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Niederdeutsches Wort KLEINE BEITRÄGE ZUR NIEDERDEUTSCHEN MUNDART- UND NAMENKUNDE herausgegeben von WILLIAM FOERSTE Band 2 1961 VERLAG ASCHENDORFF MONSTER

Niederdeutsches Wort - LWL · 2012. 8. 23. · H. TEuCHERT hat das brandenburgische tüschen 'zwischen' als Rest wort der niederländischen Siedler des 12. Jahrhunderts hingestellt1,

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  • Niederdeutsches Wort KLEINE BEITRÄGE ZUR NIEDERDEUTSCHEN MUNDART-

    UND NAMENKUNDE

    herausgegeben von

    WILLIAM FOERSTE

    Band 2

    1961

    VERLAG ASCHENDORFF • MONSTER

  • Das NIEDERDEUTSCHE WoRT erscheint als Organ des Westfälischen Wörterbuch-und Flurnamenarchivs in Münster (Westfalen) mit Unterstützung des West-fälischen Heimatbundes und des Seminars für Niederdeutsche und Niederlän-dische Philologie der Universität Münster jährlich in zwei Heften von insgesamt

    etwa 100 Seiten.

    BEITRÄGE, Zusendungen von Veröffentlichungen zur Anzeige im Rahmen der Chronik und alle das Niederdeutsche Wort betreffenden Anfragen und Mitteilungen sind zu richten an den Herausgeber Prof. Dr. W. FOERSTE, Münster (Westf.),

    Domplatz 20.

    © Aschendorff, Münster Westfalen, 1961 . Printed in Germany Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen

    und tontechnischen Wiedergabe und die der Übersetzung, vorbehalten. Aschendorlfsche Buchdruckerei, Münster Westfalen, 1961

  • Inhalt des 2. Bandes (1961)

    ANDERSSON, THORSTEN Nachtrag zur Bibliographie der nordischen Mund-

    artwörterbücher. . . . . . . . . . . . . . . . 64

    BISCHOFF, KARL

    BUURMAN, ÜTTO

    ENTJES, HEINRICH

    FoERSTE, WILLIAM

    WoRTMANN, FELIX

    Zu niederdeutsch twisken, twischen: tüsken, tüschen

    (mit 2 Karten) . . . . . . . . . . . . . . .

    Ein neuartiges niederdeutsches Wörterbuch . . . . 65

    Zur niederländischen Wortgeographie des Schrank-

    betts (mit 1 Karte) . . . . . . . . . . . . . . 21

    Niederdeutsche Bezeichnungen des Schrankbetts

    (mit Faltkarte) . . . . . . . . . . . . . . . . 23

    Putzig 74

    Chronik 75

    Schwelen 'heuen' . . . . . . . . . . . . . . . 17

  • Zu niederdeutsch twisken, twischen: tüsken, tüschen

    H. TEuCHERT hat das brandenburgische tüschen 'zwischen' als Rest-wort der niederländischen Siedler des 12. Jahrhunderts hingestellt 1, G. KoRLEN hat dieser Annahme nicht zugestimmt 2• Da das Paar twi-schen : tüschen verschiedene Fragen der niederdeutschen Sprachge-schichte aufwirft, sei noch einmal darauf eingegangen.

    'zwischen' steht nicht in den WENKER-Sätzen, deshalb haben wir keine gesamtdeutsche Lautgeographie des Wortes. TEUCHERT hat, von RuTH KLAPPENBACHS Angaben über die Verhältnisse in den deutschen Urkunden des 13. Jahrhunderts ausgehend 3, einen ersten ungefähren Überblick über die verschiedenen Formen gegeben. Auch unsere Skizze 1 erfaßt nur sehr grobmaschig und lückenhaft den Be-stand in den gegenwärtigen niederdeutschen Mundarten, sie berück-sichtigt nur die tw-Formen und die w-losen4• Eine ähnliche Verteilung von tusken, tuschen westlich der Weser, !wischen, (!wuschen) zwi-schen Weser und Eibe und tusken, tuschen, !wischen (!wuschen) östlich der Eibe findet sich bereits im Mittelalter. Skizze 2 sucht sie zu veranschaulichen. Sie ist natürlich ein Wagnis. Sie ist unvollständig, die Zahl der Ortspunkte- wenn sie auch nie die Dichte einer heutigen Karte erreichen kann- wird eine eingehendere Durchforschung aller Bestände wesentlich vermehren, hier sind nicht einmal alle gedruckten erfaßt. Das was an Belegen hinter den einzelnen Orten steht, isthöchst ungleich,inAnklam z.B. vertritt der tuschen-Kreis rund 200, in Aken das twischen-Quadrat einen einzigen im 13. Jahr-hundert. Die schwierige und wichtige Frage der Zuteilung der Belege

    1 HERMANN TEUCHERT, Reste der niederländi.rohen Siedel.rpraohe in der Mark Branden-burg (Naohträge 2) 3. tü.rohen zwischen. PBB 71, 266-275.

    t GusTAV KoRLEN, Norddeut.rohe Stadtre

  • 2 KARL ßiSCHOFF

    Abb.l

    zwischen 0 !wischen, twisken,twüschen e tüsthen, tüsken, tüssen t> tüschen. !wischen

    an bestimmte Orte und an bestimmte Schreiber ist weithin unerledigt geblieben. Es ist versucht worden, das Mittdalter wenigstens jahr-hundertweise aufzugliedern, damit die historische Lautskizze nicht allzu unhistarisch wird, aber die Zeiträume sind noch vid zu groß. Trotz aller Bedenken, glaube ich, vermittdt die Skizze in all ihrer Er-gänzungsbedürftigkeit und Fragwürdigkeit, wenn sie mit dem Blick auf die Fehlerquellen vorsichtig ausgewertet und im Zusammenhang mit dem knappen Text gelesen wird, doch einen gewissen Einblick in die Verhältnisse, gibt jedenfalls etwas mehr Anschauung als eine bloße Aufzählung der Belege5.

    Das mittelalterliche Ostfällsehe stellt vom Beginn der Überlieferung an einen reinentwischen-Raum dar. twischen steht z. B. im Braunschwei-ger Ottonianum, im ältestenDegedingebuch der AltstadtBraunschweig 1268/89, 1310, 1314, 1315, 1321, 1322, 1331, im Degedingebuch des Hagens 1308, 1327, im Stadtbuch des Sackes 1307, im Rechtsbuch der Neustadt Braunschweig 1325, in den Akener Schöffenbüchern 1271, in den Halleschen Schöffenbüchern des 13. und 14. Jahrhunderts, in den Blankenburger Urkunden von 1290, in Urkunden des Bildes-beimer Domkapitels 1311, des Hildesheimer Domstiftes 1323, des Rats der Altstadt Braunschweig 1331, des Rats von Magdeburg ab 1313. Auch in literarischen Texten des 13. Jahrhunderts kommt es

    1 Für Mecklenburg und Pommern geben die größeren Zeichen landschaftliche Verhältnisse an.

  • Zu nd. I»Jisleen, I»Jischen: tü.rleen, tü.rchen

    Abb.2

    zwischen ~!wischen 13.JM>tuschan ~ • 14.JIL~ • liiJ • 15.Jh.~ • Ul • 16.JILG •

    3

    vor: vnder tuisgen Himmelgartner Jesuleben. Im weiteren 14. und 15. Jahrhundert ist twischen gleichfalls herrschend, z. B. in der Göttingers, Duderstädter6, Wernigeröder Überlieferung, in den Schriftstücken der verschiedenen Schreiber der halleschen Stadtkanzlei 1333, 1338, 1341, 1350, 1351, 1356, im Stadtbuch von Haldensleben, im Wetebuch von Calbe a. d. Saale, in den Urkunden und Briefen der Altstadt, der Neustadt, der Sudenburg, des Domkapitels, der geistlichen Stifter von Magdeburg bis zum Jahre 1500. Der göttingisch-grubenhagensche "Sündenfall" hat twisken, in den Göttinger Liebesbriefen von 1458 steht twisch. Gelegentlich wird die gerundete Formtwuschen gebraucht. w-loses tuschen ist ganz seltene Ausnahme, in den frühen Quellen ist es mir nur im Älteren Braunschweiger Degedingebuch 1323 und 1331 auf-gefallen, später einmal im Calber Wetebuch 1428. Die gesamte originale Magdeburger Überlieferung in den drei Bänden des Magdeburger Ur-kundenbuches hat bis 1500 lediglich drei Fälle mit tuschen, thusken, in dem einen schreibt 1482 Nicolaus Bogenschutte, procurator tho Magdeborch an den Rat von Zerbst, in dem andern ein]acob Kok inProzeßangelegen-heiten im gleichen Jahr ebenfalls nach Zerbst (das Schriftstück Iallt auch sonst aus dem Magdeburger Rahmen heraus), der dritte ist ein Zeugnis des Offizials der magdeburgischenDompropstei von 14987•

    8 ToRSTEN DAHLBERG, Zur Urleundensprache in Göttingen und Duderstadt. Nd. Mitt. 5 (1949), 61.

    7 Diese tuschen sind auf der Skizze 2 nicht eingetragen.

  • 4 KARL BISCHOFF

    Auch die Halberstädter Bibel von 1522 hat neben überwiegendem twischen (twisschen, twyschen) vereinzelt tltsschen 8• Ein bodenständiges ostfälisches tüschen wird man daraus nicht erschließen dürfen, es stellt sich als wohl niederländischer Einschlag zu weteren 'das Vieh trän-ken'9.

    Demgegenüber wird in Westfalen vom Anfang des 14. Jahrhunderts an- in älteren Texten kommen keine Belege vor- fast ausschließ-lich tusken, tu(s)schen gebraucht: z. B. Soester Schra von 1350, Statuten von Werl von 1324, Stadtbücher von Coesfeld 14.-16. Jh., von Wie-denbrück 15. Jh., von Osnabrück 1471, in Urkunden von Dortmund von 1340, 1345-1350, 1358, 1359, 1364, des Klosters Clarenberg von 1346, 1365, 1372, 1439, 1450, 1481, 1492, 1556 u. a., von Bielefeld aus dem 14.-16. Jh., von Freckenhorst 1343, von Unna 1413, von Ka-men 1505, der Grafen von der Mark von 1328, 1341, 1351, in einer Rechtsfrage von Herford an Dortmund von 1351, in Münstersehen Schriftstücken von 1369, 1395, 1407, 1430, 1431 u. a., in Aufzeich-nungen des Klosters Vinnenberg von 1503, in den Soester Ratspro-tokollen von 1531-1534 usw. Wie im Ostfällsehen tuschen ganz seltene Ausnahme ist, so im Westfälischen !wischen. Es findet sich im Süden z. B. 1320 in einer Urkunde des Grafen von Dortmund, 1326 in einer Urkunde des Grafen von Berg und der Mark, 1342 in zwei Urkunden Evert V rydaghfKlo. Clarenberg, 1347 in einem Protokoll des Drosten der Grafschaft Ravensberg 10•

    Weiter im Norden haben stadtoldenburgische Urkunden im 14. und 15. Jahrhundert vorwiegend twischen. Ganz vereinzelt findet sich ein tuschen 1434, seit den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts begegnet es dann häufiger. In Urkunden des Klosters Rastede kommt twischen 1428, 1435, 1465, 1515, 1523 vor, 1467 tuschen. Bei dem Grafen von Oldenburg scheint tuschen erst im 16. Jahrhundert stärker gebraucht worden zu sein. Das deutet alles darauf hin, daß die w-losen Formen im Oldenburgischen erst ziemlich spät vom Süden her aufgenommen sind.

    8 Den Hinweis verdanke ich G. IsiNG, der soeben den ersten Band seiner Ausgabe der niederdeutschen Bibelfrühdrucke vorlegt (Berlin 1961, Deutsche Texte des Mittelalters 54, 1). 1. Mos. 13,3 steht ein wohl verderbtes tuwuchen, das lsiNG in twusschen bessert. - Die Lübecker Bibel hat neben gewöhnlichem twischen ein tuschen in 5. Mos. 17,8.

    8 Vgl. dazu TEUCHERT, Sprachreste a. a. 0. S. 477 und 373. 10 Diese twiscben fehlen in Skizze 2.

  • Zu nd. twisken, /wischen: tüsken, lüschen 5

    Das nordniedersächsische Bremen hat in seinem Stadtrecht von 1303/08 !wischen (Schreiber 1 und 2), in einer Rechtsentscheidung von 1349 steht tuschen. !wischen belegt BuNNING für Bremen noch bis ins 17. Jahrhundert hinein, später wird dieses dann von !wüschen abgelöst, das heute in der entpalatalisierten Form !wuschen allein herrscht11• Das Alteste Stadtbuch von Lüneburg hat in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-hunderts !wischen. Die hamburgische Kanzleisprache gebraucht im 14. Jahrhundert nach LmE12 vorwiegend !wischen, nur bei einigen wenigen Schreibern findet sich tuschen. Die Hamburger Burspraken des 15. Jahrhunderts haben durchgehend !wischen. Im Stadtrecht von Stade von 1279 wird zweimal tuschen und einmal !wischen verwendet13• KoRLEN nimmt an, daß das Nebeneinander beider Formen schon dem Urtext des Hamburger Ördelboks, das, in der Form einer Rechts-mitteilung, unmittelbare Vorlage des Stader Stadtrechts gewesen ist, angehört habe. Harnburg hatte 1188 lübisch-soester Recht erhalten, auf dem Wege (Köln-)Soest-Lübeck-Hamburg konnte mittelbar und unmittelbar westliches tuschen auch in den hamburgischen Rechts-text gelangen 14• Im Herzogtum Schleswig überwiegt im Mittelalter bei weitem !wischen; tuschen ist sehr seltene Ausnahme15•

    Auch für das vor 1267 entstandene deutsche Original des Lübecker Stadtrechtes glaubt KoRLEN 16 ein Nebeneinander von !wischen und tuschen ansetzen zu dürfen. In der Kieler (früher Lübecker) Hand-schrift vom Ende des 13. Jahrhunderts hat Hand 1 dreimal !wischen und viermal tuschen geschrieben, Hand 2 zweimal tusghen. Der Kopen-hagener (ehemals Kiel er) Codex aus den neunziger Jahren des 13. Jahr-hunderts hat in Art. 12 !wischen, sonst tuschen und tusghen. Auch in der Handschrift, die 1348 Helmicus tqymmonis, en vicarius in der kerken ttJ deme Dome, im Auftrage des Bürgermeisters Thideman GAstrowe M des

    11 HEINRICH BuNNING, Studien zur Geschichte der Bremischen Mundart. Nd. Jb. 60/61 (1934/35), 146.

    11 SvEN LIDE, Das Lautsystem der niederdeutschen Kanzleisprache Hamburg1 im 14. fahr-hundert. Uppsala 1922.

    13 GusTAV KoRLEN, Norddeul!che Stadtrechte I. Das Stader Stadtrecht vom Jahre 1279 ( = Lunder Germ. Forsch. 22). Lund 1950. S. 32.

    14 Vgl. z. B. HEINRICH REINCKE, Kölner, Soester, Lübecker und Hamburger Recht in ihren gegen1eitigen Beziehungen. Hans. Gbl. 69 (1950), 14f.

    15 KARL N. BocK, Mittelniederdeut!ch und heutiges Plattdeutsch im ehemaligen Herzogtum Schluwig (= Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskab, Hist.-fil. Meddelelser 31, 1). K0benhavn 1948. S. 116f.

    16 KORLEN, Norddeutsche Stadtrechte II a. a. 0. 56f.

  • 6 KARL BrscHOFF

    stades beMJ ld LAbike schrieb, verteilen sich /wischen und tuschen in der gleichen Weise. Doch hat die Hand 8 des Kieler Codex, die "zweifel-los" identisch mit der Hand des Tidemanschen Codex sein soll, im Register (104, 212) zweimal/wischen, wo der Rechtstext kein 'zwischen' hat. Die tuschen der Tidemanschen Handschrift hält KoRLEN für "die eigentlich heimische Form". Dabei dürfen dann allerdings die beiden twischen der Hand 8 nicht übersehen werden.

    Das Nebeneinander von tuschen und /wischen ist auch noch Jahrhun-derte später für Lübeck kennzeichnend, es findet sich z. B. in den Lübecker Ratsurteilen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wo tuschen aber zu überwiegen scheint. Auch die mecklenburgisch-pom-merschen Urkunden haben beide Formen, z. B. die v. PiessenfBürger v. Wismar 1335 tuschen; Joh. v. Werle{Hzg. v. Pommern 1331/uschen; Landfriedensbündn. d. Fürsten v. Mecklenb., v. Werle und des Herzogs v. Pommern 1337 tuschen (thusghen), luischen; Friedenseinigung zwischen den Fürsten v. Mecklenb. und Stralsund, Demmin 1337, tuschen vs; Ritter Joh. v. LützowfKloster Eldena 1338 tuschen; Raven v. BarnekowfStralsund. Demmin 1339, !wischen; Gehr. Hahn/ Joh. v. Plessen, Parchim 1343, twischen; Fürst v. Mecklenb. /Kloster Doberan, Doberan 1343, tuschen in der einen, twisschen in der anderen Ausferti-gung; Fürst v. Werle{Hzg. v. Pommern, Treptow 1344, twischen; Fürsten v. Werle{Hzg. v. Pommern, Wolde 1344, tuschen; usw. Das Garzer Stadtbuch hat 1420 tusschen, ebenso das Redentiner Osterspiel. Im Anklamer Stadtbuch des ersten Drittels des 15. Jahrhunderts, in dem 'zwischen' außerordentlich häufig gebraucht wird (über drei-hundertmal), schreibt Hand 3 tu(s)schen, Hand 4 und 5 twi(s)schen, Hand 7 beginnt mit twisschen, gebraucht dann auch tusschen, wobei beide Formen zuweilen im gleichen Satz stehen, nachher überwiegt eindeutig tusschen, einmal begegnet auch /wissen, einmal tussen, einmal tüsscen, Hand 8 hat /huschen, etwas weniger häufig twyschen, mehrmals tweschen, Hand 9 verwendet ausschließlich tu(s)schen, bei Hand 7 B überwiegt twisschen vor tussschen. J. C. DÄHNERT führt 1781 im Platt-deutschen Wörterbuch nach der alten und neuen pommerschen und rügischen Mundart fAschen und /wischen an und ebenso MI1876 im Wör-terbuch der mecklenb.-vorpomm. Mundart. In unserer Zeit finden sich tü.rche(n), tüske, tische(n) in Mecklenburg, Vor- und Hinterpommern ne-bentwische(n), wobeitwische(n)als nichtsomundartechtwietiischenange-sehen wird. In der neueren literarischen Überlieferung Mecklenburgs

  • Zu nd. 111/isl:en, 111/ischen: til.rl:en, til.rchen 7

    ist !wischen erst seit dem 19. Jahrhundert zu belegen. Häufig vor-kommendes Tüsch und Tiischen •schmaler Gang zwischen zwei Häusern' (Wismar, Ludwigslust, Grevesmühlen, Warnemünde, Ribnitz, Bent-wisch fKrs. Rostock, Bützow fKrs. Güstrow, Triebsees,Anklam,Alten-treptow usw.), bei Fritz Reuter Tiischenhus und zahlreiche Zusam-mensetzungen wie Tiischensaat, Tiischensnack, tiischendörch usw. sprechen deutlich für Alter und Bodenständigkeit der w-losen Formen. Wossmw gibt in einer übersieht über "die Präpositionen und präpositionalen Adverbien in der Mecklenburger Mundart" 17 !wischen, tiischen und tiisken an, bringt aber überwiegend tiischen-Beispiele.

    Auch weiter nach Osten hin ist im Mittelalter an der Ostseeküste tuschen geschrieben worden. Die höchstwahrscheinlich im deutschen Kontor zu Nowgorod entstandene sog. Jaroslawer Urkunde von 1269(?) hat tuschen, tusgen. Die Lübecker Handschrift der Nowgoroder Schra von ca. 1270, die in Nowgorod oder in Wisby, "möglicherweise auch in Lübeck von einem Schreiber, der dann mehr oder weniger sklavisch die Sprache der Vorlage übemahm" 18, geschrieben ist, verwendet gleichfalls tuschen. Aus den Bestimmungen dieser Schra über die Schlüssel zur gemeinsamen Kasse in Wisby - dharto haret IV slfltele, dhe sal man bewaren van ver steden, dhen enen sal achterwaren dhe older-man van Gotlande, dhen anderen dhere van Lubike, dhen dherden dhere van Sosat, dhen verden dhere van Dhortmunde- geht hervor, daß die West-falen im äußersten Nordosten zahlen- und bedeutungsmäßig eine führende Rolle gespielt haben. Das tuschen - ebenso wie das dherde in dem angeführten Satz- dürfen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit ihrer Sprache zurechnen, ohne Lübeck dabei als vermittelndes Zwischenglied einschalten zu müssen. Dann hätten wir in diesem tuschen einen mittelbaren Beweis für das Vorhandensein von tuschen im Westfälischen des 13. Jahrhunderts 19•

    Bei der Entstehung von Lübeck waren Westfalen entscheidend beteiligt gewesen. H. REINcKE spricht vom "wesentlich westf"alisch-

    17 Nd. Jb. 20 (1894), 51. 11 GusTAV KORLEN, Die mittelnietkrdeutschen Texte des 13. Jahrhunderts(= Lunder

    Germ. Forsch. 19). Lund 1945. S. 198. 11 Das Jussehen der Urkunde des Fürsten Nikolaus von Werle für Kloster Broda,

    Dobbertin 1230 (UB. Mecklenburg 1,377), kann hier nicht verwertet werden, weil es sich bei ihr um eine spätere Übersetzung aus dem Lateinischen handelt.

  • 8 KARL ßiSCHOFF

    soestischen Charakter" der Lübecker Bevölkerung20• "Von den knapp zwei Dutzend Lübeckem des 12. Jahrhunderts, deren Herkunft wir erschließen können, (tragen) mehr als die Hälfte west!alische Namen", aus Soest stammten ein Lieverad, ein Sifridus, ein Volkwin, ein Hermann und ein Walverich, je einer kam aus Erwitte, Suttorf, Kamen, Lüdinghausen, Warendorf und Medebach. Drei Achtel der lübischen Ratsherren sind im 13. Jahrhundert noch Westfalen. Ein beträchtlicher Teil der Lübecker Herkunftsnamen überhaupt führt nach Westfalen, im 13. Jahrhundert sind es noch ein Viertel. Auch hinter den ostholsteinischen, lauenburgischen und mecklenburgischen Namen, die damals ein knappes Drittel ausmachten, verbergen sieb sehr viele Westfalen oder Nachkommen einstiger westfälischer Siedler. Wenn von 252 Schreiben, die in Nachlaßangelegenheiten in Lübeck V erstorbener zwischen 1350 und 1356 in Lübeck eingingen, ein ganzes Drittel aus Westfalen kam, aus dem Holsteinischen, Meck-lenburgischen und Lüneburgischen aber nur 21 %, dann erhellt auch daraus die Größe des westfälischen Anteils an der Zusammensetzung der Lübecker Einwohnerschaft. Lübecks rechtliche Verbindungen gingen nach Soest. Seine Kaufherren kamen in Wisby, in Nowgorod oder wo immer mit west!alischen Berufsgenossen zusammen. Zu den großen Gründerfamilien gehörten u. a. die Bocholt, Attendom, Coesfeld, Warendorp. Das Westfälische muß demnach zahlen- und-was in unserm Zusammenhang sehr wichtig ist - bedeutungsmäßig im werdenden und sich festigenden Lübischen bestimmend gewesen sein. Lübeck hat Bürger- und unter ihnen wieder führende Familien -weiter nach Osten bin abgegeben: die Coesfeld und Warendorp begegnen in weiteren neun Ostseestädten, in Wismar finden sich seit 1260 zwei Ratsherren Warendorp und frühzeitig ein Cusveld :n, in Rostock hat es eine platea Cusveld gegeben, FRITZ RöRIG führt aus dem Rostocker Stadtbuch von 1258/60 die Familiennamen Bilrebeke, Cervo, Colner, Molendino, Monachus, Monasterio, Nestwede, Plone, Puteo, Rekelnchusen, Revele, Rosendale, Sachtelevent, Saltwedele, Warendorpe an, die mit größter Wahrscheinlichkeit mit den gleich-

    10 HEINRICH RmNcKE, Kötner, Soester, Liibecker und Hamburger Recht in ihren gegen-seitigen Beziehungen a. a. 0. 23. 34.

    11 FRITZ RöRIG, Die Gründtmg.rtlllternehmerstädte des 12. Jahrhunderts. In: F. RöRIG, Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Weimar 1959. S. 267. Ders., Rheinland-Westfa/en und die deutsche Hanse. Ebd. S. 408.

  • Zu nd. twisken, twischen: tüsken, tüschen 9

    namigen Lübecker Familien verwandt waren. Mit ihnen ist dann auch westfälisch bestimmtes Lübisch in den weiteren Osten gelangt. Aber die Ostseestädte haben ganz sicher auch unmittelbaren Zuzug aus Westfalen erhalten. In dem um 1218 gegründeten Rostock machen von den bis 1304 gezählten 1750 Herkunftsnamen die westf"alischen 12,7% aus 22, im Wismarschen Stadtbuch sind es zwischen 1250 und 1272 von 417 Namen 11% 22• Daß auch das Land bäuerliche Siedler aus Westfalen erhalten hat, deutet wenigstens die in siedlungsgeschicht-lichen Fragen so außerordentlich wortkarge mittelalterliche Über-lieferung an. Nach HELMOLD haben Westfalen das Darguner Land, die Gegend von Ahrensbök, besetzt, Graf Heinrich von Ratzeburg hat "eine Menge Leute aus Westfalen" herbeigeholt, die "das Land der Polaben" bewohnen sollten23• 1238 haben zwei Unfreie des Klosters Iburg ihren Hof bei Warendorf eigenmächtig verkauft und sind über die Eibe gegangen. Als das Nonnenkloster zu Bersenbrück das benach~ harte Dorf wüst legte, ist einer der abwandernden Bauern nach Ribnitz in Mecklenburg gelangt, seine Enkel wurden wieder Bauern. Bauern des mindischen Domkapitels fanden bei Wismar eine neue Heimat24. Das westf"alische Geschlecht von Schorlerner begegnet im Osten wieder, ein Reinfridus de Scurlemer gehörte um 1230 zu den großen Besitzern im Bistum Ratzeburg, die Herren von Behr, die im 12. Jahrhundert Ministerialen des Osnabrücker Bischofs waren, finden sich 1254 bei Röbel am Müritzsee wieder2&.

    Neben Westfalen sind Ostfalen und Nordniedersachsen in die Ost-seegebiete gegangen. 9,6% der Lübecker Herkunftsnamen stammen nach A. REIMPELL aus dem Ostf"alischen, 17,1% aus Holstein und Dithmarschen, 5,9% aus dem übrigen Nordalbingischen 26• Die Barde-wik, Boizenburg, Bremen, Soltwedel rechneten zu den bedeutenden

    11 H. BaocKMÜLLER, Die Rostocker Personennamen bis 1304. Diss. Rostock 1933. -H. SPANGENBERG, Die Bedeutung der Stadtsiedlung für die Germanisierung der ehemals sla111ischen Gebiete des Deutschen Reiches. Jb. d. Ver. f. meckl. Gesch. u. Altertumskde. 99 (1935), 107-132. Hier nach J. U. FoLKERS, Mecklenburg. In: R!EDIGER und FOLKERS, Stammeskunde von Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Potselam o. J. S. 87.

    21 HELMOLD, Chronik der Slaven. I, 57; I, 92. 14 HERMANN RoTHERT, Westfälische Geschichte. I. Gütersloh 1949. S. 209f. 16 FOLKERS a. a. 0. S. 81. 87. 18 A. REIMPELL, Die Liibecker Personennamen bis tur Mitte des 14. Jahrhunderts.

    Diss. Harnburg 1928. Dazu die kritischen Bemerkungen von H. REINCKE in Hans. Gbl. 69 (1950), 34 Anm. 98.

  • 10 KARL ßiSCHOFF

    Lübecker Gründerfamilien. In Rostock gibt es bis 1304 unter den Herkunftsnamen 6% ostlallsehe und 5,4% aus dem übrigen Raum zwischen Weser und Elbe, in Wismar sind es zwischen 1250 und 1272 aus den gleichen Gebieten und aus Friesland 11 %· Wenn sich aus solchen Angaben auch keine unbedingt eindeutigen Schlüsse auf die Zusammensetzung der Bevölkerung ziehen lassen, so vermitteln sie doch Anhalte, so daß man sich wenigstens ein ungefähres Bild machen kann. Ein paar Ortsnamen zeichnen weitere Einzelheiten hinein. Haß-leben und Kaakstedt zwischen Prenzlau und Templin in der Ocker-mark stammen in ihren Namen aus dem Vorharzland (Harsleben b. Halberstadt, Kochstedt am Hakel); die beiden Karstädt bei Lud-wigslust und westlich von Perleberg werden mit dem altmärkischen Kahrstedt bei Calbe a. d. Milde zusammengebracht; Godenswege südlich Stargard (1353 Gudensweghen, 1382 Wudensvege) ist aus dem Magdeburgischen in den Osten getragen, das heutige Gutenswegen ist ein altes Wodenesweg (937). Mehr als in Lübeck, das verhältnismäßig stark aus dem gesamten niederdeutschen Altland lebte, haben die späteren Neugründungen an der Ostsee ihren dauernden lebensnot-wendigen Zuzug von außen schon aus der engeren und weiteren Umgebung in Mecklenburg und Pommern gedeckt. Stammten in Lübeck bis 1350 6,1% der Herkunftsnamen aus der näheren Nachbar-schaft, so kamen in Rostock bis 1304 54,5% und in Wismar zwischen 1250 und 1272 49,2% aus Mecklenburg. Unter ihnen befanden sich natürlich auch wieder, wenn auch in späterer Generation, Westfalen und Ostfalen. Die aus dem Ostfällsehen kommenden Siedler der Ost-seeländer und Ostseestädte haben im 13. Jahrhundert Julisehen mitge-bracht. Das ergibt sich aus der belegten Überlieferung. Wir dürfen es auch schon für das 12. Jahrhundert annehmen. Die westBilisehe Über-lieferung setzt mit tuschen ein, fur das 13. Jahrhundert konnte es von Nowgorod und von Lübeck her erschlossen werden. Auch da werden wir mit dieser Form bis in die Gründungszeit Lübecks zurückgehen dürfen. Das heißt dann, daß die in den Osten ziehenden Siedler bereits tii.rchen und !wischen mitgebracht und die vom mecklenburgischen und pommerseben Lande in die Städte kommenden Neubürger beides gesprochen haben. In dem Nebeneinander der zwei Formen tritt uns in dem einen Wort ein Stück der mehrsträngigen Siedlungsgeschichte dieser Länder und Städte entgegen. Der spätere Ausgleich scheint zugunsten von tiischen erfolgt zu sein.

  • Zu nd. twisken, twischen: tüsken, I/ischen 11

    Diese Siedlungsgrundlagen verbieten es, tuschen in den Ostsee-ländern der sog. west:!alischen oder westlichen "Strömung" zuzu-rechnen. Es ist nicht durch eine wie immer geartete schriftsprachliche Bewegung von Westen her in die Urkunden, Stadtbücher und Rechts-aufzeichnungen des Ostens gelangt, sondern dort der heimischen gesprochenen Sprache entnommen. Den aus dem Westen stammenden Bestandteilen dieser neu sich bildenden Mundarten geht man jetzt zuversichtlicher nach als früher. In der mittelalterlichen westfalischen Überlieferung finden sich beispielsweise Fälle einer Vokaldehnung vor nd wie vp den laynde; ghe ryndet wirf Soester Schra 1350, in der stades haynt stan Brilon 1362; Kyinderhues Münster 1435; kryndere •Kinder' Bielefeld 1491; prynden •pfänden' Werl 15. Jh.; mit dem andern rynde •Ende' Unna 1467; einde Kamen 1516; dat rynde Hieronymus. Die Sprachatlaskarte •Kind' zeigt im nördlichen West:!alischen entspre-chendes Kiend, Kind27. Im westlichen Mecklenburg und in Hinterpom-mern begegnen die gleichen gedehnten Formen, dazu Pünd für Pund28, Aus der mittelalterlichen Überlieferung vergleichen sich etwa vser vreent Brüder ÖrtzenfKloster Doberan 1345, bysteendig Danzig 1448. An der Ostsee sagt man für •bauen' bugen, buggen, buwwen29• Das sind dieselben Formen, die das West:!alische charakterisieren. Solche bis heutedurchstehenden Zusammenhänge30 legen dieFrage nahe, ob nicht manches, was man im Mittelniederdeutschen bisher jener westfäli-schen oder westlichen Strömung zugeschrieben hat, aufs Pergament gelangte gesprochene ostelbische Sprache ist , die von den Siedlern mitgebracht worden war.

    Nach A. LASCH gehört z. B. vrent "in Nowgoroder Schriftstücken" der westlichen Strömung an31• KoRLEN hat ihr ausdrücklich zuge-stimmt und gegen BocK zu erweisen versucht, "daß vrent - wie das daraus entwickelte vrönt - ein westf. Kriterium ist, das in nordns. Quellen zu den nicht-heimischen Elementen zu rechnen ist" 32• Im Ost:!alischen fehlen vrent und vrönt völlig. Von den alten Handschriften

    ' 7 Deutscher Sprachatlas Karte 17. 2s Ebd. Karte 62. 29 Ebd. Karte 69 f. ao Weiteres bei 0. PRIEWE und H. TEUCHERT, Dialektgeographische Forschungen

    östlich der unteren Oder. Teuth. 4, 130ff. und zuletzt bei H.-FR. RosENFELD, West-und Ostfälisches in der pommerseben Mundart. Westfäl. Forsch. 9 (1956), 135ff.

    at AGATHE LASCH, Mittelniederdeutsche Grammatik. Halle 1914. § 101,2b. •• GusTAV KoRLtN, Zum Problem der sog. westfälischen Strömung. Nd. Mitt. 6,92.

  • 12 KARL BISCHOFF -

    des Lübecker Stadtrechts hat erst der Tideman Güstrowsche Codex, der - nach KoiU.EN - das "heimische" tuschen bevorzugt, zwei vrlnt, und die Hand 8 der Kieler Handschrift, diemit derTidemanschen Hs. identisch sein soll, schreibt im Register vrende gegen vrint, vrinde im Text. Die dem Ende des 13. Jahrhunderts angehörende Ordnung des Lübecker Heiliggeisthospitals hat vrent, vrende. Es begegnet ur-kundlich z. B. 1324 v. BülowfGrafvon Schwerin (mit rade vnser Vf'llnf, mit minen vrenden); 1331 Olbem Bonsack u. Hartwig Ramekendorpf die Preen (Vergleich über Hufen zu Camps, vrdnde, vse vront); 1332 die v. Parkentin/Bischof v. Ratzeburg (sine vrund, des bysschoppes vrend); 1333 Herzöge von Lauenburg/Graf v. Schwerin (vrentlike); 1339 Ra-ven v. BamekowfStralsund, Demmin (vse, mine vrent); 1342 Joh. Voß/ Bürger v. Neubrandenburg (vrent); 1344 Gehr. v. Holstein zu Zierzow f Pfarrer zu Zierzow (vser unde der vrent rade); 1345 Brüder v. Ört-zenfKloster Doberan (vser vreent); 1370 Bischof v. Lübeck (vront-scop); Danzig 15. Jh. (mehrfach frond, frennde). Der Passions-traktat des Heinrich v. St. Gallen, dessen Sprache nach E. RooTH in die Ostseeprovinzen gehört, hat im 15. Jh. vronde; RooTH führt noch Belege aus Fellin, Dorpat, Danzig, von livländischen Ratssendboten und vom livländischen Ordensmeister an33• Bei diesem häufigen Vorkommen - und die Beispiele werden ver-mehrt werden können - fällt es schwer, an eine nur schriftsprachlich herangetriebene westtaUsche Form zu denken. Ebenso ist es unwahr-scheinlich, in all diesen Fällen westtaUsche Schreiber zu bemühen, noch dazu, da das mehrfach zu belegende use vrent mit seinem nasal-losen Pronomen westflilischem Schreibgebrauch widerspricht. Auch wenn man vrent dem Nordalbingischen und Oldenburgischen nicht ganz absprechen wird, ist für das ostelbische Neuland vor allem seine westtaUsche Herkunft zu betonen. Mitgebracht aber haben es schon die Siedler.

    Das gilt auch, wie uns M. AsoAHL HoLMBERG gezeigt hat34, für einige mittelalterliche Berufsbezeichnungen. Löer 'Gerber' z. B. ist seit dem 13. Jahrhundert in Lübeck ausschließlich nachweisbar, in

    aa ERIK ROOTH, Ein Fragment des Passionstraktats von Heinrich von St. Gallen. Zu-gleich ein Beitrag zur Geschichte des Mittelniederdeutschen in den Ostseeprovinzen. Ann. Acad. Scient. Fennicae. B XXX Helsinki 1934. S. 471-509.

    84 MÄRTA AsnAHL HoLMBERG, Studien zu den niederdeutschen Handwerkerbezeichnungen des Mittelalters ( = Lunder Germ. Forsch. 24). Lund 1950. S. 21 ff. und Karte S. 41.

  • Zu nd. twisken, /wischen: tüsken, tüschen 13

    Kiel, Wismar, Rostock, Stralsund ist daneben gerwer gebraucht. In Rostock gehören beide (gherewer und Iore) auch schon dem 13. Jahr-hundert an. Wenn dort um 1450 de gerwere vpp deme lorebruke genannt werden, so scheint aus dem Nebeneinander der zwei Ausdrücke ein sprachsoziologisches Übereinander geworden zu sein, in dem aber die Zugehörigkeit von Iore zur gesprochenen, nicht bloß geschriebenen Sprache deutlich wird. Lö'er galt ausnahmslos im mittelalterlichen Westfälischen, während das Ostfällsehe gerwer hatte. In diesem Zu-sammenhange spricht auch KoRL:EN von "siedlungsgeschichtlich be-dingten" Bindungen zwischen den Ostseegebieten und dem Westen35• Die westfälische Nachbarschaft hatte im Mittelalter ebenfalls löer : die Rheinlande (Köln: löwer), Hessen (Marburg: loewer, Friedberg: lower), die Niederlande (louwer, looyer). Die Lage ist ganz ähnlich wie bei tü-schen. Natürlich werden die kölnischen und niederländischen Formen lö"er an der Ostsee gefestigt haben, aber es ausschließlich aus den Nie-derlanden herleiten zu wollen, widerspräche den siedlungsgeschicht-lichen Gegebenheiten.

    Nach alledem kann man sagen, daß das heutige tiischen in Mecklen-burg und Pommern zu den Restwörtern westfälischer Siedlersprache gehört. Daß die offenbar bis in die jüngste Zeit hin-ein zusammenhängende tüschen-Fläche von der Trave bis an die Stolpe nicht zerstört wurde, hängt von den sprachlichen Verhältnissen in Brandenburg ab.

    Die brandenburgischen und zerbstischen mittelalterlichen Quellen haben für 'zwischen' tuschen, z. B. 1399 Berliner Bl!)lk der ouertredunge, 1443 Stadtbuch von Köln, 1503 Berliner Schöffenbuch, urkundlich 1379 Berlin (tisschen), 1443 Jungfrauenkloster SpandaufRat v. Berlin; 1400 Zerbster Schöffenbuch, 1352 und 1427 (zerbstische Angelegen-heiten behandelndes) Lehnbuch Albrechts I. v. Anhalt und seiner Nachfolger. Die Zerbster Ratschronik von 1451 hat zumeist tuschen, daneben auch !wuschen; am Schluß der Chronik kommt der Gegensatz zum ostfällsehen Magdeburg gut heraus: dem tuschen des Chronisten folgt in einem eingeschobenen Magdeburger Schöffenspruch !wischen und !wuschen, der eigentliche Chroniktext hat dann wieder tuschen, ein sich anschließender Brief des Magdeburger Rats mehrfach twisschen, dem sich dann wieder das tuschen des Chronikschreibers anreiht. Damit

    36 GusTAV KoRLEN, Zur Synonymik hansischer Handwerkerbezeichnungen. Z. d. Ver. f. hamburg. Gesch. 41 (1951), 93.

  • 14 KARL BrscHOFF

    stimmt überein, wenn in einem Brief des Magdeburger Rats von 1453 (im Urkundenbuch der Stadt Magdeburg) twisschen steht, in der Zerb-ster Antwort vom andern Tage aber an der entsprechenden Stelle tusschen. In der ostaltmärkischen Überlieferung sind beide Formen nebeneinander gebraucht worden: z. B. twischen 1336 Werben (Ver-kauf f. einen Bürger), tusschen 1433 Werben (Rat), tuschen 1383 Stendal (Domkapitel), twischen 1433 Stendaler Schiedsleute. TEUCHERT ist in der Annahme, daß die niederländischen Siedler tuschen im 12. Jahrhundert aus ihrer Heimat nach Brandenburg gebracht haben, zuzustimmen. Die früheste südniederländische Überlieferung des 13. Jahrhunderts kennt nur tuschen 36, die nach Osten ziehenden Bauern konnten gar keine andere Form mitnehmen.

    Nun sind aus dem Brandenburgischen im Mittelalter auch Leute in die Ostseestädte gezogen. Die Herkunftsnamen aus der Alt- und Mittelmark und aus der Prignitz machen im Wismarer Stadtbuch 3,1% aus, in Rostock die aus Brandenburg (einschließlich der Alt- und Uckermark) 3,6%, in Lübeck aus der Mark 1,8%. Ihre Zahl kann dem-nach nicht sehr groß gewesen sein. TEUCHERTS Meinung, "nach Mecklenburg gelangt tüschen in geringem Maße über Lauenburg aus westfälischen Strichen, in der Hauptsache aber wird es von der Mark eingeführt" 37, wird deshalb nicht zutreffen. Von Brandenburg aus kann das mecklenburgische tuschen zwar gestützt, aber nicht begründet sein. Die heutige Mundart, die in der Prignitz und in der Uckermark, der südlichen Nachbarschaft Mecklenburgs, twischen hat, spräche eben-falls dagegen, wenn hier die ursprünglichen Verhältnisse gewahrt wären. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. In der Elbgegend gibt es vereinzelte tüschen, und in Freye~stein in der Ostprignitz, hart an der mecklenburgischen Grenze, heißt der schmale Zwischenraum zwi-schen zwei Häusern noch Tischenlock, während man als Präposition /wüschen gebraucht 38• In Brandenburg findet sich tüschen und das daraus entrundete fischen heute vornehmlich zwischen Potsdam, Belzig und Luckenwalde, dazu im benachbarten Kreis Jerichow 2 und in Oder-nähe in der Gegend von Wriezen und Seelow. Im übrigen hat die Mark sehr stark vom Südosten und von Berlin hochdeutsches zwischen aufgenommen.

    u V gl. die Skizze von RUTH KLAPPENBACH PBB 68, 234. 37 TEUCHERT, Reste der niederländischen Siedeisprache a. a. 0. S. 271. 88 Freundliche Mitteilung von Prof. Dr. FoERSTE-Münster.

  • Zu nd. twisken, /wischen: tiisken, tiischen 15

    Eine Übernahme eines brandenburgisch-niederländischen tuschen auf schriftsprachlicher Ebene in die Ostseestädte und nach Mecklenburg wird man ebenfalls nicht ernsthaft erwägen, weil es damals die dazu nötigen einflußreichen brandenburgischen Schreibstätten nicht gege-ben hat.

    Es bleiben noch zwei andere Möglichkeiten niederländischen Ein-flusses. Nach HELMOLD haben in einem eng begrenzten Raum um Eutin Holländer gesiedelt, dort entrichteten 1288 sechs Dörfer den Holländergrevenscat; ein 1256 erwähntes Vlemmingestorp, das nörd-lich vom Kellersee bei Malente gesucht wird, der Name des Dorfes Flemhude ( Vlemminghude westlich Kiel und die platea Flemiggorum in Kiel lassen auf vereinzelte Niederländer im östlichen Holstein schließen. Die Ansiedlung von Flamen durch Heinrich von Scathen in und bei Mikilinburg südlich Wismar haben die Slawen nach vier Jahren wieder vernichtet. In der Wilstermarsch haben sich im 12. Jahrhundert neben Sachsen Holländer niedergelassen39, Diese Be-reiche werden ebenfalls Bevölkerung nach Osten hin abgegeben haben. Für Ostholstein, Stormarn und die Wilstermarsch hat MENSING noch veraltetes und verschwindendes tüschen angegeben, für das Lauenburgi-sche sogar tüssen 40, die wenigstens zum Teilniederländischen Ursprungs sein können. Aber auch das reicht natürlich nicht aus, um das meck-lenburgische tuschen zu erklären. Die Ostseestädte haben auch direk-ten Zuzug aus den Niederlanden gehabt, in Wismar kommen 3,1% der Herkunftsnamen dorther, in Lübeck sind es 3,4%, dazu 2,8% aus den Rheinlanden. KoRLEN hat vom Sprachlichen her einen Hinweis auf flandrisch-lübische Handwerksbeziehungen erbringen können: als sich 1359 in Lübeck die Riemenschneider von den Beutelmachern trennten, spricht die darüber ausgestellte Urkunde von vlamingen, wo die Zunfturkunde büdelmakere gebraucht 41• Wichtiger wird in unserem Zusammenhang der Einfluß gewesen sein, dem die hansischen Kauf-leute in Flandern, vor allem in Brügge, ausgesetzt waren. In Brügge wohnten sie nicht wie in Nowgorod oder in London abgesondert von der dortigen Bevölkerung, sie lebten und verkehrten in einem ganz

    89 H. TEUCHERT, Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jahrhunderts. Neumünster 1944. S. 26ff.

    40 ÜTTO MENSING, Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch. Bd. 5. Neumünster 1935. S. 208. Dazu TEUCHERT PBB 71,270. In Skizze 1 sind MENSINGS ostholsteinische tiischen durch einen schraffierten Kreis angedeutet.

    n KoRLiN, Zur Synonymik hansischer Handwerkerbezeichnungen a. a. 0. S. 96.

  • 16 KARL BISCHOFF

    anderen Maße als dort mit den Einheimischen. Da ist es sicher nicht ausgeblieben, daß das niederländische tüsken, tüschen das heimische tüschen wertmäßig über !wischen hob. Auch der schriftliche Verkehr des Ostens mit den flandrischen Städten wird in gleicher Richtung ge-wirkt haben. Doch auch das kann nur Stütze, nicht Grundlage für das ostdeutsche tüschen gewesen sein.

    Nach TEUCHERT 42 ist tüschen an der französischen Sprachgrenze ent-standen, es ist letzten Endes "ein Erzeugnis romanischer Aussprache im fränkischen Munde". Trifft das zu, dann ist das in den ersten nieder-ländischen Urkunden des 13. Jahrhunderts belegte tusken, tusghen usw. seinem Ursprung nach Jahrhunderte älter. Das niederländisch-west-fälische tuschen-Gebiet wäre eine erst allmählich entstandene Einheit, Westfalen hätte tusken, tuschen über den Niederrhein aus dem Nieder-ländischen bezogen. Es hat es bis zur Weser aufgenommen und weiter ans Oldenburgische abgegeben. Der geschlossene westfälische tuschen-Raum findet seine Entsprechung etwa in den Karten für 'Gerber' und 'Schuhflicker' beiM. AsnAHL HoLMBERG, auf denen sich westfälische löer und lapper an der Weser genauso eindrucksvoll von den ostfäll-sehen Bezeichnungen gerwer und biiter absetzen wie tuschen von !wi-schen. Wann sich tuschen im Westfälischen festgesetzt hat, läßt sich nicht genau sagen, sicherlich lange vor dem 13. Jahrhundert!3•

    Mainz KARL BrscHOFF

    42 PBB 71, 271. 48 Daß die oben S. 4 angeführten vereinzelten südwestfälischen /wischen Reste des

    ursprünglichen vor-tuschen-Bestandes in Westfalen sind, ist wenig wahrschein-lich.- W. FOERSTE weist mich freundlicherweise bei der Korrektur hin auf den Ortsnamen Tvusclarun 1088 unbek. b. Ennigerloh bei )ELLINGHAUS, Die westfälischen Ortsnamen. 3. Auff. 1923, S. 127. In den Güterverzeichnissen des Stiftes Freckenhorst aus den Jahren 1348-1355 kommt er als Tuslere vor. HoLTHAUSEN, Altsächs. Wörterbuch führt S. 76 an "Twiskinun On. Tuschen". (Quelle?)

  • Schwelen 'heuen'

    In den etymologischen oder sprachgeschichtlich eingestellten Wörterbüchern wird gewöhnlich unter dem Wort schwelen 'ohne Flamme langsam brennen' als weitere Bedeutung 'Gras trocknen, Gras zusammenharken' angeführt. Auch im Deutschen Wörterbuch (DWb IX 2478) bringt M. HEYNE schwelen 'Heu machen' unter schwelen 'ohne Flamme qualmend brennen'. Er schreibt aber dazu: "auffällig ist die verschiebung der bedeutung vom dörren des grases auf den ganzen vorgang des heumachens, das in haufen legen, wenden, zusammen-kehren und -rechen usw., s. besonders TEN DooRNKAAT KooLMAN a. a. o. ( = 3, 375); so auch wangeroog. swili, swtli, das sogar 'rechen, harken, fegen, reinmachen' bedeutet, s. ebenda, wenn hier nicht ein ganz verschiedenes wort im spiele ist."

    Es spricht in der Tat manches gegen diese Gleichsetzung der beiden Wörter. Schwelen in der Bedeutung 'ohne Flamme brennen' kommt im Westfälischen sowohl mit ein offener Silbe als auch mit umgelautetem langen a vor, ebenso im Altenglischen. Ae swelan, st. v. der IV. Klasse, ist intransitiv; swcelan, sw. v., ist transitiv. Außerdem kommt noch ein transitives swellan vor. Im Westfälischen hat anscheinend das transitive V erb immer a, das intransitive sowohl 7i wie e in offener Silbe. Das V erb um schwelen 'heuen' ist immer transitiv, hat aber als Vokal gerade nicht langes 7i sondern, so viel ich sehe, immer tonlanges e. (Nur J. C. DAAN: Wieringer landen leven in de taal, 1950, p. 128 verzeichnet S1Peeld mit ee, das sonst fürwestgerm. a und seinen Umlaut steht). In den nordfriesischen Mundarten wird swel (Sylt) bzw. swial (Föhr und Amrum) 'ohne Flamme brennen' von swele 'Heu zusammenschieben' (Sylt) bzw. S11lelli (Föhr und Amrum) unterschieden. Also das transi-tive V erb schwelen 'heuen' hat gerade nicht den Vokal, den das transi-tive schwelen 'sengen' hat. Außerdem sollte man doch, wenn die beiden Wörter identisch wären, auch das Wort schwelen in intransitiver Bedeutung in Bezug auf das Heu gebrauchen. Man sagt aber nie "Das Heu schwelt gut" im Sinne 'das Heu trocknet gut'. Die in den Mundartwörterbüchern angeführten Beispiele für den Gebrauch des Wortes schwelen beziehen sich, wo sie die Arbeit im Heu genauer angeben, auf das Zusammenharken, das Beieinandermachen des Heues (Vgl. z. B. BoEKENOOGEN 1275; WALING DIJKSTRA, Friesch Woorden-boek 3, 254; DooRNKAAT 3, 375; MENsiNG 4, 991). Daß man von da aus gelegentlich auf die weitere Bedeutung 'im Heu arbeiten, heuen'

  • 18 FELIX WORTMANN

    kommt, ist nicht verwunderlich und kein Grund, das Zusammen-harken als sekundäre, verengte Bedeutung anzusehen. Manche mit einer Präposition oder einem Nomen zusammengesetzte Formen haben gar nichts mit dem Trocknen des Heues zu tun, sondern nur mit dem Zusammenharken, z. B. westfriesisch neiSIPy!Je 'naoogsten van hooi; speelgoed en andere verspreid liggende voorwerpen bijeen-zoeken', slirtswy!Je 'nazwelen van hooi, dat na het bijeenhalen van den hooioogst is blijven liggen'. Das könnte zwar auf einer nachträglichen Bedeutungsverschiebung beruhen, doch ist das unwahrscheinlich. Schon alte Belege meinen gerade das Zusammenmachen des Heues. Marnix (t 1598): lcle droogh 11JI, als 'I dorre gras, datmen Silleeil op eenen las. Pers (t 1662): Dat gy ons de kost gaet wijsen, De eens moeders grage hand Heejt gaen zwelen, plucleen, schuylen Uyt de bosschen, weyden, le11Jien. E. Bekker (1784): ( Gij) leeert het gras en lelaver, En Silleeil het uit elleander. (Alle drei Stellen nach A. DE ]AGER, Woordenboele der FretjlletJia#even 1, 950. Zur letzten Stelle vgl. TER LAAN, Nietm~ Groninger Woordenboele. Tweede druk 1952, p. 1075: hooi wieren 'droogen door het uiteen te slaan'.)

    Das Ergebnis des Schwelens ist eine Welle Heu. Diese heißt in einem großen Teil der nördlichen Niederlande, Nordwestdeutschlands und Schleswig-Holsteins Swi/1 oder Swil (mit tonlangem i) (s. TON kaart 11; MENSING 4, 991 ). Das Substantiv und das Verb kommen also beide in demselben Raum vor. Ob überall, wo das Substantiv in der Bedeutung 'Heuwelle' gebraucht wird, auch das Verbum gilt, kann ich nicht sagen. Das Verb ist jedenfalls auch in Gegenden bekannt, in denen die Heuwelle andere Namen hat, so in Ostfriesland, Groningen, Friesland, Holland, doch liegenalldiese Gegenden in der Nachbar-schaft von Swi/1- bzw. Swii-Gebieten. Man kann daher wohl ruhig annehmen, daß das (schwache) Verb mit dem Substantiv verwandt ist. In Drente entsprechen sich nach C. HrJZELER (Boerenvoortvaring in de olllie landschap. Termen en gebruileen van het boerenbedrijf in Drente. Assen 1940, p. 54, 77, 100,123 u. 6, 7) die Formen des Substantivs und Verbs jedesmal. In den Orten, in denen das Substantiv Sllli/1 heißt, heißt auch das V erb Slllillen, wo Slllil, da Slllelen. Auch in V riezenveen lautet, wie mir Herr ENTJES mitteilte, das Substantiv Sllli/1, das Verb swillen. Swillen ist sicher eine junge Ableitung von Sllli/1, so wie im Südosten der Drente auch zu rfgel 'Heuwelle' das Verb rigel'n gebildet ist (HrJZELER a. a. 0. 13).

  • Seh11Jelm 'he~~m' 19

    Das Substantiv Swill ist identisch mit ahd., as st~Ji/'Schwiele', wäh-rend Swil ags. st~Jile (i-Stamm) oder ahd. st~Jilo entsprechen kann. HEE-ROMA hat sich zweimal mit dem Verhältnis von zwil und zweel befaßt (Driem. bl. 1957, 22-30 und 71-75) und erklärte zweel als een re-interpreterende omvorming van zwil 'langwerpige verhevenheid' onder invloed van het werkwoord zwelen 'hooien, bijeenharken' (Dies Wort setzt er mit schwelen 'ohne Flamme brennen' gleich). Zuletzt sind ihm aber doch Zweifel gekommen. Er schreibt: "Of moeten we aannemen, dat zwee/ een oude bijvorm van zwi/ is en pas Secundair door het taalgevoel in verband is gebracht met het werkwoord zwelen ?" In TON 2 afl. p. 9 hält er aber die erste Erklärung für wahr-scheinlich. Größere Nähe zur Bedeutung 'Heuwelle' hat das Wort Schwiele in seiner Bedeutung 'Striemen' (s. DWb. s. v. Schwiele n. 4). Daß das Wort Schwiele auch 'Heuwelle' bedeutet, ist nicht auffällig. Wir finden öfter,daß 'Schwiele' und 'Heuwelle' bzw. ähnliche Gebilde mit dem gleichen oder einem verwandten Wort bezeichnet werden. In Süd-westfalen sagt man für die Heuwelle Wale [ s. TON kaart 11 ], im Eng-lischen bedeutet wale 'Striemen, Schwiele', das Verb to wale 'striemig machen, schlagen'. Mnd. waten bedeutet 'wälzen'. Zu Wale gehört Wlele 'Speckfalte am Bauch' (z. B. Venne, Kr. Lüdinghausen), wlelen 'wälzen' (Osnabrück-Schinkel), 'Schnee zusammenwehen' {WoESTE-N 223), aber auch wlelöerig 'widerspenstig' (Curl bei Dortmund [ s. H. BEisEN-HERZ: Volealismus der Mundart tles nordöstlichen Landkreises Dortmund. Diss. Münster 1907, § 45]), oftumgedeutet in wie/hörig [z. B. ScHMOEK-KEL-BLESKEN 329]. Daneben gibt es aber auch st~J/elörig in derselben Bedeutung [WoESTE-N 266]; zwiloor [W ANINK 220]. Das wlel- bedeutet hier also wohl 'Schwiele' [HEEROMA verzeichnet in TON, kaart 11 für die Quadrate v 99' , w 99' dreimal das Wort weel für die Heuwelle und erklärt es als Kreuzung zwischen st~Jeel und wiers. Vielleicht mit Recht. Es könnte aber auch zu unserm Wort Wlele gehören]. Im Skandinavi-schen heißt die Schwiele Valk. Im Norwegischen ist Valk aber auch 'en opskylletBanke afSand eller Mudder' [AAsEN 894]. In englischen Mundarten ist st~Jale 'a gende rising in the ground with a corresponding declivity; a slight dip or depression in the surface of the ground, a hollow between two banks or ridges' [WRIGHT 5, 862]. In Südwest-falen (Müschede, Kr. Arnsberg) bedeutet schwalen 'jemanden verhauen' (vgl. oben englisch to wale. SchwaJen kann allerdings auch schwadelen, eine Ableitung von schwaden 'stark prügeln' [WoESTE-N 264] sein.)

  • 20 FELIX WoRTMANN

    Das nl. Wort wiering 'Heuwelle' ist verwandt mit ags. wearr, nl. weer 'Schwiele', deutsch Werre 'Gerstenkorn am Auge'. Zu griechisch tyle bzw. tjlos 'Schwiele' gehört ty/Oö 'mache eine Schwiele', tylissö 'wulste, rolle auf'.

    Wenn man schwelen 'heuen' mit Schwiele zusammenbringt und von schwelen 'ohne Flamme brennen' trennt, bietet auch das i in altfriesisch swilath (3. Sg. Präs.) statt C" keine Schwierigkeit mehr. [ s. auch TH. SIEBs, Geschichte der friesischen Sprache (in Pauls Grundriß) S. 1192, § 20 Anm. 1 : "Dafür, daß nicht nur vor r, sondern auch vor I das e zu i geworden sei, gibt es kein Beispiel. Die Form vilat F 60 ist etymolo-gisch ganz unsicher; swilath von * swilia 'Heu aufharken' aber weist auf germ. i zurück, vgl. nwfries. swi/ia Schierm., wg. swili, nordfries. swaela Sylt (aus * swiija)."- Nebenbei: Das mnd. welen 'dörren, welk werden', zu dem das fries. wilat gehört, hat wohl kein altes e· sondern i, denn das westBilisehe Wort für 'welk' zeigt le: wlelek, wlelk, wlelech. Dies Wort wird zu mnd. welen 'welk werden' gehören. Genau gleich hd. welk kann es wegen des le = i in offener Silbe ja nicht sein. Altfries. wilat und nwestfries. wyije würden dann wie das niederdeutsche welen altes i in offener Silbe haben.

    Doch wie ist nun das genauere Verhältnis von schwelen zu Schwiele? Wegen der späten Überlieferung und räumlich begrenzten Geltung des Wortes schwelen, läßt sich darüber nichts Sicheres sagen. Schwelen 'heuen' ist erst seit dem 15. Jh. belegt. Die neuwestfriesische Form swyije sagt uns, daß wir es wohl mit einem Verb der 2. schw. Konju-gation zu tun haben (*swiloian), wozu auch die altfries Form swilath (3. Sg. Präs. Ind.) stimmt. Die friesischen Belege zeigen weiter, daß das Wort ein i in offener Silbe hat, kein umgelautetes a. Ein i in offener Silbe läßt sich aber weder aus einer Ableitung von dem intransitiven schwellen noch von dem transitiven schwellen erklären. Das Wort schwelen 'heuen' wird deshalb von einem Nomen abzuleiten sein, etwa von germ. * swiliz, wie fiskön von fisk (lat. piscis). Dabei ist für das Nomen nicht gerade von der Bedeutung 'Schwiele' auszugehen, sondern von andern Schwellungen. Schwelen wird die Tätigkeit bezeichnet haben, durch die Heu (oder auch andere Massen) zu schwulst- oder wulst-artigen Bildungen zusammengebracht wird.

    Die Wurzel zu schwellen ist swel. Das II ist wohl durch Assimilation des I mit dem präsensbildenden n entstanden. Wörter aus der Wurzel swel mit einfachem I, in denen der Begriff des Schwellens noch klar

  • Schwelen 'heuen' 21

    zu fassen ist, und die eindeutig den Vokal der ersten Hochstufe auf-weisen, habe ich sonst nicht gefunden. Doch heißt in Wulften, Kr. Bersenbrück die Schwellung des Euters bei der frischmelken Kuh svilst oder svplt~, dies wohl

  • 22

    A koets • alkoof

    HEINRICH ENTJES

    weiter westlich an der Maas und der Waal entlang. In diesem Gebiet ist es das allgemeine Wort. 3. alkoof in einem kleinen Gebiet um Maastricht herum, das sich bis nach Belgien hinein ausdehnt.

    Aus der Tatsache, daß koets vereinzelt nördlich von Amsterdam vorkommt und auch am östlichen Ufer des IJsselmeers bekannt ist,

  • Zur nl. Wortgeographie tl8s Sthranllbetls 23

    läßt sich wahrscheinlich schließen, daß das koets-Gebiet früher aus-gedehnter gewesen ist.

    Das Material für die Karte der bedstee in den Niederlanden wurde zur Verfügung gestellt von der Dialectencommissie van de Koninklijke Nederlandse Akademie wan Wetenschappen in Amsterdam. Es istVragenlijst No. 22 (1952), 4 entnommen.

    Zwolle H. EN'I'JES

    Niederdeutsche Bezeichnungen des Schrankbetts

    (mit Wortkar18)

    Zur Geschichte der Bettstatt

    Das Wort Bett bezdchnet in unserer Sprache normalerwdse eine aus Bettgestell, Matratze, Kissen und Decke bestehende Schlafgelegen-hdt. Wir können es aber, vor allem in den Zusammensetzungen Feder-Ober- und Unterbett, auch in dem engeren Sinne von •Polster, Feder-bett' gebrauchen. Ja, die letztgenannte Bedeutung dürfte sogar die ältere sein, da sie schon in der altenglischen und althochdeutschen Über-lieferung seit dem 8. Jh. bezeugt ist1, auch im Nordischen sdt alter Zeit üblich war 11 und als altes germanisches Lehnwort noch im heuti-gen finnischen patja •Polster' fortlebt. Wenn dies aber die Grund-bedeutung des urgerm. *badjan war, kann es schwerlich mit lat. fadere • graben' verwandt sein und ursprünglich "in den Boden eingewühlte Lagerstitte"3 oder "Schlafgrube"4 bedeutet haben. Deshalb stellen wir es lieber zur idg. Wurzel *bhedh- •beugen, drücken', die auch in ae. cnio-bed •Gebet' ( dgentlich •Kniebeugung') und dem entsprechenden altindischen }Ru-bädh •die Knie beugend' vorliegt5• Bett wäre demnach etymologisch! mit bitten und beten *•die Knie zum Gebet beugen•

    1 WRIGHT-WüLKER, Anglo-Saxon and 0/d English Votabularies 1, 16,16 belegen aus dem Corpus-Glossar: &ul&ites ('Matratze, Kissen' u. ä.), bed. - Ahd. Gl. 3, 664,43: piU111a&ium etiam petti di&itur. - Wegen der abgekürzt zitierten Titel sei hier ein für alle Mal auf die Abkürzungsverzeichnisse in Bd. 1 dieser Zeit-schrift verwiesen.

    1 FRITZNER 1,119 be4r m. 'Underlaag hvorpaa man hviler i Sengen, sidder paa Banken, Bolster'.

    1 POKORNY 114: 1. bhedh-' KLuGE11 : Bett. 1 PoKORNY 114: 2. bhedh-.- MAYRHOFER, Kurzgefaßtes etymologisthes Wörlerbuth

    tl8s Altindisthen 425: bädhate.

  • 24 WILLIAM FOERSTE

    nächstverwandt und hätte also ursprünglich ein 'zusammendrückbares, elastisches Polster' bezeichnet. Demnach müßte die in nordischen Mundarten geläufige Bedeutung 'Tierlager, Nest' sich sekundär ent-wickelt haben, ähnlich wie z. B. in dem aus frz. eouehe 'Ruhebett' ent-lehnten rhein. Kautsehe 'mollige eingedrückte Stelle im Heu, Stroh, Grase, Kissen infolge Lagerns; Tierlager, Loch'; desgleichen die Bedeutung des etymologisch identischen Beet (vgl. bedeutungsge-schichtlich frz. eouehe 'Mistbeet' aus 'Bett') und endlich auch die von Flußbett, die sich wie in frz. lit (aus lat. leetus) und lit. /Ova 'Bett' (zu lett. Iava 'Pritsche') aus dem Bild des in der Mitte zusammengedrückten Polsters oder Strohsacks leicht ergeben konnte.

    Bewegliche Bettgestelle kannten die Germanen in ältester Zeit nicht. Diente eine Fürstenhalle zugleich als Schlafsaal ftir die Gefolgschaft, wie es die im 8. Jh. entstandene altenglische Heldendichtung Beowulf Vers 1239 f. schildert und auch sonst nachweisbar ist6, so machten die Krieger für ihre Nachtruhe die ~retterbühne (ae. benepelu = aisl. bekkpili) 7 frei und belegten sie mit "Betten" und Polstern (beddum ond bolstrum). Als Decke werden sie ihre Mäntel benutzt haben, wie es z. B. auch isländische Bauern 8 und die Krieger Karls d. Gr. taten 9• Im nordseegermanischen Raum muß es derartige feste Bettstellen schon vor der Zeit der angelsächsischen Landnahme in Britannien gegeben haben. Darauf deutet nämlich ihre gesamt-nordseegermanische Bezeichnung as. selmo, ae. sealma und beneselma, afries. bed-selma. Im Beowulf (Vers 2460) und Heliand (Vers 4007) wird dies Wort schon pars pro toto für 'Bettstatt, Lager' gebraucht10, was trefflich zu der frühen ae. Glosse sponda, beneselma11 stimmt, während moderne nieder-deutsche, friesische und niederrheinische Mundarten es z. T. noch in der älteren 12 Bedeutung '(vordere) Bettkante', 'vordere Holzwand der Wandbettstelle' 13, vereinzelt auch in der sekundären Bedeutung

    6 E. WEBER, Die Halle Heorotals Schlafsaal. Herrigs Archiv 162, 1932, 114-16. 7 V. Gu:eMUNDSSON, Privatboligen pä Island i sagatiden samt delvis i det evrige norden

    (1889), 215f. 8 Ebd. 218. • FEW 6, 279a, Anm. 28.

    10 J. HooPs, Beowulfstudien (1932), 125f. 11 WRIGHT-WÜLKER 1,47, 41 (Corpus-Glossar, 8. Jh.). 11 T. SKöLD, Einige germanische Lehnwörter im Lappischen und Finnischen. Uppsala

    (1960), 41-47 mit ausführlichen Belegen und Literatur. 18 DOORNKAAT 1, 124: bed-sefm; 3, 183: si/ms-kante.- MENSING 1, 328: Bett-se//,

    -selm, -si/1, -sü/1, -sült. - TEuT 1, 174: Bedd-sü/1. -MöLLER 43a: Ber-salem.-SCHMIDT-PETERSEN 13a: bäd-sa//am.- MUNGARD 33: ber-sa/em.

  • Nd. Bezeichnungen des Schrankbetts 25

    'kleine Schlafkammer über dem Stalle' 14 oder 'Holzwand, die in halber Höhe je zwei Viehstände von einander trennt' 16 kennen. Das Wort, das wie russ. slemja '(Quer)balken', gr. sllma 'Gebälk, Schiffs-verdeck, Ruderbank usw.' mit mtz-Suffix von der Wurzel s(v)e/'Balken' gebildet ist18, bezeichnete wahrscheinlich ursprünglich das erhöhte Kantenbrett einer wandfesten Schlafpritsche, das der Strohschütte (ae. striowen, ahd. gistrewi, bettistrewi), die als Unterlage für das eigent-liche "Bett" oder Polster diente, Halt gab und ein gutes Aufschütten (ae. stregan, Beowulf 2436, wörtlich streuen) ermöglichte.

    Als die Germanen mit der römischen Zivilisation in Berührung kamen, übernahm ihre Oberschicht alsbald die konfortabeln, mit Flaum (lat. pluma 'Feder') gefüllten gallisch-römischen Federkissen und Pfühle (lat. pulvinus 'Polster'), später auch die im Mittelmeer-Raum seit alter Zeit übliche bewegliche Bettstelle. Sie läßt sich zwar schon seit dem 7.f8. Jh. in Mitteleuropa nachweisen17, seit der Wikingerzeit (Gokstad- und Oseberg-Schiff um 900) in Skandinavien und im späten Mittelalter auf den Britischen Inseln18, drang aber erst Jahr-hunderte später in die bäuerlichen Schichten ein. Ihre Herkunft aus der Mittelmeerkultur verrät auch die in manchen nd. Mundarten noch bekannte Bezeichnung Spunning, Spunnige aus lat. sponda. Südlichen Anregungen entsprang wohl auch das Bestreben, die einzelnen Schlaf-plätze durch Vorhänge oder niedrige Holzwände von einander und vom übrigen Wohnraum abzutrennen, wie wir es seit detn 9. Jh. für den Norden111, ein Jahrhundert später auch für die Angelsachsenso erschließen können. Vor allem aus den altisländischen Sagas wissen

    u MENSING 4, 471: Seim (Pellworm). 15 Rhein. Wb. 8, 73: Seile, f. Das auslautende-m wurde wahrscheinlich als Endung

    des Plurals empfunden, wonach dann ein neuer Singular gebildet wurde. V gl. das holstein. Bett-se// und analog MENSING 4, 288 Scha/11 'Zweig, Gabelzinken, Karrenholme' (Schalm. - So schon CHR. WALTHER, Nd. Kbl. 25, 92f.

    10 W. PoRZIG, Idg. Forsch. 42, 234. - PoKORNY 898. - V ASMER 2, 659. 17 M. und A. HABERLANDT, Die Völker Europas und ihre volkstümliche Kultur. 1928,

    476. 18 M. ERIKSSON, Hjä/1 och tarre samt andra ord för översäng och övervaning. Uppsala

    1943, 12. 11 V gl. russ. solnys 'Ecke, Abteilung einer Bauernstube (hinter einem Bretterver-

    schlag)' (V ASMER 2, 690), das aus dem Sllejnhtls 'Schlafhaus' der Waräger entlehnt worden ist (ERIKSSON 33).

    10 BoswoRTH-ToLLER, An Anglo-Saxon Dictionary 76: bed-wahrift (lies wdgrift) n. A curtain; (Beleg von 995).- Vgl. Hoops: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 1, 1911/13, 268: Bett.

  • 26 WILLIAM FOERSTE

    wir, daß die als Bettstatt dienende erhöhte, oft gedielte Fläche (f/et, sei, pallr), die vor allem die Giebelwand des Wohnraums zu säumen pflegte, durch Vorhänge oder niedrige Bretterwände in kleinere Schlafplätze (.ref, rtlm, hvila, sang, rekkja) abgeteilt wurde, die jeweils zwei Schläfern Raum botenlll,

    Außer solchen wandfesten bankartigen Bettstellen benutzten die Nordseegermanen wie andere germanische Stämme auch Zwischen-böden, die am Dachfuß über den warmen Viehställen eingezogen wurden, als Schlafbühnen. Aus der nd. Bezeichnung Hille (= bair.-österr. Hüll(er) 'Raum über der Tenne, Dachboden'), die im ver-wandten altnordischen hjallr 'Gestell', schwed. ma. hjäll' Schlafbühne' usw. ein Gegenstück hat, schließt man wohl mit Recht auf einen alten nordwesteuropäischen Zusammenhang und auf ein hohes Alter dieses ersten Ansatzes zum Halbgeschoß 22• Während aber in Skandinavien solche Schlafböden auch in die Wohnräume eingezogen und schließ-lich zu zweistöckigen Wandbetten ausgestaltet wurden, blieben sie in Niederdeutschland gewöhnlich auf dieLängssehen des niederdeutschen Hallenhauses beschränkt und wurden im allgemeinen nicht in die später am Kopfende des Hauses eingebauten Stuben übernommen. Auf den oft zu primitiven Schlafkojen ausgebauten Rillen oder Auken (Pommern: KNooP 4), in der Büne oder der Sneikamer (Wesergebiet) über bzw. neben den Ställen schlief in der Regel das Gesinde, während die Familie des Bauern die in Westfalen vielfach frei stehenden, sonst meist in eine Wandnische fest eingebauten Schrankbetten benutzten, die bis zum Ausgang des 19. Jhs. so charakteristisch für das nordwest-deutsche und niederländische Bauernhaus gewesen sind.

    Die Einführung solcher kastenartig abgeschlossenen Schlafstätten ist gewiß mit Recht als erste Stufe der letztlich durch mittelmeerische Einflüsse ausgelösten Entwicklung vom Hallenhaus zum mehrräumi-gen Haus betrachtet worden 23• Aber im übrigen liegt die Geschichte des niederdeutschen Schrankbetts, das seinerseits die Entwicklung der Schlafstätte in den skandinavischen Ländern stark beeinfl.ußt hat 24, noch im Dunkel. Wir hoffen, durch eine wortkundliehe Erörterung der plattdeutschen Bezeichnungen für das 'schrankartige Wandbett',

    11 GuaMUNDSSON 216ff. 11 ERIKSSON 284. II ERIKSSON 40. "ERIKSSON 280ff.

  • Nd. B~eich111111gen des Schran/l:btlls 27

    die wir 1950 aus etwa 4000 Schulorten Nordwestdeutschlands mittels eines Fragebogens zu einem geplanten Niederdeutschen Wortatlas (NW A) gesammelt haben, auch dem Hausforscher und Kulturge-schichtler einige nützliche Hinweise für die noch ungeschriebene Geschichte des Wohnens in Niederdeutschland geben zu können.

    * * *

    Unsere Wortkarte, die also auf einem bedeutend größeren Material beruht als die entsprechende, trotzihrer Beschränkung auf 108 Orts-punkte überraschend richtige Karte WrLHELM PEsSLERs25, läßt zu-nächst erkennen, daß im südlichen Niedersachsen, etwa bis zu einer Linie Minden - Hannover - Gifhom, aber auch im mittleren West-falen zwischen Lippe und Ruhr sowie zwischen Teutoburger Wald und Weser nur verhältnismäßig wenige Bezeichnungen gemeldet wurden. Daraus wird man schließen dürfen, daß hier der Alkoven schon seit längerer Zeit abgekommen ist und daß mit der Sache auch die Benennungen untergegangen sind. Daß die schrankbettartige Schlafstelle früher auch im Süden gebräuchlich war, zeigen Relikt-gebiete im südöstlichen Sauerland und in der Mark mit den altertüm-lichen Bezeichnungen Külter bzw. Kasten-Beddsti•e.

    Das große zusammenhängende nordwestdeutsche Gebiet, in dem noch 1950 fast überall die alten mundartlichen Wörter für den inzwi-schen wohl in allen Landschaften abgeschafften Alkoven bekannt waren, zerfällt, aufs Ganze gesehen, in drei Hauptgebiete: einen nordwestfälischen Raum, wo die Bezeichnung Durkf Dutk vorherrscht, ein großes Bu(u)tzen- Gebiet zwischen Elbe- Weser- Hunte, das sich früher (vor dem Eindringen von Alkoven in Nord-Oldenburg) durchgehend bis zur niederländischen Grenze erstreckt haben dürfte, und die kleinflächig aufgesplitterte schleswig-holsteinische Sprachland-schaft, in der die ältere Wortschicht (Kubs, Kuusch, Luukbedd) weit-gehend durch jüngere Bezeichnungen verdrängt ist, vor allem durch Alkoven; inmaakt, inbuud, indisch/ Bedd oder schlechtweg Beddstä, das übrigens auch andere Landschaften in dieser speziellen Bedeutung kennen.

    15 W. PESSLER, Plaltdeulscher Wortalias von Nordwestdeutschland, 1928, Karte 53: "Die plattdeutschen Bezeichnungen für das Wandbett."

  • 28 WILLIAM FOERSTE

    Nach diesem kurzen Überblick über die verbreitetsten Bezeichnun-gen besprechen wir die einzelnen Synonyme, indem wir mit den ältesten beginnen.

    DurkfDutk

    Diese offensichtlich etymologisch zusammengehörigen Wörter bilden ein geschlossenes V erbreitungsgebiet, das sich von der Lippe fast bis zur Stadt Oldenburg und von einer Linie Rheine - Haselünne im Westen bis Bielefeld-Minden- Wildeshausen im Osten erstreckt. Vereinzelte Streubelege westlich und nördlich des heutigen Wort-raums deuten darauf hin, daß dieser Bezeichnungstyp früher weiter verbreitet gewesen und im Westmünsterland von niederrhein. Bedde-kast26, im Erosland von nordnd. Bu(u)tze und im Oldenburgischen von Alkoven verdrängt worden ist.

    Unter DurkfDutk verstand man in Westfalen einen freistehenden großen, allseitig verschließbaren Bettkasten. "Späterhin, mit der Ent-wicklung der Kammern (die auch als Einbauten in die Seitenschiffe eingefügt wurden) schrumpften die Durken zu Wandbetten, die durch Türen nach der Diele abgeschlossen werden konnten" 27•

    Von den mundartlichen Doppelformen läßt sich das im weitaus größeren Raum vorherrschende Durk eindeutig identifizieren mit mnd. dork m., nl. dork, durk m., ae. jurruc, ne. thurrock •Kielraum, unterster Teil des Schiffsrumpfes, wo sich das Kielwasser sammelt'. Wir müssen also annehmen, daß die Form Dutk aus Durk entstellt ist. Justus Mösers verhochdeutschte, vielleicht auch etymologisierend an fz. dortoir 'Schlafsaal' angeglichene Form Durlieh (Patriotische Phanta-sien I: Die Spinnstube) deutet auf folgende Lautentwicklung hin: Durrik)Durdik)Duddik)Dutk.

    Die Etymologie von Durk ist noch nicht geklärt. Viele Etymologen identifizieren es mit steirisch T urk • Schlucht' und betrachten diese Wörter als Ablautsform zu got. pairko •Loch, Öhr', das mit unserer Präposition durch nächstverwandt ist 28• Die Richtigkeit dieser Her-

    21 Dieser Zusammenhang wird auf der erwähnten Wortkarte PESSLERS gut sichtbar. 17 R. UEBE, Westfälische Volkskunst, 1927, 24. ta F. JosTEs, Westf. Trachtenbuch, 1904, 40. Ebenso:

    H. ScHRÖDER, ZfdPh. 38, 527. Germanisch-Romanische Monatsschrift 1, 648. (Das von ihm herangezogene, aber sonst nirgends bezeugte dithmarsische Durk 'Vertiefung, Delle' geht wahrscheinlich auf das holst. DuJ!e 'Vertiefung' zurück. Der Übergang des dicken I in r kommt gerade in der Verbindung //e)r/e im Nordniederdeutschen öfter vor, vgl. z. B. KücK 1, 137: Hö/k-app'/ neben

  • Nd. Bezeichnungen der Schrankbetts 29

    Ieitung wurde aber mit Recht bezweifelt 29 ; denn das -rr- von ae. pu"uc, das übrigens auch vom westfälischen Durk vorausgesetzt wird, läßt sich aus dem in got. pairko und dt. durch vorliegenden Stamm nicht erklären. Auch die von manchen Forschern vorgeschlagene Zusam-menstellung mit engl.dark 'dunkel' 30 und mit der idg. Wurzel t~er'fassen' 31 können uns aus demselben Grunde ebenso wenig befriedi-gen. Die genannten Etymologien leiden außerdem daran, daß sie nicht den ganzen Bedeutungsumfang berücksichtigen und deshalb m. E. von einer falschen Grundbedeutung ausgehen.

    Das Schwedische kennt nämlich das nd. Lehnwort durk nicht nur als Fachwort der Seemannssprache, sondern auch der Baukunst und Technik. Beim Deichbau z. B. heftet man mit eisernen Krampen oder Klammern, die durk genannt werden, Balken auf dem Boden fest, während der schwedische Fachwerkbau mit diesem Wort die Tür- und Fensterpfosten sowie die waagerechten Balken über den Pfosten bzw. zwischen Pfosten und Hausecke bezeichnet32• Aus entsprechenden Bedeutungszusammenhängen in anderen Sprachen darf man schließen, daß es sich bei beiden Bedeutungen um das gleiche Wort handelt: So bedeutet etwa im Finnischen das Simplex pihti 'Gabel, Klammer', in der Zusammensetzung mit dem Bestimmungswort pieli 'Tür' aber ist pihti-pieli 'Türpfosten'. Das lit. spyna (etymologisch identisch mit lat. spina 'Dorn') bedeutet in der Schriftsprache '(Tür)schloß', mundart-lich auch '(Tür-, Fenster)pfosten bzw. das obere Querstück des (Tür-, Fenster)rahmens; Tür-, Fenstersturz', während das nah verwandte lett. spine 'eine mit beiden Enden in die Wand getriebene eiserne Klammer, woran Ketten befestigt werden' und 'einen in die Wand getriebenen eisernen Nagel' bezeichnet. Entsprechend gehört zu dem synonymen lit. stakta '(Tür-, Fenster)pfosten oder -sturz', Plural 'Tür-, Fensterrahmen' das lett. stakte 'gabelförmiger Ast, Gabelung eines Baumes' 33• Offensichtlich liegt den finnischen und baltischen

    Hiirk-app' I und MENSING 3, 619: Melk neben Merk 'Milch').- WNT 3, 2, 3149: dork und 3671 durk.- B. SANDAHL, Middle English Sea Terms, Copenhagen 1951, 108.- SMITH 2, 217:purruc.- PoKORNY 1073.- KücK 2,472: Nüst'rn.

    19 FALK-TORP 1453: Nachtrag zu Derk. 30 BEZZENBERGER in seinen Beiträgen 4, 1878, 321.- J. VERDAM, TNTL 2, 1882,

    202.- WALDE-POKORNY 1, 855.- HoLTHAUSEN, Ae. Wb. 72: deorc.- PoKORNY 251.

    31 H. ScHNEPPER, Die Namen der Schiffe und Schiffsteile im Altenglischen. Diss. Kiel 1908, 49.

    n SAOB: durk subst.2 3 38 FRÄNKEL 870. 893.

  • 30 WILLIAM FoERSTE

    Wörtern die Bedeutung 'Gabelholz' oder 'gebogenes Holz' zugrunde. Daß dies auch für schwed. nd. durk gilt, lehrt das m. E. durch Reduk-tion des Stammvokals (Metathesis) aus ae. ]>urroc entstandene ae. ]>roc '(oben gegabeltes) Pflughaupt, (dentale)' das mundartlich als throck, drock noch in derselben Bedeutung bezeugt ist34• Das somit erschließ-bare p111'1'UC *'Gabel-, Krummholz' ist offensichtlich eine k- Ableitung zu einem starken V erb, das in an. pverra 'schwinden, aufhören' vor-liegt. Das Bedeutungsverhältnis entspricht dem von nd. nl. Krampe 'gebogenes Holz oder Metall, Haken' und krimpen 'einschrumpfen, verkürzen, abnehmen, schwächer werden (vom Wind)'. Nächstver-wandt sind an. )orri 'Monatsname: Mitte Januar bis Mitte Februar', eigentlich 'Schrumpfmonat' (ähnlich wie unser Hornung), weiterhin auch zwerch, quer, Quirl, die sich alle auf die idg. Wurzel 1(!81"- 'winden, drehen' zurückführen lassen.

    purruc *'Krummholz' scheint bei den seefahrenden Nordseeger-manen insbesondere das 'Spant' bezeichnet zu haben, also jene ur-sprünglich aus nur einem Stück bestehende und auf den Kiel auf-gesetzte zweischenkelige Rippe eines Schiffes, die dem Schiffskörper seine Form verleiht. In historischer Zeit wurde das Spant gewöhnlich aus zwei oder drei Stücken zusammengesetzt. Dadurch hat sich die Bedeutung von purruc offenbar mehr auf den unteren Teil verschoben, "der quer über dem Kiele liegt und die stärkste Krümmung aufweist", wie es übrigens auch bei dem bedeutungsgeschichtlich vergleichbaren nl. vrang, an rpng 'Spant' der Fall war, das im Isländischen und Norwe-gischen 36 ebenso wie das aus dem Altnordischen endehnte frz. varangue geradezu 'Flurholz', d. h. unterster, quer über dem Kielliegender Teil des Spants, bedeutet. Von dieser erschließbaren Bedeutung aus läßt sich die ganze weitere Geschichte unseres Seemannswortes verstehen. Zunächst entwickelten sich das ae. )urruc38 ne. thurrock und mnl. mnd. dork zu der Bedeutung 'unterster Teil des Schiffsrumpfes'. Diese

    "SMITH 2, 213:proc.- WRIGHT 2, 179: drocJ:, sb.1 ; 6, 114: lhrock sb.1 - Die ae. Bedeutung 'Tisch' baieht sich wohl eigentlich auf den Schragen, der die (lose) Platte trug.

    11 HJ. FALK, Allnordisches Senvesen. Wörter und Sachen 4, 1912,46. •• Manche Forscher geben fragend auch die Bedeutung "kleines Schiff" an. Dies

    beruht jedoch auf einem Mißverständnis. In der ae. Glosse C11mba, ue/ caupolus, pii1TII& {WRIGHT-WÜLKER, Ags. Vocablliaries 1, 181, 35), die aus Isidors Etymo-logien 19, 1, 25 stammt (lembus, navicula brevis, quae alia appellatione dicitur et cymba el ctmpo/us), ist-wie so oft- dmba (= gr. J:jmbi 'Kahn') mit c~~mba, locus imus navis, quod aquis incumbat (Isidor 19, 2, 1), verwechselt worden.

  • Nd. Bezeichnungen der Schrankbetts 31

    Bedeutungsentwicklung läßt sich etwa vergleichen mit der von Spant 'zweischenkelige Schiffsrippe', das verwandt ist mit lit. spanda 'Gabel-ast, Stützpfahl (für Brunnenschwengel oder Gerüst)', also ursprüng-lich auch ein 'Gabel- oder Krummholz' bezeichnet haben muß, im ostfriesischen Niederdeutsch dann aber auch die erweiterte Bedeutung • das ganze Gerippe eines Schiffes' erreichen konnte 37•

    Das Wasser, das durch die Fugen der Schiffswände einzusickern pflegt, sammelt sich im Kielraum oder Sog, dem tiefsten Teil des Schiffes, der meist mit losen Dielen, die längsschiffs über die Flur-hölzer gelegt werden, bedeckt ist, damit man sich trocknen Fußes im Schiff bewegen kann. In der alten Zeit verband sich deshalb mit dem Wort thurrock bzw. dork oft die Vorstellung der stinkigen Schiffs-jauche, die sich hier sammelte. So definierte etwa der Lexikograph Chytraeus 1582 dork als "de badden des schepes darinne sik alle unflat samlet" 38• Die Vorstellung vom abgedeckten Sammelraum für Ab-wässer führte dann weiter einerseits zu den Bedeutungen 'hölzerne Abflußröhre unter einem Tor, kleiner hölzerner Tunnel durch einen Damm; überdeckter Abzugsgraben; breiter, flacher Deckstein als Brücke über einen Abzugsgraben oder eine Gosse; kleiner Wasserlauf, Graben', die für eng I. ma. thurrock, throck, drock 311 und ostfries. dork to bezeugt sind, anderseits wurde in englischen Mundarten auch die Be-zeichnung des abgeschlossenen Raumes auf dessen Inhalt übertragen, wie es oft vorzukommen pflegt (vgl. etwa Bowle, Kaltschale, Eintopf), so daß dork in der niederländischen Seemannssprache41 geradezu die Bedeutung 'Schiffsjauche' und in englischen Mundarten sogar 'Unrat-haufen' 42 annehmen konnte.

    In der niederdeutschen Seemannssprache entwickelte sich die Be-deutung noch nach einer anderen Richtung, deutlich erkennbar in schwed. durk und dän. derk, die wegen des anlautenden d- beide aus dem Niederdeutschen entlehnt sein müssen. Neben der älteren Be-deutung 'Kielraum', die im Schwedischen und Dänischen vom 16. bis zum 18. Jh. belegt ist, steht die daraus entwickelte jüngere 'aus losen

    87 DoORNKAAT 3, 264: spand. SB LASCH-BORCHLING 1, 456. 39 WRIGHT 6, 130: thurrock sb.1 - 2, 179: drock sb.1 - SMITH 2, 214: proc (2)

    und 217: purruc. 40 SCHILLER-LÜBBEN 1, 551: dork. 41 WNT 3, 2, 3149: dork. n WRIGHT 6, 130: thurrock sb.1

  • 32 WxLLIAM FoERSTE

    oder festen Brettern bestehender Doppelboden, der auf den Flur-hölzern ruht und den Kielraum abdeckt', speziell "Fußboden in den unter Deck befindlichen Lokalitäten eines Schiffes, z. B. Kajüte und Kesselraum" 43• Dieser Fußboden bedeckte also nicht das ganze Schiff, sondern nur diejenigen Teile, die besonderen Zwecken dienten. Des-wegen konnte dän. dork auch definiert werden als "Deck unten im Schiff, das sich über einen kleineren Teil der Schiffslänge erstreckt, z. B. Fußboden in Kajüte oder Maschinenraum" 44•

    Die weitere Bedeutungsentwicklung des Wortes im Niederdeut-schen wurde dadurch bestimmt, daß die Aufbewahrungsräume auf den germanischen Schiffen seit alter Zeit vorzugsweise im Vorder- und Hinterschiff lagen, die schon auf dem Osebergschiff durch ein er-höhtes Halbdeck ( dt. Pflicht und Heck, an. Iok und lopt, !Jpting) abge-schlossen und frühzeitig auch durch eine senkrechte Querwand als besonderer Verschlag vom übrigen Schiffsraum abgesondert waren 46. Am geschätztesten war der geschützte Raum im Heck. Besonders empfindliches Gut, das trocken lagern mußte, wurde hier verstaut. So erklärt es sich, daß engl. thurrock in der Mundart von Norfolk auf die Bedeutung "the lower flooring of the stern of a boat" 46 eingeengt wurde. In der kontinentalgermanischen Seemannssprache ging die Bedeutungsentwicklung noch einen Schritt weiter, indem Durk schließlich nicht nur den Fußboden, sondern den gesamten abgeteil-ten Raum im Heck bezeichnete. J. H. RöDING bucht 1794 in seinem Allgemeinen Wörterbuch der Marine das Seemannswort Durkin der Be-deutung "kleiner Raum oder Abteilung hinten im Piek ['Spitze'] auf verschiedenen holländischen Fahrzeugen, die nur ein Deck haben". Auch diese Bedeutung wurde ins Nordische entlehnt. Im 18. Jh. be-zeichneten dän. dork und schwed. durk vorzugsweise den 'hintersten Laderaum auf Kriegsschiffen, wo man Pulver, Munition und sonstiges Artilleriegerät lagerte'. Während der hintere Unterdecks-Raum im Englischen des 16. Jhs. deck 47 und im Niederländischen meist roef (ety-mologisch identisch mit engl. rooj 'Dach'), also nach der 'Decke' benannt wurde, ist der nl.-nd. Durk nach dem 'Fußboden' bezeichnet.

    43 SAOB: durk subst.1 44 ODS 4, 75: I. Durk. u HJ. FALK, Wörter und Sachen 4 48f. '" OED: thurrock. 41 OED: deck sb. I, 2.

  • Nd. Bezeichnungen des Schrankbetts 33

    Es liegt also eine ähnliche semantische Entwicklung vor wie bei norddt. Diele und Flur m., deren Bedeutung sich bekanntlich von 'Fußboden' zu 'Vorraum' verschoben hat.

    Solche abgeschlagenen Unterdecks-Räume, vielleicht auch insbe-sondere jener kleine Raum zwischen Schiffs-Fußboden und dem Halb-verdeck im Heck, der nach RöDING im 18. Jh. Durk hieß, werden ge-wiß auch als Unterkunft für das Schiffsvolk gedient haben, vor allem natürlich als Schlafräume; denn tagsüber hat eine Schiffsbesatzung ja selten Zeit, sich dort aufzuhalten. Und wenn nun die ringsum abge-schlossenen Schrank- und Wandbetten in westfälischen Mundarten ebenfalls Durk genannt werden, liegt es nahe anzunehmen, daß diese Bezeichnung von kleineren niederdeutschen oder holländischen Schiffen auf das westfälische Bettgehäuse übertragen worden ist. Denn Durk kann die Bedeutung 'Koje', wie wir gesehen haben, nur auf den Schiffen entwickelt haben. Übrigens hat schon der schwedische Lexikograph WEsSMAN, als er das an der österbottnischen Schären-küste aus dem Niederdeutschen entlehnte finnland-schwedische durk 'zweistöckiges Bett mit Vorhängen' buchte 48, der Meinung Ausdruck gegeben, daß es mit schwed. durk 'Kajüte' identisch sei.

    Dies zunächst allein aus der Wortgeschichte gewonnene Resultat wird noch durch eine sachliche Einzelheit gestützt, auf die mich J OSEF SeHEPERS (Münster) hinwies. Die Durke werden nämlich vielfach durch Schiebetüren, sog. Schotten, verschlossen. Das ist deswegen auf-fällig, weil Schiebetüren sonst in niederdeutschen Bauern- und Bür-gerhäusern nicht üblich waren, wohl aber wegen des beengten Rau-mes auf Schiffen. Wahrscheinlich ist also dies konstruktive Merkmal des Durks auch vom Schiffsbau übernommen worden.

    Schließlich kann die von uns erschlossene Wort- und Sachgeschichte auch durch bezeichnungsgeschichtliche Parallelen gestützt werden. In finnland-schwedischen Mundarten der Provinz Nyland heißt das in den dortigen Bauernhäusern übliche 'zweistöckige eingebaute Bett' kubrik 49• Diese Bezeichnung ist durch Vermittlung der russischen See-mannssprache entlehnt aus nl. koebrug 'niedriges zweites Deck unter dem Oberdeck, das zur Aufbewahrung der Kleidung und als Schlaf-platz der Besatzung diente' 5°. Auch das gleichbedeutende hyttsäng der

    48 WESSMANN, Ostsv. (nach ERIKSSON 184). 49 ERIKSSON 176. 192. 295. 50 WNT 7, 2, 4887: koebrug.- VASMER 1, 678: kdbrik.

  • 34 WILLIAM FoERSTE

    nordschwedischen Landschaft Medelpad entstammt der Seemanns-sprache (hytt 'Schiffskoje')6I.

    Eine weitere Stütze für unsere Vermutung, daß die engen Schiffs-kojen vorbildlich für die Gestaltung der nordwestdeutschen Schlaf-stätten gewesen sind, bietet uns die Geschichte des verbreitetsten niederdeutschen Synonyms des schrankartigen Wandbettes:

    Bu(u)tz(e)

    Diese Bezeichnung war unsem Gewährsleuten 1950 noch auf einer großen zusammenhängenden Fläche zwischen Eibe, Weser und Hunte bekannt. Im Süden wird das Butzen-Gebiet etwa von einer Li-nie Dümmersee-Minden-Hannover-Gifhorn begrenzt. Daß es früher weiter süd- und westwärts gereicht haben muß, zeigen verein-zelte Belege bis nachPeckelsheim, Kr. Warburg, Dransfeld, Duderstadt nnd der ostfriesisch-emsländische Westrand. Ostwärts erstreckt es sich über Mecklenburg und Brandenburg bis nach Ostpreußen.

    Die Butzen der Bauernhäuser waren meist einfache Holzverschläge. In der nördlichen Lüneburger Heide lag eine gemeinsame Knechtsbutze "oft an der Diele, rechts von dem Gatter, wo dann 3-4 Mann mit dem Kuhjungen zusammen schliefen, drei andere Butzen für die Fa-milie des Bauern und die Mägde lagen in derHerdwand desFletts"62. In älterer Zeit scheinen die fürs Gesinde bestimmten Butzen oft üb er den Ställen oder Nebengebäuden, z. B. über der Bleiche, gelegen zu haben. Dieser Zustand ist noch aus dem Kreis Minden 53 und aus Ost-Meeklenburg bezeugt. Im Lande Stargard bedeutet Butze nicht nur 'hochgelegener Schlafplatz im Stall oder in der Kammer, auf der Hof-gänger oder Kinder schliefen', und allgemein 'kleiner Verschlag neben dem Hauptraum', sondern auch andere Verschläge, wie 'kleine Dach-stube', 'hochgelegener Hühnerstall, Taubenschlag', ' Rampe, auf der die Häckselschneide steht', 'Verschlag unter der Bodentreppe zur Aufbewahrung von Brennholz', anderswo überhaupt 'dunkler Win-kel' oder gar 'bau!alliges Haus, Hütte' 54. Ähnlich ist Butze aus sächsi-

    61 ERIKSSON 181. 197. u W. BoMANN, Bäuerlicher Hauswe.ren und Tagewerk im alten Niedersachsen', 1941,43. 61 FREDERKING 21. uR. BLUME, Wortgeographie des Landes Stargard. Teuth. 9, 1933, 30f.- Br.Wb.

    1, 177: Buz~e 'ein altes baufälliges Haus, elende Hütte'. - H. ]ELLINGHAUS kennt ein "engrisches" But~e 'Lehmhütte' (Mitt. des Osnabrücker Gesch.-

  • Nd. Bezeichnungen du Schrankbetts 35

    sehen Mundarten als 'kleiner enger Raum zum Schlafen, elende Hütte und Verschlag zur Mästung von Federvieh' bezeugt66• Auch im Neu-märkischen und Ostpreußischen bezeichnet Butz(e) außer 'Wandbett, Rast' eine 'Gänsebucht' oder 'Abteilung des Stalles' 66• In der Zerbster Gegend und im Göttingisch-Grubenhagenschen dienten die als Butze bezeichneten engen, dunklen Verschläge unter der Bodentreppe als Schlafstätte der Mägde67, und in der schwedischen Provinz Värmland bedeutet das aus mnd. butze entlehnte husch eine 'Schlafbühne im Wohnraum'68•

    Das Wort lautet meist Butze oder Butz mit kurzem u, daneben kommt aber noch vielfach die ältere Lautform Buuz(e) mit langem Vokal vor. Im Lande Stargard (Mecklenburg), strichweise auch im Westniederdt. begegnet Butzen mit auslautendem -n, das aus den flek-tierten Kasus auf den Nominativ übertragen worden ist.

    Butze ist kein germanisches Erbwort, sondern eine Entlehnung aus altfrz. bouge, buge, das seinerseits zurückgeht auf gallisch bulga 'Leder-sack' (urverwandt mit unserm Balg)69• Die ursprünglichen Bedeutun-gen 'Schlauch, Lederbeutel', dann 'Felleisen, Ledertasche, Börse' leben nur noch in französischen Mundarten, während die neuere Schriftsprache bouge nur in den übertragenen Verwendungen 'bau-chiger Teil von Gegenständen, z. B. einer Tonne oder Radnabe' (seit dem 12. Jh.) und 'Wölbung des Schiffsrumpfes, kleine Bütte, Mauer-nische, Rumpelkammer, Bettnische 60, Spelunke, Bordell' bewahrt hat.

    Das galloromanische Wort ist mehrfach ins Germanische über-nommen worden. Die älteste Schicht, die wegen des erhaltenen vor-konsonantischen l vor dem 12. Jh. entlehnt sein muß, liegt vor in ahd.

    Vereins 1905, 8). Das Westf. Wörterbuch-Archiv hat einen Beleg aus Weh bergen, Krs. Bersenbrück, mit der Bedeutung 'Hütte'.

    66 K. MüLLER-FRAUREUTH, Wörterbuch der obersächsischen und erzgebirgischen Mund-arten, 162.

    68 R. MrELKE, Zur Besiedlungsfrage der Provinz Brandenburg im 12. Jahrhundert. Bran-denburgia 25, 1917, 58. - Ziesemer 1, 896: Butz(e).

    67 VoLLBEDING 13.- ScHAMBACH 36f. 58 ERIKSSON 150. 152. 167. 58 J. HuBSCHMID, Schläuche und Fässer, Bern 1955, 25-27.- J. VENDRYES, Sur un

    nom du 'sac de cuir'. Bulletin de la Societe de Linguistique de Paris 41, 1940, 134. 8° FEW 1, 605f.: bulga. Vgl. auch Enyclopldie ou Dictionnaire raisonl ... Geneve

    1777, Tome V, 355: Bouge s. m. est une petite piece ordinairement placee aux c6tes d'une cheminee pour serrer differentes choses. Ce mot se dit aussi d'une petite garderohe ou il n'y a place pour un lit tres petit.

  • 36 WzLLIAM FoERSTE

    bulge, pulge, obdt. Bulg(e)61, mnl. bolge, mnd. bulge ·schlauch, lederner Wassersack, -eimer, Felleisen•, engl. bulge, bilge •Tasche, Beutel, (Leder)börse; Buckel, Auswuchs; Boden des Schiffsrumpfes• (OED). In letzterer Bedeutung hat es nicht nur im Englischen, sandem auch im heutigen Niederdeutschen (Bilsch) das alte thurrock bzw. durk ver-drängt. Erst nach der Entwicklung von gallorom. bulga zu afrz. bouge wurden endehnt: engl. bouge, budge, budget (aus afrz. bougette) •Leder-börse, Haushaltsplan des Schatzkanzlers•, mnl. boege, boegie, boesge •Reisetasche, Börse•, ostnl. fries. ostfries. büüts(e) büüße •lose Tasche unter der Oberkleidung der Frauen•, •Tasche in einem Kleidungs-stück,82. Aus dem Bedeutungskreis •Korb, Backtrog, Bütte, Wasch-faß•, der nach Ausweis von rhein. Butz •waschkessel,83, meckl. Butz •waschfaß,84 und ostpreuß. Butz(e) •Gefäß, Topf"85 früh aus dem Französischen 88 in die rheinischen und niederdeutschen Mundarten übernommen worden ist, entwickelte sich wie in ähnlichen semanti-schen Fällen87 schon im Altfranzösischen des 14. Jhs. die Bedeutung •kleiner, in eine Zimmerwand eingebauter Abstellraum, Bettnische, enges dunkles Gemach, Rumpelkammer•. Dies afrz. bouge (gesprochen büdze) stimmt lautlich und semantisch so genau zu nd. Buutze •schrank-artiges Wandbett•, daß an der Identität beider Wörter nicht zu zwei-feln ist.

    Daraus folgt aber, daß das niederdeutsche Wort nicht mit an. btlza, mnd. butze, büs(s)e •Fracht- und Fischereischiff• zusammenhängen

    11 Ahd. Gl. 3, 645, 12; 691, 44.- MARTIN-LIENHART 2, 40: Bu/g.- FISCHER 1, 1513: Bulge.- OcHs 1, 365: Bulge.- Schweiz. Id. 4, 1213: Bu/g. - Schatz 11B:pulge.- KLUGE: Bulge1•

    81 WNT 3, 1, 1771: buir IV, Aanm.- GALLEE 8: biJtze, bllue.- BERGSMA 77: buur, buurre, buutse, buurt, buir.- TER LAAN 143: buur, buutt(e).- DooRNKAAT 1, 260: biJ.r.- W. DYKSTRA, Frierch Woordenhoele 1, 346: btU, btJte.

    •• Rh. Wb. 1, 1186: Butz IV. "R. MIELKE, Zur Beriedlungifrage der Provinz Brandenburg, Brandenburgia 25, 1917,

    58 schreibt zur Begründung seiner verfehlten Etymologie: "Auch in der Bezeichnung Butz für die Gänsebucht in Ferdinandshof tritt diese Herleitung [von biian 'bauen'] zutage, wie in dem Namen für Waschfaß im südlichen Mecklenburg-Strelitz, das sonst auch volkstümlich Stüclediem genannt wird."

    u ZIESEMER 1, 896. 11 Das FEW 1, 605 verzeichnet u. a. folgende mundartlichen Bedeutungen

    'cuveau pour porter les raisins au pressoir, cuve de vendange, cuvier, petite piece construite dans le mur d'une chambre, pour servir de decharge (seit dem 14. Jh.), reduit obsur, petit cabinet aupres d'une chambre, logement miserable, aire, boulin a pigeon, nid des amfs, ecurie, loge de pourceaux, etable'.

    17 FEW 16, 511b: mande.

  • Nd. Bezeichnungen des Schrankbetts 37

    kann, wie HANs KuHN annimmt. Er meint, an. btiza habe ursprünglich 'Koje' bedeutet. Als Schiffsbezeichnung sei es eine Kürzung von btizuskip und habe nicht etwa einen bestimmten Schiffstyp bezeichnet, vielmehr sei "ein beliebiges Schiff so genannt worden, wenn es mit Deck und Kabinen oder Kajüten versehen war"88• Nach dieser Hypo-these wäre der spätae. bütse-carl 'Matrose der königlichen Flotte' also nach dem Unterkunftsraum (bütse) des Kriegsschiffes benannt worden. Dieser Auffassung widerspricht aber das schon seit dem 12. Jh. be-zeugte frühmhd. Simplex büze 'Piratenschiff' 69• Gegen KuHNs These spricht auch die Tatsache, daß das Schiff, das mlat. buza (bucca, bucia, bussa), mnd. bütze, nl. buis hieß, durchaus einen besonderen Typ dar-stellte. Im Niederländischen war es ein "Kielfahrzeug mit breitem Bug und geräumigem Bauch". Seine Form glich etwa einem "Wein-faß"70, und es scheint mir deshalb nicht unmöglich, daß diese Schiffs-bezeichnung mit mlat. bucia 'Faß' identisch ist, das auf dem weit ver-breiteten rom. *buttia beruht71• Sie hätte dann eine genaue bezeich-nungsgeschichtliche Parallele in der unten erörterten niederländischen Schiffsbenennung botter. Doch wie dem auch sei: die Schiffsbezeich-nung kann jedenfalls aus lautlichen Gründen (bütse- im 11. Jh. !) nicht auf bu!ga zurückgehen und deshalb nicht mit nd. Buuze 'Wandbett' verwandt sein.

    Das schließt aber nicht die Möglichkeit aus, daß letzteres ursprüng-lich in der Bedeutung Kajüte 'Schiffskoje' aus dem Französischen des 14. Jhs. entlehnt worden ist. Daß diese für fz. bouge nicht bezeugt ist, könnte vielleicht mit späteren innerfranzösischen sach- und wort-geschichtlichen Veränderungen zusammenhängen, die zum Siege von cahute 'Kajüte' geführt haben. Für die Vermutung, daß afrz. bouge zu-nächst als Bezeichnung der engen Schiffskojen von hansischen See-leuten aus Nordfrankreich übernommen wurde, spricht erstens, daß Buze noch heute in der Fachsprache der Binnenschiffer auf der Eibe, Havel, Saale und dem Stecknitzkanal den 'vorderen unter Deck liegen-den Wohnraum der Bootsleute' bezeichnet (im Gegensatz zur Bude

    68 HANS KuHN, Knörinn. Samtid og Saga, 5, Reykjav!k 1950, 90. •• Ahd. Gl. 3, 163, 45: paro, bazo; 370, 26f.: paro, buzo; miaparo [lies: myoparo],

    luzele buzo (nach Isidor, Etymologiae 19, 1, 21). 70 WNT 3, 1, 1764: buis 111. -