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1 Aus rechtlichen Gründen sind wir zu folgendem Hinweis verpflichtet: Nach unserem Wissen wurde diese Vorlesungsmitschrift nicht autorisiert. Der Verfasser ist uns leider unbekannt. Das Webteam von ekir.de/examen

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Aus rechtlichen Gründen sind wir zu folgendem Hinweis verpflichtet:

Nach unserem Wissen wurde diese Vorlesungsmitschrift nicht autorisiert. Der Verfasser ist uns leider unbekannt.

Das Webteam von ekir.de/examen

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Dogmatik im Überblick Vorlesung von Prof. Dr. Walter Sparn im Wintersemester 1998/99 Versuch einer Vorlesungsmitschrift Gliederung Erster Teil: Prolegomena Kapitel 1 § 1: Die Notwendigkeit dogmatischer Prolegomena 1) Religiöse Differenzierungsprozesse 2) Wissenschaftliche Differenzierungsprozesse § 2: Der Sitz im Leben für die Dogmatik 1) Der Habitus christlich religiöser Orientierung 2) Der Aufbau des Habitus 3) Reflexion auf den christlichen Glauben der Innen- und Außenperspektive § 3 Dogmatik und Frömmigkeit 1) Der Erwerb dogmatischer Kompetens setzt christliche Frömmigkeit voraus 2) Theologie der Wiedergeborenen 3) Theologia viatorum und theologia crucis 4) Luther 5) Objektive und subjektive Verwissenschaftlichung von Theologie § 4 Dogmatik als systematische Theologie 1) Der Begriff „Systema“ 2) Systematische Theologie versus Dogmtik

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3) Das Problem der Hierarchie der Wahrheiten Kapitel II § 5 Der evangelische Zusammenhang von Dogmatik und Bekenntnis 1. Dogma in der römisch-katholischen Tradition 2. Dogma in der protestantischen Tradition 3. Die Fehlformen des Synkretismus und des Fundamentalismus 4. Die Alternative zu röm.-kath. Dogma- und ev. Bek.-verständnis: die östliche Orthodoxie 5. Begriffsbestimmung von Dogma und Dogmatik 6. Probleme im Aufbau der Dogmatik § 6 Dogmatik im Kontext theologischer und kulturwissenschaftlicher Disziplinen 1. Dogmatik im methodischen Kontext der Systematischen Theologie 2. Dogmatik als theologische Enzyklopädie 3. Dogmatik als Kulturwissenschaft §7 Die kommunikativen Formen der Dogmatik 1. Dogmatik als Dialog 2. Dogmatik als Konflikt 3. Dogmatik als Stellungnahme (Lehre, Urteil), als assertio Kapitel III: Der Gegenstand der Dogmatik § 8 Religion als Gegenstand der Dogmatik 1. Die Problematik des Gegenstandsbezuges

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4. Dogmatik als Erfahrungswissenschaft § 9 Fides quae : Der Grund des Glaubens als Gegebstand der Dogmatik 1. Offenbarung in Jesus Christus 2. Offenbarungen außer Christus 3. Das Wort Gottes § 10 Das Glauben (fides qua) als Gegenstand der Dogmatik 1. Das Glauben als Erfahrung (als existentielles Phänomen) 2. Glauben als religiöse Praxis 3. Glauben als Auslegung des Wortes Gottes (kognitiv, doktrinal) Kapitel IV: Die Methode der Dogmatik § 11 Die Dogmatische Argumentation 1. Semantisch-logische Verknüpfung 2. Hermeneutische Vernünftigkeit 3.Methodische Vernünftigkeit § 12 Die Normativität der Dogmatik 1. Der biblische Kanon als Regel und Richtschnur 2. Die Bibel als Christuszeugnis 3. Schriftgemäßheit und Lebensnähe § 13 Die Auswertung dogmatischer Stellungnahmen § 14 Die Disposition der dogmatischen Stoffe

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Teil 2: Gott und die Welt Kapitel I: Gott als Wort unserer Sprache § 15 Nach Theismus und Atheismus 1. Zur Situation 2. Der traditionelle Theismus 3. Der Atheismus 4. Statistische Befunde 5. Theologische Einschätzungen der Befunde § 16 Sinn und Gestalt des Wortes „Gott“ 1. Das darstellende Reden über Gott 2. Das Reden von Gott: das künstlerische Gestalten des Wortsinnes von „Gott“ 3. Das Beten des Wortes Gottes § 17 Wege zum Wort „Gott“ 1. Der Zusammenhang von besonderer und umgebener Gottesrede 2. Die sogenannten Gottesbeweise 3. Die Analogizität des Redens von Gott Kapitel II: D ie Werke Gottes § 18 Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt 1. Die klassische Schöpfungslehre 2. Die Schriftgemäßheit der Schöpfungslehre

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3. Die gegenwärtige Problemlage 4. Die theologische Verarbeitung 5. Zur aktuellen Orientierung 6. Vier Kriterien zum Schöpfungsglauben § 19 Gott in Jesus Christus: der Versöhner der Menschheit 1. Die Menschwerdung Gottes 2. Die Erwählung und Führung Israels (Bundestheologie) 3. Die Stiftung und Erhaltung der christlichen Kirchen 4. Kriterien der aktuellen Orientierung § 20 Gott als Heiliger Geist: unser Heiland 1. Die „Persönlichkeit Gottes“ 2. Der Heiligende Gott Kapitel III: Die Namen unseres Gottes § 21 Die Benennungen Gottes § 22 Die Eigennamen Gottes 1. Die klassische Trinitätslehre 2. Die Kritik und die Rekonstruktion der Trinitäslehre 3. Die Wiedergewinnung des Trinitätsbegriff § 23 Das Leugnen Gottes Dritter Teil: Jesus Christus und der Mensch

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Kapitel I: Die Frage des Menschen nach sich selbst § 24 Humanwissenschaftliche und theologische Fragestellung 1. Die Universalität der Frage 2. Die Zirkularität der Frage 3. Der ganze Mensch und alle Menschen 4. Theologische Anthropologie in Beziehung mit der humanwissenschaftlichen Anthropologie 5. Vertreter der philosophischen Anthropologie § 25 Die anthropologische Aufgabe der Dogmatik 1. Die methodische Anthropozentrik 2. Christologische Anthropologie des 20. Jahrhunderts 3. Die apologetische Anthropologie 4. Transzendentale Anthropologie (Karl Rahner) 5. Anthropologie im Dialog Kapitel II Adam und Christus: der alte Mensch § 26 Das Selbstsein des Menschen als Geschöpf und als Sünder 1. Ausschluß der anthropologischen Theologie 2. Anthropologische Ökonomie § 27 Der Mensch: Ebenbild Gottes § 28 Der Mensch: Sünder Kapitel III: Christus und Adam:: der neue Mensch

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§ 29 Jesus der Christus (die Aufgabe der Christologie) 1. Notwendigkeit der Arbeit an der Frage „Wer meint ihr, daß ich sei?“ 2. Der Ansatz der Christologie 3. Beschränkung auf den „historischen Jesus“ 4. Jesus als der kerygmatische Christus 5. Gegen den egozentrischen Aspekt Bultmanns § 30 Jesus Christus: Mensch und Gott „in Person“ 1. Der religiöse Kontext 2. Jesus von Nazareth als „Gott“ 3. Göttliche Würde und menschliche Gestalt 4. Die Personeneinheit „Jesus Christus“ 5. Die Andacht vor dem Bild Jesu Christi § 31 Jesus Christus: Gott und Mensch am Werk 1. Die satisfactio vicaria (Anselm von Canterbury) 2. Das dreifache Amt (Calvin) 3. Jesus Christus als Offenbarung der verzeihenden Liebe Gottes (Abaelard, Ritschl) 4. Das reformatorische Christusbekenntnis 5. Die reformierte Christologie 6. Die Lutherische Präsenztheologie § 32 Jesus Christus: Der neue Mensch 1. Die modernen Rekonstruktionen der Christologie

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2. Jesus Christus als Prinzip (oder: Idee) des wahren Menschseins 3. Die Urbildchristologie 4. Die neueren Christologien 5. Memoria, Credere, Esse Vierter Teil: Der Heilige Geist und das christliche Leben Kapitel I Der Glaube an Gott den Heiligen Geist § 33 Der göttliche Geist des Lebens 1. Die Erneuerung des pneumatologischen Interesse 2. Die Stellung der Pneumatologie in der Dogmatik 3. Der Geist Gottes als Geist des Lebens 4. Gottes Geist als Selbstgabe Gottes 5. Der Heilige Geist als Geist des ewigen Lebens § 34 Der Geist der Liebe Gottes 1. Der Heilige Geist als Liebe Gottes 2. Die Gemeinschaft der Heiligen: Kirche 3. Die Gaben des Heiligen Geistes: die Charismen § 35 Der Heilige Geist als die göttliche Wahrheit selbst 1. Der Glaube als Spiritualität 2. Der Glaube als Gegenwart des Heiligen Geistes als Zeugnis des Zuspruchs Jesu Christi 3. Der Heilige Geist als Heiligung § 36 Die Zeit des Heiligen Geistes

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1. Die vergehende Welt und Lebenszeit 2. Gottes Geistesgegenwart als Zeitgabe 3. Der Kairos als Gebet - das Gebet als vom Heiligen Geist erfüllte Zeit Kapitel II: Die christliche Kirche § 37 Die geglaubte Kirche und die sichtbaren Kirchen 1. Die Unterscheidung zwischen Norm und Deskription 2. Die communio sanctorum 3. Die Eigenschaften (attributae) und die Kennzeichen (notae) der Kirche § 38 Die Kirche als Dienst am Evangelium 1. Der Auftrag der Kirche: das ministerium Evangelii 2. Kirche und Welt 3. Die Heilsmittel § 39 Die christlichen Sakramente 1. Was ist ein Sakrament? 2. Die christliche Taufe 3. Das Heilige Abendmahl § 40 Die verfaßte Einzelkirche 1. Das Amt in der Kirche (CA V) 2. Die notwendige Institutionalität einer Kirche 3. Das Wechselverhältnis der christlichen Kirchen

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Kapitel III: Die Zueignung des Heils § 41 Die Rechtfertigung des Sünders 1. Der interkonfessionelle Gegensatz

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Dogmatik im Überblick Vorlesung von Prof. Dr. Walter Sparn im Wintersemester 1998/99 Versuch einer Vorlesungsmitschrift Erster Teil: Prolegomena Kapitel 1 Vorbemerkungen:

Dogmatische Kompetenz: das Vermögen in einer gegebenen Situation des Glaubens und Lebens sich christlich zu orientieren und verhalten zu können. Ziel des Studiums soll es sein eine christlich-religiöse Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit aufzubauen.

Analogia Fidei: Ein Problem wahrnehmen, es identifizieren und es beurteilen. Die analogia fidei ist keine Logik der linearen Deduktion oder Induktion. Vielmehr kann man hier von einem hermeneutischen Zirkel sprechen: Ein Reden von Gott im Gedächtnis Jesu Christi durch die Kraft des Heiligen Geistes. § 1: Die Notwendigkeit dogmatischer Prolegomena Definition: Prolegomena zur Dogmatik sind notwendig geworden im Zuge religiöser und wissenschaftlicher Differenzierungsprozesse: Wegen der Professionalisierung der intelektuellen, hier: der normativen Reflexion christlichen Glaubens und Lebens; und zweitens wegen der Besonderung der Theologie als Wissenschaft im Unterschied zu, in der Neuzeit zunenehmend auch im Streit mit anderen wissenschaften. Prolegomena sind daher notwendig nur relativ zur christentums- und kulturgeschichtlichen Situation der westlichen Moderne. Ihr Sinn und Zweck sind dementsprechend veränderlich und somit auch strittig. 1) Religiöse Differenzierungsprozesse

Prolegomena gab es nicht immer und oft auch nur in rudimentärer Form (2-3 Sätze), erst später, vor allem ab Schleiermacher, begann man vor die Dogmatik oder Glaubenslehre Prolegomena zu setzen, die teilweise von ihrem Umfang her 1/3 der Dogmatik ausmachten (Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, 1932; Friedrich Schleiermacher, Glaubenslehre, 1831/32).

Prolegomena sind a) eine Prinzipienlehre (welche Prinzipien sind es, die das, was nachher kommt, rechtfertigen) b) eine Methodenlehre (wie werden die Aussagen gebildet).

d.h. in den Prolegomena werden keine formalen, sondern immer bereits inhaltsgefüllte Fragen gestellt.

Es entwickelten sich zwei Extrempositionen: I) Karl Barth u.a.: Prolegomena sagen praktisch vorweg, was später in der Dogmatik näher

behandelt wird, sie sind daher bereits Bestandteil der Dogmatik. II) Friedrich Schleiermacher, Paul Tillich: Prolegomena führen von außen in die christliche

Dogmatik ein, sie machen sie verständlich, sie stellen eine Hinführung auch für Nichtchristen dar.

III) Wolfhart Pannenbergs „Mischform“ aus I) und II): Prolegomena holen die Leute dort ab, wo sie stehen, aber mit der Absicht sie schon darauf hin zu führen, wohin der Verfasser hin will.

2) Wissenschaftliche Differenzierungsprozesse

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Das Selbstverständnis der Verknüpfung Außen-/Innenperspektive ist mit der Zeit weggefallen. Man verzichtete auf eine vorweg formulierte Allgemeinheit. Drei Entwicklungen: I) Der Rückzug und die Beschränkung auf die Offenbarung (Bonhoeffer: „Das ist

Offenbarungspositivismus“). II) Der Versuch, den christlichen Glauben in generell akzeptablen Rahmen zu plazieren, was

eine apologetische Lösung darstellt (Nivellierung des Christentums). III) Prolegomena in Gestalt einer Fundamentaltheologie: offenhalten, was wahr ist ➨

Fundamentaltheologie ist nach innen und außen gerichtet, ein mehrfaches hin und her zwischen Innen und Außen.

3) Dokumente und Autoren: I) Friedrich Schleiermacher1: 1768-1834, Sohn eines reformierten Feldpredigers. Studierte

in Herrenhut von 1787 bis 1789 Theologie, ließ sich durch den Philosophen J.A. Eberhard zum lebenslangen Studium der griechischen und der Philosophie Kants anregen. Für Theologie und Religionsphilosophie werden die Schriften „Dialektik“ und „Philosophische Ethik“ wichtig, in denen er das eigentümliche Verhältnis von Theologie und Philosophie im Ganzen der Wissenschaft bestimmt. Eine geradezu revolutionäre Neugestaltung hat Schleiermacher der Dogmatik zuteil werden lassen mit seinem werk „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt. Hier versucht er die Dogmatik zu begründen in einer systematischen Analyse des christlich-frommen Selbstbewußtseins nach seinen wesentlichen Momenten. Als Analyse gegenwärtigen christlichen Bewußtseins ist diese Glaubenslehre zugleich kritische Aufarbeitung der dogmatischen Tradition.

II) Paul Tillich2: 1886-1965, Sohn eines konservativ geprägten lutherischen Elternhauses, studierte von 1904 bis 1909 Theologie und Philosophie in Berlin, Tübingen und Halle (Lehrer v.a. Kähler, W. Lütgert, F. Medicus). 1933 durch die NS-Regierung vom Dienst als Professor für Philosophie und Soziologie in Frankfurt suspendiert, worauf er nach Amerika emigrierte, lehrte dort u.a. in New York, Harvard, Chicago. Tillich hat nicht nur die Systematische Theologie und Religionsphilosophie tiefgreifend beeinflußt, sondern auch der Praktischen Theologie und der Kulturphilosophie wesentliche Anregungen gegeben.

III) Karl Barth3: 1886-1968, Sohn des der konservativen Richtung angehörenden Fritz Barth. Von 1904 bis 1908 Theologiestudium in Bern, Berlin (Harnack), Tübingen und Marburg (Herrmann). 1909-1911 Hilspfarrer in Genf, 1911-21 Pfarrer in Safenwill. 1921 Honorarprofessor für reformierte Theologie in Göttingen. Mit Gogarten, Thurneysen und Merz gründete er die Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ (1923-33). Die dialektische Theologie, die darin zu Worte kam erzielte in den 20er Jahren eine enorme Wirkung. Barth gilt als der bedeutendste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts.

IV) Wolfhart Pannenberg:

1 Entnommen aus: Härle, Wilfried/Wagner, Harald, Theologenlexikon, München 21994. S. 240-242. 2 Ebd., S. 275-277. 3 Ebd., S. 37-39.

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§ 2: Der Sitz im Leben für die Dogmatik Definition: Prolegomena zur Dogmatik erklären, welchen Gebrauch von Dogmatik wer unter welchen Umständen macht. Im besonderen sollten Prolegomena benennen, wie das Vermögen dogmatischer Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit besteht und wie es zustandekommt: Dieses Vermögen ist der teils mitgeteilte, teils erlernte Habitus christlich religiöser Orientierung in einer gegebenen Situation des christlichen Glaubens und Lebens. Er wird ausgeübt impraktischen Gebrauch der erlernten „Grammatik des christlichen Glaubens“. Dieser Habitus wird individuell aufgebaut, muß jedoch (im Rahmen einer zu bestimmenden Reichweite) verallgemeinerungsfähig ausgeübt werden. Dogmatik dient der normativen Verständigung zwischen Christen. Auf diesem Weg trägt der Dogmatiker zur Handlungsfähigkeit einer oder mehrerer christlicher Kirchen bei. 1) Der Habitus christlich religiöser Orientierung

d.h. sie muß für den anderen Christen verständlich sein Habitus: Aristoteles beschrieb das praktische Leben als ein nicht nur vom Wissen und

praktischer Handlung, sondern auch von dem „Können“ gesteuertes Leben. Und so ist in der Evangelischen Theologie der Habitus nicht Wissen, sondern „Können“ (Vermögen).

Dieser Habitus ist teils erlernt, teils mitgeteilt, ein Habitus theodotos (ein gottgegebener). Diese Seite ist nicht formalisierbar und diese Seite können wir nicht erleben. Der Habitus ist ein praktischer und in Fragen des Glaubens orientierender Habitus. 2) Der Aufbau des Habitus

Der Habitus baut sich nicht im luftleeren Raum auf, sondern in einem Gemengelage verschiedener Faktoren. Sein Aufbau ist beinflußt von_ der individuellen religiösen Sozialisation der allgemeinen gesellschaftlichen Sozialisation der Geschlechtsfrage der Frömmigkeit der Zugehörigkeit einer verfassten Kirche der Kulturangehörigkeit (kulturelle Prägung)

3) Reflexion auf den christlichen Glauben der Innen- und Außenperspektive

Nur in diesem Wechsel ist religiöse Verschiedenheit und Toleranz zu verknüpfen. Nur in diesem Wechsel ist die Unveränderlichkeit Jesu Christi mit der eigen

Veränderlichkeit zu verknüpfen. Gefahr der fundamentalistischen Verdrängung religiöser Differenz oder der

synkretistischen Auflösung des Christentums Dogmatik hat eine doppelte Ordnungsleitung: Regeln werden an einem primären Ort

thematisiert, daraus ergibt sich eine Grammatik des christlichen Glaubens, ein Sprechen über den christlichen Glauben. 4) Dokumente und Autoren I) Gerhard Ebeling: II) George Lindbeck:

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§ 3 Dogmatik und Frömmigkeit Definition: Der dogmatische Habitus ist nicht identisch mit christlicher Frömmigkeit (ist also keine theologia renatorum), aber auch nicht identisch mit reiner, vermeintlich neutraler Wissenschaftlichkeit (also auch keine scientia ex principiis demonstrativa). Um ihre praktisch orientierende Aufgabe als sapientia eminens practica zu erfüllen, muß sie vielmehr in einem lebensgeschichtlichen Zusammenhang mit eigenen und gemeinschaftlichen Vollzügen christlichen Glaubens und Lebens bleiben. 1) Der Erwerb dogmatischer Kompetens setzt christliche Frömmigkeit voraus

ohne den sapientialen und doxologischen Aspekt verliert die Dogmatik ihren Sitz im Leben und wird zu einer Religionswissenschaft. Es besteht die Gefahr allgemein und rational plausibel zu werden und sich damit die eigenen Ängste wegzurationalisieren (Darum heißt die Aufforderung an die Theologen: Nicht nur im Kopf leben, die Ängste bearbeiten und sie in Gottes Hände zurücklegen!).

Begriffe: sapiential = zweckfreies Wissen; doxologisch = Lobpreis. Der „Pathos“ des Glaubens ist die affektive Bewegtheit durch Gottes Gegenwart (Luther:

vita passiva, „das erleidende Leben“). Bei Melanchton Verbindung von eruditio („Bildung“) und pietas („Frömmigkeit“).

Die Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Frömmigkeit ist charakteristisch für die evangelische Theologie (Oswald Bayer, „Theologie“, 1994).

Das Verhältnis des scientalen (dem zweckgebundenen Wissen), sapientialen und doxologischen Aspekt war in de Geschichte immer fragwürdig. Erst in der Neuzeit begann man das Gleichgewicht in Richtung scientalem Aspekt zu kippen. Georg Callixt, 1630: der wiisenschaftliche Habitus ist immer ein weltlicher, d.h. erworbener Habitus, ist ein Habitus acquisitus; J.S. Semler: Theologie ist nur dann wissenschaftlich, wenn sie unterschieden wird von der persönlichen Frömmigkeit. Die beiden wollten die Theologie der Kirche zuordnen, vom individuellen Glauben losgelöst. 2) Theologie der Wiedergeborenen

Eine pietistische Forderung gegen die Verwissenschaftlichung der Theologie („Theologie muß wiedergeboren sein“ → Bekehrungserlebnis).

Problem: Individuelle Gläubigkeit wird zur Bedingung gemacht um einer Gemeinde vorzustehen; wenn er sie nicht hat, kann er das nicht; aber sie darf nicht Bedingung sein! Ist sie eine Bedingung, so verkündigt man sich auch selbst, nicht allein Jesus Christus.

Eine Theologie der Wiedergeborenen ist in Ordnung, aber sie darf nicht zur Bedingung gemacht werden. Gegendstand der Verkündigung ist das verbum externum, das verbum internum ist nur eine Begleitung. 3) Theologia viatorum und theologia crucis

Beide besagen: Wäre eine Dogmatik ist eine zeitlos gültige Theorie, dann wäre sie Gnosis (Erkenntnis). Die Theologie befindet sich immer auf dem weg, sie läuft mit Gott, sie ist verflochten in den Gang Gottes mit der Zeit.

Dogmatik ist somit keine atemporale Theorie, also keine präskriptive Theorie (wie z.B. naturwissenschaftliche Gesetze). Theologie ist schon orientierendes Wissen, aber immer in der Situation des Weges (lumen naturae, lumen gracie, sie verfügt aber nicht über lumen gloria).

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Theologia crucis: Sie betont des paradoxen Charakter der Dogmatik. Die Dogmatik könne sich nicht aus der Diskrepanz aus Torheit und Wahrheit, Glauben und Schauen, herausziehen, deshalb erscheint dogmatik vordergründig als widersinnig.

Theologische Existenz (Gogarten): Sie ist bezogen auf die theologia viatorum und theologia crucis. Wirkliches Wissen ist immer betroffenes Wissen, kein neutrales objektivierendes Wissen, sondern ein immer mich selbst betreffendes Wissen (Gefahr). 4) Luther

tentatio (Anfechtung): Theologie muß sich immer der Führung gottes anvertrauen, Anfechtung = Ent-täuschung.

meditatio: erinnernde Vergegenwärtigung des Reichtums der Botschaft Gottes; reduktionistische Aussagen („es ist nichts als...“) sind zu streichen, da Unfug.

oratio (Gebet): Vollzug von Gottesgemeinschaft, das Gebet ist keine individuelle Glaubenshaltung.

liturgia (Gottesdienst in allen Formen)/martyria (Zeugnis, entspricht Frömmigkeit)/diakonia (Lebensäußerung) 5) Objektive und subjektive Verwissenschaftlichung von Theologie

fides quaerens intelectum (Anselm von Canterbury), der Glaube der nach Wissen (Einsicht) fragt, ein Modus für Hegels Philosophie ➨ objektive Verwissenschaftlichung von Theologie.

„Glaubenslehre“ ist die subjektive Form des Glaubens, der nach Wissen fragt (u.a. pietistische Formen, auch Erlanger Theologe, Existential-Interpretation, Ebeling), es geht um die Existenz meines Glaubens. Daraus entspringt jedoch die Gefahr, daß die Dogmatik eine Entfaltung meiner eigenen Frömmigkeit ist, man redet von sich (K. Barth, „Glaube ist ein gehen mit Gott“). § 4 Dogmatik als systematische Theologie Definition: Dogmatische Prolegomena formulieren die Aufgaben (Kap. II), den Gegenstandsbereich (Kap. III), die Methoden (Kap. IV) und die Disposition der Dogmatik (Kap. V9, so wie sie für den Aufbau des dogmatischen Habitus teils geboten sind, teils zweckmäßig erscheinen. „Systematische Theologie“ ist die Dogmatik primär im konkreten Sinne der persönlichen und intentionalen Einheit des dogmatischen Habitus. Erst sekundär, im abstrakten Sinne einer “Summe“ der chrstlichen Glaubenslehren oder eines „Systems“ von Gehalten des dogmatischen Denkens ist sie eine einheitliche Wissenenschaft; auf keinen Fall ist die Dogmatik der Inbegriff absoluten, d.h. die verlaufende Zeit und die Endlichkeit von Erfahrung hinter sich lassenden Wissens. 1) Der Begriff „Systema“

Drei Gründe gegen Dogmatik: sie sei heteronom, autoritär und traditionalistisch. Der dogmatische Charakter der Theologie in Frage gestellt: sie ist toter Buchstabe, ist nicht brauchbar.

Der Begriff systematische Theologie intendiert einen systematischen Prozeß, in dem sich alles entwickeln läßt (19./20. Jahrhundert). aber: Das Denken wird dadurch schnell absolut, es ist ein zentralperspektivisches Denken.

Begriff „System“: - vorher summa (Thomas v. Aquin „Summa theologica“), in der Reformation summa loci, erst im frühen 17. Jahrhundert kommt, durch eine neue

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Verwissenschaftlichung der Theologie, der Begriff Systema (Zusammenstellung) auf. Der Begriff birgt die Gefahr des absoluten Wissens. I) Christlicher Glaube ist pluralistisch ➨ Konfessionalisierung der Dogmatik sollte durch

Systembegriff aufgefangen werden. II) Christlicher Glaube ist historisiert ➨ alles historische wird als weit weg betrachtet, keine

Tradition hat automatisch Normativität/normativen Charakter. III) Christlicher Glaube ist partikularisiert ➨ Gewissens- und Religionsfreiheit ermöglichen

eine Vielzahl anderer Lebensorientierungen, das Christentum ist eine einzelne von vielen und hat keine Monopolstellung mehr

➲ Christliche Wahrheit muß sich intersubjektiv durchsetzen, immer im Dialog!! 2) Systematische Theologie versus Dogmtik

Die Dogmatik ist ein Teil der Systematischen Theologie, im 19. Jahrhundert wird sie ein Element der Systematischen Theologie. Die Ethik bekommt einen anderen Charakter, die Dogmatik bekam normativen Charakter, deswegen erfolgte eine Trennung von Ethik und Dogmatik. Die Systematische Theologie beinhaltet drei Teile: Dogmatik, Ethik, Fundamentaltheologie.

Dialektische Theologie (linker Flügel: Bultmann, Ebeling; rechter Flügel: K. Barth) wehrt sich gegen den modernen System-Begriff: „Der System-Gedanke ist eine Falle“. 3) Das Problem der Hierarchie der Wahrheiten Die katholische Kirche hatte nie Probleme mit dem System-Begriff (bis ins 20. Jh.), da Gott als Anfang und Ziel unseres Weges erscheint und als Mittel, die er uns auf dem Weg bereitstellt (a deo/per deo/ad deo). Diese „Heilsgeschichte“ hat das katholische Dogma durchgehalten. Im 20. Jh. Probleme (Karl Rahner).

Dogmatik ist das Denkmaterial für das Lehramt; eine Exegese dessen, was die Auslegungsinstanz (also das Lehramt) sagt. Starke Betonung des sensus fidelium (Glaubensbewußtsein/Frömmigkeit) und des thesaurus fidei (vom Lehramt bestimmt ).

Hierarchie der Wahrheiten: I) Sensus fidelium = subjektiv (gemeinsam; keine Dogmatik ohne gelebte Frömmigkeit). II) Thesaurus fidei ecclesiae = objektiv

Die katholische Kirche beschritt den Weg von II) zu I), die evangelische von I) zu II). Die Hierarchie allgemeiner und zentraler Glaubensaussagen wird vom Lehramt festgelegt.Der thesaurus fidei ist geordnet nach der Hierarchie der Wahrheiten. Die personale Instanz ist das Lehramt, die objektive Instanz in der Kirche ist der thesaurus fidei ecclesiae. Kapitel II § 5 Der evangelische Zusammenhang von Dogmatik und Bekenntnis Definition: Die evangelische Dogmatik ist dogmatisch, d.h. eine normativ-theoretische Disziplin, insofern sie in einer gegebenen Situation normative Verbindlichenkeiten christlichen Glaubens formuliert. Sie tut dies in kritischer Loyalität zu den regula fidei, die im Kanon (letzte Autorität), in den altkirchlichen Symbolen und in den reformatorischen Bekentnissen (nächste Autorität) überliefert sind. Die dogmatisch formulierte Verbindlichkeit beruht nicht auf dieser traditionalen Autorität als solcher, sondern auf dem Christusbekenntnis, das darin enthalten ist und im gegenwärtigen persönlichen sowie kirchlichen Glaubensbekenntnis angeeignet und bewahrheitet wird. Die

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Verbindlichkeit der Dogmatik ist daher eine von der Christusbotschaft, vom „bittenden Christus“ verliehene und stehts zu verleihende Autorität. 1. Dogma in der römisch-katholischen Tradition

Der Begriff Dogma bedeutet zunächst übersetzt soviel wie „Meinung, Lehre“ und wurde ebenso im praktisch-politischen Bereich gebraucht (Lk2,1/Act6,4). Im römisch-katholischen Bereich sind der praktisch-politische und der theoretische Aspekt miteinander verbunden, im Vaticanum I liest man von dogma als eine credendum (als etwas zu glaubendes).

Es gibt zwei Bedingunen, die erfüllt sein müssen, damit eine Glaubenswahrheit zum Dogma wird: - eine materielle Übereinstimmung (Schrift und Tradition), d.h. sie muß in den Offenbarungsquellen enthalten sein. - eine formale Übereinstimmung, d.h. sie muß vom kirchlichen Lehramt als solche definiert worden sein. Hierbei wird zwischen dem ordentlichen Lehramt - der ständigen Lehrverkündigung der katholischen Bischöfe - und dem außerordentlichen Lehramt - dem Papst oder durch ihn einberufene Konzile - unterschieden. ➲ fide divina et catholica credenda sunt!

Fehlform der Dogmatik ist der Dogmatismus. 2. Dogma in der protestantischen Tradition

In den protestantischen Kirchen spielte das Dogma eine geringere Rolle als in der römisch-katholischen. Eine derartige lehramtliche Fixierung wird abgelehnt, ein Dogma ist jedoch auch hier ein Bekenntnis, mit einem Dogma nimmt man Bezug auf das Wort Gottes, das Bekenntnis bezieht sich auf die Christusbotschaft, auf den geschenkten und gelebten Glauben.

regula fidei: Kanon, Altkirchliche Symbole und das Bischofsamt als menschliche Antwort auf Gottes Wort. Im Unterschied zur katholischen Kirche, die sich auf Schrift und Tradition bezieht, beruft sich das „evangelische Dogma“ unmittelbar auf das Christusgeschehen, also allein auf die Schrift4 (= kirchenkritisch).

Symbolische Bücher sind die Sammlung der geltenden Bekenntnisse5. Der Begriff der Dogmengeschichte ist schwierig: „Die wahre Kritik des Dogmas ist seine

Geschichte“6. Es gibt im Protestantismus zwei Positionen:

a) Das undogmatische Christentum: Kritik des Dogmas durch Historisierung, A. v. Harnack: Kirchliche Bekenntnisse und dogmatische Entwicklungen sind ein Produkt der Verbindung der Geschichte Jesu mit der hellenistischen Kultur, woraus eine historische Verfälschung der Bekenntnisse folgt. Das Dogma ist deswegen keine verbindliche Glaubenswahrheit, sondern lediglich noch ein Gegenstand wissenschaftlicher, insbesondere historischer Kritik.Daraus entsprang die Forderung nach einem undogmatischen Christentum.

Lehre und Bekenntnis fungieren positiv nur als Ausdrucksform für das Erleben des sittlich-religiösen Subjekts. Dazu Adolf von Harnack: „Erleben - nur die selbst erlebte

4 Werner Elert umschreibt den Begriff „Dogma“ als einen „Sollgehalt der christlichen Verkündigung“. 5 Nicht verwechseln: status confessiones (Bekenntnisstand, das geltene Bekenntnis, wonach sich die Kirchen definieren) ist nicht gleich bedeutend mit casus confessiones (Bekenntnisakt). 6 David Friedrich Strauß.

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Religion soll erkannt werden; jedes andere Bekenntnis ist im Sinne Jesu heuchlerisch und verderblich“7

b) Formulierungen von verbindlichen Glaubenswahrheiten müßen immer wieder neu erfasst (im Rahmen des aktuellen Zeitbezugs) und gewonnen werden („Bibelprüfung“).

Dazu: Werner Elert: „Das Dogma bezeichnet das Minimum des Sachgehaltes, in dem alle öffentliche Verkündigung übereinzustimmen hat. (...) Das Dogma enthält eine Lehrverpflichtung. Es enthält aber keine Glaubensverpflichtung.“8 O.Weber: „Das Dogma (...) ist (...) Bekundung eines geistlich verbindlichen Konsensus.“9 ➲ Dogma wird hier entweder bestimmt als verbindlicher Inhalt der kirchlichen Verkündigung (W. Elert, auch K. Barth) oder als übereinstimmender Inhalt des kirchlichen Glaubensbewußtsein10.

Für die Vertreter des undogmatischen Christentums gibt es allenfalls eine laubenslehre, keine Dogmatik. In der kath. Kirche könnte man von conclusiones theologicae et opiniones theologicae sprechen, während in der protestantischen Tradition das Dogma nicht ein für alle mal festgelegt ist.

Hier hat die Dogmatik das Dogma nicht nur aufzunehmen und darzustellen, sondern muß es zugleich kritisch weiterbilden (dogmatischer Konsens und zeitgemäße Formulierungen). 3. Die Fehlformen des Synkretismus und des Fundamentalismus

Synkretismus ist eine Vermengung von je für sich stehenden Religionen. In der Systematischen Theologie finden wir eine synkretistische Form des undogmatischen

Christentums; das jetzige christliche Glaubensleben muß sein Profil erst finden.eine Gegenbewegung zum undogmatischen Christentum, das der Gefahr des Synkretismus stark ausgesetzt ist, ist der Fundamentalismus, in dem der christliche Glaube rationalistisch-subjetivistisch formuliert wird 4. Die Alternative zu röm.-kath. Dogma- und ev. Bek.-verständnis: die östliche Orthodoxie

In der östlichen Orthodoxie ist das, was zählt, die Liturgie der Tradition. Die Verbindlichkeit greift nicht in die Welt des Verstehens, sondern hat ihren Platz in der Form des gottesdienstlichen Feiergeschehens. Der doxologische (Anbetungs-) Aspekt ist hier dominant, das was verbindlich ist zeigt sich im Gottesdienst. Mitbeten zu können ist wichtiger als Verstehen und Wissen. 5. Begriffsbestimmung von Dogma und Dogmatik

7 Harnack, Adolf von, Das Wesen des Christentums, 1900, Erstausgabe, S. 93. 8 Zitate aus: Mildenberger/Assel, Grundwissen der Dogmatik. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart, 41995, S. 26. 9 S. Anm. 8. 10 Neuer Ansatz von George A. Lindbeck: Dogmen seien keine Satzwahrheiten über Mensch, Welt und Gott (kath.), aber auch nicht nur Ausdruckssymbole subjektiven religiösen Erlebens (evang.). Lindbeck bietet eine kulturell-sprachliche Alternative: Notwendigkeit und Vorrang gemeinsamer Sprache für die individuelle religiöse Erfahrung“ (Mildenberger, S. 27). Dogma ist hier eine gemeinsame religiöse Sprache und Grammatik, verbunden mit bestimmten Lebensformen. Dogmen sind lehrhafte Formulierungen, gültige, autoritativeRegeln in religiöser Gemeinschaft (Lindbeck’s Dogmenverständnis als eine „Regeltheorie“).

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Moderner Protestantismus: Ein Dogma ist ein Konsens über den Inhalt der kirchlichen Verkündigung bzw. dem kirchlichen Glaubensbewußtseins, das in den Sprachformen des Glaubens zugängig ist.

Die Dogmatik ist somit eine kritische Bearbeitung dieses Dogmas auf die Hinsicht der Bezeugung in der Schrift und auf seine Verständlichkeit in der gegenwärtigen Situation.

K. Barth unterscheidet zwischen einer irregulären Dogmatik (die Behandlung dogmatischer Einzelfragen) und einer regulären Dogmatik (die Behandlung des ganzen Dogmas). 6. Probleme im Aufbau der Dogmatik

Da das Dogma nicht im katholischem Sinne fest formuliert ist folgt, die Dogmatik arbeitet faktisch in Anlehnung an die vorgegebene Tradition, sie muß sich auf den faktischen und die faktische Verkündigung beziehen, wenn sie wirksam sein will.

Wie gelingt es den Stoff der Dogmatik zu erfassen? 19. Jh. Erfahrungstheologie: Zugang zum Glauben über individuelle Frömmigkeit der Theologen. 20. Jh. Wort-Gottes-Theologie: Ausgangspunkt ist die Verkündigung, bzw. die Sprachformen.

Die Kriterien einer Dogmatik sind die Schriftgemäßheit und die Zeitgemäßheit. Die Dogmatik analysiert das gegenwärtige Glaubensbewußtsein und fragt nach dessen Bestimmtheit durch die auf die Zeit angewandte Schrift. dabei beurteilt sie die Schrift- und Zeitgemäßheit des Glaubensbewußtseins kritisch, ihr Maßstab ist hier die Schrift. ➲ Die Schrift ist das Kriterium, der Maßstab der Dogmatik, aber nicht ihre Quelle, die Schrift ist Quelle des Glaubens, der wiederum Gegenstand der Dogmatik ist.

Die Dogmatik produziert keine Inhalte, sie nimmt vorgegebene Inhalte auf. Diese Inhalte sind in der Zusammenfassung des Symbols gegeben, von dem es zwei Formen gibt: das Apostolikum und das Nizänum. § 6 Dogmatik im Kontext theologischer und kulturwissenschaftlicher Disziplinen Definition: Als theologische Einzeldisziplin arbeitet die Dogmatik in einem dreifachen Kontext: 1) im methodischen Kontext der Systematischen Theologie 2) im thematischen Kontext der theologischen Enzyklopädie und 3) im dialogischen Kontext der Kultur- und Geisteswissenschaften. In diesen Kontexten bildet sich die Dogmatik als binnenperspektivisches Orientierungswissen aus. Kraft ihrer analytischen und hermeneutischen Kompetenzen ist die Dogmatik ein christlich-religiöses Urteilsvermögen, das seine Begründungen und Ansprüche in konkreten Kommunikationssituationen nicht nur nach innen, zur Prüfung und Vergewisserung christlichen Glaubens und Lebens, sondern auch gegenüber außenperspektivischen Fragen, Zweifeln und Bestreitungen auszuweisen vermag. 1. Dogmatik im methodischen Kontext der Systematischen Theologie

„Systematische Theologie“ ist der Überbegriff für Fundamentaltheologie, Dogmatik und Ethik.

Dogmatik ist im Unterschied zur Fundamentaltheologie die behauptende Darstellung des christlichen Glaubens in verbindlicher Darstellung, sie ist eine wissenschaftlich nachprüfbare Lehre des Christentums. Die Unterscheidung von Dogmatik und Ethik ist umstritten. Georg Kalixt (Theologia moralis 1634) trennte die Ethik von der Dogmatik, weil alles menschliche

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Verhalten immer multifaktorell bestimmt sei im Gegensatz zum zum Glauben. Er entwickelte eine theologische Ethik. Seine Argumentation wird noch heute vertreten.

Richard? Roth: Das Christentum ist in ein ethisches Zeitalter eingetreten, eswegen sei Dogmatik überflüssig. Dagegen K. Barth: Ethik ist ein Teil der Dogmatik.

Die Perspektive für Christen im Bereich des Handelns liegt auch im Glauben. 2. Dogmatik als theologische Enzyklopädie a) „Theologie“

Theologie ist kein Phänomen, daß das Christentum schon immer gehabt hat, es ist ein spätes Phänomen. Der Begriff stammt aus der Antike (Platon: Reden über Gott, Aristoteles: entspricht der Metaphysik, die Stoa). es gab eine mythische, physische und politische Theologie.

Die Apologeten suchten Anleihen für ihre argumentative Apologie bei der Philosophischen Theologie (Justin, Augustin). Erst im Mittelalter fand eine Professionalisierung theologischer Auffassungen statt. Der Ausdruck Theologie ist aber auch hier noch selten. es wird unterschieden zwischen der Theologie als ein Reden über Gott und der Ökonomie als den Sammelbegriff für die Heilsgeschichte, also auf das, was Gott mit und an uns tut.

Theologie bezieht immer den Innen- und Außenaspet mit ein, es entsteht eine Spannung zwischen wissenschaftlicher und religiöser Aspekt der Theologie, eine Spannung zwischen Wissenschaft und Glauben. b) Theologische Enzyklopädie (Summe der theologischen Disziplinen)

In der Neuzeit fand eine Dreiteilung der Theologie statt: die historische Disziplin, sie zeigt das Gewordensein des jetzign Christentums die systematischen Disziplinen, Dogmatik, Ethik und Fundamentaltheologie, sie beschreiben das Wesen des Christentums, immer in der Perspektive einer bestehenden positiven Religion die praktischen Disziplinen, zu denen z. B. die Homiletik gehört. Im 20. Jh. zeigte sich, daß eine solche Enzykloädie nicht funktioniert, sie wurde nun

alphabetisch angeordnet, eine thematische Anordnung erschien unmöglich, da keine Einheit der Theologie im fachlichen Bereich (K. Barth, Ebeling).

Pannenberg: vereinzelter Versuch eine homogene Wissenschaftstheorie zu entwickeln. c) Theologie als Bündel von Wissenschaften, die Teilhabe an der christlichen Praxis

Alle drei Gruppen bilden zusammen eine Theologie, es besteht ein Zusammenhang zwischen ihnen, aber kein definitiver, da jeder Bereich seine eigene „Theologie“ bildet.

Die Dogmatik ist eine Disziplin, die primär die binnenperspektivische Sicht des christlichen Glaubens darstellt, eine Disziplin, die Kontinuität und Veränderung ausbalancieren muß.

Dogmatik ist eine theologisch aufgebaute Reflexion auf unmittelbare Aussagen der Frömmigkeit (Schleiermacher). Sie ist die wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich ihrer eigentümlichen Rede von Gott. 3. Dogmatik als Kulturwissenschaft

Die Außenperspektive ist keine „reine“ Betrachtungsweise, es gibt keine neutrale Wissenschaft. Drei Fragekreise: a) Wie sieht das Wechselverhältnis zwischen Theologie und Philosophie aus? Es gibt den

Verschmelzungsversuch oder die Radikallösung der Trennung von Theologie und

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Philosophie. Pascal: Man kann erst in den Glauben springen, wenn die Vernunft versagt; Tertullian: Was haben Athen und Jerusalem gemeinsam? Nichts!

Philosophie als ancilla der Philosophie, Philosophie als Helferin der Theologie. b) Welches Verhältnis hat die Theologie um traditionskritischen, neuzeitlichen

Vernunftwissen? Die Philosophie ordnet sich keiner Autorität unter, sie wird zur Weltanschauung und tritt aus der Welt, vor allem aus der Religion aus. Die Theologie würde dadurch um ihren Universalanspruch beraubt, sie kann mit der Tradition keinen Anspruch erheben, denn sie wird auf eine geschichtliche, zufällige Offenbarung reduziert. Gemeinsam haben beide das „Buch der Natur“ (Erkenntnis der Natur).

c) Welches Verhältnis hat die Theologie zu den Human- und Geisteswissenschaften? Die Geisteswissenschaften als Konkurrent und Partner der Theologie. die Medizin hat ihr Menschenbild, das schwer für die Theologie zu fassen ist, da es sehr unterschiedlich ist; die Humanwissenschaften haben Einzelgegenstände zum Thema, deswegen kann die Theologie schwer darauf reagieren. Sobald eine Wissenschaft Vernunft und Wirklichkeit definiert hat ist ein Dialog nicht mehr möglich. Wenn über Wissenschaften ehrlich geredet wird ist dieser möglich, aber er wird immer auf bestimmte Felder beschränkt sein. In unserem Umbruchzeitalter besteht der Unterschied zwischen Theologie und Philosophie nur noch in Einzeldisziplinen.

§7 Die kommunikativen Formen der Dogmatik Definition: Als christlich-religiöse Orientierung besteht die Dogmatik in einem Lernprozeß, der in drei kommunikativen Formen verläuft: 1) im (wirklichen) Dialog zwischen Menschen gleicher, ähnlicher oder anderer religiöser

Prägung und Überzeugung; 2) im (friedlichen) Konflikt mit anderen christlichen Überzeugungen, mit

christentumskritischen Philosophien, Weltanschaungen und (neu)religiösen Bewegungen, sowie mit christentumsfremden Religionen;

3) angesichts bestimmter Herausforderungen an das christliche Glauben und Leben in vorläufig abschließenden, ihrer Christlichkeit gewissen Stellungnahmen (Urteilen, Lehren) mit bestimmten Geltungsanspruch.

Dogmatik ist nur im Medium der Kommunikation möglich, es darf kin Monolog der

Prinzipien sein! 1. Dogmatik als Dialog

Dialog wurde oft zur Dialektik absorbiert, die speziell in der klassischen Neuzeit der Philosophie nur noch die Polarität innerhalb eines Systems aufzeigte (2dialog findet nur noch im Kopf statt“). Eine reale Dialektik wurde auch in der Theologie übernommen (Elert). Dagegen Sören Kirkegaard: Der christliche Glaube sei ein Paradoxon (z.B. die Menschwerdung Gottes) und bestehe nicht aus Antithese - Synthese.

Es folgte die Entwicklung einer neuen Dialogphilosophie (vgl. Martin Buber: Das Denken muß mitgeteilt werden). 2. Dogmatik als Konflikt

Die Aufgabe der Dogmatik ist auch die Apologetik. Ein Dialog läßt die Verschiedenheit der Dialogpartner erkennen und das Ergebnis kann eine Konvergenz wie auch eine Diskrepanz zwischen diesen sein. Dia Apologetik als ein eil der Dogmatik setzt sich nun z.B.

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mit anderen Religionen auseinander mit der Forderung den anderen nicht zu vereinnahmen. Dafür gibt es zwei Modelle: a) Das röm-kath. Integrationsmodell, der Inklusivismus: „Natur und Gnade“ von Thomas von

Aquin. Alle offenbarten Lehren außerhalb des Christentums werden durch die christliche Offenbarung vervollkommnet. Alles, was mit dem Christentum konfligiert ist als unvollendete Religion zu betrachten (Karl Rahner: Anonymes Christentum). Problem: es ist eine sanfte Vereinnahmungsmaßnahme anderer Religionen, der Dialog gestaltet sich einseitig und führt letzten Endes in eine Sackgasse.

b) Der protestantische Exclusivismus: Forderung „Gesetz oder Evangelium“. 3. Dogmatik als Stellungnahme (Lehre, Urteil), als assertio a) Die Dogmatik äußert sich in Stellungnahmen; Gegensatz: Glaube in seinem Vollzug als

Gottvertrauen ist unhintergehbar, assertio ⇔ afflictio (Anfechtung), afflictio ist Teil der assertio („der angefochtene Glaube“). Aussagegewißheit und Glaubensgewißheit sind nicht dasselbe!

b) Charakteristik der assertio: eine mittelbare religiöse Gewißheit mit existentiellen Charakter; das dogmatische Lehren aktiviert die christliche Erinnerung Lehren situieren religiöse Geltungsansprüche, Lebensnähe; Ebeling: Dogmatik ist eine Sprachschule des Glaubens Dogmatik reguliert die Entwicklungsfähigkeit des Christentums (orthodox/heterodox für das Veränderungspotential) dogmatische Lehre repräsentiert auch eine Verständigung der Kulturen.

c) Dogmatische Vergewisserung und Transformation verhalten sich in Dogmatiken oft nicht im Gleichgewicht (Autorität und Authenzität). Dogmatische Urteile sind orientiert an Regeln des religiösen Rechts, sie sind eine Grammatik des Glaubens.

Kapitel III: Der Gegenstand der Dogmatik § 8 Religion als Gegenstand der Dogmatik Definition: Der Gegenstand der Dogmatik ist weder der (gläubige) Mensch an sich noch Gott an sich, sondern der christliche Glaube in seinem Gegebensein durch Gott und Gott als Grund des christlichen Glaubens; also der Vorgang der Kommunikation zwischen Gott und Mensch. Der außenperspektivische Ausdruck hierfür lautet Religion; der christliche Ausdruck für die eigentümlich christliche Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch lautet Glaube (faith, foi). Dieser christliche Glaube ist Gegenstand der Dogmatik in seinem doppelten Aspekt als Glaubensvollzug (fides qua) und als offenbarter Glaubensgegenstand (fides quae). Die Dogmatik ist daher eine Erfahrungswissenschaft in einem anspruchsvoll analogen Sinn. 1. Die Problematik des Gegenstandsbezuges a) Traditionell: Gott als Gegenstand der Dogmatik (Thomas von Aquin, Wolfhart

Pannenberg). Problem: Theorie und Praxis. Denn die Dogmatik hat nicht ein Ding zum Gegenstand, sondern etwas veränderliches. subjektive Theologie: homo reus, der sündige Mensch und der rettende Gott (Luther),

gut, weil hier eine Veränderung dargestellt wird. Religion als Gefühl b) Bezug zu menschlichem Tatbestand? Bezug zu Gott? Ich bin als Christ mir dem Theologen der eigentliche Gegenstand ➯ Es ist nur noch vom Menschen die Rede. Gegen eine solche Auffassung Karl Barth: Gegenstand der

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Dogmatik ist das Wort Gottes. ABER: Das Wort Gottes ist ein Vorgang zwischen Mensch und Gott. Es kann wieder eine Reduktion des Gegenstandes erfolgen, zumindest kann der Mensch, wenigstens als Teilgegenstand, nicht aus der Grundlagenfrage gelöst werden.

Der christliche Glaube ist Gegenstand der Dogmatik als fides qua (der Glaubensvollzug) und fides quae (der offenbarte Glaubensgegenstand).

W.Härle: Gott ist Glaube. Sauter, Ritschl: Glauben ist das Reden von Gott. Wichtig ist, daß hier der Aspekt der Sprache betont ist. Aber: Eine Kommunikation zwischen Gott und Mensch findet auch ohne das Medium der Sprache statt.

Der Religionsbegriff ist nicht kompatibel/identisch mit christlichen Glauben. Das Thema der Dogmatik ist weder nur Gott, noch der christliche Glaube allein. Im

Gottesdienst werden beide Aspekte vermischt: der Außenbegriff ist die religiöse Praxis, der Innenbegriff ist der Glauben.

Die Dogmatik des 19. Jahrhunderts hat den Begriff der Religion übernommen (Schleiermachers „Reden über die Religion“). zuspitzung: Religion als Inbegriff der Sünde (vgl. K. Barth), Glaube ist das Gegenteil von Religion.

religio ist: I) immer etwas ganzheitliches, das mich als Ganzes betrifft II) immer erfahrungsumfassend, also die gesamte Lebenserfahrung umfassend III) immer erfahrungssprengung (Transzendenz) IV) immer erfahrungsleitend (Selbstreflexion, selbst innewerden). c) Christliche Religion als Erfahrung

Erfahrung ist schwer zu definieren, in der Religion herrscht ein sehr weiter Erfahrungsbegriff.

Erfahrung aber nicht im Sinne von „Präparierbar, Repetierbar“, also kein empiristischer Erfahrungsbegriff.

Erfahrung geschieht in verschiedenen Typen, die zueinander in eziehung stehen, es gibt eine unheimliche Breite dieser Erfahrungstypen.

Religiöse Erfahrung ist eine „Erfahrung als...“; sie ist nicht nur ein Erlebnis und sie ist nicht Fundament des christlichen Glaubens. Religiöse Erfahrung ist das Medium des in Erscheinungstreten des christlichen Glauben.

Erfahrungen sind nie subjektiv und objektiv zugleich. Es ist immer ein erinnerndes und erwartendes Erfahren (im Zeitraum des Kairos). Religiöse Erfahrung ist nur begrenzt mitteilbar (mystische erfahrung) und nicht

prognostizierbar Erfahrendes Subjektund das, was erfahren wird, ist unterschiedlich. Glaube und

Glaubensgrund ist Gott beides. Der Grund des Glaubens ist extra me, der Glaube hat eine aktive und eine passeive Seite (fides qua und fides quae).

Phänomen: Objekt und Subjekt dürfen nicht getrennt werden. Das Phänomen ist die Realität. Phänomen ist nicht: i) das, was uns widerfährt ist uneigentlich (ein platonischer Irrtum) ii) Objekt (z.B. ist das Gebet kein Objekt) iii) Tatsache (zum empiristischen Erfahrungsbild). 4. Dogmatik als Erfahrungswissenschaft

Im Mittelalter, der Franziskanertradition, in der Mystik und der Reformation galt: sola experientia facit theologum - Allein die Erfahrung macht den Theologen (Luther).

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Fundamentaltheologie des 19. Jahrhunderts machte diese Erfahrung in der Theologie wieder stark. In unserem Jahrhundert sind es Teologen wie Härrle, Herms, Track oder Sparn, die sagen: „Die Dogmatik ist eine Erfahrungswissenschaft, da sie eine Phänomenologie ist.“

Religiöse Erfahrung ist eine bestimmte Erfahrung, es ist ein hin und her zwischen dem allgemeinen Begriff der Erfahrung und christlicher Erfahrung. Erfahrung wird in ihrer Differenz wahrgenommen, es ist kein inszenierbares Unternehmen (gegen den empiristischen Erfahrungsbegriff) .

Erfahrung tritt immer in einer Erzählwelt auf. Es gibt zwei Perspektiven: I) Sie ist immer individuell II) tritt aber immer in einer Erfahrungsgemeinschaft, immer in einem Deutungsprozeß auf. § 9 Fides quae : Der Grund des Glaubens als Gegebstand der Dogmatik Definition: Gegenstand der Dogmatik ist der christliche Glaube einerseits in seine passive Konstitution durch einen ihm äußeren Grund: durch das schöpferische Handeln Gottes in Jesus Christus. Dieses Handeln ist nicht die einzige göttliche Offenbarung in der Natur, in der Kultur und speziell in der Religionsgeschichte, aber es ist die endgültige Offenbarung der Wahrheit Gottes, der Welt und der Menschen. Dem christlichen Glauben ist dieses endzeitliche Handeln Gottes gegenwärtig in Gestalt des geistlich, d.h. durch das Evangelium schöpferisch wirksamen Wortes Gottes, dessen maßstäbliche Überlieferung die Heilige Schrift darstellt (s. § 12: Norm der dogmatischen Urteilsbildung).

fides quae ist der Glaubensgrund und fides qua der Glaubensvollzug. Religion im Vollzug ist eine Korrelation zwischen Glaubensgrund und Glaubensvollzug.

Der Glaube wird hier also auf seine Passivität betrachtet, der Grund des Glaubens ist daher geschenkt und die Religion ist in dieser Hinsicht völlig passiv.

Der Glaubensgrund hat auch einen Glaubensinhalt, aber religiöse Erfahrung ist nicht vollständig kommunizierbar 1. Offenbarung in Jesus Christus Vorbemerkungen:

Das Handeln Gottes ist vielfältig, es ist nicht nur mit dem Begriff Offenbarung gekennzeichnet. Das Evangelium als Vorgang ist Gottes Handeln. Deswegen beinhaltet Offenbarung nicht nur das Reden Gottes, sondern kann als das Handeln Gottes verstanden werden. In den natürlichen Religionen begegnen uns von der Bibel unabhängige Offenbarungen Gottes. Im Supranaturalismus und Katholizismus fand jedoch einer Überhöhung des Offenbarungsbegriffes statt.

In der evangelischen Theologie war man der Überzeugung: Christen können über ihren Gegenstand nur aufgrund von Offenbarung reden. ABER: Offenbarung wird hier als normativ gesehen, hat aber ebenso deskriptiven Charakter. a) Die Vielfalt göttlicher Offenbarung

Eine Offenbarung ist immer ein Geschehen, das von außen kommt und ein Geheimnis (kein enträstelbares Rätsel, sondern ein Mysterium, mysterium fidei) offenbart. Das Verhältnis von Offenbarer und Offenbarung ist immer korrelativ, d.h. der eine ist im anderen gegenwärtig.

Rudolf Otto und Paul Tillich haben diese Kategorie des Geheimnisses wieder aufgegriffen (Otto: ein Geheimnis, das einen erschreckt und fasziniert).

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Barth: die Selbstoffenbarung Gottes in drei Punkten. 1) Gott der Offenbarer 2) Jesus das Offenbarte und 3) Der Heilige Geist als das Offenbar sein. Pannenberg dagegen ging von einer indirekten Offenbarung?? aus.

Beide vergessen, daß Offenbarung immer ein subjkektives Erlebnis ist. Bei Barth endet die Offenbarung Gottes bei Jesus Christus. Aber Jesus Christus als Offenbarung Gottes schließt weitere Offenbarungen nach Jesus Christus nicht aus! Vielfalt der Offenbarung Gottes. b) Die Einheit der göttlichen Offenbarung

Die Vielfalt von Inhalten göttlicher Offenbarung schließt sich zusammen zu einer Einheit. d.h. Offenbarung ist nur das, was im christlichen Glaubensgrund schon oder möglicherweise anwesend ist, Jesus Christus. Der normative Begriff Offenbarung ist also ein christlich definierter. Daraus folgt kein zusätzliches Wissen über Gott, sondern die Gemeinschaft vollzieht sich in der Einheit seiner Person.

Jesus Christus ist die Botschaft selbst, also ist das Werk der Offenbarung zugleich Botschaft. Sie wird darin empfangen, daß sie Glauben schafft.

In der Offenbarung definiert sich Gott. Sie muß an deranalogia fidei geprüft werden. Alles was mit uns geschieht (Offenbarung und Geschichte) steht in einem Zusammenhang,

der in Offenbarung strukturiert ist. „Die Geschichte“ ist also nur in der Perspektive Gottes möglich. Zur Problematik „Offenbarung und Geschichte“ gibt es zwei Lösungsvorschläge: i) Die Wort-Gottes-Theologie: Offenbarung ist völlig von der Geschichte gelöst,

Parallelisierung von Offenbarung und Geschichte. ii) Inklusivlösung „Offenbarung als Geschichte“: Geschichte ist ein Sinnzusammenhang, da

Gott sich in der Geschichte offenbart. Die Geschichte Jesu Christi ist die vorwegnehmende Offenbarung des Endes der Geschichte (Pannenberg). Jürgen Moltman entwickelte eine Theologie der Hoffnung: Was die Geschichte ist, können wir nur am Ende der Geschichte erfahren. Das Ende ist jedoch in Jesus Christus vorweggenommen.

iii) Offenbarung als allgemein kulturelles Phänomen (Paul Tillich): Alle Offenbarung vor Jesus Christus sind eine Vorbereitung auf Jesus Christus, alle danach eine Aufnahme der Offenbarung Jesu Christi.

c) Offenbarung als Überlieferung

Offenbarungen sind immer erzählt, d.h. sie haben eine doppelt narrative Struktur, denn es erzählt der Offenbarer und der Empfänger.

Offenbarung ist uns gegenwärtig immer als tradierte und zu interpretierende Offenbarung. 2. Offenbarungen außer Christus

Daß Gott sich außerhalb Jesu Christi offenbart hat kann im Blick auf das Alte Testament nicht bestritten werden. Es gibt drei Felder der Offenbarung: i) die Religion (religiöse Praxis) ii) die menschliche Kultur iii) das menschliche Selbstverhältnis [Seele, Gewissen (conscientia)]

Die „natürliche Offenbarung“ ist erst im 20. Jahrhundert aus der Theologie ausgeschieden. Sie wurde in der röm.-kath. Theologie als praeambula fidei (Vorspiel des Glaubens) angesehen. a) Das liber naturae und das liber scripturae

These Sparn: Die Hauptaufgabe des Theologen ist es, das Buch der Natur (liber naturae) wieder neu lesen zu lernen, das Buch, das von der Theologie zugeklappt wurde.

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In der alten Kirche erkennt man eine Anknüpfung an die religiöse Umwelt. Tertullian: Jeder Mensch sei von Natur aus christlich, nur die Ausdrucksform sei falsch (vgl. Karl Rahner mit seinem Anonymen Christentum).

Das Buch der Natur ist Bestandteil der natürlichen Theologie (im scientischen Zweig der Theologie, der sapientiale geht mehr auf das „Selbst“ des Menschen).

Thomas von Aquin: Alle Offenbarungen außerhalb des Christentums sind praeambula fidei (gracia non destruit, sed perficit naturae).

Großer Katechismus: fides est creatix divinitas - Glaube macht Gott. Luther erfuhr Gott intensiv in der Natur.

Calvin: Alle Menschen haben sensu divinitas. angeborene Gotteserkenntnis („Gewissen“) und anerzogene Gotteserkenntnis („wovon

Himmel und Erde zeugen“). Die theologia naturalis ist eine Reaktion auf das Phänomen der natürlichen Offenbarung.

Sie hat vier Merkmale/Zwecke: i) den pädagogischen Gebrauch ii) den paideutischen Gebrauch (Lebensführung) iii) den elenchtische Gebrauch (jeder hat schon einmal von Religion gehört) iv) der didaktische Gebrauch (man soll auch das liber naturae lesen).

Die natürliche Theologie ist nicht rein cognitiv zu verstehen, der doxologische Aspekt (Lobpreis) ist wichtiger (z.B. Berge und Täler loben Gott). b) religio naturalis/rationalis

Der Deismus versuchte im 17. Jahrhundert die natürliche Religion mit einer vernünftigen Religion auszudrücken, die unabhängig von historischen Ereignissen und Veränderungen ist.

Physikotheologie: Die Rationalität der Natur galt als Hinweis auf Gott (Isaac Newton). Die natürliche Theologie beschränkt sich auf die Innerlichkeit des Menschen und

verzichtet auf das liber naturae. Deswegen wurde sie von der Theologie bekämpft. Die Religion gehört zwar zur Bildungsgeschichte der Menscheit, sie ist aber zugleich historisch gegeben. Religion als anthropologische Konstante, aber auch als historisch gegeben (Schleiermacher, Herder).

J. Spalding „Die Bestimmung des Menschen“: Verzicht auf natürliche Offenbarung, stattdessen innere Empfindung des Menschen. c) Natürliche Theologie vs. Christusoffenbarung

Emil Brunner, Ebeling: Christlicher Glaube negiert allen vorchristlichen Glauben als Unglaube (Anknüpfung an Evangelium).

Paul Althaus: Uroffenbarung in den drei Erfahrungsfeldern Religion, Kultur, seele, die darauf hinweist, das liber naturae zu lesen.

Paul Tillich versuchte alle Erfahrung als Frage zu formulieren, deren Antwort Jesus Christus ist.

Die Frae ist, ob die göttliche Präsenz auf den drei Erfahrungsfeldern synthetisch oder kontrastiv zu verstehen ist, oder vielleicht sogar beides. 3. Das Wort Gottes

Religion kommt immer durch und nur durch Gott zustande, aber nicht nur aufgrund göttlicher Offenbarung. Nämlich durch die Verkündigung des Wortes Gottes. a) Gestalt des Wortes Gottes

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Das Wort Gottes wird im AT und NT verschieden bezeichnet als der Inbegriff des Tun/Handeln Gottes. Das Wort ist ein nomen actionis. Die Handlung ist dreigeteilt: i) die inkarnatorische Handlung ii) die überlieferte Handlung (Tradition) iii) die kerygmatische Handlung. b) Die Wirksamkeit des Wortes Gottes

Das Wort Gottes hat einen dynamischen Charakter, daraus folgt die Predigt ist ein wirksames Wort, die lebendige Stimme des Evangeliums.

Es gibt zwei Gestalten das Wort Gottes zusammenzufassen: Gesetz und Evangelium. Aus der soteriologischen Perspektive sind Gesetz und Evangelium zwei sich

ausschließende Gegensätze. Lutheraner wie Elert gingen davon aus, daß alles, was Gott außerhalb des Christentums offenbart hat, destruktiven Charakter hat und somit Gesetz ist. Das ist jedoch nicht richtig, denn nur in der soteriologischen Perspektive wachsen Gesetz und Evangelium zu zwei ausschließenden Gegensätze. In der täglichen Erfahrung besteht zwischen Gesetz und Evangelium ein ambivalentes Verhältnis (Gesetz-Evangelium-Segen).

Zwei große Fehler: Zum Einen die Identifikation von Gesetz mit natürlicher Offenbarung und zum Anderen die Identifikation von Gesetz mit dem AT.

das Wort Gottes ist vielmehr die lebendie Sprachhandlung Gottes. c) Das Wort Gottes und der Buchstabe

Das Wort Gottes begegnet uns in Gestalt der Bibel, des „Buchstaben“. Welches Verhältnis hat nun der Buchstabe zu Jesus Christus und zu meinem persönlichen Glauben?

In der Alten Kirche wurde diese Frage geklärt durch eine Auslegungsinstanz. Schrift und Tradition gelten in der röm.-kath. Tradition als Quelle der Offenbarung Jesu Christi.

Dagegen spricht die lutherische Auffassung sola scriptura, der das Element der Tradition nicht negiert, aber abschwächt: Die Heilige Schrift wird Wort Gottes dadurch, daß sie sich selbst auslegt (Gegensatz Lehramt und Selbstauslegung).

In der Verbalinspirationslehre verschaffte sich die Bibel selbst Autorität und Normativität, Buchstabe und Geist stehen in einem Wechselverhältnis. Dieser Zusammenhang hat sich in der Theologie aufgelöst und deswegen kam die Frage auf, wie das Wort Gottes in die Bibel kommt.

Deswegen: Die Christen müssen die Bibel gebrauchen/benutzen/sehen als historischen Dokument und religiöses Buch.

Daraus entspringt der Erfahrungskontext, in dem man sich in Erinnerung und Erwartung bewegt. § 10 Das Glauben (fides qua) als Gegenstand der Dogmatik Definition: Der Gegenstand der Dogmatik ist andererseits der christliche Glaube in seiner aktiven Realität als persönlicher Vollzug von Gottvertrauen in der Kraft des Heiligen Geistes. Dieses Glauben kennt eine sowohl aktuelle als auch habituelle Dimension der „Erfahrung mit der Erfahrung“, einer Dimension gemeinschaftlicher religiöser Praxis im Gebet, Gottesdienst und frömmigkeit, sowie eine Dimension der Auslegung des Wortes Gottes bzw. des Ausgelegtseins durch das Wort Gottes; daher ist es ein existentielles, als kommunikatives und als kognitives Phänomen Gegenstand der Dogmatik.

„Glauben“ als Innbegriff des gottesverhältnis ist nicht genuin christlich (Islam, judentum). Der Begriff „Glauben“ wird dreifach gebraucht: i) für Religion (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit im Grundgesetz)

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ii) für den menschlichen Vollzug des verpflichtenden Vollzug iii) als Begriff der den Glaubenden miteinschließt..

Glauben bedeutet nicht „für wahr“-halten und nicht ein personales Verlassen auf etwas/jemanden.

Glauben ist ein sein in Christus und ein sein Christi in mir (als fremde Persönlichkeit). Der Glaube lebt aus seinem Glaubensgrund.

Drei Hauptströme des Christentums bezüglich Glaubens: i) der Geistcharakter des Glaubens (orthodoxe Tradition) ii) der ekklesiologischer Charakter des Glaubens (Röm.-kath.) iii) der existentielle Charakter des Glaubens (evangelich)

Daraus folgen drei Probleme: Wie ist der Glaubensinhalt zu bestimmen (kognitive, doktrinale Dimension), wie verhält es sich mit der Praxis (praktische Dimension) und als drittes stellt sich die Frage nach der existentiellen Dimension. 1. Das Glauben als Erfahrung (als existentielles Phänomen) a) Glaube als Spiritualität

Die Erfahrung des Glaubens ist keine Selbsterfahrung, da es ein Glaube an Gott ist und nicht ein Glaube an mich selbst. Deswegen kann diese Erfahrungen auch gegen andere Erfahrungen stehen (böse Welt-Schöpfung) und sich oft gegen meine Selbsterfahrung richten.

Fides facit personae (Luther): Glaube als Erfahrung des Konstituierens. Deswegen ist Glaube eine Erfahrung reflexiven Charakters. b) Glaube als menschliche Spontanität

Glauben ist göttliches Tun, sie ist nicht angelernt und nicht Mittel zum Zweck (zweckfreier Charakter des Glaubens).

Glauben ist aktuell als der Übergang von der Ungewißheit zur Gewißheit (z.B. Bekehrung).

Habituelle Seite des Glaubens: Das Wissen um das Erfahrene (Notitia), die Zustimmung (Assensus, Wille) und der Glaubensvollzug (Fiducia , Herz). Diese drei Aspekte laufen parallel, nicht hintereinander!

Der Glaubensbegriff der röm.-kath. Kirche ist mehr auf die notitia und den assensus bedacht. c) Glaube als Korrespondenz (Entsprechung)

Der Glaube ist die Entsprechung zur Gegenwart seines Glaubensgrundes (Erfüllung des ersten Gebotes). Glaube ist deswegen Gottesdienst. Der glaube ist zweckfrei und auch nicht Mittel zum Zweck. Die Nächstenliebe in der Entsprechung zur Gottes Liebe ist die Entsprechung zum Glauben. In der katholischen Kirche geht man dagegen nicht von einem ungestalteten Glauben (fides informae), sondern von einem fides caritate formata aus. 2. Glauben als religiöse Praxis a) Das Gebet: Der Beter ist der Heilige Geist! b) Der Kultus bzw. der Gottesdienst als die Vergegenwärtigung der göttlichen Offenbarung.

Der Glaubende lebt immer in Beziehung mit Gemeinschaft. Dieses Abstraktum ist allen christlichen Kirchen gemeinsam, die Ausgestaltung des Gottesdienstes ist jedoch unterschiedlich.

c) Die Frömmigkeit: Sie beinhaltet das Gebet, den Umgang mit der Tradition und deren Aneignung. Das Gottesverhältnis als Lebensgestalt (ist nicht identisch mit der Lebensführung).

3. Glauben als Auslegung des Wortes Gottes (kognitiv, doktrinal)

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a) Glaube ist Verstehen: Aus dem Glauben entspringt eine hermeneutische Kompetenz

(Bultman „Glaube und Verstehen“; seit der Reformation Texthermeneutik). Der Gegenstand und Ort dieses Geschehens ist vielfältig (z.B.Tradition, Schrift). Die hermeneutische Kompetenz ist das Ergebnis des Lesens in der Bibel, sie ist nie allgemein, immer spezifisch. Die Aufgabe der Dogmatik ist es nun diese Vielfalt zu fördern und auf ihre Christlichkeit zu prüfen.

b) Glaube als Wissen: Aus dem Verstehen entsteht der Glaubensgedanke (credo ut intellegam); ich beginne die Geheime Gottes zu verstehen (nicht zu enträtseln!). Dieses Verstehen kann sich nicht aus der Zufälligkeit seiner Genese lösen, d.h. die Praxis wird nicht vergessen. Der Kontext des Glaubensgedanken ist nicht abschaffbar!

c) Glaube als Wissen im Sinne des Bekenntnisses: Glauben ist immer auch Bekenntnis; ein Bekenntnis besteht immer darin, daß Glaube im Glaubensvollzug lebt.

Kapitel IV: Die Methode der Dogmatik § 11 Die Dogmatische Argumentation Definition: Dogmatische Stellungnahmen zu Problemen christlich religiöser Orientierung kommen zustande durch Argumentation (Diskurse, Sprachhandlungen), die für Dritte nachvollziehbar sind (1) kraft ihrer semantisch-logi-schen Vernünftigkeit (sprachliche Bestimmtheit, begriffliche Widerspruchsfreiheit, wahrheitsfähige Aussagen); (2) kraft ihrer hermeneutischer Vernünftigkeit (Auslegung nach Regeln, Sachlichkeit des Verstehens, Verständlichkeit in einer bestimmten Sprachgemeinschaft); und (3) kraft ihrer methodischen Vernünftigkeit (Problemfindung, Problembearbeitung und -lösung, Rückkopplung). 1. Semantisch-logische Verknüpfung

Kommunikativität und Plausibilität, steht nie 100% fest! Sprachanalytische Philosophie (Karl Popper): alles was wir sagen ist an Sprachstile und

Sprachgemeinschaften gebunden. Zur Sprache gehört auch die darstellende, Handelnde Sprache.

Gegensatz zwischen Korrespondenztheorie (I) und Konsenstheorie (II): I) Etwas ist wahr, wenn die Aussage dem Gesagten entspricht. II) Etwas ist wahr, wenn es einen Konsens der Beteiligten gibt, d.h. etwas ist wahr, wenn es

Zustimmung findet. Die Konsenstheorie enthält auch einen Korrespondenzanspruch. I) und II) sind Pole, die man nicht gegeneinander auspielen darf.

2. Hermeneutische Vernünftigkeit

D.h. ein Begeben in den hermeneutischen Zirkel zwischen Ausleger und Ausgelegtem. 3.Methodische Vernünftigkeit

Sie hat die Aufgabe der Problemfindung, -bearbeitung und -lösung. § 12 Die Normativität der Dogmatik Definition: Die dogmatische Urteilsbildung über das Christliche in einer gegebenen Situation des Glaubens und Lebens orientiert sich am überlieferten Christentum. Die evangelischen Theologien (1) unterstellen jedoch die einzigartige Rolle des biblischen Kanons Alten und Neuen Testaments als letzte Autorität dieser Orientierung. Dieses Schriftzprinzip

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unterscheidet sich vom röm.-kath. Prinzip „Schrift und Tradition“ darin, daß es (2) die verbindliche Festlegung des Christlichen nicht einem kirchlichen Lehramt, sondern allein der Heiligen Schrift in ihrer Fähigkeit sich als glaubenswirksames Christuszeugnis selbst auszulegen. Im Rückbezug auf dieses „Evangelium“ ist die Dogmatik (3) für die Schriftgemäßheit und eo ipso für die Lebensnähe der erforderten religiösen Orientierung verantwortlich.

Die einzigartige Rolle der Heiligen Schrift als absolut zu fassen nennt man Schriftprinzip. Verbindliche Festlegung nur durch die Schrift. Das Problem: Ist bei der Normativität eines theologischen Urteils die Schrift das Kriterium, wird das Urteil, das Orientierung sein soll, deduziert.

Dreifacher Gebrauch der Heiligen Schrift: i) als Zeugnis des Glaubensgrundes (erbaulich) ii) als historisches Dokument iii) als dogmatisches Kriterium, an dem man sich orientieren soll.

Die Bibel hat somit dreifache Autorität: i) als auctorita causativa ii) als auctorita historia (geschichtliche Glaubwürdigkeit) iii) als auctorita normativa 1. Der biblische Kanon als Regel und Richtschnur a) Das historische Schriftprinzip: Seit der Reformation stellt sich die Frage, darf man sola

scriptura (also ohne „heilige Tradition“) argumentieren? Tridentinum: Nein. Die historisch-kritische Methode reduzierte die Bibel nun auf ein historisches Dokument „wie jedes andere auch“.

b) Kanon ist selbst Traditionsphänomen: In der evangelischen Tradition wurde die auctorita causativa hervorgehoben, zur Kanonbildung war die Apostizität der Schriftenn weiter maßgebend. Die Dogmatische Einheitlichkeit ist nicht mehr formal zu begründen, es besteht eine Pluralität des Christus-Zeugnisses.

2. Die Bibel als Christuszeugnis

Es gibt drei traditionelle Möglichkeiten, die dogmatische Homogenität wiederherzustellen: a) Im Protestantismus: Eine Auswahl aus den Bibeltexten nach dem Motto „Was mir gefällt“.

Hier besteht jedoch das Problem der Perikopenauswahl (1546 erstmals fettgedruckte Textstellen in der Bibel). Es entsteht ein „neuer Kanon“, ein „Kanon im Kanon“. Das Formalprinzip (Auswahl) wird dem Materialprinzip hinzugefügt. Es läuft auf den religiösen Subjektivismus heraus.

b) In der katholischen Kirche: Verbindung der Heiligen Schrift mit der Heiligen Tradition. Das Lehramt verbürgt die Homogenität der Schriftauslegung. Kant sagt dazu: Verbindlich muß sein, was für alle Menschen gilt, das ist das vernünftige, was verbindlich ist, sagt uns also die Vernunft.

c) Das Reformatorische Bekenntnis: Im Gebrauch erzeugt die Schrift Normativität. „Die Heilige Schrift legt sich selbst aus und somit auch uns.“ Das Schriftprinzip wird hier eher biblizistisch verstanden, die Kirche ist die formale Fassung des Schriftprinzips.

Servo arbitrio: Die Bibel as pluriformes Zeugnis und das Christus-Zeugnis als Klarheit. Efficatia (Wirksamkeit) und sufficientia (Zureichbarkeit) bilden die Normativität.

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Karl Barth: „Die Bibel macht sich selbst zum Kanon.“ Das Christusbekenntnis ist das einzige, was die Bibel zum Bekenntnis macht.

norma normans: die Regel regelnde Regel, die Schrift. norma normata: unsere Auslegung. Die Bibelauslegung steht immer in der hermeneutischen Korrelation zwischen

Glaubensvollzug und Glaubensgrund. Die norma normata hat immer einen Multiplikationseffekt, nämlich daß sie auf die Bibel zurückverweist. Die norma normata ist der status confessiones. 3. Schriftgemäßheit und Lebensnähe

Der Satz „Was Christum treibet“ ist ein Such und Bestimmungssatz. Die Sinnmitte ist kein Ding oder Sachverhalt sondern die viva vox evangelii (Joest). Aus sola scriptura folgt eine immer neue Konkretisierung der Auslegung.

Schriftgemäß heißt, das Christuszeugnis zur Geltung zu bringen, aber nicht nur formales Zitieren der Schrift. Dogmatische Schriftgemäßheit ist eine lebensnahe Argumentation, da Schriftgemäß „Auslegungsbedürftig“ heißt. Ein dogmatisches Urteil muß schriftgemäß sein, aber keineswegs zeitgemäß, denn daß schriftgemäß gleich zeitgemäß ist, ist nicht normativ für die Auslegung. Eine Auslegung ist nicht zeitgemäß, sie ist zeitnah. § 13 Die Auswertung dogmatischer Stellungnahmen Definition: Die Lebensnähe eines schriftgemäßen dogmatischen Urteils muß (1) material geprüft werden im Blick auf dessen theologische Plausibilität, auf seine kirchiche Akzeptabilität und auf die Bestimmtheit seines Geltungsbereiches, Die dogmatische Stellungnahme muß überdies (2) funktional geprüft werden im Blick auf den Kontext ihres Gebrauchs, auf ihre Intention und auf ihre Rückwirkung auf den theologischen Habitus. In dieser Prüfung wird die Lernfähigkeit des Domatikers sowohl hinsichtlich der Schriftgemäßheit als auch im Blick auf die Glaubens- und Lebensnähe der dogmatischen Argumentation verwirklicht.

Stellungnahme: Was bedeutet das für meine theologische Überzeugung. § 14 Die Disposition der dogmatischen Stoffe Definition: Die reguläre, d.h. eigens und zusammenhängend unternommene dogmatische Denk- und Sprachbemühung kann ihre (einstweiligen) Ergebnisse unterschiedlich anordnen. Die bislang üblichen Dispositionen der Dogmatik sollten ihrer zentralperspektivischen Ansprüche oder Neigungen entkleidet werden zugunsten kommunikationspragmatischer Verbesserungen des dogmatischen Diskurses.

Diese Anordnung (ordo; s.Def.) wird oft Methode genannt, es ist aber keine „Ordnung“ sondern eine Art des Argumentierens, der Begriff Ordo oder Anordnung ist ein abstrakter Habitus-Begriff.

Es gibt drei Möglichkeiten der Anordnung: I) Die synthetische Methode (die scholastische): eine heilsgeschichtliche Anordnung nach der

Maßgabe oekonomia salutis , z.B. bei Origenes („De principiis libri 4“ ca. 230), Augustin („Enchiridion de fide“ ca. 430), Johannes v. Damaskus („De fide orthodoxa“ ca. 740), Petrus v. Lombardus („Die Sentenzen“ ca. 1150).

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II) Altprotestantische Methode: Korrektur der scholastischen Methode durch Philipp Melanchton ( „Loci theologici“ 1521). Sie bietet eine Bibelauslegungsmöglichkeit, ihre Topoi sind aber nichts anderes als Exegese. In der altprotestantischen Methode (Johann Gerhard „Loci theologici, 1610-25) verfolgte man eine inhaltliche Theologie als Pastoraltheologie.

III) Die Analytische Methode: Sie richtet sich pastoral-theologisch aus und beginnt mit der Eschatologie. Mildenberger: Seine biblische Dogmatik gliedert sich in a) Prolegomena b) Ökonomie als

Theologie und c) Theologie als Ökonomie. Sparn: Anordnung nach dem Apostolicum. Eine Dogmatik ist immer der Gefahr des Systems ausgesetzt!

Teil 2: Gott und die Welt Vorbemerkungen:

Die christliche Rede von Gott ist immer eine Rede von Gott in Gedenken an Jesus Christus kraft des Heiligen Geistes. Diese Rede über Gott, die Gotteslehre (Theo-logia) hat drei Bereiche zu klären: i) Was ist das eigentümliche christliche Reden von Gott? ii) Was bedeutet der nichtchristliche Bezug auf Gott für unseren Glauben

(Religionstheologie)? iii) Wie verhalten wir uns zur Bestreitung des Sinnes des Reden von Gott?

Der erste Glaubensartikel schließt zugleich den pneumatologischen Aspekt („Ich glaube“) und den christologischen („an Gott den Vater“) mit ein.

Ein Reden De Deo hat vier Aspekte: i) Die Existenz Gottes (existentia quod?) ii) Das Wesen und die Eigenschaft Gottes ( essentia quid?) iii) Die Person (personae), Trinitätslehre iv) Handeln und Wirken Gottes (opera) Kapitel I: Gott als Wort unserer Sprache § 15 Nach Theismus und Atheismus Definition: Die gegenwärtige christliche Gotteslehre findet sich in einer religiösen Situation vor, die (idealtypisch) drei Nennungen „Gottes“ enthält: (1) der metaphysisch oder weltanschaulich (vom Christentum mit-) überlieferte (Mono-) Theismus, (2) dessen klassisch-moderne Bestreitung im materialistischen und im psychologischen Atheismus und (3) die postmodern-synkretistische Diffusion der theistischen Gottesvorstellung zur dynamisten Rede von „göttlichen Kräften“, von der Göttlichkeit des lebendigen Seins usw. in den vielfältigen Phänomenen der Theosophie/Esoterik. Diese drei religiösen, bzw. religionskritischen Diskurse sind von der christlichen Gottesrede verschieden, sind aber auch vielfach mit ihr verflochten. Ebenso kann tatsächlicher Gottesdienst, da er mehr und anderes ist als bewußte Überzeugung, in allen drei Diskursen gegeben sein, wie umgekehrt Götzendienst auch im Kontext der christlichen Gottesrede nicht ausgeschlossen ist.

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1. Zur Situation

18. Jahrhundert: Zerfall des Idealismus und des Nihilismus; 19. Jahrhundert: „Gott-ist-tot“-Theologie, die sich im 20. Jahrhundert fortsetzte. Im 20. Jahrhunder wurde die Gottesfrage praktischer gestellt: „Wer regiert das Leben auf der Welt?“, z.B. Die veränderte Situation, der wir heute gegenüber stehen entspricht wieder der Situation, in der sich die Alte Kirche befand. 2. Der traditionelle Theismus

Theismus: Überzeugung, daß es etwas göttliches gibt (Metaphysik). Der Deismus ist eine bestimmte Form des Deismus (etwa die natürliche Theologie; Jean Paul, Friedrich Nietzsche).

In der Theologie begann die Abwendung vom Theismus mit dem Offenbaungspositivismus (u.a. A. Ritschl). Es folgte eine starke Abwendung von dem apersonalen Theismus. 3. Der Atheismus

Unterscheidung zwischen: a) methodischem Atheismus: Ein Handeln, als ob es Gott nicht gäbe und b) positionellem Atheismus: Der Überzeugung „Es gibt Gott nicht“ (Feuerbach). 4. Statistische Befunde

Statistische Erhebungen in Deutschland lassen fünf Befunde klar werden: I) Der Glaube an Gott läßt sich nicht an der Zugehörigkeit einer Kirche festmachen. II) Der Glaube ist eine notwendige, aber nicht die ausschlaggebende Bedingung für die

Selbsteinschätzung des religiösen Menschen. III) Es besteht ein Zusammenhang zwischen Anthropomorphismus und der theologischen

Intensität. IV) Es bestehet eine Korellation zwischen dieser Intensität und moralischen Einstellungen. V) In Deutschland erleben wir eine Kluft zwischen weiblicher und männlicher Religiösität,

eine Kluft zwischen der Religiösität der älteren und der jüngeren Generationen. 5. Theologische Einschätzungen der Befunde a) „Gottesfinsternis“: Die objektivierende Naturbeherrschung des Menschen und die

Gesellschaftsordnungen bilden den Nährboden für einen praktischen Atheismus. Die „Gott-ist-tot-Theologie“ wird geboren, eine „Gottkrise“ (Metz).

b) „Gottesentzug“: Zeichen und Wunder, die Epiphanie Gottes bleibt aus. Die Arbeitshypothese Gott funktioniert nicht (Bonhoeffer), Gott entzieht sich selbst, um uns seine Verfügbarkeit zu entziehen. Weil Gott freie Mensch will entzieht er sich uns, „er entzieht uns die Krücken“.

c) „Gottesgeheimnis“: Gott widerfährt uns in der Gegenwart als der Schweigende (Jüngl). Diese Situation ist eine fruchtbare Situation, da wir erkennen, daß Gott sich selbst verändert, „Gottes Sein ist im Werden“ (Ernst Barlach, W. Sparn). Ein Gottesbild, daß einen Gott als fertig ansieht (theistisches Gottesbild) ist nicht christlich. Für die Dogmatik ist der Gottesbegriff deswegen immer im Kontext von Religion zu

klären.

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§ 16 Sinn und Gestalt des Wortes „Gott“ Definition: Das Wort „Gott“ wird stets in kulturell codierten Sprach- und Zeichenhandlungen gebraucht; seine Verwendung setzt also immer religiöse Tradition und Sozialisation voraus. Für religiöse Kommunikation sind Wörter oder ist ein Wort für das Heilige, Göttliche usw. unabdingbar, weil sie und insbesondere der Singular „Gott“ zugleich als Prädikator und als Eigenname fungieren kann, d.h. den Prozeß der Selbstbenennung des „göttlich“ Genannten als begegnender Gott beschreibt. Die christliche Gottesrede entspricht der Selbstbestimmung des Göttlichen als JHWH, Jesus Christus und Heiliger Geist. Sie hat dieser Selbstbestimmung folgend, ihre Wahrheit nicht nur in einer Gestalt, sonder im Sprechen des Wortes „Gott“, im künstlerischen Gestalten des Wortsinnes „Gott“ und im Beten zum wahren Träger des Namens „Gott“ (Reden über Gott, von Gott, mit Gott). 1. Das darstellende Reden über Gott a) Die Semantik von „Gott“:

„Gott“ ist ein ethymologisches Prädikat, ein von „Gott“ gegossenes Bild, Eigenschaft einer Kennzeichnung für das Göttliche.

Wir benutzen „Gott“ singulär, d.h. als Eigenname als Ablehnung des Polytheismus und der Monolatrie des Alten Testaments. Anstelle des biblischen Wort „Gott“ (Elohim) tritt der Eigenname (JHWH).

Die christliche Rede von Gott als prädikative Rede von Gott wurde zu unrecht vernachlässigt, denn Gott bestimmt sich uns als Eigenname (Jesus Christus). Von Gott prädikativ reden heißt mit ihm Erfahrungen machen. b) Sprachlogische Prüfung des Gebrauchs des Wortes Gottes

Im kritischen Rationalismus (K.Popper) ersetzte man das Verifikationskriterium durch das Falsifikationskriterium. c) Zwischen Prädikat und Eigenname i) Die Einführung des Wortes Gottes geschieht durch Gruppe, es ist also mittelbar. ii) Die Prüfung geschieht im Erfahrungskontext der Sprachgemeinschaft. iii) Der Erfahrungskontext ist in der religiösen Situation des Redens konstituiert. iv) Gott ist ein synsemantischer Ausdruck, d.h. ein in Zusammenhang seines Gebrauchs

bestimmter Ausdruck. v) „Gott“ ist ein Eigenname, ein Name, der in religiösen Situationen ausgesprochen wird.

Sparn folgert: „Gott“ definiert sich zwischen Prädikat und Eigenname! 2. Das Reden von Gott: das künstlerische Gestalten des Wortsinnes von „Gott“

Das Reden von Gott in künstlerischen Gestalten findet a) in der Dichtung (Psalmen, Texte) b) in der bildenden Kunst (Altäre, Ikonen) c) in der Musik (Choräle, Messen) statt. 3. Das Beten des Wortes Gottes

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a) Kontingenz und Regularität

Gebet heißt ich äußere mich. Meine elementare Vorraussetzung ist, daß Gott sich seinerseits äußert (Kontingenz). D.h. Beten ist zuerst ein Hören Gottes und erst dann ein Reden von uns zu Gott. Das Reden zu Gott ist eine religiöse Kontingenz.

Das Reden zu Gott ist regulär, d.h. es muß gelernt werden, das angelernte traditionale und das herzenseigene Reden zu Gott sind kein Gegensatz. b) Das Reden von Gott: Exclusiv und Inklusiv

Das christliche Leben ist ein dialogisches Leben (in Dialog mit der Welt), es grenzt sich ab, es ist exklusiv.

Meine Anbetung schließt sich mit anderen Betern zusammen, insofern ist sie inklusiv. Das Beten gibt anderen Redeformen (über und von Gott) ihr echt. Erst Gott als adressat im Gebet beantwortet die Frage „Wer ist Gott“.

§ 17 Wege zum Wort „Gott“ Definition: Das tatsächlich sinntragende Reden über „Gott“ wird erlernt in der Ausdifferenzierung eines eigentümlichen Redens von Gott im Kontext eines jeweils gegebenen Redens von Gott (vom Göttlichen, Heiligen, usw.). Der strukturelle Zusammenhang beider Gottesreden liegt in der Möglichkeit der menschlichen Kultur, in Sprachzeichen das „Göttliche“ bedeuten (wollen) zu können. Diese Möglichkeit wird in problematischer Weise in den sogenannten philosophischen Gottesbeweisen in affirmativer Weise in der christlichen Theologie der Religionen reflektiert. Das Ziel dieser Reflexion ist die jeweilige klare Bestimmung der eigentümlichen Analogizität des christlichen Redens von Gott, nämlich derjenigen, die alle drei Gestalten der christlichen Gottesrede (§16) kennzeichnet. 1. Der Zusammenhang von besonderer und umgebener Gottesrede

Wir erfahren Gott durch unsere fromme Praxis. Die Frage nach dem Sinn der Wirklichkeit und meines Lebens eröffnet mir die Möglichkeit des Transzendierens. Dies ist aber kulturell different.

Es gibt drei Merkamale einer spezifisch christlichen Rede von Gott: a) Gott selbst ermöglicht das Beten, nicht ein anderer Christ, das Reden Gottes ist die

Bedingung meines Redens von Gott. b) Die christliche Rede von Gott redet von Gott nie anthropomorph. c) Die Rede von Gott ist immer temporal, nie ein nunc stans, sie ist immer erinnernd und

erwartend und immer in der gelebten Zeit. Sie ist immer kommunikativ, metaphorisch und narrativ. Das umgebene Reden von Gott ist immer unkommunikativ, begrifflich und atemporal.

2. Die sogenannten Gottesbeweise I) Das Wort Gottes wird gelernt a) durch Rückschlüsse von Erfahrungsmomenten in der Erfahrungswelt der Natur, b) durch analoges Reden von einem Grund der Welt analog zum Reden von der Welt in der

Erfahrungswelt der Geschichte,

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c) im binnenschluß innerhalb der Vernunft, in der Erfahrungswelt des Gewissens. II) Die Gottesbeweise a) Die notitia dei insita (im Gegensatz zur notitia acquisita), Religion als ein allen Völkern

gemeinsames Faktum als Gottesbeweis, die dem Menschen einwohnende Gotteskenntnis . b) Der Bewegungsbeweis: Die Erfahrung in der Welt zeigt, daß sich alles bewegt. Jede

Bewegung hat aber eine Ursache, es muß also eine erste Ursache geben (Aristoteles). Das ist aber kein Gottesbeweis, sondern nur der Beweis eines Weges der Welt. Thomas v. Aquin: Der kosmologische Gottesbeweis aufgrund der viae Bewegung, Kausalität und Kontingenz. Der teleologische Gottesbeweis aufgrund des viae der providentia: alles läuft zweckmäßig. Der Inhalt des Gottesbegriffs der viae hat zwei Aspekte, den theoretischen (es gibt ein höchstes Seiendes) und den praktischen (er muß verehrt werden).

c) Der ontologische Gottesbeweis (Anselm von Canterbury „Proslogion“): In der Vernunft ist der Begriff Gottes widerspruchsfrei denkbar. Der Begriff Gottes in der Vernunft umschreibt das, was Größeres nicht gedacht werden kann. Es wäre ein Widerspruch wenn der Gottesbegriff in der Vernunft denkbar wäre, aber behauptet „Gott gibt es nicht“.

3. Die Analogizität des Redens von Gott

Man kann von Gott nicht univoc („einnamig“)sprechen, eine „univoce“ Prädikation ist nicht möglich. Ebenso nicht aequivoc, denn das wäre ein Wort, das keinen Sinn mehr hat.

Deswegen ist eine analoge Prädikation nötig, etwa „Gott ist Liebe“, dies ist nicht univoc, da Gott auch zornig sein Gott auch zornig sein kann, und nicht äquivoc, da es nicht sinn-los ist. Dies ist eine analogia atrributionis ex trinseca, eine äußere Zuschreibung.

Die drei wege des Pseudo-Dionysius Areopagita: i) der via eminentiae: der Weg der Steigerung, der Mensch weiß etwas, Gott weiß alles. ii) der via causalitates: die Wirkung bezeugt ihre Ursache in ihrer Vollkomenheit iii) der via negationis: ein analoges Reden, in dem unsere Unvollkommenheit abgeschwächt

wird. Kapitel II: D ie Werke Gottes § 18 Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt Definition: Die Rede von Gott als (wahrem) Gott kann nicht beliebig geführt werden, sondern kann nur in Antwort auf Erfahrung Gottes geführt werden. Die Erfahrung des redend-handelnden Gottes begegnet in verschiedenen, sich aber immer neu verbindenden Gestalten: als Werke der Macht Gottes (Schöpfung: creatio potentia), als Werke der Barmherzigkeit Gottes (Versöhnung in Jesus Christus: creatio redemptio) und als Werke der Gerechtigkeit Gottes (Erneuerung durch den Heiligen Geist: creatio iustitiae). Die Machttaten Gottes sind die Schöpfung, die Erhaltung und die Verwandlung der Welt. Die Wahrnehmung dieses Hanelns ist durch die neuzeitliche Objektivation der „Natur“ und der Geschichte teils behindert, teils subjektivistisch irregeführt worden. Die natur- und kultur-wissenschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts fordern jedoch dazu heraus, die schöpferische, vor allem die tragende, segnende und führende Gegenwart des Grundes unseres Zeitraums „Welt“ erneut zu lobpreisen, auszudrücken und auch zu bezeugen.

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opera dei ad extra: die Handlung Gottes nach außen, unsere Erfahrung von Gottes Wesen (ad intra = Rechtfertigung).

Die Gegenwart Gottes gliedert sich dreifach in die I) praesentia generalis (Schöpfergegenwart) II) praesentia specialis (besondere Gegenwart in Jesus Christus) III) praesentia specialissima („besonderste“ Gegenwart als Heiliger Geist im Glauben).

Creatio (Schöpfung), conservatio (Erhaltung), annihilatio (Verwandlung der Welt) 1. Die klassische Schöpfungslehre

Die Schöpfung ist der Ausdruck der Macht des gesamten Gottes, wird aber dem Vater apropriiert (Apropriation = Zueignung).

Die Schaffende Macht, die keine Schaffungsmöglichkeit außer sich hat: daraus folgt eine creatio ex nihilo.

In dieser Macht äußert sich die Weisheit Gottes. Die Schöpfungslehre bildet den Weltbegriff aus: Kosmos als Raum und als Zeit, Welt als

Zeit-Raum. Die Welt hat ein Anfang und ein Ende, sie ist also ein geschlossenes System (Moderne:

„Welt ist ein offenes System“). Es gibt einen Unterscied zwischen der anfänglichen Schöpfung und der Schöpfung während/in der Welt.

Gott erhält die Welt in seiner schöpferischen Tätigkeit: conservatio (oder auch providentia). Gott ist Grund der Welt und in der Welt. Creatio continua entspricht der conservatio. Wunder sind ein Teil dieser creatio continua.

Die göttliche Erhaltung hat drei Gestalten: i) Erhaltung: das Wesen der Dinge wird erhalten (z.B. Arten). ii) Concursus: das Mitlaufen Gottes, das Eigenwirken der Geschöpfe (causa sekunda) enthält

immer Wirken Gottes (causa prima). iii) Gubernatio: die Steuerung der Welt durch Gott: unter der Freiheit der Geschöpfe:

a) läßt Gott zu, was ihm nicht gefällt (permissio) b) läßt Gott aber nicht alles zu (impeditio) c) führt Gott Böses zum Guten (directio) d) begrenzt Gott das Böse zeitlich (determinatio).

2. Die Schriftgemäßheit der Schöpfungslehre

Das Reden von Schöpfung ist allgemein (platon, Stoa), das christliche Reden von der Schöpfung hat fünf Spezifika: I) Die Art Gottes zu schöpfen (Hebräisch: bara); Gott ist dabei transzendent und voll Gott

(Luther), es ist aber keine actio distans, sondern Gott ist ganz in der Welt. II) In der altorientalischen Welt herrscht die Vorstellung „Schöpfung durch Emanation“

(früher Platon, Neuplatonismus, heute Esoterik), in der christlichen Rede von Schöpfung ist ein aktiv handelnder Gott Ursache der Schöpfung.

III) Die Welt spiegelt seinen Schöpfer. IV) Der Lauf der Welt läßt seine Werke erkennen. V) Das Bewußtsein des Wartens auf den letzten Tag ist kein Leugnen der Schöpfung, aber

dieser eschatologische Blickwinkel relativiert sie („ein Ja und Nein zur Schöpfung“). 3. Die gegenwärtige Problemlage

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a) Schöpfung und Natur: In der Neuzeit herrschte eine objektivistische Betrachtung der Natur. ABER: Schöpfung ist Natur. Es fand also eine Desfunktionalisierung des Gottesbegriffs im Sinne des modernen Naturbegriffs statt, die Natur wurde vom Schöpfer/Schöpfung gelöst.

b) Vorsehung und Geschichte: Von der Annahme von der Welt als geschlossenes System entwickelte sich aufgrund der neuen Welterfahrung die Überzeugung der „offenen Welt“.

4. Die theologische Verarbeitung a) Die Apologetik: „Die Bibel hat doch recht“. Dennoch fand hier eine Anpassung an den

neuzeitlichen Natur- und Schöpfungsglauben statt (Bultmann, Ritschl, Strauß). Theologie lieferte nunmehr Werturteile, keine Seinsurteile.

b) Auch im Punkt Geschichte/Vorsehung fand eine Anpassung an das neuzeitliche Modell der Geschichte statt (E. Tröltsch).

c) Positive Reaktion der Theologie: Unser Denken ist nur eine Station im Selbstdenken Gottes Hegel, aufgegriffen von Ebeling). In der Schöpfung erkennen wir unsere Geschöpflichkeitr und in der Geschichte erkennen wir unsere Geschichtlichkeit, wir erkennen unsere schlechthinnige Abhängigkeit (Schleiermacher, wieder aufgegriffen von Pannenberg).

5. Zur aktuellen Orientierung a) Natur: Der christliche Glaube ist immer mit einem Weltbild verbunden, aber als solcher

von Weltbildern unabhängig, er ist nicht an eine Kosmologie gebunden. Die Geschichte zeigt, daß der christliche Glaube sich von Weltbildern unterscheidet und sie somit überdauert, er kann so ein interkultureller Glaube sein. (Theologischer Versuch des Dialogs: Carl Heim, Teilhard de Chardin, Moltmann, Pannenberg).

b) Vorsehung und Geschichte: Die Heilsgeschichte zeigt, daß der Begriff „Geschichte“ ein Glaubensbegriff ist, er ist nicht empirisch. Pannenberg: Offenbarung als Geschichte, indirekte Offenbarung Gottes in der Geschichte, Gottes Wesen (als ewiges Wesen) hat selbst in der Zeit eine Geschichte.

6. Vier Kriterien zum Schöpfungsglauben I) Der Glaube an Gott als Schöpfer muß man reformulieren können. II) Der christliche Glaube verlangt die Explikation des Verhältnisses Natur/Schöpfung zur

Kultur. III) Aus einer strikten religiösen Begründung des Glaubens kann man von Gott außerhalb und

innerhalb der Welt reden. IV) Es besteht immer eine Assymetrie unseres Glaubens in der Erfahrung wegen der noch

ausstehenden Vollendung der Schöpfung. § 19 Gott in Jesus Christus: der Versöhner der Menschheit Definition: Die Werke göttlicher Barmherzigkeit erfahren Menschen in Gestalt der besonderen Gegenwart Gottes im Volk Israel und in der Christlichen Kirche. Diese Werke verwirklichen einen doppelten Bund, durch den Gott die Menschheit mit sich versöhnt. Ohne daß die Erwählung Israels aufgehoben würde, ist Jesus Christus der Name und die Person, in dem Gott den neuen, kraft seiner eigenen Menschlichkeit alle Menschen einschließenden Bund gestifftet hat. Die Erfahrung der besonderen, versöhnenden Gegenwart

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Gottes in Jesus Christus begründet das spezifisch christlice Reden vom menschgewordenen Gott, d.h. von Gott als Jesus Christus. Indem sie das Gedächtnis des Juden Jesus von Nazareth als des Christus Gottes bewahren, entsprechen die (sichtbaren) Kirchen empfangend und tätig der Bundestreue Gottes. 1. Die Menschwerdung Gottes a) Die Inkarnationslehre (Die zwei-Naturen-Lehre): Jesus Christus ist zugleich Mensch und

Gott. Auslegung der Zwei-Naturen-Lehre in cyrillischem Sinne in der Reformation: die Personeneinheit von Jesus und Christus, Perichorese (Durchdringung) und Kommunikation der göttlichen mit der menschlichen Natur.

b) Die Praeexistenz und die Postexistenz Christ: Doxologie (Lobpreis) des Erhöhten, der Gottheit Jesu Christi.

c) Gottes Menschlichkeit: Durch Kant wurde der abstrakte metaphysische Gottesbegriff der Neuzeit abgeschafft. In der neuprotestantischen Theologie wurde der humanistische Typ der Versöhnungslehre betont (Jesus Christus kann dadurch Gott genannt werden, daß er vollkommener Mensch ist, er ist der „zentrale Mensch“ [Troeltsch]). Im 20. Jahrhundert versuchte man die Zwei-Naturen-Lehre wieder aufzugreifen. Das geschah in zwei Wegen, durch die:

i) Christologie von oben (Ritschl-Schule), betonte das Handeln Gottes in der Welt. ii) Christologie von unten (Tillich, Pannenberg): Was wir von Jesus Christus wissen,

ist so zu verstehen, daß das göttliche in Jesus Christus herauskommt. Moltmann: Im Kreuzesgeschehen zeigt sich der Differenzierungsprozeß zwischen Vater und Sohn. Bonhoeffer: Nur der leidende Gott kann helfen. Schelling: Gott als Grund und Abgrund unserer Gotteserfahrung, ohne den Begriff des leidenden Gottes können wir nicht von Gott reden. In Japan gibt es z. B. die Theologie des Schmerzes Gottes.

2. Die Erwählung und Führung Israels (Bundestheologie) a) Der hebräische Bibel-Tenach

Jesus Christus wird als Erfüllung der Schrift angesehen. Darin steckt jedoch ein latenter Antijudaismus. Die Christen müssen aber zwei Lesearten des Alten Testaments zulassen: die christliche und die jüdische.

In der Reformierten Theologie (v.a. bei Karl Barth) findet man eine christologische Interpretation des AT („Der Erwartete ist im AT offenbar“). Jesus Christus ist die Mitte der Schrift, das AT ist die Präfiguration des NT. ABER: Von Gott als Jesus Christus zu erzählen ist immer Anfang wie Ziel! b) Unser AT als Tenach

Die christliche Lektüre des AT steht immer der jüdischen gegenüber. Die Erwählung Israels durch JHWH ist die nicht metaphysische Lehre der Praeexistenz

Christi. Die Identität Gottes ist die Treue, diesen Aspekt würden wir verlieren, würden wir das AT

abschneiden. Die jüdische Auslegung der Bundestreue kann somit als kritischer Kommentar zur christlichen Auslegung dienen.

Problem der Judenmission: Konvivenz, Dialog, Evangelium! 3. Die Stiftung und Erhaltung der christlichen Kirchen

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a) Die Kirchen als Institutionen religiöser Überlieferungen: Die Kirchen sind ein Kommunikationphänomen, in ihnen wird das Gedächtnis an Jesu Christus gepflegt, sie ist das verbum externum. Zur verborgenen Kirche (s.Teil IV) komme ich nur über den Weg der sichtbaren Kirchen, dem äußeren Wort, der ecclesia visibilis.

b) Die christlichen Kirchen als Institutionen christlicher Sozialisation: Traditio ist an traditum strukturell zurückgebunden, deswegen kann es keine Auflösung christlicher Institution hin zu einer christlichen Kultur allein geben.

4. Kriterien der aktuellen Orientierung

Für jegliches christliches Reden von Gott gilt: I) es muß im Namen Jesu geschehen II) es schließt die Negation des AT aus III) es schließt die Negation einer Notwendigkeit der sichtbaren Kirche aus IV) es muß das anthropomorphe Reden von Gott enthalten. § 20 Gott als Heiliger Geist: unser Heiland Definition: Die göttlichen Werke der Gerechtigkeit erfahren wir in der Gegenwart Gottes als Heiliger Geist in den Herzen der Christusgläubigen. Vor allem in der Situation des Gebets spannt sich die vollständige Unterscheidung zwischen Mennsch und Gott auf, und in derselben Situation verwirklicht sich zugleich die innerste Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch: Indem Gott sich im Namen Jesu Christi und in der Kraft des Heiligen Geistes uns als „Du“ zuspricht und uns dadurch zum „Ich“ macht und immer auch als „Ich“ vertritt. Durch die von Grund auf verwandelnde Kraft des Heiligen Geistes erneuert Gott uns als seine Geschöpfe (Heiligung); durch das unwidersprechliche Zeugnis des Heiligen Geistes rechtfertigt uns Gott als seine Kinder („Erlösung“). Die durchdringende Gegenwart Gottes als Heiliger Geist in uns wird kraft göttlicher Erwählung gleichursprünglich einzelnen Menschen und der Gemeinschaft der Glaubenden geschenkt. 1. Die „Persönlichkeit Gottes“

Im Gebet ist Gott so durchdringend immanent, daß er lebendig macht. Diese Immanenz ist die Persönlichkeit Gottes. a) Das „Du“ Gottes

Das Gebet ist ein Privileg; so ist auch die Anrede Gottes mit „Du“ ein Privileg, das „Du“ ist durch das „Ich“ Jesu Christi gekennzeichnet.

„Du“ ist keine Substanz oder Rolle, es ist eine persona: mit ihr ist die Fähigkeit des „Du“ und des „Ich“ bezeichnet.

Vorwurf Fichtes: „Bezeichnet man Gott als Person, ist man ein Atheist, denn so wird Gott zum Menschen Gemacht.“ ABER: Person ist der zu uns sprechende Gott.

Wir können über Gott nur anhand seines Handelns an uns sprechen (Ritschl). Das „Du“ Gottes ist kein Ding an sich, sondern das Dialogische wird zum Subjekt.

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Gott ist auch incognito im Nächsten da, deswegen muß man unterscheiden zwischen Gott selbst sein und Gott in ihm sein.

Ebeling: Was wir sind stellt sich erst im unhintergehbaren Reden mit Gott heraus. b) Die Bilder von Gott

Positiver Anthropomorphismus, aber JHWH und Jesus Christus sind nicht verfügbar (Sinn des Bidlerverbotes). Das Du ist somit immer in Gedanken ein Bild.

Bilder dürfen nicht mit den Ansprüchen Gottes verwechselt werden, die religiöse Phantasie ist aber wichtig.

Perichoretische Präsenz Gottes, Gott ist „nicht deutlich“, er ist nicht panentheistisch!. Er ist ekstatisch, responsorisch.

2. Der Heiligende Gott

Gottes Gegenwart ist wirksam. Erleuchtung (illuminatio) - Rechtfertigung - Heiligung begegnen in der Kirche vereinzelt oder zusammen.

Der einzelne als Tempel des Heiligen Geistes und die Gemeinschaft der Heiligen. a) Gott rechtfertigt uns

Gott rechtfertigt uns als seine Kinder (Rö 1, 7): I) Gott spricht zu uns als „Ich“: der Zuspruch Gottes. II) Gott konstituiert uns, der Glaube macht die Person III) Heiligung des Geschöpfs, die heiligende Gegenwart Gottes

Was Gott ist definiert sich dem Menschen durch sein Sprechen zu uns. b) Gott erwählt uns

Luther: Berufung, Gott hat einen Bund geschlossen. Prädestinationslehre: Gott hat mich gewollt, ich erkenne das in einem frommen Staunen.

Problem: Die Prädestinationslehre erklärt nicht, woran es liegt, daß jemand nicht glaubt, sondern nur: Wie kommt es, daß ich glaube. (Die, die nicht glauben sind Teil unserer Fürbitte). c) Gott sammelt uns zum Leib Christi

Gott der Versöhner versammelt uns zur communio sanctorum (Gemeinschaft der Glaubenden).

Diese Versammlung hat einen synchronen Aspekt (zeitgleich) und einen diachronischen Aspekt (durch die Zeit, z.B. das wandernde Gottesvolk).

Gott ist im Gläubigen und in der Gemeinschaft der Gläubigen präsent. Kapitel III: Die Namen unseres Gottes § 21 Die Benennungen Gottes Definition: Die Prädikation Gottes als eines mit bestimmten Eigenschaften ausgestatteten bestimmten Wesen verbindet die christliche Gottesrede mit außerchristlichem reden vom Göttlichen, im besonderen mit dem begrifflichen Monotheismus der abendländischen Philosophie. Im Lichte der eigentümlich christlichen Gotteserfahrungen (§§18-20) hat dieser Zusammenhang jedoch nur den Rang eines kontingenten kulturellen Datums.

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Die christliche Gottesrede kann nämlich nicht von einer gegebenen Einheit „Gott“, d.h. von einem homogenen Gottesbegriff ausgehen, sondern hat den durchsichtig-stimmigen Einklang aller Gotteserfahrung als eschatologische Zukunft noch zu erhoffen und stets auch zu erbitten. Sie darf die Selbigkeit eines „Wesens“ Gottes allerdings schon jetzt doxologisch antizipieren: im Lobpreis der Erfahrungen der schöpferischen, der versöhnenden und der heiligen Werke Gottes als Selbstoffenbarung des in allen Erfahrungen und in allen Zeiten treuen, daher des wahren Gottes. § 22 Die Eigennamen Gottes Definition: Eigentümlich christlich ist eine Gottesrede, wenn sie das Wort „Gott“ so gebraucht, wie der ewige Gott sich in Zeit und Raum seiner Schöpfung selber als wahrer Gott offenbart, d.h. in Jesus Christus und im Zeugnis des Heiligen Geistes mit „Eigennamen“ benannt hat. Diese trinitarische Gottesrede ist nur möglich im Gefolge jenes Reden und Handelns, in dem Gott selber uns an seinen Leben als Liebe (seinen Sein, seinem Wesen) Anteil gibt und auf diese Weise seine Gottheit behauptet. Der „Sitz im Leben“ dieser Gottesrede ist daher der christliche Gottesdienst, speziell das Gebet, in dem die menschliche Prädikation des Göttlichen, in dem auch unsere Anrede an dem „persönlichen“ Gott zu unserem Sein in Gott,d.h. im Leben in der Perichorese der göttlichen Personen wird. Die Trinitätslehre ist eine notwendige dogmatische Reflexion zweiter Ordnung, in der die strikte Nachrangigkeit aller, auch der christlichen Gottesrede gegenüber dem Reden und Handeln des einen wahren Gotts zum Ausdruck gebracht wird. Sie wird von der neuzeitlichen Kritik der Trinitätslehre nicht unmittelbar betroffen; jene Kritik stellt vielmehr eine Äußerung abstrakt gewordenen Monotheismus dar.

Spuren der Dreieinigkeit Gottes: These - Antithese - Synthese (Hegel) Das Leben ist nicht Identität, sondern auch beim Menschen ein hin, her und zurück, also

auch trinitarisch. 1. Die klassische Trinitätslehre

Wie die Christilogie und Pneumatologie relativ spät entwickelt: una substantia, tres hypostasiae. Diese Spannung muß bis zum jüngsten Gericht bestehen bleiben.

Deutliche konfessionelle Unterschiede: In der orthodoxen Kirche hierarchisch gegliedert Vater-Sohn-Heiliger Geist (Emanation!), ihnen ist die Dreifaltigkeit wichtig, deswegen Ablehnung des „filioque“.

Beim Beten: Erinnerung - Vernunft - Wille entspricht ursprünglich dem Vater (erzählbar), dem Sohn (Differenz) und dem Heiligen Geist (Wiedervereinigung).

Evangelisch: Gefahr der Drei-Götter-Lehre; ABER: Gott ist nicht Sein, Gott ist Leben. Trinität als Geheimnis. Es gibt kein trinitätstheologisches Denken, aber es gibt

trinitarisches Denken von Gott der Mensch wird: gelungene Identität, gelungene Kommunikation.

Minimalkonsens: Gottesprädikate werden durch trinitarisches Denken modifiziert. Gott ist nicht zeitlos ewig, sondern auch zeitlich ewig (Jesus Christus). 2. Die Kritik und die Rekonstruktion der Trinitäslehre

Die Schrift und die Vernunft wurden wichtig.

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Gott ist die ferne, ewige Weisheit; Subjektivierung des Personenbegriffes (substantia incommunicabilis).

Gott als homogene Einheit, der Aspekt der Differenz, der Kommunikation wird ausgeklammert.

Wahrnehmung, daß die Bibel keine Trinität enthält, denn Gott kann nicht anthropomorph sein.

Harnack: Gott ist schon so radikale Liebe, daß der Sohn nur noch der Überbringer dieser Liebe ist (trinitarischer Symbolismus, metaphorisch).

Die Gegenbewegung versuchte die Probleme in die Trinitäslehre einzupacken (Oettinger, die spekulative Theologie [Hegel]). Das Leben ist mehr als Sein, die Fülle der Lebenserfahrung macht das Leben aus. 3. Die Wiedergewinnung des Trinitätsbegriff

K. Barth: immanente Trinität: Gott der Offenbarer (Vater), Offenbarung (Jesus Christus) und offenbar sein (Heiliger Geist).

Moltmann: die Einheit Gottes ist erst im Eschaton erreicht. Pannenberg: die Welt als Geschichte Gottes. Mildenberger: Gottesbegriff als Gotteserzählung. Gott selbst beantwortet die Trinitätsfrage.

§ 23 Das Leugnen Gottes Definition: Im Horizont möglichen Redens vom wahren Gott (im Namen Jesu Christi und in der Kraft des Heiligen Geistes) ist der Gebrauch des Wortes „Gott“, nun für das „kündlich große Geheimnis“ gleichermaßen unerzwingbar wie selbstverständlich. Dem gegenüber wird das auch nunmehr noch mögliche Leugnen des wahren Gottes im Atheismus zum Rätsel und zur Anfechtung. Praktischer wie theoretischer Atheismus sind immer, doch in sehr unterschiedlicher Weise, auf gegebene, v.a. kirchlich-religiöse Praxis oder gar christliche Theologie bezogen; die Auseinandersetzung mit Atheisten muß daher differenziert und konkret geführt werden. Das wichtigste Argument ist jedoch stets der Vollzug der christlichen Gottesrede, d.h. der Lobpreis Gottes. Die Möglichkeit der apologetischen Argumentation liegt darin, daß im Lobpreis des wahren Gottes auch das relative Recht der Leugnung menschlicher Gottesrede zur Geltung kommt. Die christliche Gottesrede kann sich daher letzlich nicht auf sich selbst (ihre Rationalität, ihre Moralität,...) berufen, sondern muß stets Gott selbst bezeugen: Sie darf von Gottes „großen Taten“ erzählen, durch die Gott unser bejahendes und unser verneinendes Reden von Gott an sich zieht und verwandelt.

Der Atheismus-Vorwurf bezog sich anfangs auf die Christen: sie haben sich nicht am Staatskult beteiligt; intelektuelles Motiv: Wer Gott so radikal von der Welt unterscheidet, kann Gott nicht wirklich glauben.

Platon: Ablehnung des Polytheismus, denn er erklärt nichts. Zusammen mit der Götzenkritik des Epikur bilden sie die Wurzel des Atheismus.

Naturwissenschaftlich motivierter Atheismus. Ausgerechnet in der Theologie überwintert das klassische moderne Weltbild.

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Vorstellung einer Civil Religion: Bezeichnung für eine allgemeine, unkonfessionelle Religiosität, die religigiöse und politische Werte verflicht. Darin darf der Staat nur vorletzte Instanz sein (Hobbes). I) Feuerbach: Theologie ist Anthropologie, Gott ist eine Projektion des Menschen. II) Nietzsche: Es ist willentlicher Selbstbetrug, wenn wir von Wahrheit sprechen; wir haben

Gott getötet. Religion ist ein Phänomen der Schwachen, ein Ausdruck der Angst. Kritik an der abendländischen Kultur, an Platon, an den Idealismus.

III) Freud: Religion ist eine Zwangsneurose, infantil. IV) Moser: Gottesvergiftung, Anklage an Gott. Dritter Teil: Jesus Christus und der Mensch Kapitel I: Die Frage des Menschen nach sich selbst

Die Anthropologie wird in der Regel in der Schöpfungstheologie behandelt. Das ist insofern problematisch, daß die Frage „Was ist der Mensch?“ nie neutral, sondern immer in seiner Gottesbeziehung beantwortet werden kann, die Rede vom Menschen ist also kein neutraler Tatbestand.

Der Begriff des Menschen ist kein empirischer Begriff, es sind normative Begriffe. Eine theologische Anthropologie muß sich also auf konkrete Menschenbilder beziehen. Die formale Verknüpfung von Christologie und Anthropologie ist die Kultur (das Selbst und das Verhältnis des Menschen). Jede Kultur hat auch Erinnerungen, die christliche die Erinnerung an Jesus Christus. § 24 Humanwissenschaftliche und theologische Fragestellung Definition: Die Frage des Menschen nach sich selbst ist (1) eine universale Frage: Alle kulturellen Phänomene sind auch implizite Antworten auf die Frage nach dem Menschen. Explizit wird das Fragen nach uns selbst in der religiösen Praxis, in den Künsten und in den Wissenschaften. Die Frage ist (2) eine zirkuläre Frage: Sie setzt auch schon voraus, wonach sie fragt; deshalb ist sie eine unabschließbare und sogar eine abgründige Frage, da sie stets Aspekte der Würde und Aspekte des Elends des Menschen stößt. Der Gegenstand der theologischen Anthropologie ist (3) der ganze Mensch und sind alle Mensche. Die hierin eingeschlossenen Annahmen machen das christliche Menschenbild aus. Die Behauptung, daß jeder Mensch sich erst dann wirklich wahrnimmt, wenn er sich in einer Geschichte mit Gott befindlich sieht und verhält, in der sein Selbstverhältnis und sein Verhältnis zur Welt zu ihrer Wahrhet kommen. Die Behauptung setzt die theologische Anthropologie zur (4) humanwissenschaftlichen Anthropologie in Beziehungen des Lernens, aber auch des Gegenübers.

Der Mensch ist von Natur aus ein Selbstverhältnis. Im christlichen Menschenbild steigert sich die Komplexität der Frage „Was ist der Mensch“ (Augustin: „Ich bin mir selbst zur Frage geworden“). Christus ist das Gegenbild zum Antitypus Adam. Es ist ferner nur eine Charakteristik des Geheimnis Mensch möglich, keine Lösung.

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1) Die Universalität der Frage

Alles kulturelles Handeln drückt den Menschen aus und definiert ihn. Kultur teilt sich auch in die smiotische (Sprache), materielle (Werkzeuge usw.) und soziale Kultur (Staat, Gesellschaft).

Der Mensch ist ein selbst-bewußtes wesen. Wir legen uns aus und definieren uns dadurch. Wir definieren uns durch unsere Selbstauslegung. In meiner Reflexivität gibt es eine Doppeldifferenz, nämlich zwischen mir und meiner selbst (ich-ich) und zwischen mir und anderen Menschen (ich-andere). a) Religiöse Praxis: In der religiösen Praxis erkennen wir unsere Sterblichkeit. „Erkenne

dich selbst“ ist kein Imperativ, sondern eine Verheißung, ein Zuspruch zu unserer Identitätssuche.

b) Die Kunst: Das Bild des Menschen: „Viel ungeheuerlicher ist nichts als der Mensch“ (Sophokles „Antigone“).

c) Die Wissenschaft: Abstrahierende Aussagen über das Sein des Menschen. 2. Die Zirkularität der Frage

Methodisch sind wir nicht in der Lage, die Frage nach dem Menschen zu beantworten, die Frage ist zirkulär und somit eine unabschließbare, sie ist eine abgründige Frage, die sich mit jeder Antwort neu stellt.

Die Frage „Was ist der Mensch?“ ist immer auch die Frage „Wer bin ich?“ und gewinnt somit für jeden Menschen persönlich existentiellen Charakter.

Der Mensch ist ein Kulturwesen, sein gesamtes Handeln ist kulturelles Handeln. Das Menschenbild setzt sich aus zwei Elementen zusammen:

i) das deskriptive Element ii) das Element des „Soll“, eine wertendes Element („Sein ist jemanden erscheinen“; „Das

Maß aller Dinge ist der Mensch“: Pythagoras). Eine Anthropologie ist folglich auch unabschließbar.

3. Der ganze Mensch und alle Menschen

Eine theologische Anthropologie muß von dem ganzen Menschen, von allen Menschen und von seiner/ihrer Beziehung zu Gott sprechen. Die Integration dieser drei Aspekte ist wichtig: das Gottesverhältnis, das Weltverhältnis und das Selbstverhältnis, denn Identität ist ein Phänomen der Interaktion (Erikson).

Mensch und Menschheit können nur symbolisch dargestellt werden, durch den Begriff des Adam-Christus (Monogenismus: Vorstellung, Gott habe wirklich ein erstes Menschenpaar geschaffen).

In der Adam-Christus-Typologie ist die Menschheit die symbolische Größe „Adam“ und Jesus Christus der „zweite Adam“. Sie erlaubt eine sichtweise vom Anfang her und vom Ender her.

Von einer Einheit der Menschheit zu reden ist nur a) als Bild oder b) als Prozeß/Geschichte möglich.

Ferner ist der Begriff „Wesen des Menschen“ durch „Bestimmung des Menschen“ zu ersetzen (Spalding), denn das Reden vom Wesen der Menschheit ist selbst ein kulturelles Phänomen.

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K. Barth: „Die Frage ‘Wer bin ich’ kann ich nur in Jesus Christus beschreiben.“ Hier fehlt jedoch de deskriptive Teil der Frage.

Die theologische Anthropologie unterscheidet sich von anderen Anthropologien wie etwa der philosphischen, daß sie eben diese zwei Elemente des Deskriptiven und des chrisltlich perspektivierten Werten in sich trägt. Sie ist keine Vereinfachung der Anthropologie, denn die Antwort auf die Frage ist immer extra me und extra mundus. 4. Theologische Anthropologie in Beziehung mit der humanwissenschaftlichen Anthropologie

Es ist ein Verhältnis des Lernes und des Widferspruchs, nicht der Überlegenheit oder der Unterlegenheit. Die theologische Anthropologie hat mit dr philosophischen drei Aspekte gemeinsam: I) Der Mensch wird in seiner Ganzheit betrachtet, er hat nicht nur einen Leib, er ist ein Leib. II) Das Vrhalten des Menschen ist ein Sich-Verhalten zu sich, zur Welt, zu Gott. Die

Relationalität des Menschen ist wichtiger als seine Substanzbestimmung. III) Der Mensch wird im Rahmen des Materiellen gesehen, er hält aber immer eine

Sonderstellung inne, Anthropologie ist somit immer auch eine ökologische Anthropologie. 5. Vertreter der philosophischen Anthropologie I) Martin Heidegger („Sein und Zeit“ 1927): Er entwickelte eine Daseinsanalytik: Was

Wirklichkeit ist muß man am Dasein des Menschen sehen. In der Analyse des Daseins des Menschen kann man entdecken, welche Strukturen (Existentialien) er hat. Es aber ist keine empiristische Phänomenologie, sondern sie induziert Tatsachen.

II) Max Scheler: Alles Menschsein ist weltoffen. Er verzichtet auf den Wesensbegriff. Der Mensch hat ein Selbstverhältnis, sas ihn weltoffen macht, was den Unterschied zum Tier darstellt (Sonderstellung des Menschen).

III) Helmut Plessner: Die Exzentrische Positionalität des Menschen: Der Mensch ist biologisch zentral organisiert, aber außerdem kann er über sich hinaus und auf sein Handeln sehen (Selbstreflexion).

IV) Arnold Gehlen: Er greift Plessner auf. Der Mensch ist seiner Ansicht nach von Geburt an ein Mängel-Wesen und ein Kulturwesen („Alle Institutionen kommen aus dem Kult“).

V) Paul Ricoeur: „Das Selbst ist ein Anderer“. § 25 Die anthropologische Aufgabe der Dogmatik Definition: Die Aufgabe der Dogmatik ist es, die Selbstwahrnehmung des Menschen als in der Welt lebendes Wesen und seine Annahmen über den Sinn des Lebens (seine „Bestimmung“), auch die Selbstwahrnehmung und -ausrichtung von Christen, in der Perspektive des christlichen Glaubens zu revidieren. Die Formulierung einer christlichen Anthropologie steht vor besonderen Problemen in der Verknüpfung von Deskription (Analyse) und Norm (Perspektive), weil diese beide Instanzen nie rein, sondern immer schon und immer neu vermittelt auftreten.

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1. Die methodische Anthropozentrik

In der evangelischen Tradition war die Erkenntnis Gottes und des Menschen Gegenstand der Theologie („der sündigende Mensch und der rechtfertigende Gott“ Luther). Die anthropologie wurde somit in die Soteriologie verlagert.

Methodisch gesehen ist das Erfahrungstheologie (sola experientia facit theologia), die Bestimmung des Menschen in der Perspektive des christlichen Glaubens deren Maß Jesus Christus ist.

Das Problem der Anthropozentrik: Bei einer methodischen Anthropozentrik müssen sich alle Aussagen über Gott auf die anthropologische Grundlage zurückführen lassen. Es erfolgt eine Beschränkung auf die Perspektive der Selbsterfahrung. Deswegen richtete sich im 20. Jahrhundert die Theologie (Bultman/Barth) gegen jeden Anthropozentrismus. Das hat zur Folge, daß die Anthropologie zum eigenn Thema wird (um 1930). 2. Christologische Anthropologie des 20. Jahrhunderts

Karl Barth: Die Theologie ist die Instanz für Menschliches, aber deswegen müssen wir in ihr von Gott und nicht von uns reden. Nur wenn wir von Jesus Christus reden, reden wir um unser selbst willen. Alles was christliche Theologie über den Menschen sagen will, muß sie von Jesus Christus ableiten. Die Anthropologie wird somit Teil der Christologie.

Der Mensch ist der werdende Mensch, das Mensch-werden ist unsere Aufgabe, den Ansatz finden wir beim wahren Menschen Jesus Christus.

Der Mensch als Bundespartner Gottes zeichnet sich aus i) durch seine Mitmenschlichkeit als der Grundform der Menschlichkeit ii) durch seine Ganzheit, der Mensch ist immer der ganze Mensch (ganzheitliche

Anthropologie) iii) durch seine Zeit, der Mensch hat seine Zeit.

Schwäche der Anthropologie: die beliebige Rolle des phänomenologischen Aspekts, die Deskription fällt raus. 3. Die apologetische Anthropologie

Methodische These: Die theologische Anthropologie gibt eine Antwort auf die Selbsterfahrung des Menschen. Bultmann: „Will man von Gott reden, muß man von sich reden“, das ist kein Anschluß an die naturwissenschaftliche Anthropologie, sondern an das existentielle Selbstverständnis. Wie Heidegger nimmt er Existentialien an (formale Strukturen des Menschen, z.B. „Sorgen“).

Paul Tillich: Jeder Mensch ist von der Verkündigung des wahren Menschens Jesus Christus ansprechbar. Das Reden des Menschen über Jesus Christus und den Menschen kann nie aus der Kommunikation zwischen Menschen heraustreten. Der Mensch ist kontinuierlich nach dem Sündenfall Geschöpf und Ebenbild Gottes. Der Sünder verweigert sich nun seiner Geschöpflichkeit.

Stärke dieses Ansatzes ist seine Offenheit für die Selbsterfahrung des Menschen. Das Problem: Die Menschen sind nur scheinbar Dialogfähig

Zwei generelle Probleme: Der Begriff „formale Struktur“ wird zum Einen abstrakt und zum anderen konkret gebraucht. Und zweitens besteht weiterhin nur ein abstrakter Begriff von „Mensch“.

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4. Transzendentale Anthropologie (Karl Rahner)

Jeder Mensch ist „Hörer des Wortes“. Der Mensch lebt immer in einem sich übersteigenden Horizont, denkt der Mensch nach, ist er mehr, als er ist. Die Exzentrizität des Menschen (vgl. Plessner) ist die Selbsttranszendenz des Mensche. Der Mensch ist so offen auf das Unendliche. In allen Existentialien ist der Mensch sich überschreitend

„Anonymer Christ“: Der Mensch lebt in Vorgriff auf etwas, was er noch nicht weiß, aber was ihm die sukzessive Offenbarung klarmacht: er lebt in Gott. 5. Anthropologie im Dialog

Aus den Punkten 1)-4) hat man gesehen, daß eine Anthropologie stets implizit normativ und zirkulär ist und deswegen der Kritik bedarf.

Eine nthropologie unterliegt immer einen dialogischen und pragmatischen Kriterium. Das Subjektivitätsprinzip der Anthropologie des 20, Jahrhunderts, das als klassisches Paradigma den Menschen als Subjekt benutzt ist strittig geworden.

In der klassischen Anthropologie wird die Gottesebenbildlichkeit des Menschen statisch aufgefasst. Pannenberg: Die Ebenbildlichkeit ist dynamisch, ein „auf den Weg gestellt sein“. Drei Teile: I) Der Mensch in der Natur und die Natur des Menschen. Exzentrische Positionalität: die

richtige Weltoffenheit macht die Gottesebenbildlichkeit aus. Der Mensch steht zwischen Ich-Zentriertheit und Weltoffenheit. Wenn die Zentralizität zur Ichzentriertheit wird geschieht Sünde.

II) Der Mensch in seinem sozialen Kontext. Hier bildet er seine Identität. III) Die Kulturanthropologie. Wahres Menschsein ist antizipiert in Jesus Christus und diese

Vorwegnahme motiviert den Menschen. Dogmatische These: Die Gottesebenbildlichkeit ist nicht protologisch als ein fertiger

Tatbestand zu sehen, sondern muß sowohl als ein protologischer als auch als ein eschatologischer Begriff gebraucht werden. Sünde ist der Widerstand gegen die Exzentrizität, also die Ichzentralizität. Kapitel II Adam und Christus: der alte Mensch § 26 Das Selbstsein des Menschen als Geschöpf und als Sünder Definition: Die (Selbst)-Wahrnehmung des Menschen in der Perspektive Jesu Christi bedeutet eine äußerste Steigerung der Vielfalt und Uneinheitlichkeit des Selbstbildes bis zur Gegensätzlichkeit des menschlichen Seins als Geschöpf, das aus Gottes Segen lebt, und des Sünders, die sich verhält, als sei Gott sein Konkurrent und Widersacher. Ein Christ kann als „neuer Mensch“ diesen „alten Menschen“ als solchen erkennen, er (er)lebt diesen Unterschied jedoch noch täglich in sich. Dies bedeutet jedoch (1) keine dualistische oder hierarchische Anthropologie, widerspricht vielmehr der Abwertung des Stofflich-Leiblichen gegenüber dem Vernünftig-Geistigem; es läßt sich andererseits nicht (2) in den zentrierten anthropologischen Begriffen „Wesen“ (oder „Substanz“) und „Subjekt“ (oder „Identität“) zum Ausdruck bringen. Die Veränderungsgeschichte eines Christen als Geschöpf, als Sünder und als Erlöster erfordert vielmehr (3) einen Begriff des menschlichen Selbst, der das exzentrische, responsorische und teleologische Werden des Menschen in jener Geschichte zum Ausdruck bringt.

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Das Ich ist stets auf dem Weg, es ist nicht statisch. Jeder Mensch ist ganz Sünder und ganz Geschöpf.

1. Ausschluß der anthropologischen Theologie

Es gilt das dualistische Weltbild zu überwunden, die Vorstellung der guten Seele und des schlechten Leiblichen.

Wann entsteht der Mensch/die Seele? Röm.-kath.: Gott schöpft jedesmal neu (Kreatianismus: Anschauung, jede Seele sei eine Neuschöpfung Gottes). Diese Anschauung ging hervor aus dem Traduzianismus: Überzeugung, die elterliche Seele beseele bei der Zeugung den kindlichen Lebenskeim (Lehre von der natürlichen Fortpflanzung der Erbsünde).

Luth.: „es geht von selbst“; Esoterisch: Die Seele kommt von weit her und geht dann auch wieder weit weg (Dualismus!).

Dichotomie: Zweiteilung des Körpers in Leib und Seele; Trichotomie: Dreiteilung des Körpers in Leib, Seele, Geist. 2. Anthropologische Ökonomie

Statuslehre: status integritatis (Schöpfung), status corruptatio (Sündenfall), status redemptio (Erlösung), status glorificatio (Verherrlichung) und status damnatio (Verdammung.

Eine solche Lehre ist falsch, da das, was der Mensch ist, er in seiner Gesamtheit des Weges ist, er ist nicht nur ein einzelner Aspekt, den der Mensch durchläuft.

Der Mensch ist exzentrisch, responsorisch und zeitlich.

Identität ist das Selbstverständnis und das Selbstbewußtsein des Menschen, das Selbst des Menschen ist das Sein des Menschen, das von Gott geschenkt wird, seine von Gott geschenkte Schöpflichkeit. § 27 Der Mensch: Ebenbild Gottes Definition: Alle Menschen sind (1)Geschöpf Gottes, sich wie alle anderen Lebewesen geschenkt und uneinholbar vorausgesetzt. Indofern sie dies (als „Selbst“) wissen und (als Kulturwesen) vollziehen, sind sie (2) als Gottes Ebenbild geschaffen, d.h. als Mitmensch, als leibhaftes Selbstverhältnis und als befristete Existenz; als solche ist ihnen ein „Herrschaftsauftrag“ in der Schöpfung vertraut. Die menschliche Gottesebenbildlichkeit ist (2) nach dem Sündenfall nicht mehr als Gottesverhältnis („ursprüngliche Gerechtigkeit“) gegeben - als welche sie erst durch Jesus Christus wiederhergestellt wurde und seinetwegen uns erneut zugesprochen wird - sondern lediglich (4) als religiös ambivalente Moralität („Person“, „Frieheit“/„Gewissen“, „Verantwortlichkeit“).

Imago Dei - die Gottesebenbildlichkeit, die der Mensch nach dem Sündenfall - im Gegensatz zur similitudo Dei - behält (oder war es doch umgekehrt).

Dominium terrae - die Herrschaft der Erde/auf der Erde. iustitia originalis: die ursprüngliche Gerechtigkeit des Menschen vor dem Sündenfall

(ähnlich perfectio originalis). Conscientia: Mitwissen, Bewußtsein, Gewissen.

§ 28 Der Mensch: Sünder

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Definition: Die Selbsterkenntnis des Menschen als „Sünderin“ stellt (1) nicht einen möglicherweise gegebenen (a)moralischen Tatbestand fest, sondern meint eine Gestalt des Gottesverhältnisses, die (2) erst in dessen rechten Vollzug, also im gläubigen Gottvertrauen, sowohl erkannt als auch zugleich verlassen wird: die Selbstverfangenheit des Menschen im (hochmütig oder verzweifelt) abgründigen Mißtrauen gegen seinen Schöpfer. Der Begriff der Erbsünde bezeichnet (3) die Unhintergehbarkeit der verantwortlichen Sündhaftigkeit eines Menschen zu jedem Zeitpunkt seines individuellen Lebens, d.h. seine Teilhabe am menschheitlichem Erbe. Im Blick auf den einzelnen Menschen bedeutet sie (4) den Verlust der (gottebenbildlichen) Willensfreiheit gegenüber der Sünde, d.h. unhintergehbare Unfreiheit gegenüber Gott und gegenüber sich selbst.

peccatum actuale (Tatsünde) und peccatum originale (Erbsünde) Coram Deo (vor Gott) und coram hominibus (vor den Menschen) Concupiscentia: die sinnliche Begierde, nach Augustin und der mittelalterlichen Theologie

(mit Mangel an Gottvertrauen und Gottesfurcht) die Erbsünde; in der modernen katholischen Theologie die Folge von Adams Sünde und dem Menschen ein Anreiz zur Sünde.

Superbia (Hochmut) und desperatio (Verzweiflung) beides ruft das Mißtrauen des Menschen gegen seinen Schöpfer hervor.

Fomes peccati: Der Zunder, Zündstoff der Sünden; in der Scholastik als Naturanlage des Menschen verstanden (zuständliche Begehrlichkeit), dient auch nach der Taufe dem peccatum originis.

servum arbitrium: nach Luther der von der Erbsünde geknechtete, unfreie Wille (liberum arbitrium: der freie Wille, die Entscheidungsfreiheit im Verhältnis zu Gott). Kapitel III: Christus und Adam:: der neue Mensch § 29 Jesus der Christus (die Aufgabe der Christologie) Definition: Die Arbeit an der Frage Jesu „Wer meint ihr, daß ich sei?“ ist (1) stets notwendig, weil die Wahrhaftigkeit und die Wahrheit der Prädikation Jesu als des Christus Gottes nicht ein für allemal ineins fallen. Weil (2) das Fragen nach Jesus Christus eine zirkuläre Struktur hat, gibt es keinen einfachen „Ansatz“ der Christologie; darum ist auch (3) ihre Beschränkung auf den „historischen Jesus“ oder (4) auf den „kerygmatischen Christus“ unzureichend. Die (5) Auflösung der Wahrhaftigkeitsfrage bzw. des Wirkungskriterium in die (durch „Offenbarung“ beantwortete) Wahrheitsfrage vernachlässigt den kämpferiscvhen Charakter des Namens Jesus Christus im Zusammenhang der menschlichen Geschichte, aber auch des Kommens (des Reiches) Gottes. 1. Notwendigkeit der Arbeit an der Frage „Wer meint ihr, daß ich sei?“

Die Frage wird immer neubearbeitet, z.B. im Gebet. Unterschied zwischen Wahrheit und Wahrhaftigkeit. „Unser Urteil holt das, auf was es sich bezieht, nie ein.“ Nur weil ich eine wahrhaftige Aussage mache, heißt das nicht, daß sie wahr ist.

Jedes Bekenntnis zu Jesus dem Christus ist eine Pädikation. Das Bekenntnis zu Jesus dem Christus kann an lernen, da die Prädikate nicht ausschließlich auf Namen angewendet werden (Titel „Messias“ im Judentum und Christentum).

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Eine Christologie ist immer kontextuell, weil ihre Prädikate kulturell verfügbar sein müssen (Bücher und Filme über Jesus sind auch eine Prädikation). Deswegen ist die Frage nach dem wahren, nicht nur wahrhaftigen, Christus unausweichlich. 2. Der Ansatz der Christologie

Die christliche Prädikation ist relativ, aber nicht beliebig, die Prädikation muß dem Prädizierten entsprechen. Meine Prädikation ist nur darin wahr, daß es eine Selbstprädikation Jesu ist (Gott zeigt sich mir in dieser Weise). Das bedeutet eine Prädikation ist immer zirkulär, Jesus der Christus ist eine menschliche Prädikation und zugleich eine Selbstprädikation Gottes.

Bultmann: „Hilft Jesus mir, weil er Sohn Gottes ist oder ist Jesus der Sohn Gottes, weil er mir hilft?“. Die Tatsache, daß ich sagen kann „Is er der Sohn Gottes, weil er mir hilft“ setzt voraus, daß er mir hilft.

Eine Christologie ist also zirkulär, Jesus und der Christus darf man nicht linear betrachten. 3. Beschränkung auf den „historischen Jesus“

Das Problem der Prädikation: Die reduktionistische Form der Prädikation auf den hostorischen Jesus oder auf den kerygmatischen Christus (Evangelium = Predigt = Christologie, deswegen gibt es keinen historischen Jesus).

D. Fr. Stauß: Der historische Jesus ist ein Mythos, „die Jünger sind die Betrogenen“. Jesulogie: Nicht an Jesus glauben, sondern wie Jesus glauben. Der humanistische Versuch durch den Rückzug auf den historischen Jesus das Problem der

Christologie zu lösen ist gescheitert (Reduzierung auf Jesus den Lehrer). 4. Jesus als der kerygmatische Christus

Die Wirksamkeit der glaubenswirkenden Predigt ist die Wahrheit des Christus. Kierkegaard: Was wir von Jesus wissen, können wir vergessen, da es wieder menschlich

ist. Es genügt zu wissen, daß Gott mit ihm ein Ausrufezeichen gesetzt hat. Bultmann: „Es genügt das „daß“ des Gekommensein. Das reine Gottvertrauen ist richtig.

Problem: Vernachlässigung der religiös-praktischen Bedeutung des Erzählens von Jesus Christus. 5. Gegen den egozentrischen Aspekt Bultmanns

Jesus ist von Gott gesandt. Bultmanns Satz ist egozentrisch, das Gegenteil der Christologie. Denn Jesus der Christus ist die Selbstprädikation Gottes, es ist ein offenbarer Satz, der nicht von mir oder einem Glaubenden ausgedacht ist.

„Gott erzählt durch Jesus Christus“ (K. Barth), im Ereignis „Jesus Christus“ lesen wir ab, daß Gott sich als Gott der Menschen bestimmt und den Menschen als Menschen Gottes.

Die Prädikation Jesu ist nicht unsere Aufgabe, wir können nur der Selbstprädikation Gottes entsprechen, sie aber nicht sprechen.

Christologie ist somit die Entsprechung der Selbstprädikation Gottes (K. Barth). ABER: Das ist insofern problematisch, da so die Zirkularität aufgehoben ist und die

religiöse Praxis eben die Prädikation Jesu als irgendetwas christlicher Gottesoffenbarung, kein gottloses Vakuum. Barths Ansatz untergräbt die weltliche Wirklichkeit Gottes.

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Es gibt zwei Alternativen, die versuchen das Gott-Mensch-Verhältnis in Jesus Christus klar zu machen: I) Der Kampf Gottes gegen die Götzen wird in der Christologie formuliert (Pannenberg,

Jüngel, Moltmann). II) Christologie von unten: Drama zwischen Gott und Gott selbst spielt sich am Kreuz ab. § 30 Jesus Christus: Mensch und Gott „in Person“ Definition: Die christologische Lehrbildung der Alten Kirche - (1) unabweislich in einem veränderten religiösen Kontext - hat vorbildlich die Fragen bearbeitet (2) wie Jesus von Nazareth als „Gott“ geglaubt werden kann, (3) wie in Jesus Christus selbst die göttliche Würde und die menschliche Gestalt zusammenbestehen. Das damalige soteriologische Motiv äußerte sich dabei in der besonderen Aufmerksamkeit auf (3) die perichoretische Koexistenz von Gott und Mensch in der Personeneinheit „Jesus Christus“. (4) Die chalzedonensische Regel für jede christliche Formulierung für diese Koexistenz ist nach wie vor sinnvoll, verlangt aber zu klären, was dabei „Mensch“ und „Gott“ bedeuten. Der Gebrauch dieser Regel begründet (5) auch die Andacht vor dem Bild Jesu Christi. 1. Der religiöse Kontext

Der Indigenisierungsprozeß des Christentums hatte religiöse Folgen: eine Ausbildung einer Christologie.

aus dem AT und der hellenistischen Umwelt übernahm man Prädikate. Das Problem: die hellenistische Welt hatte andere soteriologische Struktur als das

Judentum oder das jüdische Christentum. Die zeitgenössische eilserwartung war eine unmittelbare, existentielle Heilserwartung. 2. Jesus von Nazareth als „Gott“

Ausprägung des Homoousie-Gedankens: In Jesus Christus ist Gott selbst Präsent (Gleichheit des Wesens von Christus und Gott, gegen eine bisherige subordinatianische Christologie [Arius]).

Der Streit um die Homoousie ist von der Angst die Errungenschaft des Monotheismus zu verlieren her verständlich.

„Was nicht angenommen wird, wird nicht geheilt“, d.h. wenn Jesus Christus nicht ganz Mensch ist, dann können wir nicht geheilt werden.

Jesus Christus muß also wahrer Mensch und wahrer Gott sein. 3. Göttliche Würde und menschliche Gestalt

Hier gibt es zwei Haupttendenzen: a) Die Antiochenische Schule (ethisch orientiert): Gott und Mensch nur in einer Willens- und

Handlungseinheit (Enosis schetikä), da Gott und Mensch so unterschiedlich sind. Erst durch den Heiligen Geist fließen beide Habita zusammen, was Jesus tut, tut er also aus diesen zwei Naturen. Maria ist die Christotokos (die Christusgebärerin). Hier herrschte ein Duophysitismus (Zwei-Naturen-Lehre).

b) Die Alexandrinische Schule (physisch orientiert): Geprägt durch die hellenistische Vorstellung einer Vergottung des Menschen. In Jesus von Nazareth begegnet uns die

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substantielle Einheit von Gott und Mensch, Jesus Christus ist die synthese von Gott und Mensch. Jesus Christus hat nur noch eine Natur (Monophysitismus; Enosis physikä), Maria ist Theotokos (Gottesgebärerin).

4. Die Personeneinheit „Jesus Christus“

In der Formel „ungetrennt und ungeteilt, unvermischt und unverwandelt“ werden beide Extrempositionen (Punkt 3) abgelehnt. Man geht von einer Eonsis hypostatikä (einer Hypostase) aus und versuchte die Personeneinheit besser zu beschreiben. In der kyrillischen Auslegung kommt die Anschaulichkeit der Personeneinheitzum Tragen: Jesus kann Dinge tun, die nur Gott tuen kann und Gott kann Dinge tun, die nur ein Mensch tun kann (leiden). Man nennt das eine theopaschitische Form, die sich vor allem gegen das Apathie-Axiom (ein leidensfreier Jesus Christus) wendet.

Es handelt also sowohl Gott als auch der Mensch. Von Gott und Mensch kann man nur reden, wie es im Evangelium geschrieben steht.

Hinter die Personeneinheit (concretum) kann man nicht mehr einen Schritt zurück ins Abstrakte (abstractum) gehen.

Perichoretisch: eine perichoretische (durchdringende) Koexistenz Jesu Christi, ein Begriff, um die Koexistenz Jesu Christi und Gott zu verdeutlichen (durchdringen, nicht vermischen).

Problem der Definition von „Gott“ und „Mensch“: werden beide Naturen ganz genommen folgt daraus, daß „Gott nicht mehr in die Natur des Menschen hineinpasst.“ (Jesus als unvollständiger Mensch und die göttliche Personalität). 5. Die Andacht vor dem Bild Jesu Christi

Der Gebrau der Regel „Ungetrennt...“ begründet auch die Andacht vor dem Bild Jesus Christus.

Bilderverbot in der Ostkirche. Lösung: Ikonen, die Jesus Christus darstellen und verehrt werden dürfen, denn mit dem Abbild verehre ich auch das Urboild (Gefahr des Mißbrauchs aber gegeben, wenn ich das Abbild statt dem Urbild verehre und nicht mehr ds Urbild im Abbild).

Zurück zur Vordergründigkeit, z.B.frommes Bibellesen: kein ständiges Hinterfragen, dessen Ergebnis feststeht: hinter Gott gibt es nichts mehr.

Gott hat uns in Jesus Christus sein Bild gesandt, deswegenhaben wir durch ihn das Recht zum Bild.

Das Bild „Jesus Christus am Kreuz“. § 31 Jesus Christus: Gott und Mensch am Werk Definition: Die in einem wiederum anderen kukturellen Kontext entwickelte Christologie des lateinischen Westens prädiziert Jesus als den Christus vorrangig imBlick auf sein Heilswerk. Es wird beschrieben (1) als „stellvertretende Genungtuung“ menschlicher Schuld (Anselm von Canterbury), dies korrigierend (2) als „dreifaches Amt“ des Propheten, Priesters und Königs (Calvin) und negierend (3) als Offenarung der verzeihenden Liebe Gottes (Abaelard, Ritschl). Das (4) reformatorische Christusbekenntnis, erneut von einer veränderten Frömmigkeit („Rechtfertigung sola fide, solo Christo“) geprägt, führt zu wichtigen christologischen

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Neubildungen. Allerdings entwickelt (5) die reformierte Dogmatik eine eher am Handeln des gottmenschlichen Mittlers orientierte heilsgeschichtliche Christologie („antiochenisch“); dagegen artikuliert (6) die lutherische Christologie die sakramentale und mythische Präsenz des ganzen Gottesmenschen, d.h. der Person Jesu Christi („alexandrinisch“).

Der lateinischen Westen barg eine eigene religiöse Welt, die nach Rom ausgerichtet war. Die östlichen Frömmigkeit war mehr physisch/metaphysisch orientiert. Die Menschwerdung Christi wurde verbunden mit dem Ostergeschehen verbunden. Die westliche Frömmigkeit war eher juridisch/moralisch orientiert, war an einer Wiederordnung, sprich Versöhnung der Welt interessiert. Die Inkarnation wurde daher mit dem Kreuzesgeschehen verbunden (Tertullian, Pelagius, Augustinus). Es war eine indigene Christologie. In der Reformation bildete sich erneut eine indigene Christologie heraus. 1. Die satisfactio vicaria (Anselm von Canterbury)

Der Mesch beleidigt als Sünder die Würde Gottes. Gott kann nun auf seine Ehre verzichten oder den Menschen für seine Sünde bestrafen. Beides ist für ihn jedoch unmöglich, da Gott sowohl Allmächtig ist als auch Liebe. Deswegen muß die Ehre wiederhergestellt werden, worauf das Sühneopfer (satisfactio) folgt, d.h. Gott muß selbst versöhnen, er fügt in die Schöpfung eine ordo rerum ein; daraus folgt, es gibt objektiv die Größe „Schuld“, der Versöhner muß demzufolge ganz Gott sein, um die ordo rerum zu ändern und ganz Mensch, ?weil er in der Welt eine weltliche Ordnung ändern muß?

Problem: Diese satisfactio vicaria ist eine kalte Theorie, die Argumentation wird unter Absehung von Jesus Christus geführt, es ist eine Art natürlicher Theologie (ordo/rex rerum), eine falsche Objektivität der Versöhnung ist die Folge. 2. Das dreifache Amt (Calvin)

Aus einer Auslegung der Christustitel kommt Calvin auf ein officium munus Christ triplex: das prophetische Amt (der Verkündigung des Gotteswissen), das priesterliche Amt (das versöhnende Handeln Jesu Christi in und an der Welt) und das königliche Amt (Weltregierung des Erhöhten). Jesus Christus ist nicht nur das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, er tritt bei Gott für uns ein, er handelt als Priester bei und an uns, er beteiligt sich selber.

Eine inklusiv formulierte Christologie! Das munus regium, das Herrschen des des Auferstandenen zur Rechten Gottes wird

differenziert: a) Regnum potentiae: die Weltherrschaft b) regnum gratiae: Herrschaft über die Kirche/Leib Christi. Problem der Herrschaft: Wie passen die Dienstbarkeit Jesu Christi und die göttliche Allmacht mit dem Herrschaftsverständnis zusammen?

Es folgt eine integrale Christologie, eine Ämter- und Werkchristologie, welche die Satisfaktionslehre ersetzt. 3. Jesus Christus als Offenbarung der verzeihenden Liebe Gottes (Abaelard, Ritschl)

Jesus ist darin Christus, daß er uns Gottes Liebe offenbart; Abaelard: „Gott ist Liebe, die unsere Gegenliebe erweckt“. Luther: „Gott ist ein Backofen der Liebe. Woran sehen wir das? Am Kreuz!“ Eine satisfactio vicaria wäre unmoralisch.

Ritschl: Die Rede vom Zorn Gottes ist anthropomorph, die Strafe ist die Sünde selbst. Jesus predigt und personifiziert die Liebe, sein Tod besiegelt das. Es ist eine Christologie von unten.

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ie reformierte Tradition ist also mehr an der actio Gottes interessiert, während die lutherische Tradition an der praesentia Gottes interessiert ist. 4. Das reformatorische Christusbekenntnis

Rechtfertigung ist das Ende der Rechtsgläubigkeit, weil sie das meritum (Verdienst) -Prinzip herausnimmt; sie kann somit selbst als eine Christologie bezeichnet werden.

das Werk Christi ist die Gegenwart seiner Person (bei Luther selbst in seiner Rechtfertigungs- und Abendmahlslehre eine Ubiquitätslehre: Jesus Christus ist als Gott und Mensch überall). „Gott ist uns näher als wir selbst“ (Luther).

Die Lutherische Theologie ist eine Revision der westlateinisch-mittelalterlichen Theologie zugunsten der altkirchlichen Theologie

Die Tridentinische Christologie bekräftig die westlateinische Theologie. Gegen Luther führt sie an: Jesus Christus ist nur nach seiner Menschheit Versöhner der Menschheit Die Inkarnation ist ein Ermöglichungsgrund der Versöhnung (Instrumentalisation / verdienstliches Handeln); sola gratia gilt für Gottes Menschwerrdung, nicht mehr für den Mensch gewordenen. Das reformatorische Christusbekenntnis ist also am Sein des Menschen orientiert, das

katholische am Handeln des Menschen. Antiochenisch: „Zwei-Naturen-Lehre“; Alexandrinisch: Personeneinheitslehre

5. Die reformierte Christologie

Karl Barth hat mit Luther die Orientierung an der Rechtfertigung gemeinsam. Die praesentia Gottes spielt bei ihm jedoch eine geringere Rolle, für ihn ist die actio Jesu als Mittler wichtiger (keine Realpräsenz und Ubiquitätslehre). Jesus ist nach seinem Logos überall, nach seinem Körper, als Jesus als Mensch, im Himmel. Das Interesse besteht ion dem Mensch als vollkommenes Instrument Gottes.

Extra Calvinisticum? Communicatio idiomatum: Mitteilung der Eigentümlichkeiten. Luther: Man darf die Inkarnation im Geiste nicht rückgängig machen! Das Hauptaugenmerk der reformierten Christologie lag und liegt auf dem Handeln und

dem Mensch als Instrument; daraus entstand die Lehre vom dreifachen Amt (s.o.). Duplex status: Die Personeneinheit fordert, daß Jesus sich erniedrigt hat und Gott wieder

erhöht wurde. Exinanitionis (Erniedrigung, Entäußerung, griechisch: Kenosis) und exaltationis (Erhöhung). In der reformierten Tradition: Entäußerung des Logos in einen Mensch hinein 6. Die Lutherische Präsenztheologie

An zwei Stellen praesentia Jesu Christi: im Sakrament und im Gebet (Luthers De unione mystica: Ort der mystischen Einigung ist das Gebet.)

In der Christologie rücken hier die Personen immer näher; Vorwurf der reformierten Theologie: „Ihr macht ein neues Dogma“.

Streit Gießen-Tübingen: Krypsis (Verbergen) oder Kenosis (Erniedrigung) der göttlichen Eigenschaften des irdischen Jesus.

In der Lutherischen Präsenztheologie ist die communicatio idiomatum (Mitteilung der Eigentümlichkeiten), der gegenseitige Austausch zwischen Gott und und Mensch in Jesus Christus (Perichorese) stark ausgeprägt (genus majestaticum). Vorwurf: Der Mensch wird vergottet. ABER: es handelt sich hier nicht um eine Verschmelzung zweier Naturen, sondern

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um die Perichorese der zwei Naturen ohne Eigenschaftsverlust der zwei Naturen. Dem genus majestaticum ist das genus tabernoiticum entgegengestellt, sonst wären menschliche Eigenschaften auf Gott übertragen, in dieser Hinsicht ist Gott aber apathisch.

Es zeigt sich, daß die Interessen, die hinter einer Christologie stecken, sehr verschiedensind. Zusammenfassend kann man sagen, daß in der reformietrten Tradition die actio, also Gott und Jesus Christus als zweck-und handlungsorientieres Wissen, im Mittelpunkt steht, während es n der lutherischen die praesentia, die gelungene Kommunikation zwischen Gott und Mensch, ist. § 32 Jesus Christus: Der neue Mensch Definition: Die modernen Rekonstruktionen der Christologie (1) nehmen an, daß der Mensch Jesus von Nazareth (Leben, Verkündigung, Sterben) die Prädikation „der Christus“ impliziert (Das Verhalten Jesu schließt die Vollmacht mit ein, implizite Christologie) und daß seine Auferweckung (bzw. seine Gegenwart durch den Heiligen Geist im Glauben) die Explikation dieser Prädikation in immer neuen Gestalten auslöst und rechtfertigt. Die zunächst ausgearbeiteten Christologien müssen jedoch als problematisch gelten, sowohl (2) die Prädikation Jesu als Prinzip als auch (3) die Prädikation Jesu als Urbild wahren Menschseins. Die (4) neueren Christologien versuchen demgegenüber zurecht, die anthropologische Engführung aufzubrechen, indem sie die Christusprädikation aus der Geschichte Gottes und Jesu am Kreuz und im Kontext Israels (z.B. Karl Barth) oder vorrangig aus der Auferweckung des Gekreuzigten begründen (z.B. Wolfhart Pannenberg). Die Frage nach Jesus Christus, die zugleich die Frage des Christenmenschen nach sich selbst beantwortet, wird konkret (5) in der Bewegung zwischen drei Lebensvollzügen: im Gedächtnis Jesu von Nazareth (memoria), im Bekenntnis zu Jesus als dem Christus (credere), im Leben in Jesus Christus (esse). 1. Die modernen Rekonstruktionen der Christologie

Der anthropologische und theologische Grund einer Rekonstruktion: Es ist unerschwinglich geworden von einer menschlichen („Wie ist der Mensch an sich“) und einer göttlichen Natur („Wie ist Gott an sich“) zu reden.

Jesus von Nazareth wurde also historisch zurückgestellt (vornehmlich durch die historisch-kritische Methode), es fand eine Dekanonisierung, eine historische Relativierung Jesu von Nazareth statt. Das sind zwei Gründe gegen eine Christologie von oben.

John Hick: „The myth of god incarnat“: Die Inkarnation Gottes sei ein Mythos, was bereits David Friedrich Strauß behauptet hat. ABER: Inkarnation kann zwar Bestandteil einer mythischen Sprache sein, das sagt aber noch nichts über Gott und Mensch aus.

Im 20. Jahrhunder wurde es zur Aufgabe der Christologie die Begründung der Wahrheit ihrer selbst. Der historische Jesus gibt an sich keine Christologie her, wir haben nur das christologische Zeugnis der Bibel, d.h. Grundlage der Christologie ist das christologische Bekenntnis.

Die Lebensgeschichte Jesu ist eine implizite Christologie und deswegen Ausgangspunkt für jede Christologie. Person und Werk Christi werden identisch, „Sein Werk ist sein Sein“, woraus die explizite Christologie folgt. Die Wahrheit des neuen Menschen wird durch das Handeln Gottes an ihm und durch ihn sichtbar. In Jesus Christus haben wir dieses wahre Mensch sein.

Die Prädikation Jesu als Christus ist relativ zur religiösen Umwelt, in der diese Darstellung repräsentiert.

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2. Jesus Christus als Prinzip (oder: Idee) des wahren Menschseins

Die modernistische Christologie hat die Realisierung des wahren Menschseins zum Ziel (wir werden durch Jesus Christus existentiell betroffen, weil sein Menschsein für das wahre Menschsein das Prinzip verkörpert). Jesus Christus ist der erste Träger des wahren Menschsein nach Adam .

Extrem (Leibnitz; Kant): Jesus ist nur eine zufällige Erscheinung des wahren Menschseins. Das ist eine sehr doketische Auffassung, denn Jesus ist hier nur scheinbar Gott, er lehrt uns lediglich, was wahres Menschsein ist.

Kant: „Jesus Christus ist der historische, also zufällige Name für eine Menschenidee“ (Humanitätsbild). Kant sagt aber auch: Jesus ist nicht nur ein Beispiel sondern auch das Urbild (nicht Vorbild, denn das ist mir fremd und aufgedrückt, ein Urbild ist mir nicht fremd, es ist etwas, das zu mir gehört). Der Tod Jesu ist jedoch die konsequente Lebensfolge, nicht Heilsgeschichte. ? Entäußerung des göttlichen in das irdische, spekulativer Freitag.

Esoterisch geprägte Tiefenpsychologie: Jesus Christus ist der Archetyp der Wahrheit, Auferstehung etc. sind allgemeine Symbole.

Feministische Christologie11: Androgynchristologie („Jesus war kein Macho“) führte zum Antijudaismus; Jesus ist ein Beispiel der Inkarnation des Göttlichen. 3. Die Urbildchristologie

Korrektur des Doketismus aus Punkt 2, entstanden aus der pietistischen Frömmigkeit. Die Verwirklichung des wahren Menschseins (= das vollkommene Gottesbewußtsein) ist

die Göttlichkeit Jesu (erlebt es auch!). Der Glaube Jesu ist seine Göttlichkeit. Das Leben Jesu wird zum Stoff der Prädikation Jesu als des Christus = Urbild; Jesus

Christus als Versöhner der Menschheit, diese Heilung ist die vervollmmnete Natur des Menschen.

Die Urbildlichkeit Jesu besteht darin, daß ein neues Gesamtleben (Schleiermacher) entsteht (= Gottesreich).

Das Gewicht liegt auf der geschichtlichen Wirklichkeit Jesu, das Kreuz ist das Siegel. Das Auferstehungsgeschehen ist die Geschichte einer Erleuchtung über das, was Jesus wirklich ist (Vertreter: F. Gogarten, P. Tillich, G. Ebeling, in der katholischen Kirche: Karl Rahner). 4. Die neueren Christologien a) Der Ansatz von Karl Barth:

Er begründet die Christusprädikation aus der Geschichte Gottes und Jesu im Kreuz und im Kontext Israels. Barths Christologie zeigt, daß bisheriges christologisches Material nicht unbrauchbar ist und hat altes Material aufgenommen. Sein Aufbau: Jesus Christus I) Der Herr als Knecht II) Der Knecht als Herr III) Jesus Christus der wahrhaftige Zeuge.

Barth betont die actio (s.o.), d.h. er steht in der Tradition der reformierten Theologie. Das Bekenntnis „Jesus ist der Christus“ ist erst in der Auferstehung möglich, fügt aber dem

Kreuz nichts mehr hinzu; d. h. er geht hier von keinem Prinzip und keinem Urbild aus, sondern von der tatsächlich geschehenen Versöhnung.

11 ➯ Wörterbuch zu feministischen Theologie, Artikel „Jesus Christus“.

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Daraus entstand die Kreuzestheologie: Jesu Wort (implizite Christologie) und Jesus als Wort Gottes (Kreuz; explizite Christologie, der Verkünder wird zum Verkündigten). Die Auferstehung ist der Umschlag von Jesu Wort zu Jesus als Wort Gottes (Eberhard Jüngl). Wäre die Auferstehung ein historisches Ereignis, dann wäre sie keine Auferstehung. b) Der Ansatz von Wolfhart Pannenberg

Die Auferweckung Jesu ermächtigt uns erst von Jesus dem Christus zu reden, es ist also kein rein kognitiver Prozeß, sondern von Gott selbst herbeigeführt, ein Ereignis, das in unsere Zeitabfolge eingreift. Die Auferweckung steht für die Inkarnation und die Wahrheit Jesu, Jesus als Selbstverwirklichung Gottes in der Welt, an ihr kann man sehen, daß Jesus der Christus ist auch hier kein historischer Ablauf des Osterereignisses).

Das Ereignis Jesus von Nazareth ist im Kontext der Verheißungsgeschichte zu sehen, also Jesus in der Geschichte seiner eigenen Religion (Judentum).

Über die Erinnerung an Jesus und den Glauben an Jesus kommt man nicht heraus. Die Wahrhaftigkeit unseres Christusbekenntnisses ist nicht identisch mit der Wahrheit,

aber die Wahrhaftigkeit ist auch nicht resorbierbar (abarbeitbar). Daß Gott Gott ist ist ein Glaubenssatz, „keine Wahrheit“.

5. Memoria, Credere, Esse

Die Frage nach Jesus Christus, diezugleich die Frage des Christenmenschen nach sich selbst beantwortet, wird konkret in der Bewegung zwischen drei Lebensvollzügen: a) Memoria, im Gedächtnis Jesu von Nazareth: von der historischen Forschung begleitet (z.B.

Exegese), Bilder, abbilder, Aussagen sind intentional, sie sollen sagen, was Jesus Christus ist und das ist ein Glaubenssatz.

b) Credere, das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus: Das Gebet im Namen Jesu Christi; Die Topik der Christusbekenntnisse sind relativ zur religiösen und kulturellen Situation.

c) Esse, das Leben in Christus: Ein christliches ein- und ausatmen (De unio mystica). Vierter Teil: Der Heilige Geist und das christliche Leben Kapitel I Der Glaube an Gott den Heiligen Geist § 33 Der göttliche Geist des Lebens Definition: Im christlichen Bekenntnis zu Gott dem Heiligen Geist äußert sich nicht nur die Wirkung Gottes im Glauben des Menschen, sondern die den Menschen heiligende Gegenwart Gottes selbst; dieser „Geist des Glaubens“ schließt daher das Christusbekenntnis und das Schöpferbekenntnis ein, äußert also zugleich die Gegenwart des „Geistes Christi“ und die des „Schöpfer Geist“. In der Schöpfungsgabe (1) der Lebendigkeit, in der die Körperlichen und die geistigen Prozesse eines Menschen perichoretisch verbunden sind, ist der Schöpfer selbst anwesend. Als verliehene Gabe ist sie aber zugleich (2) verschieden von Gott und kann im Gefolge der Leugnung Gottes gegen ihren Ursprung gekehrt werden: der Geist des Lebens wird entheiligt und lebenszerstörerisch mißbraucht. Im (3) „Heiligen Geist“ im engeren Sinne macht uns der dreieinige Gott lebendig, d.h. erneuert seinen Schöpfungsodem im heiligendem und heiligem Lebendigmachen einer „neuen Kreatur“. Weil dies nicht nur eine Gabe Gottes ist, sondern uns nunmehr die Selbstgabe

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Gottes in Jesus Christus personal zugeeignet wird, wirkt der Heilige Geist in uns als Beistand zum ewigen Leben. 1. Die Erneuerung des pneumatologischen Interesse

Der Heilige Geist realisiert Gottes Reich in uns,in der Kirche und in der Welt und soll uns verwandeln (soma pneumatikon). Es ist soteriologisch wichtig, daß der Heilige Geist ein Sein Gottes selbst und ganz in uns ist, nicht irgendeine Kraft.

Ekklesiologie und Pneumatologie rückten immer näher zusammen, vor allem im Katholizismus, der Heilige Geist wurde an die Institutiion gebunden (Die Kirche als Verwalterin der Gaben); im Protestantismus wurde der Heilige Geist mit dem Predigamt, also dem äußeren Wort, zusammengestellt (das hatte historische Grüne: Der Täuferstreit mit den Spiritualisten, die den Heiligen Geist auch außerhalb der Kirche zu erfahren glaubten).

Erst im Pietismus und in der Erweckungsbewegung wehrte man sich gegen diese Entwicklung. Im 20. Jahrhundert gibt es drei Bewegungen, die den Heiligen Geist wieder in den Mittelpunkt stellen: I) Die Pfingstbewegung mit der Betonung der Geisttaufe, Zungenrede etc. II) Die charismatischen Bewegungen innerhalb der Volkskirche III) Das Bedürfnis nach Spritualität in den Volkskirchen (Meditation)

Boom auf dem Buchmarkt zur Pneumatologie: Welker, Moltmann, Pannenberg, Tillich; kath.: Heribert Mülen, Cristian Schütz. 2. Die Stellung der Pneumatologie in der Dogmatik

Bisher zwei Stellungen: a) An dritter Stelle, nach dem Glaubensbekenntnis nach Gott/Schöpfer und Gott/Christus. b) In der Erfahrungstheologie wurde das fromme Selbstbewußtsein (Schleiermacher),

Ausgangspunkt der Dogmatik. Der Effekt des Heiligen Geistes war die Grundlage einer Dogmatik.

c) Sparn: Beide Alternativen für sich sind falsch. Der heilsgeschichtliche Verlauf (a) und das fromme Selbstbewußtsein (b) müssen miteinander verbunden werden. Es ist ein „Ineinanderschauen“, das drei Horizonte unterscheidet:

I) Der weiteste Horizont ist der Horizont der Geschöpflichkeit (Wer bin ich?). Ich kommen zu Gegenüber zu Gott dem Schöpfer (beinhaltet sowohl a Schöpfung und b Selbstbewußtsein)

II) Der mittlere Horizont des Christentum (Wieso bin ich ein frommer Mensch/Selbstbewußtsein).

III) der Horizont der Gegenwärtigkeit Gottes in/bei mir, der innerste Horizont des Gebetes, des Einssein mit Gott. Eine solches „Ineinanderschauen“ hat verschiedene Loci: die unio mystica (Einwohnung

Gottes in uns) oder das Abendmahl. Der Schritt zwischen I-III vollzieht sich von außen nach innen, ist aber nur von innen nach

außen erkennbar. 3. Der Geist Gottes als Geist des Lebens a) Geist als Lebendigkeit: Das deutsche Wort Geist beinhaltet auch die lateinischen und

griechischen Bedeutungen von spiritus und pneuma; Der Geist ist unsichtbar, aber spürbar (wie Wind). Odem, ruach und pneuma sind ein Ausdruck für Lebendigkeit. Eine weitere Bedeutung hat Geist als übermenschliche, göttliche Kraft, die sich in der

Ekstase zeigt. Früher stellte man sichdiesn „Lufthauch“ als ein energetisch aufgeladenes

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Kraftfeld vor, dessen Eigenschaft die Bewegtheit ist (heute noch!): der Geist kann sich bewegen und somit überall sein und er kann lebendig machen und erhalten.

Der menschliche „Geist“ (nous) ist auf menschliche Reflexion bezogen, hängt mit dem göttlichen Geist zusammen, meint aber etwas anderes. „Geist“ wird hier als Erkenntnisprinzip verstanden und meint oft auch Vernunft oder Selbstbewußtsein. b) Die Unterscheidung des Geistes Gottes: Der menschliche Geist ist nur ein Aspekt des

göttlichen Geist. Meine Lebendigkeit steht nicht in meiner Macht, der göttliche Geist hat etwas übermenschliches, Göttliches. Dieses Leben ist kein Selbstgeschenk, daß ich einen Gott dafür namhaft gemacht habe, sondern ein Geschenk über das Maß der Lebendigkeit hinaus (charismatische Führer Israels: Josua, Simson, Saul, Mose etc., die Propheten).

Der Geist Gottes ist also etwas anderes, als das was wir uns geben können. Der menschliche eist und der lebendige Geist sind ein göttliches Geschenk. Diese Einsicht ist eine Einsicht in den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, Gott ist also als Geber dieser Gabe anzusehen, deswegen können wir von Gott als Geist als höchstes Maß der Lebendigkeit sprechen.

Wir haben die Lebendigkeit und ein gewisses Verfügungsrecht über diese Gabe. Deswegen können wir mit unserer eigenen Lebendigkeit für andere zum Tode werden. In de Dogmatik wird dies als Sünde bezeichnet, wenn diese Begabung verkehrt, nämlich nicht auf den Schöpfer, sondern auf sich selbst bezogen wird. Der Satan ist das Sinnbild dieser Verkehrtheit, der Geist, der stets verneint. 4. Gottes Geist als Selbstgabe Gottes

Der Geist ist die Gabe Gottes in Lebendigkeit und Charismen (verschiedene Gaben). Der Geist verbindet, Gott schenkt im Heiligen Geist sich selbst, ein „in mir“ und „bei mir“-

Sein, er ist in mir als Heiliger Geist und somit ein heiligender Geist. Der Unterschied zwischen dem Geber (Gott) und dem Beschenkten (mir) ist nicht

aufgehoben, Gott ist in mir, aber er ist mehr, so daß wir ihn nicht zu fassen vermögen. 5. Der Heilige Geist als Geist des ewigen Lebens

Alle Lebendigkeit kommt von Gott; Gottes Geist wird zum Heiligen Geist auch und gerade in der Endzeit: Der da in mich hineingeht ist bei mir und er wird mich zum ewigen Leben begleiten.

Der Heilige Geist heilt mich anderen Menschen nicht mehr zum Überl zu werden (im NT: Jesus als der Arzt; das drückt Gottes Plan in der Endzeit aus: Gott will uns ganzheitlich heilen).

Die Todesmächte werden nicht entmächtigt, sie werden ganz und gar vernichtet. Wir haben die Hoffnung darauf und Zeichen der Heilung (NT) die uns darauf hinweisen. § 34 Der Geist der Liebe Gottes Definition: Die Gegenwart Gottes als Heiliger Geist wirkt nicht nur neue Lebendigket von Geschöpfen, sondern (1) zugleich neu lebendige Liebe zwischen Geschöpfen: Die Lebendigkeit der Gemeinschft der verschiedenen Einzelnen (der Heilige Geist führt Christen zusammen). Die christliche Kirche, der äußere (soziale) Raum der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, muß (2) dieser Wirksamkeit, d.h. der Gleichursprünglichkeit von Vergemeinschaftung (Sozialität)

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und Besonderung (Individualität), in Verfassung und Verhalten zu entsprechen suchen (Die Kirche ist der aum, in dem man zu frommen Christen erwachen kann). Die Unterschiede in der Geistbegabung, d.h. (3) die Charismen (die Ausprägung der Lebendigkeit) von Einzelnen und Gruppen sollten dankbar wahrgenommen und zugelassen werden, um möglichst unbehindert nach dem Kriterium der Liebe (im „erbaulichen“ Geist der Liebe Gottes in Jesus Christus) ausgeübt werden zu können. 1. Der Heilige Geist als Liebe Gottes

Die Kirche sollte der Ausgleich zwischen Vergemeinschaftung und Vereinzelung sein. Der Geist ist eine ewige Lebendigkeit. In Jesus Christus war Gott selbst Geist und hat sich

für die Menschen hingegeben. Der Heilige Geist ist also zum Einen die Selbsthingabe Gottes und zum Anderen weckt er die Selbsthingabe meiner selbst zu Gott, was Liebe ist. Gott in mir, der sich mir schenkt, führt mich dazu mich ihm zu schenken.

Wo wird das erfahren? In der Glaubensgemeinschaft, die eine Liebes-, Erfahrungs- und Lerngemeinschaft sein soll. Liebe ist ein Kommunikationsphänomen. Kirche ist der Ort die Liebe zu empfangen und weiterzugeben. a) Die westliche Tradition: Kirche als verwaltende Anstalt, institutioneller Charakter im

Sinne einer Fortführung des Werkes Jesu Christi. b) Die östliche Tradition: Die Kirche als Gemeinschaft, die mehr auf das Erlebnis von Jesus

Christus aus ist (auch in den charismatischen Bewegungen). c) Kritik an der westlichen Tradition von: Der Befreiungstheologie: Geisterfahrung in der Kirche (Präsenz Gottes), die Kraft und Legitimation für den Kampf gegen Ungerechtigkeit gibt. Feministische Theologie: Gegen das Mißverhältnis von Institution und Charisma und für eine Auflösung der Starrheit der Institution. Ostkirche: Der Heilige Geist ereignet sich in der Liturgie, die Kirche ist nicht die Geistverwalterin.

2. Die Gemeinschaft der Heiligen: Kirche

Es gibt eine Vergemeinschaftende und individualisierende Wirkung des Geistes. Der Idealfall ist eine Gemeinschaft in Verschiedenheit/Verschiedensein, in ommunikation,

nicht Separation. Allen Christen ist der Heilige Geist gemeinsam, aber alle haben verschiedene

Geistbegabungen. Sie erfahren den Heiligen Geist als individuelles Erlebnis in der Gemeinschaft. Der Heilige Geist besondert und verbindet somit zugleich.

Die Kirche hat ihren Grund im Heiligen Geist. Gemeinschaft der Heiligen ist kein usammenkommen allein, weil es mir Spaß macht, sondern der Gottesdienst (wir werden gerufen), kein Kongregationalismus (Effekt des Zusammenkommens). Eine Absetzung von der Kirche als Institution, in der der Geist gefangen ist und eine Abkehr vom Kongregationalismus ist die Folge und auch notwendig (Der Geist weht wo er will und darf nicht an eine Institution gebunden sein).

Schleiermacher: Das Zusammenleben der Kirche ist durch Jesus Christus gestiftet und daß der Christ Anteil am Gesamtgeist erhält. Die neuere Pneumatologie (Pannenberg/Welker) schließt sich daran an und geht von einem Kraftfeld Jesus Christus aus, das durch die Zeiten eine Vereinigung der Christen zur Kirche wirkt.

Kirche ist, wo der Geist weht (CA V); ihre Aufgabe ist die Bereitmachung für den Heiligen Geist.

Röm.-Kath.: Institution und Geist fließen zusammen.

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Auch problematisch: Wenn Geist und Individualisierung zusammenfließen. Die katholische Tradition wurde durch den Theologen Heribert Mühlen12 durchbrochen,

indem er die Meinung vertrat, die Erfahrung des Heiligen Geistes gehe über die Institution der katholischen Kirche hinaus.

Papst Johannes Paul II. betonte aber in seiner päpstlichen Enzyklika „Dominum et vivficantem“ (1986) das Schlüsselamt (das Amt der Sündenvergebung) und führt die Erfahrung des Heiligen Geistes auf die Institution Kirche zurück, speziell auf die Eucharistie. 3. Die Gaben des Heiligen Geistes: die Charismen

Jeder Christ hat seine besondere Gnadengabe, sie ist ein Teil der Besonderung durch den Heiligen Geist. Aus der Geistesgegenwart kann er das Amt tun, daraus entsprang die Vorstellung des Priestertum aller Gläubigen. a) Das Charisma der Zungenrede: Es wurde und wird oft als Zeichen der Bekehrung

angesehen. Aber es darf nicht die Gemeinde spalte, es darf nicht notwendige Glaubensfolge sein.

b) Das Charisma der Prophetie: Prophetie ist das Durchblicken „nach hinten und nach vorne“, es entspricht nicht dem Wahrsagertm, es ist als „geistige Urteilsfähigkeit“ die Grundgabe des Gläubigen.

c) Das Charisma der Krankenheilung: Dies ist besonders mißbräuchlich, bewegt sich zwischen Einbildung und wirklicher Heilung.

§ 35 Der Heilige Geist als die göttliche Wahrheit selbst Definition: Der Heilige Geist bringt den einzelnen Menschen im Glauben an Gott in Jesus Christus zur ursprünglichen und endgültigen Wahrheit seiner selbst. Der christliche Glaube ist daher die lebenserleuchtende und -bestimmende Gegenwart der Heiligen Geistes (1) als Spiritualität, in derdas unbedingte Vertrauen auf Gott zugleich das Innesein des Selbst ist; (2) im Hören des Zuspruchs der Liebe Gottes in Jesus Christus als inneres Zeugnis unserer Gotteskindschaft; (3) als Heiligung des ganzen Menschen von Grund auf, d.h. im Sein als lebenslanges, zwar angefochtenes, jedoch heilsgewisses Werden des neuen Menschen.

Der Heilige Geist macht uns zu uns selbst, was wir sind, sind wir in der Kraft des Heiligen Geistes. Er gibt uns aber nicht nur unsere Identität, sondern steckt uns in ein Selbstverhältnis (Kommunikation). 1. Der Glaube als Spiritualität

Die fiducia (Gottvertrauen) ist ein wichtiges Merkmal des Glaubens. Das ist der ultimate concern (Tillich). Es ist das, worauf ich mich ver-lasse und durch das ich begründet bin. Ich lasse mich bestimmen durch etwas vertrauenswürdiges.

Der Gegenbegriff zu Glaube ist hier nicht Unglaube, sondern Angst. eine Eigenschaft des Glaubens ist seine Unhintergehbarkeit des Glaubensgewissens, der

certitudo. Die Anwesenheit des Heiligen Geistes als „erwecktes Vertrauen“ wird heute Spiritualität

genannt. Denn das Verlassen auf Gott ist nicht nur ein „Sich-Ver-lassen“ auf Gott sondern

12 „Der Heilige Geist als Person“, 5.Aufl. 1988

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auch ein „Sich-inne-sein“. Der Glaube ist also ein Verlassen auf Gott, in dem ich meiner selbst inne bin. Somit ist der Glaube die Konstitution meiner selbst („Ich spüre, wer ich bin, weil ich von Gott angenommen bin“).

Gott selbst kommt erst im Glauben des Menschen zur Wahrheit. Er ist als Schöpfer, erlöser und Heiliger Geist nur in dieser erfahrbar.

Zum Glauben kommen heißt ich werde überführt zu dem Ort, wo ich wirklich ich bin. Das willentliche und das kognitive Element sind dabei aber nicht ausgeschosse. Denn die

Präsenz des Heiligen Geistes ist die Erinnerung an Jesus Christus und das ist ein „Wissen“. Fehlt dieses Moment bleibt der Heilige Geist stumm. Es besteht also eine voluptative und kognitive Implikation im „Inne-Sein“.

Das Glaubensgewissen ist nicht gegen die Vernunft, es ist über alle Vernunft: illuminatio (Erleuchtung). 2. Der Glaube als Gegenwart des Heiligen Geistes als Zeugnis des Zuspruchs Jesu Christi

Testimonium spiritus sancti internum: das innere Zeugnis des Heiligen Geistes. Glaube ist immer ein Hören auf das Sprechen des Heiligen Geistes.

Kath. Tradition: habitus dilectionis (Eingießung der Liebesfähigkeit) führt zum motus dilectionis (dem Bewegt sein durch die Liebesfähigkeit). Der Heilige Geist befähigt zur Liebestat.

Reformat. Tradition: Der Heilige Geist eine eigene Stimme, er wird also personal aufgefasst. Er unterscheidet den Menschen von seinem subjektiven Glauben, der Mensch muß sich selbst nicht mehr der Glaubensgrund sein.

Das Hören des Evangeliums und das innere Zeugnis sind kein Gegensatz, das innere Hören ist eingebettet in die Erzählgemeinschaft (der Erinnerung an Jesus Christus). Das Hören des Evangeliums ist die Vorraussetzung für das innere Zeugnis.

Der Heilige Geist ist die Spiritualität, in der uns Jesus Christus uns als Kraft der Liebe erkennbar ist.

Glaube in me (ganz in mir, im christlichen Glauben bin ich in mir selbst getragen) und extra me (von einem Grund, die Stimme des Heiligen Geistes,die sagt „Du bist mein“).

Das ist keine qualitative Eigenschaft, sondern eine Beziehung, in der wir versetzt sind in das Reich seines Sohnes. Wahrheit ist somit nicht abhängig von dem praktischen und psychischen Vollzug. 3. Der Heilige Geist als Heiligung

Der Heilige Geist ist in me, in mir persönlich, er ist ein Heiligmacher. Glaube ist ein innerer Lebensvollzug, man kann also nicht vom äußeren Verhalten auf den Glauben zurückschließen.

Der Glaube bestimmt das ganze Leben, ist aber keine Ursache von guten Werken. Frömmigkeit ist die vom Glauben geprägte Lebensweise. Aus dem Glauben lebt der

Mensch. Die Antwort und die Entsprechung auf das Sprechen des Glaubens ist der Lebensvollzug.

Ort des Glaubens ist primär das Gefühl, Glaube ist das Geborgenheitsgefühl (unmittelbares Selbst-Gefühl). Drei Horizonte des Glaubens: I) Das Gefühl als der primäre Ort desGlaubens und der unmittelbare Horizont II) Der voluntative Horizont, er ist mittelbar III) Der cognitive Horizont, er ist noch mittelbarer, er ist ein Wissen um das Geliebt-sein.

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Der Heilige Geist gibt mir ein neues Leben in meiner somatischen und psychischen Realität.

Der Heilige Geist hat immer auch ein ethisches Moment, aber nicht weil ich will, als Täter der Taten, denn die Taten verweisen auf den Grund der Taten, der eben nicht ich bin.

Rechtfertigung und Heiligung sind zwei Akte! In der Frömmigkeit wird der Ruhm umgeleitet auf Gott, der Ursache der Frömmigkeit. Da der Glaube eine responsorische Struktur hat, also ein „Sein in Entsprechung/Antwort“

ist, ist er immer ein Werden, kein Mittel zu irgendetwas, sondern der Weg ist der Sinn. „Simul iustus et peccator“: In mir bin ich voll und ganz gerechtfertigt und Sünder bin ich

in dem „Man-selbst-sein-wollen“, in dem Leugnen des Grundes. Die fiducia ist die Stimme des Heiligen Geistes in mir. Meldet sich die Stimme nicht

herrscht eine afflictio, die ich durch den Heiligen Geist habe. Die Wahrheit meiner selbst habe ich nicht als habitus und deswegen kann sie angefochten werden. Das gehört zu der Lebensgeschichte des Glaubens.

Die Lebenssicherung auf Gott, die Glaubensgewißheit, ist wegen der Unverfügbarkeit des Heiligen Geistes, keine Sicherheit, sie ist eine Anwesenheit von Liebe. Die Anwesenheit von etwas Vertrauenswürdigem ist die certitudo. Securitas ist ein Ausdruck von Macht, wenn ich eine Situation beherrsche.

Anfechtung ist ein Nichthören der Stimme des Heiligen Geistes. Gott ist der Grund der Anfechtung, weil die Stimme des Heiligen Geistes ausbleibt. Deus absconditus: Die Selbstindifikation Gottes im Glaubensgrund wird angefochten durch Gott selbst.

Wir sind also angewiesen auf die Stimme des Heiligen Geistes, dem lumen gratiae, und wir warten auf das lumen gloriae.

Der Heilige Geist tröstet uns, indem er uns beten lehrt und in uns für uns betet, weil wir an Gott verzweifeln. § 36 Die Zeit des Heiligen Geistes Defintion: Die Gegenwart des Heiligen Geistes im Glauben an Gott in Jesus Christus ist ein Ereignis (im genuen Sinn des Wortes), das unsere individuelle Eigenzeit als Jetzt im Horizont von Erinnerung und Erwartung konstituiert: Über unsere geschöpfliche Teilhabe (1) an der vergehenden Welt- und Lebenszeit hinaus wir im Glauben (2) Anteil an Gottes zeitgebender Ewigkeit, die alle Zeitdimensionen umfasst und de innerhalb der vergehenden Zeit sich als Zukunft (auch der Vergangenheit und des Jetzt!) gibt. Der Kairos dieser Zeitgabe ist (3) das Gebet, in dem unsere Erfahrung und Gestaltung von Zeit zu ihrer Wahrheit in Gottes Geistesgegenwart kommen.

Alle erfahrene Wirklichkeit ist zeitlicher Natur. Der Kairos ist die verdichtete Zeit des Geistereignisses. Die Geistesgegenwart ist der Zeitraum des Kairos, was allrdings kein puntueller Zeitpunkt ist. Zeit und Raum, in der Schöpfungslehre noch ambivalent, soll nun unterschieden werden. Zeit und Raum in der Eschatologie. 1. Die vergehende Welt und Lebenszeit

Zeit wird gedeutete (als Vergangenheit, Zukunft, usw.) und ist ein Rätsel. Zeitkonzepte stellen nur eine Orientierung dar. Weltzeit und Lebenszeit, Erlebnsizeit und präparierte Zeit, diese Zeit und Gottes Ewigkeit gehen weit auseinander.

Platon: Wenn man Zeit verstehen will, muß man mehr als Zeit denken. Daraus entsprang der dem Chronos entgegengesetzte Begriff des Aion. Der Chronos ist ein Abbild des Aion.

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Aristoteles: Zeit ist die gemessene Anzahl nach Früher und Später. Im Christentum differenziert man zwischen dem alten Aion und dem neuen Aion. Zeit

bedeutet, die äußere Meßlatte ist nicht begreifbar, Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit im Jetzt (Augustin).

Kant: Zeit ist die transzendentale Beziehung unseres Seins, über die wir nichts sagen können.Kant hat hier aber nie die Zeit bedacht, sondern nur die Meßlatte.

Dadurch, daß ich in der Vergangenheit und Zukunft lebe, befinde ich mich in der Gegenwart.

Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit sind das Gegenteil von Zeit und Geschichte. 2. Gottes Geistesgegenwart als Zeitgabe

Vier Problemaspekte von Zeit: i) Schweigen über die Ewigkeit ii) Kluft zwischen subjektiver Erlebniszeit und der objektiven Zeit iii) Pluralisierung der Zeit iv) Zeitbeschleunigung a) Der neue Aion

Das Problem „Zeit“ wird in der Pneumatologie behandelt, weil christliche Glaube ein zeiterfahrenes und zeitgestaltendes Phänomen ist. Durch die Geistesgegenwart erfahren wir und gestalten die Zeit neu.

Neuer Aion: Glaube ist die endzeitliche Zeitgabe der ewigen Gottes. Der christliche Glaube setzt keinen abstrakten Universalbegriff von Zeit voraus.

Koh 3: Alles hat seine Zeit, die Synchronisation ist die Aufgabe, denn alles hat seine Eigenzeit. Die zeitliche Bestimmung des Glaubens ist der Kairos (Zeitraum), der eine eigene Zeit hat, das erfüllte Jetzt.

Benjamin: Es ist einmessianischer Punkt, wo eine paradoxe Einheit von Zeit und Ewigkeit stattfindet; in diesem Punkt ist mein Leben gegenwärtig. Er wird Bekehrung genannt. Der Glaube ist seiner Struktur her ein kommendes Ereignis, d.h. er ist nich präperierbar und nicht prognostizierbar.

Kein Glaube ist ein unzeitloses Ereignis, es ist Zukunft und verbindet Vergangenheit mit Gegenwart.

Der Glaube verbindet Heilszeit mit Schöpfungszeit, er reist uns aber aus der geschichtlichen Zeit nicht heraus, sondern die historisch-kulturelle Zeit wird verbunden mit der Glaubenszeit. b) Der christliche Glaube als Alte und Neue Zeit

Der christliche Glaube wird unterschieden in Alte und Neue Zeit. Der Alte Aion als die Adam-Zeit und der Neue Aion als die Christuszeit.

Weil die Neue Zeit stets auf uns zukommt als Gottes stetige Anwesenheit ist es eine neue Zeit, die nicht vergeht und die Alte Zeit zur Alten Zeit macht.

Die Zeiterfahrung des christlichen Glaubens ist also keine Zeiterfahrung des Augenblicks. Der Begriff „Geschichte“ ist nur christlich möglich, da man erst von Geschichte reden kann, wenn der Messias gekommen ist. Denn erst das Ende eine Rede vom ganzen erlaubt. c) Der christliche Glaube als Teilnahme an Gottes Lebenszeit

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Der christliche Glaube ist Teilhabe an Gottes Lebenszeit und Lebenskraft (Aion). Gott nimmt sich als Versöhner Zeit und kann deswegen nicht zeitlos sein. Er ist auch nicht

zeitlich, er ist vielmehr in sich selbst eine ewige Geschichte, eine perichoretische Durchdringung aller Zeit-Dimensionen. Es gibt keinen Gegensatz Zeit-Ewigkeit!

Gottes Ewigkeit ist der ganze Besitz unbegrenzten Lebens und sie muß trinitarisch beschrieben bewerden: i) er ist vielseitig als Heiliger Geist und als Kairos für den christlichen Glauben ii) er ist zeitlich, indem er als Jesus Christus in den irdischen Zeiten auftritt, diese zur Alten

Zeit macht und eine neue Zeit beginnt iii) er ist zeitlos ewig, indem er die Welt schafft, die zeitlichen Strukturen. 3. Der Kairos als Gebet - das Gebet als vom Heiligen Geist erfüllte Zeit

Im Gebet kommt meine Zeitlichkeit zur Wahrheit, im Gebet bin ich, was ich bin im Verhältnis zu Gott, der Welt und mir selbst. Es ist eine Lebensäußerung in der Kraft des Heiligen Geistes. a) Beten ist menschlich:

Es gibt keine religionslose und betlose Kultur. Das ganze Leben des Christen ist Gebet (Luther). Beten ist eine Frage der religiösen Sozialisation, es muß gelernt werden. Es besteht also ein Unterschied zwischen dem Phänomen des Betens und der Praxis des Gebets.

Die Art des Gebets ist unterschiedlich. Beten als das Gegenteil des „heidnischen Geplappers“. Die Erfahrungen des Lebens vor Gott sind Gebet!

Ein Gebet steht immer zwischen Ja und Nein, Widerstand und Ergebung, Klage und Bitte (Hiob, Psalmen). b) Das christliche Beten

Vier Modifikationen: I) Das christliche Beten ist ein einfaches Beten in der dirketen Auseinandersetzung mit Gott,

ein „mit Gott ein und aus atmen“. II) Das christliche Beten ist ein zweckloses Beten, da um das Gebet als solches zu vollziehen.

Beten hebt die Zweck-Erfüllung-Orientierung auf. Die Erfüllung des Gebets ist die Gegenwart Gottes im Heiligen Geist

III) Christliches Beten ist ein eindzeitliches Beten, eine Teilhabe der endzeitlichen Gottesherrschaft. Das Beten Jesu konnte nicht sicher sein, ob Gott ihn verläßt, wir können uns sicher sein, daß er uns nicht verläßt. Der Heilige Geist ist der eigentiche Zeitgeber des christlichen Lebens. Gebetszeit ist die Eigenzeit des Christen.

IV) Christliches Beten ist monolatrisch, in Blick auf den trinitarischen Gott. wir redn zu einem Gott, aber mit Gott und durch Gott. Der Adressat ist Gott, aber sowohl als Vater als auch zu Jesus Christus.

Kapitel II: Die christliche Kirche § 37 Die geglaubte Kirche und die sichtbaren Kirchen

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Definition: Der äußere Raum der Gegenwart des Heiligen Geistes ist die christliche Kirche: die „Gemeinschaft der Heiligen“, der „Leib“, dessen Haupt der erhöhte Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes. Diese geglaubte Kirce ist (1) nicht identisch mit, existiert aber verborgen in den vielen sichtbaren christlichen Kirchen; letztere sind daher Gegenstand sowohl einer empirischen Kirchentheorie als auch einer normativen Ekklesiologie. Den (2) evangelischen Kirchenbegriff kennzeichnet die strikte Orientierung am Dienstcharakter der Kirchen für die Verkündigung des Evangeliums bzw. die unmittelbare und alleinige Herrschaft Jesu Christi - im Unterschied zum römisch-katholischen Begriff der Kirche als sakramentale und hierarchisch verfaßte Institution in Stellvertretung Jesu Christi. (3) Die Kennzeichen, mit denen die Zugehörigkeit einer sichtbaren Kirche zur wahren Kirche Jesu Christi und die Teilhabe an deren Eigenschaften (eine, heilig, allgemein, apostolisch) geprüft werden kann, sind (nur) die schriftgemäße Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament; (nur) diese macht die Einheit der Kirche aus.

Die einzige Institution, die das Chaos der Welt zusammenhalten kann, ist die Kirche (kirchlicher Protestantismus [Dibelius] und der Katholizismus). Die Kirche hat aber keinen Anspruch darauf, zu sagen, was christlich ist und was nicht. 1. Die Unterscheidung zwischen Norm und Deskription

Unterscheidung zwischen der verborgenen Kirche Jesu Christi (ecclesia absconditus) und den sichtbaren Kirchen (ecclesia visibilis).

Unterschied zwischen dogmatischer Ekklesiologie und deskriptiver Ekklesiologie. Eine Orientierung nach der Erfahrungswirklichkeit nennt man Kirchentheorie.

Der Christ ist Mitglied einer irdischen Kirche, weil sie und insofern sie creatura verbi ist. 2. Die communio sanctorum

Der evangelische Kirchenbegriff mißt die sichtbare Kirche an der Erfüllung ihres „ministeriums“ (der Aufgabe der Verkündigung des Evangeliums). Die Kirche wird zur Vorraussetzung jeglichen Glaubens, sie ist aus der creatura verbi evangelii entstanden und lebt als congregatio sanctorum. a) Kongregationalistisches Kirchenverständnis: Die christliche Kirche bildet sich durch das

Zusammentreten der einzelnen Wiedergeborenen zu einem geordneten Miteinander (Schleiermacher). Dieses Konzept wird heute in den Freikirchen verfolgt.

b) Die Volkskirche: Der Glaube wird der Kirche nachgerichtet, je stärker das bischöfliche Amt ist, desto mehr wird der individuelle Glaube nach der Kirche gerichtet. Die volkskirchliche Option ist die verfasste Kirche, die Institution.

c) Das Röm.-Kath-Kirchenverständnis: Die Kirche als Institution ist das Grundsakrament, d.h. heilsnotwendig (in der ev. Kirche ist das nur das Amt und die Gemeinschaft). Die Institution ist dem Individuum vorgeordnet und hier nicht nur zum ministerium da, sondern sie ist selbst der Ort wo alles passiert. Jeder Amtsträger der katholischen Kirche agiert in personae Christi, die Kirche ist identisch mit der verborgenen Kirche. Die geglaubte Kirche gibt es nur in der sichtbaren, verfassten Kirche, die verborgene

Kirche ist die zukünftige Kirche, die der Heilige Geist durch seine Gegenwart lebendig macht. 3. Die Eigenschaften (attributae) und die Kennzeichen (notae) der Kirche

Attribute der Kirche: eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche.

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Eine Kirche kann sich das aber schlecht selbst zuschreiben. Ablesbar von den sichtbaren Kirchen sind die Kennzeichen. Die Einigkeit in den Kennzeichen ist für die ev. Kirche wichtig, für die katholische Kirche muß auch die Institution dieselbe sein, die die Attribute umschreiben.

Die Reformation hat diese Doppelheit weiter ausgefaltet: Schlüsselamt, Ämter, Gebet, Kreuzesnachfolge. Die Kennzeichen sind also keine Dinge oder Sätze, sondern Vorgänge des „Glauben lebens“.

Selbstprüfungsprozeß in der Formulierung, sie ist in dem Bekenntnis enthalten, bei der reformierten zusätzlich in der Kirchenordnung.

Ist die bischöfliche Sukzession eine nota? Es ist eine göttliche Institution. § 38 Die Kirche als Dienst am Evangelium Definition: Eine Kirche ist, weil sie selbst Geschöpf des Evangeliums ist, wahre Kirche dann, wenn sie das ministerium Evangelii ausübt. Dieser Dienst (1) ermächtigt die Kirche zu fortwährender Reform ihrer sichtbaren Gestalt, d.h. ihrer Kommunikationsformen (Konvivenz, Dialog, Mission) und ihrer Organisations- und Rechtsformen. Das Verhältnis (2) der Kirche zur Welt ist dabei sowohl das des Zusammenhangs als auch das der Verschiedenheit, besonders im Blick auf die herrschaftsfreien Mittel ihres Dienstes. Diese Mittel sind (3) Wortzeichen, deren Gebrauch und Vollzug das Heil zu verstehen („Wort“ i.e.S.) und zu schmecken gibt (Sakrament i.e.S.). 1. Der Auftrag der Kirche: das ministerium Evangelii

Der Auftrag der Kirche als Verkündigung des Evangeliums ist stets missionarisch. Die Welt außerhalb ist nie das Böse, sondern immer das „Gerettete in spe“. Das missionarische Element geht aber ebenso nach innen, denn die Grenze Innen/Außen ist in der sichtbaren Kirche keine Grenze.

Die Kirche ist Teil des menschlichen Auftrags zur Selbstkorrektur. Dem Evangelium müssen die Kommunikationsformen angepasst werden (Ort, Zeit,

Predigt). Es gibt drei Typen der Kommunikation: Konvivenz, Dialog und Mission. Es ist wichtig für den Glaubenden sich zu öffnen, d.h. sich auch verletzlich zu machen. Ekklesiologischer Doketismus: „Wir barauchen kein Recht, keine Macht, wir haben uns

doch so lieb und sind so toll“; ABER eine Justierung ermöglicht eine Anpassung der Kirche an das „Soll“. 2. Kirche und Welt

Die Kirche darf nicht zu einem religiösen Ghetto werden! Die Zwei-Regimenten-Lehre (Gott erhält durch Liebe und Recht, er segnet die Welt auf

zweierlei Art) ist entstanden in einer sich zunehmen säkularisierenden Welt. Die Kirche darf aber keine weltlichen Mächte zur Durchsetzung ihrer Interessen benutzen

(religiöse Authenzität ist nicht religiöse Macht). Die Kirche ist also nicht Fortsetzung des Staates mit anderen Mitteln (ethische und soziale

Disziplinierung). Sie darf nicht über dem Gewissen regeln und nicht gegenseitig mit Staat die

Angelegenheiten regeln. Ausnahmen: Religionsunterricht, Militätseelsorge, Kirchensteuer, theologische Fakultäten.

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Das ist nicht illegitim, wenn damit dkein weltanschaulischer Auftrag verbunden ist. 3. Die Heilsmittel

Der Glaube ist auf äußere Heilsmittel angewiesen. Wort und Sakrament gehören also zusammen.

Die Reformation verdammte die Spiritualitäten. Das evangelische Problem mit den Sakramenten: Wort und Sakrament darf man nicht

trennen, mankann das eine oder andere akzentuieren, aber nicht trennen! Man darf die verbale Kommunikation nicht der symbolischen Kommunikation

gegeneinandersetzen. Das Wort ist cognitiv und bedarf der Deutung, es ist daher nicht „Erleben“. Das Sakrament ist „Erleben“. Beide vermitteln nichts verschiedenes, wie man in der Reformation annahm, sondern das gleiche nur in anderer Gestalt.

Was Wort und Sakrament sind, das sind sie nur im Gebrauch (in usu). Das Wort informiert, das Sakrament berührt: Kath. Tradition. Das Wort und das Sakrament sind gleichgeordnet: Ev. Tradition. In der evang. Tradition ist die Heilsfrage primär als Frage des ruhigen gewissens

ausgerichtet. Damit wird sie zur Selbsteinschätzung und fällt in den Bereich des Wortes. Sie ist aber nicht nur cognitiv zu verstehen (Luther „Herz und Nieren“)!

In der lutherischen Tradition: Das Wort Gottes ist Predigt des Wortes Gottes, das Wort als biblisches, als prophetisches Wort.

ABER: Predigt ist nie eine reine Information über eine Sache. § 39 Die christlichen Sakramente Definition: Im Unterschied zum röm.kath. und zum orthodoxen Verständnis gründet sich (1) das evangelische Verständnis und der Gebrauch von zwei Sakramenten auf die Verknüpfung von worthafter Heilsverheißung bzw. Sündenvergebung und leibhafte Zeichenhandlung (Ritus) als Vergegenwärtigung des Christusgeschehens in der Kraft des Heiligen Geistes. Die Kennzeichen (2) der heiligen Taufe, des Sakraments unserer Zueignung an Gott in Jesus Christus, sind ihre ganzheitliche Wirkung (Wiedergeburt), ihre mediale Form und ihre Einmaligkeit (Einfügung in den Christusleib). Der zur Taufe gehörige Christusglaube ist dabei weder nur subjektive Vorraussetzung noch nur subjektive Folge; auch für die Säuglingstaufe ist die Ernsthaftigkeit des Taufbegehrens entscheidend. (3) Im heiligen Abendmahl, dem Sakrament der Zueignung Gottes in Jesus Christus an die Glieder seines Leibes, wird der ganze (der sich selbst hingebende) Jesus Christus heiligend gegenwärtig. Die häufige Teilnahme bzw. die Zulassung von getauften Christen zur Sakramentsfeier ist grundsätzlich nur von der Ernsthaftigkeit des Teilnahmebegehrens abhängig. 1. Was ist ein Sakrament? a) Röm.-kath.-Tradition

infusio gratiae: Einfließen der Gnadenkraft durch die real gewandelten Elemente (Transubstantiationslehre). Ein einheitlicher Sakramentsbegriff ist möglich: Sakramente bewirken die Gnade, die sie bezeichnen.

Hauptsakramente sind die Taufe und die Eucharistie, weiter: Buße, Ehe, Firmung, Priesterweihe und die Krankensalbung.

Sakramentalien: Weihwasser, Kreuzeszeichen...

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b) Reformatorische Tradition:

Verheißungswort und ein Zeichen ist das Sakrament; worthafte Heilszusage und sinnhaftes Zeichen. Eine Zeitlang zählte das Schlüsselamt (Vergebung der Sünden) zu den Sakramenten, dann aber doch nicht, weil das Zeichen fehlte.

Sakrament zeichnet sich durch die göttliche Einsetzung durch den Erhöhten aus. Taufe und Abendmahl sind aber eher Heilsverheißung. Die semantische Struktur des sakraments macht das Sakrament aus.

In der Reformierten Kirche ergab sich das Problem der Realpräsenz: Wie wird die Materie mit Gott verbunden? Der Ritus (in usu) ist hier das Sakrament.

Anders als in der katholische Kirche bedarf es in der evangelischen Kirche nicht der priesterlichen Heilszusage, die Kirche als „Grundsakrament“ ist falsch. Dabei ist das Meßopfer der Hauptpunkt der reformatorischen Kritik. 2. Die christliche Taufe

Die christliche Taufe hat eine ganzheitliche Wirkung („Wiedergeburt“), eine mediale Form (sie geschieht also nicht durch mich) und zeichnet sich durch ihre Einmaligkeit aus. Der Glaube ist nicht Voraussetzung oder Folge der Taufe. Voraussetzung der Taufe ist die Ernsthaftigkeit, mit der man sich taufen läßt. a) Das Wesen der Taufe als gemeinschaftliche Zeichenhandlung

Bei der Taufe ist das Wasser in Gottes Wort gefasst und an es gebunden. Die Taufe ist jedoch nicht exclusiv christlich, sondern ist als Ritus verwandt mit kultischen

Waschungen etwa aus der Zeit der Umwelt des NT. Sie unterscheidet sich von solchen kultischen Waschungen in dreierlei Hinsicht: i) Die „Befleckung“ betrifft die ganze Person, Taufe als eine Wiedergeburt. ii) Die Taufe muiß wie die kultische Waschung gewollt werden, aber sie muß von jemanden

anderem als mir vollzogen werden, d.h. sie ist kommunikativ. iii) Die taufe ist einmalig im Gegensatz zu den kultischen Waschungen. b) Der Nutzen der Taufe impliziert den Glauben

Das Wort Gottes und der Glaube, der dem Wort Gottes traut ist nötig zur Taufe. Dabei gibt es zwei verschiedene Auffassungen: i) Der Glaube ist die sachliche, lebensgeschichtliche Vorraussetzung zur Taufe; so ist die

Taufe dann kein Heilsmittel, sondern ein Bekenntnisakt des Täuflings.Karl Barth unterscheidet zwischen der Geisttaufe („Bekehrung“) und der Wassertaufe („Bekenntnisakt“). Die Taufe ist die erste Tat des Glaubenden.

ii) Der Glaube ist nicht die sachliche, lebensgeschichtliche Vorraussetzung, sondern die Taufe weckt den Glauben. Die Taufe ist hier ein Heilsmittel, wir lassen uns auf Gottes Verheißung, nicht auf unseren Glauben taufen.

c) Die Frage der Säuglingstaufe

Es gibt vier Punkte die scheinbar gegen eine Säuglingstaufe sprechen: 1) Säuglinge können die Taufe nicht begehren 2) Die Eltern verfügen über den Säugling 3) Der Säugling erinnert sich nicht mehr an die Taufe und

4) er hat keinen Glauben.

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Zu 1): Die Eltern können das Taufbegehren des Säuglings nicht vertreten, sondern sie haben das Begehren das Kind taufen zu lassen, das Kind ott in die Hand zu geben. Das ersetzt aber nicht den Glauben des Säuglings. Zu 2): Unterlassung der Säuglingstaufe verfügt genauso über den Säugling wie der Vollzug derselben. In der Taufe nehmen sie die Verfügungsmacht über den Säugling sogar zurück und überlassen sie Gott. Zu 3): Eine Erinnerung an Jesus Christus ist nicht rein kognitiv singulär zu verstehen, vielmehr muß man sie im gesamt menschlichen Prozeß sehen (so kann sich der Säugling kognitiv auch nicht mehr an den Mutterleib erinnern, er kann sich aber an ihn erinnern). Zu 4): Ob ein Säugling glauben kann entscheidet sich an der Definition von Glaube. Er ist hier nicht nur kognitiv zu verstehen, sondern auch affektiv („Ich fühle mich von Gott geborgen“).

1)-4) bilden also keine treffenden Einwände gegen die Säuglingstaufe. d) Verpflichtung zu einer Taufverantwortung

Ist eine christliche Erziehung des Kindes durch die Eltern oder Paten nicht zu erwarten, sollte man die Taufe verweigern Aber Vorsicht bei Kriterien!).

Aus a)-c) hat sich gezeigt, daß das Problem nicht in der Säuglingstaufe liegt, sondern im familiären Umfeld des Täuflings. 3. Das Heilige Abendmahl a) Sinn und Wesen des Abendmahls

Das Verständnis von der Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl ist von der Ekklesiologie, von dem Selbstverständnis der Kirche, abhängig. Allen Konfessionen ist der Grund des Sakramentes gemeinsam: Die Stiftung durch Jesus Christus in Wort und Tat (Vollzug). Daraus entstanden drei Möglichkeiten: I) Die Röm.-kath. Tradition: Transubstantiationslehre („Wandlung, Überführung in eine

andere Substanz“): Die Wandlung der Substanz von Brot und Wein unter Wahrung ihrer species durch das priesterliche Wort (Konsekration) beim Meßopfer in Leib und Blut Christi (Dogma seit dem IV. Laterankonzil 1215). Dies rief in der Reformation zwei Widersprüche hervor:

1) Die Annahme des Meßopfers, die Opferhandlung des Priesters als erneutes, von Gott gewolltes und vom Priester vollzogenes Opfer Christi, wurde abgelehnt.

2) Der substantielle Charakter der Gegenwart Jesu Christi (In der Hostie ist auch außerhalb des Gebrauchs Jesus Christus substantiell gegenwärtig) und daß so Jesus Christus im Handeln der sichtbaren Kirche gegenwärtig ist wurde abgelehnt. In der katholischen Theologie wandelte sich die Transsubstantiationslehre in eine

Transsignifikationslehre, die einen Bedeutungswandel der Elemente in der Eucharistie zum Inhalt hatte. II) Die Lutherische Position: Im Abendmahl ist Jesus Christus ganz und gar da, er ist real

präsent, nicht nur als Logos, sondern als Gott-Mensch. Zwingli dagegen vertrat ine Realpräsenz Jesu Christi im nur geistigen Sinne. Ubiquitätslehre: lutherische Lehre von der Allenthalbenheit auch des Leibes Christis, als theologische Begründung für die leibliche Realpräsenz Jesu Christi im Abendmahl gebraucht. Diese Ubiquität ist jedoch nicht als substantielle Eigenschaft zu verstehen, es ist vielmehr der Prozeß Gott-Mensch anwesend. (FC VII; großer Streit zwischen Lutheranern und Reformierten im 16. und 17. Jahrhundert).

III) Die Calvinistische Tradition: Es ist nicht nur eine geistige Realpräsenz (gegen Zwingli). So wie unser Leib mit Wein und Brot genährt wird, so wird unsere Seele mit dem Leib und Blut Christi genährt.

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b) Die Mäßigung im 20. Jahrhundert I) Die Leuenberger Konkordie (Reform. und Luth.): sie war gegen eine zu spiritualistische

Auffassung der Realpräsenz, vertrat die These, daß alles, was man über sie sagen kann, nur in usus sagen kann und überwindete den zweistelligen Zeichenbegriff, der entweder in einer spiritualistische oder magische Auslegung führte.

II) Mäßigung zwischen Luth. und Kath.: Versuch den Opfergedanken abzuschwächen. Das Opfer Jesu Christi könne nicht wiederholt werden, es ist aber identisch mit dem Gedächtnis des Todes Jesu Christi. Der Priester vollzieht die Teilhabe am opfer Jesu Christi.

Das Lima-Papier stellt eine engere Verbindung der evangeischen mit der orthodoxen Kirche dar. c) Eucharistische Gastfreundschaft

Die Teilnahme am abendmahl diente immer als Mittel der kirchlichen Disziplin (Zucht). Die Würdigkeit der Teilnahme am Abendmahl erhalte ich nicht durch Glauben, sondern

durch mein Begehren an der Teilhabe. Eigentlich stellt die Taufe die Zulassung zum Abendmahl dar. In der Röm.-kath- Kirche ist

die Erstzulassung erst nach der Firmung möglich. In der evangelischen erst nach der Konfirmation.

Das Problem ist nicht das Alter des Kindes, sondern vielmehr das Verantwortungsgefühl der am Abendmahl Teilnehmenden. § 40 Die verfaßte Einzelkirche Definition: Die sichtbaren Kirchen sollten (1) ihrer Aufgabe des Evangeliumsdienstes im Amt aller Gemeindeglieder („Priestertum aller Getauften) entsprechen, sie zun dies zurecht aber auch in der Übertragung dieses einen Amtes an einzelne Personen, deren Berufung zu öffentlicher Verkündigung in Wort und Sakrament sie in der Ordination zum geistlichen Amt anerkennen. Die (2) notwendige Institutionalität einer Kirche in Kirchenrecht, Gemeindestruktur und Verfassung, muß dem kirchlichen Verkündigungsauftrag entsprechend eingerichtet, gehandhabt und immer neu korrigiert werden. Jede sichtbare Kirche lebt (3) in einem wechselverhältnis mit anderen christlichen Kirchen und mit anderen Sozialsystemen (Staaten); das besagt eine ökumenische Ermächtigung und Verpflichtung sowie die Verpflichtung zur Förderung des Allgemeinwohls (bonum commune) und die kritiscj konstruktive Pflege der dies orientierenden Werte und ihrer symbolischen Äußerungsformen (civil religion). 1. Das Amt in der Kirche (CA V) a) Das Priestertum aller Getauften und das besondere Amt

d.h. alle Gemeindeglieder sind Amtsträger und somit Träger des Verkündigungsamtes. CA XIV (niemand soll in der Kirche lehren, der nicht ordentlich berufen ist) und CA V

(Predigtamt als von Gott eingesetztes ministerium) Unterscheidung zwischen dem iure divinum (göttliche Stiftung des Priestertums aller Gläubigen) und dem iure humanum (den Ämtern in der Kirche und der sozialen Verfassung der Kirche.

Dreiständelehre (das Problem der Ämterfrage ist auch ein soziales Problem): der status - politicus, - ecclesiasticus, - oeconomicus (Familie/Wirtschaft).

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b) Das röm.-kath-Amtsverständnis Mehrzahl hierarchisch geordneter Ämter:

I) potestas ordinis: die Weihe-Hierarchie (Diakon-Priester-Bischof), Inhalt ist die Sakramentsspendung.

II) potestas iurisdictionis: die Hierarchie der Rechtssprechung (Bischof-Papst), Inhalt ist die Leitung.

III) potestas magisterii: Hierarchie des Lehramtes (die Verknüpfung von I) und II)). Diese Ämzer sind iure divinum und somit Vorraussetzung der sichtbaren Kirchen. Unterscheidung Klerus-Laie folgt aus diesem Amtsverständnis. Der Klerus vermittelt Kraft

seiner „potestas“ das Heil in personae Jesu Christi (in der ev.: Jesus Christus selbst heilt). Papst und Bischof sind in Bezug auf I) gleichgeordnet, der Papst ist aber der vicarius

Christi, zwar servus servo, aber autokratisch. Der Priester ist der „Helfer“ des Bischofs, ist nicht gebunden an die Rechtsgewalt. Dem

Diakon (Pastoralreferent) ist nur das Amt der Lehre übertragen. Auch im Katholizismus gab es eine Entwicklung zum Priestertum aller Gäubigen. Die

Gläubigen nehmen Teil am sacerdotium (Priesteramt), wie der Priester am sacerdotium Christi. c) Strukturen der evangelischen Kirche

Synodalstruktur (Sunode, Landessynodalausschuß, Landeskirchenamt und Landesbischof). Bischöfliche Struktur (Löhe): episkopale Kirchenleitung; aus ökumenischem Interesse

Tendenz zur Ämterhierarchie. Kirche mutiert zum Beamtenstaat, zu einer Fortsetzung des Staates mit anderen Mitteln.

Ev.: Verkündigung kommt vor dem Amt. Kath.: Amt kommt vor der Verkündigung.

d) Fünf Gesichtspunkte zur Orientierung I) Das Amt der öffentlichen Verkündigung ist das Amt aller Gläubigen. II) Das der öffentlichen Verkündigung muß in Wort und Sakrament geschehen. III) Öffentliche Verkündigung (CA XIV) hat den politischen Aspekt und den pragmatischen.

Das Amt erfordert eine Berufung von außen (vocatio externa: Ordination) und eine innere Berufung (vocatio interna). Eine Ordination hat nicht einen veränderten Charakter in Bezug auf das Amt zur Folge (kein character indelebilis).

IV) Der Charakter des Amtes ist der sozialen Ausgestaltung der Insitution angepasst sein (keine Monopolisierung des Amtes, keine Pfarrerkirche), es muß immer im Konsens mit dem Priestertum aller Gäubigen stehen.

V) Kirchenleitende sind notwendig, aber immer iure humanum! 2. Die notwendige Institutionalität einer Kirche

Die Institution ist notwendig, aber nicht göttlich. Kath: CIC (Corpus iuris canonici), 1983 neu verfasst, schreibt eine selbständige

Kirchenordnung. In der lutherischen Kirche keine souveräne „Gesetzgebung“. Rudolf Sohm: Die Kirche des Evangeliums hat kein iuris. Johannes Heckel: Das

Kirchenrecht muß auch inhaltlich dem Evangelium entsprechen (lex charitas). In den sog. „Freikirchen“ wird die Laienbeteiligung und die Unabhängigkeit vom Staat

(„keine Staatsveträge“) groß geschrieben. Parochie: Amt der Verkündigung über die gemeindlichen Strukturen heraus (Einheit von

Wohnort, Arbeitsort und religiösem Ort).

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3. Das Wechselverhältnis der christlichen Kirchen

Die ökumenische Diskussion ging aus freikirchlichen Diskussion hervor (YMCA). Die Ämterfrage ist der ökumenische Dissens, deswegen ist keine Eucharistiegemeinschaft

möglich. Bonum commune: das Gemeinwohl (vgl. Civil religion).

Kapitel III: Die Zueignung des Heils § 41 Die Rechtfertigung des Sünders Definition: Die Rechtfertigung benennt das heiligende Geistwirken unter eem (abendländisch) besonders wichtigen Aspekt des dramatischen Geschehens zwischen Gott und Mensch: die schöpferische Versetzung des Menschen aus dem „Reich der Sünde“ in das „Reich der Gnade“. Der interkonfessionelle Gegensatz (1) zwischen der evangelischen Rechtfertigungslehre und der röm.-kath. Gnadenlehre beruht teils auf einer frömmigkeitsgeschichtlichen Ungleichzeitig-keit, teils auf der Asymmetrie ihres jeweiligen „Sitz im Leben“. Der vergleichbare Unterschied in der Zuordnung von göttlichem Handeln und menschlichem Handeln tritt (2) innerhalb der reformatorischen Konnfessionen auf im Streit zwischen der calvinistischen Prädestinationslehre und der lutherischen Erwählungslehre. Die (3) neuere ökumenische Konvergenz in der Soteriologie hat noch keine Übereinstimmung im kriteriologischen Rang der Rechtfertigungslehre für die Kirche und ihr Selbstverständnis er-bracht: Sie umfasst noch nicht alle sachlichen Fragen, und sie ist noch nicht hinreichend auf die Lebenserfahrung bezogen, die sie reflektiert und in denen sie orientieren soll.

media saltuis apprehensiva: das Medium, durch das der Geist wirkt. Ordo salutis: Die Ordnung des Heils, beschreibt die Vielfalt der Geisteswirkung

(Rechtfertigung, Bekehrung etc.) 1. Der interkonfessionelle Gegensatz

Die reformatorische Rechtfertigungslehre ist aus der Perspektive des Beters formuliert, sie reflektiert den Glauben in der Gebetsauseinandersetzung mit Gott (Gott recht geben können bedeutet, daß er mir recht gibt, er mich rechtfertigt).

sola gratia und solo Christo auch im Tridentinum, aber in der katholischen Kirche gehört das Moment des Zweifels in den Glauben hinein, der Begriff der certitudo wird deswegen abgelehnt. a) Die reformatorische Rechtfertigungslehre

CA IV: sola gratia, solo Christo und per fidem (sola fide erst in AC IV). Die Rechtfertigungslehre hat die Funktion im Treffen mit Gott ihn anerkennen zu können. Daraus erfolgten zwei Erweiterungen:

i) Die Gnade ist kein Geschenk Gottes, sie ist die Liebe Gottes (favor), sie ist also keine iustitia distributiva (Gerechtigkeit, die feststeht), sondern iustitia commutativa (Gerechtigkeit, die sich mitteilt als Akt der Zuwendung Gottes).

ii) Deswegen ist der Glaube nicht nur eine „Zurkenntnisnahme“ oder Zustimmung, sondern ein Vertrauen des Heruens in Gott.

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Forensicher Charakter: Gott erklärt uns für Gerecht, er nicht wir. Das ist aber kein Gegensatz zum effektiven Charakter. Forensich, weil es nicht von meiner Qualität abhängt und keine Vorraussetzungen nötig sind.

Deswegen ist die Rechtfertigungslehre so zu formulieren, daß das Rechts/Leistungsverhältnis aufgehoben ist.

Die Rechtfertigungserfahrung gibt uns die Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“. In diesem Gottesverhältnis bin ich gerecht (totus iustus), weil Gott mich als sein Kind

annimmt. In meiner Lebensführung bin ich aber bis zu meinem Tod Sünder (totus peccator). Deswegen ist die Rechtfertigung nie statisch. Der Glaubensgrund muß vom Glaubensakt

unterschieden werden. b) Die tridentinnische Rechtfertigungslehre

In der Gnadenlehre findet eine nahtlose Verknüpfung göttlicher und menschlicher Wirklichkeit statt, weswegen der Satz „Ganz Gerecht und gleichzeitig ganz Sünder“ nicht angenommen werden kann. Die Stärke: sie orientiert sich ganz an der Lebensgeschichte des Menschen.

Die zuvorkommende Gnade Gottes: „Bekehre uns zu dir und wir bekehren uns zu dir“ (Klg 5,21) wird verbunden mit „Bekennt euch zu mir und ich bekenne mich zu euch“ (Sach 1,3).

Das Tridentinum beschreibt also keine punktuelle Situation, sondern eine Lebenssituation, an der Gott ansetzt und an der er ihm fides, spes und caritas schenkt, Kräfte, des des Menschen Weg zum Heil möglich machen.

Problematisch: Der Glaube ist das Annehmen der Gnade, der Christ kann dadurch ein intensiverer Christ werden, sein Verhalten wird verdienstlich (Mehrung der Gnade).

Sola gratia ist der Begrauch einer geschenkten Gabe. Das Moment des Zweifels gehört hier zum Glauben.