mo re - us:

    P=F Hu-ic er-go par-ceDe-us. Pi-e Je-su Oo-mi-ne, do-na e - is re-qui-em.

  • 12

    ji j) | 7^ a) Inwiefern vereinigt die Sequenz Merkmale der Singeweisen von Psalmodie und Jubiius? b) Der Gesamtverlauf der Dies-irae-Sequenz wird durch sinnvolle Phrasierung der

    Texteinheiten und durch Wiederholung grerer Melodieteile gegliedert. Fertigen Sie eine Formskizze dieser Sequenz an. c) Beurteilen Sie anhand des Klangbeispiels, welchen Vorteil diese Formanlage

    beim Wechselgesang zwischen Vorsnger und Schola bringt.

    bertragen Sie die Melodie der 1. Zeile in die heutige Notenschrift und singen Sie Ausschnitte der Sequenz.

    Die Dies-irae-Sequenz aus der gregorianischen Totenmesse taucht im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder als Cantus firmus und Zitat bei verschiedenen Kompo

    nisten auf, z. B. in Berlioz' Symphonie fantastique" (letzter Satz: Hexensabbath), Liszts Totentanz", Pendereckis Paradise Lost". Die gregorianischen Gesangsformen Psalmodie, Jubiius und Sequenz lassen sich als Modellflle fr drei grundstzliche Mglichkeiten ansehen, Gesang als sprach liche Information oder als Gefhlsausdruck einzusetzen:

    Psalmodie Jubiius

    Ordnen Sie folgende Gesangsformen aus spterer Zeit den aufgezeigten drei Grund mglichkeiten zu:

    Lied - Rezitativ - Arie - Chanson - Blues.

    Im gregorianischen Gesang zeichnen sich bereits - zurckgehend auf griechische Theorien - Grundlagen des heute gebruchlichen Tonsystems ab:

    Der Satzbogen des Psalmvortrags bekommt Spannung durch Anheben der Stim me; die Spannung lst sich durch Rckkehr der Stimme auf ihren Ausgangston (Grundton). Auch die Jubiius- und Sequenz-Melodien sind jeweils in einem be stimmten Grundton verankert, auf den sich alle brigen Tne beziehen.

  • 13

    otumftcictommue l

    loutr ccoitutur

    Singende Mnche beim Chorgebet (Miniatur aus dem Liberprecum cum caiendario, Stundenbuch der Knigin Johanna I. von Neapel. sterreichische Nationalbibliothek, Wien, Ms. 1921, fol. 113)

  • 14

    Singen Sie einen der auf S. 9 abgedruckten Psalmtne und beachten Sie die Grund tonwirkung.

    Vom Grundton aus erschliet sich die jeweilige Tonordnung (Modus, Kirchenton-art) durch Zusammenstellung der erklingenden Tonhhen als Tonleiter. Die grego rianischen Modi entsprechen nicht den heute gebruchlichen Dur- und Mollton arten; sie ordnen die Halbtonschritte auf anderen Stufen an:

    Erscheint durch die Anlage einer Melodie die Tonreihe so verschoben, da der Grundton (Finalis) um die Mitte zu liegen kommt, spricht man von einer plagalen" Form anstelle der authentischen", z. B.

    = fiypodorisch

    = * t Grundton (Finalis]

    Jeder Modus wurde spter auch (wie Dur und Moll) in andere Tonlagen transpo niert, wobei Vorzeichen verwendet werden muten, um die Halbtonschritte an den charakteristischen Stellen einzuordnen.

    Zur Wiederholung: Das diatonische Tonsystem und seine chromatische Ergnzung:

    m o V ^|ffi=l

    Prime groe kleine Sekunde

    Terz Quarte Quinte Sexte Septime Oktave

  • 15

    Ein Beispiel aus der weltlichen Musik des Mittelalters: der Tanz Trotto" der Spiel leute:

    13

    JJJj. PJ

    JiJTJU pJ :l

    : r erJ ^ i r pr crir p ij >-TJ^ij n

    pj. i

    Zur Anregung: Ausfhrung durch mehrere Melodieinstrumente (Blockflte, Geige) im Wechsel spiel, auch chorisch und solistisch; dazu Schlaginstrumente (Klatschen, Schellen tamburin, Becker, Triangel), die verschiedene frei erfundene rhythmische Ostinati spielen.

  • 16

    1. Der Gregorianische Choral; Singeweisen der mittelalterlichen christlichen Kirche, gesammelt und geregelt unter Papst Gregor I. um 600, im klsterlichen Gottesdienst gepflegt und berliefert, eine Grundlage der Entwicklung musikali scher Kunst, bis heute lebendige kirchliche Tradition (Liturgie). 2. Gregorianischer Gesang ist einstimmiger Chorgesang, ohne besonde

    re rhythmisch-metrische Differenzierung, ohne dynamische Entwick lungen und Gegenstze, aber mit formaler Gliederung durch Textphra-sierung und Wiederholung von Melodieabschnitten. 3. Wichtige Gesangsformen des Gregorianischen Chorals:

    Psalmodie (syllabische Textdeklamation aus dem Satzbogen der Sprachmelodie), Jubilus (melismatische Textgestaltung in reicherer Melodik, vorwie gend Gefhlsausdruck), Sequenz (berwiegend syllabische Textierung ausgreifender Melodie-verlufe). 4. Mit dem Gregorianischen Choral entwickelte sich das Prinzip unserer

    Notenschrift (Notenzeilen, Schlssel, Notenkpfe). 5. Die mittelalterliche Musik bernimmt das antike diatonische Tonsy

    stem (Halb- und Ganztonschritte) und seine grundtonbezogenen Modi als Kirchentonarten, z. B. dorisch:

    m

  • 17

    Renaissance: Das Chorlied

    Audite nova

    E-sels-kir-chen,derhat ein

    t gy ri gy ri ga ga Gans, das ri gy ri ga ga Gans! Die hat ein lan -Ali

    i fei -sten, dik -

    i ken, wei

    i de -li -chen Hals, bring

    fei-sten, dik -ken, wei -de -li-chen Hals,

  • 18

    her die. Gans, hab dir s, mein trau - ter

    t=$ her

    T die Gans,

    r habdirs,meintrau - ter

    habdirs^neintrau -^ ter Hans, hab dira,meintrauter

    . J habdir's, mein trau - ter Hans(habdirg,mein trau - ter

    f= sie, zrei Hansl Rupf

    i sie, zupf

    1 sie, sied sie, brat sie, fri

    i i 1

    sie!

    i-

    "nr Das ist Sankt Mar-tins Vo - ge - lein, dem kn - nen wir nit Feind

    i seinl

    i KnechtHeinz,

    t f bring

    r r her ein gu-ten Wein und sdienk

    KnechtHeinz, bring her ein gu-ten Wein

    la um - her - ghn,

    und schenk

    t=rc=f T her uns tap - fer

    ^ la um - r ghn,

    la

    l A um - her -

    A A r r ^ uns tap - fer ein; la um - her - ghn.

  • 19

    auf.

    in Got- tes ghn, ,

    i i i A w

    Nam trin-ken gut

    i Wein und

    A Bier auf

    auf.

    t in Got-tes Nam trin-ken wir gut Wein und Bier auf

    die gsot-ten Gans,

    die in Gans, die gsot-ten Gans

    auf die

    UM bra-ten Gans, auf.

    J . diejun-ge Gans, da

    die gsot-ten Gans,

    nit scha -sie uns ii. den mag, irr mag.

    sie uns nit scha -A

    - den mag,. da

    da sie uns nit schd - den mag, mag.

    Orlando di Lasso (Aus: Sechs teutsche Lieder..., 1573 - im Original um einen Ton hher)

    Hren Sie Orlando di Lassos Lied Audite nova", und stellen Sie fest, worin sich der Chorgesang des 16. Jahrhunderts von dem des Mittelalters grundstzlich unter scheidet.

    Dieses Chorlied, aus einer groen Zahl ahnlicher Lieder ausgewhlt, zeigt bei spielhaft die Wesenszge der neuen Epoche. Der Text schildert den Rahmen, in dem seinerzeit solche Musik erklang: eine frhli che Runde von Zechbrdern. Wenn auch im vorausgegangenen Mittelalter die weltliche Lust nicht zu kurz gekommen war, wenn auch die Musik (vorwiegend die

    niedere" Instrumentalmusik) ihren Teil zu vergngter Geselligkeit beigetragen hatte, so vollzog sich doch am bergang zum 16. Jahrhundert ein ganz entschei dender Wandel. Der Mensch fhlte nun eine tiefe geistige Verwandtschaft mit dem auch im Mittelalter nie ganz erloschenen, der Welt zugewandten Erbe der Antike. Diese Entwicklung wurde durch eine groe weltpolitische Machtverschiebung ver ursacht: 1453 ging Byzanz an den zur Weltmacht aufgestiegenen Islam verloren. Vor seinem Ansturm flohen die Trger der reichen griechisch-antiken und ostrmi

    schen berlieferung nach Westen. Mit der wieder auflebenden griechischen Philo sophie (Wiedergeburt der Antike, Renaissance) trat, im Gegensatz zum mittelalter-

  • 20

    liehen, theozentrischen Weltbild, der Mensch in den Mittelpunkt des Interes ses (Humanismus), mit seiner Vernunft und seinen Leidenschaften, mit seiner

    Lust und seinem Elend. Die Kunst sollte nun neben dem kirchli chen Kult (Motette, Messe) mehr dem Menschen, seiner Geselligkeit und Un terhaltung dienen.

    Das Selbstbewutsein des Knstlers fhrte zum individuell gestalteten, auto

    nomen Kunstwerk und damit zur per snlichen Anerkennung des Meisters;

    er trat nicht mehr als Anonymus hinter sein Werk zurck wie im Mittelalter. Der Autor des vorliegenden Chorlieds,

    Orlando di Lasso (um 1532-1594), galt als eine der musikalischen Autori tten seines Jahrhunderts. Als begab ter Chorknabe wurde er in Flandern

    entdeckt und nach Italien geholt, wo er schlielich als Kapellmeister der ppst

    lichen Kapelle in Rom wirkte; spter war er hfischer Kapellmeister am her

    zoglichen Hof in Mnchen. Die Persn lichkeit des Orlando di Lasso spiegelt, hnlich wie die des Leonardo da Vinci, die Universalitt, Individualitt und Genialitt des Renaissanceknstlers wider. Die Renaissance mit ihrer neuen Weltsicht, mit entscheidenden Erfindungen und Entdeckungen wird als Beginn der Neuzeit angesehen. Musikalisch leitete die Ausbreitung der mehrstimmigen Musik den entscheidenden Wandel im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrhunderten ein. Die Mehrstimmigkeit blieb brigens

    ein auf die abendlndische Musik beschrnktes Phnomen. Die neue Dimension des Zusammenklangs bildete ein Hauptgestaltungsmittel der auf Klangeffekte

    (Ohrenschmaus") ausgerichteten Renaissancemusik.

    Orlando di Lasso (Holzschnitt von Tobias Stimmer)

    Beurteilen Sie aufgrund der folgenden Zitate, welche Bedeutung die Vokalmusik im Vergleich zur Instrumentalmusik in der Renaissanceepoche hatte. Martin Luther: Der schnsten und herrlichsten Gaben Gottes eine ist die Musica, der ist der Satan

    sehr feind, damit man viel Anfechtung und bse Gedanken vertreibet, der Teufel er harret ihr nicht. Musica ist der besten Knsten eine. Die Noten machen den Text le

    bendig. Sie verjagt den Geist der Traurigkeit, wie man am Knig Saul siehet. . . Die bsen Fiedler und Geiger dienen darzu, da wir sehen und hren, wie eine feine gute Kunst die Musica sei. Denn Weisses kann man besser erkennen, wenn man

    Schwarzes dagegen hlt..." (Aus den Tischreden)

  • es dmvf

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    1600

    )

  • 22

    fZ

    William Byrd1: Vom Verfasser kurz erluterte Grnde, um einen jeden dazu zu berreden, singen

    zu lernen. 1. ist es eine leicht zu lehrende Kunst und rasch zu lernen, wo ein guter Meister und fhiger Schler ist. 2. Die bung des Singens ist kstlich fr das Wesen und gut fr die Gesunderhaltung

    des Menschen. 3. Es krftigt wirklich alle Teile der Brust und ffnet die Luftwege. 4. Es ist ein einzigartig gutes Heilmittel gegen Stottern und Stammeln beim Sprechen.

    5. Es ist der beste Weg, eine vollendete Aussprache zu erlangen und ein guter Red ner zu werden.

    6. Es ist die einzige Mglichkeit, festzustellen, wem die Natur das Geschenk einer gu ten Stimme verliehen hat; diese Gabe ist so Seiten, und bei vielen geht diese hervor ragende Gabe verloren, weil es ihnen an der Kunst fehlt, die Natur auszudrcken.

    7. Keine Musik von Instrumenten, welche es auch seien, ist der zu vergleichen, die von menschlichen Stimmen hervorgebracht wird, wenn diese wohl eingeteilt und an geleitet werden.

    8. Je besser die Stimme, desto geeigneter ist sie, Gott zu ehren und zu dienen, und die Stimme des Menschen soll hauptschlich zu diesem Zweck benutzt werden, omnis spiritus laudet Dominum

    Da der Gesang zhlt zu den besten Dingen, Wnscht' ich, alle Menschen lernten singen." (Aus: Psalmes, Sonets and Songs, 1588)

    a) Hren Sie noch einmal die Einleitung des Lieds, und versuchen Sie nachzuemp finden, welche musikalischen und inhaltlichen Erwartungen sie nahelegt. b) Mit welchen musikalischen Mitteln erzielt der Komponist den berraschungs

    effekt, durch den die Einleitung zur Parodie wird? c) Welche Wirkung knnte dieser Kunstgriff auf den damaligen Hrer gehabt haben?

    Erklren Sie auch die im Schluteil (da sie uns nit schaden mag") verwendete Parodie. berlegen Sie, welche Einstellung zur kirchlichen Macht sich im Wort-Ton-Verhltnis des Elnleitungs- und Schluteils uert.

    Der auf Piaton zurckgehende Gedanke, die Musik msse vom Wort her ihren Sinn empfangen, fhrte zu zwei Forderungen, die fr die Musik aufgestellt wurden:

    imitar le parole" imitatio naturae". Inwieweit sehen Sie diese Forderungen in Orlando di Lassos Chorlied erfllt?

    Als Parodie des cantare in chiesa" wird die Polyphonie im Beispiel Audite nova" zum Ausdruck eines distanzierten Verhltnisses zur kirchlichen Macht; sie belebt

    die wrtliche Rede und verleiht besonders realistischen Darstellungen mehr Nach druck. Die mehr erzhlenden und die der Situation entsprechenden volkstmlich tnzerischen Teile sind berwiegend homophon gestaltet.

    Die Satztechnik orientiert sich an der Besetzungs- und Auffhrungspraxis der Zeit: Die vier Klangbereiche der menschlichen Stimme und das gemeinsame, gesellige

    Musizieren von ausgebildeten Sngern und interessierten Laien bedingen einen mehrstimmigen Vokalsatz, der sich durch Wohlklang und Klangflle auszeichnet; Klang und Rhythmus, Polyphonie und Homophonie sind im Gleichgewicht.

    0

    1 englischer Komponist des 16.Jahrhunderts

  • 23

    Die schwieriger auszufhrenden polyphonen Abschnitte sind durch selbstndig gefhrte, imitatorische Melodie- und Bewegungsverlufe gekennzeichnet.

    Die Stimmen der homophonen Teile sind textlich und rhythmisch weitgehend par allel gefhrt; der konsonante Akkordklang lt sich meist auf einfache Harmonie folgen zurckfhren.

    Im Mittelalter galt die Terz als Dissonanz. Nun aber wird der Dreiklang, der aus zwei bereinander geschichteten Terzen besteht, selbst zum Inbegriff der Harmo

    nie.

    Zur Wiederholung: Durdrei klang Molldreiklang

    kleine Terz -groe Terz rr~groe Terz kleine Terz-

    1/2 11/2

    e f a h c d

    Der Dreiklang mit seinen Umkehrungen

    Sexte:

    Grundform

    8 Sexte -

    1. Umkehrung (Sextakkord)

    2. Umkehrung (Quartsextakkord)

    P auf die gsot - ten Gans, auf die bra ten Gans..."

    Dies sind einige Takte aus dem Schluteil des Lieds, hier in einer Notenzeile zusammengefat. RN> a) Schreiben Sie diese Akkordfolge ohne Tonverdopplungen auf, ermitteln Sie die je-\s^ weilige Dreiklangsgrundform und bestimmen Sie den Dur- bzw. Mollcharakter der

    einzelnen Klnge. b) Was lt sich aus diesem fr das ganze Lied typischen Ausschnitt hinsichtlich der

    harmonischen Struktur und Tonalitt folgern?

    Welche harmonische und melodische Wirkung haben die tonartfremden Tne im So-pran und im Alt?

    a) Welche Abschnitte des Lieds sind vorwiegend homophon, welche vorwiegend polyphon komponiert? b) Begrnden Sie die Verwendung des jeweiligen Satzstils aus dem vertonten Text

    inhalt.

  • 24

    In der Renaissance gebrauchte man den Begriff Takt" nur im Sinne von tactus", d. h. Schlag, Der senkrecht das Liniensystem durchschneidende Strich wurde noch selten verwendet und diente nur der Orientierung; erst seit dem 17. Jahrhun dert kennzeichnet der Taktstrich die auf ihn folgende Note als Schwerpunkt. Durch

    die Wiederholung bestimmter rhythmischer Formeln, die sich weitgehend aus der akzentgerechten Textdeklamation ergeben, entstehen fest umrissene metrische

    Gestalten. Metrum ist hier zu verstehen als musikalisch wirksame Ordnung, die durch eine regelmige Abfolge von schwer-leicht" entsteht. Es geht zum Teil auf die antiken Versmae zurck. Aber auch der Tanz hat die Metrik der Kunstmu sik, besonders seit der Renaissance, beeinflut. (Die schon im Mittelalter deutlich rhythmisch gegliederte Tanzmusik konnte keinen Einflu auf die Kunstmusik neh

    men, da sie nicht als ebenbrtig galt.)

    Bestimmen Sie das Metrum bei einigen Ausschnitten von Audite nova", z. B. gy ri gy ri ga ga Gans",

    rupf sie, zupf sie ...", auf die gsotten Gans . .." (Sopran!).

    Das Chorlied wird in der Renaissance zur literarisch-musikalischen Gattung der gehobenen Gesellschaft. Polyphonie und Homophonie als Satzweisen der nun herrschenden Mehrstimmigkeit treten in den Dienst der Wortausdeutung.

    Die Dur- und Molltonarten verdrngen die Kirchentonarten des Mittel alters. Dur- und Molldreiklnge bestimmen den auf Konsonanz ausge richteten Zusammenklang. Fr die Melodiebildung werden leittonartige

    chromatische Wendungen charakteristisch. Die Wiederbelebung antiker Metren und die in die Kunstmusik geho bene" Tanzmusik tragen zur Akzentgliederung der Musik und zur Vor bereitung des geraden und ungeraden Taktes bei. Die erkennbaren

    Metren wechseln hufig. Durch Vereinfachung der Mensuralnotation (?, ?...) wird der Schritt zur heute noch gltigen Notenschrift vollzogen.

    Zum folgenden Beispiel, einem weiteren Chorlied von Orlando di Lasso:

    Eine liebeshungrige Dame schlgt ihrem spielfreudigen Gemahl, einem Advoka ten, als Spieleinsatz mehrere Schferstndchen vor. Der Advokat zweifelt an sei nem Glck im Spiel und mchte angesichts der Hhe des Einsatzes schon verza gen. Da springt ihm mutig der junge Schreiber (clerc) bei und erbietet sich, die Last zur Hlfte mitzutragen.

    Dieses Chorlied benutzt, wie das erste Beispiel, die Volkssprache, hier zum Teil sogar eine recht bildhaft-derbe Umgangssprache. Die Vorliebe fr die Darstellung

    prickelnder Situationen entsprach der damaligen franzsischen Mentalitt.

  • 25

    Un aduocat

    j J J J.j. j j j J. jjj J j jj J j J J Un ad-uo-cat dit sa fern me: Sus, mami - e, que jou - rons nous? Si

    ^ J ^ J J i- jJ Ji,J J Un ad-uo-cat dit

    p J rr ?=^k sa fern - me: Sus, mami - e, que jou - rons nous?

    1 Jr^r J rrr rJ rr m Un ad-uo-cat dit

    yi r rrJ sa fern me: Sus, mami - e, que jou-rons . . . nous?

    - r f r r r Un ad-uo-cat dit sa fern - me: Sus, mami - e, que jou-rons nous?

    J J J J J j J j J J je gaigne, se dit la da - me, Vous le me fe-rez qua - tre coups, Vousle

    J, i JJ Si je gaigne, se dit la da-me. Vous le me fe -rez

    J- J r r r rv r j * r r r n qua- tre coups, Vousle

    Si je gaigne, se dit la da-me, Vous le me fe-rez qua - tre coups, Vous

    r r i r r j r r J J Vous le me fe rez qua - tre coups, Vous le

    J ff J JJ]3 me fe-rez qua - tre

    J J J J . coups. Quatre coups, c'est cou- chetropgros.Com-

    ii i J- i.i^J me fe-rez qua-tre coups. Quatre coups, c'est cou-

    J chetropgros.Com-

    ^ le me fe-rez qua - tre coups. Qua-tre coups. c'est cou-

    i chetropgros,

    me fe-rez qua - tre coups. Qua-tre coups. c'est cou - cMj trop gros,

  • 26

    ment seroit jeu Sans pi tie? Non,

    J 'jjjj i ment seroit jeu sans pi - tie? Comment seroit jeu sans pi - tie?

    r r Com - ment serort jeu

    ^ sans pi - tie7

    Com - ment seroit jeu sans pi - tie?

    rr JJ rTf r r J J j ! non, Non, non, maistre, te - nez le tout, Dit te clerc, Dit

    J J J J J J Non, non, non, non, maistre, ts nez le tout, Dit le cierc, Dit

    r r r r r r r rJ j r Non, non, non, non, maistre, tB nez le tout, Dit le clerc, Dit

    r r Non, non. non, non, maistre, te - nez le tout, Dit ie clerc.

    :P^

    le clerc, j'en suis de moy tie. j en suis

    jj- ^ le clerc, j'en suis de

    J

  • 27

    r rr de moy - tie, j'en suls de moy-tie. Non, non, Non, non, maistre, te-nez le .

    JJJ i Jj JJ J,JiP j'en suis de moy-tie, j'en suis de moy-tie. Non, non, non, non, maistre, tB-

    tie, j'en suis de moy tie. Non, non, non, non, maistre, te -

    rr r f rr r f r r suis de moy - tie, j'en suis de moy-tie. Non, non. non, non, maistre, te -

    r rJ J j tout, Dit le clerc, Dit le clerc,

    ' J J J ii U i J J J 4 j'en suis de moy

    ^ nez le tout, Dit le clerc, Dit le clerc, j'en suis de moy - tie, j'en suis de

    4 r J rTr f r J r P ^ nez le tout, Dit le clerc, Dit

    ^^ le clerc,j'en suis de moy- tie, j'en suis de moy

    nez le tout, Dit le clerc, Dit le clerc, j'en suis de moy - tie,

    i J J tie, j en suis de moy - tie, j'en suis J ^ JJJ

    de moy - tiel

    moy-tie, j'en suis de moy-tie, j'en suis de moy - tiel

    rJ r tie, j'en suis de moy tie, j'en suis de moy

    > f "r r r r r r r r r tiel

    r r r r n j'en suis de moy - tie, j'en suis de moy - tie, j'en suis de moy - tie.

  • 28

    10

    Das Lied gliedert sich in vier Abschnitte: einen erzhlenden am Anfang (mit Zitat der Frage des Advokaten), einen, in dem die Dame spricht (si je gaigne ...") einen, in dem der Advokat antwortet (Quatre coups . ..") und einen, in dem der Schreiber zu Wort kommt.

    a) Versuchen Sie aus dem Ausdruckscharakter der Musik von Abschnitt 2 bis 4 Rckschlsse auf Charakter, Aussehen und Gehabe der jeweiligen Person zu zie hen (z. T. parodistische Darstellung!). b) Welche Funktion haben in diesem Lied Homophonie und Polyphonie im Vergleich

    zum vorigen Beispiel? c) Vergleichen Sie zwei verschiedene Interpretationen des Liedes.

    Das folgende Beispiel stammt aus dem Handschriftenbestand der Fugger (Augsburg, Beginn des 16. Jahrhunderts).

    r, -^\r -m

    fr-rrrrr" -r rrr r r n

    [Aus: Bicinien der Renaissance, hrsg. von Leopold Nowak. Kassel und Basel: Brenreiter 1950)

    1 lat. = Zwiegesang

  • 29

    Der Herausgeber des Neudrucks schreibt dazu: Es dari mit einiger Sicherheit angenommen werden, da es sich um eine fr Zwecke des instrumentalen Musizierens angelegte Sammlung handelt; ja man ge

    winnt beinahe den Eindruck, da der Schreiber sie gerade fr bungszwecke zu sammengestellt hat. Die Stcke sind ,auff alle Instrument dienstlich', knnen und sollen demnach je nach Stimmumfang und augenblicklicher Mglichkeit sowohl auf Blockflten als auch auf Streichinstrumenten gespielt werden ..."

  • 30

    Barock: Das Concerto grosso

    Bachs Widmung der Brandenburgischen Konzerte:

    Seiner Kniglichen Hoheit dem Gndigsten Herrn Christian Ludwig Markgrafen von Brandenburg usw. usw. usw.

    Gndigster Herr. Da ich vor ein paar Jahren kraft Ihres Befehls das Glck hatte, von Eurer Kniglichen Hoheit gehrt zu wer den, / und da ich damals bemerkte, da Sie einiges Vergngen hatte an den geringen Talenten, die der Him mel mir fr die Musik verliehen hat, / und da Eure Knigliche Hoheit bei der Verabschiedung geruhte mir die

    Ehre zu erweisen, mir zu befehlen, Ihr einige von mir komponierte Stcke zu senden, / habe ich mir deshalb, in Befolgung Ihres allergndigsten Befehls, die Freiheit genommen, meiner untertnigsten Verpflichtung ge genber dero Kniglichen Hoheit nachzukommen mit den vorliegenden Konzerten, die ich fr mehrerlei Instru

    mente eingerichtet habe, / wobei ich Sie untertnigst bitte, deren Unvollkommenheit nicht mit der Strenge des feinen und erlesenen Geschmacks, den Sie, wie alle Welt wei, in bezug auf Musikstcke hat, beurteilen zu

    wollen, / sondern vielmehr die groe Hochachtung und den untertnigsten Gehorsam, die ich Ihr damit zu be weisen suche, wohlwollend in Betracht zu ziehen. / Im brigen, mein Gndigster Herr, bitte ich Eure Knigli che Hoheit untertnigst, die Gte haben zu wollen, mir weiterhin wohl beigetan zu sein und berzeugt zu sein, / da mir nichts so sehr am Herzen liegt, als Verwendung finden zu knnen bei Gelegenheiten, die dem selben Person und Diensten wrdiger sind, /mir, der ich bin mit Eifer ohnegleichen

    Gndigster Herr Eurer Kniglichen Hoheit Coethen, den 24. Mrz untertnigster und gehorsamster Diener

    1721 Johann Sebastian Bach

  • 31

    Hren Sie den 1, Satz des Brandenburgischen Konzerts Nr. 2 F-Dur von Johann Se-bastian Bach. Welche Neuerungen zeigt das Klangbild dieser Barockmusik im Ver gleich zur vorausgegangenen Epoche?

    SZS 11

    Tromba in F

    rjp.

    Viola rip. Violone

    rip. Violoncello

    e Cembalo all1 unisono.

  • 32

    Com.

  • 33

  • 34

    Tr.

  • 35

  • 00

    Histor

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    Darste

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  • 37

    Johann Sebastian Bach, damals Hofkapellmeister in Kthen (Sachsen-Anhalt), widmete seine sechs Brandenburgischen Konzerte dem Markgrafen von Branden

    burg, der ihn um bersendung einiger seiner Kompositionen gebeten hatte. Bach benutzte das Widmungsschreiben gleichzeitig als Bewerbung um eine Anstellung im Dienst des Markgrafen, die er nie erhalten hat. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, da diese Konzerte von Bach speziell fr sein leistungsfhiges Orchester in Kthen geschrieben und deshalb fr das Orchester des Markgrafen kaum spielbar waren. Die Dedikation von Bach enthlt neben der Information ber Entstehung

    und Zweck der Konzerte auch Hinweise auf die Bedeutung der Musik und die Stel lung des Musikers im Barockzeitalter. Die Machtkonzentration in kirchlichen und hfischen Zentren bewirkte einen Stil wandel in der Musik. Neben der Kirche, in der zum Lob Gottes das Eingestndnis

    irdischer Vergnglichkeit erklang (Dreiigjhriger Krieg!), wurden verstrkt die H fe Trger der Musikpflege, die Musik selbst eine hfische Kunst. Es entwickelten sich Prunkformen, die wie die barocken Palste und Kuppelkirchen (Gegenrefor

    mation!) der Reprsentation absolutistischer Macht dienten. Diesem Bedrfnis ent sprach der italienische Stil, der sich durch ganz Europa, besonders in Gestalt von

    Konzert und Oper, durchsetzte. Die Musiker strebten nun in hfische Stellungen. Sie wurden an Amt und Auftrag gebundene, meist spezialisierte Berufsmusiker. Der reisende Gesangs- und Instrumentalvirtuose spielte im barocken Musikleben eine herausragende Rolle. Die Entstehung einer eigenstndigen Instrumentalmusik nach mehr als tausend Jahren abendlndischer Musikpflege ist ein Vorgang, dessen Bedeutung wir aus

    heutiger Sicht kaum abschtzen knnen. In der mehrchrigen Musik des Frhba rock (Venezianische Schule) wurden zur berbrckung der rumlichen Entfernung Singstimmen durch Instrumente untersttzt, spter einzelne Chre ganz durch In strumentalchre ersetzt, die sich in der folgenden Zeit verselbstndigten. Die vom Wort gelste Musik erklingt erstmals als abstrakte Kunst. Sie will mit ausschlielich

    klanglichen Mitteln Sinnzusammenhnge schaffen und den Menschen durch ein Spiel von Klangformen ansprechen.

    Inwiefern spiegelt sich die Entstehungsgeschichte der Instrumentalmusik im 1. Satz von Bachs Konzert wider? Zwei Herleitungen des Begriffs Concerto" sind mglich:

    concertare = bereinstimmen (mittellat.) bzw. Wettstreiten (klassisches Latein). Welche dieser beiden Bedeutungen erscheint Ihnen bei diesem Stck von J. S. Bach am passendsten?

    [> Das Streben nach Prunk, wovon auch die aufwendige Kleidermode, die Percken frisuren oder die mit fremdsprachlichen Vokabeln angereicherte Redeweise zeu gen, entldt sich musikalisch besonders in der ornamentenreichen Melodik und Klangflle des Konzerts. So charakterisiert es der Zeitgenosse Johann Mattheson in seinem Lehrwerk Der vollkommene Capellmeister" 1739:

    .. . die Wollust fhret in den Concerten. .. das Regiment. Auf die voltstndige Besetzung kmmt das meiste an, ja, man treibt sie bis zur Unmssigkeit, so da es

    einer reichen Tafel hnlich siehet, die nicht fr den Hunger, sondern zum Staat ge deckt ist."

  • 38

    Ein Grundelement des konzertanten Stils ist neben der ppigen melodisch-rhyth mischen Bewegung die Freude am Kontrast, vor allem in Klangdichte und Klang farbe.

    T. 1 23 28

    11

    Der Kontrast in der Klangdichte entsteht durch den Wechsel von Tutti- und Solo partien.

    Tutti, auch Concerto grosso oder Ripieno: chorisch besetzte Orchesterstimmen.

    Concerto grosso" bezeichnet darber hinaus auch ein ganzes Concerto, in dem eine groe und eine kleine Klanggruppe im Wechsel musizieren. Da in den Tutti-Abschnitten meist gleiche musikalische Elemente wiederkehren, werden sie auch Ritornelle" genannt. Solo, auch Concertino:

    wetteifernd hervortretende, solistisch besetzte Stimmen, an die zum Teil sehr hohe technische Anforderungen gestellt werden.

    bertragen Sie die obige Formskizze in Ihr Arbeitsheft und tragen Sie die Tutti- und Solostellen ein (mittlere Ebene).

    Verfolgen Sie das Wechselspiel der Klangfarben in den Takten 9 bis 22 (oberes Feld der Formskizze) und erklren Sie den Kunstgriff, den Bach verwendet hat, um den starken Farbkontrast der Soloinstrumente zu dmpfen. Welche Instrumente bilden das fortlaufende Fundament des Satzes (unteres Feld der

    Formskizze), den Basso continuo?

  • 39

    Chorgitter der Stiftskirche in Maria Einsiedeln (Schweiz) von B. Jakob Nussbaumer (1675-1685)

    Die harmonische Schluformel am Ende des ersten Ritornells (Takt 8) findet man mehrfach in diesem Satz, auf verschiedenen tonalen Ebenen:

    Besonders markant ist die Bastimme gestaltet. Prgen Sie sich die Bastimme von Takt 8 durch Mitsingen ein und versuchen Sie beim Anhren eines Ausschnitts aus dem Konzertsatz diese Babewegung wieder zufinden.

    Solche Formeln haben eine deutliche Schluwirkung; sie riegeln das Ritornell ge gen das folgende Solo ab, markieren klare Tonartenbezge und dienen somit der Gliederung und bersichtlichkeit der Musik.

    tZi 11

  • 4C

    Zur Wiederholung: Eine Akkordfolge kann musikalische Spannung (positiv oder negativ) er zeugen. Hierbei spielen Halbtonschritte, die als Leittne empfunden wer

    den, eine wesentliche Rolle. Die Bezeichnung Kadenz" weist auf dieses Spannungs-Geflle" hin. Der Dreiklang auf der 1. Stufe einer Tonart, der Tonika, ruft ein Gefhl der Ruhe, der Entspannung hervor. Die Dominante (V. Stufe), mit dem Leitton der Tonart, erzeugt hingegen Spannung, die durch Vorhalte oder Dissonanzen noch verschrft werden kann. Die Subdominante {IV. Stufe) hat in vielen Fllen eine von der Tonika abstoende Wirkung.

    IV

    bertragen Sie die folgende Grafik in Ihr Arbeitsheft. Bestimmen Sie die Akkordfolge der Schlukadenz des ersten Ritornells und vervoll stndigen Sie die Spannungskurve im folgenden Diagramm:

    +2

    +1

  • Im nachstehend abgedruckten Partiturausschnitt des Konzertsatzes bestimmt das Concertino das Geschehen. Der durchlaufende Ba enthlt eine weitere Schlu bzw. Kadenzformel in verschiedenen Tonarten:

    41

    Bestimmen Sie mit Hilfe der auftretenden Versetzungszeichen und der Zieltne der jeweiligen Bafigur die Tonarten, die in den Takten 59 bis 67 durchschritten werden.

    Vervollstndigen Sie das folgende Schema in Ihrem Arbeitsheft:

    Hinzutretende Versetzungs zeichen, Zielton/Tonart Takt

    Bamelodie

    Vergleichen Sie in dem folgenden Abschnitt Klangbild und Notentext. Was spielt das Cembalo? (Mit der linken Hand bernimmt der Cembalist die Bastimme) Der Komponist der Barockzeit ersparte sich in der Regel die Niederschrift einer Cembalobegleitstimme. Es war generell blich, die Begleitakkorde zwischen Bas-so-continuo-Stimme und Oberstimmenmelodie frei zu improvisieren, unter Beach tung von Ziffernhinweisen des Komponisten fr besondere Akkordverbindungen

    (bezifferter Ba, Generalba). Diese Praxis grndet in dem um 1600 vollzogenen Stilwandel: Der in der Renaissancemusik beachtete Gleichgewichtszustand zwi schen Linearitt und Akkordik (Polyphonie und Homophonie) hatte sich zugunsten der Akkordik verschoben. Die Mittelstimmen zwischen Melodie und Ba verkm merten zu bloen Fllstimmen, leicht ableitbar aus den Auenstimmen oder in Zif fern angedeutet. Die obligate, mit Ziffern versehene Bastimme, der Generalba, verlieh der gan zen Epoche, deren Musizierstil sie prgte, den Namen: Gerietaibazeitaiter, im

    musikhistorischen Rahmen identisch mit Barockzeitalter.

    12

  • 42

    ,

    Tr. [F>

    Fl.

    Ob.

    VI.

    H Via.

    V.

    Vcl. Cont.

    fe tcTeC'grff

    m

  • 43

  • 44

    Die wichtigsten Regeln des Generalbaspiels lassen sich in wenigen Stzen zu sammenfassen:

    - Im allgemeinen wird ein Dreiklang (Grundform) ber jedem Baton gespielt; hierzu ist keine Bezifferung erforderlich; die Lage (Umkehrungen) und Figura-tion wird dem Spieler berlassen. - Die Ziffern ber bzw. unter der Bastimme bezeichnen Akkordtne, die von die

    ser Norm abweichen:

    6 4+

    2

    13

    - Versetzungszeichen stehen nach der Ziffer, groe oder Weine leiterfremde Ter zen werden oft nur durch , b bzw. t) angezeigt.

    J. S. Bach hat im 1. Satz seines Concerto grosso nur an einer harmonisch beson ders komplizierten Stelle vor dem Schluritornell, in der sein Namenszug als klin gendes Autogramm" (vgl, auch Takt 50-53) erscheint, die Bastimme beziffert.

    Die dort in 8 gleiche Achtelnoten rhythmisch gegliederte Bastimme wird in der fol genden Zusammenstellung in ganzen Noten wiedergegeben:

    Zu ergnzende Akkordtne

    Bezifferter Ba

    6 4+ 2

    (ohne Bezifferung!)

    Ergnzen Sie mit Hilfe der oben genannten Regeln die fehlenden Akkorde in den Tak ten 108, 109 und 111.

    Der Partiturausschnitt Takt 58 ff. enthlt die Durchfhrung eines markanten The mas durch alle Solostimmen:

  • 45

    Nennen Sie die charakteristischen Erkennungsmerkmale dieses Themas und stellen Sie fest, wo das Thema bereits im ersten Partiturausschnitt, zu Beginn des Konzert satzes, auftritt. Welche Rolle spielt es dort?

    bertragen Sie die folgende Skizze in Ihr Arbeitsheft. Erlutern Sie anhand der Skizze den Concertino-Ausschnitt von Takt 60 bis Takt 67 und tragen Sie das Auftreten des bestimmenden Themas ein.

    J

    12

    Bach whlt hier fr die Durchfhrung des Themas die Form des Fugato: ein imita torisches berwechseln des Themas in die verschiedenen Stimmen. Die Form der Fuge, in der Barockmusik besonders beliebt und von J. S. Bach mit Meisterschaft gepflegt, wre gegeben, wenn sich eine solche imitatorische Anlage ber den gan zen Satz erstreckte und auch die Bastimme das Thema bernhme; auerdem wrden freiere Zwischenspiele die thematischen Abschnitte auflockernd unterbre

    chen. Fr den ganzen Satz des Konzerts ist jedoch das Erffnungsmotiv als rhythmische und melodische Keimzelle tonangebend; die zusammenwirkenden Instrumente koppeln das sich wiederholende Motiv oft mit verschiedenen Bewegungsfiguren

    (Rhythmen):

    p 'rrrrrrrrrrrrrrrr 'rrrrrrrrrrrrrrrr r ^^^^^^5 S^C3 C^C^CS ^^^^^3 ^^^^^^3 ^^^^^5 ^^^^^^3 ^^^^^^2 r r r r ir r r r r r r r P 7 P ^ P v

  • 46

    Das Klangergebnis kann die in der Barockmusik entstandene regelmige und fein abgestufte Akzentordnung des geraden Takts veranschaulichen.

    Welche der Tne in der Sechzehntel-Bewegungsform erscheinen am strksten, am zweit-, am drittstrksten usw. durch die brigen Stimmen untersttzt (akzentuiert)?

    Das gleiche Motiv lt sich in zweierlei Weise notieren:

    11 SZ

    Welche der beiden Notationen entspricht der Akzentgliederung des Taktes, welche der klanglichen Gliederung (Phrasierung, Soggetto)?

    Hren Sie den ganzen Konzertsatz und beachten Sie dabei das wechselnde Auftre ten von Erffnungsmotiv und Concertinothema sowie die hervortretenden unter

    schiedlichen Bewegungsformen.

    Erklren Sie an diesem Beispiel, warum der neuere Jazz und die Popmusik bevorzugt Stcke aus der Barockmusik fr ihre Arrangements und Adaptionen verwendet ha

    ben.

    Beispiel fr ein Generalbalied mit Instrumentalritornell, ein Zeugnis der brgerli chen Musikpflege im Barockzeitalter (Studentenmusik), ist das Rheinweinlied" von Adam Krieger. Zur Popularitt von Kriegers Liedern vermerkt Christian Weise 1692: Doch darf man alle guten Lieder nicht nennen, sonst lernen es die gemeinen Kerlen in allen

    Bauernschenken zu leicht, wie es den Kriegerschen Arien ergangen ist, welche man viel hher hielte, wenn nicht alle Sackpfeifer und Dorffiedler die herrlichen Me

    lodien zerlsterten und gemein machten."

  • 47

    Rheinweinlied

    r l.lSehtdodi.wie der Rheinwein tanzt

    Iwie er hin und wie - der ranzt xi demsdi-nen Gla - se, I undkreuditin die Na - se.

    f r , 0 vom Ge - ra-die bald

    dumm unddmsdimu wer - denl Nein, was hat er vor Ge-wa!t - bcr uns auf Er - denl

    2. Aus dem Magen in den Kopf springst du so behende als in einen hohlen Topf,

    klettersr an die Wnde und willst immer oben aus, madist ein soldies Lrmen, da bei uns das ganze Haus hebet an zu schwrmen.

    J. Nun, so tani, mein lieber Wein, tanz in deinem Glase,

    tanze, weil wir lustig sein, tanz auch In die Nase! Durch die Nase tanze fort,

    wo du hin kannst kommen, und so wird uns auf dein Wort alles Leid entnommen.

    Ritornell

    Vtol. II und III

    Mio nd

    J31

    Konlubrf'

    j j j. j> ..

    C i *p=r '6 4 3 Adam Krieger (1634-66)

  • 48

    Kennzeichen der Barockmusik: 1 Hfische Musikpflege als Element der Prunkentfaltung zum Zeichen

    absolutistischer Macht. Reprsentationsformen, z. B. Oper, Oratorium, Konzert. Berufsmusi ker, Virtuosentum.

    Entstehung einer eigenstndigen Instrumentalmusik. Konzertantes Prinzip: bewegtes Zusammenwirken und Wetteifern von Stimmen (vokal und instrumental).

    Form des Concerto grosso: Konzertieren von Instrumentengruppen, solistisch (Concertino) und chorisch (Orchester, Tutti). Polyphone Struktur: Geflecht selbstndig gefhrter Stimmen, zumin dest von Oberstimme und Basso continuo, oft imitatorisch (Fugato, Fu ge). Homophone Struktur: improvisatorisch gehandhabte Fllakkorde des Cembalos im Verein mit dem Basso continuo, notiert in Generalba schrift (bezifferter Ba).

    Das Erffnungsmotiv prgt melodisch und rhythmisch den gesamten Konzertsatz. Ritornelle des Tutti gliedern den Gesamtablauf. Die bestndige Wiederholung rhythmischer und melodischer Kleinmo tive (Motorik) fhrt zu einer festen Betonungsordnung und Akzentglie

    derung, zum Takt, Kadenzen dienen als charakteristische Schluwendungen zur forma len Gliederung und Abgrenzung klarer Tonartenbereiche {Dur- und Molltonarten).

  • 49

    Klassik: Die Sinfonie Der kulturhistorische Hintergrund im 18. Jahrhundert

  • 50

    Whrend seiner Studien an der Bonner Universitt machte sich Ludwig van Beethoven mit dem Gedankengut der Franzsischen Revolution vertraut, z. B. da

    die Wrde des Menschen . .. lter und grer sey, als das Vorurtheil der Geburt, und da chter Adel nur durch Gre des Geistes, und Gte des Herzens erlangt

    werde". Der folgende Ausspruch Beethovens, den er gegenber dem Frsten Lichnowsky geuert haben soll, zeigt seine republikanische Gesinnung: Frst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich. Frsten hat es

    und wird es noch tausende geben, Beethoven gibt es nur einen." Im Umkreis des Wiener Adels war ein solch selbstbewutes, undevotes Auftreten mglich; in der Wiener Gesellschaft verkehrten die verschiedenen Stnde relativ verstndnisvoll und freundschaftlich miteinander.

    Beethovens moralischer Idealismus spiegelt sich in den Worten: Wohltun, wo man kann, Freiheit ber alles lieben, Wahrheit nie, auch am Throne nicht verleug nen". Beethovens Einschtzung der Franzsischen Revolution und damit auch zu

    nchst Napoleon Bonapartes ist von diesem Idealismus geprgt. Ferdinand Ries, ein Schler Beethovens, schreibt in seinen Biographischen No tizen ber Beethoven" zur Sinfonie Nr. 3 Es-Dur (Eroica): Bei dieser Symphonie hatte Beethoven sich Bonaparte gedacht, aber diesen, als

    er noch erster Konsul war. Beethoven schtzte ihn damals auerordentlich hoch... Sowohl ich als mehrere seiner nheren Freunde haben diese Symphonie schn in Partitur abgeschrieben auf seinem Tische Hegen gesehen, wo ganz oben

    auf dem Titelblatte das Wort Bonaparte und ganz unten Luigi van Beethoven stand... Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Bonaparte habe sich zum Kaiser erklrt, worauf er in Wut geriet und ausrief: Ist er auch nicht anders

    wie ein gewhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Fen treten, nur seinem Ehrgeize hhnen; er wird sich nun hher wie alle anderen stel len, ein Tyrann werden!" Beethoven ging an den Tisch, fate das Titelblatt oben an, ri es ganz durch und warf es auf die Erde. Die erste Seite wurde neu geschrie ben, und nun erst erhielt die Symphonie den Titel Sinfonia eroica."

    Die Sinfonie^ wurde zur Charaktergattung der deutschen Instrumentalmusik (Sin fonie d'Allemagne"), Ein Vorlufer der klassischen Sinfonie ist die venezianische

    Sinfonia (italienische Opemouvertre) mit der Satzfolge schnell-langsam-schnell. Die Form der klassischen Sinfonie hat ihre Ausprgung bei Joseph Haydn erhal ten. Seit 1765 setzte sich bei ihm die Vierstzigkeit durch {zyklische Form); Kam

    mermusik, Solokonzert und Unterhaltungsmusik" (Serenade, Divertimento) zei gen Anlehnung an diesen formalen Aufbau (Solokonzert meist ohne Menuett):

    1. Satz (Hauptsatz): Allegro, dramatisch, Sonatensatzform 2. Satz: langsam, lyrisch,

    Liedform 3. Satz: Menuett, tnzerisch,

    Da-capo-Form 4. Satz (Finale): Allegro, gelst,

    Rondo- oder Sonatensatzform

    1 grisch. symphonla - bereinstimmung, Harmonie

  • 51

    Der Begriff Satz" erscheint im Sinfoniemodell in verschiedenen Bedeutungen: a) Satz innerhalb der zyklischen Form b) Satz innerhalb des Sonatenhauptsatzes

    (Exposition der Themen I und II als Hauptsatz und Seitensatz) c) Satz innerhalb der Periode

    (Vordersatz und Nachsatz in der Liedform) d) Satz als Zusammensetzung der Mehrstimmigkeit

    (homophoner und polyphoner Satz) Das homogene Klangbild des klassischen Sinfonieorchesters entspricht dem Klangideal der Epoche: Der vierstimmige Streichersatz ist chorisch besetzt; Holz-und Blechblser (Klarinetten und Hrner sind besonders charakteristisch) werden paarweise solistisch verwendet; hinzu kommen die Pauken in rhythmischer und harmonischer Funktion. Neben der Besetzung bestimmen genaue Artikulation, einheitlicher Strich und feinste dynamische Abstufung das Klangbild. Beethoven, der in seinen frhen Wiener Jahren Schler Joseph Haydns war, ber nahm von Haydn die klassischen Formtypen, die er dann im Lauf seines sinfoni schen Schaffens in genialer Weise variierte, erweiterte und fortentwickelte.

    \> Hren Sie die Exposition des 1. Satzes und beschreiben Sie, welche Elemente der Musik Sie besonders beeindrucken.

    1 fr Durionarten

  • ro

    Titelb

    latt d

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    sikf

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    Wie

    n)

  • 53

    2 Flauti

    2 0boi

    2 Clarinetti in B

    2 Fagotti

    Allegro con brio J = 60

    3 Corni in Es

    2 Trombe in Es

    Timpani in Es-B

    Violina

    Violina

    Viola

    Violoncello

    Contrabasso

    f

    S p

    S pcresc.

  • 54

    Fl.

    Ob.

    Cl.

    VI,

    Via.

    Vc. e Cb.

  • 55

    Fl.

    Ob.

    Bassi

  • 56

    ci.

    Cor. (Es)

    VI,

    Via.

    Vc. e Cb.

  • 57

    Fl.

    Ob.

    Cl.

    Fg.

    Cor. (Es)

    Tr. (Es]

    zu 3

    i ff zu 3

    VI.

    Via.

    Vc.

    Cb.

    P

    P

  • 58

    Der Inhalt dieser Exposition bildet die Grundlage fr groartige Steigerungen in Durchfhrung und Coda. Dabei spielt der Gegensatz von Haupt- und Seitenthema eine entscheidende Rolle:

    Hauptthema Seitenthema1

    Vl=. P Ob. Klar

    Rhythmus und Metrum

    Dreiermetrum volltaktig schwingend

    punktierter Rhythmus schwerer Auftakt synkopische Wirkung

    Harmonik und Tonalitt

    Tonika: Es-Dur (hufig als heroische" Tonart verwendet), schillernd durch Chro-

    matik; Hauptsatz schliet auf Doppeldomi nante: F-Dur (!)

    Das Seitenthema spannt sich von der Doppeldominante zur Dominante (B-Dur); akkord- und tonartfremde Tne, hufig auf betonten Taktteilen, erhhen die Spannung und beleben den Seitensatz Motivgestaltung

    2 Motive, aus dem Es-Dur- Dreiklang gebil det (Anklang an franzsische Revolutions musik!); 2 verschiedene Phrasierungen:

    n vgl.T. 1-3 vgl.T. 172 ff.

    1 Motiv, in 4 Klangfarben und 4 Gestalten: 3 abwrts gerichtete Tne, deren Intervalle

    immer grer und gespannter werden (Energie)

    Die in den Themen gestaute Energie drngt zur Entwicklung.

    11n einigen Analysen werden erst die Takte 83 ff. als Seitenthema angesehen.

  • .

    "

    Ansicht der Stadt Wien von der Josephstadt aus (Kolorierter Stich von C. Schtz, 1785. Historisches Museum der Stadt Wien) CD

  • 60

    Fg.

    Cor. (Es)

    I 2. 160

    I i f VI.

    Via.

    Vc. Cb.

    f jrp

    Bassi

    i ^^ 170

    Fl.

    Ob.

    Fg.

    Cor. (Es)

    VI.

    Via.

    Vc. Cb.

    P dolce

    Pdoice J dolce

    -0 0*

    m m M~-m 9 *

  • 61

    FL

    Ob.

    Fg.

    Cor. (Es)

    VI.

    Via.

    Vc. Cb.

    Fl.

    Ob.

    Cl.

    Fg.

    Cor. (Es)

    Tr. [Es]

    VI.

    Via.

    Vc. Cb.

  • 62

    14 a) Suchen Sie mit Hilfe des Klangbeispiels charakteristische Bestandteile des Haupt-

    und des Seitenthemas in den auf S. 60 f. abgedruckten zwei Partiturseiten aus der Durchfhrung. b) Welche Vernderungen im Vergleich zur oben angegebenen Charakteristik aus

    der Exposition knnen Sie feststellen?

    Die thematische Arbeit in der klassisch-romantischen Musik: Aus weni gem, aber spaltbarem und entwicklungsfhigem Material wird das Mgli che an Ausdruckswandlung herausgeholt durch Fortspinnung, Kombina tion, Entwicklung. Das Entwicklungsprinzip ist vor allem gekennzeichnet

    durch Verwandlung, Ballung, Steigerung, Erweiterung und Reduktion.

    15 Hren Sie die folgenden Sinfonieausschnitte und ordnen Sie die verschiedenen ge-nannten Entwicklungsmglichkeiten den Notenbeispielen zu:

    Tutti

    VI. f ,ff f if f fltf T. 109 r p i r r ff Klar., Fg.

    T. 178 ff

    T, 300 ff.

    T. 338 ff.

  • 63

    T. 373 ff.

    decresc. pizz.

    berleitung zur Reprise)

    Die Musik des Barock ahmte Affekttypen nach (einheitlicher Ausdruck eines Form teils), die Musik der Klassik dagegen spiegelt die in steter Wandlung begriffene

    menschliche Seele. Flieende musikalische bergnge in verwandte und abgelegene Tonarten (Mo dulationen) untersttzen diesen Eindruck seelischer Bewegtheit.

    B> In welchem der vorstehenden Beispiele kann man am deutlichsten eine Modulation erkennen? Bestimmen Sie Ausgangs- und Zieltonart sowie die Art des bergangs. Aus der Zusammenballung der musikalischen Energie im Durchfhrungsteil, die sich bis zu schneidenden Dissonanzakkorden steigert, entspringt ein neues The

    ma; im Vergleich zur Haupttonart gehrt es einem ganz entfernt liegenden Ton artenbereich an:

    T. 284 ff. i

    Hren Sie die Takte 280 ff. und bestimmen Sie aus dem Noten- und Klangbeispiel Tonart, Instrumentierung und Charakter des neuen Themas.

    In der Coda des Sinfoniesatzes tritt dieses zustzliche Thema als Ergebnis der thematischen Auseinandersetzungen deutlich fieben das Hauptthema, so da es nochmals einer lngeren Entwicklung bedarf, um die Idee des Hauptgedankens endgltig durchzusetzen. Dadurch entsteht gleichzeitig eine formale Ausgewogen heit zwischen wiederholter Exposition und Reprise mit Coda.

    l> Hren Sie den ganzen Sinfoniesatz und verfolgen Sie dabei die Skizze auf S. 64. Sie enthlt die wesentlichen Stationen des musikalischen Verlaufs, als Ergnzung z. B. auch zwei weitere thematische Gedanken (II b, II c), die dem Seitenthema II a verbun den sind.

    16

  • Takt

    Formverlauf des 1. Satzes in Beethovens 3. Sinfonie Exposition

    |1O9

    Wiederholung der Exposition

    Durchfhrung 152 166 178186 198

    Themenverarbeitu ng lla

    mit Kontra

    punkt

    I I

    C ccis d Modulationen

    220 236 24S 276 284 300

    lla Ma lla mit Fu- Stei- Hhe-Kon- ga- ge- pkt. u. tra- to rung Zus.-

    punkt bruch

    *~n-r tSE

    (Es) As f a

    Durch-fh-rungs-thema

    mit Erweiterung

    e a

    -n

    C c Es

    322 338 366 394

    Durch- I I fuh- Kanon

    rungs- Reduktion thema

    es Ces "B .Es

  • 65

    1. In der klassischen Musik deutet sich bereits der Gedanke des l'art pour l'art" an. Ihr Selbstzweck ist die Verkrperung reinster Mensch

    lichkeit. 2. Die Form wird zum Ausdruckstrger innerer Empfindunger; ihr Gehalt

    offenbart sich dem Hrer erst im selbstttigen Mitvollzug. 3. Die Melodie wird zum Hauptanliegen der Musik und orientiert sich am

    Volkslied. 4. Die meist achttaktige Periode, aus Volkslied und Volkstanz bernom

    men, gliedert den musikalischen Satz und ersetzt das motorische Prin zip des Barock: Sie setzt sich aus zwei- bis viertaktigen Motiven zu sammen. (Das Motiv, der kleinste entwicklungsfhige musikalische

    Baustein, ist in der Klassik durch feinste Ausdruckswerte und hchste Originalitt gekennzeichnet.) Der Vordersatz schliet mit einem Halb schlu (offen", meist Dominante), der Nachsatz mit einem Ganz schlu (Tonika). 5. Das Thema, eine aus mehreren Motiven gestaltete und entwickelte, in

    sich ausgewogene Einheit, zeigt hufig periodischen Aufbau; bei Beet hoven jedoch wird diese Klammer vielfach durchbrochen. 6. Die Durtonart wird jetzt zur bevorzugten Tonart; Dur- und Molldrei

    klnge bleiben die wichtigsten harmonischen Bauelemente; Kadenzen dienen in verstrktem Mae der Satzgliederung. Tonartenkontraste beleben die einzelnen Stze wie auch die Satzbe

    ziehungen innerhalb eines Formzyklus. Khne Modulationen verbin den die Tonarten.

  • 66

    Deutscher Tanz

    Joseph Haydn (1732-1809)

    Dieses Stck von Joseph Haydn ist ein Beispiel der klassischen, auf natrlicher" und volkstmlicher Grundhaltung beruhenden brgerlichen Instrumentalmusik. Es soll an dieser Stelle zur gemeinsamen Ausfhrung im Ensemble mit geeigneten In strumenten anregen.

    a) Inwiefern zeigt der Tanz durch die Gliederung seiner Melodie eine volkstmliche Anlage? b) Belegen Sie die Beziehung des Tanzes zur Volksmusik durch Untersuchung der

    Ba- und der Mittelstimme.

  • 67

    Romantik: Das Kunstlied

    In der Mitte des 19. Jahrhunderts hat neben anderen Formen (z. B. Oper und Mu sikdrama, sinfonische Dichtung, Charakterstck) vor allem das vom Klavier be gleitete Sololied groe Bedeutung gewonnen. Komponisten wie Franz Schubert,

    Robert Schumann, Johannes Brahms und Hugo Wolf haben sich dieser Gattung in reichem Mae gewidmet. Dieser Vorliebe kam ein groes Angebot an lyrischer Dichtung entgegen, die den

    Klang von Musik schon in sich trgt und zur Vertonung reizt. Joseph von Eichen-dorffs Romane und Erzhlungen z. B. enthalten viele Verse, die ausgesprochen

    als Lieder aus der Handlung hervorgehen.

    Das Lied Frhlingsfahrt" von Robert Schumann (1810-56) hat einen Text von Eichendorff:

    Die zwei Gesellen

    Es zogen zwei rstge Gesellen Zum erstenmal von Haus,

    So jubelnd recht in die hellen, Klingenden, singenden Wellen

    Des vollen Frhlings hinaus.

    Die strebten nach hohen Dingen, Die wollten, trotz Lust und Schmerz, Was Rechts in der Welt vollbringen,

    Und wem sie vorbergingen, Dem lachten Sinnen und Herz. -

    Der erste, der fand ein Liebchen, Die Schwieger kauft' Hof und Haus; Der wiegte gar bald ein Bbchen, Und sah aus heimlichem Stbchen

    Behaglich ins Feld hinaus.

    Dem zweiten sangen und logen Die tausend Stimmen im Grund, Verlockend' Sirenen, und zogen

    Ihn in der buhlenden Wogen Farbig klingenden Schlund.

    -Und wie er auftaucht' vom Schlnde, Da war er mde und alt, Sein Schifflein das lag im Grunde,

    So still wars rings in die Runde, Und ber die Wasser wehts kalt.

    Es singen und klingen die Wellen Des Frhlings wohl ber mir:

    Und seh ich so kecke Gesellen, Die Trnen im Auge mir schwellen -Ach Gott, fhr uns liebreich zu dir!

  • 68

    Frhlingsfahrt

    Frisch

    li hj lijil I Et zo-gen zwei rst'-ge Ge - sei - len zum er - sten-mal von Haus, Die streb-ten nach ho - hen Din - gen, die woll-ten, trotz Lust und Schmerz,

    .4 ju - belndredit in die hei Rechu in der Welt voll - brin len, in die tun - gen- den. sin-gen-den Wel gen, und wem sie vor - ii - her gin len des gen, dem

    m ^-^M^j fccfc P^ m

    vo]-len Frh-lings hin - aus._ ladi-ten Sin - nen und Herz.

    J>hhj rn.i [i ii , i Der Er-ste.derfand ein Lieb - dien, die idiwie - ger kauft' Hof und Haus, der

  • 69

    I -j n\r >jjj j^ wieg-teffar bald ein Bb - chen, und sah aus heim- li-d>em Stb - dien b

    Nach und nach li

    wmm hag-lidi ins Feld hin - aus. Dem Zwei - ten san -genund lo - gen die

    *#* #*#* tf ff ff ff f LfT

    I tau - ndStim-menim Grund. ver - lok-kend Si-re -nen.und zo gen ihn

    'ffff m t t f pp In die buh-len-den Wo een, in der Wo - gen far - bi-gen SAlund.1 Und

    ij\ , wie *r auttauditvomSttlun - de, da war er mti - de und alt.

    1 Schumann nderte den Originaltext.

  • 70

    J J ij. fi*i jj ^ Schiff-lein das lag im Grn - de, so still war's rings in der Run - de, und

    i WWW ffff JTJ m i r "T f r r

    J' - ber denWas-semwcht'E kalt. Es klin-eenundsin-gendie We! - len des

    'ffftft/

    Frh - Ilnftswohl -ber mir: und seh' ich so kek - ke Ge - sei - len. die

    rrrrrrrr mr n f f; p

    fl " i p ir Tr - nen im Au - ge mir sdiwel - len - adi Cott.fhr uns lieb-reich zu dir. ach

    f rrrrrrf *=$

    Gott, fllhrunslieb-reidizu dirl

    lsm^ V* j j t

    Schumann nderte den Originaltext.

  • 71

    Illustration von Ludwig Richter (180384)

  • 72

    a) Der Dichter whlt zur Veranschaulichung das Bild einer antiken Sage: Odysseus. Welche sinnbildliche Bedeutung hat diese berlieferung? b) Zeigen Sie Entsprechungen zwischen der Dichtersprache des 19. Jahrhunderts

    und folgenden Schlagworten des 20. Jahrhunderts: Selbstbestimmung - Sympathie - Ideale - Vergngen - Frustration - Risikobe reitschaft - gute Partie - Spiebrger - unter die Rder kommen - ausgeflippt

    - schwarz sehen. c) Was will der Titel Frhlingsfahrt" eigentlich sagen? d) Suchen Sie ein modernes Beispiel fr die zweite Art der aufgezeigten Lebens

    schicksale. Was besagen die Schlsselwrter sangen und logen"?

    Im Blick auf das 19, Jahrhundert stellen sich in Eichendorffs Gedicht we sentliche weltanschauliche Probleme und der Lebensstil der Romantik gleichnishaft anschaulich dar:

    1. Die geistige Einstellung der Romantik entstand aus der Abkehr der jungen Generation von berkommenen Lebensregeln. Anstelle von

    nchterner Rationalitt, wohlgefgter Ordnung, formvollendeter (klas sischer") Ausgewogenheit bekannte man sich zu subjektivem Engage ment mit Gefhl und Phantasie, zu freierer, sehr persnlicher Gestal tung, zu aufreizender Phantastik. 2. Im Streben nach gesteigertem emotionalem Erlebnis verloren sich die

    Grenzen zwischen realer und irrealer Welt, entflammte das Gefhl zur Leidenschaft, die Phantasie zur schweifenden, unerfllbaren Sehn sucht. 3. Der Widerspruch zwischen idealer Traumwelt der Phantasie und un-

    bewltigt harter Wirklichkeit konnte bei der emotionalen Sensibilitt und dem leidenschaftlichen Engagement zu Verzweiflung und persn lichen Katastrophen fhren, mindestens zu Resignation und Weltab kehr. 4. Ein harmloses Ausweichen ins gemtvolle, behagliche Genieen, ge

    tragen von brgerlicher Ordnung, war der Lebensstil des Biedermeier. 5. Als Sinnbild des unendlichen, frei und regellos Gewachsenen beein

    druckte die urwchsige, vom Menschen noch unkontrollierte Natur. Aus gleichem Grund erhielt das naiv-subjektive, ohne Kunstgesetze

    entstandene Volkslied idealen Wert. 6. Die Tiefen und Schattierungen persnlicher Stimmungen vermag

    Sprache nur unzureichend wiederzugeben. Das ideale, umfassende Ausdrucksmittel sah man in der Musik. Im Zusammenflieen aller Kn

    ste lie sich der Gefhlsreichtum des Romantikers am ehesten fassen.

    Schumann selbst ging den Lebensweg des zweiten Gesellen (romantisches Ge nie) in den Abgrund: Im krankhaften Verfolgungswahn wegen berreizter Nerven

    (engelhafte" Klangvorstellungen pflegten sich zunehmend in grauenhafte" Hallu zinationen zu verwandeln) strzte sich der 44jhrige in den eisigen Rhein, wurde zwar gerettet, starb aber zwei Jahre danach in geistiger Umnachtung.

  • 73

    Arnold Bcklin: Selbstbildnis mit Tod (1872)

  • 74

    17

    Belegen Sie die 6 zusammenfassenden Hinweise ber den Lebensstil der Romantik mit Aussagen des Eichendorff-Gedichts. Schumanns Lied setzt an wie ein Volkslied, bei dem die verschiedenen Textstrophen

    mit gleicher Musik erklingen. a) Welche Textstrophen in Schumanns Lied haben

    - die gleiche Melodie - eine leicht abweichende Melodie - eine andersartige Melodie? b) Versuchen Sie die verschiedenen Strophen mit Hilfe der Klavierbegleitung zu sin

    gen. Beachten Sie dabei neben den Vortragsbezeichnungen der Dynamik auch Schumanns mehrfache Tempoanweisungen - agogische" Differenzierungen,

    die den sinnvollen Textvortrag untersttzen.

    17 o

    Sowohl die Anlage der Gesamtform als auch zahlreiche Details stehen im Dienst der Textverdeutlichung und -veranschaulichung:

    a) Wie lt es sich aus dem Text begrnden, da Schumann bei seiner Liedverto nung z. T. Strophenform, z. T. Strophenvariation gewhlt hat?

    Unterscheiden Sie z. B.

    J.J

    b) Die Zwischenstrophen 4 und 5 entfernen sich nicht allzu weit von der Ausgangs melodie:

    i r J ju-jjJ^i r Es zo-gBn zwei rst-ge Ge - sei- len zum er-sten-mal von Haus

    Dem Zwei - ten San-gen und lo - gen die tausend Stim-men im Grund

    Wodurch wird der Komponist zu hnlicher Gestaltung beider Melodien veranlat? c) Suchen Sie in der Begleitung der Zwischenstrophen Beziehungen zur 1. Strophe.

    Welche Textaussage wird durch diese Anlage der Klavierbegleitung ausgemalt? d) Deuten Sie einen sinnvollen Zusammenhang zwischen Textaussage und Musik

    - in der 1. Liedzeile (Satzweise der Begleitung!) - am Beginn der 3. Strophe (variierte Satzweise der Begleitung!) - in den 4 Takten Klaviernachspiel (Nachklang der letzten Textzeilen!).

  • 75

    Vor allem durch die Mittel der Harmonik gewinnen die beiden Zwischenstrophen, die Kernstelle des Liedes, ihre faszinierende farbige" Wirkung. Takt 25 ist sozusa gen die Weichenstellung des geschilderten verhngnisvollen Lebensweges:

    24

    t ^

    25 SL

    [zur leichte ren Lesart im okta-vierten Vio

    linschlssel notiert]

    a) Untersuchen Sie den Begleitakkord des Taktes 25, Wie viele verschiedene Tne enthlt er? Was hat er mit dem Akkord von Takt 24 gemeinsam? b) Bilden Sie durch Umkehrung die regelmig aufgebaute Grundstellung" des

    Akkords von Takt 25. Mit Takt 24 schliet die 3. Strophe in F-Dur. Welche alterierte" (d. h. durch Vor zeichen vernderte) Akkordstufe von F-Dur stellt der Klang in Takt 25 dar? c) Verfolgen Sie den weiteren Verlauf der Harmonik ab Takt 25. Inwiefern kann man

    sagen, da der von geheimnisvollen Klngen Angelockte zgert, bevor er sich in ihr Reich hinabziehen lt"?

    Der besondere Reiz der Klnge von Takt 25 ab ist das Hervortreten von Dissonan zen, mit denen hier Schumann die Grenzen des zu seiner Zeit blichen ber schreitet:

    a) Welche beiden Tne im Akkord von Takt 25 reiben sich" als Dissonanz? b) Untersuchen Sie z. B. Takt 30 im Hinblick auf Dissonanzklang. c) Welcher Ton erzeugt in den Takten 51 und 53 der Schlustrophe Dissonanzspan

    nungen?

    Farbige" Harmonik entsteht durch zunehmende Einbeziehung tonartfremder Tne:

    [>> a) Welcher Tonschritt fhrt die Akkordtne von Takt 24 in die von Takt 25 (zugleich \^ eine Modulation in eine entfernte, durch viele Vorzeichen gekennzeichnete Ton

    art)? b) Wo in der Schlustrophe prgt dieser Tonschritt mehrfach die Singmelodie? c) Wo im Klaviernachspiel tritt dieser Tonschritt in einer Stimme mehrmals unmittel

    bar hintereinander auf?

  • 76

    Damit kommt die chromatische Tonleiter" als mitbestimmendes Tonsystem ins Spiel:

    TO II IIY Die Charakteristik des verlockenden Wegs in gefhrliche, existenzverzehrende Abenteuer" durch Chromatik und Dissonanzklnge lt uns heute an epochale

    Entwicklungen denken, die an der Wende zum 20Jahrhundert die romantische Musik selbst in atonale Klangexperimente aufzulsen begannen: Mehr und mehr durchsetzten alterierte Akkorde1 die musikalische Komposition; wo sie sich als dis sonante Spannungen nur verzgert oder gar nicht auflsten, stellten sie die tradi tionellen Tonarten in Frage, bis die Zwlftonmusik als eine Konsequenz dieses

    Prozesses die Bindung an die abendlndische Tonalitt vollends abstreifte. Schu mann freilich konnte diese Auswirkungen wohl kaum absehen. Im vorliegenden Sololied wurden viele Beziehungen zwischen musikalischer Struktur und Textgehalt im Klavierpart gefunden. Er ist also mehr als nur Beglei tung" im Dienst eines flligen Wohlklangs; der Pianist mu als gleichberechtigter

    Partner des Sngers angesehen werden.

    GT~% Hr> In den folgenden zwei Spalten sind links Beschreibungen der vorliegenden Lied-17 I i m U^ begleitung, rechts allgemeine Funktionen von Liedbegleitungen aufgefhrt. Ordnen

    Sie die allgemeinen Funktionen den einzelnen Beschreibungen zu und belegen Sie diese anhand von geeigneten Stellen des Notenbilds.

    1. Mehrstimmigkeit a) Besinnung statt Einstimmigkeit 2. Mitspielen der meisten b) Verklammerung unterschiedlicher

    Singstimmentne Teile 3. Zwischenspiele nach der c) Textausdeutung

    1. und 2. Strophe

    4. Auftreten des Liedbeginns d) Harmonische Klangflle in der 4. und 5. Strophe 5. Unterschiedliche Beglei- e) Gliederung

    tung der gleichen Melodie 6. Dissonantes Nachspiel 0 Untersttzung des Gesangsparis

    1 Drei- und Mehrklnge, bei denen einzelne Tne durch Versetzungszeichen chromatisch erhht oder erniedrigt werden; lat. alteratio = nderung

  • 77

    1. Das Kunstlied" (Sololied mit Klavierbegleitung) als eine typische mu sikalische Gattung der Romantik kennt die Strophenform wie das Volkslied, mehr noch das variierte Strophenlied, das frei durchkompo nierte Lied oder Mischformen. Die Wahl der Form hngt in der Regel vom Text ab. 2. Singstimme und Klavierbegleitung des romantischer Liedes deuten

    differenziert und sensibel den jeweiligen Text stimmungsvoll aus. 3. Rhythmik, Metrum, Melodik und Form der Singmelodie ergeben sich

    weitgehend aus der Anlage des Textes, z. B. seinem Versma, sei nem Stimmungsgehalt. 4. Zur ausdrucksvollen Textausdeutung dient vor allem der reiche Ak

    kordklang und die erweiterte Harmonik der romantischen Musik. Die ausgiebige Verwendung von Dissonanzen in Sept- und Nonenakkor-

    den sowie extreme Lagen des Klavierklangs spielen dabei eine wichti ge Rolle. 5. Zur erweiterten Harmonik fhrt vielfach die Einbeziehung von Chroma-

    tik, z. B. weitreichende Modulationen auf chromatischer Basis und Al terationen. 6. Die Klavierbegleitung entwickelt sich zum ebenbrtigen Partner der

    Singstimme und trgt wesentlich zur sinnvollen Interpretation des Tex tes bei, vor allem auch in Vor-, Zwischen- und Nachspielen. 7. Fr die Darstellung und Gestaltung gefhlvoller, subjektiver Erlebnisse

    sind die agogischen Freiheiten der romantischen Musik, auf die die verschiedenen Vortragsbezeichnungen hufig hinweisen, typisch.

    Vergleichen Sie anhand der obenstehenden Zusammenfassung das nachstehende Lied von Franz Schubert mit dem von Robert Schumann.

  • 78

    Der Wanderer Sehr langsam (J = es)

    ift Ich kom-me vom Ge-bir-ge

    her,

    mm

    >

    piiif

    es braust das Meer, es

    braust das

    Meer. Ich wand-le_ still, bkwe -nig froh,

    =*

    > J f ^

    r r rj-pi und

    im -

    mer fragt

    der Seuf -zer:

    wo? im

    -mer

    wo? Die

    m mm.

    J2HP

  • 79

    Son - ne dnkt mich hier so kalt, die BIG te welk, das Le - ben alt, und

    wm

    t HJ- J>r was sie re - den, lee - rer Schall,icb. bin ei Fremd-ling: - befall.

    Etwas geschwinder = eo)

    o bist du, wo bist du, mein ge-lieb > tesLand?

    jvu JT3j1 J-

    I O J IIS -sucht, ge-ahnt, und nie.

    j 0*. S Geschwind {J. =

    po ril. niy

    d& -kdnntl DasLandjdasLandso hoffnungsgrn, so hoffnungsgriin(

    1^

  • 80

    Land, wo mei -ne Ro -senbLhn/wo raei -ne Freiui-de wan-delndgehn, wo mei -ne To -ten

    1mm9-

    P

    1 i m auf -er-stehn, das Land, das mei -ne Spra -ehe spricht, o Land, wo

    7

    fp,

    Wie anfangs, sehr langsam

    hst Ich wandle still, bin we -mg froh,

    1 tttw-m I

    fe^" > und im -mer fragt der Seuf-zer: wo? im -mer wo? Im Geisterhauchti^t's

    mirzu-rck:,fDort,wodu nicht bist, dort ist das Glck !'

    Franz Schubert (1797-1828) Text: Schmidt von Lbeck (1766-1849)

  • 20. Jahrhundert: Stilisierte Tanzformen

    Igor Strawinskys Geschichte vom Soldaten" entstand im Jahr 1918. Der Erste Weltkrieg ging zu Ende und hinterlie Europa in Trmmern, nicht nur an den milit

    rischen Fronten, sondern vor allem auch im Hinblick auf die berkommenen Le bensordnungen: Monarchien (Ruland, Deutsches Reich, sterreich-Ungarn) bra chen in Revolution und Brgerkrieg zusammen. Das Brgertum sah ernchtert sei ne Ideale zerstrt. Verdrngte Probleme (die soziale Frage) traten an die Oberfl

    che;