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Nationale und temporale Unterschiede in der Einkommensbesteuerung: Thesen und Fakten Review by: Fritz Neumark FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 28, H. 2 (1969), pp. 326-333 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40910620 . Accessed: 15/06/2014 12:47 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 188.72.126.182 on Sun, 15 Jun 2014 12:47:13 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Nationale und temporale Unterschiede in der Einkommensbesteuerung: Thesen und Fakten

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Nationale und temporale Unterschiede in der Einkommensbesteuerung: Thesen und FaktenReview by: Fritz NeumarkFinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 28, H. 2 (1969), pp. 326-333Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40910620 .

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Nationale und temporale Unterschiede in der Einkommensbesteuerung: Thesen und Fakten*

von

F. Neumark

Die hier zu besprechende Arbeit zerfällt in drei „Hauptteile", die, von unterschiedlichem Erkenntniswert und verschiedenem Umfang (der erste umfaßt rund 100, der zweite 70 und der dritte einige 20 Seiten), durch den Haupttitel des Buches nur lose zusammengehalten werden. Die Probleme, die der Verfasser behandelt, sind von großem theoretischem und praktischem Interesse, und es ist erfreulich, daß Strümpel sich bemüht, sie, namentlich im ersten Hauptteil, einer international vergleichenden Untersuchung zu unter- ziehen. Das setzt nun allerdings eine eingehende Kenntnis nicht nur der Lite- ratur, sondern auch der Quellen sowie nach Möglichkeit der Institutionen voraus; daran gebricht es jedoch dem Verfasser vielfach. Schon aus diesem Grunde können seine Ergebnisse zu einem erheblichen Teil nicht akzeptiert werden, sei es daß sie mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung stehen, sei es daß sie (noch) nicht hinlänglich als zutreffend erwiesen worden sind.

Meine Kritik richtet sich vor allem gegen den - wie angedeutet, fast die Hälfte des ganzen Buches ausmachenden - ersten Hauptteil, der die Über- schrift trägt „Steuertechnik und Steuermentalität als Rahmenbedingungen für die Realisierung der Besteuerung" . Dieser Teil zerfällt in zwei Kapitel, in de- nen zunächst die ökonomisch-technischen, dann die politisch-psychologi- schen Grenzen der Besteuerung abgehandelt werden. Besonderes Gewicht legt Strümpel auf die Problematik der bald als „Durchsetzbarkeit", bald als „Rezeptionsfähigkeit" der Personalbesteuerung bezeichneten Tatbestände. Soweit es sich um die Darlegungen (S. 12 ff.) handelt, die sich auf Deutschland und Großbritannien (der Verfasser bezeichnet sie als „Industrieländer mit weiterem steuerpolitischen Aktionsradius") beziehen, ist gegen sie wenig ein- zuwenden, begnügt sich Strümpel hier doch im wesentlichen mit Auszügen aus der wohlbekannten älteren Literatur. Interessanter, aber zugleich auch

* Zu Burkhard Strümpel: Steuersystem und wirtschaftliche Entwicklung. Funktion und Technik der Personalbesteuerung im sozioökonomischen Wandel. Tübingen 1968. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). 249 Seiten.

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kritisch wird die Sache in dem Augenblick, in dem (S. 26 ff.) der Autor sich „Industrieländern mit engerem steuerpolitischen Aktionsradius", d.h. den europäischen Mittelmeerländern, zuwendet, um für diese die „Denaturierung der Einkommens- und Ertragsbesteuerung" aufzuweisen. Hier stützt sich der Verfasser weitgehend auf eine im Literaturverzeichnis von ihm als „in Vorbe- reitung" aufgeführte Studie von 0. Graf Schwerin1; das entschuldigt aber natürlich nicht die Ungenauigkeiten und Fehler, die speziell in bezug auf das französische Steuersystem in seiner Darstellung enthalten sind, denn man hätte ja wohl erwarten dürfen, daß gerade bei derartigen Untersuchungen in erster Linie die Gesetzestexte und sonstigen Quellen zu Rate gezogen würden, doch hätte im vorliegenden Falle bereits eine gründliche Durchackerung des Bandes der bekannten „Harvard Series" über die französische Besteuerung vor manchem Fehlurteil bewahren können. Wenn in einem Mitte 1968 ver- öffentlichten Werk noch von einer „progressiven Ergänzungssteuer" (S. 29) die Rede ist, obwohl seit mehreren Jahren (1959) eine solche Steuer nicht mehr besteht, so mag das vielleicht noch hingehen. Schwerer fällt schon ins Gewicht, daß Strümpel in seiner mehr oder minder offen an den Tag gelegten Vorliebe für das französische Pauschalierungsverfahren die erheblichen Mängel, die diesem zukommen, nicht richtig einschätzt, ja, den Charakter dieser Pauscha- lierungen und ihre Reichweite offensichtlich weitgehend verkennt. Tatsäch- lich liegt beispielsweise der Anteil der nach dem „forfait contractuel" (nicht „forfait conventionnel", wie Strümpel immer schreibt) weit höher, als das aus dem vorliegenden Buch hervorgeht (vergleiche etwa S. 28, Anmerkung 3). Auch ist in keiner Weise bewiesen worden, daß die vom Verfasser höchst irre- führend so genannte „individuelle Aufwandsbesteuerung" in Frankreich Merkmale der Progression verwirklicht (S. 29, 42) 2. Besonders bedenklich ist aber, daß Strümpel bei der Ausdeutung der Ergebnisse von Enqueten, die offensichtlich von ihm selbst mit vorbereitet wurden, die notwendige Kennt-

1 Wenn Strümpel S. 39, Anmerkung 30, als Quelle für eine auf die französische Besteuerung gewerblicher Einkünfte im Jahre 1964 bezügliche Behauptung unter Hinweis auf 0. Graf Schwerin „Les bénéfices industriels..., Nr. 208, Avril 1966" zi- tiert, so kann nur der mit der Materie Vertraute ahnen, daß es sich bei jener „Nr. 208" um die vom Finanzministerium herausgegebenen „Statistiques & Etudes Financiè- res" handelt. Da die Arbeit Schwerins noch nicht publiziert ist, läßt sich nicht fest- stellen, welchem der beiden Autoren die Schuld an der Ungenauigkeit der Zitierweise zuzurechnen ist.

2 Was Strümpel hier im Auge hat, ist die „taxation forfaitaire (se. du revenu! F. Ν.) d'après les signes extérieurs". Ganz anders ist es natürlich um die Progres- sionswirkung von differenzierten mehr oder minder allgemeinen Aufwandsteuern nach Art der britischen „Purchase Tax" oder auch der französischen Mehrwert- steuer (T. V. A.) bestellt; vergleiche dazu die - allerdings in bezug auf die russi- sche Umsatzsteuer widersprüchlichen - Ausführungen von H. Laufenburger : Finan- ces comparées, 1. Aufl., Paris 1947, p. 244 ff., insbes. p. 254, op. cit., 2. Aufl., Paris 1950, p. 201 ff., und 3. Aufl., Paris 1957, p. 343, sowie die Bemerkungen De la Marti- nières in „L'impôt au service de la politique conjoncturelle", in: „Statistiques & Etu- des Financières", 20e Année, No. 232, 1968, p. 657. - Im übrigen sind die Angaben Strümpeh falsch bzw. veraltet, wie sich aus der gegenwärtig gültigen Fassung des Art. 168 des C. G. I. (der bis zu einem gewissen Grade sein Analogon in § 48 unseres Einkommensteuergesetzes hat) oder auch etwa der Darstellung von P. Fontaneau in dessen „Fiscalité Européenne", 1. 1, Paris 1968, p. 316, ergibt.

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nia der Fakten vermissen läßt. Wie könnte er sonst unterlassen festzustellen (siehe S. 210ff.), daß die Tatsache, daß in Frankreich 94% der Angestellten und Beamten und 90% der Arbeiter die Verteilung, der Steuerlasten als unge- recht betrachten, während die entsprechenden Prozentsätze in England nur etwa die Hälfte ausmachen (in Deutschland einige 60 bzw. etwas über 70%), sich unschwer als den wirklichen Verhältnissen entsprechend erklären läßt? Ist doch dank der qualitativen Struktur des Gesamtsteuersystems einerseits, der außerordentlich ungleichmäßig wirkenden Unterschiedlichkeit in der Ein- kommensteuererhebung andererseits die Steuerverteilungssituation in Frank- reich faktisch weit „ungerechter" als in den beiden anderen genannten Län- dern. Damit will ich die Ergebnisse der Enqueten nicht etwa als 100 %ig exakt bezeichnen - die Richtung jedoch, in welche die Antworten weisen, dürfte Unterschiede von Ansichten reflektieren, die durch Unterschiede in den Tat- sachen durchaus gerechtfertigt sind. Wenn sich generell Arbeiter „als Haupt- leidtragende der Steuerhinterziehung fühlen" (S. 68), so braucht man darin durchaus nicht mit dem Verfasser den Ausdruck „stark ideologisch gefärbter Ressentiments" zu sehen und zu behaupten, hier werde „die Steuermoral zur Interessenmoral", vielmehr handelt es sich dabei - auch in Bezug auf die Ver- hältnisse bei uns! - um ein weitgehend der wirklichen Sachlage entsprechen- des Urteil. Das zu erkennen, muß freilich einem Autor schwerfallen, für den „Zweifel an der Gerechtigkeit des Steuersystems . . . nicht viel mehr ... als die selbstverständliche Reaktion auf die notwendigerweise unpopuläre Abgabe- pflicht" darstellen (S. 105).

Ein anderer in diesem Zusammenhang zu erwähnender Punkt bezieht sich darauf, ob man im Hinblick auf Frankreich und noch mehr auf Spanien berechtigterweise von einer „Denaturierung der Einkommensbesteuerung" (vgl. S. 26 ff. und passim) sprechen kann. Meines Erachtens muß man diese Frage jedenfalls dann verneinen, wenn man als Charakteristika einer „wirklichen", modernen Einkommensteuer die s. Zt. von mir1 für eine solche herausgearbei- teten Merkmale akzeptiert. Strümpel scheint, ähnlich wie vor mehr als einem Menschenalter Popitz2, dem Irrtum verfallen zu sein, alles, was der Gesetz- geber eines Landes als Einkommensteuer - oft sogar nur als Gewinnsteuer o. ä. - bezeichnet, für eine solche zu halten. Es würde m. E. der wahren Sach- lage weit mehr entsprechen, wenn man derartige Abgaben als Ersatz oder Vorläufer echter Einkommensteuern auffaßte.

Was die deutsche Einkommensbesteuerung anlangt, so wird sie von Strüm- pel unter dem etwas eigenartigen Stichwort „Die Steuerpolitik der Konfron- tation" abgehandelt (S. 64 ff.) und der in der Schweiz und Großbritannien praktizierten gegenübergestellt, wo nach ihm „Gemeinsinn und behutsame Steuertechnik" herrschen (S. 75 ff.). Die meisten Urteile, die sich hier finden, sind - wenn überhaupt - äußerst schwach fundiert und erscheinen recht pro-

1 Siehe F. Neumark: Theorie und Praxis der modernen Einkommensbesteue- rung, Bern 1947, S. 26 ff., und ders.: Einkommensteuer, in: „Handwörterbuch der Sozialwissenschaften", Bd. 3, 1961, S. 68. * J. Popüz: Einkommensteuer, in: „Handwörterbuch der Staatswissenschal- ten", 4. Aufl., Bd. 3, 1926, S. 439f. Tatsächlich hatte damals nur ein Bruchteil der von P. als „Einkommensteuer" gezählten 124 Abgaben den Charakter einer solchen.

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blematisch, so die Behauptung (S. 74), die Steuerpolitik stelle „eine der we- sentlichsten Quellen der Unzufriedenheit des Staatsbürgers" (sc. in der Bun- desrepublik) dar. Für die angeblich besonders große Intensität der Steuer- kontrolle werden leider keine ziffernmäßigen Beweise erbracht, daß laut einer früheren Studie des Verfassers „die niedriger verdienenden Gewerbetreiben- den" ihre „privatwirtschaftlichen Kosten nur der Einkommen- und Gewerbe- besteuerung auf 84% der Steuerzahllast" schätzen, kann wohl kaum ernstge- nommen werden (schade, daß Strümpel nicht die in Kanada vor einigen Jah- ren vorgenommene Enquete über solche Kosten zum Vergleich herangezogen hat), und im übrigen sind viele Folgerungen, die im Rahmen eines internatio- nalen Vergleichs vom Verfasser für Deutschland gezogen werden, schon um deswillen schief, weil er dabei die amerikanische Steuerpraxis nicht berück- sichtigt. In bezug auf Ausführungen, die sich mit der britischen beschäftigen (S. 104), muß man ebenfalls Zweifel anmelden: Wenn von Deutschland gesagt wird, es habe „ein effizientes, aber »teures4 Steuersystem", während das briti- sche als „zwar »billig* . . ., aber nicht sehr leistungsfähig" hingestellt wird, so fragt man sich, woher der Verfasser den Mut zu dem zweiten Teil seiner Be- hauptung hernimmt - die mir bekannten britischen Fakten besagen etwas ganz anderes, aber leider finden sich hier wie auch an anderen Stellen in der vorliegenden Arbeit, obwohl sie sich als „empirische Finanzwissenschaft" gibt, nur wenige exakte Daten ausländischer Provenienz. Auch daß die Steuer- systeme Frankreichs und Spaniens „gleichzeitig ineffizient und , teuer"4 seien (S. 106), ist ein recht gewagter und fragwürdiger Ausspruch. Denn erstens dürfte es denn doch etwas übertrieben sein, (hier wie anderswo) Spanien und Frankreich in einen Topf zu werfen, und zum zweiten ist die Effizienz der französischen Steuerpolitik nur in bezug auf die Einkommensteuer relativ ge- ring - das 6resamteteuersystem liefert immerhin (allerdings namentlich dank der „Taxe sur la valeur ajoutée") Erträge in Höhe von 25,6 % des Bruttosozial- produkts zu Marktpreisen, gegen 23,7% in der Bundesrepublik und 22,7% in den USA1. Strümpels Urteil ist um so befremdender, als er in anderen Partien seines Buchs gerade der Einkommensteuer äußerst skeptisch gegenübersteht und ihr eine vergleichsweise schlechte Zensur zuerkennt.

Letzteres gilt namentlich im Hinblick auf die steuerlichen „Wettbewerbs- und Anpassungswirkungen", deren Untersuchung einen wesentlichen Teil des den „Wirkungen der Besteuerung auf das wirtschaftliche Wachstum" gewidme- ten zweiten Hauptteils der Arbeit bildet. In der Tat gehören nach Strümpel (S. 115f.) Einkommen- und Körperschaftsteuern (neben der Gewerbeertrag- steuer) zu den „anpassungs verzögernden bzw. wettbewerbsschwächenden" Steuern, während Bruttoeinphasenumsatz-, Mehrwertsteuern mit Vorsteuer- abzug und Verbrauchsabgaben als anpassungs- bzw. wettbewerbsneutrale, Lohnsummen- und Gewerbekapitalsteuern sowie Spezialakzisen in der Pro- duktionssphäre und Vermögensteuern (soweit auf das Betriebsvermögen ent- fallend) als anpassungsfördernde bzw. wettbewerbsverschärfende Abgaben bezeichnet werden. Dabei ist zu beachten, daß in der Terminologie des Ver-

1 Alle Zahlen ohne Sozialversicherungsbeiträge. Vgl. „Finanzbericht 1969", herausg. vom Bundesministerium der Finanzen, Bonn 1968, S. 84.

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fassers Wachstums- und Wettbewerbsneutralität identisch sind, und ferner, daß die oben skizzierte Klassifikation sich nur auf Unternehmemteuem be- zieht. Hinsichtlich der „Wirkungen der Besteuerung auf das Arbeitsangebot der privaten Haushalte" (S. 124 ff.) - das sei en passant erwähnt - stimmt Strüm/pel im großen ganzen mit den Ergebnissen der neueren diesbezüglichen Literatur überein: Hier lassen sich nach ihm kaum wachstumsretardierende Besteuerungseffekte feststellen, und das langfristige Arbeitsangebot erweist sich als weitgehend steuerresistent (S. 174). Ich halte diese Darlegungen für überwiegend zutreffend und überzeugend, möchte aber einige Zweifel anmel- den hinsichtlich der Aussagefähigkeit der Ergebnisse gewisser Enqueten. Strümpel eskamotiert sozusagen eine der fundamentalen methodischen Schwie- rigkeiten solcher Enqueten hinweg, wenn er schlankweg behauptet (S. 125), bewußte Ausweichreaktionen auf Steuerbelastungen ließen sich grundsätzlich durch Befragung ermitteln, und „der Nachweis, daß die betreffenden Verhal- tensweisen steuerlich provoziert wurden, (sei) relativ leicht zu erbringen". Faktisch ist eher das Gegenteil der Fall. Davon abgesehen, ist mindestens ein Teil der Fragen, die in der von Strünfpel zitierten (und anscheinend mit von ihm durchgeführten) Enquete gestellt wurden, leicht suggestiv formuliert worden; wenn etwa eine Frage an (deutsche) Selbständige lautete: „Viele (!) Selbständige sagen, daß sie nicht genügend Freizeit haben. Wie ist das bei Ihnen?" (S. 130, Anm. 5), so ist es kaum verwunderlich, daß nicht weniger als 69% der also Befragten meinten, sie hätten nicht genügend Freizeit. Die Art der Fragestellung läßt sich auch kaum damit rechtfertigen, daß zwecks Ermittlung einer etwaigen steuerlichen Anspornwirkung „nicht nach den Gründen für die Erweiterung der Arbeitsleistung, sondern im Gegenteil nach den Gründen für die Begrenzung der Freizeit" gefragt werden mußte.

Doch zurück zur wachstumspolitischen Problematik der Unternehmens- besteuerung! Hier wendet sich der Verfasser nicht ohne manche guten Argu- mente gegen eine Globalbetrachtung, die er als wenig geeignet für seine Zwecke ansieht und durch eine, „auf eine leistungsfähigere, empirisch formulierte Wachstumstheorie" gegründete „aussagekräftige Theorie steuerlicher Wachs- tumswirkungen" ersetzen möchte (S. 116). Das klingt vielversprechend; ich muß jedoch gestehen, daß die vorliegende Arbeit nur wenig bringt, was neue Erkenntnisse vermittelte und als Ergebnis eines so ehrgeizigen Programms betrachtet werden könnte. Hervorhebung verdient u. a., daß Strümpel als „Orientierungsgröße, deren steuerliche Variierbarkeit ... zu untersuchen ist, . . . abweichend von den bekannten Ansätzen in der Steuerwirkungslehre die Gewinnhöhe, nicht das betriebliche Investitionsvolumen als Ganzes oder auch bestimmte selektive Investitionen" wählt (S. 139). Die Grundfrage wird dann dahingehend formuliert, daß es zu untersuchen gelte, ob und ggfs. inwieweit die Besteuerung den Prozeß des „funktionsfähigen Wettbewerbs" dadurch beeinflußt, daß sie einerseits die „Drohung mit materiellen Sanktionen" und andererseits „die Bestrafung der Ineffizienten" modifiziert. Versucht man, die Strunvpeischen Überlegungen auf einen, allerdings entscheidenden Punkt zu reduzieren, so laufen sie darauf hinaus, daß eine Steuer dann wachstumspoli- tisch positiv zu beurteilen ist, wenn sie den Wettbewerb mit dem Ergebnis verstärkt, daß den effizienteren Unternehmern mehr Verfügungsmittel als

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den weniger effizienten zugeteilt werden (S. 138) - was u.a. einschließt, daß letztere im Interesse einer Verbesserung der Allokation nicht unbedingt ganz aus dem Markt ausscheiden, sondern lediglich eine Verringerung ihrer Markt- anteile hinnehmen müssen. Insoweit wie der als Gegenstand und Bemessungs- grundlage von Steuern verwendete Unternehmensgewinn Ausdruck und Maßstab volkswirtschaftlich (allokationspolitisch) „richtigen" Unternehmer- verhaltens ist, wird man der (wahrlich nicht neuen) These zustimmen können, daß eine Ergebnisbesteuerung die wirtschaftlich Erfolgreichen „bestraft" und die weniger Erfolgreichen mindestens relativ begünstigt. Aber einmal ist ja die Voraussetzung, daß die komparative Gewinnhöhe von Unternehmen lediglich durch ihre wettbewerbsmäßigen Anstrengungen auf dem Markt be- stimmt wird, heute mehr denn je recht unrealistisch, und zum andern sind in der Steuerpolitik neben der AÚokationsseite auch die (von Strümpel - ent- sprechend seinem Thema zu Kecht - nicht behandelte) stabilitäts- sowie die distributionspolitische Problematik (mit der der Verfasser sich auf S. 179 ff. kurz auseinandersetzt) zu berücksichtigen. Selbst wenn man sich auf die Allo- kationsseite beschränkt, liegen jedoch die Dinge nicht so eindeutig, wie das die Lektüre der Strümpelschen Arbeit vermuten ließe. Zunächst einmal sind Un- ternehmensgröße, Gewinnhöhe und Allokationseffizienz keineswegs eindeutig miteinander korreliert. Sodann ist zwar nicht zu leugnen, daß Unternehmen- steuern in erster Linie einen Liquiditätseffekt ausüben und auf die- sem Wege die Finanzkraft der Firmen, m. a. W. deren Selbstfinanzierung- möglichkeiten schwächen (wie Strümpel S. 146 unter Berufung auf Butters und Mackintosh selbst erwähnt, obwohl er sonst überwiegend den „modernen" Standpunkt vertritt, dem zufolge Körperschaftsteuern überwälzt werden1) ; aber es ist schwer vorstellbar, daß eine noch so wachstumsfreundliche Regie- rung es wagen könnte, auf dem Gebiete der Besteuerung radikal den Grund- satz „Wer da hat, dem wird gegeben", statt des hier sonst anerkannten „Wer da hat, dem wird genommen", anzuwenden, wenngleich Ansätze dazu in ge- wissen Gesetzgebungen zu beobachten sind. Und schließlich sollte man, ins- besondere, wenn man sich als „empirischer Finanzwissenschaftler" ausgibt, die Verhältnisse der Realität nicht ganz vernachlässigen. Diese aber lassen einige Zweifel an der Richtigkeit der Strümpefachen Beweisführung aufkom- men. Ist denn das Wirtschaftswachstum etwa in Frankreich oder in Groß- britannien wirklich größer gewesen als in der Bundesrepublik oder der Schweiz oder nicht vielmehr geringer, obwohl doch in Frankreich eindeutig die vom Verfasser als anpassungsfördernd (so der S. 152 als „selektive Kosten- besteuerung" charakterisierte „forfait") oder anpassungsneutral (wie die TVA) angesehenen Abgabeformen vorherrschen und in England die (nach meiner persönlichen Auffassung freilich als Ausdruck eines extremen Fiskaldirigis- mus anzusehende) „Selective Employment Tax", von Strümpel ebenfalls (S. 150) als „subsidiäre Kostensteuer" und daher als anpassungsfördernd und wettbewerbsverschärfend betrachtet, seit 1966 zur Erhebung gelangt? Wie kann man ernsthaft die Ansicht vertreten (S. 174f.), „die Wachstumsproble- matik der deutschen Gewinnbesteuerung im internationalen Vergleich (ergebe)

1 Siehe jedoch die zutreffenden Einschränkungen Strümpela S. 120 f.

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sich nicht nur aus der relativ starken Stellung dieser Steuer im Rahmen des Gesamtaufkommens; sie (werde) durch die weitgehende Degenerierung der gesetzlichen (gibt es auch ungesetzliche? F. N.) Gewinnsteuern zu Kosten- steuern in anderen Ländern des Gemeinsamen Marktes noch akzentuiert"?

Wie schon angedeutet, wird im letzten (dritten) Hauptteil des Buches die einseitig-isolierte Betrachtung der wachstumspolitischen Besteuerungsaspek- te durch Berücksichtigung der „sozialpolitischen Funktion" ergänzt, und zwar unter dem Stichwort „Die Besteuerung zwischen Distributions- und Disposi- tionsorientierung" . Was letztere anlangt, so versteht der Verfasser in seiner auch sonst eigenwilligen Diktion darunter steuerliche Maßnahmen, welche „private Dispositionen (anregen), die dem Staatszweck so nahestehen, daß sie der öffentlichen Hand eine entsprechende Betätigung ersparen" (S. 180). Daß - nicht zuletzt in der Bundesrepublik! - solche Maßnahmen neuerdings an Be- deutung gewonnen haben, läßt sich nicht leugnen. Aber die außerordentlich interessante Frage, warum es zu dem gekommen ist, was Strümpel den „Auto- ritätsschwund des reinen Lastenverteilungsarguments" (S. 179) bzw. den „Autoritäts verlust der Distributionsorientierung in der Besteuerung" (S. 183) nennt, wird nur unvollständig beantwortet, wie denn überhaupt der dritte Hauptabschnitt zu knapp geraten ist. Jedenfalls vermißt man eine eingehende Kritik an der weitgehend höchst widerspruchsvollen (inkonsistenten) Art und Weise, in der die jüngere Steuergesetzgebung allokations- bzw. wachstums- politische Ziele oder was sie dafür hält auf Kosten flagranter Ungerechtigkei- ten zu verwirklichen versucht hat. In diesem Zusammenhange sei erwähnt, daß Strümpel (S. 197) die für die Gesamttendenz seines Buchs charakteristi- sche Behauptung aufstellt: „Die Steuerbelastung bedarf des Korrektivs der Steuerbegünstigung". Daß letztere nicht nur eklatante Verstöße gegen die wie immer im einzelnen definierte Steuergerechtigkeit impliziert, sondern darüber hinaus einen der wesentlichen Gründe für die wachsende Kompliziertheit des Steuerrechts (und damit der Steuerkosten i. w. S.) darstellt, wird erstaun- licherweise vom Verfasser nicht erwähnt.

In abschließenden Betrachtungen wiederholt Strümpel seine Feststellung, daß die Einkommensteuer „selbst in industrialisierten Gesellschaften nur sehr lückenhaft durchzusetzen" sei (S. 202f.), was m. E. im Hinblick auf die Verhältnisse bei uns, in den Vereinigten Staaten, England, den skandinavi- schen Ländern usw. eine arge Übertreibung ist, doch bedeute die Tatsache, daß in der Realität die Einkommensteuer gründlich von ihrem Idealbild ab- weiche, keineswegs, daß sie keinen Platz mehr im Steuersystem eines moder- nen Industriestaates habe. An diese Bemerkung schließt sich die verblüffende These an (S. 203), die Einkommensteuer habe „im Gegenteil durch die viel- beklagte ,Erosion', die Abkehr von traditionellen Grundsätzen (ist das etwa dasselbe? F. N.), an Vitalität gewonnen". Diese These, die nur für den Fall, daß Strümpel unter „Erosion" etwas völlig anderes verstehen sollte als das, was die moderne Finanztheorie gemeinhin darunter begreift, nicht völlig falsch wäre, findet kurz darauf (S. 204) eine gewisse Ergänzung· durch die Be- hauptung, die heutige Einkommensbesteuerung basiere „ebensosehr auf dem Prinzip der Leistungsfähigkeit im konventionellen Sinne, wie auf einem, wenn auch abgewandelten, Äquivalenzprinzip". Natürlich steckt ein kleiner Kern

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Wahrheit in dem, was der Verfasser mit dieser Bemerkung meint. Mir scheint jedoch, daß die Ausdrucks weise - hier wie auch an zahlreichen anderen Stel- len - den in der Materie nicht Bewanderten irreführen und den Sachkenner verärgern muß.

Ich stehe am Ende dieser Paraphrasen über ein Buch, das ungeachtet der Tatsache, daß man an vielen seiner Ausführungen Kritik üben kann bzw. muß, das Verdienst hat, einige unübliche Gedanken in großenteils unüblicher Form zur Diskussion gestellt zu haben. Manches erscheint noch unausgegoren, und in nicht wenigen Fällen mangelt dem Verfasser, wie erwähnt, die genaue Kenntnis der Fakten1. Die neuere - auch ausländische - Literatur ist zwar im allgemeinen weitgehend berücksichtigt worden, doch erklären sich manche schiefen oder nur auf ganz bestimmte Länder und Epochen zutreffenden Urteile (wie beispielsweise die über das Sparverhalten von Arbeitern, S. 193) mindestens teilweise daraus, daß die neueren empirischen Untersuchungen aus der Feder angelsächsischer Autoren vernachläßigt worden sind.

Ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne ausdrücklich zu betonen, daß ich in einem Punkte, in dem der Verfasser an mir selbst Kritik übt (S. 176 f.), ihm grundsätzlich beipflichte: Die s. Zt. von mir verwendete Formulierung des „Grundsatzes der ansporn- und wachstumspolitischen Aus- richtung der Besteuerung"2 war zweifellos etwas zu zurückhaltend, wenn ich auch immerhin bereits zugab (op. cit., S. 28), man könne sich eine positive allgemeine „incentive taxation" vorstellen, „die durch bewußte fiskalische Förderung (Vorzugsbehandlung) überdurchschnittlich wachstumsintensiver Wirtschaftssektoren Veränderungen der Ressourcenallokation hervorruft, die eine sonst nicht zu gewärtigende Steigerung des allgemeinen Wirtschafts- wachstums mit sich bringen". Dieser Gedanke ist von Strümpel (S. 158 ff.) in einem Kapitel mit der Überschrift „Sektorale Prioritäten einer wachstums- orientierten Steuerpolitik in Entwicklungsländern" (freilich nur in bezug auf letztere) dankenswerterweise näher ausgearbeitet worden.

1 Außer den bereits früher erwähnten Fehlurteilen kann man hierher auch die eigenartige Ansicht rechnen, „die steuerliche Begünstigung der Selbstfinanzierung. . . (spiele) im deutschen Steuerrecht keine Rolle mehr" (S. 190). Nicht nur der Teufel, sondern auch die volle Wahrheit steckt oft im Detail bzw. in der Kenntnis der De- tails!

2 So F. Neumark: Grundsätze der Besteuerung in Vergangenheit und Gegen- wart, Wiesbaden 1965, S. 27. (Bei Strümpel ist daraus allerdings ein schlechterdings unverständlicher „Grundsatz der Anspornwirkung in wachstumspolitischer Ausrich· tung der Besteuerung" gemacht worden.)

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