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DER BRITISCHE FOTOGRAF RICHARD PILNICK UND DER GESICHTLESER ERIC STANDOP HABEN GEMEINSAM DAS KUNSTPROJEKT „PORTRAITS OF A SOUL“ INS LEBEN GERUFEN. EXKLUSIV FüR YOGA JOURNAL ERGRüNDEN SIE ANHAND VON PORTRAITS, GEDICHTEN UND ANALYSEN DIE PERSöNLICHKEIT BEKANNTER YOGALEHRER. PORTRAITS OF A SOUL NEUE SERIE

neue SeRIe PORTRAITS O f A SO ul - · PDF fileEtwa 1000 v. Chr. wird von den ersten Face-reading-Schulen in China berich-tet. aber auch in Europa tauchen früh große namen auf, zum

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Der britische FotograF richarD Pilnick unD Der gesichtleser eric stanDoP haben gemeinsam Das kunstProjekt „Portraits oF a soul“ ins leben geruFen. exklusiv Für

Yoga journal ergrünDen sie anhanD von Portraits, geDichten unD analYsen Die Persönlichkeit bekannter Yogalehrer.

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PORTRAITS Of A SOul intro

sie sPrechen wirklich bänDe: Die gesichter, die der britische

Fotograf richard Pilnick für seine Portraits studiert. Fern jeder

gefälligen inszenierung konzentriert sich Pilnick auf die Verbin-

dung zu seinem Modell, über die er zur Essenz dieses Menschen

gelangen will (interview ab Seite 36).

Seine arbeit mit der äußeren Erscheinung, die zum ausdruck des

inneren wird, komplettiert der gesichtleser Eric Standop: ihm

geben richards Fotos aufschluss über die Persönlichkeit der

Portraitierten. in der uralten tradition des „Face -readings“ aus-

gebildet, kann er anhand des Blicks und der Mimik nicht nur Cha-

rakterzüge erkennen, er erhält sogar Hinweise auf Schicksal und

lebensaufgabe. Seine Beobachtungen verarbeitet er stilistisch

unterschiedlich: zum einen als analyse, zum anderen in Form ei-

nes gedichts (interview ab Seite 28).

Diese Kombination aus Fotokunst, Persönlichkeitsanalyse und

Poesie hat uns, die yoga journal-redaktion, fasziniert. und

so waren wir von richard und Erics Vorschlag, ihr thema zu er-

weitern und bekannte yogalehrer nicht nur im Portrait sondern

auch in ihren lieblingsasanas zu fotografieren, begeistert. Wir

sind stolz darauf, den beiden ausnahmepersönlichkeiten – selbst

praktizierende yogis – ein Forum für ihre Kunst zu bieten. in

erstaunlichen Portraits, begleitet von Erics texten, präsentie-

ren wir in den kommenden yoga journal-ausgaben Susanne

giesse, Petros Haffenrichter, gabriela Bozic, Percy johannsen

und annette Söhnlein. Den auftakt für die am Schauplatz yoga-

lounge Pullach entstandenen Fotos bildet die spektakuläre, tiefe

Praxis von ashtanga-yogi ronald Steiner (ab Seite 32).

Wir danken richard, Eric und den beteiligten yogalehrern für ihr

Engagement, die tiefe Hinwendung zu diesem Projekt und die ganz

besondere Stimmung bei den aufnahmen. yoga journal goes

art – und das in bester gesellschaft: Eine auswahl von richard

Pilnicks Fotografien wird derzeit in der national Portrait gallery

in london ausgestellt.

Eric, was versteht man unter Gesichtlesen?

gesichtlesen ist so alt wie die Menschheit. Es ist nachgewiesen,

dass es in den ersten Menschheitsjahren keine Sprache gab. Die

einzige Möglichkeit der Kommunikation war, in den gesichtern

und Bewegungen der Menschen zu lesen, um zu wissen, was sich

gerade in ihrem inneren abspielt. Damals hat man auch andere

Sinne wie das riechen („ich

kann dich nicht riechen“) oder

abtasten benutzt, doch primär

erhielt man informationen über

die Mimik. Die Menschen hatten

das so gut entwickelt, dass sie

ziemlich gut miteinander klar

kamen, anstatt sich gegenseitig

totzuschlagen. aus irgendei-

nem grund hat es diese art der

Kommunikation nicht geschafft

und es entwickelte sich eine

lautsprache – das gesichtlesen

ist dennoch nie ganz vergessen

worden. jedes Baby, das auf die

Welt kommt, ist ein gesichtleser.

und ganz verlieren wir diese art,

wortlos miteinander zu kommu-

nizieren, nie. Die Mimik ist uns

allen geläufig – manche sind

talentierter darin, daraus zu le-

sen, andere weniger.

Welche Rolle spielt die Methode heute in unserer Kultur?

in Europa blieb das gesichtlesen immer eine randerscheinung, al-

lerdings eine bedeutsame. Während heute leider viele Ärzte lieber

in den Computer blicken, um informationen über den Patienten zu

bekommen, war es traditionell immer wichtig, sich den Patienten

zuerst einmal genau anzusehen. allgemein bewegte sich gesicht-

lesen in Europa hauptsächlich im gesundheitlichen Bereich, daher

ist hier die antlitzdiagnostik oder auch die Blickdiagnose, die sich

mit gesundheit, Ernährung und Mangelerscheinungen beschäf-

tigt, bis heute die bekannteste linie des gesichtlesens geblieben.

Kennt man die Technik des

Gesichtlesens auch auf anderen

Kontinenten?

ja, aber es gibt unterschiedli-

che Motivationen. in nordame-

rika interessieren heute beim

gesichtlesen in erster linie die

„micro expressions“ – also die

Mimik, die unbewusst abläuft.

Wir haben im gesicht 43 Mus-

keln, die unterbewusst auf reize

reagieren. Wenn wir sie bewusst

reagieren lassen, sieht es meist

nicht authentisch aus. Wenn man

lernt, wie die Muskeln im gesicht

funktionieren, kann man lesen,

was im gegenüber vorgeht. Zahl-

reiche Ermittlungsbeamte in den

uSa werden heutzutage bezüg-

lich dieser „micro expressions“

geschult. in Südamerika sieht das

ganz anders aus: Wenn sich die Südamerikaner mit gesicht lesen

beschäftigen, interessiert lediglich der themenbereich liebe,

Partnerschaft und Sexualität. in indien gibt es gesichtlese-Metho-

den aus der hinduistischen tradition, die sich mit früheren leben

beschäftigen. und auch auf dem afrikanischen Kontinent kennt

InS GeSICHT GeSCHRIeBen

Die wurzeln Des gesichtlesens Etwa 1000 v. Chr. wird von den ersten Face-reading-Schulen in China berich-

tet. aber auch in Europa tauchen früh große namen auf, zum Beispiel der Hei-

ler Hippokrates von Kos (360 v. Chr.). Hippokrates hielt als Erster in Europa

schriftlich fest, was man in einem gesicht lesen kann und was es zu bedeu-

ten hat. noch heute spricht man in der Medizin von der „Facies hippocratica“

– Merkmalen im gesicht, die bei Sterbenden oder Schwerstkranken auftre-

ten. auch aristoteles berichtet, dass man den Charakter eines Menschen

im gesicht erkennen könne. noch im Mittelalter arbeiteten bei uns Philoso-

phen, gelehrte und Heiler mit der Kunst des gesichtlesens – bis es von der

Kirche verboten wurde. Zwar gab es sogar im kirchlichen Kontext Menschen

wie Hildegard von Bingen, die diese technik weiter benutzten, um zu heilen,

dennoch kam es in Europa zu einem fast 300 jahre andauernden Bruch.

lediglich in den maurischen universitäten in Spanien wurde gesicht lesen

weiterhin unterrichtet. um 1500 schrieb dann der berühmte arzt Paracelsus:

„alles, was innen passiert, ist außen sichtbar.“ Es folgte eine allmähliche

renaissance des gesichtlesens.

PORTRAITS Of A SOul intErViEW Mit EriC StanDoP

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eric stanDoP ist gesichtleser. Diese uralte kunst sPielt in vielen kulturen eine beDeutenDe rolle, um gezielte aussagen über gesunDheitszustanD, talente,

Persönlichkeit, schicksal unD sogar lebensauFgabe eines menschen zu treFFen. im interview erläutert stanDoP Die hintergünDe.

man viele techniken, die nie schriftlich festgehalten wurden und

von deren Bedeutung man nur annähernd weiß.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Kulturen?

gesichtlesen wird bei sämtlichen naturvölkern angewendet. und

daher weiß man: Wenn es um die grundemotionen geht, haben alle

Menschen dieselbe Mimik. Das gilt auch für die lüge: Wenn ein

Mensch lügt und er selbst nicht von der lüge überzeugt ist, geht

dem immer eine Emotion voraus, das kann angst, Schuld oder

Freude sein. Man muss sich das so vorstellen: Wenn ein Mensch

etwas erzählt, hat er dabei eine grundemotion. Wenn er zwischen-

durch etwas sagt, bei dem sein gesicht ganz plötzlich eine voll-

kommen andere Zwischenemotion zeigt, kann man davon ausge-

hen, dass etwas nicht stimmt.

Gibt es typische Merkmale in Gesichtern und was lässt sich an

ihnen erkennen?

im grunde verrät unsere Sprache bereits einiges. Wir sagen: „ich

kann es ihm von den lippen ablesen“, „Es steht dir auf die Stirn

geschrieben“ oder so etwas wie „au Backe!“. Die Wangen gelten

als „Kissen der Macht“ und wenn jemand so einen ausruf loslässt,

ist etwas schief gegangen und im weitesten Sinne seine Macht be-

droht. Wir sprechen davon, dass es jemand „faustdick hinter den

ohren“ hat. Das sind lausbuben! Sieh dir an, wer in der geschichte

abstehende ohren hatte: die großen Veränderer der Weltgeschich-

te von gandhi bis Barack obama. Menschen, die anliegende ohren

haben, sind dagegen sehr harmoniebedürftig und gehen Konflikten

eher aus dem Weg. gesichtlesen bewertet allerdings nicht, es ord-

net. im grunde genommen wird man sogar toleranter, wenn man

gesichtlesen kann, weil man alle Seiten eines Menschen in seinem

gesicht lesen kann.

Kann man sagen, dass man im Gesicht von sehr starken Persön­

lichkeiten „besser“ lesen kann?

Für ein „Speed-reading“, also wenn man nur ganz kurz Zeit hat,

ist es besser. Bei einem ausführlichen reading muss man dagegen

aufpassen, dass das herausragende Merkmal einen nicht auf die

falsche Fährte lockt. Eine starke Persönlichkeit wird immer – be-

wusst oder unbewusst – durch die Persönlichkeit zu beeindrucken

versuchen. aber vielleicht geht es darum ja gar nicht! Bei jeman-

dem, bei dem man nicht sofort etwas im gesicht erkennen kann,

wird man sich tiefer auf die Suche machen.

Muss man sich das Gesichtlesen „in Schichten“ vorstellen? Vermut­

lich kann man relativ oberflächlich in der Mimik lesen, wenn man je­

doch etwas über das Schicksal eines Menschen erfahren will, muss

man dann nicht viel tiefer blicken?

So habe ich es eigentlich noch nie gesehen. richtig: Die Mimik ist so

etwas wie eine akute aufnahme. Die Physiognomik hingegen blickt

tiefer, da sie über den gesichtsausdruck hinaus die Persönlichkeit,

den Charakter erfassen möchte. Schicksal und lebensaufgabe lie-

gen sicherlich noch eine Schicht darunter: Wenn man daran glaubt,

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» Jedes BaBy, das auf die Welt kommt, ist ein Gesichtleser. «

muss ja alles Seelische schon da gewesen sein, bevor das gesicht

„entsteht“. Menschen, die von „reiner Seele“ sind, haben einen ganz

eigenen gesichtsausdruck und eine ganz andere ausstrahlung!

Wie siehst du Talente in einem Gesicht?

Es gibt verschiedene „talentlinien“. je nachdem, wie zum Beispiel der

Mund geformt ist, besitzt er die linie der Kommunikation, der liebe,

der Zahlen. Dasselbe gilt für andere Bereiche des gesichtes. je mehr

unser Beruf die talente abdeckt, die in unseren gesichtslinien vor-

kommen, desto zufriedener sind wir.

Worum geht es bei dem Projekt „Portraits of a Soul“, das du ge­

meinsam mit dem Fotografen Richard Pilnick ins Leben gerufen

hast?

Da geht es tatsächlich um die Seele eines Menschen, die in seinem

gesicht durchschimmert. ich habe längere Zeit in Hong Kong ge-

arbeitet und dort stellten mir die Menschen immer ganz konkrete

Fragen zu job und gesundheit, Partnerschaft. irgendwann wollte

ich aber auch gerne in einem gesicht das lesen, was über diese

Dinge hinausgeht. Zu dieser Zeit fiel mir auf, dass mir richards

Foto grafien die Möglichkeit geben, tiefer zu blicken. richard

schafft es, dass sich Menschen öffnen und sich für seine Fotos von

innen heraus zeigen. Es macht mir Spaß, bei diesen Menschen zu

sehen, was ihre lebensaufgabe ist und welche tieferen Belange

hinter ihrem objektiven Dasein stecken. Das Schreiben der ge-

dichte anhand von Bildern begann als abendlicher Zeitvertreib, als

eine art meditative Beschäftigung. Mittlerweile sitze ich vor vie-

len Bildern 2 bis 5 Stunden und mache mir notizen. anschließend

schreibe ich ein gedicht über die Person. ich habe die gedichtform

deshalb gewählt, weil es weicher ist, als harte Fakten zu liefern.

ich muss mich da anders anstrengen – kreativer und nicht so sehr

aus dem Kopf heraus. Das ganze Projekt ist zur Herzensangele-

genheit geworden.

Für das Yoga Journal hat Richard Yogalehrer auch in ihren lieb­

sten Asanas fotografiert. Wie gehst du anhand dieser Fotos bei

der Interpretation und beim Schreiben deines Gedichtes vor?

alleine dadurch, in welcher asana sich ein lehrer präsentiert, habe

ich bereits meinen ersten Bezugspunkt: Das sagt ja etwas über ihn

aus! natürlich gehe ich auch auf das gesicht ein, aber die Pose

spielt eine besondere rolle. interessant wird es beispielsweise,

wenn jemand in einer anstrengenden Haltung noch ein entspann-

tes gesicht macht. ich war ja live dabei, als fotografiert wurde, und

habe mir über das gesicht schon eine erste Meinung bilden kön-

nen, habe gespräche geführt und die Stimmung auf mich wirken

lassen. Für das gedicht wird das allerdings nicht die größte rolle

spielen, sondern das Foto an sich. generell gilt: je authentischer

der Mensch ist, desto leichter kann man in seinem gesicht lesen. //

Von VEREnA HERTLEIn

ERIc STAndoP arbeitet weltweit als Gesichtleser und bietet in seiner Face

Reading Academy regelmäßig Ausbildungen an (www.gesicht­lesen.de).

PORTRAITS Of A SOul intErViEW Mit EriC StanDoP

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PORTRAITS Of A SOul ronalD StEinEr

HeRz denkTGeist fühlt

köRPeR SPRICHT

nichts ist mehr möglich, wenn es nur möglich ist

was Der koPF ergrünDet

wird den körper erreichen was Der koPF ergrünDet

wird das herz nie erweichen

Fein beobachten tief denken

scharF analYsieren klar ausführen

soviel gesPür Für Den anDeren

so wenig worte über das ich geDulDig Das warme herz

friedliebend der kühle verstand

alles ist möglich, wenn es unmöglich erscheint

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PORTRAITS Of A SOul ronalDS gESiCHt

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ROnAld STeIneR

elemente eines gesichtes

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‡ chinesisches gesichtlesen ‡

ronalds gesichtsstruktur ist eine Mischfom aus

Baum- und Königs gesicht.

baumgesichter möchten für andere da sein. Bäu-

me haben fast immer gerne Menschen um sich ver-

sammelt, sind dabei aber immer ein wenig für sich.

Sie sind nie ganz teil der gruppe und wachsen ihr

ganzes leben lang.

königsgesichter sind Menschen, die selbst füh-

ren und nicht geführt werden wollen. Sie sind gut zu

den „Kleinen“ (Kinder, tiere, Schwache). in engen

Beziehungen, privat oder geschäftlich, strebt das Kö-

nigsgesicht danach, das „(an)Sagen“ zu haben.

‡ griechisches gesichtlesen ‡

1 kinn – Mischform aus langem und vorstehen-

dem Kinn: geht häufig körperlich in grenzsi-

tuationen. impulsivität und Kampfgeist. Hohe

ideale und Werte.

2 kieFer – breit: Markenzeichen für ausdauer, Kraft

und Beharrlichkeit. „Einzelgänger der gedanken“.

3 nase – leicht gewölbt: Starkes Bedürfnis, sich

schöpferisch zu betätigen. Diese nase will leh-

ren, belehren, anleiten und unterstützen – ein

Helfer und Mentor.

4 liPPen – ober- und unterlippe gleich groß:

Materielles und ideelles haben eine gleich gro-

ße Bedeutung im leben.

5 Philtrum – breit aufgestellt, deutliche rippen

als Begrenzung: Wird in gegenwart von Men-

schen lebendiger. Sonst stark in der eigenen

gedankenwelt vertieft.

6 ohren – leicht abstehend am oberen rand: tut in

der regel erstmal das, was er selbst will – ein indivi-

dualist. Selbstverwirklichung, die niemals aufhört.

RonALd STEInER ist Arzt für Sportmedizin und zählt zu den

bekanntesten Lehrern des Ashtanga Yoga. Für YoGA JoURnAL

schreibt er regelmäßig Artikel zu anatomischen Aspekten der

Praxis (siehe Seite 82, www.AshtangaYoga.info).

eric stanDoPs Partner beim kunstProjekt „Portraits oF a soul” ist Der britische FotograF richarD Pilnick. Für Yoga journal FotograFierte

richarD bekannte Yogalehrer in ihren lieblingsasanas – unD blickte Dabei tieF in Die seele seiner moDelle.

VeRWAndTe Seelen

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Richard, euer Projekt heißt „Portraits of a Soul“. Was macht den

Unterschied zwischen dem Portrait eines Gesichts und dem einer

Seele aus?

Für mich geht es um die idee, dass wir alle Seelen sind – dass wir

schon früher hier waren und auch später wieder hier sein werden …

daher zeigt das Foto eines gesichts, das beliebig unter hunderten

ausgewählt wurde, nicht das wahre Selbst. Es zeigt lediglich eine Fas-

sade, die derjenige, der vor einem sitzt, zeigen möchte. Die Seele zu

fotografieren, bedeutet für mich, mich mit geduld und aufgrund eines

Energieaustauschs auf einer tieferen Ebene mit dem Menschen zu

verbinden. Es entspricht beinahe einem meditativen Zustand, in dem

ich auf den speziellen Moment warte, in dem sich mein gegenüber öff-

net. ich habe dann das gefühl, das eine tiefe Verbindung zwischen uns

beiden entsteht – beinahe so, als ob ein tieferer Sinn in diesem Bild

liegen würde. Vielleicht sehen meine Modelle auch, dass ich einen teil

meiner Seele in das Foto stecke. Dann tun sie es auch.

Gibt es für dich bestimmte charakteristika, die ein Gesicht haben

sollte, um auf einem Foto interessant auszusehen?

ich liebe Falten. Schon immer haben mich linien in einem gesicht

angezogen, da ich glaube, dass eine tiefe Bedeutung in ihnen verbor-

gen ist. ich kann kaum den tag erwarten, an dem mein gesicht von

Falten durchzogen sein wird. Es ist wie ein ganz eigenes leben im

gesicht – jede linie erzählt eine geschichte, ist eine Erinnerung ver-

gangener Erlebnisse. Einmal habe ich eine alte Frau in Vietnam foto-

grafiert, die ich mit Worten nicht verstehen konnte. trotzdem wollte

ich einfach nur in ihrer nähe sein, da ich spürte, wie viel Weisheit sie

zu schenken hatte. auch Eric Standops lesekunst hat zu meiner Fas-

zination für alterslinien beigetragen. ich finde es unwahrscheinlich

faszinierend, dass Eric in diesen linien lesen kann – fast so, wie ein

Blinder die Blindenschrift liest: Er fühlt mit seinen augen die linien in

diesem gesicht. Deshalb warte ich immer wieder ungeduldig auf jedes

seiner gedichte, um etwas mehr über meine Zufallsbegegnungen am

anderen Ende der Welt zu erfahren. außerdem helfen mir seine ge-

dichte dabei, meine eigene arbeit besser zu verstehen. Deshalb habe

ich in unser Booklet den Satz geschrieben: „Wir verstecken uns hinter

unserem gesicht und doch verrät unser gesicht alles.”

Warum fotografierst du schwarzweiß?

Schwarzweiß-Fotografie besitzt eine zeitlose Schönheit, etwas Be-

ständiges und traditionelles. ich finde, dass sie besonders stark

der Kunst der Fotografie treu bleibt. Wenn man ein Schwarzweiß-

Portrait aus den 1920er-, 30er- oder 40er-jahren mit einem von

heute vergleicht, unterscheidet sich lediglich die Kleidung der

Menschen auf den Bildern. auf gewisse Weise verbinde ich damit

die idee, dass man sowohl das Material als auch die physischen

Barrieren, hinter denen wir uns verstecken, aufbrechen kann …

Wenn man ein Schwarzweiß-Portrait vor einem weißen Hintergrund

aufnimmt, kann man das Modell aus seiner umgebung herauslösen

und die augen des Betrachters für diese Person als menschliches

Wesen öffnen – anstatt Vorurteile und annahmen aufgrund von um-

gebung und Besitz zu schaffen. aus ästhetischer Sicht geht es zudem

um die tiefe des Bildes. Schwarzweiß-Portraits können selbst bei

schlechtem licht gut aussehen. Schwarzweiß-Filme eröffnen mehr

Spielraum und vergeben sehr viel mehr als Farbfilme oder gar Digi-

talfotografie. als ich ein jahr lang in asien war und auf den Straßen

Portraits fotografiert habe, konnte ich mir den luxus nicht leisten,

auf besseres licht zu warten oder manche Motive nochmal neu zu

schießen. Damals entschied ich mich aufgrund der Situation für die

Schwarzweiß-Fotografie, weil sie mir mehr Freiheit schenkte – heu-

te ist sie allerdings ein teil von mir geworden, eine art Fortsetzung

meiner Persönlichkeit.

Wie ist das Feedback auf deine Bilder – sind manche Menschen

überrascht darüber, wie du sie siehst?

Die meisten Menschen sagen mir, dass sie die Bilder lieben, die ich

von ihnen gemacht habe. aber dass meine Bilder gefallen, hilft mir

nicht dabei, mich als Fotograf weiterzuentwickeln. Viel interessanter

finde ich, dass es zum Beispiel einige gibt, die meine Fotos mögen,

wenn andere darauf zu sehen sind, nicht aber sie selbst. Früher hat

mich das meine arbeit und ihre aussagekraft anzweifeln lassen,

aber je mehr Erfahrung ich bekomme, desto besser verstehe ich die

tieferen gründe. letztens erzählte mir eine Kundin, dass ihr die Qua-

lität meiner Bilder gefiel, dass sie sich selbst auf dem Foto aber nicht

mochte. Sie erklärte mir, dass sie in dem Bild ein thema von sich

erkannte, an dem sie arbeitete, das sie jedoch noch nicht gelöst hat-

te. ich bin zu dem Schluss gekommen, dass meine arbeit gut zu yoga

und den yogis passt, da diese Menschen sich schon auf ihrem „Weg”

befinden und an sich selbst arbeiten. Wenn sie ihr eigenes gesicht

betrachten, erkennen sie Bereiche, die arbeit und Disziplin benöti-

gen. Durch meine Zusammenarbeit mit Eric und seine Fähigkeit, die

Botschaften eines gesichtes zu lesen, wird das noch verstärkt.

Kürzlich kursierte im Internet ein Video, in dem mehrere Frauen zu

sehen waren, die sich selbst beschreiben sollten. Zeitgleich fertigte

ein vom FBI trainierter Phantombild­Zeichner anhand der Beschrei­

bung eine Skizze an. Im Anschluss geschah dasselbe noch einmal,

nur beschrieb nun eine andere Frau das Modell. In allen Fällen sah

das Selbstbild wesentlich weniger attraktiv und unrealistischer aus

als das Fremdbild. Entspricht es deiner Erfahrung, dass viele Men­

schen durch „fremde” Augen gesehen schöner wirken?

ich habe dieses Video auch gesehen und finde es sehr schön. Es tritt

in resonanz mit meiner Einstellung, das Schöne im alltäglichen zu

sehen. Vor allem aber spiegelt es wider, wie Schönheit in unserer ge-

sellschaft definiert wird. natürlich mache ich auch als Fotograf geld

damit, dennoch ist es eine tatsache, dass die Werbung uns tagtäglich

mit Bildern überflutet, die uns glauben machen, wir sollten jünger,

dünner und gesünder aussehen. Wenn diese Botschaft jeden einzel-

nen tag wiederholt wird, wird doch jeder nachdenklich und stellt sei-

ne eigene Schönheit in Frage: Sehe ich alt aus? Müde? Bin ich dick?

Meistens lautet die antwort: nein! Du siehst einfach aus wie du selbst

und du bist schön. letztlich kommt keiner aus der eigenen Haut her-

aus, also kann man sie ebenso gut lieben. // Von VEREnA HERTLEIn

RIcHARd PILnIcK lebt in London. In diesem Winter werden seine Bilder in der

„national Portrait Gallery” in London ausgestellt (www.richardpilnick).com).

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