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DAS THEMA häb 4/04 162 Vorfelddiagnostik 1: Anamnese und klinischer Befund Hinter der Klage eines Patienten über eine „allgemeine Schwäche“ können sich die verschiedensten Erkrankungen verbergen, bis hin zu einer Depression. Der Arzt muss klä- ren, ob wirklich eine signifikante Schwäche im Sinne einer Parese vorliegt. Dazu kann die Präzisierung der Anamnese dienen: Kommt der Patient morgens einfach nicht aus dem Bett oder hat er Mühe beim Trep- pensteigen? Muss er sich am Geländer hochziehen? Kann er nur mühsam vom Stuhl aufstehen? Hat die Patientin neuer- dings Mühe, ihre Wäsche aufzuhängen? Bei der Untersuchung sollte man gezielt die Kraft proximaler Muskelgruppen testen, da sich hier die meisten Myopathien manifes- tieren. Beurteilen Sie nicht nur den Hände- druck, sondern auch die Kraft bei der Vor- wärts- und Seitwärtselevation der Arme; bit- ten Sie den Patienten, sich aus tiefer Hocke zu erheben. Und prüfen Sie am liegenden Patienten, ob er den Kopf gegen kräftigen Widerstand von der Unterlage anheben kann, denn die Kopfbeugemuskeln sind bei vielen Myopathien frühzeitig beteiligt. Diagnostisch schwieriger zu bewerten als eine Muskelschwäche ist die Klage über Myalgien. Es beginnt damit, dass ein Patient oft schwer zwischen polytopen Ge- lenkschmerzen und eigentlichen Muskel- schmerzen unterscheiden kann. Hier hilft die klinische Untersuchung: Ist die Musku- latur druckdolent oder sind die „passiven“ (vom Untersucher ausgeführten) Gelenkbe- wegungen schmerzhaft? Myalgien können in Ruhe bestehen, so bei der bekannten Polymyalgia rheumatica: dumpfer Muskel- Spontanschmerz, oft Nachtschweiß; keine Paresen, EMG o. B., meist hohe BSG; patho- genetische Beziehung zur (Riesenzell-)Arte- riitis temporalis; gute Kortison-Responsivität. Bei anderen Patienten zeigen die Myalgien eine Belastungsabhängigkeit, gehen gele- gentlich sogar in – oft wenig schmerzhafte Krampi über: Hier besteht Verdacht auf eine metabolische Myopathie (s. u.). Einzu- räumen bleibt, dass die Ursache von Myal- gien auch nach Einsatz aller diagnostischen Methoden einschließlich der Muskelbiop- sie nicht selten ungeklärt bleibt; ob man dann gleich den psychosomatischen Fächer entfalten sollte ist umstritten. Vorfelddiagnostik 2: Kreatinkinase (CK) Bei einem erhöhten CK-Wert wird in aller Regel vom Labor die myokardiale CK (CK- MB) mitbestimmt. Ist die CK-MB erhöht ohne Hinweise auf eine Myokard-Erkran- kung muss unter Verdacht auf eine „Makro- CK“ eine Untersuchung der CK-Isoenzyme erfolgen. Ist eine Makro-CK ausgeschlos- sen, kann man davon ausgehen, dass der hohe CK-Wert der Skelettmuskulatur ent- stammt (CK-MM). Eine solche „Hyper-CK- Ämie“ hat eine große Bedeutung in der Vor- felddiagnostik von Myopathien, sie muss allerdings differenziert betrachtet werden: 1. Leichte CK-Erhöhung (bis etwa zum Dop- pelten der Normgrenze) sieht man nicht sel- ten auch bei „Gesunden“, bei Menschen, die über Jahre erhöhte CK-Werte bieten, aber keine Muskelkrankheit entwickeln. 2. Schwere Muskelarbeit kann die CK deut- lich erhöhen; so weiß man, dass ein Mus- kelgesunder in den ersten Tagen nach einem Grand-mal-Anfall CK-Werte von mehreren 1000 U/l bieten kann. 3. Neurogene Erkrankungen zeigen nicht selten eine leichte Erhöhung des CK-Wer- tes. 4. Eine normale CK schließt eine Myopathie keinesfalls aus. So kann die CK bei chroni- schen Myositiden normal sein, wenn sich die Erkrankung in einem Latenzstadium be- findet; ebenso bei metabolischer Myopa- thie, wenn eine provozierende Muskelbe- lastung nicht vorangegangen ist. 5. CK-Werte deutlich über 500 U/l sind da- gegen – sofern keine Maximalbelastung der Muskulatur (siehe unter 2.) vorangegangen ist – stets verdächtig auf Myopathie. 6. Extrem hohe CK-Werte (mehrere 10 0000 U/l) sind das Charakteristikum der Rhabdo- myolyse, einer großvolumigen Schädigung vom Muskelfasern. Ein Patient mit Rhabdo- myolyse ist in aller Regel sehr krank, die be- troffenen Muskelgruppen zeigen eine teigige Schwellung. Da neben der CK auch große Mengen von Myoglobin aus den Muskel- zellen freigesetzt werden, besteht die Ge- fahr einer Verstopfung der Nierentubuli mit konsekutivem akutem Nierenversagen. Die Muskelkrankheiten des Erwachsenenalters Symptomatik, moderne Diagnostik und Therapie Von Karl Christian Knop, Thorsten Rosenkranz und Peter Vogel Die Autoren arbeiten im Muskellabor der Neurologischen Abteilung des AK St. Georg Erkrankungen der Skelettmuskulatur sind keine alltägliche Erscheinung in der ärztlichen Praxis. Dieser Eindruck wird noch dadurch vertieft, dass zu selten an die Möglichkeit einer Myopathie gedacht wird. Vermutlich werden Muskel- krankheiten zu sehr mit einer Manifestation im Kindesalter assoziiert, als dass man an sie denkt, wenn die Krankheit erst im mittleren oder höheren Lebensal- ter in Erscheinung tritt. Dabei stellen die Symptome einer Muskelkrankheit eine besondere diagnostische Herausforderung dar. Kernsymptom ist meist die Mus- kelschwäche (Parese). Metabolische Myopathien präsentieren sich vorrangig mit spontan oder erst unter Belastung auftretenden Myalgien und/oder Krampi.

Muskelkrankheiten des Erwachsenenalters - asklepios.com58ae41ea-5a02-42cd-a205-e446469d7813... · Die noch geübte Bestimmung der Aldolase ist u.E. obsolet, da dieses Enzym weniger

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DAS THEMA

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Vorfelddiagnostik 1: Anamnese und klinischer BefundHinter der Klage eines Patienten über eine„allgemeine Schwäche“ können sich dieverschiedensten Erkrankungen verbergen, bishin zu einer Depression. Der Arzt muss klä-ren, ob wirklich eine signifikante Schwächeim Sinne einer Parese vorliegt. Dazu kanndie Präzisierung der Anamnese dienen:Kommt der Patient morgens einfach nichtaus dem Bett oder hat er Mühe beim Trep-pensteigen? Muss er sich am Geländerhochziehen? Kann er nur mühsam vomStuhl aufstehen? Hat die Patientin neuer-dings Mühe, ihre Wäsche aufzuhängen?

Bei der Untersuchung sollte man gezielt dieKraft proximaler Muskelgruppen testen, dasich hier die meisten Myopathien manifes-tieren. Beurteilen Sie nicht nur den Hände-druck, sondern auch die Kraft bei der Vor-wärts- und Seitwärtselevation der Arme; bit-ten Sie den Patienten, sich aus tiefer Hockezu erheben. Und prüfen Sie am liegendenPatienten, ob er den Kopf gegen kräftigenWiderstand von der Unterlage anhebenkann, denn die Kopfbeugemuskeln sind beivielen Myopathien frühzeitig beteiligt.

Diagnostisch schwieriger zu bewerten alseine Muskelschwäche ist die Klage überMyalgien. Es beginnt damit, dass ein Patient oft schwer zwischen polytopen Ge-lenkschmerzen und eigentlichen Muskel-schmerzen unterscheiden kann. Hier hilftdie klinische Untersuchung: Ist die Musku-latur druckdolent oder sind die „passiven“(vom Untersucher ausgeführten) Gelenkbe-wegungen schmerzhaft? Myalgien könnenin Ruhe bestehen, so bei der bekanntenPolymyalgia rheumatica: dumpfer Muskel-Spontanschmerz, oft Nachtschweiß; keineParesen, EMG o. B., meist hohe BSG; patho-genetische Beziehung zur (Riesenzell-)Arte-riitis temporalis; gute Kortison-Responsivität.

Bei anderen Patienten zeigen die Myalgieneine Belastungsabhängigkeit, gehen gele-gentlich sogar in – oft wenig schmerzhafte– Krampi über: Hier besteht Verdacht aufeine metabolische Myopathie (s. u.). Einzu-räumen bleibt, dass die Ursache von Myal-gien auch nach Einsatz aller diagnostischenMethoden einschließlich der Muskelbiop-sie nicht selten ungeklärt bleibt; ob mandann gleich den psychosomatischen Fächerentfalten sollte ist umstritten.

Vorfelddiagnostik 2: Kreatinkinase (CK)Bei einem erhöhten CK-Wert wird in allerRegel vom Labor die myokardiale CK (CK-MB) mitbestimmt. Ist die CK-MB erhöht

ohne Hinweise auf eine Myokard-Erkran-kung muss unter Verdacht auf eine „Makro-CK“ eine Untersuchung der CK-Isoenzymeerfolgen. Ist eine Makro-CK ausgeschlos-sen, kann man davon ausgehen, dass derhohe CK-Wert der Skelettmuskulatur ent-stammt (CK-MM). Eine solche „Hyper-CK-Ämie“ hat eine große Bedeutung in der Vor-felddiagnostik von Myopathien, sie mussallerdings differenziert betrachtet werden:

1. Leichte CK-Erhöhung (bis etwa zum Dop-pelten der Normgrenze) sieht man nicht sel-ten auch bei „Gesunden“, bei Menschen,die über Jahre erhöhte CK-Werte bieten,aber keine Muskelkrankheit entwickeln.

2. Schwere Muskelarbeit kann die CK deut-lich erhöhen; so weiß man, dass ein Mus-kelgesunder in den ersten Tagen nacheinem Grand-mal-Anfall CK-Werte vonmehreren 1000 U/l bieten kann.

3. Neurogene Erkrankungen zeigen nichtselten eine leichte Erhöhung des CK-Wer-tes.

4. Eine normale CK schließt eine Myopathiekeinesfalls aus. So kann die CK bei chroni-schen Myositiden normal sein, wenn sichdie Erkrankung in einem Latenzstadium be-findet; ebenso bei metabolischer Myopa-thie, wenn eine provozierende Muskelbe-lastung nicht vorangegangen ist.

5. CK-Werte deutlich über 500 U/l sind da-gegen – sofern keine Maximalbelastung derMuskulatur (siehe unter 2.) vorangegangenist – stets verdächtig auf Myopathie.

6. Extrem hohe CK-Werte (mehrere 10 0000U/l) sind das Charakteristikum der Rhabdo-myolyse, einer großvolumigen Schädigungvom Muskelfasern. Ein Patient mit Rhabdo-myolyse ist in aller Regel sehr krank, die be-troffenen Muskelgruppen zeigen eine teigigeSchwellung. Da neben der CK auch großeMengen von Myoglobin aus den Muskel-zellen freigesetzt werden, besteht die Ge-fahr einer Verstopfung der Nierentubuli mitkonsekutivem akutem Nierenversagen. Die

Muskelkrankheiten des Erwachsenenalters

Symptomatik, moderne Diagnostik und Therapie

Von Karl Christian Knop, Thorsten Rosenkranz und Peter Vogel

Die Autoren arbeiten im Muskellabor der Neurologischen Abteilung des AK St. Georg

Erkrankungen der Skelettmuskulatur sind keine alltägliche Erscheinung in derärztlichen Praxis. Dieser Eindruck wird noch dadurch vertieft, dass zu selten andie Möglichkeit einer Myopathie gedacht wird. Vermutlich werden Muskel-krankheiten zu sehr mit einer Manifestation im Kindesalter assoziiert, als dassman an sie denkt, wenn die Krankheit erst im mittleren oder höheren Lebensal-ter in Erscheinung tritt. Dabei stellen die Symptome einer Muskelkrankheit einebesondere diagnostische Herausforderung dar. Kernsymptom ist meist die Mus-kelschwäche (Parese). Metabolische Myopathien präsentieren sich vorrangig mitspontan oder erst unter Belastung auftretenden Myalgien und/oder Krampi.

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Abb. 1: Dermatomyositis, MAC-positive Kapillaren (Komplement C5b-9 Immunhistochemie)

Abb. 2: Dermatomyositis, perivaskuläres Infiltrat undperifaszikuläre Atrophie [Pfeile] (HE)

Abb. 3: Polymyositis, endomysiales Infiltrat mit Faserinvasion (HE)

Abb. 4: Polymyositis, CD8+ T-Zellen mit Faserinvasion[Pfeil] (CD8-Immunfluoreszenz)

Abb. 5: Inclusionbody Myositis, endomysiales Infiltrat,rimmed-vacuoles* (HE)

Abb. 6: Inclusionbody Myositis, Amyloidablagerung(Kongo-rot-Immunfluoreszenz)

Abb. 7: Saure-Maltase-Mangel, vakuoläre Myopathie,saure Phosphatase - positive lysosomale Vakuolen(Saure Phosphatase)

Abb. 8: Saure-Maltase-Mangel, Glykogenspeicherung, ausgrößeren Vakuolen ist das Glykogen teils herausgelöst (PAS)

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Ursachen einer Rhabdomyolyse sind viel-fältig (metabolisch, toxisch: siehe unten).Die noch geübte Bestimmung der Aldolaseist u. E. obsolet, da dieses Enzym wenigerspezifisch ist als die CK und keine zusätzli-che Information liefert.

Spezifische Diagnostik 1:ElektromyographieErgibt sich aus der oben genannten Kon-stellation der Verdacht auf Muskelerkran-kung, ist der (entscheidende) nächste Schrittdie elektromyographische Untersuchung.Diese sollte Neurologen mit besonderer Er-fahrung vorbehalten bleiben, da das Spek-trum elektromyographischer Veränderun-gen bei Myopathien außerordentlich breitist. Es reicht von unauffälligen über „klas-sisch-myogene“ Befunde bis zu Verände-rungen, die schwer gegen „neurogene“ ab-zugrenzen sind.

Spezifische Diagnostik 2: MyopathologieMittels Anamnese, klinischem und elektro-myographischem Befund ist nur bei weni-gen Patienten eine endgültige Diagnose zustellen; so bei• eindeutiger Familienanamnese, vor allembei den Muskeldystrophien• typischer Symptomkonstellation wie My-opathie plus Myotonie = Dystrophia myo-tonica.

In allen anderen Fällen konvergieren An-amnese, Klinik und EMG-Befund günstig-stenfalls auf die Syndrom-Diagnose „Myo-pathie“. Entscheidender Baustein für wei-tere artdiagnostische Zuordnung ist oft dermyopathologische Befund. Es muss eineMuskelbiopsie erfolgen. Dazu mit Hinblickauf die im eigenen myopathologischenLabor gemachten Erfahrungen folgende Be-merkungen:

• Von großer Bedeutung ist die Auswahl desrichtigen Biopsie-Muskels; er sollte klinischund elektromyographisch nicht zu leichtund nicht zu schwer betroffen sein, weilman sonst entweder einen schwer zu be-wertenden Grenzbefund zum Normalen zuerwarten hat oder eine terminale Gewebe-destruktion, die keine weiteren diagnosti-schen Aufschlüsse zulässt.Zu wählen ist am besten ein mittelschwerparetischer Muskel. Wenn symmetrischerBefall vorliegt; kann man den Muskel dereinen Seite elektromyographisch untersu-chen, den der anderen Seite biopsieren; dieBiopsie eines zuvor elektromyographischuntersuchten Muskels sollte wegen der Ge-

fahr einer „Nadel-Myositis“ unterbleiben.Als hilfreich bei der Auswahl des Biopsie-Muskels hat sich das MRT erwiesen, das inder T1-Wichtung Atrophie individuellerMuskeln und in der fettunterdrückten TIRM-Sequenz am Ort des pathologischen Ge-schehens Muskelödem aufzeigen kann.

• Die Biopsie, die – außer bei kleinen Kin-dern – stets in Lokalanästhesie erfolgenkann, sollte spezialisierten Chirurgen vor-behalten bleiben, die eine exakt an der Fas-zikelstruktur des Muskels orientierte Ent-nahme ohne – für den Myopathologen stö-rende – Quetschung des Muskelgewebesgarantieren.

• Das Gewebe muss schnell nach der Ent-nahme (Transportwege bis ca. eine Stundesind tolerabel) aufgeblockt und in Stickstoffgekühltem Methylbutan tiefgefroren wer-den. Direkt danach können Kryostat-Schnitte angefertigt werden.

1. Entzündliche Muskel-erkrankungen (Myositiden)Da durch Bakterien (Borrelien u. a.), Viren(HIV, Coxsackie, Influenza) oder Parasiten(Trichinen, Toxoplasmen, Zystizerken) her-vorgerufene Muskelentzündungen in unse-ren Breiten selten sind, sollen im Folgendendie nichterregerbedingten Myositiden dar-gestellt werden.

Idiopathische dysimmunogene Myositiden(Tab. 1) stellen die größte Gruppe der er-worbenen Myopathien im Erwachsenenal-ter dar: Dermatomyositis (DM), Polymyosi-tis (PM) und sporadische Einschlusskörper-chen-Myositis (englisch: sporadic inclusionbody myositis = sIBM). Letztere ist demNicht-Spezialisten sicher am wenigsten be-kannt, stellt aber die häufigste Myositis derzweiten Lebenshälfte dar.

Davon abzugrenzen sind entzündliche My-opathien bei Vaskulitiden, Overlap-Syndro-men wie dem Anti-Synthetase-Syndrom (Jo-1-Antikörper positive Myositis-Synovitis-Al-veolitis), bei rheumatoider Polyarthritis,Lupus Erythematodes oder Sklerodermiesowie beim hypereosinophilen Syndrom,aber auch die granulomatöse Myositis imRahmen einer Sarkoidose.

Pathogenetisch sind die herausgestelltendrei Myositiden heterogen. Während beider Polymyositis eine direkte Attacke von T-Lymphozyten gegen Muskelfasern gerichtetist, handelt es sich bei der Dermatomyositiseigentlich um eine Vaskulitis kleiner Mus-kel- (und Haut-)Gefäße. Bei der sIBM wirdin letzter Zeit zunehmend sogar an einerprimär entzündlichen Genese gezweifelt.

Klinisches Leitsymtom aller Myositiden sindParesen und Atrophien, während zusätzli-che, nennenswerte Schmerzen nur bei derDermatomyositis zu verzeichnen sind. EinPatient, der über Muskelschmerzen klagt,aber keine Paresen oder Atrophien aufweist,hat mit großer Wahrscheinlichkeit keinedieser Myositiden sondern eine metaboli-sche Myopathie (s. u.).

Bei der Dermatomyositis (DM) handelt essich um eine Muskelerkrankung, die sichmeist subakut, über Wochen mit gelegent-lich schmerzhaften Paresen der proximalenExtremitäten und des Gliedergürtels mani-festiert. Die Kreatinkinase kann normal,aber auch bis zu 50fach erhöht sein. Darü-ber hinaus können heliotrope Hautverän-derungen um die Lider und auf den Wan-gen, UV-Licht-sensitive Erytheme im De-colletee und Nagelwallveränderungen mitTeleangiektasien vorliegen. Einzig patho-gnomisch sind jedoch nur die selten zu fin-denden Gottron’schen Knötchen über denkleinen Fingergelenken. Eine Assoziationim Sinne eines paraneoplastischen Syn-droms mit zum Teil noch okkulten Tumor-erkrankungen kommt bei acht bis dreißigProzent der Patienten vor.

DM (Dermatomyositis) PM (Polymyositis) IBM (Einschlusskörperchen-Myositis)

Alter Kinder / Erwachsene Erwachsene > 50 Jahre

Dynamik akut → subakut akut → subakut chronisch → Jahre

Paresen proximal > distal proximal > distal Fingerbeuger, Quadriceps

Myalgien + (+) selten

CK N →100fach ↑ N → 100fach ↑ N → 10fach ↑

EMG Spontanaktivität, myogen Spontanaktivität, myogen Spontanakt., myogen, neurogen

Haut + nein nein

Herz + + nein

paraneoplastisch gelegentlich sehr selten nein

Tab. 1: Dysimmunogene Myositiden

DIE WICHTIGEN MUSKELKRANK-HEITEN DES ERWACHSENENALTERS

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DAS THEMA

Histologisch zeigen sich perivaskuläre lym-phozytäre Infiltrate, die sich im Perimysiumausbreiten, in denen sich zahlreiche CD 4+T-Zellen und B-Lymphozyten nachweisenlassen. Die Wände der kleinen Muskelgefäßekönnen verdickt, die Lumina gelegentlichauch thrombosiert sein, in den Muskelkapil-laren gelingt immunhistochemisch der Nach-weis des Komplement-vermittelten mem-brane-attack-complex (Abb. 1). Eindrücklich-ster Befund ist eine perifaszikuläre Atrophie,eine Degeneration der in der Faszikelperi-pherie gelegenen Muskelfasern; diese istFolge der Ischämie bzw. Hypoxie der so ge-nannten letzten Wiese des Muskelfaszikels(Abb. 2). Diese Veränderungen machendeutlich, dass es sich bei der DM eigentlichum eine Vaskulitis mit einem gegen die klei-nen Gefäße des Muskels und der Haut ge-richteten überwiegend humoralen entzünd-lichen Effektormechanismus handelt.

Die Polymyositis (PM) weist meist einenlangsameren Verlauf und seltener Schmer-zen auf, bietet jedoch ein ähnliches kli-nisch-neurologisch Bild wie die Dermato-myositis ohne Hautveränderungen, unter-scheidet sich aber histologisch eindrücklichvon der DM: Es imponieren endomysialelymphozytäre Infiltrate, die nichtnekroti-sche Muskelfasern invadieren (Abb. 3). Die-ses Charakteristikum definiert die Myositisund grenzt sie von anderen, mit Infiltrateneinhergehenden Myopathien wie Muskel-dystrophien oder nekrotisierenden Myopa-thien ab. Die Muskelfaserzerstörung erfolgtdurch einen direkt zellvermittelten, ent-zündlichen Effektormechanismus. Hierbeiwerden zytotoxische CD8+ T-Lymphozyten(Abb. 4) durch eine über den HLA-Haupt-histokompatibilitäts-Komplex 1 vermittelteAntigenpräsentation der Muskelzelle ange-lockt und durch weitere co-stimulierende Sig-nale aktiviert. Die Zytolyse wird unter ande-rem über „Perforin“ bewerkstelligt, welchesdie Muskelzellmembran perforiert. Der Ein-strom von Calcium und kolloid-osmoti-schen Substanzen bewirkt die Nekrose derMuskelfaser.

Die sporadische Einschlusskörperchen-My-ositis (sIBM) unterscheidet sich klinischdeutlich von der Dermato- und Polymyosi-tis. Die Patienten sind in der Regel über 50Jahre alt, und der Verlauf der Muskelschwä-che ist schleichend, zum Teil über Jahre. Au-genfällig ist die initiale Prädilektion der Pa-resen, die vor allem die langen Finger- undHandgelenksbeuger sowie die Quadriceps-muskulatur betrifft. Im Verlauf entwickeltsich bei vielen Patienten eine Dysphagie.Histologisch zeigt sich auf den ersten Blickdas Bild einer Polymyositis mit endomysia-len lymphozytären Infiltraten, die intakte,

nichtnekrotische Muskelfasern invadieren.Charakteristischerweise finden sich aller-dings in zahlreichen Muskelfasern basophilgesäumte Vakuolen, so genannte rimmedvacuoles (Abb. 5), die eine sIBM von einerPM abgrenzen. Da diese aber nicht spezi-fisch für eine sIBM sind, sondern auch beianderen Myopathien vorkommen, ist einweiteres der folgenden Kriterien für die his-tologische Diagnose der sIBM zu fordern:Der Nachweis von Amyloid (Abb. 6), vonhyperphosphorylierten Proteinen oder derelektronenoptische Nachweis intranukleä-rer oder intrazytoplasmatischer Einschlüssevon 15–18 nm Tubulofilamenten.

Während Dermato- und Polymyositis meistauf eine immunsuppressive Therapie mitGlukokortikoiden, Immunsuppressiva (Aza-thioprin, Methotrexat, Cyclosporin A, My-cofenolat-Mofetil, Cyclophosphamid) oderintravenöse Immunglobuline ansprechen,sind die Behandlungserfolge bei der sIBMenttäuschend. Aufgrund der Ähnlichkeit derentzündlichen Reaktion zur PM wird diesIBM zwar zu den dysimmunogenen Myositi-den gezählt, diskutiert wird aber zunehmendein primär degenerativer Pathomechanismuswie bei den hereditären Einschlusskörper-Myopathien. Hierfür spricht der Nachweisbestimmter alterierter intrazellulärer Proteine(β-Amyloid, β-Amyloid-Precursor-Protein,hyperphosphoryliertes Tau, Ubiquitin), diemöglicherweise zytotoxische Prozesse aus-lösen. Die Rolle dieser Proteine in der Pa-thogenese der sIBM ist jedoch noch unklar.

Das praktische Vorgehen in der Behandlungder DM und PM beinhaltet eine initiale The-rapie mit Prednison (etwa 1 mg/kg KG) übermindestens drei bis vier Wochen, bis es ent-weder zu einer klinischen Besserung (keinweiterer Progress oder sogar Rückbildungder Paresen) oder einem Rückgang der CKkommt. Dann kann eine vorsichtige wö-chentliche Reduktion der Prednisondosisüber etwa zehn Wochen unter Monitoringdes Befundes und der CK bis an oder unterdie Cushing-Schwelle erfolgen. Erneute kli-nische Verschlechterung bzw. schwere Ver-läufe mit kardialer oder extramuskulärerBeteiligung machen eine Therapieeskala-tion i. S. eines Einsatzes von Immunsup-pressiva erforderlich, wobei Imurek undMethotrext dabei Mittel der ersten Wahldarstellen (nota bene: bei Imurek mehrmo-natiges Intervall biszum Einsetzen einerimmunkompromit-tierenden Wirkung).Cyclophosphamidals Bolustherapienach dem Austin-Schema wird als Re-

serve-Medikament bei therapierefraktärenoder rasch rezidiverenden Verläufen einge-setzt. Alternativ kann bei der DM ein Be-handlungsversuch mit intravenösen Im-munglobulinen unternommen werden. Beider sIBM kann eine zeitlich begrenzte The-rapie mit Glukokortikoiden oder intravenö-sen Immunglobulinen versucht werden, daeinzelne Pat. hiervon profitieren können,ein Progress des langfristigen Krankheits-verlauf meist allerdings nicht aufzuhaltenist. Zudem lehnen die Krankenkassen unterHinweis auf die „Off-label-Konstellation“heute meist die Kostenübernahme für der-artige kostspielige Therapien ab.

2. Metabolische MyopathienAls „metabolische Myopathien“ werden dieGlykogenosen (Störungen der Glykolysesowie des hydrolytischen und lysosomalenGlykogenabbaus), die Lipidstoffwechselstö-rungen der Muskulatur (Fettsäuretransportin die Mitochondrien und Fettsäure-Oxida-tion) und die Störungen der oxidativenPhosphorylierung in der Atmungskette zu-sammengefasst.

Die wichtigsten Energieträger der Muskel-zelle sind Glukose bzw. dessen Speicher-stoff Glykogen und Fettsäuren. Defekte imMetabolismus dieser Substrate sowie derengemeinsamer Endstrecke, der oxidativenPhosphorylierung in den Mitochondrienführen unter Umständen zu einer patholo-gischen Speicherung von Glykogen und Li-piden in den Muskelfasern, vor allem aberzu einer reduzierten ATP-Synthese, der dar-aus resultierende Energiemangel zu denSymptomen der Muskelkrankheit. Werdenbei motorischer Ruhe in der Resorptions-phase vorwiegend freie Glukose und in derPostresorptionsphase überwiegend Fettsäu-ren oxidiert, so wird bei kurzzeitiger, inten-siver, maximaler muskulärer Belastung zu-nächst rasch verfügbares Kreatinphosphatund vor allem Glykogen verstoffwechselt.In Abhängigkeit von der Intensität der Mus-kelarbeit kommt es bald zur Erschöpfungder Glykogenspeicher in den Muskelzellen,während bei fortgesetzter submaximalerBelastung zunehmend Fettsäuren aus extra-muskulären Fettdepots zur Energiegewin-nung herangezogen werden, die schließlichdie Hauptenergiequelle darstellen (Grafik 1).

Grafik 1: Substrate des Energiestoffwechsels der Muskulatur bei Belastung

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Abb. 9: Carnitin-Mangel, feintropfige Lipidspeicherung(HE/Oil-red-O)

Abb. 11: Mitochondriale Myopathie, ragged-red-fibersund Cytochrom-C-Oxidase negative Muskelfasern* (Gomori-Trichrom/Cytochrom-C-Oxidase)

Abb. 12: nekrotisierende Myopathie, Fasernekrosen(HE/Saure-Phosphatase) Mitochondriale Myopathie,ragged-red-fibers und Cytochrom-C-Oxidase negativeMuskelfasern* (Gomori-Trichrom/Cytochrom-C-Oxidase)

Abb. 13: Muskeldystrophie Becker-Kiener (HE) Abb. 14: Muskeldystrophie Becker-Kiener: Stark reduzierte Dystrophin-Expression [links] und normaleKontrolle [rechts]. (Dystrophin-Immunhistochemie)

Abb. 15: Central-core-Myopathie (NADH) Abb. 16: Myofibrilläre Myopathie mit Speicherung vonDesmin, Spectrin und Amyloid. (Gomori-Trichrom/Desmin-Immunhistochemie/Spectrin-Immunhistoch./Kongo-rot, korrespondierende Färbungen im Uhrzeigersinn)

Abb. 10: CPT-Mangel, Rhabdomyolyse, nekrotischeMuskelfasern, NCAM-positive Fasern, als Ausdruckder Regeneration (HE/NCAM-Immunhistochemie)

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Hieraus wird ersichtlich, dass muskuläreGlykogenosen wie ein Phosphorylaseman-gel (McArdle) in Ruhe häufig keine Be-schwerden verursachen, während sichschon in der Frühphase muskulärer Arbeiteine Belastungsintoleranz mit Myalgien,Muskelsteifigkeit, Krampi oder Muskel-schwäche entwickelt, deren Symptomenach körperlicher Schonung, meist nachMinuten oder wenigen Stunden, abklingen.Insbesondere Patienten mit einem Phos-phorylasemangel beschreiben ein „Second-wind“-Phänomen bei fortgesetzter leichte-rer muskulärer Belastung mit Besserung derBeschwerden, da dann zunehmend Fettsäu-ren oxidiert werden, deren Stoffwechsel-weg nicht gestört ist. Demgegenüber deu-ten muskuläre Beschwerden, die erst nachmehrstündigen Dauerbelastungen auftretenauf eine Störung im muskulären Lipidstoff-wechsel wie bei einem Defekt der Carnitin-Palmityl-Transferase II.

Rezidivierende Rhabdomyolysen mit Ent-wicklung von Myoglobinurien und konse-kutiver akuter tubulärer Niereninsuffizienzkommen sowohl bei Störungen des Lipid-als auch des Kohlenhydratstoffwechsels vorund können durch körperliche Belastungoder bei Lipidstoffwechselstörungen auchdurch Fasten ausgelöst werden.

Der bei Verdacht auf metabolische Myopa-thie oft eingesetzte Laktat-Ischämie-Test birgtdie Gefahr der Provokation einer Rhabdo-myolyse, und seine Resultate sind – auch inder nichtischämischen Variante – nicht sel-ten schwer interpretierbar. Letztlich kommtihm bei der Entscheidung, ob eine Indika-tion zur Muskelbiopsie besteht, keine Be-deutung zu.

Während sich einige Glykogenosen bereitsin der frühen Kindheit, meist in Form einerMultisystemerkrankung mit Beteiligung derLeber, der Skelettmuskulatur, teilweise desHerzmuskels, der Niere, der Erythrozyten(Anämie) und des ZNS manifestieren, kön-nen sich adulte Formen durchaus erst imspäteren Erwachsenenalter bemerkbar ma-chen. Dabei handelt es sich meist um Ver-laufsformen mit vorwiegender Skelettmus-kelbeteiligung (Tab. 2). Hierbei lassen sich

Formen mit muskulärer Belastungsintole-ranz (Phosphorylasemangel, s. u.) von denenmit einer langsam progredienten Myopathiemit fixierten atrophen proximalen Paresen(Saure-Maltase-Mangel, s. u.) unterschei-den, wobei die letztere Glykogenose in ca.einem Drittel der Fälle eine Beteiligung derAtemhilfsmuskulatur mit früher respiratori-scher Insuffizienz aufweist.

Histologisch zeigen die Glykogenosen dasBild einer vakuolären Myopathie mit pa-thologischer Glykogenspeicherung. DieseVeränderungen sind am deutlichsten beimSaure-Maltase-Mangel, einer Störung deslysosomalen Glykogenabbaus. Hier findensich neben den Veränderungen eines chroni-schen myopathischen Prozesses vor allemeine über die gesamte Faser verteilte vaku-oläre lysosomale Glykogenspeicherung(Abb. 7, 8). Beim Phosphorylasemangel(McArdle) und Phosphofruktokinasemangelsind myopathische Veränderungen in derRegel gering ausgeprägt, es findet sich eineeher subsarkolemmale Glykogenspeiche-rung. Diese beiden Glykogenspeichermyo-pathien lassen sich bereits enzymhistoche-misch durch die fehlende Färbereaktion amKryostatschnitt identifizieren, während dieübrigen Glykogenosen nur mittels bioche-mischer und molekulargenetischer Unter-suchungen weiter einzuordnen sind.

Die Therapie von Glykogenspeichererkran-kungen ist zurzeit unbefriedigend, eine pro-teinreiche Diät kann in fast allen Fällenempfohlen werden. Beim Phosphorylase-mangel (McArdle) kann die Zufuhr vonGlukose, Fruktose oder Saccharose die Be-lastungsintoleranz bessern und die Gefahrvon Rhabdomyolysen senken. Therapiever-suche mit Vitamin B6 und Kreatin-Mono-phosphat können in Einzelfällen zu einerBesserung der Belastungsintoleranz beitra-gen, eine im Hinblick auf die Pathogenesesinnvoll erscheinende Erhöhung des Fett-säurespiegels ist als Langzeittherapie nichtpraktikabel.

Myopathien durch Störungen im muskulä-ren Lipidstoffwechsel entstehen bei Defek-ten des Fettsäuretransports vom Zytoplasmain die Mitochondrien, hervorgerufen durch

einen muskulären oder systemischen Carni-tinmangel (Carnitin ist ein Transportmole-kül, das Fettsäuren durch die Mitochon-drienmembran transportiert), durch einenMangel der Carnitin-Palmityl-Transferase-II(ein Enzym, welches zusammen mit ande-ren Enzymen den Transport von Fettsäure-Carnitin-Estern in die Mitochondrien kata-lysiert) und durch Defekte der FettsäureBeta-Oxidation in den Mitochondrien.

Patienten mit muskulärem Carnitinmangelbieten das Bild einer langsam progredien-ten Myopathie mit vorwiegend proximalenParesen, gelegentlicher Belastungsintole-ranz sowie in etwa 25 Prozent der Fälleauch eine Kardiomyopathie. Wegweisendist die Bestimmung des Carnitins im Mus-kelgewebe und Serum, Letzteres zur Ab-grenzung eines systemischen Carnitinman-gels. In der Muskelbiopsie imponiert dasBild einer vakuolären Myopathie mit starkerüber die gesamte Muskelfaser verteilterNeutralfettspeicherung vor allem in Typ-I-Fasern (Abb. 9). Das Ausmaß der sonstigenmyopathischen Veränderungen kann starkvariieren. Therapeutisch wird eine fettarmeund kohlenhydratreiche Diät mit häufigenkleinen Mahlzeiten sowie die Substitutionvon L-Carnitin empfohlen.

Patienten mit Carnitin-Palmityl-Transferase-II (CPT-II)-Mangel leiden unter rezidivieren-den Rabdomyolysen, teilweise induziertdurch Fasten, körperliche Anstrengung,Kälte oder Infekte; weiterhin unter Myal-gien, Muskelsteifigkeit und Muskelschwä-che nach lang anhaltender körperlicher Be-lastung. Im Gegensatz zum Carnitinmangelweisen Muskelbiopsien beim CPT-II-Man-gel in der Regel keine nennenswerte Lipid-speicherung auf, die myopathologischenVeränderungen sind meist gering ausge-prägt und diagnostisch unspezifisch. NachRabdomyolyse finden sich nekrotische undgeschwollene Fasern (Abb. 10). Die Dia-gnosestellung erfolgt durch biochemischeAnalyse der CPT-II-Aktivität im Muskel.Eine spezifische Therapie existiert nicht,muskuläre Beschwerden können durchkohlenhydratreiche Diät reduziert, provo-zierende Situationen (s. o.) müssen vermie-den werden.

Eine dritte Gruppe von Störungen im mus-kulären Lipidstoffwechsel sind Defekte derBeta-Oxidation der Fettsäuren in den Mito-chondrien. Hier werden Fettsäuren durchverschiedene, substratspezifische Aycl-CoA-Dehydrogenasen schrittweise zu Acetyl-CoA dehydriert, welches in den Zitratzykluseingeschleust wird, die entstehenden Re-duktions-Äquivalente (FADH2, NADH) wer-den in der Atmungskette zur Energiegewin-nung herangezogen. Pathogenetisch wer-

Belastungs- Rhabdo- Progredienteintoleranz Myalgien Krampi myolysen Paresen

Saure-Maltase-Mangel (II, Pompe) +

Debranching-Enzyme-Mangel (III, Forbes) + +

Brancher-Enzyme-Mangel (IV, Andersen) + (+) +

Phosphorylase-Mangel (V, McArdle) + + + +

Phosphofruktokinase-Mangel (VII, Tarui) + + + +

Phosphorylase-B-Kinase-Mangel (VIII) + + + +

Tab. 2: Muskuläre Leitsymptome der häufigeren Glykogenosen im Erwachsenenalter

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den ein Mangel an Kurzketten-, Mittelket-ten-, Langketten und multiplen Acyl-CoA-Dehydrogenasen unterschieden, am häufig-sten ist in Europa ein Defekt der Mittelket-ten-Acyl-CoA-Dehydrogenase (Inzidenz1:10 000). Die klinischen Symptome adul-ter Verlaufsformen ähneln denen des CPT-II-Mangels, frühkindliche Manifestationenweisen schwere Verläufe mit Leber, Herzund ZNS-Beteiligung auf. Histologisch fin-det sich meist eine unterschiedlich ausge-prägte Lipidspeicherung in Muskelfasern,biochemisch ist der muskuläre und Leber-carnitingehalt sekundär vermindert, die Di-agnose eines Beta-Oxidationsdefektes ge-lingt durch Bestimmung der Metabolite imSerum in der Tandem-Massenspektrometrie.Therapeutisch ist kohlenhydratreiche, fett-arme Diät mit häufigen Mahlzeiten zu emp-fehlen, die Substitution mit Carnitin kannversucht werden.

Mitochondriale Myopathien im engerenSinne werden verursacht durch Defekte derfünf Komplexe der Atmungskette und füh-ren zu gravierenden Funktionsstörungen deroxidativen Phosphorylierung (OXPHOS).Ursache ist eine Vielzahl verschiedener Mutationen der mitochondrialen DNA(mtDNA), die sehr viel häufiger mutiert alsnukleäre DNA. Neben einem maternalengibt es auch autosomale Erbgänge, da eineVielzahl von Untereinheiten der Atmungs-kette nukleär kodiert wird. Mutierte undnichtmutierte mtDNA können nebeneinan-der in einem Mitochondrium oder in einerZelle vorkommen (Heteroplasmie). Erstwenn der Gehalt mutierter mtDNA einenorganspezifischen Schwellenwert über-schreitet, kommt es zu Funktionsstörungender Zelle und damit zu Krankheitssympto-men. Durch eine Vermehrung von Mito-chondrien in der Zelle können Funktions-störungen zunächst kompensiert werden.

Das klinische Bild mitochondrialer Erkran-kungen ist heterogen. Überlappungen mito-chondrialer Syndrome sind häufig. Darüberhinaus weisen ähnliche Phänotypen häufigunterschiedliche Mutationen (Deletionen,Punktmutationen) der mtDNA oder nukleä-rer DNA auf. Typisches Beispiel einer mito-chondrialen Enzephalomyopathie ist diechronisch progrediente externe Ophthal-moplegie (CPEO). Zu dieser können wei-tere muskuläre und extramuskuläre Symp-tome hinzutreten (Tab. 3, 4).

Die Diagnostik richtet sich nach den klini-schen Leitsymptomen, sollte aber eine Be-stimmung des Serumlaktats (bei ca. derHälfte der Patienten erhöht), ggf. auch desLiquorlaktats (bei etwa einem Drittel der Pa-tienten erhöht) mit einschließen. Bei Hin-weisen auf Belastungsintoleranz oder Myo-

pathie kann der standardisierte Laktat-Schwellenwert-Belastungstest mit Bestim-mung von Laktat und Pyruvat hilfreich sein.

Die Muskelbiopsie kann auch bei Pat. mitvorwiegend extramuskulärer Manifestationmitochondriale Auffälligkeiten zeigen. Cha-rakteristisches Merkmal einer mitochondri-alen Myopathie sind so genannte raggedred fibers, degenerierende Muskelfasern mitdeutlich vermehrten Mitochondrienkonglo-meraten und zerrissen oder fragmentiert er-scheinender myofibrillärer Binnenstruktur.In den enzymhistochemischen Färbungenweisen „ragged red fibers“ sowie nicht dege-nerierte Muskelfasern häufig eine Vermin-derung der mitochondrialen Cytochrom-C-Oxidase auf (Abb. 11). Elektronenoptischfinden sich abnorme Mitochondrien mitCrista-Proliferationen oder parakristallinenEinschlüssen. Die Diagnostik des tiefgefro-renen Muskelgewebes beinhaltet die bio-chemische Untersuchung der Aktivität derverschiedenen Enyzmkomplexe der OXPHOSsowie die molekulargenetische Untersu-chung in speziell erfahrenen Labors zur Ein-ordnung des mitochondrialen Genotyps.Molekulargenetische Untersuchung ausLeukozyten ist möglich, aufgrund derHeteroplasmie kann in diesen Zellen abernur ein geringer Anteil mutierter mtDNAvorliegen, sodass mtDNA aus klinisch be-troffenen Organen wie z. B. Muskelgewebeuntersucht werden muss.

Eine kausale Therapie ist bislang nicht be-kannt, je nach vorliegendem Defekt derOXPHOS kann eine Substitution mit Coen-

zym Q, Vitamin C und K oder Riboflavinversucht werden. Bei sekundärem Carnitin-mangel kann eine Substitution mit L-Carni-tin erfolgen. Supplementation mit Kreatin-Monophosphat kann in Einzelfällen die Be-lastungsintoleranz bessern.

3. Endokrine und exogen-toxische MyopathienDer Muskelstoffwechsel, insbesondere derKohlenhydratstoffwechsel, die Synthese undDegradation von Proteinen sowie die Elek-trolytkonzentrationen werden wesentlichdurch Hormone reguliert, sodass endokrineErkrankungen zu Myopathien führen kön-nen. Diese finden sich bei Schilddrüsen-und Nebenschilddrüsenfunktionsstörungen,bei hypophysärer Akromegalie und Hypo-pituitarismus, beim primären Hyperaldo-steronismus (Conn-Syndrom), beim M. Ad-dison sowie beim Hyperkortizismus. Kli-nisch bestehen meist proximale Paresenoder generalisierte Muskelschwäche sowierasche Ermüdbarkeit. Die Therapie der endo-krinen Störung ist zugleich die Therapie derMyopathie. Wegen ihrer Häufigkeit werdenMyopathien bei Hyper- und Hypothyreoseund die Steroidmyopathie besonders her-vorgehoben.

Bei der thyreotoxischen Myopathie findensich klinisch proximale Paresen, teilweisemit Atrophien und Myalgien. Während dieCK meist in der Norm liegt, weist das EMGhäufig myogene Veränderungen auf. Ur-

Organ / Erkrankung Symptome

Chronisch Externe OphthalmoPlegie (CPEO) Ptosis, Bulbusmotilitässtörung

Myopathie Paresen, Atrophien, Mylagien, Belastungsintoleranz

Neuropathie Paresen, Atrophien, sensible Störungen, abgeschwächte Reflexe

Enzephalopathie fokale + extrapyramidale Symptome, Ataxie, Anfälle, Demenz

Retinitis pigmentosa, Optikusatrophie Visusminderung

Gehör sensoneurale Schwerhörigkeit

Kardiomyopathie Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz

Endokrine Organe Diabetes mellitus, Hypogonadismus

Syndrom Zusätzliche SymptomeCPEO Belastungsintoleranz, Myopathie, Kleinwuchs, Laktatazidose, Ataxie,Kearns- Sayre- Syndrom Demenz, Hypakusis, Retinopathie, Neuropathie, Reizleitungsstörun-

gen, endokrine Störungen, sideroblastische Anämie.

MELAS Mitochondriale Enzephalopathie, CPEO, Myopathie, Kardiomyopathie, Ataxie, Demenz, Hypakusis, Laktatazidose, „stroke-like-episodes“ endokrine Störungen.

MERRF Myoklonus Epilepsie, Ataxie, Demenz, Pyramidenbahnzeichen, Myopathie, Neuropathie,Ragged-Red-Fibers Hypakusis

MNGIE Myo-,Neuro-,Gastrointestinale CPEO, Myopathie, NeuropathieEncephalopathie

Tab. 3: Manifestationen mitochondrialer Enzephalomyopathien

Tab. 4: Mitochondriale Syndrome mit Muskelbeteiligung (Auswahl)

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sächlich ist eine diffuse Alteration des Kre-atin-, Kohlenhydrat-, und mitochondrialenEnergiestoffwechsel mit Abnahme von ATPund intrazellulärem Kalium sowie Steige-rung der Proteolyse. Myopathologische Ver-änderungen fehlen in der Hälfte der Fälleund sind unspezifisch, geprägt durch Atro-phien beider Fasertypen, Faserdegenerate,fokalen Akkumulationen von PAS-positi-vem Material sowie Aktivitätssteigerungoxidativer Enzyme. Episodische Lähmungen,die phänomänologisch denen der hypokali-ämischen Lähmungen gleichen und durchstarke körperliche Anstrengung, kohlenhy-drat- und salzreiche Mahlzeiten ausgelöstwerden können, sind weitere Manifestationim Rahmen einer Hyperthyreose.

Bei der Myopathie bei Hypothyreose im Er-wachsenenalter finden sich ebenfalls vor-wiegend proximale Paresen, häufig verbun-den mit Myalgien und Krampi als Folgeeiner verzögerten Kontraktion und Relaxa-tion. Eine kardiale und Zwerchfellbeteili-gung kommt vor. Die CK ist häufig leicht er-höht. Wie bei der hyperthyreoten Myopa-thie können histologische Veränderungen inder Muskelbiopsie fehlen oder nur geringausgeprägt sein. Gelegentlich finden sich Va-kuolen oder vermehrt zentralständige Kerne.

Die Steroidmyopathie, als Folge einer ge-steigerten endogenen Cortisolsekretion oderdurch die länger andauernde Behandlungmit Glukokortikoiden (> 4 Wochen) mani-festiert sich vor allem mit Paresen in Be-ckengürtelmuskeln und ist verbunden miteiner raschen Ermüdbarkeit und gelegent-lichen Myalgien. Ursächlich ist eine gestei-gerte Proteindegradation und verminderteProteinbiosynthese als Folge der katabolenWirkung der Glukokortikoide. Der charak-teristische myopathologische Befund ist vorallem eine überwiegend selektive Atrophievon Typ-II-Fasern, während myopathischeVeränderungen in der Regel nur gering aus-geprägt sind oder ganz fehlen.

Exogen-toxische Myopathien können durcheine Vielzahl myotoxischer Substanzen(Medikamente, Alkohol, Drogen) ausgelöstwerden. Das Erscheinungsbild ist heterogenund reicht von der akuten Rhabdomyolyse(Myoglobinurie) über subakute oder chro-nisch verlaufende proximale Myopathien,isolierte Myalgien oder Krampi bis zuasymptomatischen CK-Erhöhungen. Auchmyotone und myasthene Syndrome kom-men vor. Bei entsprechender Dispositiondes Patienten kann durch Inhalationsnarko-tika und depolarisierende Muskelrelaxan-tien eine lebensbedrohliche maligneHyperthermie ausgelöst werden.

Histologische Befunde sind sehr variabel.So kann sich durch D-Penicillamin oderProcainamid eine entzündliche Myopathieund durch Ziduvudin (AZT) eine mitochon-driale Myopathie mit „ragged red fibers“entwickeln. Eine Vielzahl von Medikamen-ten (insbesondere Cholesterin-Synthese-Hemmer und Fibrate, aber auch Drogenund Alkoholexzesse) führt zur einer nekro-tisierenden Myopathie, welche die häufig-ste Manifestation einer exogen-toxischenMyopathie darstellt. Der histologische Be-fund ist durch zahlreiche nekrotische Mus-kelfasern mit und ohne Abräumreaktionund de- und regeneriende Muskelfasern ge-prägt (Abb.12). Vakuoläre Myopathien fin-den sich unter Behandlungen mit Colchi-cin, Vincristin, Chloroquin oder Amiodaron.

4. MuskeldystrophienHierbei handelt es sich um hereditär be-dingte, degenerative Muskelerkrankungen.Klinisch sind sie durch chronisch voran-schreitende, meist symmetrische Paresengekennzeichnet. Neben einer Atrophie derbetroffenen Muskelgruppen finden sichauch häufig „Pseudohypertrophien“ vonMuskeln, z. B. der Waden. Entscheidend fürdie Zuordnung einer Erkrankung zurGruppe der Dystrophien ist der myopatho-logische Nachweis eines „dystrophen Ge-webssyndroms“: Viele Muskelfasern sindatroph oder weisen Zeichen der Degenera-tion auf wie Spalt- und Vakuolenbildung,Vermehrung zentralerKerne, Auflösung dermyofibrillären Struktu-ren bis zu Nekroseneinzelner Muskelfa-sern. Daneben findensich auch hypertropheMuskelfasern (Abb.13), und es kommt zuzunehmender Vermeh-rung des interstitiellenBinde- und Fettgewe-bes. Diese ist es, dieschließlich für den kli-nischen Eindruck einerPseudohypertrophieparetischer Muskelnverantwortlich ist.

Bisher war es üblich,die einzelnen Formender Muskeldystrophiennach Manifestationsal-ter, Erbgang und klini-schem Befallsmusterzu klassifizieren. Ins-besondere die metho-

dischen Fortschritte auf dem Gebiet der Im-munhistochemie, Proteinanalytik und Mo-lekulargenetik haben in den letzten 15 bis20 Jahren dazu geführt, dass bei vielenKrankheiten die zu Grunde liegenden Gen-defekte aufgeklärt wurden. Die von denmutierten Genen kodierten Proteine sindmeist wesentliche Bestandteile der Mem-bran oder des Zytoskeletts der Muskelzellenoder bedeutsam für das Funktionieren ihreskontraktilen Apparats (Grafik 2). Diese neu-eren Erkenntnisse haben zu einer zuneh-mend ätiopathogenetischen Ausrichtungder Klassifikation geführt. Einige der früherals eigenständige Erkrankungen aufgefassteFormen mit ganz unterschiedlichem Be-fallsmuster und Verlauf konnten als alleleErkrankungen erkannt und auf Veränderun-gen im gleichen Gen zurückgeführt wer-den. Wenn es sich um Proteine handelt, dieauch von Herzmuskelzellen exprimiert undbenötigt werden, sind kardiale Symptomeim Verlauf der Erkrankung möglich.

4 a. Dystrophinopathien (x-chromo-somal vererbte Muskeldystrophienvom Gliedergürteltyp)

Diesen Erkrankungen liegt eine Verände-rung im Dystrophin-Gen auf dem kurzenArm des x-Chromosoms zu Grunde. DasDystrophin ist ein zentraler Bestandteil desDystrophin-Glykoprotein-Komplexes in derMembran der Muskelzellen (Graphik 2).Führt die Mutation zu einem komplettenoder sehr hochgradigen Ausfall des Dystro-

Grafik 2: Der Dystrophin-Glykoprotein-Komplex an der Membrander Muskelfaser (Sarkolemm) verbindet die extrazelluläre Matrix mitdem Zytoskelett und den Myofilamenten (Actin, Myosin). Ein Mangeleinzelner Komponenten des DGK oder anderer aufgezeigter Proteineliegt vielen Formen der Muskeldystrophien zu Grunde.

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phins, entwickelt sich die in frühem Kindes-alter manifest werdende und schwer ver-laufende Muskeldystrophie vom Typ Du-chenne. Wenn die Veränderung im Dys-trophin-Gen zu einem nur teilweise inseiner Funktion beeinträchtigtem Dystrop-hin führt, verläuft die Erkrankung als Mus-keldystrophie vom Typ Becker-Kiener viellangsamer: Das Manifestationsalter liegt umdas 10. Lebensjahr und die meisten Patien-ten bleiben bis weit ins Erwachsenenalterhinein gehfähig.

Inzwischen sind Veränderungen im Dys-trophin-Gen bekannt, die sich klinisch nurin belastungsabhängigen Myalgien undKrampi, in asymptomatischen CK-Erhöhun-gen oder isolierten Kardiomyopathien ma-nifestieren. Auch ca. zehn Prozent derweiblichen Konduktorinnen einer Mutationim Dystrophin-Gen weisen meist mildereund erst im Erwachsenenalter auftretendeSymptome einer Muskeldystrophie auf.

Die Diagnose einer Dystrophinopathie ba-siert auf dem myopathologischen Befundeines dystrophen Gewebssyndroms mitFehlen oder Reduktion des Dystrophins(Abb. 14) und dem Nachweis einer Dys-trophin-Verminderung und -Verkürzung imWestern-Blot. Im Zweifelsfalle ist die Dia-gnose zu sichern durch den Nachweis einerMutation im Dystrophin-Gen, wozu aller-dings eine sehr aufwändige Sequenzierunggrößerer Teile des Gens erforderlich ist.

4 b. Autosomal vererbte Muskel-dystrophien vom Gliedergürteltyp (limbgirdle muscular dystrophy, LGMD)

Hierbei handelt es sich um eine sehr hetero-gene Gruppe von Erkrankungen. Wie beiden Dystrophinopathien sind auch bei denLGMD proximale Paresen das führendeSymptom. Es kommt zu Ganginstabilität,Schwierigkeiten beim Treppensteigen undAufrichten aus der Hocke und zu Hyperlor-dose. Manifestationsalter, Progredienz undmögliche kardiale Mitbeteiligung variierenstark unter den einzelnen Erkrankungen.

Die neue Klassifikation bezeichnet mitLGMD1 die autosomal-dominant und mitLGMD2 die autosomal-rezessiv erblichenFormen (Tab. 5). Die autosomal-dominan-ten Erkrankungen sind viel seltener und ver-laufen meist gutartiger als die autosomal-re-zessiven Formen. Herzbeteiligung ist beiLGMD1B, 1D und 2G und bei Sarkogly-kanopathien (LGMD2C-F) möglich. Insbe-sondere bei LGMD1C und LGMD2B exis-tieren milde Verlaufsformen, die sich nur inMyalgien oder einer asymptomatischen CK-Erhöhung manifestieren können. Daher

werden bei uns Muskelbiopsien zur Abklä-rung von Myalgien oder Hyper-CK-ämienauch auf einen Mangel an Dysferlin undCaveolin-3 untersucht.

Während bei einigen Formen bisher nur derGenort durch Kopplungsanalysen in größe-ren betroffenen Familien eingegrenzt werdenkonnte, sind für andere Gen und Genpro-dukt bereits genau definiert. Für die häufig-sten Erkrankungen existieren monoklonaleAntikörper für Immunhistochemie oderWestern-Blot (Caveolin-3, Calpain 3, Dys-ferlin, Sarkoglykane, Telethonin, LaminA/C: s. Tab. 5). So kann bei Vorliegen einesdystrophen Gewebssyndroms in der Mus-kelbiopsie bei einigen Patienten der genaueTyp der LGMD bestimmt werden. Häufiggelingt aber eine genaue Zuordnung desLGMD-Typs noch nicht. Für klinisch-diagnostische Fragestellungen routinemäßigeinsetzbare molekulargenetische Untersu-chungsverfahren zur Klassifizierung sindnoch nicht verfügbar, bei gezieltem Ver-dacht ist aber eine Diagnose über Sequen-zierung der entsprechenden Gene möglich.

4 c. Distale Muskeldystrophien

Selten beginnt der dystrophe Prozess in dis-talen Muskeln. Diese Erkrankungen wurdenklinisch von den Gliedergürtelformen abge-grenzt. Auch sie bilden eine heterogeneGruppe; die Formen werden zurzeit nochnach Verlauf und klinischem Bild definiert(Tab. 6). Bei den meisten konnte der Genortdurch Kopplungsanalysen in großen Fami-lien bestimmt werden. Das betroffene Pro-tein kennt man jedoch erst bei drei Formen.Dabei ist interessant, dass Mutationen imDysferlin-Gen sowohl zu einer Gliedergür-telerkrankung führen können (LGMD2B) alsauch zu zwei unterschiedlichen Formeneiner distalen Muskeldystrophie. Dabeikönnen diese klinisch unterschiedlichen Er-krankungen sogar in derselben Familie auf-

treten. Wie diese unterschiedlichen Phäno-typen entstehen ist noch unklar.

Die Prognose der distalen Muskeldystro-phien ist besser als die der Gliedergürtel-formen, da Gehfähigkeit meistens lange er-halten bleibt und Herzbeteiligung selten ist.

4 d. Fazioskapulohumerale Muskeldystrophie (FSHD)

Hierbei handelt es sich um eine häufige,autosomal-dominant vererbte Erkrankung,deren Prävalenz für Deutschland auf1 :20 000 geschätzt wird. Das klinische Bildkann sogar innerhalb einer Familie sehr va-riabel sein. Erste Symptome können vomKleinkind- bis zum Erwachsenenalter auf-treten. Meist beginnt die Erkrankung aber inder zweiten Lebensdekade. Neben einer Fa-cies myopathica durch Schwäche der mi-mischen Muskulatur bilden sich atrophe Pa-

Name Erb- Genort Manifestations- Initiale Paresen CK- rimmed vacuolesgang (Genprodukt) Alter Erhöhung in der Biopsie

Welander AD 2p13 Erwachsene Finger-, 0 /+ ++(?) Handgelenksstecker

Markesberry- AD 2q31-33 Erwachsene Fußheber 0/+ ++Griggs/Udd (Titin)

Nonaka AR 9p1-q1 junge Erwachsene Fußheber 0/+ +++(?)

Miyoshi AR 2p13.3 junge Erwachsene Fußsenker +++ 0(Dysferlin)

Laing AD 14q junge Erwachsene Fußheber 0/+ 0(?)

Autosomal-dominanter ErbgangGenort Protein

LGMD1A 5q31 MyotilinLGMD1B 1q11-21 Lamin A/CLGMD1C 3p25 Caveolin-3LGMD1D 6q23 unbekanntLGMD1E 7q unbekanntLGMD1F 7q32.1-2 unbekannt

Autosomal-rezessiver ErbgangGenort Protein

LGMD2A 15q15.1 Calpain-3LGMD2B 2p13.3 DysferlinLGMD2C 13q12 g-SarkoglykanLGMD2D 17q12-21 a -SarkoglykanLGMD2E 4q12 b -SarkoglykanLGMD2F 5q33-34 d -SarkoglykanLGMD2G 17q11-12 TelethoninLGMD2H 9q31-33 E3 Ubiquitin-LigaseLGMD2I 19q13 Fukutin-assoziiertes ProteinLGMD2J 2q31 Titin

Tab. 5: Aktuelle Klassifikation der Muskel-dystrophien vom Gliedergürteltyp(limb girdle muscular dystrophies, LGDM)

Tab. 6: Übersicht der wichtigsten distalen Muskeldystrophien (AD = autosomal dominant, AR = autosomal-rezessiv)

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resen der Schultergürtel- und Oberarmmus-keln meist mit Scapula alata heraus, die vorallem zu Beginn asymmetrisch sein kön-nen. Erst deutlich später im Verlauf könnenParesen der Beckengürtel- und distaler Arm-und Beinmuskeln hinzutreten.

In Kopplungsanalysen konnte als Genorteine Region auf dem kurzen Arm des Chro-mosom 4 (4q35-qter) erkannt werden. Wirddiese Region amplifiziert und mit spezifi-schen Enzymen gespalten, entstehen DNA-Fragmente, die bei Gesunden 30 – 300 kblang sind. Bei Patienten mit FSHD findensich nur Fragmente, die kleiner als 35 kbsind. Obwohl das der Erkrankung zuGrunde liegende Gen noch nicht bekanntist, kann die Diagnose FSHD meist übereinen einfachen Test molekulargenetischgesichert werden. Diese Blutuntersuchungsollte bei entsprechendem klinischem Ver-dacht zunächst durchgeführt werden. Beipositivem Ergebnis kann auf eine Muskel-biopsie verzichtet werden. Diese zeigt oh-nehin keine spezifischen Befunde, sondernnur das dystrophe Gewebssyndrom und ineinigen Fällen auffällige, rundzellige, endo-mysiale Infiltrate. Die Abgrenzung zu einerMyositis kann schwierig sein. Sie ist aberdadurch möglich, dass eine Invasion intakterscheinender Muskelfasern durch die Lym-phozyten bei der FSHD nicht auftritt.

4 e. Muskeldystrophie Emery-Dreifuss(EDMD)

Diese seltene x-chromosomal vererbteMuskeldystrophie ist klinisch durchKontrakturen gekennzeichnet, die sichwährend der ersten 10 bis 20 Lebensjahreund oft noch vor Auftreten der ersten Pare-sen herausbilden. In der Regel treten Beu-gekontrakturen der Ellengelenke und selte-ner Kontrakturen der Sprunggelenke inSpitzfußstellung auf. Erst später entwickelnsich langsam progrediente Paresen der Mus-keln des Schultergürtels und der Unter-schenkel. Gehfähigkeit bleibt meist langeerhalten. Bedroht sind die Patienten durcheine regelhaft auftretende Herzbeteiligung.Im Vordergrund stehen Herzrhythmusstö-rungen wie Sinusbradykardie und AV-Block. Nach einer Untersuchung aus den80er-Jahren sterben die Hälfte der Patientenbis zum 50. Lebensjahr an plötzlichemHerztod. Regelmäßige EKG-Untersuchun-gen sind angezeigt, um rechtzeitig einenSchrittmacher zu implantieren.

Der Krankheit liegt eine Veränderung desEmerin-Gens zu Grunde. Emerin ist ein Pro-tein, das in der Kernmembran vor allem vonSkelett- und Herzmuskelzellen lokalisiert ist

und dessen genaue Funktion noch unbe-kannt ist. Durch den fehlenden immunhis-tochemischen Nachweis dieses Proteins inder Muskelbiospie lässt sich die Diagnosesichern.

Die autosomal-dominant vererbte Form derEDMD wird in Deutschland auch alsHauptmann-Thannhauser-Muskeldystrophiebezeichnet. Das klinische Bild mit frühenKontrakturen, Paresen der Schultergürtel-muskeln und Herzrhythmusstörungen gleichtder x-chromosomalen Form. Allerdings sindManifestationsalter und Ausprägung dereinzelnen Symptome viel variabler. Es liegteine Mutation im Lamin A/C-Gen als Ursa-che vor. Lamin A und C sind wie das Eme-rin in der Kernmembran lokalisiert. Beieinem Teil der Patienten ist das Protein immunhistochemisch trotz Erkrankung gutdarzustellen. Für die Diagnosesicherung istbei klinischem Verdacht oft die Sequenzie-rung des Gens notwendig. Veränderungenim Lamin A/C-Gen können auch zum klini-schen Bild der Gliedergürteldystrophie(LGMD1B), der familiären Kardiomyopa-thie, der hereditären sensomotorischenNeuropathie oder der hereditären, partiel-len Lipodystrophie führen.

4 f. Okulopharyngeale Muskeldystrophie (OCPMD)

Diese autosomal-dominante Muskeldystro-phie ist eine Erkrankung der zweiten Le-benshälfte. Sie beginnt meist mit beidseiti-ger Ptosis und stellt eine wichtige Differen-zialdiagnose der Myasthenie und dersenilen Ptosis dar. Erst im Verlauf tretenDysphagie und Dysphonie und später gele-gentlich auch Paresen der äußeren Augen-muskeln, des Schulter- und Beckengürtelsauf. Da die Penetranz bei nahezu 100 Pro-zent liegt, ist die Familienanamnese regel-haft positiv. Die Diagnosesicherung ge-schieht molekulargenetisch durch Nach-weis der pathologischen Expansion einerGCG-Sequenz im Gen des poly(A)-binden-den Protein-2. Muskelbiospie ist den meis-ten Fällen nicht notwendig.

4 g. Dystrophe Myotonien (DM)

Die autosomal-dominant erbliche Dystro-phia myotonica, (Curschmann-Steinert;DM1) ist die häufigste Myopathie des Er-wachsenenalters.

Mit Beginn in der zweiten oder dritten De-kade treten langsam progrediente Paresender distalen, mimischen, der Hals- undKaumuskeln auf. Zusätzlich kommt es zumyotonen Symptomen (s. Abschnitt 6) undeiner präsenilen Katarakt. Im Verlauf treten

häufig Herzrhythmusstörungen, endokrineStörungen und kognitive Defekte bei ZNS-Beteiligung hinzu. Schwere Verläufe mit Be-ginn in früher Kindheit kommen ebenso vorwie ausgesprochen milde mit Manifestationim späteren Erwachsenenalter. Ursache isteine pathologische Expansion einer Trinu-kleotid-Sequenz im Gen einer Proteinki-nase auf Chromosom 17. Die Länge dieserpathologischen Expansion korreliert mit derSchwere des klinischen Bildes und nimmtin der folgenden Generation meist zu, so-dass Kinder früher und schwerer erkrankenals die Eltern. Bei entsprechendem Verdachtist die Diagnose durch molekulargenetischeUntersuchung des Blutes zu sichern. Mus-kelbiopsie ist in der Regel nicht notwendig.Eine kausale Therapie existiert nicht. Diemyotone Symptomatik ist meist milde undsymptomatische Therapie nicht erforder-lich, zumal die in Frage kommenden Sub-stanzen (s. u.) wegen kardialer Nebenwir-kungen problematisch sind. Wichtig sindregelmäßige EKG-Kontrollen, um die Be-handlung gefährlicher Herzrhythmusstö-rungen rechtzeitig einzuleiten. Bei Opera-tionen sollte die Überwachung auch post-operativ intensiv und verlängert sein. DiePatienten sprechen oft empfindlicher aufNarkotika an. Depolarisierende Muskelre-laxantien können zu einem „Myotonie-sturm“ führen und sind kontraindiziert,nichtdepolarisierende Substanzen haben eineverstärkte und länger anhaltende Wirkung.

Die proximale myotone Myopathie(PROMM, DM2) wurde in den letzten Jah-ren als eigenständige Erkrankung gegen dieDM1 abgegrenzt. Sie ist gekennzeichnetdurch klinisch milde Myotonie. Paresen be-treffen vorwiegend proximale Muskeln desBecken- und geringer auch des Schulter-gürtels. Wesentliches Symptom, das oft An-lass ist, sich in Behandlung zu begeben,sind Myalgien, die bei der Curschmann-Steinert-Erkrankung selten im Vordergrundstehen. Die PROMM ist eine Multisystem-erkrankung, und es können Katarakt, Herz-rhythmusstörungen oder endokrine Erkran-kungen wie Diabetes mellitus hinzukom-men. Ursächlich ist die pathologischeExpansion eines Tetranukleotids im Zinc-Finger-Protein-9-Gen auf dem Chromosom3q, und seit Kurzem steht für klinische Fra-gestellungen ein molekulargenetischer Testzur Verfügung. Die Notwendigkeit einerMuskelbiopsie zur Diagnosestellung ent-fällt so meistens. Erste Schätzungen, dassPROMM die gleiche Häufigkeit wie dieCurschmann-Steinert-Erkrankung besitzt,scheinen sich zu bestätigen, auch die Be-handlungsmöglichkeiten sind gleich.

Page 11: Muskelkrankheiten des Erwachsenenalters - asklepios.com58ae41ea-5a02-42cd-a205-e446469d7813... · Die noch geübte Bestimmung der Aldolase ist u.E. obsolet, da dieses Enzym weniger

DAS THEMA

häb 4/04172

6. Myotonien und periodische Lähmungen:„Kanalkrankheiten“Die Myotonie ist eine Relaxationsstörungdes Muskels. Der jeweils antagonistischeMuskel kann nicht rasch erschlaffen, wo-durch schnelle Bewegungsabläufe er-schwert sind. Meist führen fortgesetzte Be-wegungen zur Besserung („warming-up“).Im EMG lassen sich charakteristische myo-tone Entladungen nachweisen. Der Myoto-nie liegt eine hereditär bedingte Übererreg-barkeit von Ionenkanälen der Muskelfasernzu Grunde. Mutationen mit vorwiegenderUntererregbarkeit der Rezeptoren führen zuvon bestimmten Triggerfaktoren abhängi-gen, transitorischen Paresen.

Erkrankungen, bei denen die Myotonie ein-ziges Symptom darstellt, müssen unter-schieden werden von Multisystemerkran-kungen, bei denen die Myotonie nur Teileines Syndroms ist (dystrophe Mytonien, s.Abschnitt 4g).

6 a. Myotonia congenita

Bei diesen Erkrankungen ist die Myotoniedas einzige wesentliche Symptom. Sie istmeist in der ersten Dekade auffällig undbleibt im Verlauf konstant. Die Patientenfallen meist durch einen besonders athleti-schen Körperbau auf. Den klassischen auto-somal-dominanten (Thomsen) und -rezessi-ven (Becker) Myotonien liegen Mutationenim Chloridkanal der Muskeln zu Grunde.

Mutationen im Natriumkanal können zumKrankheitsbild der Paramyotonia congenitaführen. Hier ist die myotone Reaktion in be-sonderem Maße durch Kälte induzierbar.Bei entsprechender Witterung kommt es zueiner Erstarrung der mimischen Muskulatur,die sich bei Wärme rasch wieder löst. Fer-ner können Veränderungen im Natriumka-nal zu einer kaliumsensitiven Myotonie(Myotonia fluctuans) führen. Bei dieserForm induziert körperliche Arbeit die Rela-xationsstörung, während sie bei den klassi-schen Formen zu einer Besserung führt. DieDiagnose geschieht klinisch und mit Hilfedes EMG. Da den Erkrankungen meistPunktmutationen auf entsprechenden Genenzu Grunde liegen, erfordert die molekular-genetische Diagnostik oft die Sequenzie-rung des Gens und ist aufwändig.

Eine Behandlung ist selten notwendig. EineLinderung der Relaxationsstörung lässt sichdurch Mexiletin, Phenytoin oder Carbama-zepin erreichen.

6 b. Periodische Lähmungen

Ursache der Lähmungsattacken ist eineUntererregbarkeit von muskulären Ionen-kanälen. Die Attacken treten in der Ruhe-phase nach körperlicher Anstrengung aufund sind oft durch Kälte provozierbar. Beider häufigeren, hypokaliämischen Formkann kohlenhydratreiche Mahlzeit eben-falls zur Anfallsauslösung führen. Hier sindMutationen im Gen der Kalzium- und sel-tener denen der Natrium- oder Kaliumka-näle ursächlich. Es handelt sich um autoso-mal-dominante Leiden mit hoher Pene-tranz, sodass die Familienanamnese in derRegel positiv ist. Die Attacken betreffen be-vorzugt proximale Muskelgruppen und nurbei schweren Anfällen auch distale oderstammnahe Muskeln und können Stundenbis Tage anhalten.

Für die Diagnosestellung ist neben der An-amnese die Bestimmung des Kaliums imAnfall bedeutsam. Wenn dies bei seltenenAttacken nicht möglich und die Anamneseuneindeutig ist, kann eine Attacke am über-wachten Patienten durch die Gabe von Glu-kose und Insulin provoziert werden. Mus-kelbiopsie ist meist nicht indiziert, da sichhöchstens eine vakuoläre Myopathie als un-spezifischer Befund zeigt. Wichtig ist es, se-kundäre hypokaliämische periodische Para-lysen im Rahmen einer Schilddrüsenfunk-tionsstörung nicht zu übersehen.

Hyperkaliämische periodische Lähmungensind seltener und werden durch Mutationenim Gen des muskulären Natriumkanals ver-ursacht. Attacken sind deutlich kürzer alsbei der hypokaliämischen Form und kön-nen durch Fasten ausgelöst werden. Dia-gnostisch ist die Kaliumbestimmung wäh-rend der Attacke wichtig, eine Attackenpro-vokation ist durch Kaliumgaben beimüberwachten Patienten möglich.

Leichtes Ausdauertraining führt meist zurBesserung der Attackenfrequenz und -in-tensität bei beiden Formen. Bei der hypo-kaliämischen Form kann oral Kalium sub-stituiert werden, während bei der hyperka-liämischen Erkrankung längere Phasen desHungerns vermieden werden sollten. Inschwierigen Fällen kann die vorsichtige Gabeeines Thiazid-Diuretikums versucht werden.

5. Kongenitale MyopathienMuskeldystrophien können bereits in derNeugeborenen-Phase zu schweren Paresenführen. Bei den kongenitalen Myopathienkommt es hingegen nicht zu einem fort-schreitenden Untergang von Muskelge-webe, sondern die Paresen bleiben im Ver-lauf unverändert oder sind nur langsam undgering progredient. Entsprechend ist dieSerum-CK nicht oder nur leicht erhöht. Immanchen Fällen manifestiert sich die Er-krankung klinisch erst im Erwachsenenalter.

Es handelt sich um eine ausgesprochenheterogene Gruppe von Myopathien mitunterschiedlichen Erbgängen und Verläufenmit und ohne Befall anderer Organe. Histo-logisch sind einzelne Formen durch cha-rakteristische Strukturanomalien gekenn-zeichnet, die der jeweiligen Erkrankungden Namen geben: Central core Myopathie(Abb. 15), Nemaline oder Rod- (Stäbchen-)Myopathie, zentronukleäre (myotubuläre)Myopathie, Myopathie mit Faserdyspropor-tion, Myopathie mit tubulären Aggregaten,Reducing-Body-Myopathie u. a.

In letzter Zeit konnte eine Untergruppe de-finiert werden, die sich durch pathologischvermehrte Speicherung von Desmin aus-zeichnet. Desmin ist ein Protein des Zyto-skeletts und zählt zu den Intermediärfila-menten. Man bezeichnet diese Erkrankun-gen auch als Desminopathien odermyofibrilläre Myopathien. Es kommenautosomal-rezessive und dominante Erb-gänge vor, und der Verlauf ist sogar inner-halb einer Familie sehr variabel. Manifesta-tionsalter kann frühe Kindheit oder Erwach-senenalter sein, bei einigen Formen stehendistale, bei anderen proximale Paresen imVordergrund. Herzbeteiligung ist nicht sel-ten. Die Aktivität der Serum-CK ist meistnormal oder gering erhöht. Anders als beiden übrigen kongenitalen Myopathien istbei den Desminopathien eine deutlichereTendenz zur Progression der Paresen fest-zustellen. Immunhistochemisch lässt sich inder Muskelbiopsie die Anreicheung vonDesmin darstellen, aber auch weitere Pro-teine des Zytoskeletts oder des Sarkolemmsfinden sich in den Fasern pathologisch an-gehäuft als granulofilamentöses Materialoder so genannte zytoplasmatische Körper-chen (Abb. 16). Bisher konnten Mutationenim Gen des Desmin und des alpha-B-Crys-tallins als genetische Ursachen von Desmin-speichermyopathien nachgewiesen werden.