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308 Fortsehritte der Kieferorthop/idie Bd. 26 H. 3 (1965) Aus der Universit~ttsklinik und Poliklinik fiir Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten Bonn/Rh (Direktor: Prof. Dr. Dr. G. Korkhaus) Nase und GebiB 1) Von Gerhard H. Miiller, Bonn/Rh. Mit 21 Abbildungen Unser Seh~idel bereitet der Efforsehung seiner Waehstums- und Entwicklungs- vorg/Lnge gr6Bte Sehwierigkeiten, beherbergt er doeh Zentralnervensystem, diverse Sinnesorgane, Respirationstrakt, Kauapparat, --und jedes Teilstiiek unterliegt eigenen ~Vaehstumsprinzipien, die sieh in ihrem zeitliehen Ablauf und in ihrer r/~umliehen Anordnung zu st6ren verm6gen. ~Vollen wir Kieferorthop/iden der Ausformung des uns anvertrauten Gebietes das reehte Verstfindnis entgegenbrin- gen, bleibt uns daher keine andere Wahl als die Beseh~tftigung mit den Naehbar- sph'gren, insbesondere dem Atemkanal, bestehend aus der/~uBeren und der inneren Nase. Beide weisen f/Jr den Mensehen eharakteristisehe Eigenarten auf, da sie bei ihm allein -- im Gegensatz selbst zu den anderen Ant hropoiden -- dutch das be- reits embryonal den Gesiehtssehgdel fiberwaehsende Stirnhirn zwisehen vorderer Sehfidelbasis und Kieferbezirk eingekeilt wurden [K um m er (12)]. Waehstums- vorg/inge des zentralen Nasenknorpels miissen sieh dureh diese Lage auswirken entweder in Abstandsver/inderungen zwisehen Neurokranium und Mastikations- bezirk, oder naeh der einzigen noeh often gebliebenen Seite, naeh fazial. Letzteres gesehieht, wie wit wissen, auf h6ehst variable ~Veise und v611ig afunktionell ; deml Gr6Be und Form der/iugeren Nase stehen in keinem Zusammenhang etwa zu ihrer Qualit/it als l~ieehorgan. Dadureh f/illt diesem Gesiehtssehn6rkel aber die bemer- kenswerte Nolle eiDes reinen Indikators zu, nieht nur f/Jr die Waehstumsvorg/inge (let inneren Nase, sondern in gewissen Grenzen aueh fiir jene des Gesamtorganis- mus, beruhen doeh allgemeine K6rpergr6ge wie Nasenl/inge und -tiefe in gleieher Weise auf der Aktivitfit yon Wuehsknorpel. DiG Anthropologen f~ihren in diesem Sinne eine Quersehiehtung Iv. Ei c k s te dt (6)] der mensehliehen GroBrassen, der Europiden, Mongoliden und Negriden (Abb. 1), dutch, die man --w6rtlieh --an der Nase ablesen kann: Es bestehen bei allen drei Subspecies 1. theromorphprimitive (tierhafte)Typen (Abb.2), 2. in- fantil-primitive Typen mit steiler Stirn, kleinem fliehendem Kinn, kleinem unter- setztem K6rperbau und kindlieh-runder Nasenkuppe (Abb. 3), 3. progressive Typen mit verringerter Stirnsteilheit, waehsender Kinnprominenz, gr6~3erem K6rperbau und ausgepr/igterer Nase (Abb. 1, links). Als Ursaehe ffir diese Rassensehiehtung finder man den untersehiedliehen Zeitpunkt des Eintrittes der Gesehleehtsreife und damit der Beendigung des progressiven heterogenen Waehstums angegeben [v. Eiekstedt (6)], womit aueh dig durehsehnittlieh infantilere Morphologie der Frau erklfirt wird. Maggebend ist die -- relativ zum Gehirnseh/idel -- sp/~te Ent- wieklung des Gesiehtssehfidels. 1) Vortrag gehalten anlfil~lieh der Jahrestagung des Club international de Morphologie faeiale. Bonn 1960.

Nase und Gebiß

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308 Fortsehritte der Kieferorthop/idie Bd. 26 H. 3 (1965)

Aus der Universit~ttsklinik und Poliklinik fiir Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten Bonn/Rh (Direktor: Prof. Dr. Dr. G. Korkhaus)

Nase und GebiB 1)

Von Gerhard H. Miiller, Bonn/Rh.

Mit 21 Abbildungen

Unser Seh~idel bereitet der Efforsehung seiner Waehstums- und Entwicklungs- vorg/Lnge gr6Bte Sehwierigkeiten, beherbergt er doeh Zentralnervensystem, diverse Sinnesorgane, Respirationstrakt, Kauapparat, - - u n d jedes Teilstiiek unterliegt eigenen ~Vaehstumsprinzipien, die sieh in ihrem zeitliehen Ablauf und in ihrer r/~umliehen Anordnung zu st6ren verm6gen. ~Vollen wir Kieferorthop/iden der Ausformung des uns anvertrauten Gebietes das reehte Verstfindnis entgegenbrin- gen, bleibt uns daher keine andere Wahl als die Beseh~tftigung mit den Naehbar- sph'gren, insbesondere dem Atemkanal, bestehend aus der/~uBeren und der inneren Nase. Beide weisen f/Jr den Mensehen eharakteristisehe Eigenarten auf, da sie bei ihm allein - - im Gegensatz selbst zu den anderen Ant hropoiden - - dutch das be- reits embryonal den Gesiehtssehgdel fiberwaehsende Stirnhirn zwisehen vorderer Sehfidelbasis und Kieferbezirk eingekeilt wurden [K um m er (12)]. Waehstums- vorg/inge des zentralen Nasenknorpels miissen sieh dureh diese Lage auswirken entweder in Abstandsver/inderungen zwisehen Neurokranium und Mastikations- bezirk, oder naeh der einzigen noeh often gebliebenen Seite, naeh fazial. Letzteres gesehieht, wie wit wissen, auf h6ehst variable ~Veise und v611ig afunktionell ; deml Gr6Be und Form der/iugeren Nase stehen in keinem Zusammenhang etwa zu ihrer Qualit/it als l~ieehorgan. Dadureh f/illt diesem Gesiehtssehn6rkel aber die bemer- kenswerte Nolle eiDes reinen Indikators zu, nieht nur f/Jr die Waehstumsvorg/inge (let inneren Nase, sondern in gewissen Grenzen aueh fiir jene des Gesamtorganis- mus, beruhen doeh allgemeine K6rpergr6ge wie Nasenl/inge und -tiefe in gleieher Weise auf der Aktivitfit yon Wuehsknorpel.

DiG Anthropologen f~ihren in diesem Sinne eine Quersehiehtung Iv. Ei c k s te d t (6)] der mensehliehen GroBrassen, der Europiden, Mongoliden und Negriden (Abb. 1), dutch, die man - -w6rt l ieh - - a n der Nase ablesen kann: Es bestehen bei allen drei Subspecies 1. theromorphprimitive (t ierhafte)Typen (Abb.2), 2. in- fantil-primitive Typen mit steiler Stirn, kleinem fliehendem Kinn, kleinem unter- setztem K6rperbau und kindlieh-runder Nasenkuppe (Abb. 3), 3. progressive Typen mit verringerter Stirnsteilheit, waehsender Kinnprominenz, gr6~3erem K6rperbau und ausgepr/igterer Nase (Abb. 1, links). Als Ursaehe ffir diese Rassensehiehtung finder man den untersehiedliehen Zeitpunkt des Eintrittes der Gesehleehtsreife und damit der Beendigung des progressiven heterogenen Waehstums angegeben [v. E i e k s t e d t (6)], womit aueh dig durehsehnittlieh infantilere Morphologie der Frau erklfirt wird. Maggebend ist die - - relativ zum Gehirnseh/idel - - sp/~te Ent- wieklung des Gesiehtssehfidels.

1) Vortrag gehalten anlfil~lieh der Jahrestagung des Club international de Morphologie faeiale. Bonn 1960.

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Abb. 1. Die drei menscb_lichen G rol3rassen [aus v. E i c k s t e d t (6)]

Abb.2. Theromorphe Primitivit/it: Austra- lier, Panyer aus Siidindien, junger Gorille

[aus v. E i c k s t e d t (6)]

Abb. 3. Infantile Primitivit~t: Oraonfrau aus Indien, europides Kind, Frau aus

Oberbirma [aus v. E i c k s t e d t (6)]

Grunds/~tzlich bes tehen bei al len Rassen gewisse Kor re la t ionen :

1. Mit wachsender Nasenbre i t e nehmen Nasenl / inge und auch Nasent iefe ab, 2. L~ngenbre i ten indizes yon Weich te i lnase u n d Knochennase lau ibn wei t -

gehend paral lel . Durch diese morphologischen Gegebenhei ten wird der Querschn i t t des Nasen t r ak t e s ziemlich k o n s t a n t geha l t en (Abb.4) m~d d a m i t eine gleichblei- bende Versorgung der I nd iv iduen mi t Sauers tof f gew/ihrleis tet .

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310 Fortschritte der Kieferorthop/tdie Bd. 26 H. 3 (1965)

Als Hauptelement der untersehiedliehen vertikalen Nasenentwieklung mug die differente ~Vaehstumsaktivit/tt des zentralen Nasenknorpels angesehen werden, der - - neben Oehirn, Zunge und Sehgdelbasisknorpel - - einen der wesentliehsten Stemmk6rper ffir die Seh~idelentwieklung darstellt [ W u r m b a e h (21)].

Um das Verst/~ndnis f/it diese Ansehauung zu erleiehtern, m6ehte ieh hier kurz auf Entstehung und Waehstum yon Knorpelgewebe wie auf die histologisehe Differenzierung des Mesenehyms fiberhaupt eingehen, wie sie sieh aus den grund- legenden Untersuehungen des Zoologen W u r m b a e h (19, 2(i, 2 l) ergeben :

In sauerstoffarmen Oewebspartien. z. B. im Zentrum yon Blastemen, beginnen die hyalurons/iure-haltigen Mesenchymzellen zu quellen. Ihre Vergr6Berung ffihrt zu einer Dehnung der randst/indigen Zellen. Diese Oestaltsverzerrung ffihrt zar

Aneinanderlagerung yon Kettenmolekfilen (Aminos/ture-Polymerisaten), zur Bildung von kollagenen Fibrillen im peripheren Gebiet des Blastems. Die auf diese Weise um die Bla- sterne entstehenden, meehaniseh resistenten, fibrfsen Membranen ermfgliehen bei weiterer Quellung der zentralen Zellen eine hydrosta- tisehe Drueksteigerung ; d. h. die innen liegen- den Zellen werden einer allseitig einwirken- den. n i e h f gestaltverzerrenden Belastung unterworfen. Dieser hydrostatisehe Druek aber ffihrt, gemeinsam mit der sauerstoft-

Abb. 4. Kn6eherne Nasenfffnungen armen Lagerung, zur Gntstehung von Knor- versehiederter Hfhe und Breite [Um- pelzellen, die sieh bei weiterem Ansteigen

zeiehnung naeh v. Eiekstedt (6)] des Druekes unter Bildung yon quellbarer Chondroitinsehwefelsgure fortlaufend vergrf-

Bern, bis sie sehlieglieh an einem bestimmten Maximalpunkt degenerieren und verkalken. - - Aueh dieser Verkalkungsvorgang ist, naeh Z a m b o t t i (23), weit- gehend gekl/irt: Es handelt sieh um die Verkettung von Collagen-Pyrophosphat- Kalzium-Chondroitinsulfat unter Einwirkung bestimmter Phosphatdonatoren. vorwiegend der ATP (Adenosin-tri-Phosphors~ture)..

Konnten ffir die Entstehung yon Knorpelzellen und von Bindegewebsfibrillen demnaeh ganz spezifisehe meehanisehe t/eize (hydrostatiseher Druek, linearer Zug) als verantwortlieh angegeben werden, so bestehen solehe [naeh W u r m b a e h (19), P a u w e l s (15) u. a.] ffir die Bildung yon Knoehengewebe nieht. Diese stellt sieh aussehliel~lieh an Stellen ein, wo bereits vorhandene bindegewebige, knorpelige oder knfeherne Leitgerfiste gr6gere Druekerh6hungen verhindern und damit das Ninwaehsen von Blutgef/tgen gestatten.

Abh/ingig sind s/imtliehe Diffbrenzierungsvorg/~nge natfirlieh von den an Ort befindliehen Substraten, in erster Linie bestimmten Hormonen, wie wir aus den grundlegenden experimentellen Arbeiten wissen, so - - um nut einige zu nennen - - von L a n d a u e r , W u r m b a e h (20, 22), E v a n s , B e c k s , B a u m e (1), E r h a r d (7).

Einem embryonalen Blastemknorpel vergleiehbar liegt aueh der Cartilago sep- todorsalis der Nase unter einer allseitig stratum umsehliegenden Hfille, naeh lateral gebildet von fibrillenreiehem Periehondrium (16), naeh kranial, kaudal und ventral yon angrenzendem Knoehen.

Um zun/iehst einmal Grundsgtzliehes fiber die morphologisehen Waehstums- tendenzen und -m6gliehkeiten des Septalknorpels zu erfahren, untersuehte ieh an dem wm K o r k h a u s gesammelten Bonner Zwillingsmaterial Umweltlabilit/it

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Gerhard H. Miiller, Nase und Gebil3 311

und allgemeine Variabilitat des ihm zugeordneten Seh/tdelbezirkes. Es wurden an Fernr6ntgen-Seitbildern yon je zwanzig eineiigen und zwanzig gleiehgesehleeht- lichen zweieiigen Paaren mit abgesehlossenem Zabnweehsel (einsehlieBlieh 2. Mol.) die F1/iehen yon Hirnseh/idel, Respirat ionstrakt und Kieferbezh'k planimetriseh vermessen (Abb. 5). Als Abgrenzung der Nasenzone diente die Linie Nasion-Spenoi- dale-Artikulare-Spina nasalis posterior-Nasospinale-Nasion. Ffir die mittlere prozentuale Abweiehung bei den EZ erhielt ieh bei der Nasenzone 1,1 - - e inen Wert, der zwisehen dem des Hirnseh/tdels mit 0,8 und dem des Kieferbezirkes mit 1,6 steht. Die gleiehe intermedi/ire Stellung nimmt die Nasenfl/iehe aueh bei den ZZ mit 3,0 ein, gegen/iber 2,3 fiir den Hirnseh/tdel und 3,8 ffir die Mastika- tionszone. Die aus den im Unter- suehungsmaterial vorgefundenen Ex- tremwerten erreehneten m a x i m a 1 en prozentualen Abweiehungen wiesen ein analoges Verhalten auf mit 16,0 ffir den Nasenraum gegen 10,5 ffir den Hirnseh/~del und 22,5 ffir die Kiefer- fl/tehe. D. h., die allgemeine Gr68en- variabilit/~t steigt parallel mit der Um- welt labilit/Lt vom Hirnseh/tdel fiber den Respirationstrakt zum Kieferbe- reich hin an, wobei die Nasenfl/iehe eine ziemlieh exakte Mittellage ein- nimmt.

Die verh/~ltnism/~gig hohe Umwelt- labilit/tt und die allgemeine Gr68en- variabilit/tt yon Nasen- und Kiefer- fl/~ehen bieten MSgliehkeiten ffir mor- phologisehe Konstellationen, welehe eine funktionell hoehwertige Gestal- tung des Gebisses und eine/tsthetiseh befriedigende Gesiehtsharmonie be- tr/tehtlieh st6ren k6nnen. Zahlreiehe

/

Abb. 5. Abgrenzung der drei Bezirke Hirn- sch~idel. Respirationstrakt und Kiefergebiet am Fernr6ntgen-Seitbild fiir die planimetri- sehe Vermessung (Ermittlung der Umwelt- labilit/~t "jedes Bezirkes dureh Zwillingsunter-

suehungen)

Untersuehungen befaBten sieh bereits mit dieser Frage. Ieh m6ehte hier nur an die Arbeit yon K o r k h a u s und N e u m a n n (10) erinnern, fiber (lie Beteiligung yon Ober- und Unterkiefer bei der Progenie. Es wurde die Gruppierung in zwei Proge- nie-Typen empfohlen, 1. solehe mit vorwiegend unterentwiekeltem Oberkiefer, 2. solehe mit vorwiegend fiberentwiekeltem Unterkiefer. Ieh will nun im folgenden versuehen, ffir diese und andere Anomalien dureh st/~rkeres Einbeziehen der verti- kalen Komponente weitere Klarheit zu sehaffen.

Auf Abbildung 6 sehen wit die Fernr6ntgenaufnahme eines Sj/thrigen Knaben, dessen Progenie offensiehtlieh bedingt ist dutch Unterentwieklung des Oberkiefers, beruhend auf einer Waehstumshemmung des nasalen Stemmk6rpers. Der Unter- kiefer stfilpt sieh fiber die eingestauehte mittlere Gesiehtspartie. Das zugeh6rige Fotostatbild (Abb.7) zeigt einen infantil retardierten Typ mit steiler Stirn und kleiner Kuppennase, oder Gruppe 1 naeh K o r k h a u s und N e u m a n n .

Ein davon v611ig abweiehendes Profil bietet sieh beim n/iehsten Progenie- patienten, einem 20j~hrigen jungen Mann (Abb. 8). Hier best, eht neben einer betont progressiven Nasenpartie ein fiberh6htes Untergesieht. Der auf dem FernrSntgen-

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bild (Abb. 9) genauer zu erkennende fibernormale Kieferwinkel und die lange Unter= kieferbasis lassen diesen Fall einordnen in die Gruppe 2 nach K o r k h a u s und N e u - m a n n : , ,Uberentwicklung des Unterkiefers".

Da die Vergr56eru~g einer knSchernen Hohlform, wie sie bei diesem Unter- kiefer vorliegt, nur zustandekommen kann dureh entspreehend verst/~rkten Druek eines eingelegten StemmkSrpers, so vermutete man bisher bei dieser Gruppe von Progenien eine iibernormal groge Zunge. Diese Auffassung konnte allerdings nie- mals bewiesen werden, da Methoden zur exakten Messung des Zungenvolumens am Lebenden unbekannt sind. Andererseits wurde in einer kfirzlieh erschienenen Arbeit yon K o r k h a u s und Mfi l l e r (11) der Standpunkt hinreiehend begrfindet, bei der

Abb. 6 Abb. 7

Abb.6. Fernr6ntgenbild eines achtjahrigen Knahen mit Progenie, beruhend auf Retrusion des Respirationstraktes �9

Abb.7. Fotostataufnahme des Falles yon Abbildung 6. Das Aussehen mit eingestauchtem Mittelgesicht, steiler Stirn und kleiner Kuplcennaxe entspricht dem infantil-retardierten Typ

landli~ufigen Progenie handele es sich keinesfalls um die Manifestation einer der iiblichen hormonellen StSrungen. Da somit bisher ffir eine echte Massenzunahme der Zunge bei der Progenie weder eine Ursache noch ein Nachweis erbracht werden konnten, begann ich nach einer Alternative fiir die zweifellos erhShte Stemm- kSrperwirkung der Zunge auf den Unterkiefer zu suchen. Bei Durchffihi~ng einer grSl~eren Reihe zephalometrischer Wachstumsanalysen gelangte ich zu der l~ber- zeugung, dab es sieh um die Folge einer Z u n g e n v e r d r ~ n g u n g handeln muB, beruhend auf dem Absinken des Nasenbodens durch Hypertrophie am zentralen nasalen Knorpelsegment : Die aus der Halsregion aufsteigende Zunge erf~hrt eine vorzeitige Ablenkung nach fazial und n immt in den Progenief~llen den sie umhiil- lenden Unterkiefer mit nach vorn.

Zum Nachweis dieser Auffassung bediente ich reich der Messung des Abstandes zwischen der verli~ngerten Oberkieferbasis-Linie ( N a s o s p i n a l e - Spina nasalis posterior) und dem Kondylare [Mii l ler (13, 14)]. Dieser Abstand stieg im vor-

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Gerhard H. Mfiller, Nase und Gebifl 313

Abb. 8. Fotostataufnahme eines zwanzigjiihrigen Mannes vom progressiven Typ: l~berhShtes Mittelgesicht mit langem Nasenriicken. Progenie

durch Tiefsteigen des Nasentraktes

Abb. 9. FernrSntgenaufnahmen des Patienten von Abbildung 8 im Alter von 15 und 21 Jahren. Das in der Beobachtungszeit erfolgte Absteigen des Nasenbodens wurde dargestellt durcl~ die Verliingerung des Lotes vom Kondylar6" zur Ge- raden Nasospinale-Spina nasalis posterior ~von 10 mm auf 14 mm). Bedingt durch die progenie- bek/~mpfenden Mal3nahmen (Kinnkappe) konnte die nach unten-yom verdr/~ngte Zunge den Un- terkiefer nicht weiter nach fazial fiihren. Sie schaffte sich Raum zwischen den Zahnreihen (seitlich oftener BiI3); es vergrSBern sich Kiefer-

winkel und UntergesichtshShe

Abb. 8

Abb. 9

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314 Fortschritte der Kieferorthop~tdie Bd. 26 H. 3 (1965)

liegenden Progeniefalle (Abb.9) zwischen dem 15. und dem 2]. Lebensjahr von 10 auf 14 mm. Die Mandibula folgte der Vertikalbewegung des Oberkiefers offenbar unter Kippung um ein Hypomoehlion im Molarenbereich. Dies wiederum hatte zur Folge eine weitere ~berhShung im Frontbereich und weitere VergrSBerung des Unterkieferwinkels dutch Knoehenresorption in der Gonialgegend wegen fiberhSh- ter Spannung der Masseter-Pterygoideus-Schlinge.

Der beschriebene Mechanismus erlaubt die Beobachtung yon D a u s c h - N e u - m a n n (4) zu deuten, dab diese 2. Gruppe von Progenien zum frontal offenen BiB neige. Die nach fazial verdr/ingte Zunge kann - - bedingt durch die jeweils vor-

Abb. 10. FernrSntgenaufnahmen eines Progeniefalles mit 6 und mit 12 Jahren. Auch hier eine VergrSBerung des Lotabstandes vom Kondylare zur Verl~tngerung der Geraden Nasospinale- Spina nasalis posterior um 4 mm (yon 6 mm auf l0 mm) : Verdr/~ngung der Zunge nach vom-

abw/irts unter Mitnahme des Unterkiefers

liegenden Begleitumst~nde den Unterkiefer entweder mitnehmen oder sich, den Bi B 5ffnend, zwischen die Zahnreihen zws Im vorliegenden Falle z. B. entwickelte sich, unter Mitwirkung der in der Beobachtungszeit getragenen Apparatur, ein - - hier allerdings se i t l i ch - - oftener BiB.

Die folgende Abbildung 10 bringt einen altersm~Big friiheren Entwicklungs- abschnitt von Progenie. Bei dem zwischen 6. und 12. Lebensjahr erfaBten Fall kann man die sich anbahnende schwere Anomalie nach der ersten Aufnahme be- reits ahnen. Unter Absteigen des Nasenbodens um 4 mm wird sie dann manifest.

Beim n~chsten Patienten (Abb. 11) besteht mit 11,5 Jahren Kieferkompression mit frontalem Engstand bei DistalbiB. ~Tir wissen, dab derartige Anomalien bei groBem Kieferwinkel und knappem l~berbiB, wie vorliegend, auf Dehnungsbehand-

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Gerhard H. Miiller, Nase u n d Gebi~ 315

Abb. 11. FerarSntgenaufnahme eines Falles mi t Tendenz zum offenen B i i l u n d groBem Kiefer- winkel, im Alter yon 11,5 und 19,5 J ah ren : Absteigen des Nasenbodens um 5 mm (VergrSBe-

rung der Lotl~nge vom Kondylare yon 9 mm auf 14 mm)

Abb. 12 Abb. 13

Abb. 12. Fotos ta taufnahme des Falles yon Abbildung 11, im Alter yon 11 Jah ren : Vert ikal gezerrt erscheinende Nasenpart ie mi t angehobener Oberlippe

Abb. 13. Nasenregion aus einer frontalen FernrSntgenaufnahme des Falles der Abbi ldung 11 und 12: Die Septumdeviat ion zeigt an, daft die knSeherne Umgebung dem iiberhShten Wachs- turn des zentralen Nasenknorpels n icht rasch genug ausweichen konnte. Infolge dleser Dys-

harmonie kam es zur Durchbiegung des Septums

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316 Fortschritte der Kieibrorthop~die Bd. 26 It. 3 (1965)

lung gem mit BiB6ffnung antworten. Dieses Resultat t ra t auch bier ein, wie das R6ntgenbild des nunmehr 19,5j~hrigen zeigt. Als Grundfibel ist wiederum das Absteigen des Gaumendaches, diesmal um 5 mm, anzusehen.

Bereits das klinische Bild (Abb. 12) liiBt die Wirkung einer Septumhypertrophie erkennen : Die Nase des ll j~hrige n Patienten erscheint langgezerrt, die Oberlippe wurde durch Uberdehnung des Mittelgesichtes angehoben; es entstand die sog. ,,kurze Oberlippe".

Das iiberm~Bige Wachstum des zentralen Nasenknorpels geht in diesen Fifllen hi~ufig so weit, daft der umgebende Knochen sich nicht genfigend schnell anpassen

Abb. 14. Nasenscheidewand vom Erwachsenen, unter Hervorhebung des knorpeligen Seg- mentes [Umzeichnung nach Rauber-Kopseh (16)]

kann. Es kommt dann zu einer bei dieser Anomaliengruppe sehr oft zu beobachten- den Septum-Deviation, wie sie z. B. bei dem Patienten yon Abbildung 10 und 11 nachweisbar ist (Abb. 13). Der Knick befindet sich gew6hnlich in der H6he des Processus Sphenoidahs des septodoisalen Zentralknorpels (Abb. 14), der sich beim Erwachsenen nicht v611ig verkn6chert, im Gegensatz zu seiner - - i nd i r ek t en - - Verl/~ngerung an der Sch/idelbasis, der Synchondrosis spheno-okzipitalis. Die Ver- biegung des Nasenseptums beginnt im allgemeinen nach dem 7. Lebensjahr (16). Ich konnte sie r6ntgenologisch in ihrer Entwicklung bei einem Patienten zwischen dem 8. und dem 11. Lebensjahr beobachten (Abb. 15). Man empfindet beim Anblick dieser Bflder direkt, wie sich das hypertrophierende Septum abqu/ilt, seine knS- cherne HShle vertikal zu erweitern.

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Gerhard H. Miiller, Nase und GebiB 317

Abb. 15. Ausschnit te aus FernrSntgenaufnahmen eines Pa t i en ten zwischen dem 8. und dem 11. Lebensjahr : Progressive D6rehbiegung der Nasenscheidewand infolge yon Dysharmonie zwisehen Wachstumsukt iv i t~ t des Septalknorpels und ReaktionsvermSgen der knSehernen

NasenhShlen-Begrenzung

Abb. 16. FernrSntgenaufnahmen eines Progeniefalles im 7. und im 14. J a h r : Durchbeulen des N'asenbodens naeh oral infolge hoher Wachs tumsakt iv i t~ t des zentralen N'asenknorpels, ver- !)unden mi t Absteigen des Nasenbodens um 5 ram. Trotz dieser Wachstumsverhgl tnisse giin- stige Beeinflussung des Kiefergebietes durch therapeutische Vorentwicklung des Mittelgesich-

tes (Kinnkappe mi t Stegen, intra-extraorale Gummiziige an die obere P la t tenappara tur )

_~2 Fortschritte der Kieferorthop$idie Bd. 26 :H. 3

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Die S temmk6rperwi rkung des zent ra len Nasenknorpels zeigt sich gelegentlich auch auf andere Weise : Abbi ldung 16 l~Bt ein Durchbeulen des Nasenbodens nach u n t e n an der Vergr6Berung seines Abs tandes zur Oberkieferbasisgeraden erkennen.

Abb. 17. Fernr6ntgenbilder einer Patientin im 10. und im 16. Lebensjahr: Die Horizontallage des Nasenbodens blieb unver~ndert, eine verclr~ngende Wirkung auf die Zunge trat nicht ein ;

es bestehen tiefer frontaler l~berbiB und DistalbiB

' e l : . s

Abb. 18. t~berdeckung der Durchzeichnungs-Folien der Abbildung 17 in der Okzipitalbasis: Reine Horizontalbewegung des i~asenbodens, demzufolge keine Zungenverdr~ngung mit se-

kund~rer Entwicklung yon Progenie und/oder offenem BiB

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Gerhard H. 31filler. Nase und Gebil] 319

Aueh bei diesem - - im fibrigen mit Erfolg behandelten - - Falle finden wir zwisehen dem 7. und 14. Lebensjahr auBerdem wieder eine Abw/irtsentwieklung des Nasen- bodens insgesamt, meftbar an der VergrSBerung des Vertikalabstandes yon der Okzipitalbasis yon 8 auf 13 ram.

Meiner entwicklungsmechanisehen Vorstellung fiber die Entstehung bestimm- ter Anomalien wird entgegengehalten werden, ein Abw/trtssteigen des Nasenbodens sei nichts auBergew6hnliehes, sondern sie finde nach B r o a d b e n t in jedem Normal- falle start. Diesem Einwand mug ich entgegnen, dab (lie Entstehung einer solchen Ansicht nur m6glieh war unter Verwendung peripherer Bezugsgr613en als Basis ffir Wachstumsanalysen nach dem [)berdeckungsverfahren. Bereits B r o d i e (2) korrigierte die Ergebnisse yon B r o a d b e n t insofern, als er (lie angebliche Parallel- entwicklung der einzelnen Gesiehtssch/idelfaktoren l/ings der y-Achse widerlegte. Sp'ater zeigte die l~'berdeekungsmethode yon Co ben (3), orientiert nach einer Paral- lelen zur FH dutch das Basion, dab sich die vordere Sch/idelbasis wShrend des Wachstums naeh oben-vorn bewegt. Ich verziehtete, noeh einen Sehritt welter- gehend, bei der Waehstumsanalyse v611ig auf die Verwendung peripherer Bezugs- punkte und -linien als MeBbasis [M/il ler (13, 14)]. Die folgenden Bilder m6gen (tie benutzte Methode verst/indlich maehen und ihre grunds/itzliehen Ergebnisse darlegen.

Sie sehen auf Abbildung 17 die Fernr6ntgenauthabmen eines weiblichen Indi- viduums im 10. m~d im 16. Lebensjahr. Auf die iiberdeckenden, transparenten Folien wurden die Geraden dutch (lie Punkte Nasion-Sphenoidale und Naso- spinale--Spina nasalis posterior gezeichnet, ferner der Unterkieferrand und die Okzipitalbasis mit dem Kondylare. Auf Abbildung 18 finden Sie (lie gleichen Ori- ginalfolien in l~'berdeckung an der ()kzil)italbasis dargestellt, die ich als 3Ie!3basis verwende. Wir erkennen eine etwa konzentrisehe Ausweitung der Kalotte, eine Aufw/irts-Vorw/trts-Entwieklung der vorderen Schgdelbasis, eine r e i n e Vor - w / i r t s e n t w i e k l u n g der Oberkieferbasis (des Nasenbodens) und eine Abw/irts- Vorw/irts-Entwicklung des Kieferbezirkes. Dieses Bild entspricht der /ibliehen f/tcherf6rmigen Gesichtsseh/tdelentwicklung. Die Vertikallage zwischen Oberkie- ferbasis und Okzipitalbasis bleibt dabei, wie ich immer wieder feststellen konnte, konstant.

Dies sei noeh mit einem weiteren Falle belegt (Abb. 19), in welehem zwisehe, 9 und 14 Jahren trotz Entwieklung einer aullergew6hnlieh groBen Nase der Verti- kalabstand zwisehen beiden Bezugslinien unver/indert geblieben ist.

Vielleieht besteht ein Zusammenhang zwisehen der untersehiedliehen Orientie- rung des Nasenwaehstums und der L/inge der vorderen Seh/idelbasis. So stellte ieh bei einem von K o r k h a u s (8, 9) ver6ffentliehten Fall eineiiger Zwillinge naeh Einzeiehnung der verl/ingerten Oberkieferbasisgeraden (Abb.20) einen gr613eren Abstand zur Okzipitalbasis bei dem turrizephalen Partner fest. Denkbar wiire, dal] unter Voraussetzung einer volumenmgl3ig gleiehgroBen septalen Waehstums- zunahme im Falle der kfirzeren Seh/idelbasis der Nasenknorpel mehr naeh unten, im Falle der lgngeren mehr naeh vorn w/iehst. Interessanterweise zeigt sieh bei dem Turrizephalen ein progenes Prolil, das in Anbetraeht des gleiehfalls etwas verl/ingerten Unterkieferk6rpers nieht nur auf Riieklage des Mittelgesiehtes, son- dern zugleieh auf Verdr/ingung der Zunge zuriiekgef/ihrt werden dare

Als letzten, besonders augenfiilligen Beleg flit den aufgezeigten Waehstums- meehanismus bringe ieh noeh eine Dysostosis eranio-faeialis ( ' ro u zon (Abb. 21). Es bestehen, wie iiblieh, stark verkfirzte vordere Seh/idelbasis und Papageien- sehnabelnase. Die Entfernung der Oberkieferbasisgeraden zum Kondylare fiber- 2 2 * "

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320 Fortschrit te der Kieferorthop~die Bd. 26 H. 3 (1965)

Abb. 19. FernrSntgenaufnahmen eines Patienten zwischen 9 und 14 Jahren: Reine Horizontal- I~ewegung des Nasenbodens. Trotz therapeutischer Bemiihung blieb ein zu tiefer frontaler

Uherbi6 bestehen

Abb. 20. FernrSntgenaufnahmen eines eineiigen Zwillingspaares [aus K o r kh a u s (8, 9)]. Die nachtr~tglich eingezeichneten Geraden ]qasospinale-Spina nasalis posterior lassen erkennen, dab der N'asenboden des linken, turrizephalen Partners tiefer wanderte und zur Bildung einer

Progenie fiihrte

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Gerhard H. Miiller, Nase und GebiB 321

trifft mit 21 mm das bei den anderen Fallen gefundene Maximum von 14 mm er- heblich. Auch bier scheint die primare Verkfirzung der vorderen Schadelbasis den daran aufgehangten Nasenknorpel in seinem Wachstum weitgehend nach ab- warts dirigiert zu haben. Der septale Wachstumsdruck dokumentiert sich im Durchbeulen des Nasenbodens nach unten. Die Mandibula kippte um ein Hypo- mochlion im Bereich der oberen Molaren, und die verdrangte Zunge fiihrte zur BiB6ffnung. Hierzu mul~ ich bemerken, dab es nach K o r k h a u s (9) bei dieser Dyostose gewShnlich zur Ausbildung einer Progenie kommt, eine Beobach- tung, die D e g e n h a r d t (5) in einer kfirzlich erschienenen VerSffentlichung an drei weiteren Fallen verschiedener Altersgrade bestatigen konnte.

AbschlieBend mSchte ich bemer- ken, dal~ sieh der ffir bestimmte Typen von Progenie und offenem Bil~ be- schriebene Waehstumsmeehanismus mit bisherigen Untersuchungsergeb- nissen zwanglos vereinbaren laBt: Die Beobachtung von Knochenresorption am Gonion durch Herabkippen des Unterkiefers und erh6hten Zug der dort ansetzenden Kaumuskelschlinge stimmt fiberein mit Messungen von K o r k h a u s und N e u m a n n (10) : Un- ter 15 Fallen des Progenietyps mit ,,(~berentwicklung des Unterkiefers" betrug das Verhaltnis von fiberdurch- schnittlichen zu unterdurchschnitt- Abb.21. FernrSntgenaufnahme einesPatienten lichen Werten des Unterkieferwinkels mit Dysostosis kranio-facialis Crouzon. Die 10:4 oder 2,5, gegenfiber 3:3 oder 1,0, Lotlttnge vom Kondylare zur Nasenboden- also Durehschnitt, bei den 9 Fallen ebene iibertrifft mit 21 mm die iiblichen Werte mit ,,Unterentwicklung des Oberkie- erheblich. AuBerdem zeigt sieh eine deutliehe lets". Ebenfalls in Ubereinstimmung Durchbeulung des Nasenbodens nach oral. befindet sich meine Auffassung mit Die verdr~ngte Zunge schaffte sich zwischen der Angabe yon A. M. S c h w a r z (17), denZahnreihen Raum: Bialveol~re Protrusion daB bei offenen Bissen haufig ein Or- mit offenem BiB bitaltiefstand zu beobachten sei: Es ist einleuehtend, dab bei einer abnormen Abwartstendenz des Nasenknorpelwachs- rums die Syndesmosen des Gesichtssch~lels in gleicher Richtung beeinfluBt wer- den und damit auch die Orbitae tiefer zu stehen kommen; ein Umstand, der den Weft der FI-I als zentrale Bezugslinie ffir Wachstumsuntersuchungen erh6ht an- zweifeln laBt.

Zur Frage nach der Ursache ffir die Hypertrophie des zentralen Nasenknorpels kann man nur sagen, da~ funktionell-mechanische Reize yon auBen nicht in Be- tracht gezogen werden k6nnen. Es handelt sich offenbar um eine Teilerscheinung der fiber alle Lander und Rassen zu beobachtenden Progressivitat der Entwick- lung, um das Manifestieren der Akzeleration im Gesichtsschadel. Das in seinen Ursachen noch weitgehend ungeklarte Akzelerationsphanomen tragt nach unserer

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322 Fortsehri t te der Kie%rorthop/idie Bd. 26 H. 3 (19~i5)

A u f f a s s u n g w e s e n t l i c h bei z u r E n t w i e k h m g e i n e r G r u p p e y o n K i e f e r - G e b i B - A n o m a , i e n , d ie d e n b i s h e r i g e n t h e r a p e u t i s e h e n B e m f i h u n g e n b e s o n d e r s s t a r k e n W i d e r s t a n d bo t . I h r e H e i l u n g m/il3te, / i t io log i seh g e s e h e n , v o m M i t t e l g e s i e h t au s e r t b l g e n , u n d f iber g e e i g n e t e W e g e g i l t es n a e h z u d e n k e n .

Z usa uunenlassmlg

1. Der mensehliche Sehadel besteht aus Teilbezirken mit stark voneinander abweiehenden funktionellen und entwicklungsmaBigen Eigenheiten. Diese Teilbezirke miissen sich wahrend ihrer speziellen, wachstumsbedingten Ausdehnung gegenseitig beeinflussen. Dabei kommt der nasalen Region besonders am menschlichen Schtidel Bedeutung zu; denn sie ist in diesem Falle eingekeilt zwisehen dem prot rudier ten St i rnhirn und dem Kausystem.

2. Die Anthropologie erkannte eine Querschichtung der menschlichen Grollrassen in retardier te Typen ( theromorph-primit ive und infantil-primitive) mit kleinem K6rperbau und kurzer, kindl ich-runder Nase und in progressive Typen mit groflem K6rperbau und hoher, prominenter Xase. Es seheint beim 5[ensehen eine phylogenetisehe Tendenz zu bestehen in Richtung veto ersten zmn zweiten Typ, die zusammenhiingt mit der allgemeinen Akzele- rat ion und anseheinend aueh mit dem Zei tpunkt des Eint re tens der Gesehleehtsreife.

3. Kausal maBgebend ftir das Wachstum sowohl der GesamtkOrpergr6Be als aueh der Nasenh6he sind in erster Linie die entspreehenden regionalen \Vuehsknorpel. Fiir deren Akti- v i ta t gelten in siimtliehen morphologisehen Bezirken die gleichen Voraussetzungen.

4. Die heute dart iber kestehenden Erkenntnisse fiIlden eine kurze Darstellung. Im ~vesent- lichen handel t es sieh um Reakt ionen des mesenehymalen Gewebes auf jeweils vorliegende Bedingungen des Stoff~ echsels (Anschluf] an das glutgefiiflsystem) mid b, est immte mechani- sehe Verh/iltnisse.

5. Um Auskunft zu erhal ten fiber die Umweltlabilitgtt des Xasenbezirkes in Relation zu anderen Sehadelregionen. wurden an Yernr0ntgen-Seitaufl lahmen gleiehgesehlechtlieher Zwillingspaare die Fl~iehen yon Hirnschiidel, Respira t ionst rakt und Kieferbezirk planimetriseh vermessen. Es ergaben sieh far die EZ mitt lere prozentuale Abweichungen zwisehen den Part- nern yon 0.8-- 1,1--1.6; far die ZZ yon 2.3 3.0--3,8. D. h., die [TmweltlabilitS-t des Xasen- bezirkes liegt in tier Mitre zwisellen jener yon HirnsehadeI und K ie%rl;ezirk. Das g[eiehe ergab sicll a i r die gefundenen m a x i m a I e n Abu eiehungen.

6. Es wird untersucht , wie sieh die starke Labil i ta t des Nasenbezirkes auf die Gestal tung des Kieferbezirkes auswirken kaml. An versehiedenen Fallen fanden wir dureh ROntgen- Serienuntersuehungen ein relativ zur Okzipitalbasis s tat tf indendes Absteigen des Xasen.bodens, verbunden mit Deformationen des Kiefergebietes in Riehtung Progenie tmd/oder offbnen BiB. Ni t gro/ler Wahrseheinliehkeit handel t es sieh mn eine Reakt ion des Kieferknoehens auf die dureh den Nasenboden naeh unten-vorn verdr~ngte Zunge.

7. Die StemmkOrperwirkung des Nasenseptums manifestiert sieh in manehen Fallen aueh in Deviat ion und/oder Durehbeulung des Xaseabodens. Entsprechende Serienbilder ~erden vorgelegt.

8. Im Gegensatz zu jenen Fallen mit Progenie und offenem BiB t~nden wir andere, die eine ziemlieh reine Hor izonta lbeuegung des Xasenbodens wfihrend des Waehstums aufwiesen und nieht zu diesen Anomalien fiihrten.

9. Grund fiir das bisherige Niehterkennen der differenten Vertikalent~ ieklung des Xasen- bodens und der beschriebenen Folgen seheint uns die bisher fiir Waehstumsuntersuehungen am Gesiehtssehadel geiibte is im peripheren Gebiet zu sein (z. B. in der Nasion- Sella-Geraden). Ers t die Orientierung in der natiirlichen Fixationszone des Sehadels. in der Okzipitalbasis, laBt dieses Phanomen s iehtbar werden.

10. Die Untersuchungsergebnisse st immen iiberein mit Beobaehtungen anderer Autoren, die bisher nieht gedeutet werden konnten (Variationen des Kieferwinkels. Kieferentwieklung bei Dysostosen. HShenlage des Orbitalpunktes).

11. Das Absteigen des Nasenbodens kann als Ausdruek der allgemeinen Entwieklung zum .,progressiven Typ'" angesehen werden; es handelt sieh vielleicht um eine Teilerseheinung des allgemeinen Akzelerat ionsph/inomens.

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Gerhard H. Miiller. Nase und GebiB ,>oo O - - O

12. Eine Heihmg der sekund/ir auftretenden Kiefer-Gebil3-Anomalien miil3te, in Anbetraeht der .~tiologie, im Mittelgesieht einsetzen.

Sehriftlum

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Ansehrift d. Verf.: Priv.-Dozent Dr. Gerhard H. 3 l i i l / e r . 53 Borer. Hans-Bi)ekler-Str. 5