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KOGNITIVE
KOMMUNIKATIONSSTÖRUNGEN
DIE SUCHE NACH DEM „ROTEN FADEN“ IN SPRACHE (UND
HANDELN)
Dr. I. Rubi-Fessen, Dipl. Logopädin
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Kognitive Kommunikationsstörungen
„Cognitive communication disorders“ sind nach Definition der American Speech-Language-Hearing Association (ASHA 2005):
Störungen der Kommunikation nach einer Hirnschädigung, ausgelöst durch Störungen
der exekutiven Funktionen
der Aufmerksamkeit
von Gedächtnisprozessen
2
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Kognitive Kommunikationsstörungen
Zentral verursachte Beeinträchtigungen der Kommunikation ohne klassische aphasische Symptome. (Glindemann & von Cramon 1995, Glindemann 2001)
Betroffen sind in der Regel die kognitiven Exekutiv-funktionen, die die Planung und Steuerung sprach- und kommunikationsrelevanter Verarbeitungsprozesse betreffen
Läsionsort: meist uni- oder bilaterale frontale Läsionen
3
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene: Weltwissen, Planung von
Sprechhandlungen
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax Lexikon
Phonologie
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax Lexikon
Phonologie
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax Lexikon
Phonologie
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax
Lexikon
Einfall Abfall Apfel Birne Traube Obst
Phonologie
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax
Lexikon
Einfall Abfall Apfel Birne Traube Obst
Phonologie /Apfel/ /Afel/ /Aple/
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax
Lexikon
Einfall Abfall Apfel Birne Traube Obst
Phonologie /Apfel/ /Afel/ /Aple/
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene: Weltwissen, Planung von
Sprechhandlungen
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax Lexikon
Phonologie
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Sprechapraxie
Dysarthrophonie
Aphasie
Demenz
Vom Gedanken zum Wort…
Konzeptebene: Weltwissen, Planung von
Sprechhandlungen
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax Lexikon
Phonologie
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Störungen der Exekutivfunktionen,
der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses
Können zu kognitiven Kommunikationstörungen /
Nicht-aphasischen
Kommunikationsstörungen führen als
Störung der Organisation des
Kommunikationsprozesses
Erfordert…
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Störung der exekutiven Funktionen beeinträchtigen
Planen
Problemlösen
Initiierung und Kontrolle (kommunikativer) Handlungen
Fokussierung der Aufmerksamkeit
Hemmung irrelevanter Informationen und Prozesse
Task Management
Planung und Abfolge von Handlungsschritten zur Zielerreichung
Monitoring von Handlungsfolgen… (vgl. Büttner & Glindemann 2018)
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Konzeptebene
Laut-/Schriftsprach-System
Syntax Lexikon
Apfel Apfelkuchen Geburtstag
feiern Geschenk Stereoanlage
Phonologie /Stereoanlage/
Sprechmotorisches System
Programmierung
Sprechmotorisches System
Ausführung: Phonation, Artikulation
Störungen der exekutiven Funktionen
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Kognitive Kommunikationsstörungen
Sehr breites und heterogenes Bild mit
unterschiedlichen Ausprägungsgraden
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Schwere Defizite in semantischen Kategorisierungsaufgaben
Subtile Defizite auf Diskursebene
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Kognitive Kommunikationsstörungen: Ursachen
Schädel-Hirn-Traumata
Infarkte und Blutungen (v.a. A. cerebri anterior und A. cerebri media rechts)
Tumore
Enzephalien
Multiple Sklerose
Demenzielle Erkrankungen (PPA, DAT, FTD)
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Verhaltensauffälligkeiten
Mangelnde Wahrnehmung kognitiver Defizite und Störungseinsicht
Antriebsstörungen
Ideenarmut
Mangelnde Flexibilität
Regelverstöße
Vorschnelle Handlungen
Perseverationen
Taktloses Verhalten
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Störungen kommunikativer Handlungen / Pragmatik
Vernachlässigung des Sprecherwechsels („turn taking“)
Keine Reaktionen gegenüber „turn-claim-singals“
(Aufrichten, hörbares Einatmen)
Unangemessener Ausdruck
Wenig verbale („mh“, „ja“) oder nonverbale (z.B.
Nicken) Rückmeldungen
Fehlen kommunikativer Reparaturhandlungen („repairs“)
wie Nachfragen oder Bitte um Wiederholung
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Mögliche sprachliche Auffälligkeiten
Überschießende, aber auch verminderte Sprachproduktion
Echolalie, Perseverationen
Semantisch vage und undifferenzierte Äußerungen
Umschreibungen Wortfindungsstörungen? weil kein spezifischer Eintrag aktiviert wird dadurch „semantische Paraphasien“
Abweichungen vom Thema, „ vom Hölzchen aufs Stöckchen“
Verstehen von Metaphern, Witzen kann gestört sein
Inkohärente Sprache (inhaltliche Sprünge)
Betonung nebensächlicher Details
Beeinträchtigung der Wortflüssigkeit / Regelverstöße
Probleme beim Verstehen und Produzieren von Texten
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Störungen der Verarbeitung auf Wortebene (nach Büttner & Glindemann, 2018)
Benennen
Konfrontativ +
Niedrigfrequent ~
Wortflüssigkeit
Reduziert, Regelbrüche, Perseverationen, Konfabulationen
Semantisches Diskriminieren
Probleme bei der semantischen Diskriminierung
Auflösen von Ambiguitäten
Wortabruf
Zugriff auf Konnotationen erschwert
Wortebene
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Probleme bei der Textproduktion
Unzureichende Aktivierung der vorsprachlichen
Makrostruktur führt zu:
Falscher Chronologie beim Erzählen
Fehlen kausaler Zusammenhänge
Mangelnder inhaltlicher Logik
Weitschweifigkeit
Beispiel Wolff
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Reisepartner bestimmen
Reisezeit festlegen
Route planen Hütte /
Unterkunft buchen
Ausrüstung besorgen
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Probleme beim Textverständnis
Schwierigkeiten bei der Generierung von
Makrostrukturen Kernaussagen/Propositionen werden
nicht entnommen. Belastung des Arbeitsspeichers durch
Details.
Mangelnde Bildung semantischer Inferenzen
(Brückeninferenzen) zur Verarbeitung impliziter
Textinformationen.
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Makroregeln
wandeln eine Reihe von Propositionen in eine Reihe von
anderen oder gleichen Propositionen um
rekonstruieren unseren Sprachgebrauch
organisieren und reduzieren die Informationen des Textes
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Auslassen „irrelevanter“ Propositionen: Ein Mädchen mit einem rosa Kleid kam vorbei: Ein Mädchen kam vorbei. Es trug ein Kleid. Das Kleid war rosa Ein Mädchen kam vorbei.
Selektieren: Anne kaufte Mehl und Zucker, verrührte alles miteinander und backte einen Kuchen: Anne kaufte Mehl und Zucker. Sie verrührte alles. Sie backte einen Kuchen. Anne backte einen Kuchen.
Generalisieren „Ersetzung durch Superkonzept“: Eine Katze ist im Tierheim. Ein Hund ist im Tierheim. Kaninchen sind im Tierheim: Eine Katze ist im Tierheim. Ein Hund ist im Tierheim. Kaninchen sind im Tierheim Haustiere sind im Tierheim
Konstruieren (Integrieren) eines globaleren Konzeptes: Ich ging zum Bahnhof. Ich kaufte eine Fahrkarte. Ich stieg in den Zug. Der Zug fuhr ab: Ich ging zum Bahnhof. Ich kaufte eine Fahrkarte. Ich stieg in den Zug. Der Zug fuhr ab. Ich nahm den Zug
4 Makroregeln
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Semantische Inferenzen
Proposition, „die beim Textverstehen automatisch oder
strategisch generiert wird, um dein expliziten Textinhalt
durch zusätzliche Informationen aus dem semantischen
und episodischen Wissen zu erweitern“ (Büttner 2016)
Die Generierung erfordert:
Planerische Fähigkeiten
Aufmerksamkeit
Kapazität des Arbeitsspeichers
Monitoring
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„Er hat viel Stress hinter sich“
Aus: Aachener Aphasie Test, Huber et al. 1983
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Diagnostik
Bildgebung (frontale Läsion) und Ausschlussverfahren (z.B. unauffällige Schriftsprache und Token-Test des AAT)
Anamnese z.B. Achhammer et al. (2016)
MAKRO Büttner (2014, 2018)
MEC Protocole Montréal d´Evaluation de la Communication Scherrer et al. (2016)
Fragebögen zur Erfassung pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten (z.B. Drechsler 1997, Arnold et al. 2009., Büttner et al. in Vorb.)
Checkliste für Kognitive Kommunikationsstörungen nach Erworbener Hirnschädigung (CCCABI-DE) Quinting & Jonas (2019)
BEI INTERESSE: https://brainandcommunication.ca oder Mail an: [email protected]
Bogenhausener Semantikuntersuchung (BOSU) Glindemann et al. (2002)
Nonverbaler Semantiktest (NSVT) Hogrefe (in Vorb.)
Regensburger Wortflüssigkeitstest (RWT) Aschenbrenner et al. (2002)
Aphasie-Check-Liste (ACL) v.a. Kognition Kalbe et al. (2002)
Aufmerksamkeits- und Gedächtnisdiagnostik (AGD) Heidler (2006)
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Bogenhausener Semantik Untersuchung (BOSU) Glindemann et al. 2002
Untersuchung der semantischen Fähigkeiten neuropsychologischer Patienten (Menschen mit Aphasie, aber mit Störungen der Exekutivfunktionen oder mit Demenz
Weitgehen sprachfreie Beurteilung semantischer Relationen (kontextabhängig und kategoriell)
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
BOSU: Untertests
1. Zuordnen von Objekten in Situationen
Zuordnen von Objekten anhand von Musterwissen,
das in Situationsmodellen repräsentiert ist.
2. Sortieren von Objekten nach semantischen
Hauptmerkmalen
Beispiel: Ohr, Auge, Nase – Fahrrad vs.
Hahn, Henne, Ei – Löffel
3. Sortieren von Objekten nach semantischen
Nebenmerkmalen
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
BOSU: Untertests
4. Semantisches Sortieren geschriebener Wörter
Voraussetzung sind die Analyse der graphematischen Struktur
sowie die lexikalische Einordnung der Items im Arbeitsspeicher und
erst dann Überprüfung hinsichtlich der semantischen Relation.
Beispiel: Laub, Stamm, Zweig – Buch vs. fühlen, riechen, hören – wachsen.
5. Sortieren von Objekten nach Farben
Farbzuordnung von Objekten. Von 4 kolorierten Objekten soll das
mit der prototypischen Farbe ausgewählt werden.
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Nonverbaler Semantiktest (NVST) (Hogrefe et al. In Vorbereitung)
Überprüft die Semantik in unterschiedlichen
Modalitäten
Fasst bestehende Verfahren zusammen:
• Bogenhauser Semantik-Untersuchung (Untertest 1-3,
Glindemann, Klintwort, D., Ziegler, W., &
Goldenberg, G., 2002)
• Pantomime- und Zeichnen Test (z.B. Goldenberg et
al., 2007)
Standardnormierung für Demenz und Aphasie
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Hogrefe, K., Glindemann, R., Ziegler, W., & Goldenberg, G. (erscheint vorauss. 2019): Nonverbaler Semantiktest
(NVST). Göttingen: Hogrefe Verlag.
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Untersuchung der Fähigkeiten zur Textrezeption und
Textproduktion von Menschen mit Störungen der exekutiven
Funktionen
Testaufbau: 2 parallele Versionen
a)Textrezeption (Fragen zu vorher gelesenem Text)
b)Textproduktion (Bildergeschichte)
c) Interferenzen (Ergänzen unvollständiger Texte)
d) Alltagstätigkeiten sequenzieren
MAKRO Diskurs- und Textscreening Büttner 2014, 2018
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Textrezeption: Fragen zum Text
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Textproduktion
Bildergeschichte 4 und 8 Bilder
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Inferenzen
Brückeninferenzen bilden
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Prozedurale Sequenzen
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Auswertungsbogen
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MEC Protocole Montréal d´Evaluation de la Communication
Scherrer et al. (2016)
Umfangreiches normiertes Testverfahren zur
Untersuchung der Kommunikation.
Fragen zum Störungsbewusstsein
Spontansprache (Beobachtungsraster)
Verständnis von Metaphern (Der Lehrer ist eine Schlaftablette)
Wortabruf (Formal-Lexikalisch, semantisch)
Semantisches Beurteilen (Synonymie)
Verstehen indirekter Sprechakte (Situation – Beurteilung)
Linguistische Prosodie (Satzmelodie: Frage, Aussage, Befehl)
Emotionale Prosodie (Verstehen / Nachsprechen) (Satzmelodie: Traurig,
glücklich, wütend)
Nacherzählen (Text), Textverstehen
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Verstehen von Metaphern
Indirekte Sprechakte
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Aufmerksamkeits- und Gedächtnisdiagnostik (AGD) Heidler 2006/2009
Informelles Screening, überprüft in Anlehnung an
neuropsychologische Untersuchungsparadigmen:
Orientierung
Formal-lexikalische und semantische Wortgenerierung
Verbale und nonverbale Aufmerksamkeitsbelastung
Visuelle Rekognition
Textreproduktion
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Kommunikationsskala für Patienten mit NAKS (nach Regenbrecht et al. 2005)
0 schwerste kommunikative Störung
keine gezielte sprachliche Kommunikation aufgrund sprachlicher/kognitiver Defizite
1 sehr schwere kommunikative Störung
Verständigung nur vereinzelt durch konkrete Fragen oder Schlussfolgerungen möglich
2 schwere kommunikative Störung
Verständigung nur mit sehr viel gesprächsstrukturierender, inhaltlicher oder sprachlicher Unterstützung möglich, Verständigungssicherung bei unbekannten Themen nicht immer erfolgreich
3 mittelschwere kommunikative Störung
Verständigung mit häufiger Unterstützung möglich, selten unauffällige Kommunikation, Verständigungssicherung immer erfolgreich
4 leichte kommunikative Störung
Verständigung annähernd ungestört möglich, phasenweise unauffällige Kommunikation, selten Verständnissicherung nötig, diese gelingt dann sehr schnell
5 keine Störung
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Therapieansätze
1. Therapie der instrumentellen Handlungs- und Planungsstörungen
bzw. der zugrunde liegenden kognitiven Störung
Neuropsychologie oder „Kognitiv ausgerichtete Sprachtherapie“
(KAS) nach Heidler
2. Therapie der Kommunikativer Handlungen in situativen
Kontexten (z.B. Turn-Taking-Training, Arbeiten am gemeinsamen
Thema, Gruppentherapie Sprachplanung)
3. Sprachtherapie zur Verbesserung von Textverständnis und -
produktion sowie zur verbalen Handlungsplanung
(z.B. nach Claros Salinas, 1993 oder Freudenberg et al., 1997)
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Kognitiv ausgerichtete Sprachtherapie (KAS) nach Heidler
Verbindet Elemente und Methoden aus der
Neuropsychologietherapie und Aphasietherapie
Training kognitiver Grundfunktionen vorwiegend mit
sprachlichem Material nach Bestimmung der individuellen
Störung, z.B.:
Bei Aufmerksamkeitsstörungen:
z.B. Signalentdeckungsaufgaben: Streichen sie alle „b“ durch:
bfdrbdbrsbbdjbplb
Bei Störungen der Exekutivfunktionen:
Z.B. Aufgaben zum divergenten Denken (u.a. Wortflüssigkeitsaufgaben)
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
(Sprach-) Therapie
Überschrift für einen Text oder einzelne Abschnitte finden Generierung von Makropropositionen
Mehrere Aussagen zu einem Satz zusammenfassen: Ich packe den Koffer. Ich gehe zum Bahnhof. Ich kaufe eine Fahrkarte. Ich steige in den Zug Ich verreise
Kernaussagen in Texten unterstreichen
Mündliche oder schriftliche Beantwortung von Fragen zu Texten (mit möglichst wenigen Worten)
Oder: Bildergeschichte sortieren und Bildunterschriften zuordnen.
„Scrambled story“ ohne Bildunterstützung sortieren
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Therapie II
Inkohärenz in Texten erkennen. Fehlende Informationen ergänzen: „Was muss
inzwischen geschehen sein?“: - Wir machen einen Ausflug.
- Die Sonne brennt vom Himmel.
- Auf der Wiese breiten wir die Decke aus und beginnen zu essen.
- Alle werden nass bis auf die Haut.
Mit Hilfe von Stichwörtern z.B. Tagesablauf schildern, komplexe Handlungen in
Teilschritte zerlegen und mündlich ausformulieren (Rezepte, Bauanleitung)
Schätzaufgaben mit Plausibilitätskontrolle
Verbale Planungsaufgaben
WICHTIG: Einsatz von Kontrollroutinen
Verbale kognitive Aufgaben
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Alltagsorientierung
Alltagsorientierte Therapie (AOT; Götze & Höfer, 1999)
Transfer therapeutisch erworbener Fertigkeiten
in den Alltag - erfordert
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Kognition
Motorik Sprache
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Alltagsaufgaben Klinik
Gang zum Kiosk
Pflege
Wege üben, auf angemessene Kleidung achten, Toilettengang vorher
Neuropsychologie/Ergo
Ware auswählen, Waren bezahlen, „Liste“ behalten
Physiotherapie/Ergo
Treppe gehen, Hand einsetzen
Sprachtherapie
Sich mitteilen können, Wunsch äußern, Antworten (Preise)
verstehen
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Alltagsaufgaben häusliches Umfeld
Behördengang
Physiotherapie
Wege zurücklegen, Transfer ins Auto, Rolltreppe,
ein- und aussteigen
Neuropsychologie / Ergotherapie
Preise vergleichen, Waren bezahlen, sich im Geschäft zurechtfinden
Sprachtherapie
Sich mitteilen können, nach dem Weg fragen, Anliegen vorbringen,
Antworten verstehen
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PATIENTENBEISPIEL
Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Patientin A.V. *04.01.19XX
Medizinische Diagnose:
Subarachnoidalblutung rechtsfrontal aus Aneurisma der Arteria
communicans anterior
Hauptbehinderungssyndrom:
Antriebsminderung, Orientierungsstörung, Wortfindungsstörungen
Sozialanamnese:
Allein lebend, 1 erwachsene Tochter
Beruf:
Chefsekretärin in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Hobby: PC
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Logopädische Diagnose
Kognitive Kommunikationsstörung mit starken Störungen des
Wortabrufs
Spontansprache:
Spontansprachliche Äußerungen stark verlangsamt
Starke Wortfindungsstörungen in Abhängigkeit zur Fragestellung (!)
Vereinzelte (bemerkte) semantische Paraphasien
Keine phonematischen und syntaktischen Auffälligkeiten.
Kurzprüfung Aphasie mit dem Token-Test und Schreiben
nach Diktat aus dem AAT unauffällig keine Aphasie
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
sonstiges
Lautes Lesen sicher und flüssig.
Lesesinnverständnis Wort- und Satzebene unauffällig
Schreiben nach Diktat gut
Massive Probleme bei Fragen nach vertrauten komplexeren Handlungsabläufen (PC-Programm aufrufen, Tagesablauf, Wegbeschreibung)
Textverständnis eingeschränkt, bei Wiedergabe eingeschränkte sprachliche Flexibilität (klebt am Text)
Eingeschränktes Störungsbewusstsein
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Neuropsychologie
Diagnose
Mittelgradige kognitive Störung mit Beeinträchtigung von
Aufmerksamkeits- und exekutiven Funktionen, kognitive
Kommunikationsstörung, Antriebsminderung
Diagnostik (Auswahl)
Aufmerksamkeit: Geteilte Aufmerksamkeit
unterdurchschnittlich.
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Gedächtnis
Arbeitsgedächtnis
Wechsler-Memory-Skale Revised (WSM-R) Zahlenspanne
vorwärts durchschnittlich, Zahlenspanne rückwärts,
Blockspanne vor- und rückwärts unterdurchschnittlich
Langzeitgedächtnis
Bielefelder Kategoriale Wortliste (BKW) Version A
Neuerwerb verbaler Informationen und längerfristiges
Behalten stark beeinträchtigt.
WSM-R: Logisches Gedächtnis 1 und 2 stark beeinträchtigt
WSM-R: Figurales Gedächtnis 1 Überdurchschnittlich und 2
knapp durchschnittlich
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Exekutive Funktionen
Modified Card Sorting Test (MCST) Abbruch
Bogenhausener Planungstest unzureichendes
Analysieren der vorgegebenen Bedingungen,
unsystematisches Vorgehen, mangelnde
Fehlerkontrolle.
Insgesamt zeigte sich eine unzureichende
Ideenproduktion.
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Therapie
Therapieziele Neuropsychologie
Verbesserung von Aufmerksamkeitsfunktionen
Kompensation der Gedächtnisdefizite
Vermittlung von Strategien zur Verbesserung der exekutiven
Defizite
Therapieziele Logopädie
Vermittlung von Strategien zur Verbesserung der exekutiven
Defizite im verbalen Bereich, dh.:
Textverständnis und -reproduktion
Längerfristiges Behalten verbaler Informationen
Strategien zum Wortabruf
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Therapie Neuropsychologie
Gedächtnistagebuch
Aufmerksamkeitstraining
Übungen zur Strukturierung von Informationen
Planung und Bearbeitung neuer Aufgaben mit selbständiger
Fehlerkorrektur
Begleitend psychotherapeutische Gespräche zur Unterstützung der
Krankheitsverarbeitung mit Vermittlung von Strategien zum
Umgang mit der veränderten Leistungsfähigkeit
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Therapie Logopädie
Deblockierungsübungen z.B. durch Umschreibungen und
Visualisierungen
Wortflüssigkeitsaufgaben, Assoziationsübungen
Gliederungshilfen für schriftliche Texte
Zusammenfassungen: Generieren von Makropropositionen
Umgekehrt: Ausformulieren von Stichpunkten
Fragen zu den bearbeiteten Texten: Steigerung von
narrativen Texten (Typ Zeitung „ bunte Seite“) bis zu
expositorischen Texten (gehobene Sachtexte)
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Stand bei Entlassung
Aufmerksamkeitsdefizite führen noch zu erhöhtem Zeitaufwand
und frühzeitigen Ermüdungserscheinungen.
Umgang mit Ablenkung, Druck und Spitzenbelastungen
erschwert.
Exekutive Defizite führen noch zu Schwierigkeiten beim Planen
komplexer Aufgaben mit mehreren Komponenten, bei der
Durchführung in angemessener Reihenfolge, sowie bei
Korrekturen der geplanten Abfolge.
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Dr. Ilona Rubi-Fessen / 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden / 05.04.2019
Stand bei Entlassung
Alltagsbewältigung mit leichter Hilfe möglich.
Berufsfähigkeit derzeit nicht gegeben. Später berufliche
Belastungserprobung (Hamburger Modell) denkbar.
Behalten neuer verbaler Informationen gelingt besser.
Textverständnis im Alltag gegeben, für den Beruf noch nicht
ausreichend.
Abläufe können mit wenig Hilfe (Stichworte) verbal dargestellt
werden.
Verbessertes Störungsbewusstsein
59
Ein milieutherapeutisches, neuropsychologisch fundiertes Behandlungskonzept bei schweren Gedächtnis- und Verhaltensstörungen in der
neurologischen Frührehabilitation.
M. Poplutz und T. Rommel
In: Neurologie & Rehabilitation, 2017, 23(4)