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Hintergrund: Nepal Nr. 27 / Mai 2015 | 1 Das Erdbeben und die Politik Dr. Ronald Meinardus Die Rettungsaktionen in Nepal gehen in die zweite Woche. Wie andere Naturkatastrophen so hat auch das verheerende Erbeben in Nepal seine politischen Dimensionen – das beginnt bei den grenzübergrei- fenden Hilfsaktionen und endet mit dem innenpolitischen Streit über das alles andere als voraus schau- ende Krisenmanagement der nepalesischen Regierung. Nepals Ministerpräsident Sushil Koirala war auf offizieler Mission in Thailand unterwegs, als ihn die erste Nachricht von dem Erdbeben in seinem Land ereilte. Die Botschaft stammte von seinem indi- schen Amtskollegen Narendra Modi, einem Meister der digitalen Kommunikation, der die Unglücks- nachricht über den Kurznachrichtendienst Twitter mit seinen vielen Followern teilte. Während Koirala sich auf die Rückreise in die verwüstete Heimat begab, stürzte Modi sich als Krisen- manager in das Geschehen. Es dauerte nur wenige Stunden und die ersten Rettungsteams aus Indien waren in das nördliche Nachbarland unterwegs. „Kein anderes Land, nicht einmal das reichste, hat die Fähigkeit des Katastrophenmanagements wie Indien“, schrieb mit einer gehörigen Portion Eigenlob der frühere indische Botschafter in Kathamandu Shiv Mukherjee in einem Meinungsbeitrag der Times of India. Über ihren humanitären Kern hinaus haben grenzübergreifende Hikfsaktionen längst eine politische Dimension. Das gilt allemal für ein Land mit der Bedeutung Nepals. Der Himalajastaat liegt einge- quetscht zwischen den asiatischen Großmächten Indien und China. Der Wettkampf um Macht und Einfluss in Nepal ist seit Jahr und Tag eine Konstante der südasiatischen Regionalpolitik. Auch dieses Mal ist wieder von einer „Katstrophendiplomatie“ die Rede. Hintergrund: Nepal Nr. 27 / 05. Mai 2015

Nepal: Das Erdbeben und die Politik

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Die Rettungsaktionen in Nepal gehen in die zweite Woche. Wie andere Naturkatastrophen so hat auch das verheerende Erbeben in Nepal seine politischen Dimensionen – das beginnt bei den grenzübergreifenden Hilfsaktionen und endet mit dem innenpolitischen Streit über das alles andere als voraus schauende Krisenmanagement der nepalesischen Regierung.

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  • Hintergrund: Nepal Nr. 27 / Mai 2015 | 1

    Das Erdbeben und die Politik

    Dr. Ronald Meinardus

    Die Rettungsaktionen in Nepal gehen in die zweite Woche. Wie andere Naturkatastrophen so hat auch

    das verheerende Erbeben in Nepal seine politischen Dimensionen das beginnt bei den grenzbergrei-

    fenden Hilfsaktionen und endet mit dem innenpolitischen Streit ber das alles andere als voraus schau-

    ende Krisenmanagement der nepalesischen Regierung.

    Nepals Ministerprsident Sushil Koirala war auf offizieler Mission in Thailand unterwegs, als ihn die

    erste Nachricht von dem Erdbeben in seinem Land ereilte. Die Botschaft stammte von seinem indi-

    schen Amtskollegen Narendra Modi, einem Meister der digitalen Kommunikation, der die Unglcks-

    nachricht ber den Kurznachrichtendienst Twitter mit seinen vielen Followern teilte.

    Whrend Koirala sich auf die Rckreise in die verwstete Heimat begab, strzte Modi sich als Krisen-

    manager in das Geschehen. Es dauerte nur wenige Stunden und die ersten Rettungsteams aus Indien

    waren in das nrdliche Nachbarland unterwegs. Kein anderes Land, nicht einmal das reichste, hat die

    Fhigkeit des Katastrophenmanagements wie Indien, schrieb mit einer gehrigen Portion Eigenlob der

    frhere indische Botschafter in Kathamandu Shiv Mukherjee in einem Meinungsbeitrag der Times of

    India.

    ber ihren humanitren Kern hinaus haben grenzbergreifende Hikfsaktionen lngst eine politische

    Dimension. Das gilt allemal fr ein Land mit der Bedeutung Nepals. Der Himalajastaat liegt einge-

    quetscht zwischen den asiatischen Gromchten Indien und China. Der Wettkampf um Macht und

    Einfluss in Nepal ist seit Jahr und Tag eine Konstante der sdasiatischen Regionalpolitik. Auch dieses

    Mal ist wieder von einer Katstrophendiplomatie die Rede.

    Hintergrund:

    Nepal

    Nr. 27 / 05. Mai 2015

  • Hintergrund: Nepal Nr. 27 / Mai 2015 | 2

    Katastrophendiplomatie

    In Neu Delhi betrachtet man mit Argusaugen die Bemhungen der Chinesen, ihren Einfluss in dem

    mehrheitlich von Hindus bewohnten Nepal auszuweiten. hnlich wie das benachbarte Bhutan be-

    trachten die Inder Nepal als ihr Einflussgebiet und zudem eine Art Puffer zum mchtigen chinesischen

    Nachbarn.

    Vor allem im wirtschaftlichen Handlungsbereich scheint der chinesische Einfluss an der Peripherie

    Indiens nicht aufhaltbar. 2014 lste China Indien als wichtigster Investor in Nepal ab. Fr einiges Auf-

    sehen sorgte vor wenigen Wochen die Meldung, China plane den Bau einer Eisenbahnstrecke unter

    dem Everest Gebirge und somit eine direkte Verbindung von Tibet nach Kathmandu. Auf diesem Wege

    wolle China via Nepal den lukrativen indischen Markt erreichen. Als Starttermin fr die Bauarbeiten

    nannte der Bericht in der chinesischen Presse das Jahr 2020. Ob Peking und Kathmandu an dieser Pro-

    jektplanung festhalten werden nach dem Erdbeben, ist unklar.

    Unklar ist auch in dieser Phase des nationalen Notstandes, ob die ehrgeizigen Investitionsvorhaben im

    Energiebereich wie geplant umgesetzt werden knnen. Nepal gilt oder sagen wir vorsichtiger: galt

    als El Dorado der Planer von Wasserkraftwerken.

    Topographische Karte Nepals / Quelle: Electionworld CC BY-SA 3.0

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    Die projektierten Investitionen sollten die chronischen Elektrizittsengpsse in dem Himalajastaat fr

    alle Zeiten beenden und ber den Stromexport in das energiehungrige Indien groe Geldbetrge in die

    Kassen Kathmandus schwemmen. Ob angesichts der seismologischen Unwgbarkeiten all die groen

    Projekte in die Tat umgesetzt werden, ist fraglich.

    Wahrscheinlich ist hingegen, dass China im Zusammenhang mit den ntigen Aufbauarbeiten in Nepal

    seinen Einfluss ausweiten wird. Das wissen auch die Inder, die mit Sorge beobachten, dass China mit

    immer neuen Infrastrukturvorhaben die Staaten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft an sich bindet.

    Der chinesischen Investitionsoffensive hat das kapitalarme Indien wenig entgegenzusetzen. Die Chi-

    nesen sind im Allgemeinen effizienter und zuverlssiger bei der Durchfhrung von Infrastrukturprojek-

    ten als Indien. Das ist eine traditionelle Schwche Indiens, lamentiert die Times of India.

    Whrend die internationale Hilfe fr die Katastrophenregion inzwischen Ausmae angenommen hat,

    die die Absorptionsfhigket der nepalesischen Behrden auf die Probe stellt, wird das alles andere als

    professionelle Krisenmanagement der Regierung immer sichtbarer. In der Stunde der grten Not war

    und bleibt von einer handlungsfhigen Regierung wenig zu sehen, lautet die Kritik von vielen Seiten.

    Mangelnde politische Handlungsfhigkeit, von guter Regierungsfhrung ganz zu schweigen, ist nichts

    Neues in Nepal.

    Politische Konflikte

    Fr viele im Westen ist das Land im Himalaja vor allem ein Urlaubsparadies, eine Destination fr Be-

    wunderer exotischer Kultur, Bergsteiger und Freunde des kleinen und groen Abenteuers. Hinter der

    Postkartenfassade verbirgt sich ein Land mit einer turbulenten politischen Vergangenheit und tiefgrei-

    fenden Konflikten.

    Nepal ist von politischen und natrlichen Kata-

    strophen betroffen, wobei die einen die Gesell-

    schaft behindern auf die anderen zu reagieren,

    erklrt der nepalesische Journalist Kanak Mani

    Dixit.

    Erst 2006 endete der blutige Aufstand der Mao-

    isten, der Zge eines Brgerkrieges hatte, ber

    12.000 Menschen das Leben kostete und weite

    Teile des Landes verwstete. Seither hat es meh-

    rere Anlufe gegeben, die Animositten am Ver-

    handlungstisch und im Rahmen von demokrati-

    schen Wahlen friedlich zu berwinden. Der politische Prozess bleibt fr sich genommen ein Erfolg.

    Auch die Integration der maoistischen Kmpfer in Armee und Gesellschaft gehren auf die Habenseite.

    Derweilen sind andere Dinge liegengeblieben im Gerangel der Parteien. Negativ zu Buche schlgt in

    der aktuellen Krisensituation, wo es um die Verwaltung von Nothilfe und den Wiederaufbau geht, vor

    allem das Fehlen einer demokratisch legitimierten Kommunalverwaltung.

    Obdachlose und Flchtlinge leben unter einfachsten Bedingungen

    nach dem Erdbeben / Foto: Robin Sitoula

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    Das komplette Ausma der Zerstrung ist noch nicht ersichtlich /

    Foto: Robin Sitoula

    Der politische Zentralismus wiegt umso schwerer, da der Groteil der Schden auerhalb des Bal-

    lungsgebietes der Metropole Kathmandu zu beklagen ist. Wenn nach Wochen oder gar Monaten die

    endgltige Bilanz gezogen wird, werden viele bislang nicht registrierte Schden sowie Tote und Ver-

    letzte abseits der Hauptstadt gelistet sein. Politisch gesehen haben die Menschen, die hier leben, kei-

    ne legitimierten Frsprecher, wenn es um die Rettungsaktionen und die Verteilung der Wiederaufbau-

    hilfe geht.

    Neben der mangelhaft organisierten lokalen Au-

    tonomie, geht es auch um die Grundzge der

    Republik: Bis heute ist es den zerstrittenen poli-

    tischen Lagern nicht gelungen, sich auf eine

    Verfassung fr Nepal zu einigen. Seit Monaten

    lhmt der Streit ber das Grundgesetz das politi-

    sche Leben und lenkt ab von anderen - wie wir

    jetzt gesehen haben existentiellen Prioritten.

    Nepals Politiker waren zu sehr damit beschf-

    tigt sich gegenseitig zu bekmpfen, zuletzt ber

    die Verfassungsreform, als dem Katastrophen-

    schutz Prioritt einzurumen, zitiert die New York Times den nepalesischen Journalisten Kunda Dixit.

    Als Bremser erweisen sich vor allem die Maoisten, die im demokratischen politischen Geschft an Po-

    pularitt eingebt haben und nun um ihre Pfrnde frchten. Darber hinaus geht es um grundstzli-

    che Fragen der Verfassungsordnung Nepals. Unberwindbar waren bis zuletzt die Gegenstze in Bezug

    auf das Verhltnis von Staat und Religion, die Grundlagen des Wahlrechts und die Form des Fdera-

    lismus. Zwar sind sich die Parteien einig, dass Nepal eine bundesstaatliche Ordnung haben soll. Die

    Anzahl, der Zuschnitt und die Kompetenzen der Gliedstaaten bleiben jedoch in hohem Mae umstrit-

    ten. Hier stoen politische Bestrebungen auf partikulare Klassen- und auch Kasteninteressen und ver-

    hindern einen Ausgleich.

    Die groe Frage, die nach der Katastrophe im Raum steht, lautet: Hat die politische Klasse Nepals den

    Willen und die Kraft, die Differenzen der Vergangenheit hinter sich zu lassen? Ohne einen gemeinsa-

    men nationalen Kraftakt wird es kaum mglich sein, dass Nepal wieder auf die Beine kommt.

    Dr. Ronald Meinardus ist Leiter des FNF-Regionalbros Sdasien mit Sitz in Neu Delhi, Indien.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam