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3 Periphere Augenbewegungsstörungen 3.1 Lähmungsschielen (Strabismus paralyticus) 3.2 Latentes Schielen (Heterophorie) 3.3 Erworbene Okulomotoriusparesen 3.4 Erworbene Trochlearisparesen 3.5 Erworbene Abduzensparesen 3.6 Okulomotorische Hirnnervenparesen als einziges Symptom umschriebener Hirnstammläsionen 3.7 Erworbene Paresen mehrerer okulomotorischer Hirnnerven 3.8 Augenbewegungsstörungen bei neuromuskulären Übertragungsstörungen 3.8.1 Myasthenia gravis 3.8.2 Lambert-Eaton-Syndrom (myasthenes Syndrom) 3.8.3 Botulismus 3.9 Myogene Augenbewegungsstörungen 3.9.1 Entzündliche Erkrankungen der äußeren Augenmuskeln 3.9.2 Nichtentzündliche Erkrankungen der äußeren Augenmuskeln 3.10 Musculus-obliquus-superior-Myokymie 3.11 Okulare Neuromyotonie Thömke, Augenbewegungsstörungen (ISBN 9783131287427), © 2008 Georg Thieme Verlag KG

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3 Periphere Augenbewegungsstörungen

3.1 Lähmungsschielen (Strabismus paralyticus)

3.2 Latentes Schielen (Heterophorie)

3.3 Erworbene Okulomotoriusparesen

3.4 Erworbene Trochlearisparesen

3.5 Erworbene Abduzensparesen

3.6 Okulomotorische Hirnnervenparesen als einziges Symptomumschriebener Hirnstammläsionen

3.7 Erworbene Paresen mehrerer okulomotorischer Hirnnerven

3.8 Augenbewegungsstörungen bei neuromuskulärenÜbertragungsstörungen

3.8.1 Myasthenia gravis3.8.2 Lambert-Eaton-Syndrom (myasthenes Syndrom)3.8.3 Botulismus

3.9 Myogene Augenbewegungsstörungen3.9.1 Entzündliche Erkrankungen der äußeren Augenmuskeln3.9.2 Nichtentzündliche Erkrankungen der äußeren Augenmuskeln

3.10 Musculus-obliquus-superior-Myokymie

3.11 Okulare Neuromyotonie

Thömke, Augenbewegungsstörungen (ISBN 9783131287427),© 2008 Georg Thieme Verlag KG

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3.1 Lähmungsschielen(Strabismus paralyticus)

Akut aufgetretene Doppelbilder führen den Pa-tienten meist umgehend in ärztliche Behandlung,da sie mit einer Reihe beeinträchtigender Symp-tome einhergehen (Störungen der Orientierungund des Lesens, Vorbeigreifen, Verkehrsunfähig-keit, „Schwindel“ usw.). Zunächst ist zwischenmonokularen und binokularen Doppelbildern zuunterscheiden:• Monokulare Doppelbilder sind vergleichsweise

selten und entstehen z. B. infolge eines Astig-matismus, bei Korneaveränderungen, einerKatarakt usw. Sie persistieren beim Abdeckendes gesunden und verschwinden selbstver-ständlich beim Abdecken des betroffenen Au-ges.

• Binokulare Doppelbilder verschwinden sowohlbeim Abdecken des paretischen als auch desnichtparetischen Auges, sind also bei monoku-larer Fixation nicht vorhanden.

Binokularen Doppelbildern liegen Bewegungs-einschränkungen eines oder asymmetrisch aus-geprägte Bewegungseinschränkungen beider Au-gen infolge von Augenmuskelparesen (z. B. Lä-sionen okulomotorischer Hirnnerven, okulareMyasthenia) oder mechanischen Behinderungen(z.B. nach Orbitabodenfrakturen, verminderteDehnbarkeit von Augenmuskeln bei endokrinerOrbithopathie) zugrunde. Hierbei können die op-tischen Achsen beider Augen nicht sehrichtungs-gleich ausgerichtet werden, so dass ein Sehobjektauf 2 nicht korrespondierenden Netzhautab-schnitten abgebildet und 2 verschiedenen Punk-ten im Raum zugeordnet wird. Gleichzeitig wer-den auf den Foveae beider Augen 2 verschiedeneBilder abgebildet und dem gleichen Punkt imRaum zugeordnet, was Ursache der sog. visuellenKonfusion ist. Geringe Fehlstellungen der opti-schen Achsen führen allerdings nicht zwangs-läufig zu Doppelbildern, da auf nichtkorrespon-dierenden Netzhautabschnitten abgebildete Seh-objekte interindividuell unterschiedlich gut zueinem Bild fusioniert werden können, wobei dieFusionsbreite für Abweichungen der optischenAchsen in der Horizontalen wesentlich besser (bis108) als für Abweichungen in der Vertikalen ist.

Lähmungen einzelner Augenmuskeln führenzu einer Fehlstellung bzw. einem ständigen Ab-

weichen des betroffenen Auges. Dies wird alsLähmungsschielen (Strabismus paralyticus) oderauch als manifestes Schielen (Heterotropie) be-zeichnet. Hier können folgende Fehlstellungenunterschieden werden:• Exotropie: horizontales Schielen nach außen.• Esotropie: horizontales Schielen nach innen.• Hypotropie: vertikales Schielen nach unten.• Hypertropie: vertikales Schielen nach oben.• Exzyklotropie: Verrollung nach außen.• Inzyklotropie: Verrollung nach innen.

Klinisches Leitsymptom einer Heterotropie sindDoppelbilder. Dabei nehmen die Ausprägung derDoppelbilder, die Schielfehlstellung und derSchielwinkel beim Blick in die Funktionsrichtungdes betroffenen Muskels zu. Hierbei ist ein pri-märer von einem sekundären Schielwinkel zuunterscheiden (Abb. 3.1). Die meisten Patientenfixieren mit dem gesunden Auge. Dabei hat dasparetische Auge eine Fehlstellung in Funktions-richtung des gesunden antagonistischen Augen-muskels (z.B. Innenschielen bei einer Parese desM. rectus lateralis).

Der primäre Schielwinkel ist das Ausmaß des Ab-weichens des gelähmten Auges von der Primär-position beim Fixieren mit dem gesunden Auge.Dagegen ist der sekundäre Schielwinkel das Ausmaßdes Abweichens des gesunden Auges beim Fixierenmit dem gelähmten Auge. Beim Lähmungsschielenist der sekundäre Schielwinkel größer als der pri-märe Schielwinkel (Abb. 3.1).

Dieses Phänomen ist Folge einer vermehrten In-nervation des gelähmten Muskels und eine Kon-sequenz von Herings Gesetz. So weicht das pare-tische Auge bei einer Lähmung des M. rectus late-ralis um den primären Schielwinkel nach innenab, da der nichtparetische M. rectus medialis dasAuge aufgrund seiner tonischen Ruheaktivitätnach nasal zieht. Um bei monokularer Fixationmit dem gelähmten Auge geradeaus zu blicken,muss das Auge nach lateral, also in Funktions-richtung des paretischen M. rectus lateralis be-wegt werden. Dies ist nur durch eine vermehrteInnervation des gelähmten Muskels zu erreichen,d. h. das gelähmte Auge wird viel stärker inner-viert, als es normalerweise beim Geradeausblickder Fall wäre. Da die Innervationsimpulse derpaarweise zusammenarbeitenden agonistischen

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Muskeln beider Augen immer gleich groß sind(Hering-Gesetz), führt dies auch zu einer ver-mehrten Innervation des M. rectus medialis desgesunden Auges, das unter diesen Bedingungenum den sekundären Schielwinkel nach innen ab-weicht. Dabei ist der sekundäre Schielwinkel desgesunden Auges notwendigerweise größer alsder primäre Schielwinkel des paretischen Auges.Bei monokularer Fixation benötigt der M. rectuslateralis des gesunden Auges beim Geradeaus-blick eine wesentlich geringere Innervationsrateals der M. rectus lateralis des gelähmten Auges.Somit wird der abgedeckte agonistische M. rectusmedialis des gelähmten Auges einen wesentlichgeringeren Innervationsimpuls erhalten als derM. rectus medialis des gesunden Auges und dasgesunde Auge wesentlich weiter nach innen ab-weichen als das paretische Auge.

Im Gegensatz zum Lähmungsschielen ist beimangeborenen Begleitschielen der Schielwinkel inallen Blickrichtungen gleich groß (konkomitie-

rendes Schielen). Die Mehrzahl dieser Patientennimmt auch keine Doppelbilder wahr. MöglicheUrsachen sind:• Schielamblyopie,• exzentrische Fixation des schielenden Auges

(monokulare Anpassung),• anomale Netzhautkorrespondenz (binokulare

Anpassung).

Bei binokularen Doppelbildern gilt prinzipiell, dassdas aus Sicht des Patienten periphere Bild vomparetischen Auge gesehen wird, das periphere alsodas „falsche Bild“ ist.

Temporale Gesichtsfeldbereiche werden auf me-dialen Netzhautabschnitten abgebildet und nasa-le Gesichtsfeldbereiche auf lateralen Netzhaut-abschnitten. Jedem Netzhautabschnitt entsprichtein bestimmter Raumwert, der für korrespondie-rende Netzhautabschnitte gleich ist. Bei einer Pa-

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α

β

*

*

Abb. 3.1 Primärer und sekundärer Schielwinkel amBeispiel einer rechtsseitigen Abduzensparese. Der pri-märe Schielwinkel a bezeichnet das Abweichen des pa-retischen Auges von der Primärposition beim Fixierenmit dem gesunden Auge. Der sekundäre Schielwinkel

b bezeichnet das Abweichen des nichtparetischen ab-gedeckten Auges von der Primärposition beim Fixierenmit dem paretischen Auge. Der Stern kennzeichnet dasjeweils fixierende Auge.

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rese des M. rectus lateralis rechts bleibt das pare-tische Auge mit zunehmendem Blick nach rechtsimmer mehr zurück und das Sehobjekt wird auflinks von der Fovea gelegene Netzhautabschnitteabgebildet. Die Raumwerte dieser Netzhautab-

schnitte liegen im temporalen Gesichtsfeld desrechten Auges rechts vom Raumwert der Fovea,so dass das extrafoveal abgebildete Sehobjektnach rechts außen projiziert wird. Beim Abde-cken des paretischen rechten Auges verschwin-

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Abb. 3.2 a – c Schematische Darstellung der Entstehung von Doppelbildern:

a Raumpunkte, die rechts (R) von einem foveal ab-gebildeten Sehobjekt (O) liegen, werden auf derRetina links der Fovea abgebildet, und links (L) desfoveal abgebildeten Objekts gelegene Raumpunktewerden rechts der Fovea abgebildet.

b Bei einer M.-rectus-lateralis-Parese rechts bleibtdas rechte Auge beim Blick nach rechts zunehmendzurück, was zu einer Abbildung des Sehobjektslinks von der Fovea führt. Die Raumwerte dieserNetzhautabschnitte liegen rechts vom Raumwertder Fovea, so dass das extrafoveal abgebildeteSehobjekt nach rechts außen projiziert wird. BeimAbdecken des paretischen rechten Auges ver-

schwindet also das aus Sicht des Patienten äußererechte Bild (= ungekreuzte Doppelbilder).

c Bei einer M.-rectus-medialis-Parese links bleibt daslinke Auge beim Blick nach rechts zunehmend zu-rück, was zu einer Abbildung des Sehobjekts linksvon der Fovea führt. Die Raumwerte dieser Netz-hautabschnitte liegen rechts vom Raumwert derFovea, so dass das extrafoveal abgebildete Sehob-jekt nach rechts außen projiziert wird. Beim Abde-cken des paretischen linken Auges verschwindetalso das aus Sicht des Patienten äußere rechte Bild(= gekreuzte Doppelbilder).

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det also das aus Sicht des Patienten äußere rechteBild (= ungekreuzte Doppelbilder; Abb. 3.2 b).

Bei einer Parese des M. rectus medialis linksbleibt das paretische Auge mit zunehmendemBlick nach rechts immer mehr zurück und dasSehobjekt wird auf links der Fovea gelegeneNetzhautabschnitte abgebildet. Die Raumwertedieser Netzhautabschnitte liegen im nasalen Ge-sichtsfeld des linken Auges rechts vom Raumwertder Fovea, so dass das extrafoveal abgebildeteSehobjekt nach rechts außen projiziert wird.Beim Abdecken des paretischen linken Augesverschwindet also das aus Sicht des Patientenäußere rechte Bild (= gekreuzte Doppelbilder;Abb. 3.2 c).

Doppelbilder bei Paresen des M. rectus supe-rior (Hebung des Auges) oder M. rectus inferior(Senkung des Auges) entstehen in ähnlicher Wei-se. So bleibt bei einer rechtsseitigen Parese des M.rectus inferior das paretische Auge beim Blicknach unten immer mehr zurück und das Sehob-jekt wird auf oberhalb der Fovea gelegene Netz-hautabschnitte abgebildet. Die Raumwerte dieserAbschnitte liegen im unteren Gesichtsfeld unterdem Raumwert der Fovea, so dass das extrafovealabgebildete Sehobjekt nach unten projiziert wird.Beim Abdecken des paretischen rechten Augesverschwindet also das aus Sicht des Patientenäußere untere Bild. Entsprechend bleibt bei einerrechtsseitigen M.-rectus-superior-Parese das be-troffene Auge beim Blick nach oben immer mehrzurück und das Sehobjekt wird auf unterhalb derFovea gelegene Netzhautabschnitte abgebildet.Die Raumwerte dieser Abschnitte liegen oberhalbdes Raumwerts der Fovea, so dass das extrafovealabgebildete Sehobjekt nach oben projiziert wird.Beim Abdecken des paretischen rechten Augesverschwindet also das aus Sicht des Patientenäußere obere Bild.

Im Gegensatz zu binokularen Doppelbilderntreten organisch begründbare monokulare Dop-pelbilder nur äußerst selten auf. Mögliche Ursa-chen sind z.B.:• Katarakt: Beim sog. „Kernstar“ kann die Linse

zwei verschiedene Brennpunkte bekommen,so dass auf der Netzhaut 2 Bilder des jeweili-gen Sehobjekts abgebildet werden.

• Subluxation der Linse (z.B. nach Prellungen,beim Marfan-Syndrom, Homocysteinurie)kann ebenfalls zu 2 Brennpunkten führen.

• Iridodialyse, ein Abreißen der Irisbasis vom Zi-liarkörper infolge einer Prellung des Auges

kann an der Stelle des Irisabrisses zu einerschlitzförmigen Lücke führen, die wie einezweite Pupille wirkt, so dass 2 Bilder auf derNetzhaut abgebildet werden.

• Astigmatismus (Brennpunktlosigkeit, Stab-sichtigkeit): Beim Astigmatismus ist die Horn-haut nicht kugelförmig gewölbt, so dass dieKrümmungen und damit auch die Brechwertesenkrecht aufeinander stehender Hornhaut-meridiane unterschiedlich sind (sog. nicht ro-tationssymmetrische Brechwerte). Deshalbkönnen parallel einfallende Lichtstrahlennicht in einem Brennpunkt vereinigt werdenund das Netzhautbild wird unscharf oder inHöhe und/oder Breite auseinander gezogen.Hierbei kann es selten auch zur Abbildungdes gleichen Sehobjekts auf 2 verschiedenenNetzhautorten und so zu monokularen Dop-pelbildern kommen.

• Eine möglicherweise nicht ganz so seltene Ur-sache vorübergehender monokularer Doppel-bilder scheint Druck des Oberlids auf dieKornea zu sein. Hierbei kommt es bei längerdauerndem Blick nach unten (z. B. beim Lesen)durch den Druck des Oberlids zu einer leichten„Knickung“ des Hornhautgewölbes (Komme-rell 1993, Golnik u. Eggenberger 1999). Ober-halb des Knickes wirkt dies wie ein Prismamit der Basis nach oben oder unten, je nach-dem, ob der Druck der lidkantennahen oder-fernen Teile des Oberlids stärker ist. Monoku-lare Doppelbilder können dann auftreten,wenn der Hornhautknick im Pupillenbereichliegt. Diagnostisch richtungsweisend ist dieStrichskiaskopie. (Skiaskopie = Schattenprobe:Über einen halbdurchlässigen Spiegel wirdLicht in die Pupille des Untersuchten gewor-fen. Beim Drehen des Spiegels tritt eine Licht-bzw. Schattenwanderung in der Pupille auf.)Bei einem Hornhautknick zeigt die Strichski-askopie bei horizontaler Einstellung des Stri-ches eine Aufspaltung des Reflexes in 2 bzw. 3übereinander liegende Lichtbänder, wohin-gegen bei vertikal eingestelltem Skiaskop-strich nur ein einziges Reflexband zu sehenist (Kommerell 1993). Zur Behandlung kommtin erster Linie die Anpassung harter Kontakt-linsen infrage.

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3.2 Latentes Schielen(Heterophorie)

Latentes Schielen (= Heterophorie) ist bei bis zu75% der Bevölkerung nachzuweisen. Hierbeikommt es – im Gegensatz zum manifesten Schie-len – nur zu vorübergehenden Abweichungen ei-nes Auges. Häufige Ursachen sind geringe Fusi-onsbreite, Fusionsschwäche durch Müdigkeit, Al-kohol oder fieberhafte Erkrankungen sowieUnterbrechung der Fusion durch Abdecken einesAuges. Heterophorien sind meist asymptoma-tisch. Beschwerden treten nur bei 10% auf (Asthe-nopie) und sind nicht spezifisch (z.B. Kopf-schmerzen bei Naharbeit, rasche Ermüdbarkeitder Augen, Rötungen der Bindehaut, Lichtscheu).

Die klinische Untersuchung erfolgt am bestenmit dem alternierenden Abdecktest. Hierbei wirddas betroffene Auge unter der Abdeckung abwei-chen, so dass man beim Aufdecken eine Einstell-bewegung sehen kann. Entsprechend der jeweili-gen Richtung unterscheidet man:• Exophorie: vorübergehendes horizontales Ab-

weichen nach außen.• Esophorie: vorübergehendes horizontales Ab-

weichen nach innen.• Hypophorie: vorübergehendes vertikales Ab-

weichen nach unten.• Hyperphorie: vorübergehendes vertikales Ab-

weichen nach oben.• Exzyklophorie: vorübergehende Verrollung

nach außen.• Inzyklophorie: vorübergehende Verrollung

nach innen.

Da die Ursache eines latenten Schielens auch einelatente bzw. diskrete Parese eines Augenmuskelssein kann, ist hier die differenzialdiagnostischeAbgrenzung wichtig. Hierzu führt man den alter-nierenden Abdecktest in verschiedenen Blick-richtungen durch. Bei latenter Parese eines Au-genmuskels wird die Abweichung des betroffe-nen Auges beim Blick in Funktionsrichtung desbetroffenen Muskels zunehmen. (So wird bei ei-ner M.-rectus-lateralis-Parese links die „Esopho-rie“ beim Linksblick zu- und beim Rechtsblick ab-nehmen.) Im Gegensatz hierzu ist die Abwei-chung des betroffenen abgedeckten Auges beieiner echten Esophorie blickrichtungsunabhän-gig.

3.3 Erworbene Okulomotorius-paresen

(Smith 1998a, Kömpf 2006, Leigh u. Zee 2006a)

Charakteristika

Bei erworbenen Okulomotoriusparesen sind viel-fältige Kombinationen der nachfolgend aufge-führten Funktionseinschränkungen bzw. -ausfäl-len möglich:• Parese der Adduktion (Lähmung des M. rectus

medialis),• Parese der Hebung (Lähmung des M. rectus

superior),• Parese der Senkung (Lähmung des M. rectus

inferior),• Parese der Außenrotation (Lähmung des

M. obliquus inferior),• Oberlidparese (= Ptosis; Lähmung des M. leva-

tor palpebrae),• Pupillenerweiterung (Mydriasis; Lähmung

des M. sphincter pupillae).

Bei Vorliegen einer Augenbewegungsstörung mitintakter Pupillenfunktion spricht man von eineräußeren Okulomotoriusparese, bei einer kombi-nierten Augenbewegungs- und Pupillenstörungvon einer äußeren und inneren Okulomotorius-parese. Die auftretende Schielfehlstellung hängtvon den hauptsächlich betroffenen Muskeln ab.Bei einer kompletten äußeren Okulomotorius-parese steht das Auge, wenn das Oberlid passivangehoben wird, nach außen (Überwiegen desM. rectus lateralis) und unten (Überwiegen desM. obliquus superior; Abb. 3.3). Die Funktion desvom N. trochlearis innervierten M. obliquus su-perior wird bei einer kompletten Okulomotorius-parese geprüft, indem man den Patienten bittet,mit dem betroffenen Auge nach innen und untenzu blicken. Hierbei ist eine Drehung des Augesnach innen erkennbar, nicht jedoch die sekundärsenkende Funktion des Muskels, da das Auge we-gen der M.-rectus-medialis-Parese nicht addu-ziert werden kann.

Patienten mit kompletter Okulomotoriuspare-se haben keine Doppelbilder, da das paretischeAuge durch die komplette Ptose ständig abge-deckt ist, der Patient also monokular mit dem ge-sunden Auge fixiert. Doppelbilder treten nur beiunvollständigen Okulomotoriusparesen auf, die

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zu keiner oder nur unvollständiger Lähmung desM. levator palpebralis führen, so dass die Pupilledurch die Ptose nicht verdeckt wird. Die auftre-tenden Doppelbilder sind meist schräg versetzt,d. h. die beiden Bilder weichen in der Horizonta-len und Vertikalen voneinander ab. Lediglich beiisolierten Lähmungen des M. rectus medialis wä-ren rein horizontale Doppelbilder zu erwarten.Ein zusätzlicher Befall der parasympathischenFasern manifestiert sich klinisch als Mydriasis,wobei initial als Reizsymptom auch eine vorüber-gehende „Reiz“-Miose auftreten kann.

Inkomplette Okulomotoriusparesen sind ins-gesamt häufiger als komplette Paresen und füh-ren zu den unterschiedlichsten Kombinationenverschieden stark ausgeprägter Paresen der vomN. oculomotorius innervierten Augenmuskelnmit und ohne Pupillenbeteiligung. Eine dem R.superior bzw. inferior zuzuordnende Verteilungder Paresen deutet auf eine Schädigung im Be-reich der Orbita hin, wo sich der Nerv in den R.

superior (zu den Mm. rectus superior und levatorpalpebrae) und den R. inferior (zu den Mm. rectusmedialis, rectus inferior, obliquus inferior, para-sympathische Fasern zum Ganglion ciliare) auf-teilt. Allerdings können auch bei Schädigung desintramesenzephalen Nervenabschnitts Befund-konstellationen auftreten, die einer Schädigungdes R. superior bzw. inferior gleichen (Ksiazek u.Mitarb. 1989, Thömke 1999; Abb. 3.4).

Ätiologie

Etwa 33% aller Paresen okulomotorischer Hirn-nerven betreffen den N. oculomotorius, der somitnach dem N. abducens am zweithäufigsten be-troffen ist. In 64 – 75% der Fälle ist der Nerv iso-liert und in den übrigen 25 – 36% der Fälle zusam-men mit dem N. trochlearis und/oder N. abdu-cens betroffen (Rucker 1958, 1966, Rush u.Younge 1981, Richards u. Mitarb. 1992). Dabeisind 96 –97% der isolierten Okulomotoriuspare-

Abb. 3.3 Äußere Okulomotoriusparese rechts bei ei-nem Patienten mit Diabetes mellitus. Komplette Ptosesowie komplette Adduktionsparese und nahezu voll-ständig ausgefallene Hebung und Senkung des rech-ten Auges. Die fehlende Erweiterung der Pupille weist

auf intakte pupillomotorische parasympathische Fa-sern hin (aus: Thömke F. Paresen der okulomotori-schen Hirnnerven. In: Hopf HC, Deuschl G, Diener HC,Reichmann H, Hrsg. Neurologie in Praxis und Klinik,Band II. Stuttgart: Thieme; 1999: Abb. 20.34, S. 206).

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sen unilateral (Rush u. Younge 1981, Richards u.Mitarb. 1992). In großen Serien wurden am häu-figsten folgende Ursachen diagnostiziert:• vaskuläre Genese,• Aneurysmen,• Traumen,• Tumoren.

Allerdings bleibt ein relativ hoher Anteil von20– 28% ursächlich ungeklärt (Tab. 3.1).

Zu den selteneren Ursachen von Okulomo-toriusparesen zählen (Rucker 1958, 1966, Greenu. Mitarb. 1961, Rush u. Younge 1981, Richards u.Mitarb. 1992):

• Komplikationen neurochirurgischer Operatio-nen,

• multiple Sklerose,• Arteriitis temporalis,• Panarteriitis nodosa,• Lupus erythematodes,• Sarkoidose,• Syphilis,• Borreliose,• Herpes zoster,• ophthalmoplegische Migräne,• Tolosa-Hunt-Syndrom (üblicherweise mit Pa-

resen andererer okulomotorischer Hirnner-ven),

• Meningitis,• Enzephalitis,• parasellarer Abszess,• Sinus-cavernosus-Fistel,• Sinusthrombosen,• Morbus Hodgkin,• Morbus Paget,• Myelographiekomplikationen,• Neurinome.

Okulomotoriusparesen können bei Schädigungendes Nervs in dessen gesamtem Verlauf auftreten,z.B. im Mittelhirn, im Subarachnoidalraum ent-lang der Schädelbasis, im Sinus cavernosus, inder Orbita. Ohne zusätzliche Symptome (z.B. einekontralaterale Hemiparese oder eine Hemiataxiebei einer Mittelhirnschädigung) ist hier klinischkeine weitere lokalisatorische Zuordnung mög-lich (Tab. 3.2).

Vaskul�re Okulomotoriusparesen. Patienten mitvaskulären Okulomotoriusparesen bilden eineheterogene Gruppe. In großen Serien (Rucker

Abb. 3.4 MRT eines Patienten mit Ptose undM.-rectus-superior-Parese („Ramus-superior-Parese“)als einzigem Symptom eines umschriebenen linksseiti-gen Mittelhirninfarkts.

Tabelle 3.1 Ursachen erworbener Okulomotoriusparesen.

Ursache Rucker (1958)n = 335

Green u.Mitarb. (1961)n = 130

Rucker (1966)n = 274

Rush u.Younge (1981)n = 290

Richards u.Mitarb. (1992)n = 231

Aneurysma 19,1% 29,2% 18,2% 13,8% 10,8%

Vaskulär 18,8% 19,2% 17,2% 20,7% 23,8%

Traumatisch 15,2% 10,8% 12,4% 16,2% 14,7%

Tumoren 10,4% 3,8 % 18,2% 11,7% 9,5 %

Sonstige 8,1 % 13,2% 13,9% 14,5% 18,2%

Ungeklärt 28,4% 23,8% 20,1% 23,1% 23,0%

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1958, 1966, Rush u. Younge 1981, Richards u. Mit-arb. 1992) wurde diese diagnostische Einordnungimmer dann vorgenommen, wenn beim Vorlie-gen zerebrovaskulärer Risikofaktoren (Diabetes,Hypertonus, Zeichen einer generalisierten Arte-riosklerose, Zustand nach zerebralen Durchblu-tungsstörungen usw.) andere Ursachen ausge-schlossen worden waren. Dabei wurde ein Infarktdes N. oculomotorius nach dessen Austritt ausdem Hirnstamm angenommen und auf eine Mi-kroangiopathie der Vasa nervorum zurückge-führt. (Es handelt sich also um eine Ausschlussdi-agnose ohne positiven Nachweis der vermutetenUrsache, da Mikroinfarkte eines Hirnnervs –wenn überhaupt – nur pathologisch nachweisbarsind). Typischerweise erkranken, wie auch beianderen zerebrovaskulären Erkrankungen, Pa-tienten im höheren Lebensalter, wobei den diabe-tischen Okulomotoriusparesen die größte klini-sche Bedeutung zukommt. Ein hoher Prozentsatz

diabetischer Okulomotoriusparesen (ca. 70–80%)weist keine Pupillenstörung auf (Rucker 1958,1966, Green u. Mitarb. 1961, Hopf u. Gutmann1990, Thömke u. Mitarb. 1995). Starke, meistfrontal betonte oder um das Auge herum lokali-sierte Kopfschmerzen sind in unterschiedlicherHäufigkeit (40– 90%) beschrieben worden undkönnen dem Auftreten der Parese auch vorange-hen (Green u. Mitarb. 1961, Teuscher u. Meien-berg 1985, Thömke u. Mitarb. 1995). DieseSchmerzen sind auf eine Irritation afferenter, imN. oculomotorius verlaufender Fasern des trige-minalen Systems zurückgeführt worden (Borto-lami u. Mitarb. 1993).

Die weit verbreitete Annahme, dass vaskuläreOkulomotoriusparesen Folgen eines Infarkts imperipheren Nervensegment außerhalb des Hirn-stamms bei Mikroangiopathie der Vasa nervo-rum sind, basiert auf pathologischen Untersu-chungen einiger Patienten mit zum Teil langjäh-

Tabelle 3.2 Mögliche Symptome zusätzlich zu einer Okulomotoriusparese und ihre topodiagnostische Bedeutung.

Ort der Schädigung Mögliche zusätzliche Symptome

Mittelhirn

• Okulomotoriuskern • kontralaterale (insgesamt also bilaterale) Parese des M. rectus superior

• kontralaterale (insgesamt also bilaterale) Ptose

• IntramesenzephalesNervensegment

• kontralaterale Hemiparese= Weber-Syndrom

• kontralaterale Hemiataxie= Nothnagel-Claude-Syndrom (selten)

• kontralateraler grobschlägiger (Ruber-) Tremor

• kontralateraler Rigor

• kontralaterale Hyperknesien= Benedikt-Syndrom (selten)

Fossa interpeduncularis • oft kontralaterale (insgesamt also bilaterale) Okulomotoriusparese

Sinus cavernosus/Fissura orbitalis superior

• ipsilaterale Trochlearisparese

• ipsilaterale Abduzensparese

• ipsilaterale Läsion 1. Trigeminusast

Orbita • Exophthalmus

• ipsilaterale Schädigung des N. opticus

• ipsilaterale Trochlearisparese

• ipsilaterale Abduzensparese

• ipsilaterale Läsion 1. Trigeminusast

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rig zurückliegenden Okulomotoriusparesen, beidenen im Nervenverlauf außerhalb des Hirn-stamms kleine Infarktareale nachweisbar waren.Allerdings sind gleichartige Veränderungen auchohne eine Okulomotoriusparese beschriebenworden (Übersicht und weiterführende Literaturbei Thömke u. Mitarb. 1995).

Okulomotoriusparesen können das einzige klini-sche Symptom umschriebener Mittelhirninfarktesein.

Seit Ende der 80er Jahre wurde von mehr als 30Patienten mit magnetresonanztomographischdokumentierten umschriebenen Mittelhirnin-farkten berichtet, die außer einer Okulomotorius-parese keine weiteren klinischen Zeichen einerHirnstammschädigung aufwiesen (Abb. 3.4 u.3.5; Thömke 1999 und 2002).

Das klinische Spektrum reicht von vollständi-gen Okulomotoriusparesen über Befundkonstel-lationen, die eine Schädigung des R. superior oderR. inferior imitieren können, bis hin zu Lähmun-gen eines einzelnen Augenmuskels (Thömke2002). Dieser Mechanismus scheint sogar häufi-ger zu sein, als die Mitteilungen über magnetre-sonanztomographisch dokumentierte Mittelhirn-läsionen vermuten lassen. So wiesen abnormeelektrophysiologische Befunde (Masseterreflex,Elektrookulographie) bei Patienten mit vaskulä-ren Okulomotoriusparesen häufiger auf eine ur-

sächliche Mittelhirnläsion hin, als magnetreso-nanztomographisch zu bestätigen war (Hopf u.Gutmann 1990, Thömke u. Mitarb. 1995). Aller-dings ist hier einschränkend zu berücksichtigen,dass in diesen Studien keine diffusionsgewichte-te und v. a. keine hochauflösende MRT (Schicht-dicke: 2 – 3 mm) durchgeführt wurde.

Diabetische Okulomotoriusparesen. Umschrie-bene Mittelhirninfarkte können auch Ursachediabetischer Okulomotoriusparesen sein, wobeiwidersprüchliche Befunde zum MR-tomographi-schen Nachweis mitgeteilt worden sind. So sahenKeane und Ahmadi (1998) nur bei einem von 50(2%) aufeinander folgenden Patienten einen um-schriebenen Mittelhirninfarkt, wohingegen an-dere dies bei 5 von 29 (17%) nachweisen konnten(Thömke u. Mitarb. 1995). Berücksichtigt manaber auch abnorme, auf eine Mittelhirnschädi-gung hinweisende elektrophysiologische Befun-de, dann entstehen diabetische Okulomotorius-paresen sogar überwiegend durch kleine um-schriebene Mittelhirninfarkte (Hopf u. Gutmann1990, Thömke u. Mitarb. 1995).

Solche Infarkte sind auch die viel wahrschein-lichere Erklärung inkompletter vaskulärer Okulo-motoriusparesen: Die Axone zu den vom N. ocu-lomotorius innervierten Augenmuskeln verlau-fen im Mittelhirn viel weiter voneinanderentfernt als im Nerv außerhalb des Hirnstamms,so dass bei einem Infarkt des peripheren Nervsschwerer ausgeprägte Paresen zu erwarten sind,

Abb. 3.5 a, b MRT einer Patientin mit äußerer diabeti-scher Okulomotoriusparese als einzigem klinischen

Symptom eines umschriebenen rechtsseitigen Mittel-hirninfarkts.

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die aufgrund der Anordnung der Axone imN. oculomotorius alle extraokularen Muskeln inetwa gleicher Ausprägung betreffen müssten(Miyazaki 1985).

Okulomotoriusparesen durch Aneurysmen.Okulomotoriusparesen durch Aneurysmen, meistder A. communicans posterior (Abb. 3.6), könnensowohl im Rahmen einer Aneurysmaruptur mitSubarachnoidalblutung als auch infolge einerplötzlichen Erweiterung des Aneurysmas mitDruck auf den Nerv ohne Ruptur mit nachfolgen-dem Druck auf den Nerv (= paralytisches Aneu-rysma) auftreten. Bei ersteren sind weitere Zei-chen einer Subarachnoidalblutung wie plötzlichauftretender heftigster („Vernichtungs“-) Kopf-schmerz, Meningismus, ggf. auch eine Bewusst-seinsstörung oder fokal-neurologische Zeichenzu erwarten. Bei den paralytischen Aneurysmentritt zumeist ein heftiger, meist nach retroorbitalbzw. frontal ausstrahlender Kopfschmerz auf. DieHäufigkeit einer Okulomotoriusparese als erstemSymptom eines nichtrupturierten Aneurysmaslässt sich nur grob abschätzen und wurde mit7 – 40% angegeben. Über 90% der zu einer Okulo-motoriusparese führenden Aneurysmen betref-fen die A. communicans posterior, selten auchden supraklinoidalen Abschnitt der A. carotis in-terna, die A. basilaris, den Abgang der A. cerebellisuperior aus der A. basilaris bzw. die A. cerebellisuperior selbst.

Sowohl bei der Subarachnoidalblutung alsauch beim paralytischen Aneurysma bestehtmeist eine Mydriasis durch Schädigung pupillo-motorischer Fasern, die mit einer besonderen An-fälligkeit dieser Axone auf Druck von außen er-klärt wird, da diese Axone in der Peripherie desNervenquerschnitts verlaufen. Allerdings ist dieweit verbreitete Ansicht, dass eine fehlende Pu-pillenstörung ein ursächliches Aneurysma aus-schließt, so nicht aufrechtzuerhalten, da beiAneurysmen auch Okulomotoriusparesen ohnePupillenstörung auftreten können. Dabei wurdeihr Anteil in einer Studie mit 14% geschätzt (Kis-sel u. Mitarb. 1983). Darüber hinaus gaben in ei-ner Umfrage 199 von 646 befragten Neurochirur-gen (30,8%) an, mindestens einen Patienten miteiner Okulomotoriusparese infolge eines Aneu-rysmas gesehen zu haben, dessen Pupillenfunk-tion intakt war (O’Connor u. Mitarb. 1983).

Im Einzelfall schließt eine fehlende Pupillenstörungein ursächliches Aneurysma nicht sicher aus.

Okulomotoriusparese durch neurovaskul�reKompression. Eine seltene Ursache einer Okulo-motoriusparese ist die vaskuläre Kompressiondes Nervs nach Austritt aus dem Mittelhirn durcheine elongierte und erweiterte A. basilaris (Mega-dolichobasilaris; Moschner et al.1997, Hashimotoet al. 1998, Tilikete et al. 2000). Solch ein Gefäß-Nerven-Kontakt kann wohl auch zu episodischen

Abb. 3.6 ParalytischesAneurysma als Ursacheeiner Okulomotoriusparesein der Katheterangiogra-phie (obere Bilder) und MR-tomographische Darstel-lung der Lagebeziehungzum N. oculomotorius (un-teres Bild). (aus: Kömpf D.Optomotorische Hirnner-ven: N. oculomotorius (III),N. trochlearis (IV) und N.abducens (VI). In: Hopf HC,Köpf D, Hrsg. Erkrankungender Hirnnerven. Stuttgart:Thieme; 2006: Abb. 4.6,S. 70)

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Doppelbildern führen, die klinisch wie eine idio-pathische okuläre Neuromyotonie imponieren(s.S.121 f; Tilikete et al. 2000, Thömke u. Gawehn2006).

Traumatische Okulomotoriusparesen. Trauma-tische Läsionen des N. oculomotorius könnenden Nerv sowohl nach Austritt aus dem Hirn-stamm als auch in seinem intramesenzephalenVerlauf schädigen. Es handelt sich üblicherweiseum erhebliche Gewalteinwirkungen mit initialerBewusstlosigkeit, Schädelbasisfrakturen, trau-matischen Subarachnoidalblutungen oder Schä-digungen des Mittelhirns durch Einblutungenoder Kontusionen. In aller Regel sind also gleich-zeitig weitere neurologische Ausfälle vorhanden(z.B. Halbseitenlähmung, Bewusstseinsstörun-gen, Verwirrtheitszustände). Eine Okulomoto-riusparese kann selten auch das einzige Symp-tom einer kleinen umschriebenen Mittelhirnblu-tung infolge eines vergleichsweise leichtenSchädel-Hirn-Traumas sein (Balcer et al. 1996).Schließlich sind traumatische Okulomotoriuspa-resen auch möglich, ohne dass der Ort der Läsionnachzuweisen ist (Levy et al. 2005).

Schmerzhafte Okulomotoriusparese ohne Pu-pillenstçrung. Die häufigste Ursache einerschmerzhaften Okulomotoriusparese ohne Pupil-lenstörung ist ein Diabetes, wobei Pupillenstö-rungen aber auch bei einem Aneurysma fehlenkönnen. Dabei wird als Ursache des Schmerzeseine Irritation afferenter Fasern des trigeminalenSystems diskutiert, die im N. oculomotorius ver-laufen sollen (Bortolami u. Mitarb. 1993).

Schmerzhafte Okulomotoriusparese mit Pupil-lenstçrung. Die häufigste Ursache einerschmerzhaften Okulomotoriusparese mit Pupil-lenstörung ist das A.-communicans-posterior-Aneurysma, wobei allerdings auch bei 20– 30%der ebenfalls häufiger mit Schmerzen einherge-henden diabetischen Okulomotoriusparesen einePupillenstörung besteht.

Bei schmerzhaften Okulomotoriusparesen ist kli-nisch im Einzelfall keine verlässliche Unterschei-dung zwischen einer diabetischen (vaskulären) undeiner durch ein Aneurysma bedingten Okulomo-toriusparese möglich.

Okulomotoriusparesen bei Tumorerkrankungen.Die Mehrzahl der zu einer Okulomotoriuspareseführenden Tumoren sind supratentoriell und füh-ren entweder zu einer direkten Nervenschädi-gung (z.B. Druck durch ein Hypophysenadenom)oder zu einer indirekten Schädigung infolge einerintrakraniellen Drucksteigerung mit Kompres-sion des Nervs am Tentoriumschlitz. Bei supra-tentoriellen Drucksteigerungen bestimmt dieRichtung der Druckentwicklung, ob der N. oculo-motorius ipsilateral oder kontralateral zur Raum-forderung geschädigt wird, wobei gemeinhin einezusätzliche Hirndrucksymptomatik oder fokal-neurologische Defizite (z.B. Kopfschmerzen, mo-torische und/oder sensible Hemisymptomatik)klinisch fassbar sind oder dem Auftreten derOkulomotoriusparese voraus gehen und so diag-nostisch richtungsweisend sind.

Mittelhirntumoren sind als Ursache isolierterOkulomotoriusparesen selten, meist bestehennoch zusätzliche klinische Zeichen einer Mittel-hirnschädigung (z.B. kontralaterale Hemiparese,vertikale Blickparesen, bilaterale Ptose oder Pu-pillenstörungen).

Okulomotoriusparesen können auch im Rah-men einer Meningeosis karzinomatosa oder lym-phomatosa auftreten. Hierbei sind meist nochandere Hirnnerven betroffen, und oft sind nochweitere unspezifische Symptome wie Kopf-schmerzen mit und ohne Übelkeit und/oder Er-brechen vorhanden. Selten kann die Okulomo-toriusparese aber auch erstes und zunächst einzi-ges Symptom einer Meningeosis neoplastica sein.

Fehlregeneration (= aberrierende Regenerati-on). Leitsymptom einer aberrierenden Regenera-tion sind erworbene Synkinesien, d. h. Mitbewe-gungen bzw. Fehlbewegungen, die eine beabsich-tigte Bewegung begleiten. Sie kommen zustande,wenn die nach distal auswachsenden Axone undkollateralen Axonaussprossungen am Ort derNervenschädigung nicht mehr oder nicht nur inihre ursprünglichen Myelinscheiden, sondern inzu anderen Muskeln führende Markscheiden ein-wachsen und so Muskeln erreichen, denen sieprimär nicht zugeordnet waren (Smith 1998 a,Leigh u. Zee 1999a, e). So können die unterschied-lichsten Synkinesien entstehen, z.B. eine Adduk-tion bei Hebung des Auges, eine Hebung desOberlids bei Senkung des Auges, eine Verengungder Pupille bei Adduktion oder Elevation des Au-ges usw., so dass verwirrende klinische Bilder re-

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sultieren können. Fehlregenerationen des N. ocu-lomotorius sind nahezu ausschließlich nach Lä-sionen des Nervs außerhalb des Hirnstammsbeschrieben worden, insbesondere bei Aneurys-men, aber auch bei Tumoren oder Schädel-Hirn-Traumen, vereinzelt auch bei ophthalmoplegi-scher Migräne (Carlow 2002). In Einzelfällen isteine aberrierende Regeneration auch nach einerintramesenzephalen Nervenschädigung berich-tet worden (Messé et al. 2001).

Okulomotorius-Neurinome (bzw. -Schwanno-me). Okulomotorius-Neurinome (bzw. -Schwan-nome) ohne Morbus Recklinghausen sind mitknapp 40 beschriebenen Fällen äußerst selten(Kenji et al. 2006). Die Mehrzahl der Neurinomebetrifft das Nervensegment nach Austritt ausdem Mittelhirn und vor Eintritt in den Sinus ca-vernosus (zisternales Segment; rund 45%), ge-folgt von Neurinomen im Sinus cavernosus (rund30%) bzw. am Übergang zisternales Segment/Si-nus cavernosus (ca. 13%) sowie in der Orbita (um10%). Dabei waren nicht bei allen, sondern nurbei ca. 75% der Patienten Zeichen einer vollstän-digen oder partiellen Okulomotoriusparese nach-weisbar. Die meisten der operierten Patienten ha-ben von der OP nicht profitiert bzw. bei teilweiserSchädigung auch eine Verschlechterung erfah-ren. Deshab wird eine zurückhaltende Indikati-onsstellung (z.B. große Neurinome, Hirnstamm-kompression, progrediente Ausfälle) diskutiert(Kenji et al. 2006). Zuverlässige Aussagen zumNutzen einer stereotaktischen Bestrahlung sindnoch nicht möglich. Bei stabilem klinischen undMR-tomographischen Befund erscheint Zuwar-ten gerechtfertigt zu sein.

Ophthalmoplegische Migr�ne. Okulomotorius-paresen können auch im Verlauf einer ophthal-moplegischen Migräne auftreten, selten auchmit Affektionen anderer okulomotorischer Hirn-nerven und des 1. Trigeminusastes. Die Erstmani-festation erfolgt bevorzugt im Kindes- und Ju-gendalter, seltener im jungen und mittlerenErwachsenenalter. Typischerweise tritt die Oku-lomotoriusparese auf dem Höhepunkt bzw. ge-gen Ende der Kopfschmerzattacke auf. Die Kopf-schmerzen dauern nicht selten eine oder mehre-re Wochen an, und zwischen Kopfschmerzbeginnund Beginn der Okulomotoriusparese können ei-nige (bis zu 4) Tage liegen. Bei Kindern und Ju-gendlichen können die Kopfschmerzen ganz in

den Hintergrund treten und das klinische Bildvon Erbrechen, kolikartigen Bauchschmerzen,Photophobie, Reizbarkeit, Blässe usw. dominiertwerden. Die Abgrenzung zum paralytischenAneurysma kann im Einzelfall sehr schwierigsein, insbesondere bei fehlender Migräneanam-nese des Patienten und seiner Familie sowie beiErstmanifestation nach dem Kinder- und Jugend-alter und bedarf letztlich der Angiographie. Diffe-renzialdiagnostische Probleme ergeben sichauch, wenn die Migräneattacke nicht als solcheerkannt wird oder das Auftreten der Okulomo-toriusparese erst einige Tage nach oder gar ohnezeitlichen Bezug zur Migräneattacke erfolgt. Üb-licherweise tritt innerhalb von 1– 2 Monaten einevollständige Rückbildung ein, nach mehreren At-tacken können aber auch Residuen verbleiben.

Die International Headache Society fordert alsdiagnostische Kriterien dieser sehr seltenen Stö-rung:A: Wenigstens 2 Kopfschmerzattacken, die das

Kriterium B erfüllen.B: Migräneähnliche Kopfschmerzen mit oder ge-

folgt von einer Parese eines oder mehrerer derHirnnerven 3, 4 und 6.

C: Ein parasellärer Prozess bzw. eine Läsion imBereich der Fissura orbitalis oder der hinterenSchädelgrube konnten durch geeignete Unter-suchungen ausgeschlossen werden.

Neueren MR-tomografischen Befunden zufolgefindet sich meist eine Verdickung und vermehrteKontrastmittelaufnahme des N. oculomotorius,die sich innerhalb einiger Wochen bis Monatewieder zurückbildet (Abb. 3.7; McMillan et al.2007). Hier wurden entzündliche Veränderungenoder eine vermehrte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke im Bereich der Nervenaustrittszo-ne diskutiert. Wegen ähnlicher Phänomene anden Nervenwurzeln beim Guillain-Barré-Syn-drom wurde wiederholt auch eine Einordnungals Migräne angezweifelt und die Möglichkeit ei-ner wiederkehrenden demyelinisierenden Neu-ropathie erwogen (Übersichten bei Lance u. Zaga-mi 2001, Carlow 2002, McMillan et al. 2007), zu-mal eine Reihe weiterer klinischer Kennzeichendieser Patienten für eine Migräne ungewöhnlichsind. Hierzu zählen insbesondere die Latenz vonbis zu 4 Tagen zwischen Kopfschmerzbeginnund Auftreten der Okulomotoriusparese, die oftungewöhnlich lange (eine bis mehrere Wochen)Dauer der Kopfschmerzen, die langsame, Wo-

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chen bis Monate andauernde Rückbildung derOkulomotoriusparese, die Tendenz zu stärkerausgeprägten Ausfällen bei Rezidiven, die Mög-lichkeit permanenter Ausfälle nach wiederholtenEpisoden und die raschere Besserung durch Kor-tikosteroide. Alternativ könnte es sich bei denMR-tomografischen Veränderungen um Folgeneiner lokalen neurogenen (sterilen) Entzündunghandeln, die im Rahmen der trigeminovaskulärenTheorie der Migräne diskutiert wird, durch die eszu einer entzündlichen Entmarkung mit nachfol-gender Remyelinisierung kommt. Insgesamt soll-te diese vergleichsweise seltene Diagnose zu-rückhaltend gestellt werden.

Chronisch-entz�ndliche demyelinisierende Neu-ropathie. Patienten mit einer chronisch-ent-zündlichen demyelinisierenden Neuropathie(chronic inflammatory demyelinating neuropathy,CIDP) können zusätzlich zu ihren Störungen anArmen und Beinen auch eine Okulomotoriuspa-rese mit und ohne Schmerzen haben (Waddy etal. 1989, Arroyo u. Horton 1995). Dabei kann dieOkulomotoriusparese ausnahmsweise auch eini-ge Wochen bis Monate vor der CIDP an Armenund Beinen auftreten und differenzialdiagnosti-sche Probleme machen (Donaghy u. Earl 1985).(Insgesamt sollen 3 – 4% der Patienten mit CIDPokulomotorische Auffälligkeiten haben, v.a. auchnoch M.-rectus-lateralis-Paresen. Arroyo u. Hor-ton 1995.)

Guillain-Barr�-Syndrom. Ein Guillain-Barré-Syn-drom kann selten einmal mit einer symmetri-schen oder asymmetrischen Ptose beginnen, wo-bei letztere eine unilaterale Ptose und somit einebeginnende Okulomotoriusparese vortäuschenkannn (Ropper 1986). Inkonstant vorhandeneweitere Paresen, z.B. der Mm. recti laterales oderder fazialen Muskulatur, erlauben schon frühzei-tig die Abgrenzung zur Okulomotoriusparese,werfen aber die Differenzialdiagnose einer Myas-thenia gravis auf (s.u.). Richtungsweisend istdann der weitere Verlauf mit Ausbildung genera-lisierter Paresen und einer Areflexie.

Miller-Fisher-Syndrom. Auch ein Miller-Fisher-Syndrom kann initial mit Doppelbildern infolgevon Paresen okulomotoriusinnervierter Muskelnbeginnen, wobei die diagnostische Einordnungaufgrund der im weiteren Verlauf auftretendenAtaxie und Areflexie erfolgt (ggf. auch leichter ge-neralisierter Paresen). Dabei sind fast immerauch anti-GQ1b-Antikörper nachweisbar. Seltenkann eine Okulomotoriusparese auch das alleini-ge Symptom einer anti-GQ1b-IgG-Antikörperbil-dung sein (Ichikawa et al. 2002).

Zyklische Okulomotoriusparese. Die zyklischeOkulomotoriusparese (oculomotor nerve paresiswith cyclic spasms) ist eine üblicherweise konge-nitale Störung, bei der eine einseitige Okulomo-toriusparese mit Ptosis, Mydriasis, Störung derAkkommodation und Paresen der vom N. oculo-motorius versorgten Augenmuskeln besteht. Cir-

Abb. 3.7 a, b a MR-tomografischer Nachweis einerKontrastmittelaufnahme des rechten N. oculomotori-us in der akuten Phase einer ophthalmoplegischen Mi-gräne (Pfeil). b Deutliche Besserung im Verlauf. (aus:

Kömpf D. Optomotorische Hirnnerven: N. oculomo-torius (III), N. trochlearis (IV) und N. abducens (VI). In:Hopf HC, Köpf D, Hrsg. Erkrankungen der Hirnnerven.Stuttgart: Thieme; 2006: Abb. 4.8, S. 76).

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ca alle 2 Minuten kommt es dann zu 10– 30 Se-kunden dauernden „Spasmen“, während der dasptotische Augenlid angehoben wird, das Augelangsam adduziert, die Pupille sich verengt unddie Akkommodation zunimmt. Selten kann einederartige Störung aber auch erst im Erwachse-nenalter auf dem Boden einer erworbenen Okulo-motoriusparese (Bestrahlung, Aneurysma; unge-klärte Ursache) auftreten (Übersicht bei Miller u.Lee 2004).

Sowohl bei kongenitalen wie auch erworbe-nen Formen wurde eine primäre Schädigung in-trakranieller Abschnitte des N. oculomotoriusdiskutiert. Hierdurch soll es zu einer retrogradensekundären Degeneration von Okulomotorius-kern-Neuronen kommen, deren Resultat schließ-lich 2 überlebende Neuronenpopulationen seinsollen: geschädigte und hyperaktive (Loewenfeldu. Thompson 1975). Die Entstehung ephaptischerErregungen im geschädigten N. oculomotoriuswäre eine weitere mögliche Erklärung, so dasssich gewisse Ähnlichkeiten zwischen der erwor-benen Form der zyklischen Okulomotoriuspareseund der okulären Neuromyotonie (S.121) erge-ben (Miller u. Lee 2004),

Diagnostik

CT/MRT/Angiographie. In Anbetracht des hohenAnteils ursächlicher Aneurysmen und intrakra-nieller Raumforderungen sollte neben MRT (oderCT) auch eine Angiographie durchgeführt werden.Aufgrund der rasanten technischen Fortschritteder letzten Jahre ist hier in den meisten Fällen ei-ne hochauflösende CT- oder MR-Angiographieausreichend. Bei unklaren Befunden ist weiterhineine zerebrale Katheterangiographie nötig. Aufeine Angiographie kann nur verzichtet werden,wenn relevante vaskuläre Risikofaktoren, insbe-sondere Diabetes oder Hypertonus, bestehenund eindeutige radiologische oder elektrophysio-logische (z.B. Masseterreflex) Hinweise auf eineMittelhirnläsion vorliegen.

Morphologische Veränderungen der Augen-muskeln (z.B. Differenzialdiagnose endokrine Or-bitopathie, okulare Myositis) können am bestenmit einer MRT der Orbita oder einer Sonografiedargestellt werden.

Lumbalpunktion. Eine Liquorentnahme sollte beiätiologisch ungeklärten Okulomotoriusparesendurchgeführt werden, da diese, wenn auch selten,

einziges oder initiales Symptom entzündlicheroder maligner Erkrankungen sein können.

Tensilontest. Beim Bild einer kompletten oder in-kompletten äußeren Okulomotoriusparese, d. h.bei fehlender Pupillenbeteiligung, sollte ein Ten-silontest durchgeführt werden, da eine okulareMyasthenie zu gleichen klinischen Bildern führenkann, wobei ein negativer Tensilontest eine oku-lare Myasthenie allerdings nicht ausschließt.

Single-Fibre-EMG. Zur weiteren diagnostischenAbklärung einer okularen Myasthenie kann einSingle-Fibre-EMG des M. orbicularis oculi mitNachweis eines pathologischen Jitters, ggf. auchin den Augenmuskeln (Huber u. Schiller 1982),hilfreich sein. Allerdings wird ein diagnostischesSingle-Fibre-EMG der Augenmuskeln nur in ganzseltenen Fällen erforderlich sein und ist nur beientsprechender Erfahrung des Untersuchers zurechtfertigen.

Traktionstest. Insbesondere wenn klinisch nureine Parese eines einzigen, vom N. oculomotoriusinnervierten Muskels imponiert, sollte mit einemTraktionstest eine restriktive Augenbewegungs-störung ausgeschlossen werden.

Differenzialdiagnose

Das klinische Bild einer kompletten äußeren undinneren Okulomotoriusparese bereitet keine di-agnostischen Schwierigkeiten. Im Gegensatzhierzu sind bei inkompletten äußeren Okulomo-toriusparesen eine Reihe ganz unterschiedlicherStörungen differenzialdiagnostisch zu berück-sichtigen (Tab. 3.3).

Kongenitale Okulomotoriusparese (Smith1998 a) Kongenitale Okulomotoriusparesen sindim Vergleich zu erworbenen Okulomotoriuspare-sen eine Rarität und treten überwiegend einseitigauf. Hierbei ist das paretische Auge meist ambly-op. Die am häufigsten betroffenen Muskeln sindder M. levator palpebrae und der M. rectus supe-rior. Pupillenstörungen sind die Regel, wobeimeist eine miotische Pupille vorliegt, die allge-mein auf eine Fehlregeneration des N. oculomo-torius zurückgeführt wird. Neben einer mehrfachbeschriebenen Agenesie des Okulomotoriuskernswird wegen häufig bestehender klinischer Hin-weise auf eine aberrierende Regeneration auch

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eine frühkindlich erworbene Schädigung des N.oculomotorius vermutet. Richtungsweisend fürdie Diagnose einer kongenitalen Okulomotorius-parese ist neben der Amblyopie (und deshalbmeist fehlender Doppelbilder) der Nachweis ei-ner schon im Kindesalter bestehenden Ptose (z.B.auf alten Fotos).

Duane-Syndrom Typ 2 (Smith 1998 c, f). Beimangeborenen Duane-Syndrom Typ 2 besteht einevariabel ausgeprägte Adduktionsparese mitPseudoptose in Adduktion, die durch eine Bul-busretraktion in Adduktion vorgetäuscht wird.Die Augenmuskelelektromyographie zeigt einepathologische Koinnervation der Mm. recti late-ralis et medialis des betroffenen Auges. Ursachedieser, zum Teil auch familiär auftretenden, kon-genitalen Innervationsanomalie ist wahrschein-lich eine Aplasie des Abduzenskerns und/oderdes N. abducens. Die Patienten haben häufig kei-ne Doppelbilder, diese können jedoch noch im Er-wachsenenalter auftreten und so eine akute Er-krankung vortäuschen. Durch die Retraktion beiAdduktion ist die Abgrenzung zur partiellen Oku-lomotoriusparese leicht möglich.

Vertikales Retraktionssyndrom (Smith 1998 a).Ein vertikales Retraktionssyndrom ist eine ausge-sprochene Rarität. Klinisch imponiert bei diesenangeborenen Störungen eine ein- oder beidseiti-ge Elevationsparese mit Retraktion. Doppelbilder

fehlen. Pathophysiologisch wird neben einer pa-thologischen Koinnervation der Mm. recti supe-rior et inferior auch ein abnormer Muskelansatzdes M. rectus superior diskutiert. Elektromyogra-phische Untersuchungen liegen bislang nicht vor.

Internukle�re Ophthalmoplegie (Leigh u. Zee2006b, S.142 f). Die internukleäre Ophthalmo-plegie ist durch eine Adduktionsparese beim Seit-blick mit üblicherweise erhaltener Adduktion beider Konvergenz charakterisiert. Ursache ist eineLäsion des Fasciculus longitudinalis medialis(MLF) auf der Seite der Parese, in dem die Axoneinternukleärer Neuronen des kontralateralen Ab-duzenskerns zu den Motoneuronen des M. rectusmedialis aufsteigen. Die Adduktion im Rahmender Konvergenz ist erhalten, weil die mesenze-phalen Konvergenzneuronen aufgrund ihrer Lo-kalisation bei einer pontomesenzephalen MLF-Läsion nicht geschädigt werden können (weitereDetails s.S.142 f). Bei der Differenzialdiagnosezur Okulomotoriusparese ist die erhaltene Ad-duktion bei der Konvergenz entscheidend, diebei einer inkompletten Okulomotoriuspareseoder bei myogenen Paresen des M. rectus media-lis fehlt. Allerdings kann bei Läsionen des MLF inHöhe des Okulomotoriuskerns auch die Adduk-tion bei der Konvergenz gestört sein, da ein Teilder Motoneuronen für den M. rectus medialiszwischen den MLF-Fasern liegt, so dass in diesemspeziellen Fall nicht zwischen einer internuk-leären Ophthalmoplegie und einer Parese desM. rectus medialis anderer Ätiologie unterschie-den werden kann.

Skew Deviation (Brodsky et al. 2006, Leigh u. Zee2006c, S.164 f). Die Skew Deviation (Magendie-Hertwig-Schielstellung) ist eine bei einseitigenHirnstammläsionen recht häufig auftretende,ätiologisch und pathophysiologisch heterogeneVertikaldivergenz der Augen. Die Vertikaldiver-genz kann eine Heberparese des tiefer stehendenoder eine Senkerparese des höher stehenden Au-ges vortäuschen. Da das Ausmaß der Vertikaldi-vergenz bei der Skew Deviation typischerweisein allen Blickrichtungen gleich ist, erlaubt diefehlende Zunahme des Schielwinkels sowie diefehlende Zunahme der Doppelbilder beim Blickin Funktionsrichtung des vermeintlich pareti-schen Muskels die Abgrenzung zur inkomplettenOkulomotoriusparese. Das Ausmaß der Vertikal-divergenz muss aber nicht immer konstant sein,

Tabelle 3.3 Differenzialdiagnose erworbener äußererinkompletter Okulomotoriusparesen.

• Kongenitale Okulomotoriusparese

• Duane-Syndrom Typ 2

• Vertikales Retraktionssyndrom

• Internukleäre Ophthalmoplegie

• Skew Deviation

• Strabismus deorsoadductorius

• Monokulare Heberparese

• Monokulare Senkerparese

• Brown-Syndrom

• Endokrine Orbitopathie

• Okulare Myasthenie

• Okulare Myositis

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es kann auch variieren, wechseln (z.B. höher ste-hendes linkes Auge bei Blick nach links und höherstehendes rechtes Auge bei Blick nach rechts) undselten auch alternieren. Die meist gleichzeitigvorhandenen klinischen Zeichen einer gestörtenHirnstamm- und/oder Kleinhirnfunktion ermög-lichen häufig die differenzialdiagnostische Ab-grenzung zu peripheren Paresen einzelner Au-genmuskeln mit vertikaler Funktionsrichtung.

Bei der Skew Deviation besteht auch eine Ver-rollung eines oder beider Augen, d. h. Innenrotati-on des höher und/oder Außenrotation des tieferstehenden Auges (Brandt u. Dieterich 1998), wo-bei Verrollungen beider Augen in Abhängigkeitvon der Höhe der Läsion symmetrisch oder asym-metrisch ausgeprägt sind (Brandt u. Dieterich1998). Die Zyklorotation der Augen kann am bes-ten mit einer Fundusfotografie (bei differenzier-teren Patienten auch mit dem Maddox-Stäbchen-test) nachgewiesen werden, und ermöglicht dieAbgrenzung zur inkompletten Okulomotorius-parese.

In Zweifelsfällen kann am Hess-Schirm nach-gewiesen werden, dass bei der Skew Deviationdie Gesichtsfelder beider Augen in etwa gleicherWeise verlagert, aber nicht eingeschränkt sind.Dagegen sind Paresen einzelner Augenmuskelndadurch gekennzeichnet, dass das Gesichtsfelddes paretischen Auges bei Fixierung mit dem ge-sunden Auge in Funktionsrichtung des pareti-schen Muskels geschrumpft ist.

Strabismus deorsoadductorius. Beim Strabis-mus deorsoadductorius weicht beim Seitblickdas jeweils adduzierte Auge nach unten ab. Es be-steht eine sog. A-Inkomitanz, d. h. der Winkelzwischen den Sehachsen beider Augen wird beiAbblick divergenter bzw. bei Aufblick konvergen-ter. Dieser Befund ist sowohl mit einer Überfunk-tion des M. obliquus superior oder einer Unter-funktion des M. obliquus inferior des jeweilsadduzierten Auges erklärbar. Oft besteht einzusätzliches Innen- oder Auswärtsschielen, beidessen Vorhandensein eine isolierte Obliquus-in-ferior-Parese ausgeschlossen werden kann. Beieiner Obliquus-inferior-Parese nimmt der Schiel-winkel beim Aufblick zu, wohingegen er bei Stra-bismus deorsoadductorius in etwa gleich bleibt.

Monokulare Heberparese. Leitsymptom einermonokularen Heberparese (S.161 f) ist das akuteAuftreten vertikaler Doppelbilder beim Blick

nach oben. Klinisch findet man eine Elevations-parese eines Auges ohne manifeste Schielfehl-stellung beim Geradeausblick. Diese fehlendeSchielstellung des paretischen Auges wurde beider Erstbeschreibung von Jampel u. Fells (1968)als Beleg für eine supranukleäre Schädigung ge-wertet und eine ursächliche Läsion im kontra-lateralen Mittelhirntegmentum angenommen.Eine supranukleäre Genese ist nur bei erhaltenerElevation im Rahmen des Bell-Phänomens anzu-nehmen und ermöglicht die Abgrenzung zur par-tiellen Okulomotoriusparese. Eine monokulareHeberparese mit gleichermaßen eingeschränkterElevation auch beim Bell-Phänomen wurde dage-gen sowohl bei pränukleären Läsionen am kon-tralateralen mesodienzephalen Übergang alsauch bei intramesenzephalen Läsionen des ipsi-lateralen N. oculomotorius beobachtet (S.162).In solchen Fällen kann klinisch nicht zwischen ei-ner supranukleären oder infranukleären Ursacheunterschieden werden.

Monokulare Senkerparese. Noch seltener als dieohnehin schon seltene monokulare Heberparesekann eine monokulare Senkerparese das einzigeSymptom einer Mittelhirnschädigung sein. Hierwurden neben einer partiellen Schädigung desinfranukleären intramesenzephalen N. oculomo-torius (Negoro et al. 1993) auch Metastasen imBereich des Okulomotoriuskerns berichtet (Pusa-teri et al. 1987, Chou u. Demer 1998).

Brown-Syndrom (Wilson et al. 1989). Das selteneBrown-Syndrom ist durch eine Elevationsparesein Adduktion gekennzeichnet (Abb. 3.8), also inder Augenposition, in der die sekundär hebendeFunktion des M. obliquus inferior maximal (unddie primär hebende Funktion des M. rectus supe-rior am geringsten) ausgeprägt ist. Ursache istaber keine Parese des M. obliquus inferior, son-dern Veränderungen im Bereich der Trochlea.Hierdurch kann die Sehne des M. obliquus supe-rior bei einer Kontraktion des M. obliquus inferiorund Erschlaffung des M. obliquus superior nichtdurch die Trochlea gleiten, so dass die Elevationdes Auges mechanisch eingeschränkt ist.

Diagnostisch richtungsweisend ist der Trakti-onstest, bei dem eine passiv eingeschränkte Bul-busmotilität nach oben innen nachweisbar ist.

Neben angeborenen Fällen wurde das klinischeBild eines Brown-Syndroms auch im Zusammen-hang mit folgenden Erkrankungen beschrieben:

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• Tendosynovitis,• Adhäsionen,• tumoröse Infiltration des M. obliquus superior,• Einklemmung des M. obliquus superior in

einer Orbitadachfraktur.

Endokrine Orbitopathie (Huber 1998 a, Boulos u.Hardy 2004, S.127f). Der endokrinen Orbitopa-thie (schilddrüsenassoziierte Orbitopathie) liegtein Autoimmunprozess zugrunde, der mit zeit-lich wechselnder Bevorzugung Schilddrüsen-gewebe und orbitales Gewebe einschließlich derAugenmuskeln befällt. Hier sind insbesondereder M. rectus inferior und der M. rectus medialisbetroffen. Dabei kommt es zu einer einge-schränkten Kontraktions- und Dehnungsfähig-keit der betroffenen Muskeln, wobei sich schließ-lich bei rückläufigen oder fehlenden klinischenEntzündungszeichen fibrotische Veränderungenausbilden. Aufgrund des bevorzugten Befalls derMm. recti inferior et medialis ist die Abgrenzungvon einer inkompletten äußeren Okulomotorius-parese immer dann notwendig, wenn sonstigeZeichen einer endokrinen Orbitopathie wie Ex-ophthalmus, Konjunktivitis, Lidödem oder Lid-retraktion fehlen und nur eine Seite betroffen ist,was besonders zu Beginn der Erkrankung vor-kommen kann.

Hier können mittels Sonografie, CT und MRTdie Veränderungen der Augenmuskeln nachge-wiesen und sono- und magnetresonanztomogra-phisch auch zwischen akut entzündlichen und fi-brotischen Veränderungen unterschieden wer-den.

Myasthenia gravis (Toyka u. Hohlfeld 1999, Engelu. Hohlfeld 2004, S.125 f). Die Myasthenia gravisist eine Autoimmunerkrankung mit Bildung vonAutoantikörpern gegen den Acetylcholinrezeptor,die prinzipiell jede ein- oder beidseitige Augen-bewegungsstörung imitieren kann. Dabei ist dieAbgrenzung zur Okulomotoriusparese immerdann schwierig, wenn nur die entsprechendenMuskeln eines Auges und keine weiteren quer ge-streiften Skelettmuskeln betroffen sind.

Diagnostisch richtungsweisend ist die belastungs-abhängige Zunahme der Paresen, die sich z. B. beiwiederholter Augenbewegung in Funktionsrich-tung des paretischen Muskels verstärkt.

Abb. 3.8 a – c Rechtsseitiges Brown-Syndrom (aus:Thömke F. Paresen der oculomotorischen Hirnnerven.In: Hopf HC, Deuschl G, Diener HC, Reichmann H,Hrsg. Neurologie in Praxis und Klinik, Band II. Stutt-gart: Thieme; 1999: Abb. 20.28, S. 220).

a Deutlich eingeschränkte Hebung des rechten Au-ges in Adduktion.

b Keine eingeschränkte Hebung des rechten Auges inAbduktion.

c Fehlende Schielfehlstellung in der Primärposition.

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Diese Belastungsabhängigkeit ist aber leider nichtimmer vorhanden, so dass die Abgrenzung von ei-ner Okulomotoriusparese klinisch allein nichtmöglich ist und weiterer Untersuchungen bedarf.Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor sindaber gerade bei der okularen Myasthenie bei ca.50% der Patienten nicht nachweisbar. Eine vorü-bergehende Besserung der Parese(n) nach Edro-phoniumchlorid (Tensilon = positiver Tensilon-test) stützt die Annahme einer neuromuskulärenÜbertragungsstörung, ist aber nicht spezifisch.Darüber hinaus schließt ein negativer Tensilon-test eine Myasthenie nicht aus. (Bei negativemTensilontest kann manchmal durch Gabe des län-ger wirksamen Neostigmins mit Atropin eine Bes-serung der Parese erzielt und eine neuromuskulä-re Übertragungsstörung nachgewiesen werden.)Es kann auch versucht werden, die Ermüdbarkeitdes optokinetischen Nystagmus und dessen Bes-serung nach Gabe von Tensilon mit der Elektro-okulographie nachzuweisen. Schließlich kann einEinzelfaser-EMG des M. orbicularis oculi, aus-nahmsweise auch eines Augenmuskels, diagnos-tisch richtungsweisend sein, wenn sich ein patho-logischer Jitter findet.

Myasthenes (Lambert-Eaton-) Syndrom. Dasmyasthene Syndrom (Voltz u. Hohlfeld 1999,Newsom-Davis 2004, S.127) ist eine sehr seltene,häufig mit einem kleinzelligen Bronchialkarzi-nom assoziierte Autoimmunerkrankung, bei deres zur Bildung von Autoantikörpern gegen diespannungsabhängigen Kalziumkanäle der präsy-naptischen Membran der neuromuskulären Sy-napse kommt. Augenbewegungsstörungen sindselten und stehen gegenüber den klinisch führen-den proximalen Paresen der Extremitäten imHintergrund. Eine initial ausschließlich okulareManifestation ist eine ausgesprochene Rarität.

Okulare Myositis. Die idiopathische okulareMyositis (Banker 1994, Huber 1998 b, S.128 f) istwahrscheinlich Folge eines Autoimmunprozes-ses. Die Diagnose ist aufgrund des Bewegungs-schmerzes („schmerzhafte Diplopie“) und äuße-rer Zeichen einer Entzündung (Rötung im Bereichdes Sehnenansatzes, Konjunktivitis, Lidödem,Exophthalmus) in den meisten Fällen leicht zustellen.

Differenzialdiagnostische Probleme ergebensich, wenn Schmerzen und Entzündungszeichennur gering ausgeprägt sind. Typischerweise be-

ginnt die Erkrankung an einem geraden Muskel,dessen Kontraktions- und Dehnungsfähigkeitdurch die Entzündung eingeschränkt ist. Hierbeiresultiert z.B. bei Befall des M. rectus medialiseine Adduktionsparese (verminderte Kontrak-tionsfähigkeit) sowie eine Abduktionsparese mitRetraktion (verminderte Dehnungsfähigkeit).Computer- und magnetresonanztomographischfindet sich eine die Sehne einbeziehende Schwel-lung des Muskels.

Augenmuskelmetastasen. Metastasen in Augen-muskeln sind sehr selten und können eine in-komplette Okulomotoriusparese vortäuschen(Capone u. Slamovits 1990, Mehta et al. 2006).Oft, aber keinesfalls immer bestehen auchSchmerzen und – zumindest im weiteren Verlauf– auch ein zunehmender Exophthalmus.

Therapie

Selbstverständlich ist bei erworbenen Okulomo-toriusparesen eine kausale Therapie anzustreben,aber oft nicht immer möglich.

Aneurysmen. Aneurysmen, die zu einer Okulo-motoriusparese geführt haben, sind möglichstumgehend auszuschalten, und zwar unabhängigdavon, ob sie schon zu einer Subarachnoidalblu-tung geführt haben oder nicht. Neben der opera-tiven Klippung kommen auch neuroradiologischeinterventionelle Verfahren infrage, bei denen inden letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzieltwerden konnten. Letztlich hängt das Vorgehenvon der Aneurysmalokalisation und vom Aneu-rysmaaufbau ab, wobei bei gleich guter Angeh-barkeit neuroradiologische Interventionen be-vorzugt werden sollten. Hierdurch wird nichtnur der Nerv entlastet, sondern auch eine poten-zielle Blutungsquelle ausgeschaltet.

Vaskul�re Okulomotoriusparesen. Eine in ihrerWirksamkeit belegte ursächliche Therapie vasku-lärer Okulomotoriusparesen gibt es nicht. Hiersollte aber zur Vermeidung weiterer vaskulärerEreignisse eine Behandlung der Risikofaktorenerfolgen (z. B. Einstellung eines Diabetes, Behand-lung einer Hypertonie) sowie eine Sekundärpro-phylaxe mit Acetylsalicylsäure (100 mg/Tag)durchgeführt weden, auch wenn der Nutzen vonAcetylsalicylsäure vorwiegend bei Ischämien imKarotisstromgebiet belegt ist.

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Tumorexstirpation. Eine Tumorexstirpation wirdnicht immer möglich sein, was sich in derschlechten Prognose tumorbedingter Okulomo-toriusparesen widerspiegelt.

Operative Korrektur. Bleibende Paresen sind beiOkulomotoriusparesen nur bedingt einer operati-ven Korrektur zugänglich, da meist mehrere Au-genmuskeln betroffen sind. Hier ist in enger Ko-operation mit Orthoptisten und Ophthalmologenzu klären, ob bzw. inwieweit es durch individuellangepasste Prismenfolien möglich ist, die stören-den Doppelbilder zu unterdrücken bzw. zu mini-mieren.

Injektionen mit Botulinumtoxin. Es ist möglich,Schielfehlstellungen durch Injektionen von Botu-linumtoxin in antagonistische Augenmuskeln zukorrigieren (z. B. Korrektur eines Auswärtsschie-lens bei Parese des M. rectus medialis durch In-jektion von Botulinumtoxin in den M. rectus late-ralis). Bei akuten Paresen soll dies einer sich imVerlauf entwickelnden Verkürzung antagonisti-scher Augenmuskeln vorbeugen (Metz u. Mazow1988). Der Nutzen dieser Behandlung, deren the-rapeutische Möglichkeiten bei Befall mehrererAugenmuskeln begrenzt sind, ist letztlich abernicht gesichert (Lee u. Mitarb. 1994).

Prognose

Die Prognose von Okulomotoriusparesen hängtentscheidend von deren Ätiologie ab. Die bestePrognose hatten in der großen Serie von Rush u.Younge (1981), die 290 Patienten im Verlauf un-tersuchten, vaskuläre Okulomotoriusparesen, diesich bei 73% der Patienten besserten oder voll-ständig zurückbildeten, und ätiologisch unge-klärte Okulomotoriusparesen, die bei 51% der Be-troffenen eine Besserung aufwiesen.

Schlechtere Prognosen hatten die durch einAneurysma bedingten Okulomotoriusparesen(38% Besserung), die traumatischen Okulomo-toriusparesen (36% Besserung) und schließlichdie tumorbedingten Okulomotoriusparesen, diesich nur bei 23% der Patienten besserten und so-mit die schlechteste Prognose hatten.

3.4 ErworbeneTrochlearisparesen

(Smith 1998 b, Kömpf 2006, Leigh u. Zee 1999 d)

Charakteristika

Klinisch imponiert eine Parese des M. obliquussuperior (Abb. 3.9), dessen hauptsächliche Funk-tion die Drehung des Auges nach innen ist. Die se-kundäre Funktion besteht in einer Senkung desAuges und ist in Adduktion des Auges am stärks-ten ausgeprägt. Maximal ausgeprägte Doppelbil-der treten auf, wenn das gelähmte Auge nach un-ten und innen schaut, d. h. nach links unten bei ei-ner Parese des rechten M. obliquus superior undnach rechts unten bei einer Parese des linken M.obliquus superior. Klinisch kann die Untersu-chung mit einem horizontal gehaltenen Stäbchenhilfreich sein. Hierbei fordert man den Patientenauf anzugeben, in welcher Blickrichtung die Dop-pelbilder parallel zueinander stehen (maximalesSenkungsdefizit, beim M. obliquus superior in Ad-duktion) bzw. schräg zueinander stehen (maxi-males Rotationsdefizit, beim M. obliquus superiorin Abduktion). Diese Untersuchung erbringt aller-dings nur bei aufmerksamen und differenziertenPatienten verwertbare Ergebnisse. Bei vollständi-gen Paresen besteht eine Vertikaldivergenz derAugen, bei der das gelähmte Auge höher stehtund die in Adduktion am deutlichsten ist, da indieser Position das Senkungsdefizit maximal ist.

Die eingeschränkte Senkung des Auges bei einerParese des M. obliquus superior kann bei partiellenParesen der klinischen Untersuchung entgehen.

Der Kopf wird typischerweise zur gesunden Seitemit nach unten gerichtetem Kinn geneigt gehal-ten, da in dieser Stellung keine oder nur minimalausgeprägte schräge Doppelbilder bestehen(„okularer Schiefhals“). Die Neigung des Kopfeszur Seite des paretischen Muskels führt zu einermaximalen Ausprägung der Doppelbilder undmaximal ausgeprägter Vertikaldivergenz mit hö-her stehendem paretischen Auge (positives Biel-schowsky-Phänomen).

Eine Verrollung des paretischen Auges nachaußen, die bei der Parese des das Auge nach innendrehenden M. obliquus superior durch das Über-

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wiegen des das Auge nach außen drehenden M.obliquus inferior entsteht, kann mit dem Mad-dox-Stäbchen bei fast 80% der Patienten objekti-viert (oder weitgehend unabhängig von der Mit-arbeit des Patienten mit der Fundusfotografiedargestellt) werden, wobei allerdings nur knapp16% der Patienten eine hierzu korrelierende Ver-kippung der Sehobjekte bemerken (von Noordenu. Mitarb. 1986). Offenbar kann sich die Mehrzahlder Patienten an die Exzyklodeviation adaptie-ren, wobei mehrere Mechanismen zusammen-arbeiten (z.B. kompensatorische Kopfhaltung,Zyklofusion, Suppression des vom paretischenAuge wahrgenommenen Bildes usw.).

Ätiologie

Der N. trochlearis ist der am seltensten isoliertbetroffene okulomotorische Hirnnerv (Rucker1958, 1966, Rush u. Younge 1981, Richards u. Mit-arb. 1992). Im Vergleich zu älteren Untersuchun-

gen zur Ursache von Okulomotorius-, Trochlea-ris- und Abduzensparesen (Rucker 1958, 1966)hat sich der Anteil der Trochlearisparesen mehrals verdoppelt (Rush u. Younge 1981, Richards u.Mitarb. 1992). Dies dürfte aber eher eine zuneh-mende Beachtung von Trochlearisparesen undweniger eine wirkliche Häufigkeitszunahme wi-derspiegeln, da Trochlearisparesen im Vergleichzu Okulomotorius- und Abduzensparesen in derVergangenheit augenärztlicher- und neurologi-scherseits vernachlässigt worden sind. Trochlea-risparesen machen 20– 25% aller Paresen einzel-ner okulomotorischer Hirnnerven aus (Rush u.Younge 1981, Richards u. Mitarb. 1992). In etwa75% der Fälle ist der N. trochlearis isoliert betrof-fen, in den übrigen 25% der Fälle mit Okulomo-torius- und/oder Abduzensparesen assoziiert(Rush u. Younge 1981). Dabei sind 89 – 92% derisolierten Trochlearisparesen unilateral (Rush u.Younge 1981, von Noorden u. Mitarb. 1986, Ri-chards u. Mitarb. 1992).

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*

*

Abb. 3.9 Schematische Darstellung einer rechtsseiti-gen M.-obliquus-superior-Parese und der hierbei auf-tretenden Doppelbilder. In der Primärposition (undbeim Fixieren mit dem gesunden Auge) weicht das ge-lähmte Auge nach oben und innen ab (primärer Schiel-winkel); beim Fixieren mit dem paretischen Auge deut-

licheres Abweichen des gesunden Auges nach untenund innen (sekundärer Schielwinkel). Der Stern kenn-zeichnet das in der Primärposition jeweils fixierendeAuge. Maximale Ausprägung der Parese beim Blicknach links unten.

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Die mit Abstand häufigste Ursache sind Schä-del-Hirn-Traumen (33–50% der Fälle), gefolgtvon vaskulären und tumorbedingten Trochlearis-paresen, wobei bis zu 33% ätiologisch ungeklärtbleibt (Rucker 1958, 1966, Rush u. Younge 1981,Richards u. Mitarb. 1992; Tab. 3.4).

Intrakranielle Raumforderungen sind bei etwa5% der Patienten Ursache einer Trochlearispare-se. Aneurysmen fanden sich nur bei knapp 1%und sind somit den selteneren Ursachen zuzu-rechnen. Weitere Ursachen sind (Rucker 1958,1966, Rush u. Younge 1981, Richards u. Mitarb.1992):• Komplikationen neurochirurgischer Operatio-

nen,• multiple Sklerose,• Herpes zoster,• Tolosa-Hunt-Syndrom (üblicherweise mit Pa-

resen andererer okulomotorischer Hirnner-ven),

• arteriovenöse Malformationen,• Meningitis,• Mastoiditis,• Komplikationen nach Spinalanästhesie und

diagnostischer Lumbalpunktion,• Neurinome.

Der N. trochlearis kann entlang seines gesamtenVerlaufs geschädigt werden (z. B. intramesenze-phal, im Subarachnoidalraum entlang der Schä-delbasis, im Sinus cavernosus, in der Orbita). Kli-nisch ist ohne zusätzliche Symptome keine loka-lisatorische Zuordnung möglich (Tabelle 3.5).

Traumatische Trochlearisparesen TraumatischeTrochlearisparesen sollen bevorzugt nach schräg

frontaler bzw. frontaler Gewalteinwirkung ent-stehen. Einseitigen Trochlearisparesen soll eineNervenschädigung am Tentoriumrand und beid-seitigen Trochlearisparesen eine Kontusion desVelum medullare im Bereich der Trochleariskreu-zung zugrunde liegen. Üblicherweise liegt eineerhebliche Gewalteinwirkung vor, die neben ei-ner initialen Bewusstlosigkeit auch zu Frakturender Schädelbasis, traumatischen Subarachnoidal-blutungen oder Mittelhirnblutungen führenkann. Oft sind also gleichzeitig weitere neurolo-gische Ausfälle vorhanden (z.B. Halbseitenläh-mung, Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheits-zustände). Gelegentlich kann aber auch einBagatelltrauma zu einer isolierten einseitigenTrochlearisparese führen, der auch eine Mittel-hirnblutung zugrunde liegen kann (Abb. 3.10).Beidseitige Trochlearisparesen sind fast immertraumatisch, können aber auch infolge von Mit-telhirnblutungen oder Corpus-pineale-Tumorenentstehen.

Vaskul�re Trochlearisparesen. Vaskuläre Troch-learisparesen sind wie die vaskulären Okulomo-toriusparesen letztlich eine Ausschlussdiagnose(s.o.). Die Diagnose wurde in großen Serien im-mer dann gestellt, wenn beim Vorliegen zerebro-vaskulärer Risikofaktoren (Diabetes, Hypertonus,Zeichen einer generalisierten Arteriosklerose, Zu-stand nach zerebralen Durchblutungsstörungenusw.) andere Ursachen ausgeschlossen waren(Rucker 1958, 1966, Rush u. Younge 1981, Ri-chards u. Mitarb. 1992). Diskutiert wird ein In-farkt des Nervenstamms nach Austritt aus demHirnstamm im Rahmen einer Mikroangiopathieder Vasa nervorum. Pathologische Befunde, die

Tabelle 3.4 Ursachen erworbener Trochlearisparesen.

Ursache Rucker (1958)n = 67

Rucker (1966)n = 84

Rush u.Younge (1981)n = 172

von Noorden u.Mitarb. (1986)n = 163

Richards u.Mitarb. (1992)n = 255

Traumatisch 35,8% 27,4% 32,0% 56,4% 25,1%

Vaskulär 35,8% 15,5% 18,6% 4,9% 12,4%

Tumoren 4,5% 8,3% 7,0 % – 4,1%

Aneurysma 0 0 1,7 % – 0,7%

Sonstige 10,5% 15,5% 13,0% – 20,2%

Ungeklärt 13,4% 33,3% 36,0% 38,7% 37,0%

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diese Annahme weiter stützen würden, liegenmeines Wissens bislang nicht vor.

Mittlerweile wurde aber auch über einzelnePatienten mit vaskulären Trochlearisparesen be-richtet, die das einzige klinische Symptom mag-netresonanztomografisch gesicherter Mittelhirn-infarkte waren (Abb. 3.11; Thömke u. Ringel1999). Mittelhirninfarkte führen offenbar we-sentlich häufiger zu isolierten Okulomotorius-als zu Trochlearisparesen (Thömke 2002).

Trochlearisneurinome. Neurinome bzw. Schwan-nome des N. trochlearis sind bei Patienten ohneMorbus Recklinghausen zwar eine Rarität, in denletzten Jahren bei zunehmend verbesserterräumlicher Auflösung der Kernspintomographieallerdings wiederholt beschrieben worden. Rund2⁄3 dieser Patienten haben zusätzlich zur M.-obli-quus-superior-Parese Zeichen einer Hirnstamm-funktionsstörung durch eine Kompression desHirnstamms, die übrigen Patienten zeigen ledig-lich eine M.-obliquus-superior-Parese. Mög-licherweise ist dies auch eine bislang unter-diagnostizierte Ursache isolierter M.-obliquus-superior-Paresen, da unlängst bei 6 von 68

Tabelle 3.5 Mögliche Symptome zusätzlich zu einer Trochlearisparese und ihre topodiagnostische Bedeutung.

Ort der Schädigung Mögliche zusätzliche Symptome

Mittelhirn • kontralaterale (insgesamt also bilaterale) Trochlearisparese

• kontralaterale* gliedkinetische Ataxie

• kontralaterales* Horner-Syndrom

• ipsilateral* vermindertes/ausgefallenes Temperatur- undSchmerzempfinden = kompletter A.-cerebelli-superior-Infarkt

• kontralaterale internukleäre Ophthalmoplegie

Sinus cavernosus/Fissura orbitalis superior

• ipsilaterale Okulomotoriusparese

• ipsilaterale Abduzensparese

• ipsilaterale Läsion 1. Trigeminusast

Orbita • Exophthalmus

• ipsilaterale Schädigung des N. opticus

• ipsilaterale Okulomotoriusparese

• ipsilaterale Abduzensparese

• ipsilaterale Läsion 1. Trigeminusast

* ipsilateral/kontralateral bezieht sich auf die Seite der Parese des M. obliquus superior bei Infarkten im Versorgungsgebiet der A. cerebellisuperior, die den ipsiläsionellen Kern betreffen und zu einer kontraläsionellen M.-obliquus-superior-Parese führen

Abb. 3.10 MRT einer Patientin mit linksseitiger M.-obliquus-superior-Parese als einzigem Symptom einerrechtsseitigen Mittelhirnblutung in der Region desTrochleariskerns bzw. des proximalen intramesenze-phalen N. trochlearis.

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konsekutiven Patienten mit dieser Diagnose einursächliches Trochlearisneurinom nachzuweisenwar (Feinberg u. Newman 1999). Selbst habe ichin den letzten Jahren 3 solcher Patienten beob-achten können (Abb. 3.12). Operative Interven-tionen ohne vollständigen Funktionsausfall desNervs sind bei der filigranen Struktur desN. trochlearis nicht zu erwarten und nur beigroßen Neurinomen mit Hirnstammkompressionzu erwägen. Alternativ und insbesondere bei klei-neren Neurinomen bietet sich eine stereotakti-sche Bestrahlung an, v. a. bei progredienten Pare-sen oder rascher Größenzunahme. Bei kleinenNeurinomen kann unter regelmäßiger klinischerund MR-tomographischer Kontrolle zugewartetwerden (Feinberg u. Newman 1999).

Trochlearisparesen bei Tumoren. Diese Paresenentstehen vorwiegend direkt (z.B. Druck von Cor-pus-pineale-Tumoren, Tumorinfiltration), undseltener als Okulomotoriusparesen indirekt infol-ge einer intrakraniellen Druckerhöhung.

Ophthalmoplegische Migr�ne. Eine Affektiondes N. trochlearis bei einer ophthalmoplegischenMigräne ist eine Rarität (und wesentlich seltener

Abb. 3.11 MRT einer Patientin mit rechtsseitiger M.-obliquus-superior-Parese als einzigem Symptom eineslinksseitigen Mittelhirninfarkts, der die Region desTrochleariskerns bzw. des proximalen intramesenze-phalen N. trochlearis mit erfasst hatte.

Abb. 3.12 a, b MR-tomografischer Nachweis eines Neurinoms des N. trochlearis (Pfeil) als Ursache einer M.-ob-liquus-superior-Parese.

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als die ohnehin schon seltene Affektion des N.oculomotorius; s. o.; Wong u. Sharpe 1996).

Diagnostik

Bei der Abklärung einer erworbenen Trochlearis-parese sollte v. a. eine MRT mit MR-Angiographiedurchgeführt werden. Eine Liquorentnahme soll-te zum weitgehenden Ausschluss einer seltenmöglichen entzündlichen (oder neoplastischen)Ursache erfolgen. Schließlich sollte auch ein Ten-silontest durchgeführt werden, auch wenn eineokulare Myasthenie in aller Regel die geraden Au-genmuskeln betrifft.

Differenzialdiagnose

Bei der Differenzialdiagnose erworbener Troch-learisparesen sind eine Reihe ätiologisch ganzunterschiedlicher Störungen zu berücksichtigen(Tab. 3.6).

Kongenitale Trochlearisparese. Patienten mitkongenitaler Trochlearisparese klagen meist erstim Erwachsenenalter über Doppelbilder, die sichbesonders bei Müdigkeit oder übermäßiger Nah-arbeit einstellen. Dabei scheinen Doppelbilderbei kongenitalen seltener als bei erworbenenTrochlearisparesen aufzutreten. So gaben in einerGruppe von 107 Patienten mit kongenitaler M.-obliquus-superior-Parese lediglich 20% der Pa-tienten Doppelbilder an (verglichen mit 80% inder Gruppe mit erworbenen Paresen; von Noor-den u. Mitarb. 1986). Im Einzelfall kann aber dasFehlen von Doppelbildern nicht sicher zwischenkongenitaler und erworbener Trochlearispareseunterscheiden.

Bei der Diagnose einer kongenitalen Trochlearis-parese ist der Nachweis einer schon seit der Kind-heit bestehenden kompensatorischen Kopfhaltung(„okularer Schiefhals“), z. B. auf alten Fotos, wich-tig.

Strabismus sursoadductorius. Beim ein- oderbeidseitig auftretenden Strabismus sursoad-ductorius weicht das jeweils adduzierte Augebeim Seitblick infolge einer Überfunktion desM. obliquus inferior oder Unterfunktion des M.obliquus superior nach oben ab. Dabei bestehteine sog. V-Inkomitanz, d. h. der Winkel zwischenden Sehachsen beider Augen wird bei Abblickkonvergenter bzw. bei Aufblick divergenter.Gleichzeitig besteht meist ein Innenschielen, sel-tener ein Außenschielen, was die Abgrenzung zurTrochlearisparese erlaubt. Des Weiteren nimmtder vertikale Schielwinkel bei einer Trochlearis-parese beim Abblick zu, wohingegen er beimStrabismus sursoadductorius in etwa gleichbleibt.

Im Zweifelsfall kann mit einer Untersuchungam Hess-Schirm eine Parese des M. obliquus su-perior ausgeschlossen werden. Patienten mitStrabismus sursoadductorius haben auch keineAuswärtsrollung (Exzyklodeviation) des ver-meintlich paretischen Auges, die dagegen beietwa 80% der Patienten mit einer akuten erwor-benen Parese des M. obliquus superior nachweis-bar ist (allerdings nur mittels zusätzlicher Unter-suchungen wie Maddox-Stäbchen-Test).

Skew Deviation (Brodsky et al. 2006, Leigh u. Zee2006c, s.S.164f). Eine Skew Deviation mit inallen Blickrichtungen gleich ausgeprägter Verti-kaldivergenz kann aufgrund des in allen Richtun-gen konstanten Schielwinkels bzw. der fehlendenZunahme der Doppelbilder bei Blick in Funk-tionsrichtung des M. obliquus superior abge-grenzt werden. Wenn allerdings das Ausmaß derVertikaldivergenz beim Seitblick wechselt, dannkann eine Skew Deviation mit einer Trochlearis-parese verwechselt werden. Dabei haben Patien-ten mit einer Skew Deviation oft zusätzliche Zei-chen einer gestörten Hirnstamm- und/oderKleinhirnfunktion. Bei einer Skew Deviation be-steht immer auch eine Verrollung eines oder bei-der Augen, d. h. Innenrotation des höher und/oderAußenrotation des tiefer stehenden Auges(Brandt u. Dieterich 1993), wobei Verrollungen

Tabelle 3.6 Differenzialdiagnose erworbener Trochlea-risparesen.

• Kongenitale Trochlearisparese

• Strabismus sursoadductorius

• Skew Deviation

• Endokrine Orbitopathie

• Okulare Myasthenie

• Okulare Myositis

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beider Augen in Abhängigkeit von der Höhe derLäsion symmetrisch oder asymmetrisch ausge-prägt sind (Brandt u. Dieterich 1998). Die Zyklo-rotation der Augen kann am besten mit einer Fun-dusfotografie nachgewiesen werden. Im Gegen-satz zu einer Skew Deviation ist bei einerTrochlearisparese das höher stehende paretischeAuge nach außen verrollt (Tab. 3.7). (Allerdingsist bei einer Trochlearisparese nicht immer eineVerrollung nachweisbar.)

In Zweifelsfällen kann am Hess-Schirm nachgewie-sen werden, dass bei einer Trochlearisparese dasGesichtsfeld des paretischen Auges bei Fixierungmit dem gesunden Auge in Funktionsrichtung desparetischen M. obliquus superior geschrumpft ist.Bei einer Skew Deviation hingegen sind die Ge-sichtsfelder beider Augen bei Rechts- und Links-fixation in etwa gleicher Weise verlagert, abernicht geschrumpft.

Weitere Differenzialdiagnosen

Trochlearisparesen können schließlich auch beiokularer Myasthenie, endokriner Orbitopathie undoligosymptomatischer Myositis vorgetäuscht wer-den. Diese Differenzialdiagnosen sind allerdingshäufiger bei einer Okulomotorius- oder Abdu-zensparese zu erwägen, da bei diesen Erkrankun-gen am häufigsten die vertikalen und horizonta-len Mm. recti betroffen sind.

Therapie

Prinzipiell gilt für die Therapie erworbenerTrochlearisparesen das gleiche wie für erworbe-ne Okulomotoriusparesen (S.101), wobei Paresendes M. obliquus superior einer operativen Korrek-tur besser zugänglich sind, da einerseits nur einMuskel betroffen ist und andererseits 3 verschie-dene Muskeln operativ angegangen werden kön-nen (z.B. Verkürzung des betroffenen M. obliquussuperior, chirurgische Parese des ipsilateralenM. obliquus inferior oder des kontralateralenM. rectus inferior oder eine Kombination dieserMöglichkeiten).

Tabelle 3.7 Unterschiede zwischen Skew Deviation und M.-obliquus-superior-Parese.

Skew Deviation M.-obliquus-superior-Parese

Vertikaldivergenz der Augen ja ja

Verrollung der Augen ja

einseitig oder beidseitig

• Verrollung beider Augen (ca. 50% derPatienten)" Innenrotation des höher stehenden Auges" Außenrotation des tiefer stehenden Auges

• Verrollung nur eines Auges (ca. 50% derPatienten)" Außenrotation des tiefer stehenden Auges

(ca. 30% der Patienten)" Innenrotation des höher stehenden Auges

(knapp 20% der Patienten)

möglich

wenn, dann einseitig

das höher stehende Auge ist nach innen unddas tiefer stehende Auge nach außen verrollt

wenn, dann ist das höherstehende (paretische) Augenach außen verrollt

nach Brandt u. Dieterich. 1993

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Prognose

Die Prognose erworbener Trochlearisparesen istbesser als die von Okulomotoriusparesen undwird von den Ursachen bestimmt. Die beste Prog-nose hatten bei 172 im Verlauf untersuchten Pa-tienten vaskuläre und ätiologisch ungeklärteTrochlearisparesen, die sich bei 75% bzw. 55%der Patienten besserten oder vollständig zurück-bildeten (Rush u. Younge 1981).

Eine schlechtere Prognose hatten die trauma-tischen und tumorbedingten Trochlearisparesen,die bei 44% bzw. 42% der Patienten eine Besse-rung oder Rückbildung aufwiesen (Rush u. Youn-ge 1981). Die schlechteste Prognose hatten durchein Aneurysma bedingte Trochlearisparesen, diesich nur bei 1 von allerdings lediglich 3 unter-suchten Patienten besserte.

3.5 Erworbene Abduzensparesen

(Smith 1998 c, Kömpf 2006, Leigh u. Zee 2006 e)

Charakteristika

Es besteht eine Parese des M. rectus lateralis mitungekreuzten horizontalen Doppelbildern, diebei Blick in Funktionsrichtung des M. rectus late-ralis zunehmen (Abb. 3.13). Der Kopf wird typi-scherweise in Funktionsrichtung des paretischenM. rectus lateralis gedreht, also zur kranken Seite,da in dieser Stellung die Doppelbilder minimiertwerden. Bei ausgeprägten Paresen (und Fixationmit dem gesunden Auge) besteht ein Innenschie-len (Esotropie) des paretischen Auges.

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*

*

Abb. 3.13 Schematische Darstellung einer rechtssei-tigen M.-rectus-lateralis-Parese und der hierbei auf-tretenden Doppelbilder. In der Primärposition (und Fi-xieren mit dem gesunden Auge) weicht das gelähmteAuge nach innen ab (primärer Schielwinkel); beim Fi-

xieren mit dem paretischen Auge deutlicheres Abwei-chen des gesunden Auges innen (sekundärer Schiel-winkel). Der Stern kennzeichnet das in der Primärposi-tion jeweils fixierende Auge. Maximale Ausprägung derParese beim Blick nach rechts.

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Ätiologie

Isolierte Paresen okulomotorischer Hirnnervenbetreffen zu 40– 50% und somit am häufigstenden N. abducens. In 75 – 85% der Fälle ist der Nervisoliert, in den übrigen 15– 25% zusammen mitdem N. oculomotorius und/oder N. trochlearis be-troffen (Rucker 1958, 1966, Rush u. Younge 1981,Richards u. Mitarb. 1992). Dabei sind 91– 92%der isolierten Abduzensparesen unilateral (Rushu. Younge 1981, Richards u. Mitarb. 1992).

In großen Serien wurden als häufigste Ursa-chen diagnostiziert:• Tumoren,• vaskuläre Genese,• Schädel-Hirn-Traumen.

Gut 25% der Ursachen blieb ätiologisch ungeklärt(Tab. 3.8; Rucker 1958, 1966, Shrader u. Schlezin-ger 1960, Rush u. Younge 1981, Berlit u. Mitarb.1988, Richards u. Mitarb. 1992).

Im Gegensatz zu den übrigen okulomotori-schen Hirnnerven ist die Multiple Sklerose einerelativ häufige Ursache von Abduzensparesenund wurde bei 3,7– 7% aller Abduzensparesenaus ophthalmologischen Kliniken (Rucker 1958,1966, Rush u. Younge 1981, Richards u. Mitarb.1992), und bei 6,7 –12,5% der Patienten mit Ab-duzensparesen aus neurologischen Kliniken di-agnostiziert (Shrader u. Schlezinger 1960, Berlitu. Mitarb. 1988).

Aneurysmen sind vergleichsweise seltene Ur-sachen von Abduzensparesen (bei etwa 3% derPatienten). Zu den selteneren Ursachen zählen(Rucker 1958, 1966, Shrader u. Schlezinger 1960,

Rush u. Younge 1981, Berlit u. Mitarb. 1988, Ri-chards u. Mitarb. 1992):• Komplikationen neurochirurgischer Operatio-

nen,• Meningitiden,• Enzephalitiden,• virale Infektionen,• Pseudotumor cerebri,• Hydrozephalus,• Otitis,• Sinusitis,• Ethmoiditis,• Mastoiditis,• Arteriitis temporalis,• Panarteriitis nodosa,• Lupus erythematodes,• Wegener-Granulomatose,• Sarkoidose,• Wernicke-Enzephalopathie,• Guillain-Barré-Syndrom,• A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fistel,• Sinus-cavernosus-Thrombose,• Leukämien,• Neurinome,• Makroglobulinämie,• subdurale Hämatome,• subdurale Hygrome,• Liquorunterdrucksyndrome (spontan oder ia-

trogen nach diagnostischer Lumbalpunktion,Myelographie oder Spinalanästhesie).

Die ursächlichen Läsionen können im infranu-kleären intrapontinen Nervenverlauf und entlangder gesamten Strecke nach dem Austritt aus derventralen kaudalen Brücke bis zur Orbita auftre-

Tabelle 3.8 Ursachen erworbener Abduzensparesen.

Ursache Rucker(1958)

n = 409

Shrader u.Schlezinger(1960)n = 104

Rucker(1966)

n = 515

Rush u.Younge(1981)n = 419

Berlit u.Mitarb.(1988)n = 165

Richards u.Mitarb.(1992)n = 575

Tumoren 20,0% 6,7% 30,9% 14,6% 10,9% 19,3%

Vaskulär 13,9% 36,5% 8,9% 17,7% 29,7% 18,3%

Traumatisch 13,9% 2,9% 10,7% 16,7% 3,0% 11,0%

Aneurysma 3,9% 0 2,9% 3,6% 4,2% 2,1%

Multiple Sklerose 3,7% 12,5% 7,0% 4,3% 6,7% keine Angaben

Sonstige 13,0% 17,4% 17,9% 13,6% 16,4% 25,4%

Ungeklärt 31,6% 24,0% 21,7% 29,5% 29,1% 23,9%

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ten. Hierbei ist ohne zusätzliche Symptome kli-nisch keine weitere lokalisatorische Zuordnungmöglich (Tab. 3.9).

Wesentliche Unterschiede in der Ätiologie uni-lateraler und bilateraler Abduzensparesen beste-hen nicht, außer dass vaskuläre Abduzensparesenviel seltener bilateral als unilateral sind und beimGuillain-Barré-Syndrom und der Wernicke-En-zephalopathie häufiger bilaterale als unilateraleAbduzensparesen auftreten (Keane 1976).

Tumoren. Tumoren waren in den großen Serienaus der Ophthalmologie der Mayo-Klinik bei ins-gesamt 413 von 1918 Patienten (22%) Ursache derAbduzensparesen (Rucker 1958, 1966, Rush u.Younge 1981, Richards u. Mitarb. 1992). In 2 klei-neren Serien aus neurologischen Kliniken war derAnteil ursächlicher Tumoren mit 7 von 104 (6,7%;Shrader u. Schlezinger 1960) bzw. 18 von 165 Pa-tienten (10,9%; Berlit u. Mitarb. 1988) deutlichkleiner, was am ehesten Ausdruck einer Vorselek-tion der Patienten sein dürfte.

Bei den Tumoren überwiegen:• Metastasen,• Meningeome,• Ponsgliome,• Klivuschordome.

Die Paresen sind entweder direkte Folge desTumors (z. B. Ponsgliome, Klivuschordome) oderentstehen indirekt bei einer intrakraniellen Druck-steigerung bei supratentoriellen Tumoren.

Die Mehrzahl dieser Patienten zeigt weitere loka-lisatorisch verwertbare Symptome (z. B. kontrala-terale Hemiparese, ipsilaterale Ataxie beim Pons-gliom) oder unspezifische Zeichen einer Hirn-drucksteigerung, die für die weitere Diagnostikrichtungsweisend sind. Allerdings kann eine Ab-duzensparese initial auch das einzige klinischeSymptom eines intrakraniellen Tumors sein(Abb. 3.14).

Abduzens-Neurinome. Abduzens-Neurinome(bzw. -Schwannome) ohne Morbus Recklinghau-sen sind ausgesprochene Raritäten. Die meistender bislang beschriebenen rund 10 Patienten hat-ten neben der M.-rectus-lateralis-Parese weitereSymptome (ipsilaterale Fazialisparese, Schwin-del, ipsilaterale Gefühlsstörungen im Gesicht,Kopfschmerzen). Eine isolierte M.-rectus-latera-

lis-Parese ist bislang wohl nur bei 3 Patienten be-obachtet worden (Nakamura et al. 2002).

Traumatische Abduzensparesen. TraumatischeAbduzensparesen sollen bevorzugt durch Ge-walteinwirkungen in anterior-posteriorer Rich-tung entstehen. Meist liegt eine erhebliche Ge-walteinwirkung vor, die neben einer initialenBewusstlosigkeit auch zu Frakturen der Schädel-basis oder einer traumatischen Subarachnoidal-blutung führen kann. Oft sind also gleichzeitigweitere neurologische Ausfälle vorhanden (z.B.Halbseitenlähmung, Bewusstseinsstörungen, Ver-wirrtheitszustände). Hierbei treten zwar häufigFelsenbeinfrakturen auf, sind jedoch keine Vor-aussetzung der Entstehung einer Abduzenspare-se. Dabei schließt der fehlende nativröntgenolo-gische oder computertomographische Fraktur-nachweis diese aber auch nicht aus. Eine vertikaleGewalteinwirkung kann durch Dehnung (im Ex-tremfall Abriss) des N. abducens am Austritt ausdem Pons oder am Durchtritt durch die Dura zueiner Nervenschädigung führen.

Abb. 3.14 MRT einer Patientin mit großem linksseiti-gen Ponsgliom, die zum Zeitpunkt der Untersuchunglediglich eine isolierte Abduzensparese links aufwies(und in den folgenden Wochen eine rasch progredien-te Hemiparese entwickelte).

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Tabelle 3.9 Mögliche Symptome zusätzlich zu einer Abduzensparese und ihre topodiagnostische Bedeutung.

Ort der Schädigung Mögliche zusätzliche Symptome

Pons

• Abduzenskernkeine Abduktionsparese,sondern horizontale Blickparese

• ipsiläsionell ausgefallene Augenbewegungen+ ipsilaterale Trigeminusschädigung+ ipsilaterale Fazialisparese+ kontralaterale dissoziierte Empfindungsstörung= Gasperini-Syndrom (selten)

• ipsiläsionell ausgefallene Augenbewegungen+ ipsilaterale Hemiataxie+ kontralaterale Hemiparese+ kontralaterale Hemihypaesthesie= Raymond-Cestan-Syndrom (selten)

• Intrapontines Nervensegment • kontralaterale Hemiparese= Raymond-Syndrom (selten)

• kontralaterale Hemiparese

• kontralaterale Hemihypaesthesie

• ipsilaterale Fazialisparese= Foville-Syndrom (selten)

• kontralaterale Hemiparese

• ipsilaterale Fazialisparese= Millard-Gubler-Syndrom (selten)

• kontralaterale Hemiparese

• kontralaterale Hemihypaesthesie

• ipsilaterale Fazialisparese

• ipsilaterales Horner-Syndrom= Pierre-Marie-Foix-Syndrom (selten)

Kleinhirnbrückenwinkel • ipsilaterale Trigeminusstörung

• ipsilaterale Fazialisparese

• ipsilaterale Schädigung des N. vestibulocochlearis

• ipsilaterale Hemiataxie

Felsenbeinspitze • ipsilaterale Trigeminusstörung

• ipsilaterale Fazialisparese

• ipsilaterale Schädigung des N. vestibulocochlearis= Gradenigo-Syndrom

Sinus cavernosus/Fissura orbitalis superior

• ipsilaterale Okulomotoriusparese

• ipsilaterale Trochlearisparese

• ipsilaterale Läsion 1. Trigeminusast

Orbita • Exophthalmus

• ipsilaterale Schädigung des N. opticus

• ipsilaterale Okulomotoriusparese

• ipsilaterale Trochlearisparese

• ipsilaterale Läsion 1. Trigeminusast

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Vaskul�re Abduzensparesen. Vaskuläre Abdu-zensparesen sind, wie die vaskulären Okulomo-torius- und Trochlearisparesen, in der Mehrzahlder Fälle Ausschlussdiagnosen. Diese diagnosti-sche Einordnung erfolgte in großen Serien immerdann, wenn beim Vorliegen zerebrovaskulärer Ri-sikofaktoren (Diabetes, Hypertonus, Zeichen ei-ner generalisierten Arteriosklerose, Zustand nachzerebralen Durchblutungsstörungen usw.) ande-re Ursachen ausgeschlossen waren (Rucker 1958,1966, Rush u. Younge 1981, Richards u. Mitarb.1992). Auch hier wird ein Infarkt des Nerven-stamms nach Austritt aus dem Hirnstamm imRahmen einer Mikroangiopathie der Vasa nervo-rum angenommen, ohne dass hierfür meinesWissens zwingende pathologische Befunde vor-liegen würden.

Wie bei den vaskulären Okulomotoriuspare-sen wurde seit Ende der 80er Jahre wiederholtauch von einzelnen Patienten mit umschriebe-nen Ponsinfarkten berichtet, die keine weiterenklinischen Zeichen einer Hirnstammschädigungaufwiesen (Abb. 3.15; Thömke 2002). Dieser Me-chanismus scheint häufiger zu sein, als diese Ka-suistiken mit zumeist magnetresonanztomogra-phisch dokumentierten Ponsläsionen vermutenlassen. So wiesen abnorme elektrophysiologischeBefunde (Elektrookulographie, R1-Komponentedes Blinkreflexes) bei Patienten mit vaskulärenAbduzensparesen häufiger auf eine ursächlichePonsläsion hin, als MR-tomografisch zu bestäti-gen war (Thömke 1998). Aufgrund eigener Erfah-rungen sind möglicherweise rund 50% aller vas-kulären Abduzensparesen auf umschriebenePonsinfarkte zurückzuführen (Thömke 1998).

Multiple Sklerose. Der N. abducens ist der mitAbstand am häufigsten durch eine Multiple Skle-rose geschädigte okulomotorische Hirnnerv. Inden großen ophthalmologischen Serien derMayo-Klinik wurde bei 3,7– 7% der Patienten ei-ne ursächliche Multiple Sklerose diagnostiziert,verglichen mit insgesamt 1,8% der Okulomotori-us- und 0,3% der Trochlearisparesen (Rucker1958, 1966, Richards u. Mitarb. 1992). In Serienaus neurologischen Kliniken war der Anteil mit6,7% (11 von 165 Patienten) ähnlich (Berlit u. Mit-arb. 1988) bzw. mit 12,5% (13 von 104 Patienten)deutlich höher (Shrader u. Schlezinger 1960). Ins-gesamt treten isolierte Abduzensparesen im Rah-men einer Multiplen Sklerose aber nur selten aufund waren bei 2,2% unserer Patienten mit erstem

Schub das erste Symptom der Erkrankung undbei 0,5% aller Patienten einziges Symptom einesSchubs (Thömke u. Mitarb. 1997). Dabei warendie ursächlichen Demyelinisierungen des intra-pontinen Nervenabschnitts wiederholt magnet-resonanztomografisch nachweisbar (Abb. 3.16).

Aneurysmen. Aneurysmen sind vergleichweiseselten Ursache einer Abduzensparese und kön-nen sowohl aufgrund einer plötzlichen Erweite-rung des Aneurysmas mit Druck auf den Nerv oh-ne Ruptur als auch im Rahmen einer Subarach-noidalblutung auftreten. Dabei handelt es sichmeist um intrakavernöse Aneurysmen im hinte-ren Abschnitt der A. carotis interna, die auch denN. trochlearis sowie den 1. Trigeminusast schädi-gen können. Zusätzlich kann bei einer Erweite-rung eines infraklinoidalen Aneurysmas auchder Plexus caroticus beeinträchtigt werden undUrsache eines ipsilateralen Horner-Syndromssein. Schmerzen, die nach retrookular oder imStirnbereich lokalisiert werden, sind auf eine Af-fektion des 1. Trigeminusasts zurückzuführen. In-folge einer venösen Abflussstauung kann es auchzu einer Rötung des Auges mit Exophthalmuskommen. Rupturen intrakavernöser Aneurysmenführen zu A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fistelnmit Einblutung in den Sinus cavernosus (S.121).

Abb. 3.15 Diffusionsgewichtetes MRT mit Nachweiseines akuten umschriebenen linksseitigen Ponsinfarktsim Verlauf des N. abducens (Pfeil) bei einer Patientinmit isolierter M.-rectus-lateralis-Parese links.

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Neurovaskul�re Kompression. Eine seltene, mitzunehmender Verbreitung hochauflösender MRTwiederholt beschriebene mögliche Ursache einerAbduzensparese ist die vaskuläre Kompressiondes Nervs nach dessen Austritt aus dem Ponsdurch eine elongierte und erweiterte A. basilaris(Megadolichobasilaris; Ohtsuka et al. 1996, Na-kanishi et al. 1999, Narai et al. 2000, Ohashi et al.2001, Goldenberg-Cohen u. Miller 2004).

Schließlich wurde bei einem Patienten eineperiodisch auftretende einseitige M.-rectus-late-ralis-Parese bei einer vaskulären Kompressiondes ipsilateralen N. abducens beobachtet. DieAusprägung der Abduktionsparese nahm immerüber 2 –3 Wochen hinweg zu, blieb dann 6 – 8Wochen stabil und nahm über 2 – 3 Wochen wie-der ab. Solche Phasen waren bislang 11-mal auf-getreten und von jeweils etwa 7-monatigen be-schwerdefreien Intervallen getrennt gewesen(Sandvand et al. 2007).

Ophthalmoplegische Migr�ne. Bei einer oph-thalmoplegischen Migräne ist eine Affektion desN. abducens (mit einer MR-tomographisch nach-weisbaren KM-Aufnahme des Nervs) eine Raritätund wesentlich seltener als die ohnehin schonseltene Affektion des N. oculomotorius (Lee et al.2000). Dabei wird, wie bei den Schädigungen desN. oculomotorius (s.o.S. 95), eine wiederkehren-de demyelinisierende Neuropathie erwogen und

die Zugehörigkeit zur Migräne kontrovers disku-tiert (Übersicht bei McMillan et al. 2007).

Guillain-Barr�-Syndrom. Ein Guillain-Barré-Syn-drom kann selten einmal mit Paresen des M.rectus lateralis beginnen, wobei aber häufig zu-sätzlich vorhandene Paresen der Mm. levatorespalpebrales und der fazialen Muskulatur denAusschluss einer Abduzensparese erlauben (unddie Differenzialdiagnose einer Myasthenia gravisaufwerfen; Ropper 1986). Die im weiteren Ver-lauf auftretenden generalisierten Paresen mitAreflexie sind diagnostisch richtungsweisend.

Chronisch-entz�ndliche demyelinisierende Neu-ropathie. Bei Patienten mit chronisch-entzünd-licher demyelinisierender Neuropathie (chronicinflammatory demyelinating neuropathy, CIDP)kann u. a. auch eine M.-rectus-lateralis-Pareseauftreten (Waddy et al. 1989). Dies ist ausnahms-weise auch einige Wochen bis Monate vor denStörungen an Armen und Beinen möglich (Do-naghy u. Earl 1985). Als Rarität ist hierbei auch ei-ne intrapontine Läsion des N. abducens möglich(Wokke et al. 1996). Insgesamt sollen 3 –4% derPatienten mit CIDP okulomotorische Auffälligkei-ten, v. a. auch noch Okulomotoriusparesen haben(Arroyo u. Horton, 1995).

Abb. 3.16 MRT einer Pa-tientin mit linksseitiger Ab-duzensparese als einzigemSymptom des 2. Schubeseiner Multiplen Sklerosemit Nachweis eines Ent-markungsherds im Verlaufdes ipsilateralen intraponti-nen N. abducens.

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Miller-Fisher-Syndrom. Ein Miller-Fisher-Syn-drom kann initial mit M.-rectus-lateralis-Pareseneinhergehen, wobei auch hier die diagnostischeEinordnung aufgrund der im Weiteren auftreten-den Ataxie und Areflexie (ggf. auch leichter gene-ralisierter Paresen) erfolgt. Dabei sind fast immerauch anti-GQ1b-Antikörper nachweisbar.

Wernicke-Enzephalopathie. Eine Wernicke-En-zephalopathie kann selten mit einer meist bilate-ralen Abduzensparese beginnen. Die Anamneseeines Alkoholabusus oder einer Magenoperationoder klinische Hinweise auf eine Mangelernäh-rung (z. B. Anorexie) weisen auf die Diagnose hin,die durch den Nachweis erniedrigter Vitamin-B1-Spiegel zu sichern ist.

Diagnostik

Die zur ursächlichen Abklärung erworbener Ab-duzensparesen sinnvollen Maßnahmen entspre-chen einschließlich einer Angiographie denenbei erworbenen Okulomotoriusparesen (s. S. 97).Hier ist besonders auf die Durchführung einerLumbalpunktion hinzuweisen, da Abduzenspare-sen wesentlich häufiger als Okulomotorius- undTrochlearisparesen im Rahmen einer MultiplenSklerose auftreten können. Darüber hinaus sollte,insbesondere bei beidseitigen Abduzensparesen,zur Abklärung einer beginnenden Wernicke-En-zephalopathie der Vitamin-B1-Spiegel bestimmtwerden.

Differenzialdiagnose

Die Differenzialdiagnose erworbener Abduzens-paresen umfasst eine Reihe ätiologisch ganz un-terschiedlicher Störungen (Tab. 3.10).

(Stilling-T�rk-) Duane-Syndrom (Smith 1998 f).Das Duane-Syndrom ist die klinisch wichtigsteangeborene Abduktionsparese, die auch familiärvorkommen kann. Es besteht ein variabel ausge-prägtes, meist einseitiges, seltener (bei ca.15 –20%) bilaterales Abduktionsdefizit. Charak-teristisch ist eine in Adduktion auftretende Ver-engung der Lidspalte, die durch eine Retraktiondes Bulbus zustandekommt und eine Ptose in Ad-duktion vortäuscht (Pseudoptose; Abb. 3.17). Ei-ne Esotropie in der Primärposition und Doppel-bilder fehlen meist. Auch entwickelt die Mehr-zahl der Patienten keine Amblyopie auf dem

betroffenen Auge. Wenn Doppelbilder auftreten,dann erst nach dem Schulalter und häufig auchnur zeitweise. Die Augenmuskelelektromyogra-phie zeigt bei Adduktionsbewegungen eine pa-thologische Koinnervation des M. rectus lateralisund des M. rectus medialis, die zu der klinisch be-obachtbaren Retraktion in Adduktion führt. Die 3verschiedenen Formen, von denen nur die Typen1 und 3 mit einer Abduktionsparese einhergehen,sind wie folgt charakterisiert:• Duane-Syndrom Typ 1: Abduktionsparese mit

uneingeschränkter Adduktion und Retraktiondes adduzierten Auges.

• Duane-Syndrom Typ 2: Adduktionsparese mituneingeschränkter Abduktion und Retraktiondes adduzierten Auges.

• Duane-Syndrom Typ 3: Abduktions- und Ad-duktionsparese mit Retraktion des adduzier-ten Auges.

Ursache der verschiedenen Typen des Duane-Syndroms ist eine Anlagestörung (Aplasie oderHypoplasie) des Abduzenskerns und/oder desN. abducens. Durch die Retraktion bei Adduktionist die Abgrenzung zur erworbenen Abduzenspa-rese leicht möglich. Allerdings können ähnlicheklinische Bilder selten auch bei erworbenen Stö-rungen auftreten, wobei die Retraktion in Adduk-tion mechanisch zustandekommt (z.B. durch Tu-morinfiltration des M. rectus lateralis).

Tabelle 3.10 Differenzialdiagnose erworbener Abdu-zensparesen.

• Kongenitale Abduzensparese

• Duane-Syndrom Typ 1

• Duane-Syndrom Typ 3

• Moebius-Syndrom

• Konvergenzspasmus

• Supra- bzw. pränukleäre Abduktionsparese:

" „hintere“ internukleäre Ophthalmoplegie

" Pseudo-Sixth (Pseudoabduzensparese)

" Acute Thalamic Esotropia (akute thalamischeEsotropie)

• Endokrine Orbitopathie

• Okulare Myasthenie

• Okulare Myositis

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Pseudo-Duane-Syndrom. Als Pseudo-Duane-Syndrom (auch „inverse Duane syndrome“) wirdeine ausgesprochen seltene Störung bezeichnet,bei der eine Abduktionsparese mit Bulbusretrak-tion und Pseudoptose in Abduktion auftritt. Hier-bei handelt es sich meist um eine erworbene Stö-rung, der eine Einklemmung des M. rectus me-dialis in der lateralen Orbitawand bei einerOrbitafraktur zugrunde liegt. Unter diesen Bedin-gungen erfolgt die Kontraktion des normal erreg-ten M. rectus lateralis gegen den Widerstand deseingeklemmten M. rectus medialis, was zu einerAbduktionsparese mit Retraktion führt. Eine an-geborene, ursächlich letztlich ungeklärte Formist ebenfalls möglich und eine ausgesprocheneRarität (Lew et al. 2000).

Moebius-Syndrom. Beim meist sporadischen,seltener auch autosomal dominanten Moebius-Syndrom besteht eine angeborene Hypoplasiemotorischer Hirnnervenkerne, teils mit zusätzli-chem Neuronenuntergang. Dabei sind neben

dem Abduzenskern besonders die Fazialiskernebetroffen, seltener auch die Nuclei anderer okulo-motorischer sowie kaudaler motorischer Hirn-nerven. Klinisch führend ist eine bilaterale Abduk-tionsparese bzw. eine vorwiegend die Abduktionbetreffende bilaterale horizontale Blickparesesowie beidseitige Schwächen der fazialen Mus-kulatur. Darüber hinaus wurden in wechselndenKombinationen eine Reihe weiterer Missbildun-gen beschrieben (z. B. Mandibulahypoplasie, Syn-daktylie, Epikanthus, Taubheit).

Konvergenzspasmus. Beim Konvergenzspasmusbesteht das klinische Bild einer bilateralen Ab-duktionsparese mit Miose beim Seitblick, die dieAbgrenzung zur Abduzensparese erlaubt, seltenaber auch fehlen kann. Typisch ist die wechseln-de Ausprägung des Abduktionsdefizits bei mehr-maliger Untersuchung. Häufig kann man bei an-haltendem Seitblick auch beobachten, dass dasabduzierende Auge infolge des anhaltenden ab-

Abb. 3.17 a – c Patientmit linksseitigem Duane-Syndrom Typ 1. Bei fehlen-der Schielfehlstellung in derPrimärposition (a) bestehtbeim Blick nach links einekomplette Abduktionspa-rese des linken Auges (b)und bei Blick nach rechtseine „Ptose“ des linken Au-ges in Adduktion (c). (aus:Thömke F. Paresen derokulomotorischen Hirnner-ven. In: Hopf HC, DeuschlG, Diener HC, ReichmannH, Hrsg. Neurologie in Pra-xis und Klinik, Band II.Stuttgart: Thieme; 1999:Abb. 20.39, S. 223).

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normen Konvergenztonus nach nasal gezogenwird (Abb. 3.18).

Überwiegend handelt es sich um funktionelleStörungen im Rahmen einer Konversionssympto-matik, die meist nur phasenweise ausgeprägt ist.Organische Ursachen sind selten (z.B. Wernicke-Enzephalopathie, mesodienzephale Tumorenund Blutungen, metabolische Enzephalopathien,Phenytoinintoxikationen).

Akute erworbene konkomitierende Esotropie.Die akute erworbene konkomitierende Esotropie(acute acquired comitant esotropia) ist eine sehrseltene, bei einer Arnold-Chiari-Malformationmeist bei Kindern auftretende Störung (Hent-schel at al. 2005). Die ein- oder beidseitige Eso-tropie ist vor allem beim Blick in die Ferne auffäl-lig. Dabei nimmt der Schielwinkel, im Gegensatzzur M.-rectus-lateralis-Parese, bei Seitblick nichtzu, und es besteht auch kein Anhalt auf eine Ab-duktionsparese als Ursache der Esotropie. Oftsind weitere Zeichen einer Arnold-Chiari-Malfor-mation vorhanden (s. Tab. 4.45), die akute Esotro-pie kann aber auch das einzige Symptom dieser

Anlagestörung sein. Die Ursache ist letztlich un-klar.

Weitere Differenzialdiagnosen

Auf die bis heute kontrovers geführte Diskussionum die Existenz einer supra- bzw. pränukleärenAbduktionsparese, die klinisch nicht sicher von ei-ner Abduzensparese abgegrenzt werden könnte,wird an anderer Stelle ausführlicher eingegangen(S.147 f). Paresen des M. rectus lateralis könnenschließlich auch bei okularer Myasthenie, endo-kriner Orbitopathie und oligosymptomatischerMyositis auftreten und eine Abduzensparese vor-täuschen. Diese Erkrankungen sind an andererStelle ausführlicher dargestellt worden (S.125 f).

Therapie

Die therapeutischen Prinzipien bei erworbenenAbduzensparesen entsprechen denen der anderenokulomotorischen Hirnnnervenparesen (S.101 f).

Abduzensparesen, die bei Multipler Skleroseauftreten, werden wie bei einem akuten Schub

Abb. 3.18 a – c Patientinmit Konvergenzspasmus.Bei fehlender Schielfehl-stellung in der Primärposi-tion (a) imponiert beimBlick nach rechts eine Ab-duktionsparese (b), wobeidas rechte Auge infolge desabnormen Konvergenzto-nus immer weiter nach na-sal bewegt wird (c). (aus:Thömke F. Paresen derokulomotorischen Hirnner-ven. In: Hopf HC, DeuschlG, Diener HC, ReichmannH, Hrsg. Neurologie in Pra-xis und Klinik, Band II.Stuttgart: Thieme; 1999:Abb. 20.40, S. 224).

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derzeit üblich, mit einer Kortisonstoßtherapie be-handelt (z.B. 1000 mg Methylprednisolon i. v. für5 Tage).

Bei Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopa-thie ist umgehend parenteral (i.v. oder i.m.) Vita-min B1 zu substituieren (200 mg/Tag für 10– 14Tage). Sofern hierunter in den ersten Tagen keinedeutliche Besserung eintritt, ist eine Wernicke-Enzephalopathie äußerst unwahrscheinlich.

Die größten Erfahrungen mit der Botulinumto-xintherapie bei akuten Schädigungen okulomoto-rischer Hirnnerven liegen für erworbene Abdu-zensparesen vor. Durch frühzeitige Injektionenin den antagonistischen M. rectus medialis wirddas Einwärtsschielen korrigiert, so dass frühzei-tig wieder binokulares Einfachsehen möglich ist.Gleichzeitig soll einer im Verlauf möglicherweiseauftretenden Verkürzung des M. rectus medialisentgegengewirkt werden. Nach mehreren Mittei-lungen über den positiven Effekt dieser Therapiean kleineren Patientengruppen (Metz u. Mazow1988) war der Nutzen dieser Behandlung in einerrandomisierten prospektiven Untersuchung al-lerdings nicht zu belegen (Lee u. Mitarb. 1994).

Prognose

Die Prognose von Abduzensparesen hängt, wiedie der Okulomotorius- und Trochlearisparesen,von der jeweiligen Ursache ab. Die beste Progno-se von 419 im Verlauf untersuchten Patientenhatten vaskuläre und durch ein Aneurysma ent-standene Paresen, die sich bei 68% bzw. 67% derPatienten besserten oder vollständig zurückbil-deten, wobei allerdings die Gruppe mit einem ur-sächlichen Aneurysma sehr klein war (15 Patien-ten; Rush u. Younge 1981). Ätiologisch ungeklärte

Abduzensparesen besserten sich bei 51% undtraumatische Paresen noch bei 39% der Patienten(Rush u. Younge 1981).

Die schlechteste Prognose hatten tumorbe-dingte Abduzensparesen, die sich lediglich bei21% der Patienten besserten (Rush u. Younge1981).

3.6 Okulomotorische Hirn-nervenparesen als einzigesSymptom umschriebenerHirnstammläsionen

Hirnstammläsionen, die zu einer Schädigungokulomotorischer Hirnnerven führen, betreffenmeist auch benachbart verlaufende lange Bahnen(z.B. Pyramidenbahn, Lemniscus medialis,Tractus rubrospinalis). So kommt es typischer-weise zu gekreuzten Hirnstammsyndromen miteinem ipsiläsionellen Hirnnervenausfall und ei-ner kontraläsionellen motorischen und/oder sen-siblen Hemisymptomatik, sowie seltener – beimesenzephalen Läsionen – einer kontraläsionel-len Hemiataxie und/oder Intentionstremor. Aller-dings wurden seit Ende der 80er Jahre nahezu100 Patienten mit magnetresonanztomogra-phisch, seltener computertomographisch doku-mentierten umschriebenen Hirnstammläsionenmitgeteilt, die als einziges klinisches Symptomeine okulomotorische Hirnnervenparese zeigten(Tab. 3.11).

Okulomotoriusparesen. Das klinische Spektrumvon Schädigungen des intramesenzephalen Ner-venabschnitts umfasst

Tabelle 3.11 Läsionen okulomotorischer Hirnnerven als einziges Symptom MR- und computertomographisch do-kumentierter umschriebener Schädigungen des Hirnstamms (Übersicht und weiterführende Literatur bei Thömke2006).

Okulomotoriusparese Trochlearisparese Abduzensparese

Infarkte mindestens 32 Patienten mindestens 3 Patienten mindestens 16 Patienten

Blutungen mindestens 9 Patienten mindestens 6 Patienten mindestens 3 Patienten

Tumoren mindestens 6 Patienten mindestens 3 Patienten

Multiple Sklerose mindestens 3 Patienten mindestens 7 Patienten

Sonstige mindestens 5 Patienten mindestens 1 Patienten mindestens 2 Patienten

Insgesamt mindestens 55 Patienten mindestens 10 Patienten mindestens 31 Patienten

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• komplette, alle vom N. oculomotorius inner-vierten Muskeln betreffende Paresen,

• inkomplette Paresen, die in verschiedenenKombinationen die vom N. oculomotorius in-nervierten Muskeln betreffen können(Abb. 3.4),

• Paresen, die eine Schädigung des R. superioroder R. inferior imitieren (Abb. 3.5),

• isolierte Paresen einzelner extraokulärer Mus-keln,

• isolierte Paresen des M. sphincter pupillae.

Ursache sind überwiegend Infarkte, seltener Blu-tungen oder Tumoren, gelegentlich Entmar-kungsherde bei Multipler Sklerose. In Einzelfäl-len wurde auch ein Angiom, eine Zyste, eineGumma bei Syphilis oder ein Tuberkulom berich-tet (Tab. 3.11; weiterführende Literatur beiThömke 2002).

Trochlearisparese. Eine M.-obliquus-superior-Parese als einziges Symptom einer mesenzepha-len Schädigung im Verlauf des N. trochlearis wur-de bislang überwiegend bei Blutungen(Abb. 3.11), seltener bei Infarkten (Abb. 3.12) be-obachtet (Tab. 3.11; weiterführende Literatur beiThömke 2006).

Abduzensparesen. Ponsläsionen im Verlauf desN. abducens als Ursache einer isolierten M.-rectus-lateralis-Parese wurden vorwiegend beiInfarkten (Abb. 3.15) und Entmarkungsherdenbei Multipler Sklerose (Abb. 3.16), seltener beiBlutungen oder Tumoren (Abb. 3.14) mitgeteilt(Tab. 3.11). In Einzelfällen wurden mit der T2-ge-wichteten MRT signalintensive pontine Läsionenim Verlauf des N. abducens im Rahmen einerCIDP (chronisch-inflammatorische demyelinisie-rende Polyneuropathie) oder einer Borreliose ge-sehen und als akute zentral-demyelinisierendebzw. entzündliche Schädigung interpretiert (wei-terführende Literatur bei Thömke 2006).

Verlauf

Hirnnervenausfälle infolge umschriebener Hirn-stamminfarkte bilden sich nahezu immer inner-halb einiger Wochen bis einiger (maximal 6) Mo-nate vollständig zurück. Auch die Hirnnervenaus-fälle durch Entmarkungsherde im intra-axialenNervenverlauf bilden sich nahezu immer inner-halb einiger Wochen bis Monate vollständig zu-

rück. Dagegen haben tumorbedingte Schädigun-gen okulomotorischer Hirnnerven wie auch dieursächlichen Hirnstammtumoren eine sehrschlechte Prognose.

Bedeutung

Die klinische Bedeutung eines solchen Pathome-chanismus ist nur eingeschränkt beurteilbar, dabislang nur wenige diesbezügliche Studien vorlie-gen (Übersicht und weiterführende Literatur beiThömke 2006). Insgesamt dürften rund 2% allerInfarkte im vertebrobasilären Stromgebiet zu iso-lierten Okulomotorius- oder Abduzensparesenführen (Bogousslavsky et al. 1994, Thömke 2002,Kumral et al. 2002). Entmarkungsherde bei Multi-pler Sklerose betreffen vor allem den N. abducensund waren in einer Gruppe von fast 1500 Patien-ten bei 14 das einzige Symptom eines Schubes,wohingegen Okulomotorius- oder Trochlearispa-resen ausgesprochene Raritäten sind (Thömke etal. 1997).

Möglicherweise ist solch ein Entstehungsme-chanismus okulomotorischer Hirnnervenparesenhäufiger, als aufgrund bildgebend dokumentier-ter Hirnstammläsionen zu vermuten ist. So wie-sen abnorme elektrophysiologische Befunde(Masseterreflex, Blinkreflex, Elektrookulogra-phie) bei Patienten mit vaskulären Okulomoto-rius- oder Abduzensparesen häufiger auf eineursächliche Mittelhirn- bzw. Ponsläsion hin, alsmagnetresonanztomographisch zu bestätigenwar Allerdings ist hier einschränkend zu berück-sichtigen, dass in diesen Studien keine diffusions-gewichtete und v. a. keine hochauflösende MRT(Schichtdicke: 2 – 3 mm) durchgeführt wurde(Übersicht und weiterführende Literatur beiThömke 2006).

3.7 Erworbene Paresenmehrerer okulomotorischerHirnnerven

(Kömpf 2006, Leigh u. Zee 2006 f)

Charakteristika

Etwa 15% der Paresen okulomotorischer Hirnner-ven treten als kombinierte Paresen mehrerer die-ser Nerven auf (Rucker 1958, 1966, Rush u. Youn-

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ge 1981). Bei Paresen mehrerer okulomotorischerHirnnerven findet sich am häufigsten folgendeKombination (Rucker 1958, 1966, Rush u. Younge1981):• N. oculomotorius + N. trochlearis + N. abdu-

cens (40,5% der Fälle),• N. oculomotorius + N. abducens (33,6% der

Fälle),• N. oculomotorius + N. trochlearis (25,5% der

Fälle).

Dagegen ist die Kombination• N. trochlearis + N. abducens mit 0,4% der Fälle

eine ausgesprochene Rarität.

Im Gegensatz zu den Läsionen eines einzelnenokulomotorischen Hirnnervs, die am häufigstenden N. abducens betreffen, ist bei erworbenenParesen mehrerer okulomotorischer Hirnnervender N. oculomotorius am häufigsten betroffen(99,5% der Fälle), gefolgt vom N. abducens(74,5%) und N. trochlearis (66,4%; Rucker 1958,1966, Rush u. Younge 1981).

Eine gemeinsame Schädigung okulomotori-scher Hirnnerven ist aus anatomischen Gründenbevorzugt im Bereich des Sinus cavernosus undder Fissura orbitalis superior bzw. der Orbitaspitzemöglich und bei einer Reihe unterschiedlicher Er-krankungen beschrieben worden. Eine genauerelokalisatorische Zuordnung ist häufig aufgrundzusätzlicher sensibler Symptome möglich:• Bei fehlenden sensiblen Störungen und beein-

trächtigtem Visus ist ein Prozess in der Orbitawahrscheinlich.

• Eine Beteiligung des 1. und 2. Trigeminusastsweist auf eine Läsion im Sinus cavernosus hin.

• Sind alle 3 Trigeminusäste betroffen, liegt dieLäsion hinter dem Sinus cavernosus.

Ätiologie

Die häufigsten Ursachen sind:• Tumoren (durchschnittlich 30% der Patien-

ten),• Schädel-Hirn-Traumen (durchschnittlich 20%),• Aneurysmen der A. carotis interna (durch-

schnittlich 12% der Patienten).

Vaskuläre Paresen haben, im Gegensatz zu Pare-sen einzelner okulomotorischer Hirnnerven, nureine untergeordnete Bedeutung (weniger als 4%;Rucker 1958, 1966, Rush u. Younge 1981).

Zu den übrigen Ursachen zählen:• Komplikationen neurochirurgischer Operatio-

nen,• Meningitiden,• Enzephalitiden,• Guillain-Barré-Syndrom,• Herpes zoster ophthalmicus,• A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fisteln,• Tolosa-Hunt-Syndrom.

Des Weiteren wurden einzelne Fälle mit Arteriitistemporalis, Panarteriitis nodosa, Sarkoidose, Sy-philis, Entzündungen der Orbitaspitze und Multi-pler Sklerose als Ursache kombinierter Paresenokulomotorischer Hirnnerven beschrieben.

Tumoren. Bei den Tumoren, die zu kombiniertenParesen okulomotorischer Hirnnerven führen,überwiegen Metastasen (55%), gefolgt von Me-ningeomen (14%), Hypophysentumoren (10%)und Hirnstammgliomen (6,9%; Rucker 1958,1966, Rush u. Younge 1981). Dabei entstehen dieParesen eher durch direkte Tumoreinwirkung(z.B. Hypophysenadenome, Hirnstammgliome,Nasopharynxkarzinome) als indirekt durch eineintrakranielle Drucksteigerung. Die meisten die-ser Patienten weisen zusätzliche Symptome auf,die für die weitere Diagnostik von Bedeutungsein können. Hierbei handelt es sich sowohl umlokalisatorisch verwertbare Symptome (z.B. bi-temporale Hemianopsie, kontralaterale Hemi-parese und ipsilaterale Ataxie bei Hirnstamm-gliomen), als auch um unspezifische Zeichen ei-ner Hirndrucksteigerung (wie Kopfschmerzen,Übelkeit, morgendliches Erbrechen).

Paresen mehrerer okulomotorischer Hirnner-ven können auch im Rahmen einer Meningeosiskarzinomatosa oder lymphomatosa auftreten.Hierbei sind oft noch andere Hirnnerven betrof-fen und oft noch weitere unspezifische Sympto-me wie Kopfschmerzen mit und ohne Übelkeitund/oder Erbrechen vorhanden.

Intrakavernçse Aneurysmen. Aneurysmen derA. carotis interna im Sinus cavernosus machenweniger als 1% aller Aneurysmen aus. Aneurys-men im vorderen Abschnitt des Sinus cavernosuskönnen bevorzugt den N. oculomotorius undN. trochlearis sowie den N. opticus schädigen, sodass zusätzlich zu der Schädigung okulomotori-scher Hirnnerven noch eine ipsilaterale Visus-minderung vorliegen kann. Im hinteren Ab-

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schnitt sind bevorzugt der N. abducens, ggf. derN. trochlearis sowie der 1. Trigeminusast betrof-fen, was Schmerzen hervorrufen kann, die retro-okular oder im Stirnbereich lokalisiert werden.Bei beiden Lokalisationen kann es infolge einervenösen Stauung zu einer Rötung des Auges undeinem Exophthalmus kommen.

A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fistel. Bei einer A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fistel kommt es zurBlutung aus der A. carotis interna in den Sinuscavernosus. Dabei kann das Blut direkt aus demkavernösen Segment der A. carotis interna in denSinus gelangen (high-flow-Fistel) oder aber auseinem (oder mehreren) meningealen Ästen derA. carotis interna stammen (low-flow-Fistel).Schließlich sind auch Einblutungen aus menin-gealen Ästen der A. carotis interna und externaoder nur der A. carotis externa möglich (Miller2007).

Die Ruptur eines intrakavernösen Aneurysmasführt zur A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fistel mitEinblutung in den Sinus cavernosus (Keltner u.Mitarb. 1987). Hierbei treten heftige Schmerzenauf, die von einem lauten pulssynchronen Ge-räusch begleitet sind, das auch von temporal undperiorbital auskultiert werden kann. Es kommtzu einer venösen Abflussstauung mit Erweite-rung orbitaler, retinaler und konjunktivaler Ge-fäße, Schwellung der extraokularen Muskelnund schließlich zur Ausbildung eines pulsieren-den Exophthalmus. Die hierbei auftretenden Au-genbewegungsstörungen sind eher auf die zumTeil erheblichen Schwellungen extraokularerMuskeln als auf eine Schädigung okulomotori-scher Hirnnerven zurückzuführen. Infolge des er-höhten intraorbitalen Druckes kann eine Visus-minderung auftreten (oder eine vorbestehendedruckbedingte Visusminderung zunehmen), dieunbehandelt bis zur Erblindung fortschreitenkann.

Bei Rupturen meningealer Äste können prinzi-piell die gleichen Symptome auftreten. Hierbeientwickeln sich die Symptome aber schleichendund weniger dramatisch, weil im Vergleich zuden direkten Einblutungen aus der A. carotis ge-ringere Blutmengen in den Sinus gelangen. Des-halb können Low-Flow-Fisteln auch als Konjunk-tivitis oder endokrine Orbitopathie fehlgedeutetund dann nur verzögert diagnostiziert werden.

Traumatische A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fis-tel. Identische klinische Symptome treten auchbei traumatischen A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fisteln auf, die über 50% aller Fälle ausmachen(Keltner u. Mitarb. 1987). Neben den High-Flow-Fisteln bei Ruptur der A. carotis interna könnenauch dünnwandige meningeale Äste der A. caro-tis interna und externa rupturieren und zu Low-Flow-Fisteln führen, die weniger dramatisch mitschleichendem Beginn prinzipiell zu den glei-chen Symptomen führen können.

Insbesondere bei Fisteln im hinteren Ab-schnitt des Sinus cavernosus kann aufgrund derDrainage in den Sinus petrosus inferior eine Che-mosis und ein Exophthalmus ausbleiben, so dassklinisch das Bild einer schmerzhaften Ophthal-moplegie resultiert. Die spontane Verschlussratenichttraumatischer Fisteln wird in der Literaturmit 10 –60%, die der duralen Fisteln mit 25 – 50%angegeben. In Anbetracht der hohen spontanenVerschlussrate werden als Indikationen zu einerBehandlung Visusabnahme, Doppelbilder, uner-trägliche Schmerzen oder Geräusche sowie dro-hende Hornhautschädigungen wegen eines aus-geprägten Exophthalmus angesehen. Hierbeiwerden vor allem interventionelle neuroradiolo-gische Methoden (z.B. Embolisation duraler Fis-teln) mit Erfolg eingesetzt (Miller 2007).

Tolosa-Hunt-Syndrom. Beim Tolosa-Hunt-Syn-drom (Bruyn u. Hoes 1986, Klein u. Hoyt 2001, LaMantia et al. 2006) treten nach Tagen bis Wochenanhaltender heftiger retroorbitaler Schmerzeneinseitige Paresen einzelner oder mehrerer oku-lomotorischer Hirnnerven auf. Hierbei ist amhäufigsten der N. oculomotorius, bei 20% der Fäl-le mit Pupillenstörung, und am seltensten derN. trochlearis betroffen. Nicht selten ist auch der1. Trigeminusast beteiligt, und rund 20% habeneine zusätzliche Beteiligung des N. opticus, seltenauch des N. facialis. Ursache ist eine ätiologischungeklärte unspezifische granulomatöse Entzün-dung, wobei das granulomatöse Gewebe die Fis-sura orbitalis superior bedeckt und/oder sich inden vorderen Anteil des Sinus cavernosus er-streckt, was magnetresonanztomographisch alsKM-aufnehmende Gewebevermehrung darstell-bar sein kann (Abb. 3.19; Aktan u. Mitarb. 1993).

Angiographisch wurden wiederholt segmen-tale Einengungen bzw. Wandunregelmäßig-keiten der intrakavernösen A. carotis internabeschrieben. In einer Übersichtsarbeit (Bruyn u.

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Hoes 1986) wurden 39 in der Literatur berichtetepathologische Angiographien referiert, denen150 normale Angiographien gegenüber standen.Dagegen war bei immerhin der Hälfte der phlebo-graphierten Patienten ein Verschluss der V. oph-thalmica superior und/oder eine geringe oderfehlende Füllung des Sinus cavernosus nachzu-weisen. Spontanremissionen treten bei über 85%der Patienten innerhalb einiger Wochen bis Mo-nate auf. Etwa 40% der Patienten erleiden ipsi-oder kontralaterale Rezidive.

Allgemein werden Kortikosteroide unter-schiedlicher Dosierung (Größenordnung: 1 mgPrednisolon/kg Körpergewicht) empfohlen, wo-runter es zu einer prompten Besserung derSchmerzen kommt. Ob dabei nur die Schmerzendeutlich besser werden oder sich auch die Pare-sen schneller zurückbilden, wird kontrovers dis-kutiert. Der schnelle Rückgang der Schmerzennach der Gabe von Kortison ist so ausgeprägt,dass bei fehlendem Ansprechen auf Steroide dieDiagnose eines Tolosa-Hunt-Syndroms nicht auf-rechtzuerhalten ist.

Das schnelle Ansprechen auf Steroide sichert abernicht die Diagnose eines Tolosa-Hunt-Syndroms,da eine Besserung nach Steroiden auch bei anderenErkrankungen auftreten kann (z. B. perifokalesTumorödem, Lymphome).

Letztlich ist ein Tolosa-Hunt-Syndrom in vielenFällen eine Ausschlussdiagnose, wobei insbeson-dere parasellare Raumforderungen und tumoröseretroorbitale bzw. orbitale Prozesse auszu-schließen sind. In der aktuellen Klassifikationvon Kopfschmerzerkrankungen der InternationalHeadache Society werden folgende diagnostischeKriterien gefordert:• A. Einzelne oder mehrere Episoden mit einem

einseitigen Schmerz im Bereich der Orbita, dieunbehandelt einige Wochen andauern.

• B. Lähmung des 3., 4. und/oder 6. Hirnnervsoder mehrerer dieser Hirnnerven und/oderNachweis von Granulomen mittels MRT oderBiopsie.

• C. Die Lähmung tritt zeitgleich mit demSchmerzbeginn oder innerhalb von 2 Wochennach Schmerzbeginn auf.

Abb. 3.19 a, b T1-gewichtete MRT unter Fettsuppres-sion in Höhe der Fissura orbitalis superior bei einer Pa-tientin mit Tolosa-Hunt-Syndrom rechts. Nativ (a),nach Kontrastmittelgabe (b). Nachweis von abnor-

mem Weichteilgewebe (bzw. Entzündungsgewebe)mit deutlicher Signalanhebung (großer Pfeil). Die bei-den schmalen Pfeile markieren die Nervi optici im Op-tikuskanal.

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• D. Schmerz und Lähmungen verschwinden in-nerhalb von 72 Stunden nach Beginn eineradäquaten Kortikosteroidtherapie.

• E. Andere Ursachen konnten durch geeigneteUntersuchungen ausgeschlossen werden (z.B.Tumoren, Vaskulitiden, basale Meningitis, Sar-koidose, Diabetes mellitus, ophthalmoplegi-sche „Migräne“).

Die neue Forderung nach einem bioptischen oderMR-tomografischen Nachweis von Granulomenwar Anlass zu einer retrospektiven Analyse allerFälle eines Tolosa-Hunt-Syndroms, die zwischender ersten IHS-Klassifikation 1988 und der revi-dierten Fassung mitgeteilt worden waren. EinDrittel der 124 gefundenen Fälle hatte normaleneuroradiologische Befunde, rund ein Dritteleinen bioptischen oder MR-tomografischenNachweis von Granulomen, und knapp ein Drittelandere spezifische Ursachen (La Mantia et al.2004). Diese Befunde belegen nochmals, dass dieklinischen Kriterien eines Tolosa-Hunt-Syndromsunspezifisch sind und die Diagnose nicht sichern.Durch die Forderung eines Granulomnachweisesmittels MRT oder Biopsie wird ein Tolosa-Hunt-Syndrom weniger häufig als früher, dafür aber si-cherer diagnostiziert werden. Die Stellung vonPatienten mit typischen klinischen Zeichen, abernormalem MRT bedarf weiterer Klärung.

Weitere seltene Ursachen schmerzhafter Oph-thalmoplegien:• Arteriitis temporalis,• Panarteriitis nodosa,• Wegener-Granulomatose,• Sarkoidose,• Syphilis,• Entzündungen der Orbitaspitze,• diabetische Ophthalmoplegie,• Herpes zoster,• Raeder-Syndrom (mit obligatem ipsilateralen

Horner-Syndrom),• Meningeosis carcinomatosa.

Guillain-Barr�-Syndrom. Sowohl das akute alsauch das chronische Guillain-Barré-Syndromkönnen selten mit schmerzlosen Paresen okulo-motorischer Hirnnerven beginnen. Richtungs-weisend ist dann der weitere Verlauf mit Ausbil-dung generalisierter Paresen und einer Areflexie.

Miller-Fisher-Syndrom. Beim Miller Fisher-Syn-drom handelt es sich um eine Variante des Guil-

lain-Barré-Syndroms mit den LeitsymptomenAtaxie, Areflexie und Ophthalmoparese. Hierbeikann es neben supra- und internukleären Augen-bewegungsstörungen auch zu Funktionsstörun-gen mehrerer okulomotorischer Hirnnerven bishin zum vollständigen Verlust aller Augenbewe-gungen kommen. Bei einem Beginn mit isoliertenAugenbewegungsstörungen erfolgt die Diagnosedurch die im weiteren Verlauf auftretende Ataxieund Areflexie (ggf. auch leichte generalisierteParesen). Dabei sind fast immer auch anti-GQ1b-Antikörper nachweisbar. Formen mit iso-lierter externer oder interner Ophthalmoplegieund Nachweis von anti-GQ1b-Antikörpern sindmöglich, wenn auch äußerst selten (Cardenas etal. 2005).

Wernicke-Enzephalopathie. Die Wernicke-En-zephalopathie kann selten auch unter dem kli-nischen Bild kombinierter okulomotorischerHirnnervenparesen, meist einer bilateralen Ab-duzensparese beginnen. Die Anamnese eines Al-koholabusus oder einer Magenoperation oder kli-nische Hinweise auf eine Mangelernährung (z.B.Anorexie) weisen auf die Diagnose hin, die durchden Nachweis erniedrigter Vitamin-B1-Spiegel zusichern ist. Die parenterale Gabe von Vitamin B1

(200 mg/Tag für 10– 14 Tage) führt zur Rückbil-dung der Augenbewegungsstörungen.

Die fehlende Besserung einer Augenbewegungs-störung in den ersten Tagen einer parenteralenVitamin-B1-Therapie schließt eine Wernicke-Enze-phalopathie mit größter Wahrscheinlichkeit aus.

Diagnostik

Bildgebende Verfahren. Eine MRT (oder CT) ist inAnbetracht der Häufigkeit intrakranieller Raum-forderungen obligat. Bei Ausschluss einer intra-kraniellen Raumforderung ist bei unilateralenParesen unter der Verdachtsdiagnose eines intra-kavernösen Aneurysmas oder einer A.-carotis-Si-nus-cavernosus-Fistel eine Angiographie nötig.

Morphologische Veränderungen der Augen-muskeln im Rahmen einer differenzialdiagnos-tisch zu berücksichtigenden endokrinen Orbito-pathie oder okularen Myositis können mit einemOrbita-CT oder besser magnetresonanztomogra-phisch oder auch sonografisch dargestellt werden.

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Lumbalpunktion. Eine Lumbalpunktion ist zurAbklärung einer entzündlichen Erkrankungdurchzuführen.

Tensilontest. Beim klinischen Bild schmerzloserkombinierter Paresen okulomotorischer Hirnner-ven und intakter Pupillenfunktion ist ein Tensi-lontest durchzuführen, da eine okulare Myasthe-nie oder eine beginnende generalisierte Myasthe-nie zu gleichen Symptomen führen kann, wobeiein negativer Tensilontest eine Myasthenie aller-dings nicht ausschließt. Hier kann zur weiterendiagnostischen Abklärung ein Single-Fibre-EMGdes M. orbicularis oculi (ggf. auch der Augenmus-keln) zum Nachweis eines pathologischen Jittershilfreich sein. Ein Augenmuskel-EMG ist aber nurbei großer Erfahrung des Untersuchers zu recht-fertigen.

Differenzialdiagnose

Stçrungen der neuromuskul�ren �bertragungund Erkrankungen von Augenmuskeln. Neuro-muskuläre Übertragungsstörungen und Augen-muskelerkrankungen können zu klinischen Be-funden führen, die wie kombinierte Paresen oku-lomotorischer Hirnnerven imponieren. Hierzuzählen:• okulare Myasthenie,• myasthenes (Eaton-Lambert-) Syndrom,• Botulismus,• endokrine Orbitopathie,• okulare Myositis,• chronisch-progressive externe Ophthalmople-

gie.

Okulare Neuromyotonie. Bei der sehr seltenenokularen Neuromyotonie (Lessell u. Mitarb. 1986,Shults u. Mitarb. 1986) kommt es rezidivierend(durchaus 20- bis 30-mal/Tag) zu kurzzeitigenDoppelbildern (meist unter 30 s). Dieser Störungliegen vorübergehende Kontraktionen extraoku-larer Muskeln zugrunde, die zu einer Bulbusfehl-stellung in Funktionsrichtung des jeweils betrof-fenen Muskels und einer Bewegungseinschrän-kung in Gegenrichtung führen. Die Ursache istletztlich nicht bekannt. Bei der Mehrzahl der Pa-tienten ging der Störung jedoch eine Bestrahlungim Kopfbereich voraus, was zur Annahme einerStrahlenschädigung okulomotorischer Hirnner-ven mit ephaptischer Erregungsbildung im peri-pheren Nerv geführt hat.

Diese Erkrankungen sind an anderer Stelleausführlicher dargestellt (S.125 f).

Therapie

Kombinierte Paresen okulomotorischer Hirnner-ven werden nach den gleichen Prinzipien wie er-worbene Paresen einzelner okulomotorischerHirnnerven behandelt, wobei die Optionen aberbegrenzter sind. So sind z.B. Operationen intra-kranieller Tumoren häufig nicht oder nur subtotalmöglich, was die schlechte Prognose (nur 12%Besserung) erklärt. Recht gut behandelbar sindAneurysmen und A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fis-teln, wobei letztere allerdings auch eine verhält-nismäßig gute Spontanprognose aufweisen (s.o.).Das allerdings recht seltene Tolosa-Hunt-Syn-drom ist zumindest bezüglich der Schmerzen gutmit Steroiden behandelbar.

Prognose

Die Prognose kombinierter Paresen okulomotori-scher Hirnnerven wird von der Ätiologie be-stimmt und ist wesentlich schlechter als die vonParesen einzelner okulomotorischer Hirnnerven.

Die mit Abstand schlechteste Prognose hatten tu-morbedingte Paresen, wo nur bei 12 % der Patien-ten mit einer Besserung zu rechnen ist (Rush u.Younge 1981).

Ätiologisch ungeklärte Paresen besserten sich bei30% und traumatische Paresen bei 44% der Pa-tienten (Rush u. Younge 1981). Patienten, derenParesen durch ein Aneurysma oder vaskulär ent-standen waren, hatten Besserungs- bzw. Rückbil-dungsraten von 50% bzw. 54% (Rush u. Younge1981).

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3.8 Augenbewegungsstörungenbei neuromuskulärenÜbertragungsstörungen

3.8.1 Myasthenia gravis

(Toyka u. Hohlfeld 1999, Engel u. Hohlfeld 2004,

Conti-Fine et al. 2006)

Charakteristika

Eine Myasthenie beginnt bei 50– 60% der Patien-ten mit Lähmungen der äußeren Augenmuskelnund der Lidheber, die anfangs oft nur vorüberge-hend sind und mit zunehmender Dauer der Er-krankung zunehmend länger bestehen undschließlich dauerhaft vorhanden sind. Dies er-klärt, weshalb Doppelbilder und eine ein- oderbeidseitige Ptose häufige Erstsymptome dieserneuromuskulären Übertragungsstörung sind. DiePtose wird oft zuerst von Personen in der Umge-bung des Patienten bemerkt oder fällt zufälligbeim Blick in den Spiegel auf. Hier wären Symp-tome erst zu erwarten, wenn die Pupille vomOberlid verdeckt wird. Etwa. 80% der Patientenmit okulären Erstsymptomen entwickeln in denersten 3 Jahren auch Lähmungen anderer quergestreifter Skelettmuskeln (generalisierte Myas-thenie), und nur bei 10– 20% bleibt die Erkran-kung auf die äußeren Augenmuskeln und Lid-heber beschränkt (okulare Myasthenie).

Bei einer Myasthenie können je nach befalle-nen Augenmuskeln eine Vielzahl monokularerund binokularer Bewegungseinschränkungenauftreten, so dass im Einzelfall Paresen okulomo-torischer Hirnnerven oder zentrale Augenbewe-gungsstörungen imitiert werden können und derdifferenzialdiagnostischen Abgrenzung bedür-fen, z.B.:• Abduzensparese,• Okulomotoriusparese,• internukleäre Ophthalmoplegie,• horizontale oder vertikale Blickparese.

Typisch, aber keineswegs immer vorhanden, isteine belastungsabhängige Zunahme der Doppel-bilder und/oder der Ptose. Dies äußert sich z.B.als• zunehmende Ausprägung im Tagesverlauf,• Auftreten erst zum Abend hin,• Auftreten bei längerem Autofahren.

Zur Prüfung einer etwaigen belastungsabhängi-gen Zunahme der Paresen bittet man den Patien-ten, anhaltend nach oben zu schauen, wobei dieAusprägung einer Ptose zunehmen kann (Simp-son-Test). Eine Ptose kann auch zunehmen, wennman den Patienten auffordert, das Auge ca.50-mal rasch hintereinander fest zu schließenund wieder zu öffnen. Beim anhaltenden Blick inFunktionsrichtung eines paretischen Muskelskann die myasthene Parese nach einiger Zeit zu-nehmen, so dass das Auge langsam zur Mittel-stellung hin abweicht. Schließlich kann man denPatienten auch auffordern, Sakkaden in Funk-tionsrichtung eines paretischen Muskels raschhintereinander auszuführen, wobei bei ausge-prägten myasthenen Paresen die zunehmendeVerlangsamung der Sakkaden und ihre abneh-mende Amplitude sichtbar sein können.

Im Einzelfall kann die Diagnose einer Myastheniesehr schwer oder zu Beginn der Erkrankung aucheinmal nicht möglich sein.

Ätiologie

Die Myasthenia gravis ist eine recht seltene Auto-immunerkrankung (ca. 5 Neuerkrankungen pro100 000 Einwohner), bei der es zur Bildung vonAutoantikörpern gegen den postsynaptischenAcetylcholinrezeptor an der neuromuskulärenEndplatte kommt. Bei den meisten Patienten be-steht eine Thymushyperplasie, bei 10– 15% einsemimalignes oder malignes Thymom.

Die Signalübertragung an der motorischenEndplatte kann vereinfacht wie folgt zusammen-gefasst werden: Präsynaptisch wird aus den End-aufzweigungen der Axone von a-MotoneuronenAcetylcholin freigesetzt. Acetylcholin diffundiertdurch den synaptischen Spalt zum Acetylcholin-rezeptor, einem aus 5 Untereinheiten zusamm-mengesetzten transmembranösen Protein derpostsynaptischen Membran. Die Anbindung vonAcetylcholin an den Acetylcholinrezeptor triggertdie Öffnung eines Ionenkanals, und es kommtzum Einstrom von Na+ in die Muskelfaser. Acetyl-cholinrezeptor-Antikörper (AChR-AK) führenüber mindestens 3 verschiedene Mechanismenzu einer Störung der neuromuskulären Übertra-gung (Conti-Fine et al. 2006):• Durch die Anbindung von AChR-AK an den

Acetylcholinrezeptor wird die Signalübertra-

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gung an der motorischen Endplatte gestört,weil das freigesetzte Acetylcholin nicht amAcetylcholinrezeptor anbinden kann.

• Die Bindung von AChR-AK an den Acetylcho-linrezeptor führt zur Aktivierung von Komple-ment und schließlich zur Bildung eines sog.membrane attack complex, der schließlich dieMorphologie der postsynaptischen Membranerheblich verändert. Die üblicherweise gefal-tete Oberfläche der postsynaptischen Mem-bran wird zunehmend flacher und enthält zu-nehmend weniger Acetylcholinrezeptoren.

• AChR-AK können durch eine sog. antigeneModulation (antigenic modulation) auch zu ei-nem beschleunigten Abbau von Acetylcholin-rezeptoren führen. Wenn antigene Molekülebenachbarter Acetylcholinrezeptoren durchAChR-AK miteinander verbunden (cross-lin-ked) werden, dann wird die Endozytose mit-einander verbundener Acetylcholinrezeptor-moleküle und deren intrazellulärer Abbau ge-triggert.

Diagnostik

Acetylcholinrezeptor-Antikçrpernachweis. Ge-rade bei der okularen Myasthenie sind bei ca.50% der Patienten keine Autoantikörper gegenden Acetylcholinrezeptor nachweisbar, so dassein fehlender Antikörpernachweis im Einzelfalleine Myasthenie nicht ausschließt.

Tensilontest. Der Tensilontest ist nur dann rich-tungsweisend, wenn es nach Gabe von Edropho-nium (Tensilon) zu einer kurzzeitigen Besserungder Augenbewegungsstörung kommt, was aller-dings kein myastheniespezifisches Phänomen ist.

Ein positiver Tensilontest beweist im Einzelfalleine Myasthenie nicht, und durch eine ausblei-bende Besserung der Paresen nach Tensilon wirdeine Myasthenie nicht sicher ausgeschlossen.

Bei negativem Tensilontest kann manchmaldurch Gabe des länger wirksamen Neostigminsmit Atropin eine Besserung der Parese erzieltund eine neuromuskuläre Übertragungsstörungwahrscheinlich gemacht werden.

Einzelfaser-(Single-Fibre-)EMG. Ein Einzelfaser-EMG des M. orbicularis oculi kann die Diagnose

erhärten, sofern in mehreren motorischen Ein-heiten ein pathologischer Jitter nachzuweisen ist.

Augenmuskel-EMG. Ausnahmsweise kann einAugenmuskel-EMG erwogen werden, was abernur bei großer Erfahrung des Untersuchers zurechtfertigen ist. Bei anhaltendem Blick in Funk-tionsrichtung des myasthenen Augenmuskelskann eine zunehmende Lichtung des Interferenz-musters gesehen und bei Verwendung einer Ein-zelfasernadel auch ein pathologischer Jitter indiesem Augenmuskel nachgewiesen werden (Hu-ber u. Schiller 1982).

Elektrookulographie. Elektrookulographisch istmöglicherweise die Ermüdbarkeit der Augen-muskeln durch eine Frequenzabnahme des opto-kinetischen Nystagmus nachweisbar infolgeeiner zunehmenden Abnahme des Gain der lang-samen Phasen sowie eine deutliche Besserungnach Gabe von Edrophoniumchlorid.

Therapie

Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, nach Ausschlusstherapeutisch relevanter Erkrankungen (z.B.Aneurysma, Tumor) zuzuwarten, da bei einerMyasthenie im weiteren Verlauf oft Paresen wei-terer (Augen-) Muskeln auftreten werden. Beistörenden Doppelbildern kann unter der Ver-dachtsdiagnose einer Myasthenie ein Therapie-versuch mit einem Cholinesterasehemmer durch-geführt werden (Pyridostigmin (Mestinon), ini-tial 3 × 60 mg mit langsamer Steigerung, wobeidie Dosierungsintervalle nicht unter 3 Stundenund die Einzeldosen nicht über 90 mg liegen soll-ten). Allerdings ist bei einer okularen MyastheniePyridostigmin allein oft nicht ausreichend wirk-sam, so dass zusätzlich Kortikosteroide (initialtäglich um 1 mg Prednisolon/kg Körpergewicht)gegeben werden müssen. Hierunter tritt meist ei-ne befriedigende Besserung ein, so dass die Ste-roide langsam auf eine Erhaltungsdosis in derGrößenordnung von etwa 10 mg/Tag reduziertwerden könnnen.

Eine Behandlung mit Azathioprin und dieThymektomie werden bei einer rein okularen My-asthenie kontrovers diskutiert. Insbesondere eineThymektomie wird bei diesen Patienten meistnicht erwogen, wobei in Einzelfällen aber auchdeutliche Besserungen bei rein okularer Myas-thenie berichtet worden sind.

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3.8.2 Lambert-Eaton-Syndrom(myasthenes Syndrom)

(Voltz u. Hohlfeld 1999, Newsom-Davis 2004)

Das Lambert-Eaton-Syndrom ist eine sehr selteneAutoimmunerkrankung,beidereszurBildungvonAutoantikörperngegen die spannungsabhängigenKalziumkanäle der präsynaptischen Membranderneuromuskulären Synapse kommt. Bei etwa 60%der Patienten besteht ein assoziierter Tumor,meist ein kleinzelliges Bronchialkarzinom, wobeidas myasthene Syndrom der klinischen Manifes-tation des Tumors vorangehen kann.

Augenbewegungsstörungen sind beim Lambert-Eaton-Syndrom selten und stehen gegenüber denklinisch führenden proximalen Paresen der Extre-mitäten im Hintergrund. Eine initial ausschließlichokulare Manifestation ist eine ausgesprocheneRarität.

3.8.3 Botulismus

(Kömpf 2006)

Botulismus ist eine lebensbedrohliche Vergif-tung, die durch den Verzehr von verdorbenemFleisch oder anderen verdorbenen Lebensmitteln,meist aus Konserven, hervorgerufen wird. DieSymptome sind Folge einer neuromuskulärenÜbertragungsstörung durch Botulinumtoxin, dasvon dem anaeroben Bakterium Clostridium botu-linum produziert wird. Botulinumtoxin hemmtan der motorischen Endplatte die Ausschüttungvon Acetylcholin aus dem präsynaptischen Neu-ron. Auf Übelkeit, Kopfschmerzen und Mund-trockenheit, die 1⁄4 bis ½ Tag nach Aufnahme derverdorbenen Nahrungsmittel auftreten, folgeneinige Stunden später Lähmungen der quer ge-streiften Muskulatur, insbesondere der Augen-muskeln mit verschwommenem Sehen, Doppel-bildern und beidseitiger Ptose sowie beidseitsweiten Pupillen. In dieser Phase können vorüber-gehend klinische Befundkonstellationen auftre-ten, die an eine beidseitige kombinierte Schädi-gung okulomotorischer Hirnnerven denken las-sen. Im weiteren Verlauf treten Lähmungen derLippen-, Zungen-, Gaumen- und Kehlkopfmusku-

latur (Sprech- und Schluckstörungen, Mundtro-ckenheit) und schließlich auch der Atemmusku-latur auf, die zum Tod durch Ersticken führenkönnen. Eine kardiale Beteiligung kann zum Toddurch Herzstillstand führen.

Therapeutisch wird versucht, noch nicht re-sorbiertes Botulinumtoxin aus dem Verdauungs-trakt zu entfernen. Darüber hinaus sind seit eini-ger Zeit Antitoxine verfügbar, die das frei im Blutzirkulierende Botulinumtoxin inaktivieren kön-nen. Hierdurch konnte die Sterblichkeit von über90% auf 10– 15% gesenkt werden. Die Lähmun-gen bilden sich sehr langsam, oft erst nach Mona-ten zurück.

3.9 Myogene Augen-bewegungsstörungen

3.9.1 Entzündliche Erkrankungender äußeren Augenmuskeln

Endokrine Orbitopathie

(Huber 1998 a, Boulos u. Hardy 2004)

Charakteristika

Eine endokrine Orbitopathie befällt bevorzugtden M. rectus inferior und den M. rectus medialisund führt zu einer eingeschränkten Kontraktions-und Dehnungsfähigkeit der betroffenen Muskeln.Dies führt erstens zu einer Parese des betroffenenMuskels (eingeschränkte Kontraktion) und zwei-tens zu einer Parese mit Retraktion beim Blick inFunktionsrichtung des jeweiligen antagonisti-schen Muskels (eingeschränkte Dehnung des be-troffenen Muskels). Schließlich bilden sich beirückläufigen oder fehlenden klinischen Entzün-dungszeichen fibrotische Veränderungen der be-troffenen Augenmuskeln aus. Neben unspezifi-schen entzündlichen Symptomen wie Lidödemund Konjunktivitis kann infolge der Volumenzu-nahme des intraorbitalen Gewebes und zuneh-mendem intraorbitalen Druck ein Exophthalmusauftreten. Hierdurch kann ein Papillenödem ent-stehen, das unbehandelt zu einer Optikusatro-phie mit progredientem Visusverlust führenkann. Bei einem unvollständigen Lidschluss in-folge eines ausgeprägten Exophthalmus bestehtauch die Gefahr von Korneaulzerationen.

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Ätiologie

Die endokrine Orbitopathie (schilddrüsenasso-ziierte Orbitopathie) tritt im Rahmen eines Auto-immunprozesses auf, der mit zeitlich wechseln-der Bevorzugung Schilddrüsengewebe und or-bitales Gewebe befällt. Diese Assoziation istallerdings nicht obligat. Die Mehrzahl der Patien-ten mit Morbus Basedow entwickelt keine endo-krine Orbitopathie, und Patienten mit endokrinerOrbitopathie sind oft euthyreot und haben meisthohe Titer von Thyroglobulinantikörpern. Eineendokrine Orbitopathie tritt bei etwa 20% der Pa-tienten vor einer Hyperthyreose auf, bei rund 40%zusammen mit einer Schilddrüsenüberfunktionund bei weiteren 40% nach einer Hyperthyreose(McGregor 1998).

Die autoimmunen Vorgänge, die zu einer en-dokrinen Orbitopathie führen, sind im Einzelnennoch nicht bekannt. (Dies liegt vor allem daran,dass betroffenes Gewebe für Untersuchungennur sehr begrenzt zur Verfügung steht und diesesGewebe meist aus sehr späten Phasen der Erkran-kung stammt. Auch konnte bis vor kurzem keinTiermodell etabliert werden). Es kommt zu eineranfangs üblicherweise beidseitigen Entzündungvon Augenmuskeln und Orbitabindegewebe mitlymphoplasmozytärer Infiltration, Aktivierungvon Fibroblasten, Einlagerung von Mukopoly-sacchariden und einer Ödembildung, wobei derSchwerpunkt das interstitielle Muskelgewebe ist.Es deutet einiges darauf hin, dass eine Gruppevon Fibroblasten, sog. Prä-Adipozyten, die ver-mehrt TSH-Rezeptoren exprimieren, zu Adipozy-ten transformieren und im orbitalen Fettgewebeund in den Augenmuskeln vermehrt Glykosami-noglykane synthetizieren. Dies führt über einevermehrte Wasserertention zu einem Ödem undeiner Volumenzunahme des retrobulbären Fett-gewebes und der Augenmuskeln und letztlich zueiner erheblichen Zunahme des intraorbitalenDruckes. Letztlich sind alle Symptome der endo-krinen Ophthalmopathie, d. h. Exophthalmus, Rö-tung des Auges, Kompression des N. opticus undBewegungsseinschränkungen des Auges, Folgedes erhöhten intraorbitalen Druckes. In dieseVorgänge sind neben diversen Zytokinen v.a. infrühen Stadien T-Lymphozyten involviert, die diebetroffenen Augenmuskeln infiltrieren. WelcheRolle hierbei diverse bislang nachgewiesene lös-liche Antigene der Muskelfasermembran spielen,ist derzeit nicht genau festzulegen (McGregor

1998, Wiersinga u. Prummel 2001, Prabhakar etal. 2003).

Diagnostik

Die Verdickung der äußeren Augenmuskeln kannmit Sonografie, CT und MRT nachgewiesen wer-den. Dabei erlauben sonografische und MRT-Un-tersuchungen auch eine Unterscheidung zwi-schen akut-entzündlichen und fibrotischen Ver-änderungen der Augenmuskeln.

Therapie

Die effektivsten derzeit verfügbaren Therapiensind Steroide (initiale Größenordnung 1 mg/kgKörpergewicht) und die Plasmaseparationsbe-handlung, die zu einer raschen Besserung desExophthalmus führen. Gute Besserungen wurdenauch bei einer immunsuppressiven Therapie mitCyclosporin A beobachtet. Sofern bei einer konser-vativen Behandlung ein Visusverlust bei einemchronischen Papillenödem droht oder Ulzeratio-nen der Kornea infolge des unvollständigen Lid-schlusses aufgrund des massiven Exophthalmusauftreten, ist die Indikation zur umgehenden ope-rativen Intervention mit dem Ziel der Dekompres-sion der Orbita gegeben. Die Bestrahlung derOrbita ist weitgehend verlassen worden.

Idiopathische okulare Myositis

(Banker 1994, Huber 1998 b)

Charakteristika und Ätiologie

Die idiopathische okulare Myositis ist eine sehrseltene Autoimmunerkrankung. Klinisches Leit-symptom ist ein Bewegungsschmerz (schmerz-hafte Diplopie) bei äußeren Zeichen einer Entzün-dung (Rötung im Bereich des Sehnenansatzes,Konjunktivitis, Lidödem). Diese Symptome sindin den meisten Fällen diagnostisch richtungswei-send. Differenzialdiagnostische Probleme erge-ben sich dann, wenn Schmerzen und Entzün-dungszeichen nur gering ausgeprägt sind.

Die Erkrankung beginnt typischerweise an ei-nem geraden Muskel, dessen Kontraktions- undDehnungsfähigkeit durch die Entzündung einge-schränkt sind. Hierbei resultiert z.B. bei Befall desM. rectus medialis eine Adduktionsparese (ver-minderte Kontraktionsfähigkeit des M. rectus

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medialis) sowie eine Retraktion in Abduktion(verminderte Dehnungsfähigkeit des M. rectusmedialis).

Diagnostik

Computer- und magnetresonanztomografisch fin-det sich eine die Sehne einbeziehende Schwel-lung des Muskels.

Therapie

Therapie der Wahl sind Steroide (initiale Größen-ordnung 1 mg Prednisolon/kg Körpergewicht mitnachfolgender langsamer Reduktion in Abhän-gigkeit vom klinischen Befund).

3.9.2 NichtentzündlicheErkrankungen deräußeren Augenmuskeln

Chronisch-progrediente externeOphthalmoplegie

(Huber 1998 c, DiMauro u. Bonilla 2004)

Charakteristika und Ätiologie

Mitochondriale Erkrankungen führen häufig zueiner langsam über Jahre zunehmenden Ein-schränkung willkürlicher und unwillkürlicherAugenbewegungen. Diese manifestiert sich meistals konjugierte horizontale und vertikale Blickpa-rese, was auf einen symmetrisch ausgeprägtenBefall der extraokularen Muskeln beider Augenhinweist. Bei asymmetrischem Befall sind Schiel-fehlstellungen und Doppelbilder möglich, wasaber seltener auftritt. Bei maximaler Ausprägungsind schließlich alle Augenbewegungen ausgefal-len, es besteht eine Ophthalmoplegie. Die Augensind wie eingemauert, und der Patient muss beijeder beabsichtigten Blickwendung den ganzenKopf bewegen.

Die Paresen der äußeren Augenmuskeln sind übli-cherweise mit einer ebenfalls progredienten bila-teralen und meist symmetrischen Ptose assoziiert.

Diese Lähmungen können folgendermaßen auf-treten:• als einziges Symptom einer Mitochondropa-

thie:– chronisch-progrediente externe Ophthal-

moplegie (CPEO),• als Teilsymptome anderer Mitochondropa-

thien, z.B.:– Kearns-Sayre-Syndrom (Retinitis pigmen-

tosa, kardiale Reizleitungsstörungen, Ata-xie),

– MELAS-Syndrom (mitochondrial myopa-thy, encephalopathy, lactate acidosis andstroke-like episodes),

– MERRF-Syndrom (myclonic epilepsy withragged red fibers).

Die von Kiloh u. Nevin (1951) beschriebene pro-grediente okulare Myopathie, die sie aufgrundder histologischen Veränderungen als progres-sive Augenmuskeldystrophie einordneten, wirdmittlerweile meist als (seinerzeit noch nicht be-kannte und diagnostizierbare) Mitochondropa-thie angesehen. Dies umso mehr, weil mitochon-driale Erkrankungen eine häufige, wenn nicht diehäufigste Ursache einer progressiven externenOphthalmoplegie sind und ein Befall der äußerenAugenmuskeln nicht zum typischen Befund derprogressiven Muskeldystrophien gehört.

3.10 Musculus-obliquus-superior-Myokymie

(Rosenberg u. Glaser 1983, Kattah u. FitzGibbon 2003)

Charakteristika und Ätiologie

Die M.-obliquus-superior-Myokymie ist eine sel-tene Störung, die bislang nur für den M. obliquussuperior und keinen anderen äußeren Augen-muskel beschrieben worden ist. Leitsymptomsind intermittierend auftretende, kurzzeitige, un-ter 1 Minute andauernde, monokulare vertikaleOszillopsien. Während dieser Episoden können –allerdings nicht bei allen Patienten – schrägeDoppelbilder bestehen. Manche Patienten habenauch eine Vertikaldivergenz der Augen, die beimBlick in Funktionsrichtung des betroffenen M. ob-liquus superior am ausgeprägtesten ist. Hierbeisteht das betroffene Auge aufgrund einer ver-

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mehrten Aktivierung des M. obliquus superiortiefer. Klinisch findet man in diesen kurzen Pha-sen rasche, kleinamplitudige rotatorische Bewe-gungen eines Auges, die manchmal erst mit einerSpaltlampenuntersuchung oder beim Augenspie-geln fassbar sind. Die Dauer einer einzelnen Epi-sode liegt in der Größenordnung von 10– 30 Se-kunden, selten darunter oder darüber, und dieFrequenz der einzelnen Kontraktionen meist zwi-schen 3 – 6 Hz. Die Amplitude der Augenbewe-gungen beträgt 0,5– 28.Die Häufigkeit der Episo-den, geringer auch deren Dauer, nehmen im Ver-lauf zu, bleiben aber auf den M. obliquus superiorbeschränkt.

Ursache

MR-tomografische Befunde aus den letzten Jah-ren sprechen dafür, dass die Ursache der M.-obli-quus-superior-Myokymie eine neurovaskuläreKompression des N. trochlearis im Bereich seinerAustrittszone ist (Samii et al. 1998, Hashimoto etal. 2001, Yousry et al. 2002, Ehongo et al. 2003).Hierbei soll – in Analogie zur Trigeminusneural-gie und anderer neurovaskulärer Kompressions-syndrome – an der Stelle des Gefäß-Nerven-Kon-takts durch die ständigen Druckpulsationen einesegmentale Druckentmarkung des Nervs entste-hen. An diesen Stellen treten dann spontan Entla-dungen mit abnormen ephaptischen Erregungs-übertragungen zwischen benachbarten partiellentmarkten Axonen auf. Klinisch manifestiertsich das als wiederkehrende Episoden mit Serienphasischer Kontraktionen des M. obliquus supe-rior. Elektromyographisch wurden im M. obliquussuperior während dieser episodischen Oszillop-sien irreguläre Salven neurogen veränderter Po-tenziale bei fehlender reziproker Inhibition desantagonistischen M. rectus inferior nachgewie-sen. Dies spricht nachdrücklich für eine periphe-re und gegen eine supranukleäre Genese und istgut mit einer neurovaskulären Kompression ver-einbar. (Aufgrund dieser EMG-Befunde war schonvor dem Nachweis einer neurovaskulären Kom-pression die Entstehung spontaner Entladungenim peripheren Nerv diskutiert worden.)

Bei einigen Patienten ging der Störung eineTrochlearisparese voraus, was Anlass zur Diskus-sion einer Fehlregeneration war. Einmal wurdeeine M.-obliquus-superior-Myokymie auch inZusammenhang mit einem Tumor in der hinteren

Schädelgrube beschrieben (Morrow u. Mitarb.1990).

Diagnostik

Zum Nachweis der neurovaskulären Kompressioneignet sich am besten eine Magnetresonanz-tomografie mit dünnen CISS (constructive interfe-rence in steady state)-Sequenzen. Ein diagnosti-sches Augenmuskel-EMG ist nur ausnahmsweiseund dann auch nur bei besonderer Erfahrung mitdieser Methode zu rechtfertigen.

Therapie

Therapeutisch wurden mit Erfolg Antikonvulsivawie Carbamazepin (2- bis 4-mal 200 –600 mg/Tag), Phenytoin (150 –400 mg/Tag), Gabapentin(3- bis 4-mal 400– 600 mg/Tag) eingesetzt. Auf-grund der wahrscheinlichen Pathophysiologie istaber auch eine Wirksamkeit anderer antikonvul-siv wirksamer Substanzen anzunehmen. Gele-gentlich wurde auch Baclofen (30 mg/Tag) einge-setzt.

Bei Versagen dieser Substanzen kann auch dieInjektion von Botulinumtoxin in den M. obliquussuperior versucht werden, bevor bei therapie-resistenten Verläufen mit stark beeinträchtigen-den Sehstörungen eine Tenotomie des M. obliquussuperior erwogen wird. Ob therapierefraktäre Fäl-le – in Analogie zur Trigeminusneuralgie – von ei-ner operativen Dekompression profitieren kön-nen, ist unklar. Allerdings scheint aufgrund dersehr geringen Größe des N. trochlearis eine iatro-gene Nervenschädigung kaum vermeidbar zu sein(Samii et al. 1998, Scharwey et al. 2000).

3.11 Okulare Neuromyotonie

(Lessell u. Mitarb. 1986, Shults u. Mitarb. 1986,

Eggenberger 1999, Miller u. Lee 2004)

Charakteristika und Ätiologie

Die okulare Neuromyotonie ist eine sehr selteneErkrankung, die alle äußeren Augenmuskeln be-treffen kann. Klinisch führendes Symptom sindrezidivierend auftretende kurzzeitige Phasenvon Doppelbildern. Dabei liegt die Dauer der ein-zelnen Phasen meist unter 30 Sekunden und dieFrequenz bei bis zu 20 – 30/Tag. Hierbei treten

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passagere Kontraktionen extraokularer Muskelnmit anschließender verzögerter Entspannungauf, was zunächst zu einer Bulbusfehlstellung inFunktionsrichtung der betroffenen Muskeln mitnachfolgender Bewegungseinschränkung undmaximaler Schielfehlstellung in Gegenrichtungführt (z.B. passagere Schwäche des M. rectus la-teralis bei betroffenem M. rectus medialis).

Bei den bislang beschriebenen über 40 Patien-ten waren – jeweils einseitig – vorwiegend dievom N. oculomotorius, seltener die vom N. abdu-cens und N. trochlearis innervierten Muskeln be-troffen (knapp 66% bzw. 25% bzw. 10% der Fälle).Ganz ausnahmsweise können auch zwei Nervenauf einer Seite oder jeweils ein Nerv auf jeder Sei-te betroffen sein. Über die Hälfte der Patientenweist zwischen den einzelnen Phasen einen un-auffälligen klinischen Untersuchungsbefund auf,die übrigen okulomotorischen Auffälligkeiten inForm partieller Paresen des jeweils betroffenenNervs. Bei etwa 66% der Patienten lassen sich diePhasen durch anhaltende Blickwendung in einebestimmte exzentrische Augenposition provozie-ren.

Ursache

Ursache und genauer Mechanismus der okularenNeuromyotonie sind nicht bekannt. Die Mehrzahlder bislang mitgeteilten (knapp 40) Patientenwurde zuvor im Bereich der Schädelbasis be-strahlt, was zur Annahme einer Strahlenschädi-gung okulomotorischer Hirnnerven mit ephap-tischer Erregungsbildung im peripheren Nervgeführt hat. Alternativ wären spontane Entladun-gen von Augenmuskelmotoneuronen oder spon-tane Erregungsbildungen in den okulomotori-schen Hirnnerven zu diskutieren. Hiermit wäreauch eine wiederholt diskutierte neurovaskuläreKompression als Ursache einer „idiopathischen“okularen Neuromyotonie vereinbar (Tilikete etal. 2000, Thömke u. Gawehn 2006), da bei sol-chen Störungen auch abnorme spontane Ent-ladungen auftreten. Diese werden mit ephapti-schen Erregungsübertragungen zwischen be-nachbarten partiell entmarkten Axonen an Stelledes Gefäß-Nerven-Kontakts erklärt, wo eine seg-mentale Druckentmarkung infolge des ständigenpulsatilen Drucks auf den Nerv angenommenwird. Die im Augenmuskel-EMG der betroffenenMuskeln nachgewiesene, plötzlich beginnendenund endenden hochfrequenten (150– 300 Hz)

Entladungsserien sowie Gruppen niederfrequen-terer (um 50 Hz) Entladungen, die zum Teil auchals Nachaktivität auftreten, wären gut mit spon-tan im peripheren Nerv entstehenden Entladun-gen mit ephaptischer Erregungsübertragung ver-einbar.

Diagnostik

Insbesondere bei einer bezüglich einer vorange-gangenen Bestrahlung „leeren“ Anamnese sollteunter der Fragestellung einer möglichen neuro-vaskulären Kompression eine Magnetresonanzto-mografie (Abb. 3.20) mit dünnen CISS-Sequenzendurchgeführt werden. Ein diagnostisches Augen-muskel-EMG ist meiner Meinung nach nur aus-nahmsweise und dann auch nur bei besondererErfahrung mit dieser Methode zu rechtfertigen.

Therapie

Therapeutisch sollen Antikonvulsiva wie Carba-mazepin (Größenordnung: 3-mal 300 – 600 mg/Tag) und Phenytoin (Größenordnung: 2-mal100– 200 mg/Tag) gut wirksam sein. Bei derwahrscheinlichen Pathophysiologie ist aber aucheine Wirksamkeit anderer antikonvulsiv wirken-den Substanzen anzunehmen. Einmalig wurde

Abb. 3.20 MR-tomografischer Nachweis eines Ge-fäß-Nerven-Kontakts zum N. oculomotorius bei einemPatienten mit episodischen schrägen Doppelbildern,die klinisch als Neuromyotonie eingeordnet wurden(große Pfeilspitze auf der A. basilaris).

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auch über eine Besserung durch Propanolol(10 mg/Tag) berichtet. (Bei Versagen solcher Sub-stanzen kann in einzelnen Fällen die Injektionvon Botulinumtoxin in den (die) betroffenenMuskel(n) erwogen werden.)

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