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Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv Newsletter Februar 2015 Nr. 2 In den letzten Jahr- zehnten haben sich die Produktionsstruk- turen in allen wichti- gen Industriebranchen fundamental verän- dert. Das geschieht durch Leiharbeit und Ausgliederungen von Aufgaben in Werkver- träge: Waren noch vor 30 Jahren Entwick- lung, Fertigung und Vertrieb eines Produkts in einem Unternehmen organisiert, wirken heute viele Zulieferer- und Serviceunterneh- men in einer Wertschöpfungskette mit. Dahinter ist das Ziel zu vermuten, die Stamm- belegschaften drastisch zu reduzieren und Kosten zu sparen. Alle Großkonzerne sind heute von Industrieparks umgeben, die auf dem Werksgelände ihre Dienstleistungen erbringen: Dies beginnt bei der IT und hoch- wertigen Entwicklungsleistungen, geht über Instandhaltung und Logistik bis hin zur Vor- montage direkt im Betrieb. Dabei gilt es zu differenzieren: Werkverträge sind grundsätzlich nichts Schlechtes. Wir Gewerkschaften reparieren unsere Autos auch nicht selbst und wir verlangen auch nicht von den Autoherstellern, dass sie eine werkseigene Kantine mit selbst erzeugten Lebensmitteln betreiben. Probleme entstehen dann, wenn Werkverträge missbräuchlich ein- gesetzt werden: Wenn Stammarbeitsplätze ersetzt, Arbeitsrechte umgangen und tarifli- che Mindeststandards unterlaufen werden. Dies trifft auf die Fälle, um die sich die Bera- tungsstellen des Projekts Faire Mobilität kümmern, zweifelsfrei zu. Dass ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oft- mals ausreichende Kenntnisse des deutschen Arbeitsrechts fehlen, wird hier ganz offen- sichtlich ausgenutzt. Dies ist an sich schon menschenverachtend – noch schlimmer wird es, wenn „billige“ Arbeit der Werkvertragsbe- schäftigten ausgerechnet für hochpreisige Produkte aus dem „Musterländle“ verwandt wird. Wie oft solcher Missbrauch vorkommt, ist schwer zu sagen: Nach Umfragen der IG Metall vergibt circa ein Drittel der Metall- und Elektrofirmen Werkverträge. Nach Über- zeugung der Betriebsräte ersetzt in etwa jeder dritte dieser Werkvertragsbeschäftigten einen Stammarbeitsplatz. Fakt ist zudem: Die Arbeitsbedingungen fast aller Werkvertrags- beschäftigten, nicht nur der ausländischen, sind in aller Regel schlechter. Oft gelten für sie keine Tarifverträge, es gibt weder Betriebs- räte noch Urlaubsgeld, Mehrarbeit bleibt unbezahlt. Und das trifft nicht nur für einfa- chere Arbeit zu. Für die IG Metall steht fest: Outsourcing zur Umgehung von Tarifverträgen und als Dum- ping darf es nicht geben. Hier ist der Gesetz- geber gefordert, wir brauchen dringend mehr Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Nicht zuletzt müssen die Kontrollen verbessert werden. Die Überwa- chung von Missbrauch von Werkverträgen muss Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarz- arbeit des Zolls werden, die personellen und finanziellen Ressourcen dafür gehören aufge- stockt. Darüber hinaus brauchen wir ein Beschwerdemanagement, das Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräten ermög- licht, Hinweise auf Missbrauch zu melden. Dabei kann die Arbeit des Projekts Faire Mobilität durchaus als Vorbild dienen. Projekt Faire Mobilität www.faire - mobilitaet.de Seit über vier Jahren arbeitet Faire Mobili- tät mit inzwischen elf Beraterinnen und Beratern an sechs Standorten als bundes- weiter Projektzusammenhang. Die Bera- tungsstellen sind inzwischen so stark nachgefragt, dass wir immer öfter die Notbremse ziehen und Ratsuchende abweisen müssen. Nur gut, dass mitt- lerweile auch einige Länder auf die Arbeitswelt fokussierte Beratungsstel- len für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa eingerichtet haben. Nach Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben sich jetzt auch Hessen und Schleswig-Hol- stein zu diesem Schritt entschlossen. Faire Mobilität und die länderfinanzierten Bera- tungsstellen bilden zusammen ein bundes- weites Beratungsnetzwerk. Ob wir dieses Netzwerk erhalten können, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Der Bezirksleiter der IG-Metall Baden Würt- temberg, Roman Zitzelsberger, thematisiert in seinem Gastbeitrag die Praxis des Lohn- dumpings durch Werkverträge, ein Dauer- brenner, der uns weiterhin intensiv beschäfti- gen wird. Wir zeigen an zwei Fallbeispielen, welche besondere Mischung Werkverträge im Zusammenspiel mit der Entsendung von Beschäftigten aus dem Ausland darstellen können. Außerdem beschäftigen wir uns in einem dritten Beispiel mit Fällen, in denen Fachpflegekräfte aus dem Ausland in Ver- tragskonstruktionen gelockt werden, die ihnen – vorsichtig gesagt – zum Nachteil gereichen. Darüber hinaus werfen wir einen Blick auf das Fallaufkommen unserer Beratungsstellen. Wie oben erwähnt: Mehr geht nicht! Auf der letzten Seite dokumen- tieren wir den Stand des European Faire Mobility Networks, eines EU-Projekts, das die Arbeit von Faire Mobilität ergänzt und das wir ebenfalls für ausbaufähig halten. Gastbeitrag von Roman Zitzelsberger Outsourcing zur Umgehung von Tarifverträgen und als Dumping darf es nicht geben Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG-Me- tall Baden Württemberg Editorial

Newsletter Faire Mobilität, Ausgabe Nr. 2, deutsch

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Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv

Newsletter Februar 2015 Nr. 2

In den letzten Jahr-zehnten haben sich die Produktionsstruk-turen in allen wichti-gen Indus trie branchen fundamental verän-dert. Das geschieht durch Leiharbeit und Ausgliederungen von Aufgaben in Werkver-träge: Waren noch vor 30 Jahren Entwick-

lung, Fertigung und Vertrieb eines Produkts in einem Unternehmen organisiert, wirken heute viele Zulieferer- und Serviceunterneh-men in einer Wertschöpfungskette mit. Dahinter ist das Ziel zu vermuten, die Stamm-belegschaften drastisch zu reduzieren und Kosten zu sparen. Alle Großkonzerne sind heute von Industrieparks umgeben, die auf dem Werksgelände ihre Dienstleistungen erbringen: Dies beginnt bei der IT und hoch-wertigen Entwicklungsleistungen, geht über Instandhaltung und Logistik bis hin zur Vor-montage direkt im Betrieb.Dabei gilt es zu differenzieren: Werkverträge sind grundsätzlich nichts Schlechtes. Wir Gewerkschaften reparieren unsere Autos auch nicht selbst und wir verlangen auch nicht von den Autoherstellern, dass sie eine werkseigene Kantine mit selbst erzeugten Lebensmitteln betreiben. Probleme entstehen dann, wenn Werkverträge missbräuchlich ein-gesetzt werden: Wenn Stammarbeitsplätze ersetzt, Arbeitsrechte umgangen und tarifl i-che Mindeststandards unterlaufen werden. Dies trifft auf die Fälle, um die sich die Bera-tungsstellen des Projekts Faire Mobilität kümmern, zweifelsfrei zu. Dass ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oft-

mals ausreichende Kenntnisse des deutschen Arbeitsrechts fehlen, wird hier ganz offen-sichtlich ausgenutzt. Dies ist an sich schon menschenverachtend – noch schlimmer wird es, wenn „billige“ Arbeit der Werkvertragsbe-schäftigten ausgerechnet für hochpreisige Produkte aus dem „Musterländle“ verwandt wird.Wie oft solcher Missbrauch vorkommt, ist schwer zu sagen: Nach Umfragen der IG Metall vergibt circa ein Drittel der Metall- und Elektrofi rmen Werkverträge. Nach Über-zeugung der Betriebsräte ersetzt in etwa jeder dritte dieser Werkvertragsbeschäftigten einen Stammarbeitsplatz. Fakt ist zudem: Die Arbeitsbedingungen fast aller Werkvertrags-beschäftigten, nicht nur der ausländischen, sind in aller Regel schlechter. Oft gelten für sie keine Tarifverträge, es gibt weder Betriebs-räte noch Urlaubsgeld, Mehrarbeit bleibt unbezahlt. Und das trifft nicht nur für einfa-chere Arbeit zu.Für die IG Metall steht fest: Outsourcing zur Umgehung von Tarifverträgen und als Dum-ping darf es nicht geben. Hier ist der Gesetz-geber gefordert, wir brauchen dringend mehr Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Nicht zuletzt müssen die Kontrollen verbessert werden. Die Überwa-chung von Missbrauch von Werkverträgen muss Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarz-arbeit des Zolls werden, die personellen und fi nanziellen Ressourcen dafür gehören aufge-stockt. Darüber hinaus brauchen wir ein Beschwerdemanagement, das Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräten ermög-licht, Hinweise auf Missbrauch zu melden. Dabei kann die Arbeit des Projekts Faire Mobilität durchaus als Vorbild dienen.

Projekt Faire Mobilität www.faire -mobilitaet.de

Seit über vier Jahren arbeitet Faire Mobili-tät mit inzwischen elf Beraterinnen und Beratern an sechs Standorten als bundes-weiter Projektzusammenhang. Die Bera-tungsstellen sind inzwischen so stark nachgefragt, dass wir immer öfter die Notbremse ziehen und Ratsuchende abweisen müssen. Nur gut, dass mitt-lerweile auch einige Länder auf die Arbeitswelt fokussierte Beratungsstel-len für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa eingerichtet haben. Nach Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben sich jetzt auch Hessen und Schleswig-Hol-stein zu diesem Schritt entschlossen. Faire Mobilität und die länderfi nanzierten Bera-tungsstellen bilden zusammen ein bundes-weites Beratungsnetzwerk. Ob wir dieses Netzwerk erhalten können, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.Der Bezirksleiter der IG-Metall Baden Würt-temberg, Roman Zitzelsberger, thematisiert in seinem Gastbeitrag die Praxis des Lohn-dumpings durch Werkverträge, ein Dauer-brenner, der uns weiterhin intensiv beschäfti-gen wird. Wir zeigen an zwei Fallbeispielen, welche besondere Mischung Werkverträge im Zusammenspiel mit der Entsendung von Beschäftigten aus dem Ausland darstellen können. Außerdem beschäftigen wir uns in einem dritten Beispiel mit Fällen, in denen Fachpfl egekräfte aus dem Ausland in Ver-tragskonstruktionen gelockt werden, die ihnen – vorsichtig gesagt – zum Nachteil gereichen. Darüber hinaus werfen wir einen Blick auf das Fallaufkommen unserer Beratungsstellen. Wie oben erwähnt: Mehr geht nicht! Auf der letzten Seite dokumen-tieren wir den Stand des European Faire Mobility Networks, eines EU-Projekts, das die Arbeit von Faire Mobilität ergänzt und das wir ebenfalls für ausbaufähig halten.

Gastbeitrag von Roman Zitzelsberger

Outsourcing zur Umgehung von Tarifverträgen und als Dumping darf es nicht geben

Roman Zitzelsberger,

Bezirksleiter der IG-Me-

tall Baden Württemberg

Editorial

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Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv

Lorenz Dietsche, der Geschäftsführer der Binz GmbH, die sich mit etwa 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die Herstellung von Sonderfahrzeugen spezialisiert hat, begegnet Vorwürfen, in seinem Unternehmen würden polnische Beschäftigte ausgebeutet, mit Unverständnis.Die Fakten, die eine Reporterin des Südwest-rundfunks Stuttgart in einem Fernsehbeitrag schon im April 2014 dargelegt hat, stützen sich auf den Bericht eines Polen, der nach längerer Anstellung sein Schweigen brach und sich an die Beratungsstelle Faire Mobili-tät in Stuttgart wandte. Die fi rmeneigene Tochterfi rma PB Composit GmbH vergibt dem Arbeiter zufolge seit mehreren Jahren Werk-verträge für Lackier- und Produktionsarbeiten an polnische Unternehmen. Die Namen die-ser Subunternehmen wechseln dabei regel-mäßig, die der polnischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auf dem Werksgelände von Binz für Subunternehmen arbeiten,

jedoch nicht – ein gewohntes Verfahren zur Kostenminimierung und zur Verlängerung von Entsendungen. Die Lohn- und Arbeitsbedingungen für die etwa 40 polnischen Fachkräfte unterscheiden sich gravierend von denen ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen. Statt einer 35-Stunden-Woche und eines Bruttostunden-lohns von etwa 20 Euro erhalten die polni-schen Arbeitskräfte einen Stundenlohn von nur sechs Euro. Zudem wurde eine tägliche Stückzahl vereinbart, die so hoch sei, dass es regelmäßig zu Mehrarbeit und Arbeitstagen mit bis zu 14 Stunden komme. Die Mehrar-beit – so der Vorwurf der Beschäftigten – werde nicht bezahlt, ebenso wenig ein Zuschlag für die regelmäßige Sonntagsarbeit. Außerdem seien die polnischen Fachkräfte in schlechten Sammelunterkünften unterge-bracht. Am Arbeitsplatz würden sie massiv kontrolliert, Pausen von Vorarbeitern häufi g untersagt.

Der Geschäftsführer der Firma Binz beteuert, dass seine Firma die Lohn- und Unterbrin-gungsbedingungen regelmäßig überprüft habe. Das polnische Werkvertragsunterneh-men hätte dabei Lohnzahlungen von neun bis elf Euro vorgelegt, weshalb man von den angeblichen Missständen völlig überrascht sei. Die Verantwortung allein dem Werkver-tragsunternehmen anzulasten wäre wohl zu einfach. Dies sah auch Herr Dietsche ein und versprach, jeden einzelnen Vorwurf zu prüfen und die Ergebnisse offenzulegen. Der Bericht steht bis heute aus. Stattdessen kündigte das polnische Werkvertragsunternehmen dem Arbeiter, der die Missstände vor der Kamera geschildert hatte. Ihm wurde damit gedroht, alle polnischen Firmen, die nach Deutschland entsenden, vor ihm zu warnen. Ein gängiges Verfahren zur Einschüchterung, das wir auch aus anderen Branchen, etwa der Fleischin-dustrie, nur zu gut kennen.Dr. Dorota Kempter, Christoph LaugFaire Mobilität Stuttgart

„Entweder wir halten den Mund oder wir fl iegen raus!“ Mehrere der umstehenden Beschäftigten stimmen der Aussage des Kol-legen zu, die dieser bei einem Beratungsge-spräch in einer Arbeiterunterkunft in der Nähe von Frankfurt am Main äußert. Sie gehören zu einer größeren Gruppe von ent-sandten Rumäninnen und Rumänen, die in einem Schlachthof in Hessen arbeiten. Die Bedingungen, die ihnen die Entsendefi rmen vorschreiben, haben es in sich: Das monatli-che Grundgehalt beträgt bei einer 40-Stun-den-Woche 850 rumänische Lei, das sind rund 180 Euro. Dazu kommen Spesen, auf die keine Steuern und Sozialabgaben anfallen.Die Tatsache, dass es in der Fleischwirtschaftseit Monaten einen Branchenmindestlohn gibt, der auch für entsandte Beschäftigte gilt, scheint hier noch nicht angekommen zu sein. Der niedrige Lohn wird durch Abzug von Unterbringungskosten noch weiter gedrückt. Dieses Geschäftsmodell betreiben viele rumä-nische, ungarische oder polnische Werkver-tragsfi rmen seit Jahren. Das kommt deut-schen Schlachthöfen zugute. Über den

Umweg der Vergabe eines Werkvertrags an ausländische Firmen können sie billige, hoch-disponible Arbeitskräfte einkaufen, für die sie keinerlei Verantwortung übernehmen müs-sen. Mehrere Beschäftigte berichten, dass sie schon seit über zehn Jahren als entsandte Beschäftigte in Deutschland arbeiten. Soweit ihnen bekannt, seien für sie noch nie Sozial-versicherungsbeiträge in Deutschland abge-führt worden. Möglich ist dies, weil die Beschäftigten formal nur für zwei Jahre ent-sandt werden. Nach Ablauf dieser Zeit müssten ihre Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland abgeführt werden. Um dies zu umgehen, wird ihr Arbeitsvertrag für zwei Monate unterbrochen und dann durch einen neuen Arbeitsvertrag ersetzt. Die Entsendung kann nun wieder von vorne beginnen, und die Beiträge können weiterhin in Rumänien abgeführt werden.Ein anderes Thema, das die Gruppe beschäf-tigt und das bei den Beraterinnen und Bera-tern von Faire Mobilität immer wieder Kopf-zerbrechen bereitet, sind intransparente Lohnabrechnungen. Die Männer und Frauen

halten ein zehn mal zehn Zentimeter großes Papier in der Hand, dem nur wenige Angaben – etwa der rumänische Nettolohn, die Abzüge für Versicherungen, Abschlagszahlungen und der in Deutschland ausgezahlte restliche Lohn – zu entnehmen sind. Dabei ignorieren die Unternehmen die Tatsache, dass es auch in Rumänien gesetzliche Regelungen über Min-destangaben einer Entgeltabrechnung gibt, zu denen auch die Aufl istung von Urlaubs- und Krankheitstagen zählt. Aber Urlaub und Krankheit – so erläutert die Gruppe – gäbe es sowieso nicht. Natürlich könne man sich ab und zu freinehmen, um sich zu erholen oder nach einer Krankheit auszukurieren. Aber dann gäbe es eben auch kein Geld. Wer richtig krank werde, würde entlassen und könne nach Rumänien zurückkehren. Bisher halten diese Beschäftigten weiterhin den Mund. Letitia Matarea-TürkFaire Mobilität Frankfurt am Main

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Arbeitsausbeutung in einem schwäbischen Automobilunternehmen

Zu Besuch bei rumänischen Werkvertragsbeschäftigten

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Seit April vergangenen Jahres häufen sich Anfragen von Pfl egefachkräften vor allem aus Spanien, Polen und Bulgarien, die sich, nach Anwerbung durch Kliniken und andere Einrich-tungen, mit äußerst fragwürdigen Vertragskons-truktionen konfrontiert sehen. In Deutschland angekommen erhalten sie einen drei- bis sechs-monatigen Sprachkurs. Hintergrund ist eine Ver-ordnung, die vorsieht, dass alle, die in Deutsch-land als Krankenpfl egerin oder Krankenpfl eger arbeiten wollen, ein B2-Sprachniveau vorweisen müssen. Diese Sprachkurse werden in der Regel von den deutschen Unternehmen organisiert und aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds bezahlt. Für einen Teil der Zeit – meistens die ersten drei Monate –, in der die Kurse absolviert werden, stellen die Unternehmen ihre Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter frei. Für die restliche Zeit bis zum Bestehen des Sprachtests werden sie als Hilfskräfte eingesetzt. Um ihre Investition zu sichern und zu verhindern, dass die Pfl ege-kräfte frühzeitig kündigen, bestehen die Unter-nehmen auf Zusatzverträge, in denen vereinbart wird, dass die Fachkräfte eine bestimmte Zeit, in der Regel drei Jahre, im Unternehmen verblei-

ben müssen. Wollen sie früher gehen, müssen die Beschäftigten die Kosten für die Freistellung zurückzahlen. Dabei handelt es sich um Beträge von 6.000 bis 10.000 Euro. Unterm Strich profi -tieren die Unternehmen von der Ausbildung, die im Ausland absolviert wurde, wälzen die Kosten für die Anpassung der Qualifi kation an den deutschen Arbeitsmarkt auf die Pfl egekräfte ab und schränken damit deren freie Wahl des Arbeitgebers ein. Denn die Angst vor den Rück-zahlungen hält die Kolleginnen und Kollegen häufi g davon ab, ihre Arbeitsverhältnisse selbst dann zu kündigen, wenn sie als extrem unfair und als große Belastung wahrgenommen wer-den.Doch es geht noch schlimmer: Mitte Januar meldeten sich bei Faire Mobilität Berlin bulgari-sche Krankenschwestern aus Sofi a. Sie gaben an, mit der bulgarischen Niederlassung der deutschen Leiharbeitsfi rma PMK Medical Care GmbH einen Arbeitsvertrag und einen Zusatz-vertrag abgeschlossen zu haben. Darin haben sich die Frauen verpfl ichtet, in Sofi a einen drei-monatigen Deutschkurs zu absolvieren, in Deutschland eine Prüfung zur Erreichung des

B2-Sprachniveaus abzulegen und dann für min-destens ein Jahr bei der PMK Medical Care GmbH als Leiharbeitnehmerinnen zu arbeiten. Die Gebühren für den Sprachkurs werden auf 1.800 Euro beziffert. Dieser Betrag muss von den ersten Monatsgehältern zurückgezahlt werden. Falls die Frauen die Leiharbeitsfi rma vor Ablauf eines Jahres verlassen, müssen sie 5.000 Euro Vertragsstrafe zahlen. Zusätzliche 3.000 Euro sollen fällig werden, wenn Dritten über die Vertragsgestaltung Auskunft gegeben wird. Dass ein B2-Sprachniveau in drei Monaten nicht zu erreichen ist, dürfte auch den Verant-wortlichen bei der PMK Medical Care GmbH klar sein. Ein profi tables Modell: Die Leiharbeits-fi rma kann gut ausgebildete Pfl egekräfte als bil-lige Hilfskräfte zum Verleih auf dem Markt anbieten, denn solange der Sprachtest nicht bestanden ist, dürfen sie nicht als qualifi zierte Fachkräfte arbeiten. Beschwerden über die schlechten Arbeitsbedingungen sind kaum zu befürchten – die Angst, Vertragsstrafen zahlen zu müssen, ist zu groß.Vladimir Bogoeski, Dr. Sylwia TimmFaire Mobilität Berlin

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Februar 2015

Von ausländischen Pfl egekräften, Sprachkursen und Knebelverträgen

2014 war die Nachfrage nach dem Beratungs-angebot von Faire Mobilität ungebrochen groß. Die sechs Beratungsstellen mit ihren ins-gesamt elf Beraterinnen und Beratern haben im letzten Jahr über 5.500 Personen in 2.729 Fällen betreut. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Anstieg um 50  Prozent. In einigen Bera-tungsstellen bedeutet dies zwischen 60 bis über 80 neue Kontaktaufnahmen pro Monat, die zu der Betreuung laufender Fälle hinzu-kommen. Weiterhin braucht ein Großteil der Ratsuchenden Unterstützung beim Thema Bezahlung (etwa 35 Prozent). Ebenfalls häufi g sind Fragen zu Arbeits- und Werkverträgen oder zum Umgang mit Kündigungen. Beson-ders beim Thema Arbeits- und Werkverträge haben sich die Zahlen gegenüber dem Vorjahr deutlich verändert: Während der Bereich 2013 in nur acht Prozent der Beratungen eine Rolle spielte, waren es 2014 rund 14 Prozent. Ratsu-chende kommen nach wie vor aus vielen ver-schiedenen Branchen. Etwa ein Fünftel stammt aus dem Baugewerbe. Jeweils rund 15 Prozent

arbeiten in dem Bereich Haushalt und Pfl ege oder in der Logistikbranche. Beschäftigte in der Gebäudereinigung, Metall- und Elektroindus-trie und Gastronomie suchen die Beratungs-stellen ebenfalls häufi g auf. Wichtigstes Her-kunftsland ist weiterhin Polen mit rund 55  Prozent der Ratsuchenden. Der Anteil der bulgarischen Ratsuchenden verringerte sich von 30 Prozent im Jahr 2013 auf 16,5 Prozent. Der Anteil der Anfragen rumänischer Staats-bürgerinnen und -bürger sank ebenfalls im

Vergleich zum Vorjahr und lag bei etwa sieben Prozent. Deutlich zugenommen haben prozen-tual die Anfragen von Beschäftigten aus Kroa-tien (2014 rund acht Prozent) und Ungarn (2014 rund zehn Prozent). In so gut wie allen Fällen konnte den Ratsuchenden, teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Stellen, weiter-geholfen werden. Insgesamt sind die Bera-tungsstellen mit dem Fallaufkommen inzwi-schen mehr als ausgelastet.

Beratungsstellen voll ausgelastet – Ratsuchende kommen aus allen Branchen

Baugewerbe20%

Gebäude-reinigung

10%

Haushaltshilfe/Pflege14%

Metall/Elektro10%

Fleisch-industrie

5%

Transport/ Logistik/Lager

16%

Gartenbau/ Landwirtschaft

3%

Gastronomie7%

Sonstiges15%

Herkunft der

Ratsuchenden nach

Branchen 2014

4

Das Projekt Faire Mobilität unter-stützt mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuro-päischen EU-Staaten bei der Durchsetzung von Löhnen und fairen Arbeitsbedingun-gen. In den sechs Erstberatungsstellen in Berlin, Hamburg, Dortmund, Stuttgart, Frankfurt am Main und München können sich mobile Beschäftigte in ihren Landes-sprachen hinsichtlich arbeits- und sozial-rechtlicher Fragen informieren und Unterstützung finden. Es werden Infor-mationsmaterialien in verschiedenen Sprachen erstellt und verteilt sowie Bil-dungsmaterialien entwickelt und Seminare angeboten, die hinsichtlich der Situation von mobilen Beschäftigten sensibilisieren und aufklären. Das Projekt verfügt über einen Beirat, dem Vertreterinnen und Ver-treter von Gewerkschaften aus Deutsch-land, Polen, Rumänien und Bulgarien sowie des deutschen und des polnischen Arbeits- und Sozialministeriums angehö-ren. Die politische Verantwortung des Pro-jekts liegt beim DGB-Bundesvorstand. Weitere Projektpartner sind das bfw – Unternehmen für Bildung, der Europäische Verein für Wanderarbeiterfragen (EVW), die Project Consult GmbH (PCG) und das DGB Bildungswerk Bund.

Februar 2015

Faire Mobilität läuft im Oktober 2015 aus. Die beteiligten Projektträger sind sich darin einig, auf der bisherigen Basis der Zusammenarbeit kurzfristig eine Verlängerung von 30 Monaten zu beantragen. Der hohe Beratungsbedarf ist nicht alleine über von Ländern und Kommu-nen fi nanzierten Beratungsstellen abzude-cken. Langfristig müssen die Aktivitäten der Länder und des Bundes jedoch besser aufein-ander abgestimmt werden, hierzu wäre die Entwicklung eines Bund-Länder-Programms sinnvoll. Gleichzeitig muss die Bundesregie-rung innerhalb der nächsten zwei Jahre die

Arbeitnehmererleichterungs- und die Entsen-derichtlinie umsetzen. Beide EU-Richtlinien sehen u.a. vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aus anderen EU-Staaten kommen, besser über ihre Rechte informiert und dafür sogen. Kontaktstellen eingerichtet werden sollen. Es ist zu hoffen, dass das Bun-desministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bei der Entwicklung von Konzepten die Erfahrungen von Faire Mobilität und anderer Beratungsstellen berücksichtigt und auf dem gelegten Fundament aufbaut.

Das Projekt Faire Mobilität soll verlängert werden

Das Projekt European Fair Mobility Network läuft im März/April 2015 aus. Träger des ein-jährigen Projekts ist Arbeit und Leben Berlin, weitere Kooperationspartner sind der DGB-Bundesvorstand und die Hans-Böck-ler-Stiftung. Im Rahmen dieser vorbereiten-den Maßnahme der EU-Kommission setzen sich Faire Mobilität und die gewerkschaftli-chen Partnerorganisationen KNSB/CITUB aus Bulgarien, ZSSS aus Slowenien und FGS-Fa-milia aus Rumänien konkrete Ziele: Die Ein-richtung jeweils einer Kontaktstelle für mobile Beschäftigte in den drei Partnerlän-dern, die Schulung der dort eingesetzten Beraterinnen und Berater im deutschen Arbeitsrecht und die Entwicklung von mehr-sprachigen Informationsmaterialien für die Beschäftigten. Eine mehrsprachige Website, auf der unter anderem die erarbeiteten Infor-mationsmaterialen heruntergeladen werden können, wurde zu Beginn des Jahres freige-schaltet (www.fair-labour-mobility.eu). Die Flyer mit konkreten Handlungshinweisen für die Beschäftigten und den Kontaktdaten aller Projektpartner werden in den beteiligten Beratungsstellen verteilt und dienen als Vor-lage für weiteres Informationsmaterial. Auf diese Weise sollen mobile Beschäftigte, die

nach Deutschland kommen, besser vor Aus-beutung geschützt werden. Die neuen Kon-takte zwischen den Beraterinnen und Bera-tern von Faire Mobilität und den neuen Kontaktstellen in Slowenien, Rumänien und Bulgarien haben sich in der Praxis schon bewährt. In mehreren Fällen konnte Beschäf-tigten mithilfe der Kooperation länderüber-greifend geholfen werden. Diese Zusammen-arbeit möchten alle Beteiligten auch nach dem abschließenden Treffen in Sofi a, Ende Februar, aufrechterhalten.

Grenzübergreifend gegen Ausbeutung

Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv

Impressum

Herausgeber: Projekt Faire MobilitätDGB, Keithstr. 1 – 3, 10787 Berlin Tel.: 030/21 24 05 [email protected]: Dominique John, Karolin Nedelmann, JochenEmpen, Volker Roßocha, Charlotte PscheidlSatz/Grafi k: Julika MatthessV.i.S.d.P.: Annelie Buntenbach Berlin, Februar 2015

Gefördert durch:

European Fair Mobility Project

Bun venit Добре дошли Dobrodošli Welcome Willkommen

European Fair Mobility Project

Entsandt beschäftigt – Sie haben Rechte!

Beratungsstellen für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropawww.fair-labour-mobility.eu

ProjektleitungDominique JohnTelefon (+49) 030/21 24 05 40 [email protected]

Vladimir BogoeskiTelefon (+49) 030/21 23 29 96 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität DortmundSzabolcs SepsiTelefon (+49) 0231/54 50 79 82 [email protected]

Stefanie AlbrechtTelefon (+49) 0151/12 28 18 57 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität HamburgJochen EmpenTelefon (+49) 0151/22 21 64 38 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität bei CITUB (KNSB) in Sofi a, Bulgarien Nelly BotevskaTelefon (+359) 024 01 04 [email protected] Gramovska Telefon (+359 ) 024 01 04 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität BerlinDr. Sylwia TimmTelefon (+49) 030/21 01 64 37 [email protected]

Vladimir BogoeskiTelefon (+49) 030/21 23 29 96 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität MünchenNadia KlugeTelefon (+49) 089/51 39 90 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität StuttgartDr. Dorota KempterTelefon (+49) 0711/12 09 36 35 [email protected]

Katarina FrankovicTelefon (+49) 0711/12 09 36 36 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität Frankfurt/MainLetitia Matarea-TürkTelefon (+49) 069/27 29 75 [email protected] ZambronTelefon (+49) 069/27 29 75 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität bei ZSSS in Ljubljana, Slowenien Ana JakopičTelefon (+386) 031 68 96 [email protected]

Beratungsstelle Faire Mobilität bei FGS Familia in Bukarest, Rumänien Dan CristescuTelefon (+40) 03 12 38 [email protected]

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Projektpartner:

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