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Betriebsräte als Genossen win- diger Bosse? Was Medien und Politiker als Aufklärung dekla- rieren, ist nichts als ein plum- per Angriff auf die Mitbestim- mung. Von Michael Faißt in Teil der wirtschaftlichen und po- litischen Elite hat sich entschieden – gegen die Mitbestimmung, wie wir sie heute kennen. Wem das noch nicht klar war, dem müssen das spätestens die Re- flexe auf die jüngsten Affären bei Volkswa- gen & Co gezeigt haben: Kaum ist ein Ar- beitnehmervertreter in einen noch so ungeklärten Zusammenhang mit einem Skandal zu bringen, nut- zen Arbeitgeberverbände, aber auch CDU/CSU und FDP das, um die Mitbestimmung als solche zu diskreditieren. Und das be- schränkt sich nicht nur auf die Mit- wirkung von Arbeitnehmervertre- tern in Aufsichträten, auch die Ta- rifautonomie und die Betriebsver- fassung stehen unter Beschuss. Diese Angriffe auf die Rechte der Arbeitnehmer sind nicht neu – wir haben unsere Rechte nie geschenkt be- kommen, wir mussten sie uns immer er- kämpfen. Und so wird es wohl auch diesmal sein. Denn gerade für die junge Generation gibt es keine Alternative zur Mitbestim- mung. Sie darf nicht abgeschafft oder ein- geschränkt werden, wir müssen sie weiter- entwickeln! Bei der Unternehmensmitbe- stimmung steht die Internationalisierung der Aufsichtsräte im Vordergrund. Mitbe- stimmung darf in Zeiten der zunehmenden weltweiten Vernetzung von Konzernen nicht an nationalen Grenzen enden. Hier gesetzli- che Regelungen zu schaffen, wäre endlich ei- ne Reform, die den Namen verdient. Bei der IG Metall engagieren sich rund 3.000 Kolleginnen und Kollegen in Auf- sichtsräten. Sie machen ihre Arbeit weitge- hend unentgeltlich, aber sie haben ein ho- hes Fach- und Erfahrungswissen sowie ein überdurchschnittliches Engagement. Ihr Ziel ist es, die richtigen Vorschläge zur Wei- terentwicklung des Unternehmens einzu- bringen. Das wichtigste ist dabei die nach- haltige Sicherung der Arbeitsplätze und die Verhinderung kurzfristiger Strategien, die rein auf den Kapitalmarkt schielen – ihrem Einsatz sind beispielsweise nicht wenige Ausbildungsprogramme zu verdanken. Gewerkschafter wie betriebliche Ver- treter, die im Namen der IG Metall in einen Aufsichtsrat gewählt werden, unterschrei- ben eine Richtlinie zur Abführung von Auf- sichtsratstantiemen. Mitbestimmung wird von uns als politische Herausforderung zur Interessenvertretung der Arbeitnehmer verstanden. Sie dient nicht dem materiellen Zuverdienst Einzelner oder der Gewerk- schaften. Mit den abgeführten Geldern för- dert die Hans Böckler-Stiftung z.B. Studien- stipendien für sozial Schwächere oder wis- senschaftliche Forschungen. Wir haben nichts dagegen, wenn auch Vertreter der Kapitalseite ihre Tantiemen vergleichbaren Einrichtungen zukommen lassen – das gilt besonders für diejenigen, die mit sechs, acht oder sogar über zehn Aufsichtsrats-Mandaten höhere Einkom- men erzielen als so mancher Vorstandsvor- sitzender. Hier eine Grenze zu setzen – auch das wäre ein Stück Zukunft der Unterneh- mensmitbestimmung. Wogegen wir aber etwas haben, ist, dass einige Medien und Politiker nun versuchen, die Arbeit der Betriebsräte und Jugendver- tretungen generell zu erschweren und die Mitbestimmung zu beschädigen. Dagegen müssen wir uns gemeinsam zur Wehr setzen. Dieses Land braucht mehr denn je starke Gewerkschaften, mutige Be- triebsräte und Jugend- und Auszubilden- denvertretungen sowie selbstbewusste Arbeitneh- merinnen und Arbeitneh- mer. Michael Faißt ist Bundesjugendsekre- tär der IG Metall. Auf, auf zum Kampf! Newsletter der DGB-Jugend Ausgabe August/September 2005 08/09.05 soli aktuell 1 inhalt 3 projekte Erstes deutsches Sozialforum: Eine andere Welt ist möglich 4 debatte Der Fall Robert Steinhäuser: Wie wird ein Schüler zum Massenmörder? 6 ausbildung + beruf Eckpunkte für das Jugend- bildungsprogramm 2006 Praktika: Eine Kampagne zeigt Wirkung 8 comic Julia Tägert/Andreas Michalke: Schule beendet – was nun? 10thema Die Bundestagswahl: Was haben wir damit zu tun? 12 ratgeber Azubis: So klappt es mit dem Kindergeld JAV: Schutzrechte auch für Ersatzmitglieder 15 landesbezirke + gewerkschaften Lidl ist nicht zu billigen: Eine Initiative von ver.di und Attac A 8895 soli soli aktuell Herbstakademie 2005 Die gemeinsame Veranstaltung von DGB-Ju- gend und Attac findet dieses Jahr vom 30. September bis zum 3. Oktober statt. The- ma: »Systemfehler oder wie funktioniert der Kapitalismus?« Ort wie immer: die DGB-Ju- gendbildungsstätte in Flecken Zechlin. Alle weiteren Infos: www.heak.org nix wie hin! aktuell E Grafik: Hans Böckler Stiftung

Newsletter der DGB-Jugend Ausgabe … · Michael Faißt ist Bundesjugendsekre-tär der IG Metall. Auf, auf zum Kampf! Newsletter der DGB-Jugend Ausgabe August/September 2005

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Betriebsräte als Genossen win-diger Bosse? Was Medien undPolitiker als Aufklärung dekla-rieren, ist nichts als ein plum-per Angriff auf die Mitbestim-mung. Von Michael Faißt

in Teil der wirtschaftlichen und po-litischen Elite hat sich entschieden– gegen die Mitbestimmung, wie

wir sie heute kennen. Wem das noch nichtklar war, dem müssen das spätestens die Re-flexe auf die jüngsten Affären bei Volkswa-gen & Co gezeigt haben: Kaum ist ein Ar-beitnehmervertreter in einen nochso ungeklärten Zusammenhangmit einem Skandal zu bringen, nut-zen Arbeitgeberverbände, aberauch CDU/CSU und FDP das, umdie Mitbestimmung als solche zudiskreditieren. Und das be-schränkt sich nicht nur auf die Mit-wirkung von Arbeitnehmervertre-tern in Aufsichträten, auch die Ta-rifautonomie und die Betriebsver-fassung stehen unter Beschuss.

Diese Angriffe auf die Rechteder Arbeitnehmer sind nicht neu –wir haben unsere Rechte nie geschenkt be-kommen, wir mussten sie uns immer er-kämpfen. Und so wird es wohl auch diesmalsein.

Denn gerade für die junge Generationgibt es keine Alternative zur Mitbestim-mung. Sie darf nicht abgeschafft oder ein-geschränkt werden, wir müssen sie weiter-entwickeln! Bei der Unternehmensmitbe-stimmung steht die Internationalisierung

der Aufsichtsräte im Vordergrund. Mitbe-stimmung darf in Zeiten der zunehmendenweltweiten Vernetzung von Konzernen nichtan nationalen Grenzen enden. Hier gesetzli-che Regelungen zu schaffen, wäre endlich ei-ne Reform, die den Namen verdient.

Bei der IG Metall engagieren sich rund3.000 Kolleginnen und Kollegen in Auf-sichtsräten. Sie machen ihre Arbeit weitge-hend unentgeltlich, aber sie haben ein ho-hes Fach- und Erfahrungswissen sowie einüberdurchschnittliches Engagement. IhrZiel ist es, die richtigen Vorschläge zur Wei-

terentwicklung des Unternehmens einzu-bringen. Das wichtigste ist dabei die nach-haltige Sicherung der Arbeitsplätze und dieVerhinderung kurzfristiger Strategien, dierein auf den Kapitalmarkt schielen – ihremEinsatz sind beispielsweise nicht wenigeAusbildungsprogramme zu verdanken.

Gewerkschafter wie betriebliche Ver-treter, die im Namen der IG Metall in einenAufsichtsrat gewählt werden, unterschrei-ben eine Richtlinie zur Abführung von Auf-sichtsratstantiemen. Mitbestimmung wirdvon uns als politische Herausforderung zurInteressenvertretung der Arbeitnehmerverstanden. Sie dient nicht dem materiellenZuverdienst Einzelner oder der Gewerk-schaften. Mit den abgeführten Geldern för-dert die Hans Böckler-Stiftung z.B. Studien-stipendien für sozial Schwächere oder wis-senschaftliche Forschungen.

Wir haben nichts dagegen, wenn auchVertreter der Kapitalseite ihre Tantiemen

vergleichbaren Einrichtungen zukommenlassen – das gilt besonders für diejenigen,die mit sechs, acht oder sogar über zehnAufsichtsrats-Mandaten höhere Einkom-men erzielen als so mancher Vorstandsvor-sitzender. Hier eine Grenze zu setzen – auchdas wäre ein Stück Zukunft der Unterneh-mensmitbestimmung.

Wogegen wir aber etwas haben, ist, dasseinige Medien und Politiker nun versuchen,die Arbeit der Betriebsräte und Jugendver-tretungen generell zu erschweren und dieMitbestimmung zu beschädigen.

Dagegen müssen wir uns gemeinsamzur Wehr setzen. Dieses Land braucht mehrdenn je starke Gewerkschaften, mutige Be-triebsräte und Jugend- und Auszubilden-denvertretungen sowieselbstbewusste Arbeitneh-merinnen und Arbeitneh-mer. ∏

Michael Faißt ist Bundesjugendsekre-tär der IG Metall.

Auf, auf zum Kampf!

Newsletter der DGB-Jugend Ausgabe August/September 2005

08/09.05 soli aktuell 1

inhalt

3 projekteErstes deutsches Sozialforum:Eine andere Welt ist möglich

4 debatteDer Fall Robert Steinhäuser: Wie wird ein Schüler zumMassenmörder?

6 ausbildung + berufEckpunkte für das Jugend-bildungsprogramm 2006

Praktika: Eine Kampagne zeigt Wirkung

8 comicJulia Tägert/Andreas Michalke:Schule beendet – was nun?

10themaDie Bundestagswahl: Was haben wir damit zu tun?

12 ratgeberAzubis: So klappt es mit demKindergeld

JAV: Schutzrechte auch fürErsatzmitglieder

15 landesbezirke + gewerkschaftenLidl ist nicht zu billigen: EineInitiative von ver.di und Attac

A 8895

solisoliaktuell

Herbstakademie 2005Die gemeinsame Veranstaltung von DGB-Ju-gend und Attac findet dieses Jahr vom30. September bis zum 3. Oktober statt. The-ma: »Systemfehler oder wie funktioniert derKapitalismus?« Ort wie immer: die DGB-Ju-gendbildungsstätte in Flecken Zechlin.Alle weiteren Infos: www.heak.org

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AusbildungslückeJulidaten n Die rechnerische Lücke zwi-schen der Zahl der Bewerber und der be-trieblichen Ausbildungsplätze betrug imJuli, also kurz vor Beginn des neuen Ausbil-dungsjahres, 275.707. Das Angebot an be-trieblichen Ausbildungsstellen war um 9,3 %niedriger als im Vorjahresmonat. Die Ausbil-dungslücke bezogen auf betriebliche undüberbetriebliche Ausbildungsplätze immernoch 2,8 % höher als vor einem Jahr. Verlie-rer sind vor allem junge Menschen mitHauptschulabschluss: Ihr Anteil unter denAusbildungsanfängern verringerte sich in-nerhalb von zehn Jahren (1994 bis 2004) von37 auf 33 %.

Kürzen undflexibilisierenAusbildungsvergütung nMarktwirtschaft mal wiederin Reinkultur: Wo die Nach-frage hoch und das Angebotknapp ist, kann der AnbieterZugeständnisse ohne Endeverlangen. Diesmal LLuuddwwiiggGGeeoorrgg BBrraauunn: Der Präsident des DeutschenIndustrie- und Handelskammertages for-derte für Azubis eine bundesweite Basisver-gütung von 270 Euro monatlich. 270 Eurosind etwa in Berlin: ein mittelprächtigesWG-Zimmer (klein und geheizt oder großund kalt), ein Azubi-Ticket für die BVG undein Graubrot. Im Monat. Oder jeden Tag einPäckchen Zigaretten und ein Espresso sowieeine moderate Handy-Rechnung. Oder oderoder. DGB-Bundesvorstandsmitglied IInnggrriiddSSeehhrrbbrroocckk betont, dass allein die Wirtschaftfür die derzeitige Ausbildungsmisere ver-antwortlich sei. »Auszubildende sind keineBittsteller«, sagt sie. »Heute nicht und erstrecht nicht morgen, wenn die Unternehmenwieder über Fachkräftemangel klagen wer-den. Lassen wir es erst gar nicht so weitkommen!«

Nicht luftleerPISA-Studie n Bildung in Deutschland?Nicht nur ein Leistungs- sondern vor allemein besorgniserregendes Gerechtigkeitspro-blem: mangelhafte Förderung, veraltete Me-thodik und Lernmittel, marode Schulgebäudesind Mängel, die beseitigt werden müssen,finden auch die Gewerkschaften. Wie? ZumBeispiel durch die Vernetzung der Schulenmit Umfeld, Stadtteil und der Region, dennerfolgreiche PISA-Länder zeigen: Schule be-findet sich nicht im luftleeren Raum. IG Me-tall, GEW, IG BCE, ver.di und der DGB wollendeshalb lokale Arbeitskreise »Schule und Ar-beitswelt« initiieren.Mehr Infos auf Anfrage: [email protected]

Opium fürs VolkReligion n Laut einer Studie der Uni Würz-burg halten Jugendliche in Europa und IsraelReligion zwar nicht für überholt, die Kircheaber schon. Dreiviertel der 8.900 befragtenJugendlichen aus elften Schulklassen in achtLändern erklärten sich für »religiös unent-schieden«, in den Niederlanden und Schwe-den sogar mehr als 80 %. Aus dem Rahmenfallen die Polen, die sich zu 81 % für religioshielten. In Israel war es immer noch dieHälfte.

Legale Drogen? Och nöhAlcopops n Jugendliche inDeutschland greifen seltenerzur Flasche. Vor allem derGenuss der zuckersüßen Al-copops ging 2004 deutlichzurück, sagt die Drogenbe-auftragte der Bundesregie-rung, MMaarriioonn CCaassppeerrss--MMeerrkk. Grund sei dievor einem Jahr eingeführte Sondersteuerfür Alcopops. Insgesamt liegen deutsche Ju-gendliche mit 35,7 Gramm Alkohol pro Wo-che im EU-Vergleich hinter Tschechen, Irenund Dänen, aber immer noch im oberen Be-reich. Der Konsum liege aber bei einzelnenGruppen und sozialen Milieus deutlich hö-her. Mehr gesoffen wird demnach im Ostensowie an Haupt- und Förderschulen.

Und Kippen?Raucherentwöhnung n Hier hilft der Preisbislang wenig. Aber immerhin gibt’s jetztKurse für Jugendliche an Schulen, zumin-dest in Schwabach und Umgebung. Interessierte Schulen und Jugendliche können sich unterden Telefonnummern 091 22 / 92 93 16 oder 091 71 / 816 47melden.

Studis-SurveyStudentische Orientierungen n Studieren-de sind mit der Qualität der Lehrveranstal-tungen zunehmend zufrieden, wünschensich aber eine bessere Betreuung währenddes Studiums und beim Übergang in den Ar-beitsmarkt sowie einen höheren Praxisbe-zug. Das sind die zentralen Aussagen des 9.Studierendensurveys des Bundesbildungs-ministeriums. Befragt wurden rund 10.000Studierende aus dem WS 03/04. Der Surveybietet vielfältige Daten etwa zum sozialenProfil der Studierenden, ihren Studiener-wartungen und –strategien, bis hin zu denberuflichen Aussichten. Studie im Netz: www.bmbf.de/press/1511.php

Arbeiten modernÜberarbeitete Ausbildungen n Ab dem 1.August können Auszubildende fünf neueund 18 modernisierte Berufe erlernen. Neusind: Änderungsschneider, Fachkraft fürAgrarservice, Kauffrau für Tourismus undFreizeit, Servicefahrer, Technische Produkt-designerin. Kurzbeschreibungen (auch zu den nur modernisierten Be-rufen) im Materialband »Neue und modernisierte Ausbil-dungsberufe 2005« des Bundesinstituts für Berufsbildung. www.bibb.de

Richtig deutschRechtschreibreform n Die Rechtschreib-reform ist, außer in den Bundesländern Bay-ern und Nordrhein-Westfalen, in Schulenund Behörden wie vorgesehen zum 1. Au-gust verbindlich in Kraft getreten. Für dieLaut-Buchstaben-Zuordnung, die Schrei-bung mit Bindestrich sowie die Groß- undKleinschreibung ist der Übergangszeitraumbei der Fehlerkorrektur damit vorbei. Abdem 1. August werden alle Fehler markiertund bewertet. Das gilt bis auf Weiteresnicht für die Getrennt- und Zusammen-schreibung, Worttrennung und Interpunkti-on. Die Soli schreibt – wie die übrigen Medi-en – weiter so, wie es ihre – immerhindurchs Germanistikstudium gefestigten –RedakteurInnen für richtig halten. www.rechtschreibkommission.de

PersonalAbteilung im Fluss n BBaarrbbaa--rraa WWiillddbbeerrggeerr, hat zuerstihren Namen und dann auchnoch ihren Job bei der DGB-Jugend aufgegeben. Als BBaarr--bbaarraa AAddaammoowwsskkyy kümmertsie sich nun als politische Re-

ferentin in der DGB-Grundsatzabteilung umArbeit und Innovation. Barbara, mach’s gut– und danke für alles.

MMiirrjjaamm MMuuhhss hat zwar auchgeheiratet (herzlichen Glück-wunsch), heißt aber immernoch so. Auch sie verlässt dieDGB-Jugend – aber nur vor-übergehend, wie wir hoffen.Sie geht in Mutterschutz.Mirjam, bis bald!

JJeessssiiccaa HHeeyysseerr vertritt sie indieser Zeit als politische Re-ferentin und kümmert sichunter anderem um die Berei-che »Students at work« undInternationales. Herzlichwillkommen!

2 soli aktuell 08/09.05

kurz + bündig

Frau Ex-Wildb.

Frau Caspers-M.

Frau Heyser

Herr Braun

Frau Muhs

schnell: Zentrales Thema an den Unis ist ge-rade die Einführung von Studiengebührenund die Abschaffung der akademischenSelbstverwaltung. Zunehmende Privatisie-rung der Bildung und Angriffe auf die Mit-bestimmung finden sich aber auch in Schu-le und Betrieb. Dazu der ehrenamtliche Kol-lege der DGB-Jugend, Olaf Schwede: »InHamburg wurde gerade versucht, die Be-rufsschulen in eine eigenständige Stiftungauszugliedern. Die Konsequenz war, dassdie Unternehmen den Englisch-Unterrichtwie auch die allgemeinbildenden Fächer inder Berufsschule in Frage stellten.«

Wenn es nach den Arbeitgebern ginge,würden die meisten Jugendlichen also nureine absolute Schmalspurausbildung be-kommen. Auch die Schule wird immer mehr

wirtschaftlichen In-teressen unterge-ordnet, berichteteeine 17-jährige Schü-lerin aus Bayern. So

gäbe es bereits Schulpartnerschaften zwi-schen großen Pharmakonzernen und Gym-nasien – Drittmittelfinanzierungen seienkeine Seltenheit mehr.

Auch die durch die Privatisierungen ge-schmälerten Zugangschancen betreffen al-le Gruppen: Besonders die frühe Zuteilungauf die drei bzw. mit der Sonderschule vierSchulformen erschwere die soziale Durch-lässigkeit. »Immer weniger Kinder aus bil-

Der große Erfolg des erstendeutschen Sozialforums inErfurt war die Vernetzung ver-schiedenster Gruppen und Be-wegungen. Mitten dazwischen:die Gewerkschaftsjugend. ZumBeispiel beim Thema Bildung.Von Berit Schröder

s war ein schwieriger Anfang, aberes war einer. Und für die, die esvom 21. bis zum 24. Juli zum ersten

deutschen Sozialforum in Deutschland nachErfurt geschafft hatten, auch ein sehr schö-ner. Zwar blieb die Teilnehmerzahl noch hin-ter den Erwartungen zurück, aber seine ers-te Aufgabe hat das Forum erfüllt: ein mög-lichst breites Spektrum von Menschen aussozialen Bewegun-gen zusammenzu-bringen: Unter denrund 2.000 Teilneh-merInnen warenGewerkschafterInnen, Erwerbslosen-Inis,Wohlfahrtsverbände, Globalisierungskriti-kerInnen, MontagsdemonstrantInnen ge-gen Hartz IV, Attac Frankreich, Jugendlicheaus Poznan und viele andere mehr. Und wasfast noch wichtiger war: Die versammeltenGruppen einigten sich auf eine gemeinsameAbschlusserklärung – und weitere Schritte.Kernaussage der Erklärung: »Eine andereWelt ist möglich, wenn wir gemeinsam dietotale Vermarktung der Menschen und ihrerUmwelt stoppen und globales Zusammen-leben neu gestalten.« Und: »Wer auch im-mer regieren wird und weiteren Sozialabbaubetreibt, er muss mit unserem massiven Wi-derstand rechnen.« (siehe Kasten)

Zu den UnterstützerInnen des Sozial-forums zählte auch die DGB-Jugend. Im of-fenen Jugendbüro »Filler« bot sie ein buntesProgramm von Workshops. Dabei ging esebenso um die Geschichte der Globalisie-rungsbewegungen wie ganz praktisch umdas Malen von Demo-Transpis. Oder auch,vorwärts gerichtet, um die Frage: »Wohinsteuert die Bildung?«

»Meist gibt es Kooperationen zwischenGewerkschaften und StudentInnenvertre-tungen oder zwischen den Studis und denSchülerInnen. Dass aber VertreterInnen allerdrei Bereiche mal an einem Strang ziehen,das ist eher selten«, sagte Nele Hirsch, diefür den freien zusammenschluss von stu-dentInnenschaften an dem Workshop teil-nahm. Hier auf dem Forum war es möglich.

Und die Gemeinsamkeiten zeigten sich

Eine andere Welt ist möglich!

08/09.05 soli aktuell 3

projekte

dungsfernen Schichten machen Abitur. Undan den Universitäten finden sich dann kaumnoch Kinder aus Arbeiterfamilien«, meinteNele Hirsch.

Damit waren sich die drei Bereiche ganzim Sinne des Sozialforums näher gekom-men – auch wenn es noch keine konkretenVerabredungen für gemeinsame Aktionengab. Eine E-Mail-Liste wird helfen, den Aus-tausch zu intensivieren und bei Protestver-anstaltungen die anderen Bildungsbereichemit einzubeziehen. ∏

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Erklärung der Versammlungsozialer Bewegungen(…) Eine andere Welt ist möglich, wenn wir ge-meinsam die totale Vermarktung der Men-schen und ihrer Umwelt stoppen und globalesZusammenleben neu gestalten. Dazu brauchenwir Austausch und Begegnung wie bei diesemSozialforum in Erfurt:

Verstärkte Vernetzung der sozialen Bewe-gungen vor Ort, nicht zuletzt in Form der loka-len Sozialforen, um die Menschen zu befähigen,Akteure direkter Demokratie zu werden. Dazugehört auch die Verknüpfung zu überregiona-lem Austausch und gemeinsamer Aktion.

Globalisierung von unten: Kommunikationund Kooperation unabhängig von Kultur, Reli-gion, Geschlecht und Hautfarbe. Der gemein-same Kampf weltweit für globale soziale Rech-te für alle ist unsere Aufgabe. Wir fordern Schul-denstreichung und das Ende der neoliberalenStrukturanpassungsprogramme. Ob es gelingt,weiteren neoliberalen Umbau zu verhindern,hängt entscheidend von den Protesten der so-

zialen Bewegungen vor und nach den Bundes-tagswahlen statt. Wer auch immer regierenwird und weiteren Sozialabbau betreibt, ermuss mit unserem massiven Widerstand rech-nen.

Als gemeinsame Aktionen der nächstenMonate schlagen wir vor:∂ Einen dezentralen bundesweiten Aktionstagam 5. September: Soziale Bewegungen meldensich zum Wahlkampf zu Wort!∂ Die Mobilisierung zum europäischen Akti-onstag für ein soziales Europa am 15. Dezember2005 in Brüssel sowie die Fortsetzung der Kam-pagne gegen die EU-Verfassung und die Protes-te gegen die EU-Richtlinien zu Dienstleistung,Arbeitszeit und Militarisierung.∂ Bundesweite globalisierungskritische Akti-onstage im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006: GegenÜberwachungswahn, gegen die ausbeuterischePoduktionsweise von Nike und Co. sowie gegenRassismus.∂ Wir laden im Herbst 2007 zu einem zweitenSozialforum in Deutschland ein. (…) ∏

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»Wenn es nach den Arbeitgebern ginge,würden Jugendliche nur eine Schmal-

spurausbildung bekommen.« Ole Schwede

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Erfurter Programm: Mit dem Kapital gegen das Kapital

Vor drei Jahren tötete der Er-furter Jugendliche RobertSteinhäuser 16 Menschen inseiner ehemaligen Schule, be-vor er sich selbst hinrichtete. Inseinem Buch »Kurzschluss«lässt der Autor Jens Beckernoch einmal viele der Betroffe-nen zu Wort kommen: Schüler,den Hausmeister der Schule,Angehörige von Ermordeten,Politiker, die mit dem Fall zutun hatten. Immer wieder gehtes um die Frage, wie es zu die-ser Tat kommen konnte. Wel-che Gründe hatten RobertSteinhäuser veranlasst, so zuhandeln? Mit Jens Beckersprach Stefan Wirner.

Soli aktuell: Wie kann es zu der Idee, diesesBuch zu veröffentlichen?

Jens Becker: Ich hatte schon nach einemJahr des Filmemachens so viele bewegendeLebensgeschichten zusammen, dass ich sieunmöglich alle in den Filmen unterbringenkonnte. Das Buch ist dafür das passendeMedium. Die Erfahrungen, die diese Men-schen mit der Gewalt gemacht haben, sindes einfach wert, dokumentiert zu werden.

Wie sind Sie denn an die Angehörigen undZeugen herangekommen? Das war doch si-cher nicht so leicht…

Mein Angebot an die Schuldirektorin FrauAlt war, dass ich an die Schule komme unddort als Lehrer arbeite. Ich wollte mit denSchülern Medienunterricht machen. Unddas habe ich dann auch gemacht.

Bei den Lehrernwar relativ schnellVertrauen da, weilsie gemerkt haben,da kommt einerund lässt sich wirk-lich auf sie ein. Bei den Schülern war das einlängerer Prozess, da sie mit einigen Medi-envertretern, vor allem aus dem Boulevard-bereich, sehr schlechte Erfahrungen ge-macht hatten. Ich musste ihnen zeigen, dassich nicht nur Filme und ein Buch über siemachen will, sondern auch mit ihnen. Alsdas gelungen war, war der Zugang relativschnell da. Dann haben sie mir auch Dinge

erzählt, die sie zum Teil nichtmal ihren Eltern erzählt haben.

Wie haben Sie die Leute dazugebracht, so offen über sehr in-time Gefühle zu sprechen? Etwadie Lehrerin für Mathematikund Kunst, die erzählt, wie sieam Tag des Massakers in ein Se-kretariat kommt, dort eine er-mordete Kollegin liegen siehtund eine Halluzination hat voneiner Frau, die da steht, einerFrau, die niemals existierte, wiesich später herausstellte.

Dieses Buch besteht aus Ge-sprächen und Interviews, die ichzu Monologen umgearbeitet ha-be. Diese Texte habe ich denProtagonisten des Buches zumAutorisieren gegeben. DieseLehrerin, mit der ich inzwischenbefreundet bin, hat ihre Aussa-gen sehr stark überarbeitet. Dagab es ein paar Dinge, vor allemLebensansichten, die sie nocheinmal klarer formulieren woll-te. Die erwähnte Episode ist für sie aberüberhaupt kein Problem gewesen.

Ich denke, dass diese Grenze, was manvon sich erzählt und was nicht, bei jedemanders verläuft. Man muss in jedem einzel-nen Fall sehen: Was kann man an die Öf-fentlichkeit geben und was ist zu privat odersogar schädlich für den, der es erzählt?

Wie war es für Sie selbst, sich über so langeZeit mit diesem Massaker zu befassen?

Es gab durchaus Momente, etwa beim Dre-hen der Filme, die sehr schwer waren. Ich

habe zum Beispielmit Uwe Pfoten-hauer, dem Haus-meister des Gu-tenberg-Gymnasi-ums, eine Szene

gedreht. Er legt da für jeden Toten im Hauseine Rose ab und kniet zwei Minuten nie-der und denkt an ihn. Das waren 17 Tote,das hat den ganzen Nachmittag gedauert.Da ist mir erst richtig klar geworden, wasdie Zahl 17 bedeutet. Ich bin danach nachBerlin gefahren und habe mich dabei er-tappt, dass ich geistig überhaupt nicht aufder Autobahn war, sondern immer noch in

»Robert hatte verschiedene Gesichter«

4 soli aktuell 08/09.05

debatte

dieser Schule – dass ich viel zu schnell ge-fahren bin. Es gab einige solcher Momen-te.

Welches Bild von dem Täter Robert Stein-häuser ist in diesen Monaten in Ihnen ent-standen?

Die Frage nach dem Warum wurde ja stän-dig gestellt. Das treffendste Bild hat Gabri-ele Kluwe-Schleberger, die Traumathera-peutin, gezeichnet. Sie erzählt von seinemLieblingsfilm »Blade«. Das ist die Geschich-te von einem Vampir, der einen Makel hat.Er führt ein Doppeldasein, er ist einerseitsMensch, andererseits Vampir. Das Mensch-liche ist seine Schwäche. Und er rächt denTod seiner Eltern.

Robert hatte verschiedene Gesichter.So wie alle Menschen verschiedene Gesich-ter haben, auch Schüler. Sie verhalten sichgegenüber den Eltern zum Beispiel andersals in der Clique oder gegenüber Fremden.Robert baute diese verschiedenen Rollen inseinem letzten Lebenshalbjahr zu verschie-denen Existenzen aus. Er hatte quasi eineBewusstseinsspaltung. Eine dieser Rollenwar der Vampir aus dem Film »Blade«. Erwollte sich an den Leuten rächen, die er für

»Das Problem ist, dass die Lehrer nicht in der Lage sind, auf einzelne Schüler

einzugehen, weil sie zu viel Stoff habenund weil es zu wenig Lehrer gibt.«

Abgelehnter Schüler Steinhäuser dp

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08/09.05 soli aktuell 5

debatte

sein Scheitern verantwortlich machte. Erwar zu Hause der liebe Junge, der brav seinAbitur macht, was ja längst nicht mehrstimmte, auf der anderen Seite steigerte ersich hinein in die Rolle des Rächers. Er hatdiese beiden Rollen überhaupt nicht mehrzusammengebracht. Als er dann in die Schu-le ging, war er der Rächer.

Es wurden immer wieder Gründe genannt,die dazu geführt haben könnten, dass Ro-bert Steinhäuser so vorging: das Schulsys-tem, das Versagen der Eltern, die Schützen-vereine.

Alle diese Elemente spielten sicherlich ei-ne Rolle. Robert hatte ein Zuhause, in demsich die Eltern nicht wirklich für ihn inter-essierten. Es war ein Nebeneinanderherle-ben, man nahm nicht Anteil am Leben desanderen. Dem Jungen wurde nicht gehol-fen, als er in der Schule nicht mehr klar-kam.

Es gibt in Konflikten ja im Grunde dreiverschiedene menschliche Verhaltenswei-sen: Man kann entweder auf andere zuge-hen und versuchen, eine Lösung zu finden,man kann autoaggressiv werden und dieSchuld bei sich suchen oder man kann ag-gressiv werden. Robert Steinhäuser war die-ser aggressive Typ. Das ist eine Grundvor-aussetzung, um so eine Tat begehen zu kön-nen.

Und schließlich, das klingt zwar banal,aber er musste natürlich auch an die Waffekommen. Mit dem Küchenmesser kann mankeinen Amoklauf machen. Damit kann maneinen Menschen töten, aber nicht 17. Stein-häuser konnte ja nicht viel, er war ja in vie-len Dingen unfähig, aber er konnte schie-ßen. Das hatte er gelernt. Mit dem Compu-terspiel »Counterstrike«, aber eben auchauf Schießplätzen.

Und was die Schule betrifft: UnserSchulsystem ist darauf aus, unsere Schülerständig in Schubkästen zu stecken. Auch zuerniedrigen, denn schlechte Zensuren sind

ja etwas Erniedrigendes. Schule könnteauch ganz anders funktionieren.

Was sagen denn die Lehrer, mit denen Siegesprochen haben, zu der Kritik an demSchulsystem?

Die Lehrer sehen das eigentlich genauso.Das Problem ist, dass sie zu große Klassenhaben, dass sie überlastet sind und dass siesich dem einzelnen Schüler nicht widmenkönnen. Es gibt ein-fach zu viele gestörteSchülerpersönlich-keiten, es gibt auchzu viele Schüler, diezum Beispiel garnicht auf das Gymnasium gehören. Das warja auch bei Steinhäuser der Fall. Er hat ja niedie Leistungen erbracht, die das Gymnasiumerfordert. Aber die Eltern haben erzwungen,dass er dort hingeht, weil sie dachten, er hät-te dann bessere Berufschancen.

Das Problem ist, dass die Lehrer nicht inder Lage sind, auf einzelne Schüler einzuge-hen, weil sie zu viel Stoff haben und weil eszu wenig Lehrer gibt. Wenn die Klassen klei-ner wären und es zwei Lehrer pro Klasse gä-be, wo einer den Unterricht macht und derandere sich den Schülern widmet, dannsähe es doch anders aus. Der Staat müssteaber mehr Geld in Bildung investieren. Esmüsste auch mehr Sozialarbeiter an denSchulen geben, die gezielt diese Schülerauffangen, wie Steinhäuser einer war. Manerkennt sie ja. Das sind oft nicht die aggres-siven, sondern die stillen. Die, die versagenund alles in sich reinfressen.

Haben Sie versucht, auch Interviews mitLeuten aus dem Schützenverein zu machen,dem Steinhäuser angehörte?

Nein, das war nicht mein Thema. Ich habemich auf die Geschichte der Opfer konzen-triert.

Haben Sie mit den Eltern Kontakt aufge-nommen?

Ich habe ihnen immer Briefe geschriebenund sie informiert, was ich gerade mache.So habe ich ihnen von der Aufnahme mitUwe Pfotenhauer erzählt, in der er diese Ro-sen niederlegte. Er legte auch eine fürRobert nieder, in einer Zeit, als es noch nichtmöglich war, auch um ihn zu trauern. DieseSzene wurde im ersten Film nicht gezeigt,erst im zweiten ging das. Darüber habe ichdie Eltern unterrichtet. Sie haben sich be-

dankt und fandendas in Ordnung. ImRahmen der Arbeitfür das Buch habeich die Eltern nocheinmal angeschrie-

ben, habe aber auf diesen Brief keine Ant-wort bekommen.

Das umgebaute Schulgebäude soll nun wie-der bezogen werden. Wie finden das dieSchüler?

Es herrscht eine große Enttäuschung bei allden Schülern, die inzwischen aus der Schu-le raus sind, weil sie gehofft hatten, dass siean ihrer alten Schule das Abitur machenkönnen. Durch diese langen Umbauarbei-ten war das nicht möglich. Es wäre für siewichtig gewesen, dieses Gefühl zu haben:Das Abitur an meiner alten Schule hat mirSteinhäuser nicht versauen können.

Es wäre ja möglich gewesen, die Schulenur zu renovieren und schnell zurückzuzie-hen, das war der Wunsch der meistenSchüler und Lehrer und auch der Psycholo-gen, damit die Schüler lernen, dieses Trau-ma zu überwinden.

Die Politik hat das verhindert, um in derÖffentlichkeit Pluspunk-te zu sammeln. DieserUmbau für zwölf Millio-nen Euro war nicht not-wendig. Es wäre klügergewesen, dieses Geld inSozialarbeiter oder mehrLehrer zu investieren. ∏

»Wenn es zwei Lehrer gäbe, wo einerden Unterricht macht und der

andere sich den Schülern widmet, dann sähe es doch anders aus.«

Erfurter KatastropheEs war das größte Massaker in Deutschland inder Nachkriegszeit: Am 26. April 2002 erschossder 19-jährige Robert Steinhäuser am Guten-berg-Gymnasium in Erfurt in einem Amoklauf 13Lehrer, zwei Schüler, einen Polizisten und am En-de sich selbst. Die Tat ereignete sich am Tag derschriftlichen Abiturprüfungen. Am Ende gelanges einem Lehrer, Steinhäuser in ein Klassenzim-mer einzusperren, wo er sich dann selbst um-brachte.

Steinhäuser war von den Abiturprüfungenausgeschlossen. Er war im Oktober 2001 von derSchule verwiesen worden, da er Atteste gefälscht

und häufig gefehlt hatte. Nach dem damals gel-tendem Schulrecht in Thüringen hatte er nichteinmal die Mittlere Reife erworben, obwohl erdie 10. Klasse abgeschlossen hatte. Bis zu denAbiturprüfungen tat er gegenüber seinen Elternso, als ob er noch zur Schule ginge. Die Tat ver-übte er mit Waffen, die er vom Erfurter Polizei-sportverein erhielt, wo er Schützensport betrieb.

Die Tat führte zu heftigen Diskussionenüber das deutsche Schulsystem, die Erziehungim allgemeinen, über gewaltverherrlichende Vi-deos und erlaubten Waffenbesitz. Auch der Ka-tastropheneinsatz der Polizei und der Helferstand in der Kritik. Ein Angehöriger erstattete imJahr 2004 Strafanzeige gegen Polizei und Behör-

den. Der Vorwurf lautete u.a. auf unterlasseneHilfeleistung. Die Staatsanwaltschaft erließ imAugust 2004 einen Einstellungsbeschluss desVerfahrens.

Der Autor und Regisseur Jens Becker dreh-te in den Jahren 2002 und 2003 die Dokumen-tarfilme »Ausnahmezustand« und »Die Kerzenvon Erfurt« für Arte und denMDR. Damals gab er den 10.Klassen des Gutenberg-Gymna-siums Medienunterricht. ∏

Jens Becker: Kurzschluss. Der Amok-lauf in Erfurt und die Zeit danach.Schwartzkopff Buchwerke, Berlin2005, 255 S., 18 Euro

da s at t e n tat

Jens Becker

Die DGB-Jugend ist dabei, diezentrale Bildungsarbeit fürHaupt- und Ehrenamtliche neuzu strukturieren. Inzwischensteht das Jugendbildungspro-gramm für 2006. Sogar einSpanischkurs ist dabei – ausgutem Grund. Ein Werkstatt-bericht von René Koroliuk, Su-sanne Kim und Dirk Neumann

ie bundeszentrale Jugendbildungs-arbeit wird nun im Jugendbildungs-zentrum Hattingen koordiniert. Im

Januar haben René Koroliuk als pädagogi-scher Leiter und Susanne Kim als Bildungs-referentin (Schwerpunkt »Internationales«)»die Villa« für das DGB-Bildungswerk neubezogen. Mit Dirk Neumann, der seit Märzpolitischer Referent beim DGB-Bundesvor-

stand in Berlin ist, wurde das Team noch umeine Person erweitert. Zu dritt haben wir unsnun daran gemacht, das neue Bildungspro-gramm zusammenzustellen. Die Themenbe-reiche für 2006 sind: Qualifizierung, Politikund Projekte und Internationales. Haupt-zielgruppe: Haupt- und Ehrenamtliche dergewerkschaftlichen Jugend(bildungs)arbeit.

Schon im Vorfeld hatten wir uns mit Ju-gendbildungsreferentInnen aus den Bezir-ken ausgetauscht, eine Umfrage bei denEinzelgewerkschaften und in der DGB-Ju-gend gemacht und viele Gespräche geführt.Das wollen wir auch in Zukunft regelmäßigfortsetzen.

1. QualifizierungQualifizierung ist die Grundlage für kompe-tentes gewerkschaftliches Engagement. Indiesem Bereich legen wir den Schwerpunktauf ein Fortbildungsangebot mit dem Titel

»Fit für gesellschaftliches Engagement«.Die Reihe ist in Modulen aufgebaut und sollvor allem Wissen und Kompetenzen vermit-teln, die Ehren- und Hauptamtliche in ihremEngagement für die gewerkschaftliche Ju-gend(bildungs)arbeit unterstützen sollen.Aus einem breiten Angebot von Seminarenkann sich jede(r) die individuell gewünsch-ten oder benötigten Seminare aussuchen.

Im ersten Teilgebiet »Methoden- undSozialkompetenz« stehen beispielsweiseRhetorik, Aktions- und Kampagnenplanungoder Projektmanagement, aber auch Me-thodentrainings zur Auswahl.

Das Angebot des zweiten Teilgebiets»Fachkompetenz« deckt sich weitgehend mitden weiter unten beschriebenen politischenSeminaren. Außerdem haben wir im BereichQualifizierung weitere Angebote auf der Lis-te, die es den Teilnehmenden ermöglichen,

eine qualifizierte Ausbildung in anerkanntenMethoden der politischen Jugendbildungs-arbeit zu erhalten: in der beteiligungsorien-tierten »Technology of Participation« und imDemokratietraining »Betzavta«. Alle erwor-benen Qualifikationen werden in einem aus-sagekräftigen Zertifikat bestätigt.

2. Politik und ProjekteEin weiterer zukünftiger Schwerpunkt derDGB-Jugend soll die Mitgliedergewinnungsein, was sich auch im Programmbereich Po-litik und Projekte widerspiegelt. Für denNachgang zu erfolgreichen Projekten wiedem Projekttag Demokratie und Mitbestim-mung, »Students at work« und »Dr. Azubi«,sollen Konzepte entwickelt und Haupt- wieEhrenamtliche geschult werden, wie sienach positiven Erstkontakten gezielte An-sprachen und Aktionen zur Mitgliederge-winnung durchführen können. Ergänzend

dazu können beispielsweise im Seminar»Organizing als Strategie gewerkschaftli-cher Mitgliedergewinnung« die theoreti-schen Hintergründe sowie praktischen Er-fahrungen diskutiert und ausgetauscht wer-den.

Ferner im Programm sind Seminare zuden gewerkschaftlichen GrundthemenWirtschaftspolitik oder Arbeitsmarkt undSozialpolitik. Neu ist dabei der zweimal imJahr stattfindende »newsflash«. Das Themadieses Workshops wird kurzfristig festge-legt, so dass man zeitnah auf Entwicklungenim politischen Geschehen reagieren kann.Damit wird ein Rahmen geschaffen, in demaktuelle Ereignisse diskutiert und Hand-lungsmöglichkeiten und Aktionen gemein-sam entwickelt werden können.

3. Internationales In der internationalen Jugendbildungsarbeitgeht es in Zukunft themenzentrierter zu: Ab2006 richtet sich das Hauptaugenmerk auf»Strategien der gewerkschaftlichen Mitglie-dergewinnung im internationalen Ver-gleich«. Der Mitgliederschwund bei den Ge-werkschaften ist kein rein deutsches Phäno-men. Uns interessiert, wie unsere Kollegin-nen und Kollegen in England, Österreichoder auch Ungarn mit dieser Herausforde-rung umgehen. Wie ihre spezifischen Pro-blemlagen aussehen und welche Strategienund Praktiken sie diskutieren und umsetzen.Mit unseren Gästen aus der Türkei, Polenund Israel wollen wir diese Fragen ebensoerörtern und uns mit ihnen über konkreteProjekte, betriebliche Erfahrungen und diegewerkschaftliche Arbeit austauschen.

Zur inhaltlichen Vorbereitung werdenentsprechende Seminare angeboten: Wiesieht die Arbeitsmarkt- und sozialpolitischeSituation in anderen europäischen Ländernaus? Oder welche Praktiken der Mitglieder-gewinnung wenden Gewerkschaften welt-weit an? Einen weiteren Schwerpunkt bildetder Komplex Globalisierung. In verschiede-nen Seminaren wollen wir der Frage nach-gehen, vor welchen Herausforderungen Ge-werkschaften weltweit stehen und welcheHandlungsalternativen es gibt, um aktiveinzugreifen.

Neu im Programm ist ein Spanisch-sprachkurs für GewerkschafterInnen ver-bunden mit einem Seminar mit spanischenKolleginnen und Kollegen. ∏

Das DGB-Jugendbildungsprogramm erscheint im Oktober2005 und kann beim DGB-Bildungswerk(vor-) bestellt werden. Einfach per E-Mail an: [email protected]

Hablamos Español

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Hattingen-Lernziel: Protestsprachen

Seit die Gewerkschaftsjugenddas Thema Praktikum großaufgegriffen hat, interessierensich die Medien dafür. Der An-satz schafft auch für die Ge-werkschaften neue Zugänge.Von Silvia Helbig

ach der Generation X und der Ge-neration Golf haben die Mediennun scheinbar eine neue Generati-

on entdeckt: Die Generation Praktikum.Während die Xer in den neunziger Jahrenihrem Weltschmerz auf Drogentrips nachGoa frönten, gondelte die Generation Golfvon einer langweiligen Party zur nächsten,denn irgendwie musste man ja die ganzefreie Zeit totschlagen. Die Generation P hatnun ein neues Hobby entdeckt: umsonst ar-beiten. Immer mehr Studierende tun es inden Semesterferien und immer mehr Ab-solventen nach ihrem Studium. Auch wennes noch keine gesicherten Zahlen darübergibt, wie viele es sind, eines ist sicher: Eswerden mehr. *

Ihre Erfahrungsberichte finden sich in al-len Medien. Anfang des Jahres widmete dieWochenzeitung »Die Zeit« dem Thema einganzes Dossier. Selbst die »Frankfurter All-gemeine Zeitung«, die »Süddeutsche Zei-tung« und der »Rheinische Merkur« zogennach. Ganz zu schweigen vom Berliner »Ta-gesspiegel« und andere lokalen Zeitungen.Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunkberichtete. Einmütiger Tenor: Praktikan-ten arbeiten viel, sie arbeiten hart, undimmer mehr der freiwilligen Selbstausbeu-ter erkennen, dass sie dafür besser ent-lohnt werden müssten. Der Zulauf zu derDiskussionsveranstaltung »GenerationPraktikum – Wie lange darf Ausbildungdauern?«, die die DGB-Jugend kürzlich ge-meinsam mit der »tageszeitung« in Berlinveranstaltet hat (s. Reportage in der letz-ten Soli), hat sehr konkret gezeigt, dass dasFrustrationspotenzial dieser jungen Men-schen groß ist. Und dass sie immer öfterbereit sind, sich für ihre Rechte einzuset-zen.

An diesem Punkt muss sich die Gewerk-schaftsjugend als Interessenvertretungempfehlen. Wir können mithelfen, dass sichdie Praktikanten untereinander austau-schen und vernetzen z.B. über die Praktika-

bewertung unter www.students-at-work.de/praktika oder über weitere Veranstal-tungen vor Ort. Nicht nur in Berlin, in allengrößeren Städten dürfte es viele frustriertePraktikanten geben. Mit der Organisationweiterer Podiumsdiskussionen können wirmomentan mit wenig Aufwand viel errei-chen. Das Bedürfnis der Betroffenen, sichauszutauschen und mehr über ihre Rechteals Praktikant zu erfahren, ist groß. Auch dieMedien sind weiterhin an dem Thema in-teressiert.

Wir können bei diesen Veranstaltungen aufunsere Forderungen für ein »Faires Prakti-kum« hinweisen. Wir können E-Mail-Adres-sen von Betroffenen sammeln, die über un-

seren Praktika-News-letter weiter über dasThema informiert wer-den möchten. Wir kön-nen uns als Jugendor-ganisation vorstellen,in der man sich zumThema Arbeit ehren-amtlich engagierenund politische Forde-rungen erarbeitenkann. Wir könnenselbstgegründete In-teressenvertretungenunterstützen und be-weisen, dass wir uns

für die Rechte junger ArbeitnehmerInneneinsetzten. »Praktikanten sind Täter undOpfer zugleich«, sagte Bundesjugendse-kretär Christian Kühbauch bei der BerlinerVeranstaltung dem »Tagesspiegel«. Ein Satz,den immer mehr Praktikanten einsehen. DieGewerkschaftsjugend muss auch den übri-gen klar machen, dass umsonst arbeiten einteures Hobby ist, das sich keiner leistenkann. ∏

* Genaue Zahlen darüber, wie viele Prakti-kanten wie viele Praktika machen, wird eineDGB-Jugend-Studie in Zusammenarbeit mitder Hans-Böckler-Stiftung vorrausichtlich imHerbst liefern. ∏

Die Tücken beim PraktikumEigentlich ist ein Praktikum keine schlechte Sa-che: Man bekommt endlich die Gelegenheit,das theoretische Wissen anzuwenden, das imStudium erworben wurde.

Problematisch wird es aber, wenn sich nachdem Studium ein Praktikum an das nächstereiht. Oder wenn die Tätigkeit entweder eherdem gleich kommt, was eine Aushilfe leistenkönnte, oder schnell klar wird, dass ein regulä-rer Arbeitsplatz durch PraktikantInnen ersetztwird. Letzteres kommt besonders häufig beimPraktikum nach dem Studium vor. Es ist abernicht zulässig. So entschied das Bundesarbeits-gericht (AZ.: 6 AZR 564/01), dass PraktikantIn-nen nicht in die tägliche Verrichtung der Arbeitfest eingeplant werden dürfen, sondern zusätz-lich im Betrieb mitlaufen sollen.

Bei der Bewertung des Praktikums sollte je-

doch noch mal grundsätzlich unterschiedenwerden: Ein Praktikum vor oder nach dem Stu-dium ist zumindest arbeitsrechtlich wie ein Ar-beitsverhältnis zu werten. Man hat also Urlaubs-anspruch etc. Ebenso verhält es sich mit demfreiwilligen Praktikum während des Studiums.

Eine Ausnahme ist das so genannte Pflicht-praktikum während des Studiums. Dies ist inder Studienordnung vorgeschrieben, das Ent-gelt ist deshalb sozialversicherungsfrei (Stu-dierende sind in der Familienversicherung mit-oder in der studentischen Krankenversicherungversichert). Arbeitsrechtliche Normen geltenjedoch nicht. Diese können jedoch durch einMitwirken in der Hochschulselbstverwaltung indie entsprechenden Praktikumsrichtlinien ein-gefügt werden. Dies wäre ein Ansatz zur örtli-chen Kooperation von Gewerkschaften undStudierendenvertretungen. ∏

Daniel Taprogge

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Umsonst arbeiten?Teures Hobby

DGB-Jugend: Dem Praktikum Öffentlichkeit beschafft

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thema

Am 18. September wird derBundestag neu gewählt. EineEmpfehlung für das Kreuzchengibt die Gewerkschaftsjugendnicht. Aber ein paar Fragenund Forderungen hat sie schon.Ein Überblick.

Wirtschaft braucht kluge Köpfe Viele Menschen sind heute von Arbeitslo-sigkeit bedroht. Auch viele junge. Du fragstdich, was dagegen hilft? Zum Beispiel einekluge, solidarische Wirtschaftspolitik.

Früher haben viel mehr Menschen Ar-beit durch Vater Staat gehabt: Mit öffentli-chen Geldern wurden Straßen ausgebes-sert, Schulen saniert und Schwimmbädergebaut. Das schafft natürlich Arbeitsplätze.Aber heute ist dafür kein Geld mehr da. Dieöffentlichen Kassen sind leer. Dass das soist, ist aber kein Naturgesetz, sondern einepolitische Entscheidung! Andere Länder be-weisen, dass es auch anders geht.

Wir fordern: Mehr Geld für öffentlicheInvestitionen! Denn das schafft Arbeitplät-ze.

Eines ist klar: Wir haben nicht zu wenigGeld in Deutschland – es ist nur falsch ver-teilt. Wie man das ändern kann? Zum Bei-spiel durch eine gerechtere Steuerregelung:Spitzenverdiener sollten stärker zur Kassegebeten werden.

Wir fordern: Wer mehr verdient als an-dere, muss auch mehr für das Gemeinwohltun. Es darf nicht sein, dass manche Men-schen drei Autos haben und andere sichnicht mal ein Fahrrad leisten können. Das istunsere Meinung. Und was meinst du?

Sozialstaat: Wie sozial ist er noch? Leben im Sozialstaat. Das hat Vorteile. DerStaat garantiert allen Menschen ein Min-destmaß an Lebensqualität: Auch wenn dumal keine Arbeit hast – Miete, Essen, Klei-dung sind gesichert.

Finanziert wird diese Grundsicherungüber die Sozialabgaben, die von allen Ar-beitnehmern und Arbeitgebern gezahltwerden müssen. Diese gesetzliche Rege-lung gilt allerdings nur für versicherungs-pflichtige Arbeitsverhältnisse, nicht für Mi-ni- und Midi-Jobs. Die aktuelle Umwandlungvon Festanstellungen in Mini-Jobs bedeu-tet, dass wesentlich weniger Sozialabgabenin die öffentlichen Kassen fließen. Das ge-fährdet den Sozialstaat, Kürzungen der So-zialleistungen sind vorprogrammiert.

Noch ein Problem: in Deutschland sinddie Sozialabgaben hoch. Pech für Arbeitsu-

chende. Hohe Sozialabgaben bedeuten ho-he Kosten für den Arbeitgeber. Da überlegter sich dreimal, ob er dich fest anstellt.

Wir fordern: Kein Ausverkauf des Sozi-alstaats! Versicherungspflichtige Arbeit er-halten, Sozialabgaben senken. Dann hat dassolidarische Miteinander in Deutschlandnoch eine Chance.

Wir fordern außerdem: Weg mit derZwei-Klassen-Medizin, her mitder Bürgerversicherung: Eine ge-setzliche Versicherung für alle.Der Vorteil: stabile Beiträge undgerechte Behandlung aller.

Tarifpolitik: Recht auf Arbeit? Aber sicher! Allerdings: Deine Arbeit muss sobezahlt sein, dass du davon lebenkannst. Niemand soll abends kell-nern gehen müssen, um seineMiete zu bezahlen.

Wir wollen keine Verhältnissewie in den USA, wo Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer zum Teilin zwei, drei Jobs gleichzeitig ar-beiten, um über die Runde zu kom-men. Wir wollen faire Entlohnung.

Eine gewisse Sicherheit fürein angemessenes Lohnniveaubietet das Tarifrecht. In den Tarif-verhandlungen vereinbaren Ge-werkschaften und Arbeitgeber-verbände die Löhne und Gehälter.Die Gewerkschaften setzen sichdabei für deine Interessen ein.

Diese Verhandlungen sind gesetzlichgeschützt. Die Frage ist: Wie lange noch?Manche Politiker wollen das Recht aufLohnverhandlung (Tarifautonomie) ein-schränken. Eine mögliche Folge: Lohn- undSozialdumping. Belegschaften und Be-triebsräte müssen zu schlechteren Bedin-gungen und niedrigeren Löhnen arbeiten.Das dürfen wir nicht hinnehmen!

Wir fordern: Hände weg von der Tarif-autonomie. Flächendeckende Tarifverträgesollen für alle Beschäftigten einer Branchegelten. Wo keine Tarifverträge greifen, mussein gesetzlicher Mindestlohn garantiertwerden.

Wer sich einmischt, kann gestaltenDu bist ein Mensch mit Würde und Rechten.Du weißt es. Wir wissen es. Aber weiß esauch dein »Big Boss«?

Manchen Unternehmern scheint derGewinn der Firma und der Aktionäre wich-tiger zu sein, als die Würde der Arbeitneh-

merinnen und Arbeitnehmer. Mitarbeiter?Das sind bloß »Kostenfaktoren«.

Eine Politik, die auf lange Sicht scheiternmuss. Alle Mitarbeiter sind als Persönlich-keiten wichtig. Damit dies in der Führungs-etage nicht vergessen wird, melden wir unsimmer wieder zu Wort. Und fordern Mitbe-stimmung. Zum Beispiel über den Betriebs-rat.

Wir fordern: Mitbestimmung muss ge-stärkt werden. In jedem Unternehmen. AufBundesebene. Europaweit.

Bildung: Sprungbrett in die ZukunftDu willst gutes Geld verdienen, dein eige-nes Leben gestalten, unabhängig sein, nichtewig die Schulbank drücken? Klar. Ebenfallsklar: Eine gute Ausbildung verbessert dieJobchancen.

Obwohl das eigentlich alle wissen, ha-ben viele Jugendliche in Deutschland keinenSchulabschluss und keine Berufsausbildung.Es gibt auch weniger Studierende als in an-deren europäischen Ländern. Allerdings:Der deutsche Staat gibt auch weniger Geldfür Bildung aus als andere Länder. Und spartdamit am falschen Ende!

Einstiegsqualifizierungen oder betrieb-liche Praktika sind keine Alternative zu ei-nem betrieblichen Ausbildungsplatz, derauch zu einem berufsqualifizierenden Ab-schluss führt. Alle ausbildungswilligen Ju-

Wählen? Ja! Aber was?

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thema

gendlichen müssen die Chance auf einequalifizierte Berufsausbildung haben!

Dabei kommt der Wirtschaft die Aufga-be zu, entsprechend ihrer – durch das Bun-desverfassungsgericht festgeschriebenen –gesellschaftlichen Verpflichtung eine aus-reichende Anzahl betrieblicher Ausbil-dungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Damit junge Leute eine echte Chanceauf einen erfolgreichen Start in die Zukunfthaben, brauchen sie ein besseres, lebensna-hes Bildungssystem. Staatlich finanziert. Ei-ne Investition, die sich übrigens auf allenEbenen auszahlt. Studien haben gezeigt: Ein

höheres Bildungsniveau kurbelt das Wirt-schaftswachstum an.

Wir fordern: Mehr Geld für Bildung undAusbildung. Und: Bildung muss für alle zu-gänglich sein. Wer nicht genug Geld undkeine reichen Eltern hat, muss durch eineangemessene Ausbildungsförderung (BA-föG) und ein gebührenfreies Studium un-terstützt werden. Alle müssen die gleicheChance auf gute Bildung haben.

Hartz IV: Keine Lösung für den Arbeitsmarkt Nach den Versprechen der Politiker müsste

die Arbeitslosigkeit jetzt eigent-lich sinken. Tut sie aber nicht. Derganze Druck auf die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer unddie Verschlechterung der Arbeits-und Lebensbedingungen: um-sonst.

Die Gewerkschaften habendas lange vorausgesagt: Arbeits-marktpolitik, die gegen die Inter-essen der Beschäftigten gerich-tet ist, geht nach hinten los.

Hartz IV – das »Vierte Gesetzfür moderne Dienstleistungen amArbeitsmarkt« – will die Men-schen »fördern und fordern«. Aufdiesem Wege sollen vor allemLangzeitarbeitslose wieder zu ei-nem Job kommen. Das »fordern«klappt ausgezeichnet. Das »för-dern« bleibt bisher auf derStrecke.

Wir fordern auch! Und zwargrundlegende Änderungen anden Hartz-Gesetzen. Zum Bei-spiel:

∂ Gerechte Bemessung des Arbeitslosen-geldes. Bisher ist z.B. das Arbeitslosengeld IIin den neuen Bundesländern immer nochniedriger, als in den alten. Das darf nicht sein! ∂ Gerechte Behandlung von Frauen undMänner. Zur Zeit werden Frauen bei der An-rechnung des Partnereinkommens eindeu-tig benachteiligt. Das muss anders werden! ∂ Weg mit den verschärften Zumutbar-keitskriterien für jugendliche Arbeitsloseunter 25 Jahren. Verstärkter Druck auf dieJugendlichen schafft noch keine Ausbil-dungs- und Arbeitsplätze!

Europa: sozial, gerecht, solidarisch Ein geeintes Europa? Klingt erst mal gut.Und bedeutet für dich zum Beispiel bessereMöglichkeiten, im Ausland zu arbeiten. Dieallgemeinen Rahmenbedingungen für deneuropäischen Arbeitsmarkt klingen aller-dings alles andere als gut.

Eindeutig in die falsche Richtung gehtzum Beispiel die Debatte um die so ge-nannte »Liberalisierung des Binnenmarktesfür Dienstleistungen«. Dabei geht es darum,den Wettbewerb erheblich zu verschärfen.Die Folgen von zu starkem Wettbewerb:Lohn- und Sozialdumping, schlechtere Ar-beitsbedingungen, weniger Rechten für Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Daslehrt die Erfahrung.

Wir fordern: Europa muss sozial gestal-tet werden. Sonst geht es bergab mit demEinkommen und dem Lebensstandard. Wirsetzen uns für ein Europa ein, in dem um-weltverträglich und sozial gewirtschaftetwird und in dem alle zu fairen Bedingungenarbeiten können. Europa geht es nur danngut, wenn es den Menschen in Europa gutgeht. ∏

as Plakatmotiv steht schon fest:»Ich seh’s nicht ein«, wird spätes-tens am 10. September überall zu le-

sen sein. Nicht nur, aber vor allem in Düssel-dorf. Und dazu der Aufruf: »Wählen geh’n«.

Eine Woche vor der vorgezogenen Bun-destagswahl, genau am 10. September, willdie IG BCE-Jugend noch einmal »Profil« und»Mobilisierungsstärke« zeigen – auf einemzentralen Aktionstag in der nordrhein-west-fälischen Landeshauptstadt.

Das Programm soll gegen 12 Uhr aufdem Burgplatz beginnen. Geplant sind al-lerlei kulturelle Events.

Vor allem aber will man »Zeichen set-zen«. »Ziel ist es, deutlich zu machen, dass

es wichtig ist, seine Stimme abzugeben«,sagt IG BCE-Referent Stefan Soltmann. Undzwar »für mehr Ausbildungsplätze, für Ge-nerationengerechtigkeit und für Mitbe-stimmung«.

Der Ort ist dabei nicht von ungefährausgesucht: In Düsseldorf residiert mit derDeutschen Steinkohle AG einer der größtenArbeitgeber und Ausbilder der Region. Wiees hier mit der Ausbildung weiter geht,hängt auch vom Wahlausgang ab.

Und da wollen sich die jungen Gewerk-schafter nicht mit Trostpflastern abspeisenlassen – zum vorgesehenen Streumaterialgehört deshalb auch entsprechendes Ver-bandsmaterial mit der klaren Kennzeich-

nung »kein Trostpflaster« und dem Aufruf,nicht nur den Bundestag, sondern auch dieeigene Jugend- und Auszubildendenvertre-tung zu wählen.

Bei Redaktionsschluss dieser Soli-Ausga-be waren die VeranstalterInnen noch mit derOrganisation beschäftigt. Klar ist bislang,dass die Anreise in Bussen erfolgen soll, dieVerpflegung am billigsten mit Verzehrkartenzu leisten ist, die gegen einen Teilnahmebei-trag von fünf Euro ausgegeben werden – unddass das Ganze natürlich ein Riesenspaß wer-den wird. Erwartet werden mindestens 1.000Teilnehmer, »es können aber gerne ein paarmehr werden«, so Soltmann. ∏Mehr Infos in Kürze auf www.igbce-jugend.de

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Was nützen Trostpflaster?Still halten ist nicht: Die IG BCE-Jugend ruft für den 10. September 2005 zu einem Aktionstag nach Düsseldorf

Die Motive gibt’s als Plakate und Flyersowie mit und ohne DGB-Jugend-Logo.Sie können bestellt werden bei: DanielaLinke, DGB-Bundesvorstand, Abteilung

Jugend, Fax: 030 / 240 60 409, E-Mail: [email protected]

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azubi-ratgeber

Bisher galt für Kindergeldbe-rechtigte: Bruttoeinkünfte undBezüge eines volljährigen Kin-des dürfen den Grenzbetragvon 7.680 Euro nicht über-schreiten. Jetzt hat das Bun-desverfassungsgericht in ei-nem aufsehenerregenden Ur-teil entschieden. Künftig wer-den Sozialversicherungsbeiträ-ge nicht mehr als Einkommenangerechnet. Dieses Urteilkann für viele Auszubildendepositive Konsequenzen haben.

Vor dem UrteilDas Kindergeld, dass Eltern oder andere Be-rechtigte für Kinder bis zum Alter von 27Jahren beziehen können, die sich in Ausbil-dung befinden oder auf einen Ausbildungs-platz warten, muss den Kindern zur Verfü-gung gestellt werden, wenn diese nichtmehr zu Hause wohnen und den Eltern kei-ne Kosten verursachen.

Gerade für Auszubildende aus einkom-mensschwachen Familien, die darüber hin-aus keinen Unterhalt leisten können, be-deutet die monatliche Zahlung von immer-hin 154 Euro im Mo-nat eine große finan-zielle Unterstützung– ein Auszubildendererhält in Deutschlanddurchschnittlich nur617 Euro (Westen) bzw. 526 Euro (Osten) imMonat an Ausbildungsvergütung.

Allerdings erhielten berechtigte Antrag-steller kein Kindergeld mehr, sobald dasBruttoeinkommen ihrer Kinder die festge-legte Grenze auch nur um einen Euro über-schritt. Für viele Auszubildende kam es da-her zu der absurden Situation, dass eine lehr-jahrbedingte geringe Einkommenserhöhungdie Einbuße des gesamten Kindergeldes vonjährlich 1.840 Euro zur Folge hatte.

Ähnlich war auch die Ausgangslage imStreitfall, der zum Urteil des Bundesverfas-sungsgerichtes (BVG) führte: Der Muttereines Auszubildenden war das Kindergeldentzogen worden, weil die Vergütung mini-mal über der damaligen Einkunftsgrenzelag. (Beschluss vom 11. Januar 2005, Az.: 2BvR 167/02 )

Im Jahr 2005 lag die Vergütung einesAuszubildenden über der Einkommens-grenze, wenn er mehr als 717 Euro Brutto-vergütung erhielt (abgesehen von anderenEinkommen wie z.B. tarifliche Sonderzah-lungen oder Bezügen). Denn dann kam er

auf ein Einkommen von 8.604 Euro jährlichund lag abzüglich der Werbekosten von 920Euro über der Einkommensgrenze. Es liegtauf der Hand, das hiervon viele Auszubil-dende betroffen waren, insbesondere Aus-zubildende, die auf der Grundlage von Ta-rifverträgen bezahlt wurden!

Immer wieder gingen auf-grund dieser Regelung Anfra-gen bei »Dr. Azubi« (www.dok-tor-azubi.de) ein, in denen Aus-zubildende nach Möglichkeitenfragten, wie sie ihr Einkommenfreiwillig reduzieren könnten,um weiterhin Kindergeld zu erhalten – dasonst eine Fortführung ihrer Ausbildungaufgrund der finanziellen Situation schwie-rig oder unmöglich wäre.

Dass diese Anfragen einen ernstzuneh-menden Hintergrund haben, beweist eineStudie zur Verschuldungssituation Auszu-bildender, die die DGB-Jugend 2001 in Mün-chen durchgeführt hat: Die Studie ergab,dass 34,6 Prozent der Auszubildenden inMünchen Schulden haben, wobei 26,6 Pro-zent der Betroffenen mit über 1.000 Euroverschuldet waren.

Die bisherige Re-gelung hatte folgen-des Ziel: Kindergeld-berechtigte, bei de-nen das Einkommender Kinder über dem

Existenzminimum lag, sollten keinen An-spruch auf Kindergeld mehr haben, denn indiesem Fall wurde davon ausgegangen, dassdie Kinder sich selbst versorgen konntenund die Unterhalts-pflicht der Eltern oderanderer Kindergeld-berechtigter durchdiese Tatsache entfieloder zumindest ge-mindert wurde. Die Eltern wurden alsodurch das Einkommen der Kinder entlastet.

Die Sache hatte nur einen Haken: Verdie-nen Auszubildende mehr als 325 Euro imMonat, müssen sie die Hälfte der Sozialab-gaben selber tragen, derzeit ca. 21 Prozentdes Bruttoeinkommens. Die abgeführtenSozialabgaben stehen dem Kind aber nichtzur Bestreitung des Lebensunterhaltes zurVerfügung! Trotzdem wurden sie bei derPrüfung der Anträge voll berücksichtigt undals Einkommen des Kindes gewertet.

Das BVG hat jetzt entschieden, dass dieEinbeziehung der Sozialversicherungsbei-

träge bei der Anspruchsberechnung verfas-sungswidrig ist. Für die Berücksichtigungs-fähigkeit von Kindern im Familienausgleichsind daher in Zukunft die Einkünfte des Kin-des um die Sozialversicherungsbeiträge zumindern.

Was dies in der Praxis be-deutet, lässt sich am besten aneinem Beispiel erläutern:

Bisher galt:Hatte ein Auszubildender eineBruttoausbildungsvergütungvon 800 Euro pro Monat, kamer auf 10.400 Euro Jahresein-

kommen – wovon die Werbekosten mit ei-nem Pauschalbetrag von 920 Euro abgezo-gen wurden (falls nicht höhere Werbeko-sten geltend gemacht werden konnten). DerAuszubildende lag in diesem Beispiel mit9.480 Euro (10.400 minus 920) deutlich überdem Grenzbetrag von 7.680 Euro. Die Folge:Der Kindergeldantrag wurde abgelehnt!

Jetzt gilt:Auf Grundlage des neuen Urteils dürfen imobigen Beispiel die Sozialversicherungs-beiträge von derzeit 21 Prozent – also 2.184Euro – nicht mehr als Einkommen ange-rechnet werden. Dadurch würde der Auszu-bildende im obigen Beispiel unter die Frei-grenze rutschen: Es besteht weiterhin An-spruch auf Kindergeld!

Nach dem UrteilObwohl die Anspruchsvoraussetzungen da-mit eindeutig neu geklärt sind, bedeutetdas noch lange nicht, dass die Anspruchs-

berechtigten auch absofort wieder Kinder-geld beziehen kön-nen. Denn zwischenRecht haben undRecht bekommen

können einige Hürden liegen. Nach dem Urteil hat das Bundesfinanz-

ministerium in einer Stellungnahme daraufhingewiesen, dass die neuen Grundsätzenur auf alle offenen Fälle anzuwenden sind.

Was bedeutet das konkret? Das Bun-desfinanzministerium zieht sich mit dieserAussage durch eine zweifelhafte juristischeArgumentation aus der Affäre. Es beruftsich nämlich auf die Bestandkräftigkeit be-reit abgelehnter Anträge. Auf deutsch heißtdas: Haben Eltern bereits einen Kindergeld-antrag gestellt und wurde dieser abgelehnt,ohne das die Eltern fristgerecht Einsprucheingelegt haben, sind die negativen Be-

Neue Hoffnung auf Kindergeld

Immer wieder gingen aufgrund dieserRegelung Anfragen bei »Dr. Azubi«ein, Azubis fragten nach Möglich-

keiten, wie sie ihr Einkommen…

… freiwillig reduzieren könnten, um weiterhin Kindergeld zu erhalten

– da sonst eine Fortführung ihrerAusbildung unmöglich wäre.

Termin bei Dr. Azubi.Mit Jula Müller

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scheide bestandskräftig und daran soll dasneue Urteil nichts ändern.

Interessant: Bis zur Bekanntgabe derEntscheidung ergingen bereits unzähligenegative Bescheide!

»Allerdings wären die Behörden verfah-renstechnisch verpflichtet gewesen, einge-legte Rechtsmittel ruhen zu lassen oder –mit Hinweis auf das anhängige Musterver-fahren – bei Erstbescheiden einen Vorläu-figkeitsvermerk oder Vorbehalt der Nach-prüfung vorzusehen«, sagt der Rechtsan-walt Gerhard Geckle, Justitiar der Haufe-Mediengruppe, der das Kindergeld-Urteilerstritten hat.

Die Vorgehensweise der zuständigen Be-hörden ist seiner Meinung nach also sehrzweifelhaft, da die Antragsteller von den Be-hörden nicht vollständig und korrekt infor-miert wurden – die bekanntermaßen aus-stehende Entscheidung wurde bis Mitte Maieinfach ignoriert. Geckle: »Bei einer solchklaren Sachlage grenzt dies fast an Rechts-missbrauch, wenn sich die Finanzbehörden,zum Nachteil vieler besorgter Eltern oder El-ternteile, auf die Bestandskraft zurückzie-hen.«

Durch diese Vorgehensweise kommt eszu einer offensichtlichen Ungleichbehand-lung von Antragstellern: Trotz gleicher An-spruchsvoraussetzungen erhalten Kinder-geldberechtigte, deren Antrag vor dem Ur-teil bereits abgelehnt wurde und – nachVerstreichen der Widerspruchsfrist – be-standskräftig ist, kein Kindergeld, währendKindergeldberechtigte, die erst jetzt einenAntrag stellen, einen positiven Bescheid er-warten dürfen.

Der Prozessbevollmächtigte GerhardGeckle hat deshalb das Bundesfinanzminis-terium aufgefordert, den betroffenen Bür-gern durch eine Regelung zu helfen: »Dasimmerhin über sechs Jahre dauernde Ver-fahren war sämtlichen Behörden und betei-ligten Ministerien bekannt. Man kann nichtdie Bürger dafür bestrafen, dass die Be-scheide oder Verfahren nicht offen gehaltenwurden, meist wegen Unkenntnis dieseswichtigen Musterverfahrens.«

Er hat bereits Staatssekretärin BarbaraHendriks (SPD) beim Bundesfinanzministe-rium angeschrieben – und dazu aufgefor-dert, zumindest im Billigkeitswege diesesBestandskraft-Problem schnell zu lösen.

Denn nicht jeder Bürger wusste hierüberBescheid, hatte auch nicht unbedingt die ent-sprechenden finanziellen Mittel, um letzt-endlich sogar im Klagewege seine Rechte zuwahren. Zudem ergingen auf jeden Fall sogarnoch bis Ende Mai nach wie vor Ablehnungs-bescheide und zurückgewiesene Einspruchs-entscheidungen – ohne jegliche Berücksich-tigung dieser veränderten Rechtsgrundlage.

Außerdem sind im Moment noch weite-re Rechtsfragen ungeklärt. Denn folgt mander Logik, dass das Einkommen des Kindeszum Bestreiten des Lebensunterhalts zurVerfügung stehen muss, wären auch ande-re Aufwendungen wie z.B. Lebensversiche-rungsbeiträge für die Riesterrente oder dieKirchensteuer abzugsfähig. Hierzu fehltaber bislang eine Gesetzesänderung.

Rechtliche InformationenWelche Möglichkeiten haben betroffeneBürger? ∂ Antragsteller, die vor kurzem einen ne-gativen Bescheid erhalten haben, obwohlsie aufgrund der neuen RechtssprechungAnspruch auf Kindergeld haben, sollten bin-nen Monatsfrist Einspruch erheben∂ Auch wenn bereits Einspruch eingelegtoder Klage erhoben wurde, sollten die zu-ständigen Behörden auf die erhöhten Ein-kommensgrenzen nach der BVG-Entschei-dung hingewiesen werden∂ Antragsteller, deren Kindergeldanträgeabgewiesen wurden und bereits bestand-kräftig sind, sollten unter Hinweis auf dieveränderte Rechtslage Einspruch gegen dieAblehnungsbescheide einlegen. Denn esbleibt abzuwarten, ob hier nicht doch durch

eine entsprechende politische Lösung undVerwaltungsanweisung die neue Recht-sprechung berücksichtigt wird.∂ Da die neue Rechtsgrundlage rückwir-kend bis 2001 gilt, sollten Antragsberech-tigte, die aufgrund des zu hohen Einkom-mens ihres Kindes auf einen Antrag ver-zichtet haben, umgehend prüfen, ob durchdas Urteil nicht nachträglich ein Anspruchentsteht und das Kindergeld für die vergan-genen Jahre beantragen (der Jahresgrenz-betrag lag 2002 und 2003 bei 7.188 Euro, wo-bei noch 1.044 Euro Werbekostenpauscha-le abgezogen werden konnten).

Hinweis: Gewerkschaftsmitglieder habendie Möglichkeit, sich an ihren Rechtschutz-sekretär zu wenden und sich in einem Ver-fahren vertreten zu lassen.

Für Betroffene, die sofort handelnmöchten oder müssen, hat die Haufe-Me-diengruppe einen Musterantrag erstellt, derdie verschiedenen Ausgangsmöglichkeitenberücksichtigt und erklärt. ∏

Infos: Rechtsanwalt Gerhard Geckle, Tel.: 0761 / 327 32, E-Mail: [email protected]. Der Musterantrag imInternet: www.haufe.de

(Name, Anschrift)

(Datum)An die Agentur für Arbeit – Familienkasse –(Postfach)

(PLZ, Ort)

(Kindergeldnummer)Sehr geehrte Damen und Herren,das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 11.1.2005, bekannt gemacht am 13.5.2005, festgestellt,

dass bei der Prüfung der Einkommensgrenzen für den Anspruch auf Gewährung von Kindergeld nach § 32

EStG von dem erzielten Bruttoverdienst Eigenaufwendungen für die soziale Absicherung neben Werbungsko-

sten in Abzug gebracht werden müssen.Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 2 BvR 167/02) darf ich Ihnen

Folgendes mitteilen (bitte Zutreffendes ankreuzen/ergänzen):1. Es wird form- und fristgerecht Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid zur Gewährung von Kindergeld für

mein/unser Kind: (Vorname, Nachname, Geburtsdatum)eingelegt und die Gewährung von Kindergeld, einschließlich einer Nachzahlung für die bislang abgelehnten

Monate, beantragt. 2. Es wurde bereits fristwahrend wegen der Ablehnung eines Kindergelds für mein/unser Kind

(Vorname, Nachname, Geburtsdatum)Einspruch eingelegt. Im Hinblick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bitte ich nunmehr um alsbaldige Entscheidung

über den Anspruch und Nachzahlung der Kindergeldbeträge sowie fortlaufende Gewährung des Kindergelds.

Entsprechend beigefügter aktueller Verdienstbescheinigung ergeben sich auch für das laufende Kalenderjahr

Bezüge, die bei Berücksichtigung der einkommensmindernden Aufwendungen sowohl für die Werbungsko-

sten als auch für die gesetzliche Sozialversicherung noch unter den geltenden Einkommensgrenzen von 7.680

€ (für 2004/2005) bzw. 7.188 € (für 2002/2003) liegen.3. Als Nachweis für das/die Kalenderjahr(e) 200_ füge ich Ihnen eine Kopie der Jahresverdienstbescheini-

gung/Lohnsteuerkarte bei, aus der sich bereits der jahresbezogene Gesamtaufwand (Arbeitnehmeranteil) zur

gesetzlichen Sozialversicherung ergibt.4. Aus den mir vorliegenden Jahresarbeitgeberbescheinigungen/Lohnsteuerkarten für das/die

Kalenderjahr(e) 200_/200_ kann hierzu festgestellt werden, dass bei Berücksichtigung der zusätzlichen Auf-

wendungen für die gesetzliche Sozialversicherung und der Berücksichtigung der Werbungskosten die für die

jeweiligen Jahre geltenden Einkommensgrenzen unterschritten werden. Ich beantrage daher eine Neufestset-

zung für die Gewährung von Kindergeld für die zurückliegenden Zeiträume. Dies auch im Hinblick auf die Ent-

scheidung des Bundesverfassungsgerichts als neue Tatsache bzw. gem. § 70 EStG zur Änderung eines bisheri-

gen Fehlers. Ich darf Sie bitten, mir hiervon ausgehend rückwirkend Kindergeld nachzuzahlen. Auch auf den 4-

jährigen Nachzahlungszeitraum darf ich insoweit hinweisen.Zum Nachweis hierfür werden für die angegebenen Kalenderjahre Kopien der Jahresverdienstbescheinigung

beigefügt/nachgereicht.(Ort, Datum, eigenhändige Unterschrift)AnlageVerdienstbescheinigung für das/die kindergeldberechtigte(n) Kind(er)

azubi-ratgeber

14 soli aktuell 08/09.05

jav-ratgeber

Die Schutzrechte für JAV-Mit-glieder gelten auch für Ersatz-mitglieder – wenn sie für einezeitweilige Vertretung heran-gezogen wurden.

amit sie sich unbesorgt über mög-liche Sanktionen des Arbeitgebersfür die Interessen der Azubis und

Jungarbeiter engagieren können, werdenfrisch gewählte Mitglieder der Jugend- undAuszubildendenvertretung (JAV) in derkonstituierenden Sitzung informiert, dassund wie sie bei der Amtsausübung ge-schützt sind: Dazu gehören der Sonderkün-digungs- und Versetzungsschutz, das Be-hinderungs- und Benachteiligungsverbot,der Freistellungsanspruch für JAV-Aktivitä-ten und der damitverbundene Entgelt-schutz, aber auch diegemäß § 78a BetrVGdem Ausbildungsbe-trieb obliegende Übernahmeverpflichtungnach erfolgreicher Beendigung der Berufs-ausbildung.

Alle Schutzrechte stehen allen ordent-lich gewählten JAV-Mitgliedern zu – »unor-dentliche« gibt es nicht, wohl aber hoffent-lich Ersatzmitglieder. In der Praxis stellt sichdabei immer wieder die Frage, ob die auf derReservebank Befindlichen die gleichenSchutzrechte genießen: Tatsächlich gilt dasinsbesondere für den Sonderkündigungs-schutz sowie die Übernahmeverpflichtung.Voraussetzung ist, dass ein reguläres JAV-Mitglied vorübergehend nicht in der Lageist, sein Amt auszuüben.

Das trifft dann zu, wenn es etwaarbeitsunfähig erkrankt, in Erholungs- oderBildungsurlaub oder auf einer Dienstreiseist. Auch die Teilnahme an internen, aus-wärtig stattfindenden Qualifizierungen,Sitzungen oder JAV-Schulungen sowie un-bezahlte Freistellungen gelten als Vertre-tungsfall. Nicht zu vergessen die Zeiten, indenen sich das JAV-Mitglied in Elternzeitbefindet oder Wehr-oder Zivildienst absol-vieren muss.

Wichtig: Ein Verhinderungsfall liegt auchbei persönlicher Betroffenheit des JAV-Mit-glieds vor, wie z.B. bei der Entscheidung desBetriebsrats über die Zustimmung zu seinerKündigung. In Entscheidungen wo es »umden eigenen Kopf geht«, muss das zustän-dige Ersatzmitglied eingesetzt werden. Dasgilt nicht bei betriebsratsorganisatorischenFragen wie z.B. der Entsendung eines JAV-

Mitglieds zu einer bestimmten Schulungs-veranstaltung.

Während der Vertretungszeit wird dasErsatzmitglied zum ordentlichen JAV-Mit-glied mit allen Rechten und Pflichten – alsoauch dem Sonderkündigungsschutz und derÜbernahmeverpflichtung.

Achtung: Es ist die Aufgabedes oder der Vorsitzenden derJAV, das richtige Ersatzmitgliedzu aktivieren. Während es biszur Novellierung des Betriebs-verfassungsgesetzes 2001 rela-tiv einfach war, herauszufinden,wer das war, muss bei einermehrköpfigen JAV nun immerwieder geprüft werden, ob die vom Wahl-vorstand ermittelte Quote für das in der

Minderheit befindli-che Geschlecht ein-gehalten wird. Bei-spiel: Eine fünfköpfi-ge JAV besteht aus

vier Frauen und einem Mann. Die Mindest-quote gemäß § 15 Abs. 2 BetrVerfG beträgtein männliches Mitglied. Ist dieses nun ver-hindert, sein Amt auszuüben, rückt – wennes denn noch Männer auf der Reservebankgibt – zwingend dasmännliche Ersatzmit-glied mit der höchs-ten Stimmenzahlnach. In diesem Ein-zelfall werden hier also weibliche Ersatz-mitglieder nicht zum Zuge kommen. Ist einweibliches JAV-Mitglied verhindert, so rücktwie früher das Ersatzmitglied mit der höchs-ten Stimmenzahl nach – unabhängig vomGeschlecht. Nach einer Listenwahl gilt:Kann eine Liste die Geschlechterquote nichtmehr erfüllen, kommt es zu einem so ge-nannten Listensprung – der Sitz fällt der an-deren Liste zu, wenn diese das Minderhei-tengeschlecht »bedienen« kann.

Hinweis: Nach der Rechtsprechung desBundesarbeitsgerichts (vgl. BAG-Urteilvom 12. Februar 2004, AZ.: 2 AZR 163/03)reicht das Vorhandensein eines Vertre-tungsfalls allein nicht aus, damit das Er-satzmitglied sich erfolgreich auf den Son-derkündigungsschutz bzw. die Übernah-meverpflichtung berufen kann. Der Schutztritt nur dann ein, wenn der betroffene Ar-beitnehmer/Azubi auch zur Arbeit des Gre-miums herangezogen worden ist, also anAktivitäten der JAV teilgenommen hat.Darunter fallen beispielsweise die Teilnah-me an einer JAV-, Betriebsrats- oder Be-

triebsratsausschusssitzung oder an einergemeinsamen Besprechung zwischen Be-triebsrat und Arbeitgeber, an einer Sprech-stunde der JAV bzw. als JAV-Vertreter an ei-ner Sprechstunde des Betriebsrats, die Teil-nahme an einer Jugend- und Auszubilden-denversammlung oder einer Betriebsver-

sammlung als Funktionsträgerund nicht als regulärer Teil-nehmer oder an Aktionen derJAV.

Wichtig ist, diese Aktivitä-ten und den genauen Zeitraumder Vertretung zu dokumentie-ren. Sowohl beim Sonderkündi-gungsschutz wie auch bei der

Übernahmeverpflichtung gilt ein Nachwir-kungszeitraum von einem Jahr ab Amtsendebzw. vom Ende des Vertretungszeitraums an.Wenn das reguläre JAV-Mitglied zurückkehrt,genießt das Ersatzmitglied also noch ein Jahrnachwirkenden Schutz, selbst wenn der Ver-tretungszeitraum nur einen Arbeitstag be-trug.

Natürlich steht es der JAV frei, ihre Ak-tivitäten so zu steuern, dass möglichst vie-le Ersatzmitglieder unter diesen Schutz fal-len. Wenn sich etwa mehrere JAV-Mitglieder

gleichzeitig im Erho-lungsurlaub oder aufauswärtigen Schulun-gen befinden, kanndie JAV durchaus eine

Sitzung abhalten oder andere Aktivitätendurchführen. Man sollte allerdings daraufachten, dass der den Gremiumsmitgliedernzustehende Schutz nach der Rechtspre-chung des BAG dann ausgeschlossen ist,wenn der Vertretungsfall durch verschlei-ernde Absprachen zum Schein herbeige-führt wird oder wenn das aktivierte Ersatz-mitglied weiß, dass überhaupt kein Vertre-tungsfall vorliegt. Das gilt beispielsweise,wenn ein Ersatzmitglied an einer JAV- bzw.Betriebsratssitzung einfach als »Gast« teil-nimmt, obwohl das Gremium komplett ist.

Abschließender Hinweis: Auch wenn dieArbeitgeberseite behauptet, nichts von Ak-tivitäten eines Reservemitglieds zu wissenund mit dieser Begründung etwa einen An-trag auf Übernahme gem. § 78a BetrVGmangels fehlender Nachwirkung ablehnt,sollte man sich nicht bange machen lassen.Hier hilft sofortige Klärung durch die zu-ständige Gewerkschaft bzw. einen sach-kundigen Rechtsanwalt – und im Fall desFalles die Durchsetzung mit Hilfe der Ar-beitsgerichte. ∏

Völlig schutzlos? Aber nein!

D

Der JAV-Ratgeber. Mit Wolf-Dieter Rudolph

Die JAV kann dafür sorgen, dass möglichst viele Ersatzmitglieder

unter den Schutz fallen.

Wichtig: alle Aktivitäten undVertretungszeiten dokumentieren

– das kann lohnen!

08/09.05 soli aktuell 15

landesbezirke + gewerkschaften

Günstige Preise im Einzelhan-del dürfen nicht mit Lohn- undSozialdumping erkauft wer-den, meinen ver.di und Attacund starten eine Kampagne ge-gen Lidl. Von Berit Schröder

ie Bananen sind so billig wie nochnie, die Aktionsangebote heute jawieder reine Schnäppchen, Geiz ist

einfach geil! Oder? In großen Discounternwie Lidl, Aldi oder Schlecker purzeln diePreise. Billiger heißt hier aber Sparen aufKosten der Beschäftigten. Und für die be-deutet der viel propagierte Geiz unbezahl-te Überstunden, systematisches Unterlau-fen von Arbeitnehmerrechten, Willkür vonVorgesetzten und Einkommen, die nichtzum Leben reichen. Deshalb hat ver.di jetzteine Lidl-Kampagne ins Leben gerufen.»Was menschenunwürdige Arbeitsbedin-gungen angeht, liegt Lidl unter den deut-schen Discountern knapp an der Spitze ei-ner negativen Hitliste. Bei rund 2.600 Filia-len gibt es bisher nur in acht Märkten Be-triebsräte«, so Agnes Schreieder aus derBundesvorstandsverwaltung von ver.di, dieeine der InitiatorInnen der Kampagne ist.Ziel der Kampagne ist die Organisierung ei-ner starken Interessenvertretung unter denmeist weiblichen Beschäftigten, um so Ar-beitnehmerrechte durchsetzen und für bes-sere Bedingungen kämpfen zu können.

Solidarität entlang der KetteIm Rahmen der Kampagne kooperiert ver.dimit unterschiedlichen gesellschaftlichenGruppen, um den Druck auf Lidl zu er-höhen. Das globalisierungskritische Netz-

werk Attac entwickelt derzeitebenfalls in Absprache mitver.di eine Discounter-Kampa-gne, die im September startensoll. Ziel ist es, die zunehmendeVerschlechterung der Arbeits-bedingungen in hiesigen Lidl-Filialen in einen Zusammen-hang zu stellen mit der zuneh-mend schlechteren Bezahlungvon ArbeiterInnen, die in Süda-merika oder asiatischen Län-dern für Lidl produzieren. »Wirwollen mit unserer Kampagnegegen Discounter-Ketten Soli-darität entlang der Wertschöp-fungskette einfordern und Lidldazu bringen, die heute meistverschleierten Produktgeschich-ten offen zu legen«, erklärt Jut-ta Sundermann, die die Kampa-gne von Attac mit auf den Wegbringt.

Während früher viele Zwi-schenhändler entlang der Wert-schöpfungskette zu finden wa-ren, so tritt Lidl inzwischen direkt als Ab-nehmer bei Obstplantagen, Schnittblumen-ProduzentInnen oder den Textilfabriken auf,die die Lidl-Aktionswaren herstellen. WillLidl mit dem Preis nach unten, so stellt sichfür die ProduzentInnen die Frage: Verkaufenoder auf den riesigen Mengen sitzen blei-ben? »Nehmen wir das Beispiel Bananen«,so Sundermann, »Lidl versucht als riesigerDiscounter beim Einkauf der Südfrüchtepermanent die Preise nach unten zudrücken, den Preisdruck bekommen diePlantagenarbeiterInnen unmittelbar durch

Lohnkürzungen, längere Arbeitszeiten usw.zu spüren.«

Ähnlichen Druck übt Lidl beim Milchein-kauf aus. Deshalb demonstrierten jüngstmehrere hundert Bauern und Bäuerinnenvor Lidl-Lagern gegen die Preisdruckpolitikdes Lebensmitteleinzelhandels, allen vorandes Discounters. Lidl steigert seine Umsät-ze und Gewinne von Jahr zu Jahr auf Kostender Molkereien, die regelrecht erpresst undgegeneinander ausgespielt wurden. Geradebei frischen und verderblichen Waren wieMilch können die großen Konzerne auf-grund der immensen Mengen, die sie or-dern und die sie für die Molkereien zumwichtigsten Abnehmer machen, erheblicheAnsprüche anmelden – und auch durchset-zen. Ein weiteres Problem ist die schlechteZahlungsmoral gegenüber den Molkereien.

Trendsetter LidlAuch wenn sich diese gnadenlose Unter-bietungskonkurrenz besonders unter denDiscountern durchgesetzt hat, fällt dochauf, dass einer immer wieder den Trend vor-antreibt – und das ist immer häufiger Lidl.

»Lidl ist in den letzten Jahren als Trend-setter aufgefallen, der seine Umsätze undGewinne gnadenlos durch Preisdruck undRabattschlachte steigert«, berichtet Sunder-mann. Deshalb nimmt Attac Lidl unter die Lu-pe und baut Druck auf diesen Konzern auf,um so die Spirale nach unten aufzuhalten. ∏

Lidl ist nicht zu billigen!

D

Verbraucher sind keine Detektive∂ Karten auf den Tisch: Produktgeschichte of-fenlegen! Um als KonsumentIn sagen zu können:»Diese Produktionsbedingungen nehme ichnicht in Kauf!« ist Transparenz der Produktions-ketten wichtig. Deshalb interessiert nicht »her-gestellt für Lidl«, sondern wo und unter welchenBedingungen produziert wurde. Schließlich sindKonsumentInnen keine DetektivInnen!∂ Solidarität entlang der Produktionskette! So-ziale Rechte durchsetzen – hier und weltweit!Ob beschäftigt in einer deutschen oder ungari-schen Lidl-Filiale, ob ArbeitnehmerIn in einemZulieferbetrieb, ob ProduzentIn von Milch oderGemüse, ob selbständige Spedition für Lidl

oder anderweitig in der Wertschöpfungskettebeschäftigt, alle sind von der Unterbietungs-konkurrenz betroffen und VerliererIn der Glo-balisierungsprozesses. Es gewinnt nur Lidldurch noch größere Marktanteile, höhere Um-sätze und Gewinne.∂ Rechtliche Regelungen müssen her: demo-kratische Kontrolle der Unternehmen! Ziel derLidl-Kampagne von Attac ist es ferner, Druckauf den Konzern auszuüben. Schließlich liegt esam politischen Willen, ob es immer weitereZentralisierungs- und Unterbietungsprozesseim Einzelhandel gibt oder nicht. Die Einführungvon arbeits- und sozialrechtlichen Standardsim Regelwerk der WTO oder als Reglement fürbundesdeutsche Unternehmen braucht klarepolitischen Vorgaben. ∏

f o r d e r u n g e n d e r k a m pag n e g e g e n l i d l

ver.

di/

Kla

us

Sta

eck

ver.di-Aktion: Lidl in der Ausbeutelpraxis

Projekt P – misch dich ein: Denkt euch was aus undgründet Inis oder Projekte! Dazu fordern der Deutsche

Bundesjugendring (DBJR), das Bundesjugendministeriumund die Bundeszentrale für politische Bildung auf. Dabei hilftder aktuelle Beitrag des DBJR zu der Aktion: Auf der CD-

ROM »Come in Contract – VERTRAGt euch!« beschreibt er erfolgreiche Praxisbeispiele. Im Mittel-punkt: die beidseitige Vereinbarung zwischen Jugendlichen und EntscheidungsträgerInnen aus Po-litik und Gesellschaft. Dazu gibt’s eine Auswahl an Methoden, Spielen und Tipps sowie die gesetzli-chen Grundlagen zur Jugendbeteiligung und eine Darstel-lung von unterschiedlichen Formen der gesellschaftlichenund politischen Teilhabe. Und eine Checkliste für Projektma-nagement. Und und und. Infos: www.dbjr.de

+

»Wir können auch anders!«Für Kurzentschlossene: Das

Kulturzentrum Hannover veranstal-tet – mit Attac als Kooperationspart-ner – das Forum »Wir können auchanders! Visionen und Modelle für ei-ne zukünftige Gesellschaft«. Dabeigeht es um eine »andere« Gesell-schaft und Wirtschaft, die sozial ge-recht, solidarisch, freiheitlich unddemokratisch ist. Ideen und Modellesowie bereits umgesetzte regionaleBeispiele sollen vorgestellt, disku-tiert über künstlerische Formen ver-mittelt werden.

Vom 2. bis zum 10. September 2005 in Han-nover. Programm und alles weitere gibt’s aufwww.nananet.de/pavillon. Oder beim Kul-turzentrum Pavillon. Tel: 0511 / 235 55 50

+Prävention gegen Arbeitslosigkeit:Nein, keine Patentlösung für das Deutsch-

land beherrschende Beschäftigungsproblem,aber immerhin eine frühzeitige Orientierungs-hilfe im richtigen Leben bietet die DeutscheKinder- und Jugendstiftung (DKJS). Seit 1994 hatsie mit sieben Programmen versucht, Kinderund Jugendliche für das spätere Arbeitsleben zustärken. Denn: »Schulische Leistungen alleinsind für den Erfolg bei der Lehrstellen- oder Arbeitsplatzsuche nichtausschlaggebend. Wichtig ist, was sich jeder Einzelne zutraut und ober gelernt hat, sein eigenes Lernen zu managen und sich unter kom-plizierten Bedingungen zurechtzufinden.« Sagt die DKJS. Was genaudas heißt, schreiben WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen in demBuch »Jung. Talentiert. Chancenreich? Beschäftigungsfähigkeit vonJugendlichen fördern«. Sie beschäftigen sich zum Beispiel mit der Fra-ge, welche Schlüsselkompetenzen SchülerInnen durch praktische undselbstverantwortliche Projektarbeit entwickeln. Mehr Infos über die Programme und das Buch bei der DKJS unter Tel.: 030 / 25 76 76 24

+

16 soli aktuell 08/09.05

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Fairen Handel kennen wir alle. Irgendwie.Und interessant finden wir den auch. Aberwo wird fair gehandelt? Und wie machtman/frau da mit? In den rund 800 Weltlä-den in Deutschland engagieren sich meh-rere tausend Freiwillige als ehrenamtlicheoder bezahlte MitarbeiterInnen. Sie ver-kaufen Kaffee, Schokolade, Orangensaft,Kleidung und Spielzeug aus fairem Handelund starten Kampagnen und Aktionen fürgerechte Welthandels-Regeln: Produzen-tInnen erhalten faire Preise, die ihre Kos-ten decken und ihre Familien ernähren.Das ist gar nicht so selbstverständlich, wiees klingen mag – die Erlöse für viele Pro-dukte aus dem Süden sind im freien Welt-handel so niedrig, dass KleinproduzentIn-nen kaum davon leben können. »Interes-sante Initiative zu fairen Jobs und Prakti-ka!« (Daniel Taprogge, »Students at work«) www.fairjobbing.de

w e b -t i p p d e s m o n at s