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journal club 25 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2012; Vol. 14, Nr. 11 Der AMPA-Rezeptor Neues Ziel für neues Antikonvulsivum Fragestellung: Es sollen Wirksamkeit und Sicherheit der Ein- malgabe von 8 mg und 12 mg Perampanel in der Zusatztherapie fokaler und bisher therapierefraktärer Epilepsien untersucht werden. Hintergrund: Perampanel ist das erste Antikonvulsivum, das hochselektiv und non-kompetitiv den AMPA-Rezeptor am post- synaptischen Neuron antagonisiert. Das ist insofern vielverspre- chend, als es damit direkt in das erregende glutamaterge System eingreiſt, was zu einem wesentlichen Anteil verantwortlich ist für die Generierung und die Ausbreitung epileptischer Aktivität im ZNS. Der NMDA-Rezeptor bleibt übrigens vom Präparat unbe- rührt. Perampanel hatte sich in allen gängigen Tiermodellen als wirksam erwiesen. Sein im Alltag anzunehmender Vorteil wird die lange Halbwertszeit und die damit verbundene mögliche Ein- malgabe sein. Die aktuelle Studie ist die Ergänzung zu einer ers- ten Phase-III-Studie, in der die niedrigen Dosierungen von 2 mg, 4 mg und 8 mg gegeneinander getestet wurden. Patienten und Methodik: In diese doppelblinde, placebokon- trollierte, randomisierte und multizentrische Studie wurden 388 Patienten mit einer fokalen Epilepsie mit und ohne sekundärer Generalisation, eingeschlossen. Das Mindestalter betrug zwölf Jahre. Um randomisiert zu werden, mussten die Patienten min- destens fünf partielle Anfälle während der sechswöchigen Base- linephase haben, erapieresistenz gegen mindestens zwei Antikonvulsiva aufweisen und auf die aktuell bestehende anti- konvulsive Medikation in stabiler Dosis eingestellt sein. Erlaubt waren bis zu drei Begleitmedikamente als add on zum Studien- präparat. Nach der Baselinephase erfolgte eine 1 : 1 : 1-Randomi- sierung im Wesentlichen zu gleichen Anteilen auf Placebo, 8 mg und 12 mg Perampanel. Die folgende 19-wöchige doppelblinde Behandlungsphase setzte sich aus einer sechswöchigen Titra- tionsphase (2 mg Dosissteigerung/Woche) und einer 13-wöchi- gen Erhaltungsperiode zusammen. Danach konnten die Patien- ten selbst entscheiden, ob sie im Rahmen einer offenen Studien- phase weiterbehandelt oder abdosiert werden wollten. Der pri- märe Endpunkt war die 50%ige Responderrate. Ergebnisse: Insgesamt schlossen 82,5% der randomisierten Pa- tienten die Studie ab. 10,3% beendeten die Studie vorzeitig auf- grund von Nebenwirkungen, dies vor allem im 12-mg-Arm. Klassische Nebenwirkungen, und diese eindeutig dosisabhängig, waren Schwindel, Müdigkeit und Ataxie. Psychiatrische Neben- wirkungen fanden sich in der 12-mg-Gruppe immerhin bei 3,7 % der Patienten, während diese Nebenwirkungen bei 8 mg ver- gleichbar zum Placebo-Arm um 1% lagen. Gewichtzunahmen von mehr als 7% wurden bei 19,2% aller mit Verum behandel- ten Patienten dokumentiert. Zur Wirksamkeit zeigte sich bei Betrachtung der medianen prozentualen Veränderung der Anfallshäufigkeit ein deut- licher Vorteil für die höhere 12-mg-Dosis (–34,5% vs. –26,3% bei 8 mg). Die 50%-Respon- derrate hingegen zeigte keinen signifikanten Unterschied in den beiden Behandlungsarmen (8 mg: 37,6%, 12 mg: 36,1%). Schlussfolgerungen: Perampanel erfüllte in der vorliegenden Studie die Klasse I-Ansprüche bezüglich seiner Wirksamkeit bei Einmalgabe in der erapie fokaler Epilepsien sowohl für 8 mg als auch für 12 mg. Dabei sind 8 mg besser verträglich. French JA, Krauss GL, Biton V et al. Adjunctive perampanel for refractory partial-onset seizures. Neurology 2012; 79: 589 – 96 −Kommentar von Dr. Vivien Homberg Alltagstauglichkeit abwarten Seit Mitte September diesen Jahres ist Perampanel auf dem deutschen Markt erhältlich. Der Wirkmechanismus macht es interessant und gibt ihm eine gewisse Sonderstellung in der breiten zur Verfügung stehenden Behandlungspalette. Seine Wirksamkeit entspricht dem Profil anderer neuer Anti- konvulsiva, erstaunlich ist allerdings die hohe Responderrate im Placebo-Arm. Aus den vorangegangenen Dosierungsstu- dien ist ersichtlich, dass die niedrigste verfügbare Dosis von 2 mg zwar eine milde, aber gegen Placebo nicht signifikante Wirksamkeit zeigt, sodass die aktuellen Dosierungsempfeh- lungen bei 4 – 12 mg/d liegen. Die 2-mg-Dosis, die in entspre- chender Zubereitung erhältlich ist, dient dabei nur als Einstiegsdosis und Aufdosierungshilfe. Die Einnahme soll nach Fachinformation abends vor dem Schlafengehen erfolgen. Grundsätzlich sind diese Einmalgaben sinnvoll und prinzipiell auch wünschenswert, da sie die Compliance fördern. Solange Perampanel jedoch nur add on verabreicht werden darf, ist dies wenig hilfreich und – das bleibt im Alltag abzuwarten – möglicherweise eher kritisch bezüglich der Nebenwirkungen bei anzunehmendem Spiegelpeak nach der abendlichen Ein- nahme der Gesamtdosis. Wachsam sollten uns die im hohen Dosisbereich dokumen- tierten psychiatrischen Nebenwirkungen machen, die nicht mit sozialem Rückzug, sondern handfester Aggression be- nannt wurden. Wir kennen dieses, gerne unterschätzte Thema von anderen Präparaten. Ansonsten scheinen die Nebenwir- kungen im Wesentlichen denen anderer Antikonvulsiva zu ent- sprechen. Dr. med. Vivien Homberg, Bad Berka Chefärztin der Klinik für Neurologie, Zentralklinikum Bad Berka E-Mail: [email protected]

Neues Ziel für neues Antikonvulsivum

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25In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2012; Vol. 14, Nr. 11

Der AMPA-Rezeptor

Neues Ziel für neues AntikonvulsivumFragestellung: Es sollen Wirksamkeit und Sicherheit der Ein-malgabe von 8 mg und 12 mg Perampanel in der Zusatztherapie fokaler und bisher therapierefraktärer Epilepsien untersucht werden.

Hintergrund: Perampanel ist das erste Antikonvulsivum, das hochselektiv und non-kompetitiv den AMPA-Rezeptor am post-synaptischen Neuron antagonisiert. Das ist insofern vielverspre-chend, als es damit direkt in das erregende glutamaterge System eingreift, was zu einem wesentlichen Anteil verantwortlich ist für die Generierung und die Ausbreitung epileptischer Aktivität im ZNS. Der NMDA-Rezeptor bleibt übrigens vom Präparat unbe-rührt. Perampanel hatte sich in allen gängigen Tiermodellen als wirksam erwiesen. Sein im Alltag anzunehmender Vorteil wird die lange Halbwertszeit und die damit verbundene mögliche Ein-malgabe sein. Die aktuelle Studie ist die Ergänzung zu einer ers-ten Phase-III-Studie, in der die niedrigen Dosierungen von 2 mg, 4 mg und 8 mg gegeneinander getestet wurden.

Patienten und Methodik: In diese doppelblinde, placebokon-trollierte, randomisierte und multizentrische Studie wurden 388 Patienten mit einer fokalen Epilepsie mit und ohne sekundärer Generalisation, eingeschlossen. Das Mindestalter betrug zwölf Jahre. Um randomisiert zu werden, mussten die Patienten min-destens fünf partielle Anfälle während der sechswöchigen Base-linephase haben, Therapieresistenz gegen mindestens zwei Antikonvulsiva aufweisen und auf die aktuell bestehende anti-konvulsive Medikation in stabiler Dosis eingestellt sein. Erlaubt waren bis zu drei Begleitmedikamente als add on zum Studien- präparat. Nach der Baselinephase erfolgte eine 1 : 1 : 1-Randomi-sierung im Wesentlichen zu gleichen Anteilen auf Placebo, 8 mg und 12 mg Perampanel. Die folgende 19-wöchige doppelblinde Behandlungsphase setzte sich aus einer sechswöchigen Titra-tionsphase (2 mg Dosissteigerung/Woche) und einer 13-wöchi-gen Erhaltungsperiode zusammen. Danach konnten die Patien-ten selbst entscheiden, ob sie im Rahmen einer offenen Studien-phase weiterbehandelt oder abdosiert werden wollten. Der pri-märe Endpunkt war die 50%ige Responderrate.

Ergebnisse: Insgesamt schlossen 82,5% der randomisierten Pa-tienten die Studie ab. 10,3% beendeten die Studie vorzeitig auf-grund von Nebenwirkungen, dies vor allem im 12-mg-Arm. Klassische Nebenwirkungen, und diese eindeutig dosisabhängig, waren Schwindel, Müdigkeit und Ataxie. Psychiatrische Neben-wirkungen fanden sich in der 12-mg-Gruppe immerhin bei 3,7% der Patienten, während diese Nebenwirkungen bei 8 mg ver-gleichbar zum Placebo-Arm um 1% lagen. Gewichtzunahmen von mehr als 7% wurden bei 19,2% aller mit Verum behandel-

ten Patienten dokumentiert.Zur Wirksamkeit zeigte sich

bei Betrachtung der medianen prozentualen Veränderung der Anfallshäufigkeit ein deut-licher Vorteil für die höhere

12-mg-Dosis (–34,5% vs. –26,3% bei 8 mg). Die 50%-Respon-derrate hingegen zeigte keinen signifikanten Unterschied in den beiden Behandlungsarmen (8 mg: 37,6%, 12 mg: 36,1%).

Schlussfolgerungen: Perampanel erfüllte in der vorliegenden Studie die Klasse I-Ansprüche bezüglich seiner Wirksamkeit bei Einmalgabe in der Therapie fokaler Epilepsien sowohl für 8 mg als auch für 12 mg. Dabei sind 8 mg besser verträglich.

French JA, Krauss GL, Biton V et al. Adjunctive perampanel for refractory partial-onset seizures. Neurology 2012; 79: 589–96

−Kommentar von Dr. Vivien Homberg

Alltagstauglichkeit abwartenSeit Mitte September diesen Jahres ist Perampanel auf dem deutschen Markt erhältlich. Der Wirkmechanismus macht es interessant und gibt ihm eine gewisse Sonderstellung in der breiten zur Verfügung stehenden Behandlungspalette. Seine Wirksamkeit entspricht dem Profil anderer neuer An ti­konvulsiva, erstaunlich ist allerdings die hohe Responderrate im Placebo­Arm. Aus den vorangegangenen Dosierungsstu­dien ist ersichtlich, dass die niedrigste verfügbare Dosis von 2 mg zwar eine milde, aber gegen Placebo nicht signifikante Wirksamkeit zeigt, sodass die aktuellen Dosierungsempfeh­lungen bei 4–12 mg/d liegen. Die 2­mg­Dosis, die in entspre­chender Zubereitung erhältlich ist, dient dabei nur als Einstiegs dosis und Aufdosierungshilfe. Die Einnahme soll nach Fach information abends vor dem Schlafengehen erfolgen. Grundsätzlich sind diese Einmalgaben sinnvoll und prinzipiell auch wünschenswert, da sie die Compliance fördern. Solange Perampanel jedoch nur add on verabreicht werden darf, ist dies wenig hilfreich und – das bleibt im Alltag abzuwarten –möglicherweise eher kritisch bezüglich der Nebenwirkungen bei anzunehmendem Spiegelpeak nach der abendlichen Ein­nahme der Gesamtdosis.

Wachsam sollten uns die im hohen Dosisbereich dokumen­tierten psychiatrischen Nebenwirkungen machen, die nicht mit sozialem Rückzug, sondern handfester Aggression be­nannt wurden. Wir kennen dieses, gerne unterschätzte Thema von anderen Präparaten. Ansonsten scheinen die Nebenwir­kungen im Wesentlichen denen anderer Antikonvulsiva zu ent­sprechen.

Dr. med. Vivien Homberg, Bad Berka

Chefärztin der Klinik für Neurologie, Zentralklinikum Bad Berka E-Mail: [email protected]