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Rekonstruktionszeichnung des römischen Kastells Pfünz (Castra Vetoniana) um 200 n. Chr. Nach A.J. Günther u. Ch. Flügel. Museum für Ur- und Frühgeschichte Eichstätt.

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Rekonstruktionszeichnung des römischen Kastells Pfünz (Castra Vetoniana) um 200 n. Chr.Nach A.J. Günther u. Ch. Flügel. Museum für Ur- und Frühgeschichte Eichstätt.

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Margit Auer, Jahrgang 1967, studierte Journalistik in Eich-stätt und arbeitete anschließend als Redakteurin und freieJournalistin für verschiedene bayerische Tageszeitungen. Mitihrem Mann, ihren drei Söhnen und der Katze Charlie lebtsie mitten in der barocken Altstadt von Eichstätt, nur weni-ge Kilometer vom Limes entfernt. »Verschwörung am Limes«ist ihr erster Kinderkrimi.www.autorenwerkstatt-auer.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sindfrei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Perso-nen sind rein zufällig.

K R I M I F Ü R K I N D E R

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Vor allem für Kinder war zur Zeit des Römischen Reichesvieles anders als heute. Wer aus einer armen Familie stammte,musste mithelfen, die Familie zu ernähren. Lesen und Schrei-ben lernten nur die Kinder, die wohlhabende Eltern hatten.Jüngere Schüler mussten das Alphabet auswendig lernen undSprichwörter abschreiben, ältere Schüler wurden in Literatur,Geschichte und Mathematik unterrichtet. Ob es in den klei-nen Lagerdörfern Rätiens einen Lehrer gab? Wohl eher nicht!Hier genossen die Kinder große Freiheiten. Sie waren jedenTag draußen in der Natur und erlebten so manches Aben-teuer. Mit dem römischen Jungen Magnus und mit Finn, ei-nem Germanenjungen, kannst du in das abenteuerliche Lebenvon damals eintauchen. Und um den spannenden Fall her-um, den Magnus und Finn unbedingt lösen wollen, erfährstdu auch von ihrer Freundschaft – einer Freundschaft überalle Grenzen hinweg.

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Eine kurze Einführung

Lange, lange ist es her, da zog sich quer durch Süddeutsch-land eine fünfhundertfünfzig Kilometer lange Grenzanlage,der Limes. Nördlich davon wohnten die Germanen, der süd-liche Teil gehörte zum Römischen Reich. Dort, wo heuteStädte wie Augsburg, Weißenburg oder Regensburg liegen,hatten vor rund eintausendneunhundert Jahren römische Sol-daten das Sagen. Mit ihren blitzenden Rüstungen und ihrenscharfen Waffen hinterließen sie bei der einheimischen Be-völkerung ganz schön Eindruck! Aber auch die Germanenwaren tapfere Krieger. Sie waren an das raue Klima mit denkalten Wintern gewöhnt. In den dichten Wäldern fanden siesich besser zurecht als die römischen Soldaten. Die mar-schierten nämlich am liebsten in Reih und Glied. Und wäh-rend die Römer großen Wert legten auf Ordnung und festeRegeln, liebten die Germanen vor allem eins: ihre Freiheit.Kein Wunder, dass sich die beiden Völker immer wieder indie Haare kriegten.

Wir befinden uns im Jahr 133 nach Christus im Grenzge-biet der Provinz Rätien. Rätien reichte von den Alpen bis andie Donau und noch ein Stückchen darüber hinaus. In Romregierte zu dieser Zeit Kaiser Hadrian. Von ihm stammte dieIdee, die Grenze nach Norden durch den Limes zu sichern.Er befahl den Soldaten, Eichen zu fällen, sie anzuspitzen, zuhalbieren und in den Boden zu rammen. Kannst du dir dasvorstellen? Drei Meter hoch ragten diese Palisaden in denHimmel. Wachtürme standen in Sichtweite. Wenn Gefahrdrohte, konnten die Wachsoldaten Rauchsignale aussendenund so schnell Hilfe holen. In Vetoniana, dem heutigen Pfünzim Altmühltal, lag vor eintausendneunhundert Jahren tatsäch-lich ein Kastell mit einem Lagerdorf in der Nähe. Es ist heutein Teilen wieder aufgebaut, du kannst es besichtigen.

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Der Mann öffnete die Augen und blinzelte. An der Gren-ze war wieder Ruhe eingekehrt. Längst waren die Händlermit ihren schäbigen Karren weitergerumpelt, um ihre Warenin Münzen zu tauschen. Na wartet, euch werde ich es zeigen!Der Mann grinste grimmig. Sein Gesicht glich einer schauri-gen Maske, wie sie Schauspieler trugen, wenn sie den größtenSchurken spielten. Dann drehte sich der Mann um und stieglangsam die Anhöhe hinunter.

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Prolog

Der Mann stand, mit dem Rücken gegen eine dicke Eiche ge-lehnt, auf einer Anhöhe und starrte hinunter ins Tal. DerWind fuhr durch die Blätter des Baumes, die Zweige peitsch-ten hin und her. Immer wieder wischte sich der Mann einegraue Haarsträhne aus der Stirn. Er wollte freie Sicht haben,auch wenn ihm das, was er dort unten sah, die Zornesröte insGesicht trieb. Schon lange waren ihm die Männer, die mitihren Wagen den Limes passierten, ein Dorn im Auge. Manmusste sie sich nur ansehen, diese Händler! Singend und joh-lend fuhren sie auf ihren klapprigen Fuhrwerken über eineperfekt gepflasterte Straße, die geradewegs zum Kastell führ-te. War das gerecht? War das angemessen? Gebaut hatten dieStraßen römische Soldaten, die treu und redlich ihren Diensttaten, tagein, tagaus. Mussten die fremden Händler etwa eineSteuer bezahlen dafür, dass sie die Straße benutzen durften?Nein, mussten sie nicht! Der Mann drückte sich fest gegenden kalten Baumstamm. Er ballte die Faust. Wenn er diesenHändlern nur eins auswischen könnte! Ihnen das Handwerklegen … Er runzelte die Stirn. Zu oft hatte er zusehen müssen,wie diese einfältigen Männer ihr runzliges Gemüse gegenglänzende Silbermünzen tauschten. Und was war mit ihm?Bekam er den verdienten Lohn für die vielen Jahre, die er sei-nem Reich treu gedient hatte? Nein, bekam er nicht! Neid undMissgunst krochen in ihm hoch.

Eine Windbö fegte über die Anhöhe hinweg, den Mannfröstelte. Während er mit finsterem Blick auf das Tal hinun-tersah, reifte in seinem Kopf ein bösartiger Plan. Man müss-te eine Verschwörung anzetteln, dachte er bei sich und schlossnachdenklich die Augen. Eine Verschwörung, die diesen Ge-schäftemachereien zwischen Römern und Germanen ein En-de setzen würde. Ihm waren alle Mittel recht!

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Vetoniana, in einer der abgelegensten Ecken des RömischenReiches, und seine Freunde fehlten ihm wie am ersten Tag.Magnus’ Blick wanderte zu den mit Tinte beschriebenenHolztäfelchen, die ihm seine Freunde zum Abschied ge-schenkt hatten und die nun auf der Truhe neben seiner Schlaf-stelle lagen. Magnus bewohnte ein eigenes kleines Zimmer.Nebenan schliefen die Mutter und seine kleine SchwesterJolina. Auf der anderen Seite des schmalen Flures lag die Kü-che. Dort befanden sich die Kochstelle, Mutters Vorrats-schrank, ein Holztisch und zwei Bänke. Von dem Fenster derKüche aus konnte man nach draußen auf die Gasse blicken.Magnus’ Fenster lag Richtung Norden.

Jeden Abend vor dem Einschlafen las er die Holztäfelchenseiner Freunde, und auch jetzt zupfte er sich eines davon her-vor. »Viel Glück auf deiner Reise« stand darauf. Die Tafel warvon Adrian. In der Schule, wo ihnen ihr griechischer LehrerLesen und Schreiben beigebracht hatte, waren sie nebenein-ander gesessen. Wie oft hatten sie sich gemeinsam über diealten Schriften gebeugt, die sie auswendig lernen mussten!Magnus schluckte. »Komme bald wieder!« Das hatte Titusgeschrieben. Magnus schüttelte den Kopf. Für eine baldigeHeimkehr bestand keinerlei Hoffnung.

Die Familie war dem Vater nachgefolgt, der schon seit einemJahr in Rätien war. Meile um Meile war Appius Claudius unterdem Kommando seines Truppenführers, dem Zenturio, mar-schiert. Achtzig Mann zählte die Truppe, die von Rom hierherabkommandiert worden war. Appius Claudius war auf gepflas-terten Straßen gelaufen, durch enge Hohlwege, über Berge undTäler. Er war Flussläufen gefolgt, hatte Gebirge überwundenund den Fluss Danuvius überschritten. Jeden Abend hatte ergemeinsam mit den anderen Soldaten das Zeltlager auf- und amnächsten Morgen wieder abgebaut. Dann hatte er das vierzigKilogramm schwere Gepäck geschultert und war weitermar-schiert. Zwanzig Meilen pro Tag, ohne Pause.

Disziplin und sportlicher Ehrgeiz wurden in der römi-

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1. Kapitel

»Columbulus, wo bleibst du?«, schallte es durch das Stein-haus, das am Ende der staubigen Gasse stand. Magnus hasstees, wenn seine Mutter ihn »Täubchen« nannte. Der Spitznamestammte noch aus seiner Kindheit. Als Säugling hatte Mag-nus angeblich gegurrt wie eine Taube, wenn er satt und zu-frieden in seinem Weidenkörbchen lag. Aber das war schonzwölf Jahre her. Wie lange würde es dauern, bis seine Mutterdas vergessen konnte? Da war ihre Stimme schon wieder:»Columbulus, das Frühstück ist fertig! Kommst du?«

Magnus lag auf seiner Schlafstelle und hatte es kein biss-chen eilig. Vorsichtig streckte er einen Fuß unter der Bettde-cke hervor. Sein Bauch grummelte. Ihm war klar, der heutigeTag würde wieder zäh dahinfließen wie Weizenbrei, der nichtaus der Schüssel wollte. Kein Freund, kein Abenteuer war-tete auf ihn. Schnell zog Magnus den Fuß zurück unter diewarme Bettdecke. Er verschränkte die Hände hinter demKopf und starrte an die Decke.

Lange hatte er am Abend zuvor nicht einschlafen können.Hier im Lagerdorf, dem Vicus, das eine halbe Meile vom Mi-litärlager Vetoniana entfernt lag und in dem die Familien derrömischen Soldaten wohnten, war es einfach viel zu still.Zwar gab es ein Backhaus und ein paar Handwerksbetriebe,aber Magnus fehlten die vertrauten Geräusche seiner Hei-matstadt. Wie sehr liebte er es, zu Hause in Rom durch diegeöffneten Fensterflügel in die Nacht zu lauschen, den wir-ren Gesprächen der nächtlichen Herumtreiber und dem Ge-klapper der Pferdegespanne zuzuhören und dabei sachte inden Schlaf hinüberzugleiten. Und hier? Hier hörte man höchs-tens das Geschrei der Soldaten bei der Wachablösung. »ImGleichschritt! – Keine Vorkommnisse! – Kehrt!«

Seit vier Wochen lebte Magnus schon nahe dem Kastell

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auf der anderen Seite der Grenze, ein blonder Junge durchdichtes Brombeergestrüpp. Sein Name war Finn.

Finn war wie immer barfuß unterwegs. Er trug eine kurzeHose, die er mit einem Ledergürtel zusammenhielt, und einbuntes Hemd. Am Gürtel baumelte ein Beutel, in dem eineSteinschleuder und ein paar Nüsse steckten. Immer wiederblieb Finn stehen, knackte sich mit einem Stein eine Hasel-nuss auf und schob sich den Kern in den Mund.

Finn war Germane. In seinem Dorf, das sich auf einerLichtung befand, gab es zwölf Häuser mit strohgedecktenDächern, einen Dorfplatz mit Brunnen und quergelegtenBaumstämmen, wo sich die Dorfbewohner zum Geschich-tenerzählen trafen. Außerdem viele Schuppen, Gärten, ge-flochtene Zäune und jede Menge Tiere. In dem gemütlichs-ten Haus von allen wohnte Finn mit seiner Familie, und Finnhatte eine große Familie. Sein Vater, Urs Armin, war Händ-ler. Mutter Kristin kümmerte sich um das Haus und den Ge-müsegarten. Die beiden großen Brüder Till und Askan woll-ten Krieger werden. Finns große Schwester Britt sammeltePilze, und Mia, die kleine Schwester, half ihr dabei. Wennman den Riegel der hölzernen Eingangstür zur Seite schob,gelangte man in einen schummrigen Wohnraum. Hier koch-te Finns Mutter das Essen, hier traf sich die Familie zu denMahlzeiten. An den Wänden entlang stand eine Holzbank,auf die sich die Familie nachts zum Schlafen legte. Darunterverstaute jeder seine Sachen: Askan seine Fallen, Till Schnü-re und Zaumzeug, Britt den Korb zum Pilzesammeln, Miaihre Strohpüppchen und Finn seine Steinschleuder und denLederbeutel. Auf einem Regal waren Teller aufgestapelt, auchVaters Schmalztopf hatte hier seinen Platz. Finns Vater liebtees, sich Fett in die roten Haare und seinen Bart zu schmieren.In einer Ecke stand Mutters Webstuhl, in der anderen lehn-ten Vaters Speere, in der dritten stand der Ofen.

Nur durch eine Flechtwand getrennt schliefen Menschenund Tiere unter einem Dach. Nachts, wenn Finn auf seinem

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schen Armee großgeschrieben, Magnus’ Vater fand das gutso. Er war Soldat mit Leib und Seele. »Niemand hat es besserals ein römischer Legionär« war seine Meinung.

Magnus sah das anders. Was war von einem Beruf zu hal-ten, bei dem man im Römischen Reich hin- und hergeschicktwurde, wie es dem Kaiser gerade gefiel? Er griff nach demnächsten Holztäfelchen. »Lebe wohl, Magnus!« hatte Kon-stantin darauf geschrieben. »Wir werden dich vermissen!!«

»Ich vermisse euch auch«, sagte Magnus leise. »Sehr so-gar.« Er strich sich die dunklen Locken aus dem Gesicht undseufzte. In seinem Magen rumorte es noch immer, am liebs-ten würde er den ganzen Tag im Bett verbringen.

Die Stimme der Mutter wurde lauter. »Magnus, du Schlaf-mütze, wo bleibst du? Carpe diem!« Magnus setzte sich lang-sam auf. Die Mutter hatte gut reden! Carpe diem! Nutze denTag! Wie denn?

Noch einmal seufzte er tief. Er schob die warme Deckezur Seite, stand auf und zog sich seine Tunika über den Kopf.Das weiße Gewand reichte ihm bis zu den Knien, er band inder Taille noch eine Kordel herum. Dann lief Magnus in dieKüche. Plötzlich grummelte der Bauch nicht mehr. Nein, erknurrte. War das Bauchweh daher gekommen, dass Magnusgroßen Hunger hatte? Er setzte sich neben seine kleineSchwester Jolina an die Holzbank, schnappte sich ein StückBrot und tunkte es in Honig. »Mmm, schmeckt das gut.«

Während er sein drittes Fladenbrot verspeiste und die Bis-sen von einer Backe in die andere schob, überlegte er, was ermit dem endlos vor ihm liegenden Frühsommertag anfangensollte. Aber so sehr er auch kaute, ihm fiel nichts ein. In die-sem Nest war einfach nichts los.

***

Während Magnus darüber nachdachte, ob er noch ein viertesFladenbrot vertragen könnte, stromerte drei Meilen weiter,

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2. Kapitel

Nach dem Frühstück musste Magnus seiner Mutter Marcel-la beim Mehlmahlen helfen. »Was für eine dämliche Arbeit!«,schimpfte er. In Rom wäre er einfach in ein Geschäft gegan-gen und hätte dort das Mehl gekauft. Aber hier in der Ein-samkeit musste man alles selbst machen! Wenn man Erbsenessen wollte, musste man Monate zuvor Samen in die Erdestecken. Wenn man in einen Apfel beißen wollte, musste mandie richtige Jahreszeit abwarten und dann auf einen Baumklettern. Und wenn es zum Abendessen Fisch geben sollte,musste man nachmittags zum nahen Fluss Alcmona gehenund zusehen, dass man eine Forelle erwischte. Ganz schönmühsam, das Landleben! Magnus drehte die Kurbel, das Mehlrieselte langsam in die Schüssel. Als die Schüssel voll war,brachte er sie hinüber zum Backhaus.

Magnus kannte im Dorf inzwischen alle: Valeria war dieFrau des Lagerpräfekten. Der Präfekt gab als erster Mann imLager den fünfhundert Soldaten die Befehle. Weil im Kastellaber keine Frauen wohnen durften, hatte Valeria ein Haus imVicus bezogen. Es war nicht viel größer als das, in dem Mag-nus mit seiner Mutter und Jolina wohnte, aber um einiges lu-xuriöser ausgestattet. Die Wände waren mit Malereien verziert,und in Valerias prächtigem Rosengarten stand ein Springbrun-nen.

Ovidio, ein alter Schuster, versorgte das ganze Dorf mitSandalen. Luca und Patricia wohnten mit ihren beiden Zwil-lingstöchtern Lea und Luna in der nächsten Gasse. Luca warwegen einer schweren Verletzung aus dem Militärdienst aus-geschieden. Er hatte sich in Vetoniana mit einer Imkereiselbstständig gemacht, Patricia war Mutters beste Freundingeworden. Sie kannte immer die neueste Mode, denn siestammte aus Mailand. Neulich hatte Patricia Magnus’ Mut-

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Schaffell lag, konnte er das Schnauben der Tiere hören. DieFamilie besaß acht Ziegen, sechs Schafe, zwei Ochsen, einenHahn und drei Dutzend Hühner. Und natürlich Fiori, denFalken. Aber der wohnte draußen in einem Gehege, den Finnihm aus Weidenruten gebaut hatte.

Finns Herz hüpfte vor Freude, wenn er an den Falkendachte. »Fiori, mein Fiori«, sang er leise vor sich hin undsprang über einen umgefallenen Baumstamm, der über undüber mit Efeu bewachsen war. Er hatte den Falken als Kükenauf einem seiner Streifzüge unter einem Felsen gefunden undmit getrocknetem Eigelb und toten Mäusen aufgezogen. Ei-ne ganze Nacht lang hatte er wach dagelegen und nach demrichtigen Namen gesucht. Schließlich hatte er sich für denNamen Fiori entschieden. Fiori, das klang nach Freiheit undAbenteuer, fand Finn. Und er war sich sicher, dass er undsein Falke viele Abenteuer erleben würden.

Finn spürte den weichen Waldboden unter seinen Fuß-sohlen und atmete tief durch. Es roch nach Pilzen, Tannen-nadeln und ein wenig nach Feuer. In der Ferne konnte er graueRauchsäulen sehen. Finn pfiff vor sich hin und schnalzte imTakt mit der Schnur seiner Steinschleuder.

Finns Vater Urs Armin war ebenfalls beschäftigt. Er bün-delte hinter dem Haus Lederhäute zusammen, die er über dieGrenze ins Kastell Vetoniana liefern wollte. Dreihundertacht-zig Fußsoldaten und hundertzwanzig Reiter lebten dort unddie Männer brauchten ständig Nachschub: Gemüse, Getrei-de, Leder, Eier, Gewürze, Honig, Bienenwachs, Marmela-den. Beim nächsten Markttag sollte ihn Finn begleiten, be-schloss der Vater.

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Emilio erzählen, wie einsam er sich fühlte? Wie mühsam sichdie Tage dahinschleppten? Magnus zuckte mit den Schultern.»Geht schon so«, brummelte er.

Emilio ging zurück in die Werkstatt, holte einen Becherund einen Krug Wein und schenkte sich daraus großzügigein. »Ah, das schmeckt gut«, freute er sich und fuhr sich mitder Zunge über die Lippen. »Willst du auch einen Schluck?«

Magnus schüttelte den Kopf. Wein fand er grauenhaft.»Es ist schon lange her, dass ich von Rom hierherkam«,

begann Emilio plötzlich zu erzählen. »Über dreißig Jahre.Ich war damals Legionär, also Soldat wie dein Vater. Späterging ich dann zur Kavallerie. Ich war froh, nicht länger Bo-denkämpfer, sondern Reiter zu sein.« Magnus horchte auf.Dann war Emilio gar nicht immer Schmied gewesen? Und erhatte früher in Rom gewohnt!

»Schmied bin ich erst geworden, als ich nach fünfund-zwanzig Jahren aus dem Soldatendienst ausschied«, erzählteEmilio weiter. »Mein Vorgänger hatte genug von der Schmie-de, er konnte die ständige Hitze nicht mehr ertragen. Mirwar das recht. Ich wusste ja nicht, was sich sonst tun sollte.Viele andere Soldaten haben sich von ihrem Entlassungsgeldein Landgut gekauft, aber das wollte ich nicht. Sklaven he-rumkommandieren, das ist nicht mein Ding.«

Magnus musterte den Dorfschmied. »Warum bist du nichtzurück nach Rom gegangen?«, wollte er wissen.

Emilio überlegte eine Weile. »Ach, weißt du«, antworteteer schließlich, »in Rom kannte ich ja niemanden mehr. Unddie Gegend hier ist gar nicht so schlecht. Du wirst schon nochauf den Geschmack kommen.« Der Schmied nahm wieder ei-nen kräftigen Schluck Wein aus dem Becher.

»Übrigens, möchtest du morgen mit nach Vicus Scutta-rensis fahren? Ich muss ein paar Eisenteile abliefern und willmich in der Markthalle mit frischem Wein und Olivenöl ein-decken. Ich möchte ja hier nicht leben wie die Barbaren. Ein-mal Römer, immer Römer!« Emilio lachte.

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ter eine Creme ins Gesicht geschmiert. »Gut für die Haut«,hatte sie dazu gesagt. Als Magnus fragte, woraus die Pastegemacht sei, antwortete sie: »Zerriebene Schnecken!«

Dann gab es im Vicus noch den Wirt Antonius, der die Ta-verne führte, und Rufus, der mit seiner Frau Suzana die Gar-küche betrieb. Außerdem Cornelius und Quentin, zwei im-mer schlecht gelaunte Töpfer und ihre alte Sklavin Tyra.

Was fehlte, waren Kinder! Vor allem Jungen in Magnus’Alter. Am besten kam Magnus noch mit Emilio, dem Dorf-schmied, aus.

Magnus schlenderte die staubige Straße entlang. Schon seitTagen hatte es nicht mehr geregnet. Eine Katze lag träge inder Sonne. Sie hieß Lacuna, hatte einen länglichen weißenFleck auf ihrem grauen Fell und gehörte Lea und Luna. Siestrich ständig zwischen Kastell und Vicus hin und her.

Als Magnus vor der Schmiede stand, klopfte er. Aber nie-mand öffnete oder rief ihn herein. Also drückte Magnus dieschwere Eisenklinke hinunter und öffnete die Werkstatttüreinen Spalt. Emilio stand mit hochrotem Kopf über das Feu-er gebeugt und starrte auf ein glühendes Stück Eisen, das vorihm lag und ein Bratrost werden sollte. »Ave!«, grüßte Mag-nus den Schmied. »Darf ich reinkommen?«

Emilio nickte. Magnus setzte sich in eine Fensternischeund schaute Emilio bei der Arbeit zu. Funken stoben in alleRichtungen, es war glühend heiß. Worte fielen kaum. Kurzvor der Mittagszeit machte Emilio Pause. »Komm! Wir set-zen uns draußen in die Sonne«, ächzte der Schmied. Er spür-te die harte Arbeit in den Knochen.

Vor der Werkstatt stand eine Holzbank, die von Tongefä-ßen voller Gewürze eingerahmt wurde: Koriander, Dill undPfefferminze. Emilio hielt Magnus ein Säckchen mit Rosinenhin. »Hier, nimm dir.« Die Rosinen waren hart, aber süß.

»Na, wie gefällt es dir hier in Rätien? Hast du dich schoneingelebt?«, fragte Emilio.

Magnus wusste nicht, was er antworten sollte. Sollte er

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