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Der britische FotograF richarD Pilnick unD Der gesichtleser eric stanDoP haben gemeinsam Das kunstProjekt „Portraits oF a soul“ ins leben geruFen. exklusiv Für
Yoga journal ergrünDen sie anhanD von Portraits, geDichten unD analYsen Die Persönlichkeit bekannter Yogalehrer.
PORTRAITSOf A SOul
neue SeRIe
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PORTRAITS Of A SOul intro
sie sPrechen wirklich bänDe: Die gesichter, die der britische
Fotograf richard Pilnick für seine Portraits studiert. Fern jeder
gefälligen inszenierung konzentriert sich Pilnick auf die Verbin-
dung zu seinem Modell, über die er zur Essenz dieses Menschen
gelangen will (interview ab Seite 36).
Seine arbeit mit der äußeren Erscheinung, die zum ausdruck des
inneren wird, komplettiert der gesichtleser Eric Standop: ihm
geben richards Fotos aufschluss über die Persönlichkeit der
Portraitierten. in der uralten tradition des „Face -readings“ aus-
gebildet, kann er anhand des Blicks und der Mimik nicht nur Cha-
rakterzüge erkennen, er erhält sogar Hinweise auf Schicksal und
lebensaufgabe. Seine Beobachtungen verarbeitet er stilistisch
unterschiedlich: zum einen als analyse, zum anderen in Form ei-
nes gedichts (interview ab Seite 28).
Diese Kombination aus Fotokunst, Persönlichkeitsanalyse und
Poesie hat uns, die yoga journal-redaktion, fasziniert. und
so waren wir von richard und Erics Vorschlag, ihr thema zu er-
weitern und bekannte yogalehrer nicht nur im Portrait sondern
auch in ihren lieblingsasanas zu fotografieren, begeistert. Wir
sind stolz darauf, den beiden ausnahmepersönlichkeiten – selbst
praktizierende yogis – ein Forum für ihre Kunst zu bieten. in
erstaunlichen Portraits, begleitet von Erics texten, präsentie-
ren wir in den kommenden yoga journal-ausgaben Susanne
giesse, Petros Haffenrichter, gabriela Bozic, Percy johannsen
und annette Söhnlein. Den auftakt für die am Schauplatz yoga-
lounge Pullach entstandenen Fotos bildet die spektakuläre, tiefe
Praxis von ashtanga-yogi ronald Steiner (ab Seite 32).
Wir danken richard, Eric und den beteiligten yogalehrern für ihr
Engagement, die tiefe Hinwendung zu diesem Projekt und die ganz
besondere Stimmung bei den aufnahmen. yoga journal goes
art – und das in bester gesellschaft: Eine auswahl von richard
Pilnicks Fotografien wird derzeit in der national Portrait gallery
in london ausgestellt.
Eric, was versteht man unter Gesichtlesen?
gesichtlesen ist so alt wie die Menschheit. Es ist nachgewiesen,
dass es in den ersten Menschheitsjahren keine Sprache gab. Die
einzige Möglichkeit der Kommunikation war, in den gesichtern
und Bewegungen der Menschen zu lesen, um zu wissen, was sich
gerade in ihrem inneren abspielt. Damals hat man auch andere
Sinne wie das riechen („ich
kann dich nicht riechen“) oder
abtasten benutzt, doch primär
erhielt man informationen über
die Mimik. Die Menschen hatten
das so gut entwickelt, dass sie
ziemlich gut miteinander klar
kamen, anstatt sich gegenseitig
totzuschlagen. aus irgendei-
nem grund hat es diese art der
Kommunikation nicht geschafft
und es entwickelte sich eine
lautsprache – das gesichtlesen
ist dennoch nie ganz vergessen
worden. jedes Baby, das auf die
Welt kommt, ist ein gesichtleser.
und ganz verlieren wir diese art,
wortlos miteinander zu kommu-
nizieren, nie. Die Mimik ist uns
allen geläufig – manche sind
talentierter darin, daraus zu le-
sen, andere weniger.
Welche Rolle spielt die Methode heute in unserer Kultur?
in Europa blieb das gesichtlesen immer eine randerscheinung, al-
lerdings eine bedeutsame. Während heute leider viele Ärzte lieber
in den Computer blicken, um informationen über den Patienten zu
bekommen, war es traditionell immer wichtig, sich den Patienten
zuerst einmal genau anzusehen. allgemein bewegte sich gesicht-
lesen in Europa hauptsächlich im gesundheitlichen Bereich, daher
ist hier die antlitzdiagnostik oder auch die Blickdiagnose, die sich
mit gesundheit, Ernährung und Mangelerscheinungen beschäf-
tigt, bis heute die bekannteste linie des gesichtlesens geblieben.
Kennt man die Technik des
Gesichtlesens auch auf anderen
Kontinenten?
ja, aber es gibt unterschiedli-
che Motivationen. in nordame-
rika interessieren heute beim
gesichtlesen in erster linie die
„micro expressions“ – also die
Mimik, die unbewusst abläuft.
Wir haben im gesicht 43 Mus-
keln, die unterbewusst auf reize
reagieren. Wenn wir sie bewusst
reagieren lassen, sieht es meist
nicht authentisch aus. Wenn man
lernt, wie die Muskeln im gesicht
funktionieren, kann man lesen,
was im gegenüber vorgeht. Zahl-
reiche Ermittlungsbeamte in den
uSa werden heutzutage bezüg-
lich dieser „micro expressions“
geschult. in Südamerika sieht das
ganz anders aus: Wenn sich die Südamerikaner mit gesicht lesen
beschäftigen, interessiert lediglich der themenbereich liebe,
Partnerschaft und Sexualität. in indien gibt es gesichtlese-Metho-
den aus der hinduistischen tradition, die sich mit früheren leben
beschäftigen. und auch auf dem afrikanischen Kontinent kennt
InS GeSICHT GeSCHRIeBen
Die wurzeln Des gesichtlesens Etwa 1000 v. Chr. wird von den ersten Face-reading-Schulen in China berich-
tet. aber auch in Europa tauchen früh große namen auf, zum Beispiel der Hei-
ler Hippokrates von Kos (360 v. Chr.). Hippokrates hielt als Erster in Europa
schriftlich fest, was man in einem gesicht lesen kann und was es zu bedeu-
ten hat. noch heute spricht man in der Medizin von der „Facies hippocratica“
– Merkmalen im gesicht, die bei Sterbenden oder Schwerstkranken auftre-
ten. auch aristoteles berichtet, dass man den Charakter eines Menschen
im gesicht erkennen könne. noch im Mittelalter arbeiteten bei uns Philoso-
phen, gelehrte und Heiler mit der Kunst des gesichtlesens – bis es von der
Kirche verboten wurde. Zwar gab es sogar im kirchlichen Kontext Menschen
wie Hildegard von Bingen, die diese technik weiter benutzten, um zu heilen,
dennoch kam es in Europa zu einem fast 300 jahre andauernden Bruch.
lediglich in den maurischen universitäten in Spanien wurde gesicht lesen
weiterhin unterrichtet. um 1500 schrieb dann der berühmte arzt Paracelsus:
„alles, was innen passiert, ist außen sichtbar.“ Es folgte eine allmähliche
renaissance des gesichtlesens.
PORTRAITS Of A SOul intErViEW Mit EriC StanDoP
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eric stanDoP ist gesichtleser. Diese uralte kunst sPielt in vielen kulturen eine beDeutenDe rolle, um gezielte aussagen über gesunDheitszustanD, talente,
Persönlichkeit, schicksal unD sogar lebensauFgabe eines menschen zu treFFen. im interview erläutert stanDoP Die hintergünDe.
man viele techniken, die nie schriftlich festgehalten wurden und
von deren Bedeutung man nur annähernd weiß.
Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Kulturen?
gesichtlesen wird bei sämtlichen naturvölkern angewendet. und
daher weiß man: Wenn es um die grundemotionen geht, haben alle
Menschen dieselbe Mimik. Das gilt auch für die lüge: Wenn ein
Mensch lügt und er selbst nicht von der lüge überzeugt ist, geht
dem immer eine Emotion voraus, das kann angst, Schuld oder
Freude sein. Man muss sich das so vorstellen: Wenn ein Mensch
etwas erzählt, hat er dabei eine grundemotion. Wenn er zwischen-
durch etwas sagt, bei dem sein gesicht ganz plötzlich eine voll-
kommen andere Zwischenemotion zeigt, kann man davon ausge-
hen, dass etwas nicht stimmt.
Gibt es typische Merkmale in Gesichtern und was lässt sich an
ihnen erkennen?
im grunde verrät unsere Sprache bereits einiges. Wir sagen: „ich
kann es ihm von den lippen ablesen“, „Es steht dir auf die Stirn
geschrieben“ oder so etwas wie „au Backe!“. Die Wangen gelten
als „Kissen der Macht“ und wenn jemand so einen ausruf loslässt,
ist etwas schief gegangen und im weitesten Sinne seine Macht be-
droht. Wir sprechen davon, dass es jemand „faustdick hinter den
ohren“ hat. Das sind lausbuben! Sieh dir an, wer in der geschichte
abstehende ohren hatte: die großen Veränderer der Weltgeschich-
te von gandhi bis Barack obama. Menschen, die anliegende ohren
haben, sind dagegen sehr harmoniebedürftig und gehen Konflikten
eher aus dem Weg. gesichtlesen bewertet allerdings nicht, es ord-
net. im grunde genommen wird man sogar toleranter, wenn man
gesichtlesen kann, weil man alle Seiten eines Menschen in seinem
gesicht lesen kann.
Kann man sagen, dass man im Gesicht von sehr starken Persön
lichkeiten „besser“ lesen kann?
Für ein „Speed-reading“, also wenn man nur ganz kurz Zeit hat,
ist es besser. Bei einem ausführlichen reading muss man dagegen
aufpassen, dass das herausragende Merkmal einen nicht auf die
falsche Fährte lockt. Eine starke Persönlichkeit wird immer – be-
wusst oder unbewusst – durch die Persönlichkeit zu beeindrucken
versuchen. aber vielleicht geht es darum ja gar nicht! Bei jeman-
dem, bei dem man nicht sofort etwas im gesicht erkennen kann,
wird man sich tiefer auf die Suche machen.
Muss man sich das Gesichtlesen „in Schichten“ vorstellen? Vermut
lich kann man relativ oberflächlich in der Mimik lesen, wenn man je
doch etwas über das Schicksal eines Menschen erfahren will, muss
man dann nicht viel tiefer blicken?
So habe ich es eigentlich noch nie gesehen. richtig: Die Mimik ist so
etwas wie eine akute aufnahme. Die Physiognomik hingegen blickt
tiefer, da sie über den gesichtsausdruck hinaus die Persönlichkeit,
den Charakter erfassen möchte. Schicksal und lebensaufgabe lie-
gen sicherlich noch eine Schicht darunter: Wenn man daran glaubt,
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» Jedes BaBy, das auf die Welt kommt, ist ein Gesichtleser. «
muss ja alles Seelische schon da gewesen sein, bevor das gesicht
„entsteht“. Menschen, die von „reiner Seele“ sind, haben einen ganz
eigenen gesichtsausdruck und eine ganz andere ausstrahlung!
Wie siehst du Talente in einem Gesicht?
Es gibt verschiedene „talentlinien“. je nachdem, wie zum Beispiel der
Mund geformt ist, besitzt er die linie der Kommunikation, der liebe,
der Zahlen. Dasselbe gilt für andere Bereiche des gesichtes. je mehr
unser Beruf die talente abdeckt, die in unseren gesichtslinien vor-
kommen, desto zufriedener sind wir.
Worum geht es bei dem Projekt „Portraits of a Soul“, das du ge
meinsam mit dem Fotografen Richard Pilnick ins Leben gerufen
hast?
Da geht es tatsächlich um die Seele eines Menschen, die in seinem
gesicht durchschimmert. ich habe längere Zeit in Hong Kong ge-
arbeitet und dort stellten mir die Menschen immer ganz konkrete
Fragen zu job und gesundheit, Partnerschaft. irgendwann wollte
ich aber auch gerne in einem gesicht das lesen, was über diese
Dinge hinausgeht. Zu dieser Zeit fiel mir auf, dass mir richards
Foto grafien die Möglichkeit geben, tiefer zu blicken. richard
schafft es, dass sich Menschen öffnen und sich für seine Fotos von
innen heraus zeigen. Es macht mir Spaß, bei diesen Menschen zu
sehen, was ihre lebensaufgabe ist und welche tieferen Belange
hinter ihrem objektiven Dasein stecken. Das Schreiben der ge-
dichte anhand von Bildern begann als abendlicher Zeitvertreib, als
eine art meditative Beschäftigung. Mittlerweile sitze ich vor vie-
len Bildern 2 bis 5 Stunden und mache mir notizen. anschließend
schreibe ich ein gedicht über die Person. ich habe die gedichtform
deshalb gewählt, weil es weicher ist, als harte Fakten zu liefern.
ich muss mich da anders anstrengen – kreativer und nicht so sehr
aus dem Kopf heraus. Das ganze Projekt ist zur Herzensangele-
genheit geworden.
Für das Yoga Journal hat Richard Yogalehrer auch in ihren lieb
sten Asanas fotografiert. Wie gehst du anhand dieser Fotos bei
der Interpretation und beim Schreiben deines Gedichtes vor?
alleine dadurch, in welcher asana sich ein lehrer präsentiert, habe
ich bereits meinen ersten Bezugspunkt: Das sagt ja etwas über ihn
aus! natürlich gehe ich auch auf das gesicht ein, aber die Pose
spielt eine besondere rolle. interessant wird es beispielsweise,
wenn jemand in einer anstrengenden Haltung noch ein entspann-
tes gesicht macht. ich war ja live dabei, als fotografiert wurde, und
habe mir über das gesicht schon eine erste Meinung bilden kön-
nen, habe gespräche geführt und die Stimmung auf mich wirken
lassen. Für das gedicht wird das allerdings nicht die größte rolle
spielen, sondern das Foto an sich. generell gilt: je authentischer
der Mensch ist, desto leichter kann man in seinem gesicht lesen. //
Von VEREnA HERTLEIn
ERIc STAndoP arbeitet weltweit als Gesichtleser und bietet in seiner Face
Reading Academy regelmäßig Ausbildungen an (www.gesichtlesen.de).
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PORTRAITS Of A SOul ronalD StEinEr
HeRz denkTGeist fühlt
köRPeR SPRICHT
nichts ist mehr möglich, wenn es nur möglich ist
was Der koPF ergrünDet
wird den körper erreichen was Der koPF ergrünDet
wird das herz nie erweichen
Fein beobachten tief denken
scharF analYsieren klar ausführen
soviel gesPür Für Den anDeren
so wenig worte über das ich geDulDig Das warme herz
friedliebend der kühle verstand
alles ist möglich, wenn es unmöglich erscheint
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PORTRAITS Of A SOul ronalDS gESiCHt
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ROnAld STeIneR
elemente eines gesichtes
FRÜHLING / SOMMER 2014
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‡ chinesisches gesichtlesen ‡
ronalds gesichtsstruktur ist eine Mischfom aus
Baum- und Königs gesicht.
baumgesichter möchten für andere da sein. Bäu-
me haben fast immer gerne Menschen um sich ver-
sammelt, sind dabei aber immer ein wenig für sich.
Sie sind nie ganz teil der gruppe und wachsen ihr
ganzes leben lang.
königsgesichter sind Menschen, die selbst füh-
ren und nicht geführt werden wollen. Sie sind gut zu
den „Kleinen“ (Kinder, tiere, Schwache). in engen
Beziehungen, privat oder geschäftlich, strebt das Kö-
nigsgesicht danach, das „(an)Sagen“ zu haben.
‡ griechisches gesichtlesen ‡
1 kinn – Mischform aus langem und vorstehen-
dem Kinn: geht häufig körperlich in grenzsi-
tuationen. impulsivität und Kampfgeist. Hohe
ideale und Werte.
2 kieFer – breit: Markenzeichen für ausdauer, Kraft
und Beharrlichkeit. „Einzelgänger der gedanken“.
3 nase – leicht gewölbt: Starkes Bedürfnis, sich
schöpferisch zu betätigen. Diese nase will leh-
ren, belehren, anleiten und unterstützen – ein
Helfer und Mentor.
4 liPPen – ober- und unterlippe gleich groß:
Materielles und ideelles haben eine gleich gro-
ße Bedeutung im leben.
5 Philtrum – breit aufgestellt, deutliche rippen
als Begrenzung: Wird in gegenwart von Men-
schen lebendiger. Sonst stark in der eigenen
gedankenwelt vertieft.
6 ohren – leicht abstehend am oberen rand: tut in
der regel erstmal das, was er selbst will – ein indivi-
dualist. Selbstverwirklichung, die niemals aufhört.
RonALd STEInER ist Arzt für Sportmedizin und zählt zu den
bekanntesten Lehrern des Ashtanga Yoga. Für YoGA JoURnAL
schreibt er regelmäßig Artikel zu anatomischen Aspekten der
Praxis (siehe Seite 82, www.AshtangaYoga.info).
eric stanDoPs Partner beim kunstProjekt „Portraits oF a soul” ist Der britische FotograF richarD Pilnick. Für Yoga journal FotograFierte
richarD bekannte Yogalehrer in ihren lieblingsasanas – unD blickte Dabei tieF in Die seele seiner moDelle.
VeRWAndTe Seelen
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Richard, euer Projekt heißt „Portraits of a Soul“. Was macht den
Unterschied zwischen dem Portrait eines Gesichts und dem einer
Seele aus?
Für mich geht es um die idee, dass wir alle Seelen sind – dass wir
schon früher hier waren und auch später wieder hier sein werden …
daher zeigt das Foto eines gesichts, das beliebig unter hunderten
ausgewählt wurde, nicht das wahre Selbst. Es zeigt lediglich eine Fas-
sade, die derjenige, der vor einem sitzt, zeigen möchte. Die Seele zu
fotografieren, bedeutet für mich, mich mit geduld und aufgrund eines
Energieaustauschs auf einer tieferen Ebene mit dem Menschen zu
verbinden. Es entspricht beinahe einem meditativen Zustand, in dem
ich auf den speziellen Moment warte, in dem sich mein gegenüber öff-
net. ich habe dann das gefühl, das eine tiefe Verbindung zwischen uns
beiden entsteht – beinahe so, als ob ein tieferer Sinn in diesem Bild
liegen würde. Vielleicht sehen meine Modelle auch, dass ich einen teil
meiner Seele in das Foto stecke. Dann tun sie es auch.
Gibt es für dich bestimmte charakteristika, die ein Gesicht haben
sollte, um auf einem Foto interessant auszusehen?
ich liebe Falten. Schon immer haben mich linien in einem gesicht
angezogen, da ich glaube, dass eine tiefe Bedeutung in ihnen verbor-
gen ist. ich kann kaum den tag erwarten, an dem mein gesicht von
Falten durchzogen sein wird. Es ist wie ein ganz eigenes leben im
gesicht – jede linie erzählt eine geschichte, ist eine Erinnerung ver-
gangener Erlebnisse. Einmal habe ich eine alte Frau in Vietnam foto-
grafiert, die ich mit Worten nicht verstehen konnte. trotzdem wollte
ich einfach nur in ihrer nähe sein, da ich spürte, wie viel Weisheit sie
zu schenken hatte. auch Eric Standops lesekunst hat zu meiner Fas-
zination für alterslinien beigetragen. ich finde es unwahrscheinlich
faszinierend, dass Eric in diesen linien lesen kann – fast so, wie ein
Blinder die Blindenschrift liest: Er fühlt mit seinen augen die linien in
diesem gesicht. Deshalb warte ich immer wieder ungeduldig auf jedes
seiner gedichte, um etwas mehr über meine Zufallsbegegnungen am
anderen Ende der Welt zu erfahren. außerdem helfen mir seine ge-
dichte dabei, meine eigene arbeit besser zu verstehen. Deshalb habe
ich in unser Booklet den Satz geschrieben: „Wir verstecken uns hinter
unserem gesicht und doch verrät unser gesicht alles.”
Warum fotografierst du schwarzweiß?
Schwarzweiß-Fotografie besitzt eine zeitlose Schönheit, etwas Be-
ständiges und traditionelles. ich finde, dass sie besonders stark
der Kunst der Fotografie treu bleibt. Wenn man ein Schwarzweiß-
Portrait aus den 1920er-, 30er- oder 40er-jahren mit einem von
heute vergleicht, unterscheidet sich lediglich die Kleidung der
Menschen auf den Bildern. auf gewisse Weise verbinde ich damit
die idee, dass man sowohl das Material als auch die physischen
Barrieren, hinter denen wir uns verstecken, aufbrechen kann …
Wenn man ein Schwarzweiß-Portrait vor einem weißen Hintergrund
aufnimmt, kann man das Modell aus seiner umgebung herauslösen
und die augen des Betrachters für diese Person als menschliches
Wesen öffnen – anstatt Vorurteile und annahmen aufgrund von um-
gebung und Besitz zu schaffen. aus ästhetischer Sicht geht es zudem
um die tiefe des Bildes. Schwarzweiß-Portraits können selbst bei
schlechtem licht gut aussehen. Schwarzweiß-Filme eröffnen mehr
Spielraum und vergeben sehr viel mehr als Farbfilme oder gar Digi-
talfotografie. als ich ein jahr lang in asien war und auf den Straßen
Portraits fotografiert habe, konnte ich mir den luxus nicht leisten,
auf besseres licht zu warten oder manche Motive nochmal neu zu
schießen. Damals entschied ich mich aufgrund der Situation für die
Schwarzweiß-Fotografie, weil sie mir mehr Freiheit schenkte – heu-
te ist sie allerdings ein teil von mir geworden, eine art Fortsetzung
meiner Persönlichkeit.
Wie ist das Feedback auf deine Bilder – sind manche Menschen
überrascht darüber, wie du sie siehst?
Die meisten Menschen sagen mir, dass sie die Bilder lieben, die ich
von ihnen gemacht habe. aber dass meine Bilder gefallen, hilft mir
nicht dabei, mich als Fotograf weiterzuentwickeln. Viel interessanter
finde ich, dass es zum Beispiel einige gibt, die meine Fotos mögen,
wenn andere darauf zu sehen sind, nicht aber sie selbst. Früher hat
mich das meine arbeit und ihre aussagekraft anzweifeln lassen,
aber je mehr Erfahrung ich bekomme, desto besser verstehe ich die
tieferen gründe. letztens erzählte mir eine Kundin, dass ihr die Qua-
lität meiner Bilder gefiel, dass sie sich selbst auf dem Foto aber nicht
mochte. Sie erklärte mir, dass sie in dem Bild ein thema von sich
erkannte, an dem sie arbeitete, das sie jedoch noch nicht gelöst hat-
te. ich bin zu dem Schluss gekommen, dass meine arbeit gut zu yoga
und den yogis passt, da diese Menschen sich schon auf ihrem „Weg”
befinden und an sich selbst arbeiten. Wenn sie ihr eigenes gesicht
betrachten, erkennen sie Bereiche, die arbeit und Disziplin benöti-
gen. Durch meine Zusammenarbeit mit Eric und seine Fähigkeit, die
Botschaften eines gesichtes zu lesen, wird das noch verstärkt.
Kürzlich kursierte im Internet ein Video, in dem mehrere Frauen zu
sehen waren, die sich selbst beschreiben sollten. Zeitgleich fertigte
ein vom FBI trainierter PhantombildZeichner anhand der Beschrei
bung eine Skizze an. Im Anschluss geschah dasselbe noch einmal,
nur beschrieb nun eine andere Frau das Modell. In allen Fällen sah
das Selbstbild wesentlich weniger attraktiv und unrealistischer aus
als das Fremdbild. Entspricht es deiner Erfahrung, dass viele Men
schen durch „fremde” Augen gesehen schöner wirken?
ich habe dieses Video auch gesehen und finde es sehr schön. Es tritt
in resonanz mit meiner Einstellung, das Schöne im alltäglichen zu
sehen. Vor allem aber spiegelt es wider, wie Schönheit in unserer ge-
sellschaft definiert wird. natürlich mache ich auch als Fotograf geld
damit, dennoch ist es eine tatsache, dass die Werbung uns tagtäglich
mit Bildern überflutet, die uns glauben machen, wir sollten jünger,
dünner und gesünder aussehen. Wenn diese Botschaft jeden einzel-
nen tag wiederholt wird, wird doch jeder nachdenklich und stellt sei-
ne eigene Schönheit in Frage: Sehe ich alt aus? Müde? Bin ich dick?
Meistens lautet die antwort: nein! Du siehst einfach aus wie du selbst
und du bist schön. letztlich kommt keiner aus der eigenen Haut her-
aus, also kann man sie ebenso gut lieben. // Von VEREnA HERTLEIn
RIcHARd PILnIcK lebt in London. In diesem Winter werden seine Bilder in der
„national Portrait Gallery” in London ausgestellt (www.richardpilnick).com).
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