NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

Embed Size (px)

DESCRIPTION

nietzsche

Citation preview

  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    Nietzsche Online

    LICENSED ACCESS

    ADDITIONAL INFORMATION

    Vorbemerkung

    Vorlesungsaufzeichnungen (WS 1871/72 WS 1874/75)

    KGW II/4, Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe

    Author(s): Friedrich Nietzsche

    Editor(s): Fritz Bornmann

    Contributor(s): Fritz Bornmann, Mario Ca rpitella

    Walter de Gruyter (Berlin, New York) 1995

    Type: Philologica

    DOI: 10.1515/NO_W013912_0006

    Darstellung der antiken Rhetorik

    [SS 1874]

    . 1. B egriff der Rhetorik

    Page: 0415

    002 Die auerordentliche Entwicklung derselben gehrt zu den

    003 spezifischen Unterschieden der Alten von den Modernen: in

    004 neuerer Zeit steht diese Kunst in einiger Nichtachtung [1], und005 wenn sie gebraucht wird, ist auch die beste Anwendung unserer

    006 Modernen nichts als Dilettantismus und rohe Empirie. Im Allge-

    007 meinen ist das Gefhl fr das an sich Wahre viel mehr entwik-

    008 kelt: die Rhetorik erwchst aus einem Volke, das noch in mythi-

    009 schen Bildern lebt, u. noch nicht das unbedingte Bedrfni nach

    010 historischer Treue kennt: es will lieber berredet als belehrt sein

    011 und auch die Nothdurft des Menschen in der gerichtlichen Be-

    012 redsamkeit soll zur freien Kunst entfaltet sein. Sodann ist es eine

    013 wesentlich republikanische Kunst: man mu gewohnt sein die

    014 fremdesten Meinungen u. Ansichten zu ertragen und sogar ein

    015 gewisses Vergngen an ihrem Widerspiel emp finden: man mu

    016 ebenso gerne zuhren als selbst sprechen, man mu als Zuhrer

    Page: 0416

    001 ungefhr die aufgewandte Kunst wrdigen knnen. Die B ildung

    002 des antiken Menschen kulminirt gewhnlich in der Rhetorik: es

    003 ist die hchste geistige Bethtigung des gebildeten po litischen

    004 Menschen ein fr uns sehr befremdlicher Gedanke! Am deut-

    005 lichsten spricht Kant Kritik der Urtheilskraft p. 203. die re-

    006 denden Knste sind Beredsamkeit und Dichtkunst. Beredsamkeit

    007 ist die Kunst ein Geschfte des Verstandes als ein freyes Spiel der

    008 Einbildungskraft zu betreiben, Dichtkunst ein freyes Spiel der

    009 Einbildungskraft als ein Geschfte des Verstandes auszufhren.

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/bildung#bildunghttp://www.degruyter.com/footnote/NO/W013912V006?id=W013912B02T004S0415FN1http://www.degruyter.com/view/NO/begriff#begriffhttp://www.degruyter.com/viewentry/NO/W013912V001http://www.degruyter.com/view/db/nietzschehttp://www.degruyter.com/
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    010 Der Redner also kndigt ein Geschft an und fhrt es so aus, als

    011 ob es blo ein Spiel mit Ideen sei, um den Zuhrer zu unterhal-

    012 ten. Der Dichter kndigt blo ein unterhaltendes Spiel mit Ideen

    013 an und es kommt doch so viel fr den Verstand heraus, als ob

    014 er blo dessen Geschfte zu treiben die Absicht gehabt htte.

    015 Damit ist das Spezifische des hellenischen Lebens charakterisirt:

    016 alle Geschfte des Verstandes, des Lebensernstes, der Noth,

    017 selbst der Gefahr noch a ls Spiel aufzufassen. Die Rmer sind

    018 lange Zeit in der Rhetorik Naturalisten, vergleichsweise trocken

    019 und derb. Aber d ie aristokratische Wrde des rmischen Staats-

    020 manns, seine vielseitige juridische Praxis geben die Farbe: ge-

    021 whnlich waren ihre groen Redner mchtige Parteifhrer,

    022 whrend die griech. Redner im Interesse von Parteien sprachen.

    023 Das Bewutsein der individuellen Wrde ist rmisch, nicht grie-

    024 chisch. Auf ihre Auffassung der Rhetorik pat mehr, was Scho -

    025 penhauer W. als W. u. V. II 129 sagt Beredsamkeit ist die

    026 Fhigkeit, unsere Ansicht einer Sache oder unsere Gesinnung

    027 hinsichtlich derselben, auch in Anderen zu erregen, unser Gefhl

    028 darber in ihnen zu entznden und sie so in Sympathie mit uns

    029 zu versetzen: dies alles aber dadurch, da wir, mittelst Worten,

    030 den Strom unserer Gedanken in ihren Kopf leiten, mit solcher

    031 Gewalt, da er den ihrer eigenen von dem Gange, den sie bereits

    032 genommen, ablenkt u. in seinen Lauf mit fortreit. Dies Meister-

    033 stck wird um so grer sein, je mehr der Gang ihrer Gedanken034 vorher von dem unserigen abwich. Hier wird das beherr-

    Page: 0417

    001 schende bergewicht der Einzelnen Persnlichkeit betont, im

    002 Sinn der Rmer, bei Kant das freie Spiel bei Geschften des Ver-

    003 standes, im Sinn der Griechen.

    004 Im Allgemeinen aber sind alle Neueren in ihren Definitionen

    005 ungenau, whrend durch das ganze Alterthum hindurch der

    006 Wetteifer um die richtige Definition der Rhetorik geht, und zwar

    007 unter Philosophen u. Rednern. Alle chronolog isch zusammenge-

    008 stellt von Spengel Rhein. Mus. 18 p. 481. Darnach bei Rich.

    009 Volkmann Rhetorik Berlin 1872. Diejenigen, welche der Strenge

    010 der Definition auswichen, suchten wenigstens das officium

    011 des Redners zu bestimmen. Dies ist das , dicendo p ersua-

    012 dere, es war schwierig dies in den aufzunehmen; denn

    013 die Wirkung ist nicht das Wesen der Sache: u. zudem bleib t das

    014 berreden bei den besten Reden mitunter aus. Die Sikuler Korax

    015 und Tisias sagen : bei den

    016 Dorern hat da s Wort eine hhere Bedeutung a ls bei den Ioniern

    017 Schpferin Walterin: die hchsten obrigkeitl. Personen in

    018 den dorischen Staaten heien so (dort nur Gewerbe trei-

    019 bende.) Ebenso Gorgias und Isocrates, der es mit

    020 prosaischer umschreibt.

    021 Plato hat einen groen Ha a uf sie: er bezeichnet sie als eine022 Geschicklichkeit -

    023 u. ordnet sie zusammen mit der Kochkunst der

    024 Putzkunst u. Sop histik der unter (Gorgia s

    025 p. 462) Dagegen giebt es auch Spuren einer anderen Auffassung

    026 der Rh. Rud Hirzel ber das Rhetorische u. seine Bedeutung

    027 bei Plato Leipzig 1871. Im Phaedr. p. 239 E ff. wird gefordert,

    028 der Redner solle mit Hlfe der Dialektik ber alle D inge klare

    029 Begriffe erwerben, damit er im Stande ist, dieselben immer

    030 zweckdienlich darzustellen. Er soll sich in den Besitz des Wahren

    031 setzen, um auch ber das Wahrscheinliche zu gebieten u. so seine

    032 Hrer tuschen zu knnen. Dann wird gefordert, da er d ie Lei-

    033 denschaften seiner Hrer erregen und dadurch ber sie zu herr-

    034 schen verstehe. Dazu msse er eine genaue Kenntni der

    Page: 0418

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/derb#derb
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    001 menschl. Seele haben u. die Wirkung aller Redeformen auf das

    002 menschliche Gemth kennen. Die Bildung einer wirklichen Re-

    003 dekunst setzt also eine sehr tiefe u. umfassende Vorbildung vor-

    004 aus: dabei ndert sich nichts an der Voraussetzung, da es die

    005 Aufgabe des Redners sei mit Hlfe des Wahrscheinlichen seinen

    006 Hrer zu berreden. Freilich erklrt Sokrates 273 E da wer ein-

    007 mal diese Hhe des Wissens erreicht hat, sich nicht mit der nied-

    008 rigen Aufgabe begngen wird: das hhere Ziel ist dann Mitthei-

    009 lung des erworbenen Wissens an Andere. Der Wissende kann

    010 also sowohl als sein. Das eine Ziel ist nur

    011 viel hher: doch soll nicht jede Anwendung der Rhetorik ausge-012 schlossen sein: nur ja nicht ernsthafter Lebensberuf! Im Politikos

    013 304 D spricht er die der Rhetorik ab u. weist ihr die

    014 Aufgabe zu u. zu berreden. So

    015 schildert Plato nun auch den Wahren Philosophen Sokrates, bald

    016 wissenschaftlich belehrend, bald pop ulr-rhetorisch. Der my-

    017 thische Bestandtheil der Dia loge ist der rhetorische: der Mythus

    018 hat das Wahrscheinliche zum Inhalt: also nicht den Zweck zu

    019 belehren, sondern nur bei den Zuhrern zu erregen, also

    020 zu . Die Mythen gehren zur : die rheto-

    021 rischen ebenso wie die schriftl. Compositionen sind nur zum Ver-

    022 gngen angefertigt. Die Wahrheit lt sich weder in schriftl.

    023 noch in rhetorischer Form a ussprechen. Das Mythische u. da s

    024 Rhetorische wird angewandt, wenn die Krze der Zeit keine wis-025 senschaftliche Belehrung zult. Das Anrufen von Zeugen ist ein

    026 rhetorischer Kunstgriff, ebenso werden die platonischen Mythen

    027 durch Berufung auf Zeugen eingefhrt. Hchst merkwrdig Re-

    028 publ. 376 E: hier unterscheidet er zwei Arten von Reden, solche

    029 die die Wahrheit enthalten u. solche welche lgen: zu letzteren

    030 gehren die Mythen. Er hlt sie fr berechtigt u. tadelt Homer

    031 und Hesiod nicht deshalb da sie gelogen, sondern da sie es

    032 nicht in der rechten Weise gethan. Ebenso spricht er 38 9 B gera-

    033 dezu aus, da die Lge unter Umstnden den Menschen ntze u.

    034 es den Herrschern erlaubt sein msse sich ihrer zum Wohl ihrer

    Page: 0419

    001 Mitbrger zu bedienen. So fhrt er III 414 B einen vo llstndigen

    002 Mythus ein, um eine bestimmte Ansicht in den Seelen seiner Br-

    003 ger zu begrnden u. er scheut zu diesem Zweck die Lge als

    004 rednerisches Mittel nicht. Die Po lemik Platos gegen das Rheto-

    005 rische richtet sich einmal gegen die schlechten Zwecke der popu-

    006 lren Rhetorik, sodann g egen die g anze rohe u. ungengende

    007 unphilosophische Vorbildung der Redner. Auf philosophischer

    008 Bildung ruhend zu guten Zwecken dh. zu Zwecken der Philoso-

    009 phie verwendet lt er sie gelten.

    010 Wir haben nur zwei alte Werke ber Rh., alle andern meh-

    011 rere Jahrhunderte spter; die eine, die rhetorica ad Alexan-

    012 drum, hat nichts mit Aristoteles zu thun, sondern wohl das

    013 Werk des Anaximenes s. Spengel Philolog. 18, p. 604. Sie ist rein

    014 zu praktischem Gebrauche, ganz unphilosophisch, im Wesentli-

    015 chen nach der Lehre des Isocrates. Keine Definition der Rheto-

    016 rik, nicht einmal der Name .

    017 Rein philosophisch u. hchst einflureich fr alle sp teren

    018 Begriffsbestimmungendie Rhetorik des Aristoteles. 019 ,

    020 alles mg liche Wahrscheinliche und berzeugende. Also we-

    021 der noch , sondern die aber zu einer

    022 erhoben werden knne. Nicht das sondern das,

    023 was man fr eine Sache vorbringen knne: gleich einem Arzt,

    024 der einen Unheilbaren pflegt, knne auch der Redner eine mi-

    025 liche Sache verfechten. Alle sp teren Definitionen halten an d ie-

    026 sem fest. (Gegen d ie sicilische De-

    027 finition) Sehr wichtig das universale , auf alle D is-

    028 ciplinen anwendbar. Eine rein formale Kunst. Endlich wichtig

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/arzt#arzthttp://www.degruyter.com/view/NO/bildung#bildunghttp://www.degruyter.com/view/NO/bildung#bildung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    029 das : darauf hat man den Vorwurf gemacht, er habe

    030 nur die inventio, nicht elocutio dispositio memoria nicht pronun-

    031 tiatio a ufgenommen. Aristotel. will wahrscheinlich den Vortrag

    032 nicht als essentiell, sondern nur als Accidenz betrachtet wissen:

    033 denn er denkt an da s Rhetorische in Bchern (wie er auch die

    034 Wirkung des Dramas von der Auffhrung unabhngig denkt u.

    Page: 0420

    001 deshalb nicht das sinnliche Erscheinen auf der Bhne in die Defi-

    002 nition aufnimmt) Es gengt . zu erkennen, zu003 schauen: da dies Erkannte irgendwie darzustellen ist, liegt be-

    004 reits im : nun ist selbst jedes Kunstmittel der pro-

    005 nuntiatio aus diesem abhngig zu machen. Nur eben

    006 das ist nicht nothwendig.

    007 Nun kommen Jahrhunderte erbitterten Schulkampfes in den

    008 Rhetoren- u. Philosophenschulen. Die Stoiker bezeichnen Laert.

    009 D. 7,42

    010 (ausfhrlich)

    011

    012 . Wichtig diese Verwandtschaft der Rhetorik u. der Dia -

    013 lektik: gleichsam eine ausgedehnte Eristik, obwohl dieser Begriff

    014 zu eng ist. Aristot. Topik I, 12 sag t, man behandle eine Sache

    015 philosophisch nach der Wahrheit, dialektisch nach dem Schein

    016 oder Beifall, nach der Meinung der Anderer. Dasselbe liee

    017 sich von der Rhetorik aussagen. Beide unter den Begri ff zu fas-

    018 sen: die Kunst Recht zu behalten in Rede und Unterre-

    019 dung: !

    020 Das l t sich gegen d ie Aristot. Definition einwenden: die

    021 Dialektik erscheint als eine Unterrubrik der Rhetorik. Man

    022 bemht sich nun eine Defin. zu finden, in der die Theile der

    023 Beredsamk. zu erkennen sind, da man Arist. vorwarf, er be-

    024 zeichne nur die inventio. Inventio und elocutio, als die wichtig-

    025 sten Faktoren vereinigt Quintil. 2, 15, 37 qui recte sentire et

    026 dicere rhetorices putaverunt. ( ).

    027 Die d ispositio () hinzugefgt bei Rufus 028 . Theodorus Gadar-

    029 eus bei Quint. 2, 15, 21 hat 4 Theile ars inventrix et iudicatrix

    030 decente ornatu (griechisch wohl

    031 ) Endlich alle fnf Quintil.

    032 5, 10 , 54 id aut universum verbis complectimur ut Rhetorice est

    033 recte invenienedi et d isponendi scientia aut per pa rtes ut Rheto-

    034 rice est recte invienendi et disponendi et eloquendi cum firma

    Page: 0421

    001 memoria et cum dignitate actionis scientia. Man sieht, wie das

    002 der Stoiker allmhlich umschrieben wird. Sodann

    003 wurde an Stelle des Aristot. , wie es scheint durch004 den hchst einflureichen Hermagoras (nicht lange vor Cicero

    005 lebend) gesetzt: : um philosoph. Untersu-

    006 chungen, sowie speziell fachwissenschaftl. auszuschlieen. Dar-

    007 unter werden verstanden die allen Menschen innewohnenden Be-

    008 griffe von dem, was gut recht u. schn ist, die einer besonderen

    009 Lehre nicht bedrfen: im Gegensatz eines speziel-

    010 len Studiums oder Handwerks. Der platon. Protagoras giebt

    011 Aufschlu, was man unter der eines Mannes

    012 verstand.

    013 Nach d en zwei griechischen Lehrbchern des Anaximenes u.

    014 des Aristoteles folgen latein. Bearbeitungen der Rhetorik: auctor

    015 ad Herennium u. Ciceros Schriften. Als Ersterer gilt jetzt Cornifi-

    016 cius: in seinen Thatsachen berhrt er nur die sullanische Zeit

    017 (Kaysers Ausgabe) Ciceros d e inventione II Bcher eine

    018 Jugendarbeit ganz nach griech. Quellen: der auctor ad H. hier

    019 viel benutzt, doch macht Cic. im Allgem. alles schlechter als je-

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/begriff#begriffhttp://www.degruyter.com/view/NO/begriff#begriff
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    020 ner. Die in spterem Alter (698) g eschrieb. Bcher de oratore

    021 hlt er nach Form u. Inhalt fr sehr wichtig: die Hauptpersonen

    022 Crassus u. Antonius, drcken nur die berzeugung des Verf. aus.

    023 Er eifert gegen die trivialen gewhnl. Lehrbcher (darunter zB.

    024 der auct. ad H. gehrt) In der Person des Antonius belehrt er

    025 uns, wie er seine Reden technisch ausarbeitete: in der des Crassus

    026 entwirft er das hhere Bild des philo sophischen Redners (etwa

    027 das Idealbild Platons). Aber er hat nie den Gegensatz des wahren

    028 Philosophen u. des Redners begriffen, gegen Aristoteles ist sein

    029 Buch roh und unersprielich. Der Brutus ist eine

    030 Charakterzeichnung der berhmten Redner031 Roms, unschtzbar. Der Orator behandelt nur einen Theil der

    032 Rhetorik: C. findet den perfectus orator in der elocutio. Die To-

    033 pik eine Gelegenheitsschrift an den Trebatius, geht aber ber ihr

    034 Ziel, eine Topik zu sein, hinaus. Fr die Geschichte der Bered-

    Page: 0422

    001 samkeit u. Aufzhlung a ller vo rhandenen Schriften Anton

    002 Westermann Gesch. der Bered. in Gr. u. Rom Leipzig 1833.

    003 Dann die sive artium scriptores von Spengel

    004 (Stuttgart 1828). Dann Rich. Volkmann Hermagoras oder Ele-

    005 mente der Rhetorik Stettin 1865 und umgearbeitet Berlin 1872.

    006 Die griechischen Rhetores herausgegeben von Spengel, dann die007 Walzische Sammlung (mit den Commentatoren des Hermogenes)

    008 dann die Rhetores latini minores von Halm herausgegeben, die

    009 rhetorischen Schriften des D ionys von Halicarnass, Quintil. in-

    010 stitutio oratoria, der Rhetor Seneca u. der dialogus de oratori-

    011 bus. Commentar von Spengel zu Anaximenes u. Aristoteles Rhe-

    012 torik, Kaysers Commentar zu Cornificius. Smmtl. rhetorische

    013 Schriften vereinigt Rhetores graeci ed. Chr. Walz 9 voll. Stuttgart

    014 u. Tbingen 183236. ex recognit. L. Spengel 3 voll. Leipzig

    015 185356.

    . 2. Eintheilung der Rhetorik u. der Beredsamkeit

    018 Die ltesten , vor Isocrates, enthielten nur Anleitung

    019 zur Abfassung von Prozessreden. Diese Beschrnkung auf d ie

    020 gerichtl. Beredsamkeit tadelt Isocra tes in orat XIII 19 . u. fgt die

    021 berathende Beredsamkeit hinzu. Diese beiden Gattungen kennt al-

    022 lein Anaximenes. Aristoteles fgt das genus demonstrativum -

    023 hinzu, zum deliberativum und iudiciale. Dem Stoffe

    024 nach zerfllt die Beredsamkeit also in drei genera causarum genus

    025 (auch u.

    026 genannt) Die gerichtliche will anklagen oder ver-

    027 theidigen, die berathende will zu etwas antreiben oder von etwas

    028 abmahnen, die epideiktische hat zu loben oder zu tadeln.

    029 Groer Kampf dagegen: als Suasorien u. Controversien auf-

    030 kamen, gab es zwei Arten der Beredsamkeit. Thatschlich

    Page: 0423

    001 in nego tiis u. in ostentatione

    002 positum. Beide v ier Unterarten (wirkliche oder

    003 fingirte Controversien, wirkliche in

    004 Rathsversammlung oder vor dem Volk gehaltene berathende

    005 oder imitirte Suasorien, Lob- und Tadelreden -

    006 (mit den invectivae)u. Gelegenheitsre-007 den, namentlich Begrungs- und Abschiedsreden. Andre stell-

    008 ten als viertes genus das dazu: wohl gemeint die rheto-

    009 risirende Geschichtsschreibung, wie sie durch die Schule des

    010 Isocrates namentlich bei Theopo mp hervortritt. Auf diesem

    011 Wege weitergehend zhlten einige an 30 Gattungen auf (Einthei-

    012 lung der gesammten kunstmigen Prosa)

    013 Die Philosophen haben eingetheilt in u. . Er-

    014 stere betrachtet die Sache an sich u. ganz allgemein, letztere wie

    015 sie unter gegebenen Umstnden in die Erscheinung tritt. Das All-

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    016 gemeine zu bestimmen ist Sache der Philosophie, das Spezielle

    017 fllt der Rhetorik anheim. Die drei genera haben die Philosophen

    018 der untergeordnet. Nur die Stoiker setzen das demon-

    019 strativum unter die , das nmlich macht die grte Mhe

    020 u. der gemeinen Praxis ist es sehr unbequem. Die Stoiker theilen

    021

    024 Das sind die Gattungen der Reden. In allen diesen Gattungen

    025 hat nun der Redner eine fnffache Thtigkeit zu zeigen 1) Er-

    026 findung inventio 2) Anordnung dispositio 3)

    027 Ausdruck elocutio 4) Gedchtni memoria 5)

    028 Vortrag pronuntiatio oder actio . Erst allmhlich ist

    029 diese Wahrheit allgemein anerkannt worden: jedenfalls erst

    030 nach Anaximenes u. Aristoteles. Bei ihnen fehlen u.

    031 (bei Aristot, ganz consequent, da er die Leserede als Ty

    Page: 0424

    001 pus anerkennt) Vor allem aber war die stoische Eintheilung zu

    002 berwinden intellectio inventio dispo

    003 sitio; etenim caussa p roposita primum intellegere debemus, cuius

    004 modi caussa sit, deinde invenire quae apta sint caussae, tum in

    005 venta recte et cum ratione disponere. Streit darber ob es

    006 oder seien. Quint 3, 3, 11.

    007 wird erklrt intellegendum primo lo co est, thesis sit an

    008 hypothesis; cum hypothesin esse intellexerimus, i. e. controver

    009 siam, intellegendum erit an co nsistat; tum ex qua specie sit;

    010 deinde ex quo modo; deinde cuius status; postremo cuius figu

    011 rae. Zur gehrt nun u. . Zur

    012 gehrt u. . Die lteste Theilung scheint

    013 aber die Zweitheilung zu sein zB. bei Isocrates: die Auffindung

    014 oder enthymematische Umformung des gegebenen Stoffes und

    015 die Darstellung d ieser eigenen . Also inventio u. elo

    016 cutio. Dionys v. Halikarna der sich o ft an Isocrates anschliet

    017 hat die Zweitheilung: und Form und (meistens ge

    018 gebener) Inhalt. Bei seiner Beurtheilung der Autoren unterschei

    019 det er den vom u. spricht von

    020 und . Der zer

    021 fllt in (wie ) und (als

    022 ), der zerfllt in d ie

    023 u. die . Die je zweiten

    024 Abschnitte handeln also von Anordnung () und Com

    025 position () der Rede u. sind die wichtigeren.

    026 Die Herrschaft ber die 5 Theile der Rede kommt durch drei-

    027 erlei zu Stande, durch natrliche Anlage, durch

    028 theoretische Anleitung, oder bung. D iese

    029 Dreiheit zuerst von Protago ras aufgestellt. Vereinigt im Anfange

    030 von pro Archia poeta: Si quid est in me ingenii iudices, quod

    031 sentio quam sit exiguum, aut si qua exercitatio dicendi, in qua

    032 me non infitior med iocriter esse versatum aut si huiusce rei ra tio

    033 aliqua ab optimarum artium studiis ac d isciplina p rofecta, a qua

    034 ego nullum confiteor aetatis meae tempus abhorruisse usw.

    . 3. Verhltni des Rhetorischen zur Sprache.

    Page: 0425

    002 Rhetorisch nennen wir einen Autor, ein Buch, einen Stil, wenn

    003 ein bewutes Anwenden von Kunstmitteln der Rede zu merken

    004 ist, immer mit einem leisen Tadel. Wir vermeinen, es sei nicht

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/viewimg/NO/W013912V006?img=/NO/images/full-W013912B02T004_ABB_S0423A.jpg
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    005 natrlich u. mache den Eindruck des Absichtlichen. Nun

    006 kommt sehr viel auf den Geschmack des Urtheilenden an u. dar-

    007 auf, was ihm gerade natrlich ist. Im Allgemeinen erscheint

    008 uns, die wir rohe Sprachempiriker sind, die ganze antike Littera-

    009 tur etwas knstlich u. rhetorisch, zumal die rmische. Das hat

    010 auch darin seinen tieferen Grund, da d ie eigentliche Prosa des

    011 Alterthums durchaus Widerhall d er lauten Rede ist u. an deren

    012 Gesetzen sich gebildet hat: whrend unsere Prosa immer mehr

    013 aus dem Schreiben zu erklren ist, unsere Stilistik sich als eine

    014 durch Lesen zu percipirende giebt. Der Lesende und der H-

    015 rende wollen aber eine ganz andre Darstellungsform u. deshalb016 klingt uns die antike Litteratur rhetorisch: dh. sie wendet sich

    017 zunchst ans Ohr, um es zu bestechen. Auerordentliche Ausbil-

    018 dung des rhythmischen Sinnes bei den Griechen u. Rmern, im

    019 Hren des Gesprochenen, bei ungeheurer fortwhrender bung.

    020 Es steht hier hnlich, wie bei der Poesie wir kennen Littera-

    021 turpoeten, die Griechen wirkliche Poesie ohne Vermittlung des

    022 Buches. Wir sind viel blasser und abstrakter.

    023 Es ist aber nicht schwer zu beweisen, da was man, als Mittel

    024 bewuter Kunst rhetorisch nennt, als Mittel unbewuter

    025 Kunst in der Sprache u. deren Werden thtig waren, ja da die

    026 Rhetorik eine Fortbildung der in der Sprache gelege-

    027 nen Kunstmittel ist, am hellen Lichte des Verstandes. Es giebt

    028 gar keine unrhetorische Natrlichkeit der Sp rache, an d ie man

    029 app elliren knnte: die Sprache selbst ist das Resultat von lauter

    030 rhetorischen Knsten die Kraft, welche Aristot. Rhetorik nennt,

    031 an jedem Dinge das heraus zu finden u. geltend zu machen was

    032 wirkt u. Eindruck macht, ist zugl. das Wesen der Sprache: diese

    033 bezieht sich, ebensowenig wie d ie Rhetorik, auf das Wahre, auf

    Page: 0426

    001 das Wesen der Dinge, sie will nicht belehren, sondern eine sub-

    002 jektive Erregung u. Annahme auf andere bertragen. Der sprach-

    003 bildende Mensch fat nicht Dinge oder Vorgnge auf, sondern

    004 Reize: er giebt nicht Empfindungen wieder, sondern sogar nur

    005 Abbildungen von Empfindungen. Die Empfindung durch einen

    006 Nervenreiz hervorgerufen, nimmt das Ding nicht selbst auf: diese

    007 Empfindung wird nach auen hin durch ein Bild dargestellt: es

    008 fragt sich ab er berhaupt, wie ein Seelenakt durch ein Tonbild

    009 darstellbar ist? Mte nicht, wenn vo llkommen genaue Wieder-

    010 gabe stattfinden sollte, vor allem das Material, in welchem wie-

    011 dergegeben werden soll, dasselbe sein, wie dasjenige ist, in dem

    012 die Seele a rbeitet? Da es nun aber ein Fremdes ist der Laut

    013 wie kann da genaueres herauskommen als ein Bild? Nicht die

    014 Dinge treten ins Bewutsein, sondern die Art, wie wir zu ihnen

    015 stehen das . Das volle Wesen der Dinge wird nie erfat.

    016 Unsere Lautuerungen warten keineswegs ab, bis unsere Wahr-

    017 nehmung u. Erfahrung uns zu einer vielseitigen irgendwie re-

    018 spektablen Erkenntni der Dinge verholfen hat: sie erfolgen so-

    019 fort, wenn der Reiz empfunden ist. Statt der Dinge nimmt die

    020 Empfindung nur ein Merkmal auf. Das ist der erste Gesichts-

    021 punkt: die Sprache ist Rhetorik, denn sie will nur eine ,

    022 keine bertragen.

    023 Als wichtigstes Kunstmittel der Rhetorik gelten die Tropen,

    024 die uneigentlichen Bezeichnungen. Alle Wrter aber sind an sich

    025 u. von Anfang an, in Bezug auf ihre Bedeutung Tropen. Statt026 des wahren Vorgangs stellen sie ein in der Zeit verklingendes

    027 Tonbild hin: die Sprache drckt niemals etwas vollstndig aus,

    028 sondern hebt nur ein ihr hervorstechend scheinendes Merkmal

    029 hervor. Wenn der Rhetor Segel statt Schiff Welle statt

    030 Meer sagt, so ist das die Synekdoche, ein Mitumfassen tritt

    031 ein, aber da sselbe ist doch wenn Schlange heit, eigentl.

    032 die glnzend blickende oder serpens die kriechende, aber

    033 warum heit serpens nicht auch Schnecke? Eine einseitige Wahr-

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/empfindung#empfindunghttp://www.degruyter.com/view/NO/empfindung#empfindunghttp://www.degruyter.com/view/NO/empfindung#empfindung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    034 nehmung tritt ein fr die ganze u. vol le Anschauung. In anguis

    Page: 0427

    001 bezeichnet der Lateiner die Schlange a ls constrictor, die Hebrer

    002 nennen sie die Zischelnde oder d ie Sichwindende oder die Ver-

    003 schlingende oder die Kriechende. Die zweite Form des Tropus

    004 ist die Metapher. Sie schafft die Wrter nicht neu, sondern deu-

    005 tet sie um. zB bei einem Berg redet sie von Koppe Fuss Rcken

    006 Schlnde Hrner Adern. Gesicht, mit das Vor-

    007 dertheil, Lippen, mit Fluufer, Zunge,008 auch Mundstck der Flte. Brust, auch Hgel. Die Meta-

    009 pher zeigt sich in der Bezeichnung des Geschlechtes, das genus

    010 im grammatischen Sinn ist ein Luxus der Sprache u. reine Meta-

    011 pher. Dann bertragung vo m Raum auf die Zeit zu Hause,

    012 Jahraus, von der Zeit bertragen auf Causalitt qua ex re.

    013 hinc inde ; Eine dritte Figur ist die Metonymie

    014 Vertauschungen von Ursach u. Wirkung; wenn zB. der Rhetor

    015 Schwei fr Arbeit sagt, Zunge statt Sprache. Wir sagen

    016 der Trank ist bitter statt er erregt in uns eine Empfindung

    017 der Art; der Stein ist hart als ob hart etwas anderes wre als

    018 ein Urtheil von uns. die Bltter sind grn. Auf Metonymie

    019 zurck geht die Verwandtschaft von u. lux luceo. co lor

    020 (Decke) u. celare. mensis mnt ist der Messende, nach021 einer Wirkung benannt. In summa: die Tropen treten nicht

    022 dann u. wann an die Wrter heran, sondern sind deren eigenste

    023 Natur. Von einer eigentlichen Bedeutung, die nur in speziellen

    024 Fllen bertragen wrde, kann gar nicht die Rede sein.

    025 Ebensowenig wie zwischen den eigentl. Wrtern u. den Tro-

    026 pen ein Unterschied ist, giebt es einen zwischen der regelrechten

    027 Rede und den sogenannten rhetorischen Figuren. Eigentlich

    028 ist alles Figuration, was man gewhnliche Rede nennt. Die Sp ra-

    029 che wird geschaffen von den einzelnen Sprachknstlern, festge-

    030 stellt aber dadurch da der Geschmack der Vielen eine Auswahl

    031 trifft. Die einzeln Wenigen reden , ihre virtus vor Vielen.

    032 Dringen sie nicht durch, so beruft sich Jeder ihnen gegenber auf

    033 den usus u. spricht von Barba rismen u. Solcismen. Eine Figur,

    034 welche keine Abnehmer findet, wird Fehler. Ein von irgend ei-

    Page: 0428

    001 nem usus angenommener Fehler wird eine Figur. Die Freude an

    002 Gleichklngen gilt auch bei den , , zu

    003 denken an die des Gorgias. Aber ber das Ma ist

    004 groer Streit: der Eine ist da entzckt, wo der andere widrige

    005 Fehler empfindet. Luther tadelt als neue Wrter beherzigen, er-

    006 sprielich. Sie sind durchgedrungen, ebenso wie furchtlos seit

    007 Simon Dach, empfindsam seit der bersetzung von Yoriks

    008 empfinds. Reise 17 68. Umsicht als bersetzung vo n circum-

    009 spectio von 1 794, Leidenschaft erst seit Ch. Wolf nach .

    010 Aber die Formen der Enallage Hypallage Pleonasmus sind bereits

    011 im Werden der Sprache, des Satzes thtig, die gesammte Gram-

    012 matik ist da s Produkt dieser sog. figurae sermonis. Ausfhrliche

    013 Sammlungen in diesem Sinne gemacht bei Gustav Gerber die

    014 Sprache als Kunst Bromberg 1871.

    . 4. Reinheit, Deutlichkeit und Angemessenheit der elocutio.

    017 Von Reinheit ist nur die Rede bei einem sehr entwickelten

    018 Sprachsinn eines Volkes, der vor allem in einer groen Soc iett,

    019 unter den Vornehmen u. Gebildeten sich festsetzt. Hier entschei-

    020 det sich, was als provinziell, als Dialekt u. was als normal gilt

    021 dh. Reinheit ist dann positiv der durch den usus sanktionirte

    022 Gebrauch der Gebildeten u. der Gesellschaft, Unrein alles, was023 sonst in ihr auffllt. Also das Nicht Auffllige ist das Reine.

    024 An sich giebt es weder eine reine noch eine unreine Rede. Sehr

    025 wichtiges Problem, wie sich das Gefhl fr die Reinheit allmh-

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/empfindung#empfindunghttp://www.degruyter.com/view/NO/arbeit#arbeit
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    026 lich b ildet u. wie eine gebildete Gesellschaft whlt, bis sie da s

    027 ganze Bereich umschrieben hat. Offenbar verfhrt sie hier nach

    028 unbewuten Gesetzen u. Analogien: eine Einheit, ein einheitli-

    029 cher Ausdruck wird erreicht: wie einem Volksstamm ein Dialekt

    030 genau entspricht, so einer Societt ein als rein sanktionirter

    Page: 0429

    001 Stil. In Perioden eines Sprachwachsthums ist von Reinheit

    002 nicht die Rede: nur bei einer abgeschlossenen Sprache. Barbaris-

    003 men hufig wiederholt gestalten endlich die Sprache um: so bil-004 det sich die , spter die byzantinische

    005 , endlich das gnzlich barbarisierte Neu-Griechisch.006 Wie viel Barbarismen haben daran gearbeitet, um aus dem Latei-

    007 nischen die Romanischen Sprachen zu bilden. Und durch diese

    008 Barba rismen u. Solcismen kam es zu gutem, sehr gesetzmi-

    009 gem Franzsisch!

    010 Das allgemeines Erforderni: nicht nur

    011 grammatische Correktheit, sondern auch richtige Wahl der

    012 Worte. Aristot. Rhet. III 5 sagt .

    013 Die spteren Redner gehen im reinen Atticismus bis zur Ma-

    014 nierirtheit. Bei Cornific. IV 12, 17 wird ebenso die latinitas be-

    015 tont welche die Rede freihlt von Soloecismen (syntaktischen

    016 Versten) und Barbarismen Versten gegen die Formenlehre

    017 (Das Wort von der athenischen Colonie in Cilicien, beson-

    018 ders schlechtes Griechisch Strabo 14 p. 663) Die Barbarismen

    019 sind folgende: 1. zB. fr , relli-

    020 quiae als adjectio litterae. 2. statt ,

    021 pretor fr praetor als detractio litterae. 3. zB. -

    022 fr als immutatio litterae, si litteram aliam pro

    023 alia pronuntiemus ut arvenire pro advenire 4.

    024 fr transmutatio litterae Evandre statt Evander. 5. -

    025 statt bei Menander, weil die Crasis

    026 nur das Neutrum betreffen kann. 6. zB.

    027 statt 7. zB. fr

    028 . 8. zB. steteruntque comae 9.

    029 zB. fr . omo fr homo chorona fr co-

    030 rona. Dann 2te Gattung Soloecismen[2], 3te Gattung die -

    Page: 0430

    001 Verste gegen d ie Synonymik. Die Unterscheidung geht

    002 auf die Stoiker zurck.

    003 Die ist die Hauptsnde gegen d ie Deutlichkeit,

    004 dadurch da sie die proprietas der Worte vernachlssigt. Unter

    005 proprietas im rhetorischen Sinne der Ausdruck zu verstehen, der

    006 eine Sache am vollstndigsten bezeichnet quo nihil inveniri pos-

    007 set significantius Besonders Lysias wird gerhmt, er habe seine

    008 Gedanken stets durch 009 ausgedrckt u. doch, beim Vermeiden des Tropus, sei-

    010 nem Gegenstand Schmuck Flle u. Wrde erwiesen habe. Die

    011 Dunkelheit entsteht durch Gebrauch veralteter Wrter u. Aus-

    012 drcke[3] , auch entlegener termini technici, durch unbersichtli-013 che Lnge, durch verschrnkte Wortstellung, durch Einschiebsel

    014 u. Parenthesen, , die (wo hinter klaren

    015 Worten ein ganz andrer versteckter Sinn liegt. Der Redner mu

    016 nicht nur dafr sorgen da man ihn verstehen kann, sondern

    017 da man ihn verstehen mu. Schopenhauer Parerga II 436 Dun-

    018 kelheit u. Undeutlichkeit ist allemal u. berall ein sehr schlimmes

    019 Zeichen. Denn in 99 Fllen unter 100 rhrt sie her von der Un-

    020 deutlichkeit des Gedankens, welche selbst wiederum fast immer

    021 aus einem ursprngl. Miverhltni Inconsistenz und a lso Un-022 richtigkeit desselben entspringt. Die welche schwierige dunkele

    023 verflochtene zweideutige Reden zusammensetzen wissen ganz ge-

    024 wi nicht recht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/footnote/NO/W013912V006?id=W013912B02T004S0430FN3http://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattunghttp://www.degruyter.com/footnote/NO/W013912V006?id=W013912B02T004S0429FN2http://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    025 dumpfes nach einem Gedanken erst ringendes Bewutsein da -

    026 von; oft auch wollen sie sich selber und Andren verbergen, da

    027 sie eigentlich nichts zu sagen haben. Wie jedes berma einer

    Page: 0431

    001 Einwirkung meistens das Gegentheil des Bezweckten herbeifhrt,

    002 so dienen zwar Worte, Gedanken falich zu machen; jedoch

    003 auch nur bis zu einem gewissen Punkte. ber diesen hinaus ange-

    004 huft machen sie die mitzutheilenden Gedanken wieder dunkler

    005 u. immer dunkler. Jedes berflssige Wort wirkt seinem Zweck006 entgegen: wie Voltaire sagt, das Adjektiv ist der Feind des Sub-

    007 stantivs Das Geheimni langweilig zu sein ist alles zu sagen.

    008 Immer noch besser etwas Gutes wegzulassen, als etwas Nichtssa-

    009 gendes hinzuzusetzen. Alles Entbehrliche wirkt nachtheilig.

    010 Das dritte Erforderni der Darstellung ist Angemessenheit

    011 des Ausdrucks oratio probabilis eine Rede, die nicht weniger

    012 noch mehr sei als recht ist; die msse sein sagt

    013 Arist. Rh. III 2. Vermeidung gewisser Fehler nthig 1. -

    014 od er (durch zufllige Trennung oder Verbin-

    015 dung von Silb en kommen Oscenitten zum Vorschein cum notis

    016 hominibus loqui, cum Numerio fui. 2. oder humili-

    017 tas durch die die Gre oder Wrde einer Sache beeintrchtigt

    018 wird saxea est verruca in summo montis vertice. Ein Mrder

    019 darf nicht als nequam, jemand der mit einer Hetre ein Verhlt-

    020 ni hat, nicht als nefarius bezeichnet werden. 3. die hier

    021 fehlt etwas an der Vollstndigkeit 4 die die Wieder-

    022 holung desselben Wortes oder desselben Begriffes 5 die -

    023 die Wiederholung des eben Gesagten mit andern Ausdrk-

    024 ken. 6 die Mangel jeglicher Abwechslung, Monoto-

    025 nie 7. die longior quam oportet sermo. 7. Pleonas-

    026 mus cum supervacuis verbis o ratio oneratur (Zum Pleonasmus:

    027 Unser Flickwort ist . Cicero redet bei den asiat.

    028 Rednern von complementa numerorum.) 8 superva-

    029 cua o perositas 10 eine verkehrte Affektation, der Stil

    030 erscheint als gemacht (das was wir rhetorische oder poeti-

    031 sche Prosa nennen), entsteht aus der Neigung den Stil blhend

    032 zu machen: dahin gehrt aber auch das Frostige Rhet.

    033 Arist. III 3 im Gebrauch dichterischer Compo sita, glossemat.

    034 Ausdrcke, berflssiger Epitheta u. zu weit hergeholter Meta-

    Page: 0432

    001 phern. 11 schlecht disponirt 12

    002 schlecht angewandte Figuren 13 schlecht gestellt.

    003 Der ist Vermischung der Dialekte (Attisch mit Do-

    004 risch Ionisch Aeolisch) Dann d ie Vermischung der Stilarten,

    005 des erhabenen mit niedrigem, alten mit neuem, poetischen mit

    006 Gewhnlichem. Um passend zu sprechen, mu man nicht nur

    007 auf das sehen, was ntzt, sondern auch auf das, was sich ge-

    008 ziemt. Apologie des Sokrates darnach zu beurtheilen! Manche

    009 von d iesen vitia kommen nun auch a ls Zierden, als Steigerungen

    010 spter, unter Rubrik des ornatus, vor.

    011 Es kommt ferner darauf an, fr wen u. bei wem man spricht,

    012 zu welcher Zeit, an welchem Ort, fr welche Sache. Anders der

    013 bejahrte Redner, anders der junge Mann. Bewundernswerth Ly-

    014 sias, sich bei seinen Reden nach dem Charakter der Redenden

    015 zu richten, ebenso nach den Zuhrern u. dem Gegenstande. Dio-

    016 nys. de Lysia iudic. 9 p. 245. Manche an sich lobenswerthe Ei-

    017 genschaften knnen unpassend erscheinen in einem Proze auf

    018 Leben u. Tod ist zu groe Sorgfalt des Stils u. Kunst der Kompo-

    019 sition nicht erlaubt. Die ep ideiktische Bereds. verlangt v iel mehr020 Schmuck als die gerichtliche. Die scharfe Scheidung der genera

    021 im Ausdruck fhrte sogar zur Manier: Quint. III 8, 58 klagt da

    022 einige Deklamatoren bei der Suasoria einen schroffen Anfang

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/eigentlich#eigentlich
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    023 affektiren, eine eilige u. aufgeregte Rede, im Ausdruck den cultus

    024 effusior, um in allen Stcken von der Gerichtsrede abzuweichen.

    025 Also in summa: Reinheit u. Deutlichkeit berall; alles aber

    026 modi ficirt nach dem Charakteristischen von Ort Gelegenheit

    027 Sprechenden Zuhrenden d as Stilgefhl, welches in jedem Falle

    028 einen modifizirten Ausdruck verlangt: etwa wie in der Musik der

    029 gleiche Rhythmus eines Tonstcks durchgeht, unverletzt: inner-

    030 halb desselben aber die zartesten Modifikationen nthig sind.

    031 Der charakteristische Stil ist das eigentliche Kunstbereich des

    032 redners: hier bt er eine freie p lastische Kraft, die Sprache ist

    033 fr ihn ein bereites Material. Hier ist er nachahmender Knstler,034 er redet hnlich wie die Schauspieler aus einer fremden Person

    Page: 0433

    001 oder einer ihm fremden Sache heraus: hier liegt der Glaube zu

    002 Grunde da Jeder in seiner eigensten Manier seine Sache am be-

    003 sten fhrt dh. am berzeugendsten wirkt. Dabei empfindet der

    004 Zuhrer die Natrlichkeit dh. die unbedingte Angemessenheit

    005 u. Einheitlichkeit: whrend er, bei jeder Abweichung da von, d ie

    006 Knstlichkeit empfindet u. dann mitrauisch gegen die vertre-

    007 tene Sache wird. Die Kunst des Redners ist, nie eine Knstlich-

    008 keit merken zu lassen: daher der charakteristische Stil, der aber

    009 erst recht ein Produkt der hchsten Kunst ist: wie die Natrlich-010 keit des guten Schauspielers. Der wahre Redner redet aus dem

    011 der von ihm vertretenen Person oder Sache heraus. Er erfin-

    012 det die besten Apo log ien u. Argumente (wie sie gewhnlich nur

    013 der Egoismus findet), die berredendsten Worte u. Manieren: das

    014 Merkwrdige an ihm ist, da er durch Kunst, durch ein Vertau-

    015 schen der Personen u. durch darber schwebende Besonnenheit,

    016 alles das findet u. sich zu Nutze macht, was der beredteste An-

    017 walt jedes Menschen u. jeder Partei, der Egoismus nur zu finden

    018 vermag. Es ist eine Vertauschung des ego , wie bei dem Drama ti-

    019 ker. Goethe betont da a lle bei Sophokles auftretenden Personen

    020 die besten Redner sind, denn wenn jetzt gesprochen, hat man

    021 immer den Eindruck, da ihre Sache die gerechteste u. beste sei.

    022 Das ist eben die Wirkung des charakteristischen Stils, durch den023 Sophokles, zur Reife gelangt, sich auszeichnete, nach seinem ei-

    024 genen Zeugni.

    . 5. Die charakteristische Rede im Verhltni zum Schmuck der Rede.

    027 Im Munde dessen, der fr sich oder eine Sache redet, mu

    028 die Rede ganz angemessen und natrlich erscheinen: man mu

    029 also an die Kunst der Vertauschung nicht erinnert werden, weil

    030 sonst der Zuhrer mitrauisch wird und berlistet zu werden

    Page: 0434

    001 frchtet. Es giebt also, auch in der Rhetorik, eine Nachahmung

    002 der Natur, als Hauptmittel zu berzeugen: nur wenn der Spre-

    003 chende und seine Sprache einander adquat sind, glaubt der Zu-

    004 hrer an den Ernst u. die Wahrheit der vertretenen Sache, er

    005 erwrmt sich fr den Redner u. gla ubt an ihn nmlich da er

    006 selbst, an seine Sache g laubt, also redlich ist. Die Angemes-

    007 senheit geht also auf einen moralischen Effekt hinaus, Deutlich-

    008 keit (u. Reinheit) auf einen intellektuellen: verstanden will man

    009 werden, als redlich will man gelten. Die Reinheit ist schon eine

    010 halb knstlerische Beschrnkung des Charakteristischen; denn in

    011 dem Munde vieler wrden, zur vollen Tuschung, auch Solcis-

    012 men u. Barbarismen nthig sein (zu erinnern an die Art, wie

    013 Shakespeare Pfrtner u. Ammen auftreten lt, in den

    014 Choephoren) Das Charakteristische wird also einmal gebrochen

    015 durch bertragung in d ie geb ildete Sprachsphre. Zweitens

    016 durch das allgemeine Erforderni vom Schmuck der Rede.

    017 Dieser ist aus der agonalen Neigung d er Alten zu erklren

    018 alles ffentliche Auftreten des Individuums ist ein Wettkampf:

    019 dem Kmpfer aber geziemen nicht nur starke, sondern auch

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/egoismus#egoismushttp://www.degruyter.com/view/NO/egoismus#egoismus
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    020 glnzende Waffen. Nicht nur angemessen, sondern schn mu

    021 man d ie Waffen handhaben nicht nur zu siegen, sondern ele-

    022 gant zu siegen ist Erforderni bei einem ag onalen Volke. Auer

    023 dem Eindruck der Redlichkeit soll auch der Eindruck der

    024 berlegenheit, in der Freiheit, Wrde, Schnheit der Form des

    025 Kampfes, hervorgebracht werden. Das eigentliche Geheimni

    026 der rhetorischen Kunst ist nun das weise Verhltni beider

    027 Rcksichten, auf das Redliche und auf das Knstlerische. ber-

    028 all, wo die Natrlichkeit nackt nachgeahmt wird, fhlt sich

    029 der knstlerische Sinn der Zuhrer beleidigt, wo dag egen rein

    030 ein knstlerischer Eindruck erstrebt wird, wird leicht das morali-

    031 sche Zutrauen des Hrers gebrochen. Es ist ein Spiel auf der

    032 Grenze des sthetischen u. des Moralischen: jede Einseitigkeit

    033 vernichtet den Erfolg. D ie aesthetische Bezauberung soll zu dem

    034 moralischen Zutrauen hinzukommen, beide sollen sich nicht a uf-

    Page: 0435

    001 heben: die admiratio des Kmpfers ist ein Hauptmittel des -

    002 . Cicero schreibt an Brutus, nam eloquentiam quae admira-

    003 tionem non habet, nullam iudico. Er sagt de orat. III 14 Nie-

    004 mals ist ein Redner darum bewundert worden, weil er lateinisch

    005 sprach: kann er das nicht, so wird er ausgezischt u. kaum fr

    006 einen Menschen, geschweige fr einen Redner gehalten. Noch

    007 Niemand hat den gepriesen, der so redete, da d ie Anwesenden

    008 ihn verstehen konnten, sondern den verachtet, der das nicht

    009 konnte. Wer also erschttert die Menschen? Wer fesselt die

    010 staunenden Blicke? Wem tnt lauter Beifall? Wer ist sozusagen

    011 der Gott unter den Menschen? Wer deutlich, wer zusammenhn-

    012 gend, wer mit reicher Flle u. strahlender Pracht der Sachen u.

    013 der Worte redet u. dabei fast in dichterischen Rhythmen sich

    014 bewegt das ists was ich schn nenne. Wer zugleich sich so weit

    015 migt als es die Wrde der Sachen u. Personen verlangt von

    016 dem sage ich da er das Lob eines angemessenen Vortrags ver-

    017 dient. (Cic. de orat. III 14 nemo enim unquam est oratorem,

    018 quod Latine loqueretur, admiratus. Si est aliter, irrident; neque

    019 enim oratorem tantummodo sed hominem non putant. Nemo ex-

    020 tulit eum verbis, qui ita dixisset ut qui adessent, intellegerent quid

    021 diceret sed contempsit eum, qui minus id facere potuisset. In quo

    022 igitur homines exhorrescunt? quem stupefacti dicentem intuen-

    023 tur? in quo exclamant? quem deum ut ita dicam inter homines

    024 putant? Qui distincte, qui explicate, qui abundanter, qui illumi-

    025 nate et rebus et verbis dicunt et in ipsa ratione quasi quendam

    026 numerum versumque conficiunt id est quod dico ornate qui

    027 idem ita moderantur ut rerum ut personarum dignitates ferunt, ii

    028 sunt in eo genere laudandi laudis, quod ego aptum et congruens

    029 nomino.) Hier erscheint das Charakteristische fast als eine

    030 Einschrnkung des Schnen[4]: whrend gewhnlich das Schne

    Page: 0436

    001 als Einschrnkung des Charakteristischen betrachtet wird. Sehr

    002 schn sagt der autor des Dialogs de oratoribus c. 22 Ich ver-

    003 lange vom Redner, wie von einem wohlhab enden u. stattlichen

    004 Hausvater, da das Haus, in dem er lebt, nicht nur gegen Regen

    005 u. Wind schtze, sondern auch Sinne u. Augen erfreue, da er

    006 sich ein Hausgerthe schaffe, nicht nur zur Befriedigung der

    007 nchsten Bedrfnisse, sondern da auch Gold u. Edelgestein in

    008 seinen Schrnken liege, das man b isweilen in die Hand nehmen

    009 u. anschauen mag. (Dial. de orator. 22 ego autem orationem,

    010 sicut locupletem ac lautum patrem familiae, non tantum eo volo

    011 tecto tegi quod imbrem ac ventum arceat, sed etiam quod visum

    012 et oculos delectet: non ea solum instrui supellectile quae necessa-013 riis usibus sufficiat, sed sit in apparatu eius et aurum et gemmae,

    014 ut sumere in manus ut aspicere saepius libeat). Die Abwesenheit

    015 jedes Schmuckes wird c. 23 keinesfalls a ls Zeichen voller Ge-

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/footnote/NO/W013912V006?id=W013912B02T004S0435FN4
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    016 sundheit angesehen; es gebe trbselige u. von jeder Anmuth ent-

    017 blte Redner, die ihre geistige Frische, von der sie so viel Wesens

    018 machen, nicht aus einer starken Organisation sondern durch eine

    019 Hungerkur gewinnen. Den rzten gefllt ab er das p hysische Da-

    020 sein einer Gesundheit nicht, die man d urch ngstliche Sorgsam-

    021 keit erwirbt; nicht krank sein gengt durchaus nicht: wacker lu-

    022 stig froh soll der Mensch sein. Wo man nur das Wohlbefinden

    023 zu rhmen wei, da ist die Krnklichkeit nicht ferne. (Dial. de

    024 orat. c. 23 adeo maesti et inculti illam ipsam quam iactant sani-

    025 tatem non firmitate sed ieuiunio co nsequuntur. porro ne in cor-

    026 pore quidem valetudinem medici probant quae animi anxietate027 contingit; parum est aegrum non esse: fortem et laetum et alac -

    028 rem volo. prope abest ab infirmitate, in quo sola sanitas lauda-

    029 tur.). Die Schnheit gilt ihm gewissenmaen als die Blthe der

    030 Gesundheit c. 21 es ist mit der Rede wie mit dem menschlichen

    031 Krper: sie ist nur da nn schn, wenn die Adern da ran nicht her-

    032 vortreten, die Knochen nicht zu zhlen sind, wenn vielmehr ge-

    033 sundes gutes Blut die Glieder fllt, schwellende Muskeln bildet

    034 u. auch ber d ie Nerven die Rthe breitet u. alles schn dar-

    Page: 0437

    001 stellt. (Dial. de orat. c. 21 oratio autem sicut corpus hominis,

    002 ea demum pulchra est, in qua non eminent venae nec ossa nume-003 rantur, sed temperatus ac bonus sanguis implet membra et exsur-

    004 git toris ipsosque nervos rubo r tegit et decor commendat.). An-

    005 drerseits macht Cicero de o ratore III 25 darauf aufmerksam, wie

    006 an d ie grte Sinnenlust der grte berdru a ngrenzt: es sei

    007 also groe Gefahr mit dem ornatus verknpft. Die Rede mu

    008 Schatten u. Ruhepunkte darbieten, einmal damit keine Abstump-

    009 fung eintrete, sodann damit die Lichtseiten hervortreten (wie Ha-

    010 mann sag t Deutlichkeit ist die richtige Vertheilung vo n Licht u.

    011 Schatten)

    012 Die a llgemeinen Eigenschaften des ornatus beschreibt Quin-

    013 til. VIII c. 3, 61: ornatum est, quod perspicuo ac probabili plus

    014 est also eine Steigerung (oder Mo difikation) der Eigenschaften

    015 des Deutlichen u. des Angemessenen. Die grammat. Correktheit

    016 lt sich nicht steigern, aber mod ificiren, durch Ausdruckswei-

    017 sen, die von der herkmmlichen zwar abweichen, aber doch be-

    018 rechtigt sind u. angenehme Abwechslung bringen (zB. alterthm-

    019 liche Formen u. Ausdrcke) Die sogenannt. grammat. Figuren

    020 gehren hierher. Dann Abweichen von der proprietas durch d ie

    021 Tropen. Die Deutlichkeit zu steigern durch Anwendung von B il-

    022 dern u. Gleichnissen, od er ausdrucksvolle Krze oder Amplifika-

    023 tion. Dann Sentenzen u. Figuren als Kunstmittel der Rede, zur

    024 Verstrkung des Angemessenen. Aber aller Schmuck mu

    025 mnnlich krftig u. wrdig sanctus sein, frei von weibischer

    026 Leichtfertigkeit u. falscher Schminke. Obwohl hier das Grenzge-

    027 biet zwischen Tugenden u. Fehlern sehr klein ist. Dies gilt beson-

    028 ders im Betreff der numeri o rationis: die Alten verlangten auch

    029 fr die ungebundene Rede fast Verse: zum Athemholen nmlich

    030 Schlupunkte, die nicht nach Ermdung, nicht nach Interpunk-

    031 tionszeichen, sondern nach dem numerus einzufgen seien. Diese

    032 numeri stehen wieder in Verbindung mit der modula tio der

    033 Stimme. Dab ei gilt aber ein wirklicher Vers durcha us als Fehler.

    034 Damit hngt dann wieder der Bau der Periode zusammen. Beson-

    Page: 0438

    001 ders wichtig sind die Anfnge u. d ie Schlsse der Perioden, diese

    002 fallen am strksten ins Ohr.

    003 Der Schmuck also verlangt die bertragung des Angemesse-004 nen in eine hhere Sphre von Schnheitsgesetzen, er ist Verkl-

    005 rung des Charakteristischen, einmal durch Ausscheidung des

    006 minder Edlen im Charakterist., sodann Steigerung des Edlen u.

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    007 Schnen; der groen Zge des Charakteristischen. Er ist hhere

    008 Natur, im Gegensatz zu einer gemeinen Natrlichkeit, Nach- und

    009 Umbildung, im Gegensatz zur Nachahmung u. Nach ffung.

    . 6. Modifikation der Reinheit.

    011 Da die Dichter (sagt Aristot. Rhet. III 1) trotz gewhnl. Ge-

    012 danken durch den Reiz ihrer Sprache zu solchem Ruf gelangt zu

    013 sein scheinen, deswegen war die erste Rede eine poetische u.

    014 auch jetzt noch gla uben die meisten Ungebildeten, da d iese Art

    015 Redner am schnsten sprchen. Gorgias wollte der Rede einen

    016 hnlichen Reiz verleihen, wie ihn die Dichter besaen: er er-

    017 kannte das Gesetz des Isocrates nicht an, da sie sich nur der

    018 gewhnlichen Rede zu bedienen htten. Er wurde der Erfinder

    019 der groartigen u. poetisirenden Redegattung: die besonders von

    020 Thucydides ausgebildet wurde. Thucydides liebt, nach Dionys.

    021 v. Halic die u. . Seine Spra-

    022 che ist die fr ffentl. Verhandlungen damals in Athen nicht

    023 mehr gebruchliche: er hielt sich an das Verschwindende, wie an

    024 den a ltattischen Dia lekt mit seinem , ,

    025 usw. Thuc. fhlte da die gemeine Sprache weder ihm noch sei-

    026 nem Thema angemessen sei. In neuen u. eigenthmlichen For-

    027 men, in ungebruchlichen Construktionen thut er seine Herr-

    028 schaft ber die Sprache dar. Bei Rednern, die durch ihre Reinheit

    029 u. Schlichtheit berhmt sind, ist der Gebrauch veralteter Worte

    030 sehr selten, ebenso der der Neubildungen

    Page: 0439

    001 u. Composita oder . Werden sie gebraucht, dann

    002 an gehobenen Stellen. Es verrth eine mangelhafte technische

    003 Durchbildung, wenn seltene Wrter beliebig , ohne bestimmten

    004 Zweck, wie bei Andocides verwendet werden: der Stil wird bunt-

    005 scheckig. (Hier finden sich Reminszenzen an die Sprache der Tra-

    006 giker) Sehr viel Bewutsein hat Antiphon, der Wrde erstrebt,

    007 auch durch Alterthmlichkeit zB. : whrend schon Pericles

    008 sich dem mo dernen Dialekt in ffentl. Reden anbequemte u. die

    009 Komdie beweist, wie man zu Antiphons Zeiten ffentlich im

    010 Volke sprach. In seiner waren Vorschriften ber Bildung

    011 neuer Worte gegeben. Innerhalb der Grenze der Deutlichkeit

    012 schmckt er die Rede mit allen Reizen des Neuen u. Ungewhnli-

    013 chen. Viele . Dann die Substantivirung der Neu-

    014 tra von Participien u. Adjektiven. Bei den Rmern beginnt die

    015 Neigung zum archaistischen Ausdruck mit der Kaiserzeit, nach-

    016 dem Sa llust das Beispiel gegeben hat, und steigert sich sehr

    017 schnell. Schon Augustus macht (Sueton. Aug. 86) dem Tiberius

    018 in einem Briefe Vorwrfe ut exoletas interdum et reconditas vo-

    019 ces aucupa nti. Seneca sagt von seinen Zeitgenossen ep. 114, 13

    020 multi ex alieno saeculo petunt verba, duodecim tabulas loquun-

    021 tur, Gracchus illis et Crassus et Curio nimis culti et recentes sunt,

    022 ad Appium usque et ad Coruncanium redeunt. Es war ein Reiz-

    023 mittel fr einen verdorbenen Geschmack. Cicero wurde a ls Sch-

    024 diger der chten latinitas angesehen: das Harmonische war ver-

    025 hat. Sehr wichtige Periode fr die Erkenntni des Archaischen:

    026 viel aus Gellius zu gewinnen. Fronto ist der dmmste u. frechste

    027 Vertreter. Von dieser krankhaften Phase ist ganz das Verhltni

    028 zum Archaischen in der klassischen Periode zu unterscheiden.

    029 Die festen termini sind: latinitas (ausgeschieden das Auerlatei-

    030 nische), urbanitas (ausgeschieden a lles Plebejische u. Prov inzielle

    031 im Lateinischen). Die patavinitas, die Asinius Pollio dem Livius

    032 vorwarf, war ein Fehler gegen die urba nitas. Im Allgemeinen

    033 wird jedes insolens verbum gemieden: Csar (nach Ma crobius I

    034 5, 2) tamquam scopulum sic fuge insolens verbum. Cicero de

    Page: 0440

    001 oratore III 25 moneo ut caveatis ne exilis ne inculta sit oratio

    002 vestra, ne vulgaris, ne obsoleta. Varro bewahrt mit Bewutsein

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/bildung#bildunghttp://www.degruyter.com/view/NO/bunt#bunt
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    003 das Archaische, Sallust mit Affektation. Cicero de o rat. III 38 ,

    004 der sehr vom Archaischen in der Rede warnt, sagt aber doch,

    005 am rechten Orte gebraucht gebe es der Rede einen groartigen

    006 Anstrich, er werde sich nicht scheuen zu sagen qua tempestate

    007 Poenus in Italiam venit oder proles suboles oder fari nuncupare,

    008 non rebar opinabar [5] . Verstndig Quintil. I, 6, 39 eine Rede sei009 fehlerhaft si egeat interprete, daher seien verba a vetustate repe-

    010 tita zwar sofern sie Majestt mit Neuheit verbinden, vortrefflich,

    011 aber opus est modo ut neque crebra sint haec neque manifesta,

    012 quia nihil est odiosius affectatione, nec utique ab ultimis et iam

    013 obl itteratis repetita temporibus, qualia sunt topp er (geschwind)

    014 et antegerio (wie oppido sehr) et exanclare (erschpfen) et prosa-

    015 pia (Sippschaft) et Saliorum carmina vix sacerdotibus suis satis

    016 intellecta. Das Wort kommt vor bei Dionys. de com-

    017 pos. verbor. c. 22 Dann auch -

    018 , auch .

    019 Die Neubildungen , nova fingere. Cicero

    020 hat de orat. III 38 inusitatum verbum ac novatum, und im orator

    021 c. 24 nec in faciendis verbis audax et parcus in priscis. Neologis-

    022 mus ist kein griech. Wort, ebensowenig wie Monolog, Biogra-

    023 phie. Die Griechen waren viel freier u. khner darin. Quintil.

    024 sagt Graecis magis co ncessum est qui sonis etiam et affectibus

    025 non dubitaverunt nomina aptare, non alia libertate quam qua

    026 illi primi homines rebus appellationes dederunt. Bei den Rmern

    027 war es bedenklich. Celsus verbot es dem Redner ganz. Cicero

    028 hatte Glck mit den bertragungen philosophischer termini. be-

    029 atitas u. beatitudo von ihm gebildet de nat. deor. I 34 mit den

    030 Worten utrumque omnino durum, sed usu mollienda nobis verba

    031 sunt. Sergius Flavius hat ens u. essentia gebildet, doch beruft sich

    032 wegen des zweiten Wortes Seneca ep. 58,6 auf Cicero u. Papirius

    Page: 0441

    001 Fabianus. Reatus (Verklagt sein) ist zuerst von Messalla, munera-

    002 rius (Geschenke oder Schauspiele betreffend (libellus m.)) von

    003 Augustus aufgebracht, bald im allgemeinen Gebrauch. piratica

    004 fanden die Lehrer Quintilians noch anstig. Cicero hielt favor

    005 u. urbanus fr neu, er tadelte piissimus (von Antonius gebraucht

    006 (ganz geb ruchlich in der silbernen Latinitt) breviarium statt

    007 summarium erhlt in der Zeit Senecas Eingang. obsequium hielt

    008 Cicero fr eine Neubildung d es Terenz (doch schon bei Plautus

    009 u. Naevius) Cervix singularisch zuerst von Hortensius. Quinti-

    010 lian giebt dann die Vorschrift: si quid periculosius finxisse vide-

    011 bimur, quibusdam remediis praemuniendum est ut ita dicam

    012 Si licet dicere Quodam modo Permittite mihi sic uti. Nach

    013 welchen Grnden sich die Aufnahme von Neologismen entschei-

    014 det, ist nicht zu bestimmen. Horaz a rs poet. 60 vergleicht den

    015 Wandel der Wrter mit dem Wechsel des Lebens, ja es scheint

    016 noch willkrlicher u. zuflliger zuzugehen v. 70

    017 multa renascentur quae iam cecidere, cadentque

    018 quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus,

    019 quem penes arbi trium est et ius et norma loquendi.

    020 Bei den sp teren Griechen berwuchern besonders die Nachb il-

    021 dungen von Compositionen. Lobeck redet darber im Phryni-

    022 chos p. 600 Der wunderbare Proze einer Auswahl der Sprach-

    023 formen geht immer fort. Man hat gefunden, da unter den wil-

    024 den u. rohen Volksstmmen Sibiriens, Afrikas u. Siams schon

    025 zwei oder drei Generationen hinreichen, um das ganze Aussehen

    026 ihrer Dialekte zu verndern. Missionre in Centralafrika ver-

    027 suchten die Sp rache wilder Stmme niederzuschreiben u. mach-

    028 ten Sammlungen aller Wrter. Nach zehn Jahren zurckkehrend

    029 fanden sie dieses Wrterbuch veraltet u. unbrauchbar. In Littera-

    030 rischen Zeiten geht es langsamer, doch mu Goethe, whrend

    031 seines langen Lebens, eine auerordentliche mehrmalige Neufr-

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/bedenklich#bedenklichhttp://www.degruyter.com/footnote/NO/W013912V006?id=W013912B02T004S0440FN5
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    032 bung u. Abndrung des Stils gemerkt haben. Wir stehen jetzt

    033 unter dem Einflusse des bermigen Zeitungswesen, besonders

    Page: 0442

    001 nach dem Jahre 1848. Man mu sorgsamer als je sein, wenn

    002 unsere Sprache nicht allmhlich den Eindruck der Gemeinheit

    003 machen soll.

    . 7 . Der tropische Ausdruck.

    005 Cic. de orat. III 38 sag t, die metaphorische Redeweise ist006 von der Nothwendigkeit im Drang der Armut und Verlegenheit

    007 erzeugt, nachmals aber gesucht worden wegen ihrer Anmuth.

    008 Wie die Kleidung zuerst um die Klte abzuwehren erfunden,

    009 nachmals a uch zum Schmuck und zur Veredlung des Krpers

    010 gebraucht wurde, so entsprang der Tropus aus Mangel u. wurde

    011 hufig gebraucht, wenn er ergtzte. Selbst die Landleute reden

    012 von den Augen der Reben ( ) gemmare

    013 vites, luxuriem esse in herbis, laetas segetes, sitientes agri. Meta-

    014 phern sind gleichsam geliehenes Gut, das man a nderwrts

    015 nimmt. weil man es selbst nicht hat. Gegensatz der

    016 und der . Oder proprie-

    017 tas u. improp rium (). Quintil. VIII 2, 5 bezeichnet einmal

    018 als proprietas die niedere volksmige, von der man nicht immer019 abweichen knne, da man nicht fr alles passende Ausdrcke

    020 habe zB. msse man iaculari auch sagen, wenn pilis geworfen

    021 werde, lapida re wenn glebis oder testis. Dergleichen abusio oder

    022 sei nothwendig. Sodann ist ihm proprietas auch die

    023 Urbedeutung der Wrter zB. vertex sei eigentlich contorta in se

    024 aqua, dann quidquid aliud similiter vertitur, dann die pars

    025 summa capitis (propter flexum capillorum), dann id, quod in

    026 montibus eminentissimum. Die eigentl. Bedeutungen erscheinen

    027 so als die lteren, schmucklosen. Dagegen richtig Jean Paul Vor-

    028 schule der Aesthetik Wie im Schreiben Bilderschrift frher

    029 war, als Buchstabenschrift, so war im Sprechen die Metapher,

    030 insofern sie Verhltnisse u. nicht Gegenstnde bezeichnet, das

    Page: 0443

    001 frhere Wort, welches sich erst allmhlich zum eigentl.

    002 Ausdrucke entfrben mute. Das Beseelen und Beleiben fiel

    003 noch in Eins zusammen, weil noch Ich u. Welt verschmolz. Da-

    004 her ist jede Sprache in Rcksicht geistiger Beziehungen ein Wr-

    005 terbuch erblater Metaphern. Die Alten konnten sich die Kunst

    006 nur als eine bewute vorstellen; die nichtknstlerischen Meta-

    007 phern in quo proprium deest, schrieben sie (wie Quintil.) den

    008 indoctis ac non sentientibus zu. Obwohl auch der feine Mann

    009 sich oft nicht zu helfen wei. ( silberne

    010 Hufeisen) Also aus Verlegenheit u. Dummheit entstehen die

    011 volksthmlichen Tropen, aus Kunst u. Wohlgefallen die redneri-012 schen. Ganz falscher Gegensatz. In gewissen Fllen ist die Spra-

    013 che zu bertragungen gezwungen, weil Synonyma fehlen, in an-

    014 dren Fllen sieht es aus als triebe sie Luxus: dann vornehmlich

    015 wenn wir die bertragungen mit den eher gebruchlichen Aus-

    016 drcken vergleichen knnen, erscheint die bertragung als freies

    017 Kunstschaffen, die usuelle Bezeichnung als das eigentliche

    018 Wort.

    019 Als Bezeichnung fr bertragungen hatten die Griechen zuerst

    020 (zB. Isocrates) , auch Aristoteles. Hermagoras sagt,

    021 da bei den Grammatikern noch heie, was d ie Rhe-

    022 toren nannten. Bei den Rmern ist tropus angenommen,

    023 bei Cicero noch translatio immutatio, spter auch motus mores

    024 modi. ber Zahl und Unterarten der Tropen gab es erbitterte

    025 Streitigkeiten: man kam zu 38 u. mehr Arten. Wir besprechen

    026 Metapher, Synecdoche Metonymie Antonomasie Onomatopoiie

    027 Katachrese Metalepsis Epitheton Allegorie Ironie Periphrasis

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/dummheit#dummheithttp://www.degruyter.com/view/NO/eigentlich#eigentlichhttp://www.degruyter.com/view/NO/W006393FB09#W006393B08T002S0005
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    028 Hyperbaton Anastrophe Pa renthesis Hyperbel. ber d ie log ische

    029 Berechtigung dieser Arten will ich nichts sagen, man mu aber

    030 die Ausdrcke verstehen.

    031 Die Metapher ist ein krzeres Gleichni, wie wiederum das

    032 Gleichni als bezeichnet wird. Cicero

    033 de o rat. III 40 findet es verwunderlich, da die Menschen bei

    034 dem grten Reichthum an eigentl. Ausdrcken doch die Meta-

    Page: 0444

    001 pher lieber haben. Es rhre wohl daher, weil es ein Beweis von

    002 Geistesstrke sei, das vor den Fen liegende zu berspringen u.

    003 nach dem weit Entfernten zu greifen. Vier Flle werden unter-

    004 schieden 1) von zwei belebten Dingen setzt man das eine fr das

    005 andre (Scipio ist von Cato gewhnlich angebellt worden

    006 Hund fr Mensch) Zweitens Unbelebtes fr anderes Unbelebte

    007 Virgil Aen. VI, 1 classi immittit habenas Drittens Unbelebtes

    008 fr Belebtes zB. wenn Achill genannt wird. Vier-

    009 tens Belebtes fr Unbelebtes. zB. Cicero pro Ligario c. 3, 9. quid

    010 enim tuus ille, Tubero, destrictus in acie Pharsalica gladius age-

    011 bat? cuius la tus ille mucro petebat? qui sensus erat armorum

    012 tuorum? Aristot. Poetik c. 21 unterscheidet dagegen: eine Meta-

    013 pher ist die bertragung eines Wortes, dessen gewhnliche Be-

    014 deutung eine andre ist, entweder von der Gattung auf die Art,

    015 oder von Art auf die Gattung oder von der Art auf die Art oder

    016 nach der Proportion ( ,

    017 , ). bertragung von Ga ttung auf die

    018 Art zB. dort ruht mir das Schiff (Odyss, 18 5

    019 ), denn im Ankerplatz sein ist eine Art des Ruhens.

    020 Von der Art auf die Gattung schon tausende vo n edlen Thaten

    021 hat Odysseus verrichtet (Il. B 272

    022 ), denn d ie tausende sind viele u. der D ichter gebraucht

    023 hier jenen Ausdruck im Sinne viele. Von der Art auf die Art

    024 mit dem Erze das Leben wegschpfend (

    025 ) u. mit dem unverwstlichen Erze wegschneidend

    026 ( ), hier steht wegschneiden fr schpfen,

    027 dort schpfen statt wegschneiden, beides sind Arten des Wegneh-

    028 mens. Nach d er Propo rtion wie das Alter zum Leben, so ver-

    029 hlt sich der Abend zum Tage, also kann man den Abend das

    030 Alter des Tages nennen u. das Alter den Abend des Lebens.

    031 Streng g enommen bleibt nur diese vierte Art brig -

    032 . Denn die Erste ist keine Metapher (das Ungenauere steht

    033 fr das Genauere, nicht das Uneigentliche fr das Eigentliche),

    Page: 0445

    001 die dritte Art ist nicht klar. Die zweite Art hat es nur mit engeren

    002 u. weiteren Begriffssphaeren eines Wortes zu thun.

    003 Ein bermiger Gebrauch von Metaphern verdunkelt u. fhrt004 zum Rthselhaften. Soda nn da es der Vorrang der Metaphern ist

    005 einen sinnlichen Eindruck zu machen, so mu man a lles Unan-

    006 stndige meiden. Cicero giebt de orat. III 14 castratam morte

    007 Africani rem publicam, stercus curiae Glauciam. Quintilian ta-

    008 delt den Vers des Furius Bibabuculus Iuppiter hibernas cana

    009 nive conspuit Alpes.

    010 Synecdoche. Nach einem wesentl. Theile wird der Begriff von

    011 domus bezeichnet, wenn man es tectum nennt: tectum aber ruft

    012 die Vorstellung des domus hervor, weil in er Wahrnehmung auf

    013 welcher diese Wrter beruhen, beide Dinge zugleich a uftreten:

    014 cum res tota parva de parte cognoscitur, aut de toto pars. In

    015 der Sprache sehr mchtig, wie ich schon ausfhrte. Bopp Vergl.

    016 Grammat, Thl. II p. 417 vertheidigt die Ansicht da das griechi-

    017 sche Augment urspr. identisch mit dem priva tivum sei dh. da

    018 es die Gegenwart verneine u. so die Vergangenheit bezeichne.

    019 Die Sprache drckt niemals etwas vollstndig aus, sondern hebt

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/begriff#begriffhttp://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattunghttp://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattunghttp://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattunghttp://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    020 berall nur das am meisten hervorstechende Merkmal hervor:

    021 freilich ist die Negation der Gegenwart noch keine Vergangen-

    022 heit, aber die Vergangenheit ist wirklich eine Negation der Ge-

    023 genwart. Ein Zahn-habender ist noch kein Elephant, ein Haar-

    024 habender noch kein Lwe, u. dennoch nennt das Sanskrit den

    025 Elephanten dantin, den Lwen kesin. Der Gebrauch ist natrlich

    026 fr Dichter noch freier als fr Redner: die Rede vertrgt mucro

    027 als Schwert, tectum als Haus, aber nicht puppis als Schiff. Am

    028 meisten zulssig die freie Anwendung des numerus zB. Romanus

    029 fr Romani. aes aurum argentum fr eherne goldene u. silberne

    030 Gefe, gemma ein aus Edelstein gefertigtes Gef. 031 Fuchspelz totum pro parte, Elfenbein, Schild -

    032 krot. (fr ) Oder

    033 Choeph. 175 Chor Electra

    034 . Dahin gehrt auch das von Ruhnken bezeich-

    Page: 0446

    001 nete genus loquendi quo quis facere dicitur, quod factum narrat

    002 zB. Homerus Venerem saucia t sagitta humana .

    003 Metonymia. Setzung eines Hauptwortes fr ein anderes, auch

    004 . eius vis est, pro eo quod dicitur, causam propter

    005 quam dicitur ponere. In der Sprache sehr mchtig: die abstrakten

    006 Substantive sind Eigenschaften in uns u. auer uns, die ihren

    007 Trgern entrissen werden, u. als selbstndige Wesen hingestellt

    008 werden Die audacia bewirkt da Mnner audaces sind; im

    009 Grunde ist das eine Personifikation, wie die d er rmischen Be-

    010 griffsgtter Virtutes Cura usw. Jene Begriffe, die lediglich unserer

    011 Empfindung ihr Entstehen verdanken, werden als das innere We-

    012 sen der Dinge vorausgesetzt: wir schieben den Erscheinungen als

    013 Grund unter, was do ch nur Fo lge ist. Die Abstrakta erregen die

    014 Tuschung als seien sie jenes Wesen, welches die Eigenschaften

    015 bewirkt, whrend sie nur in Folge jener Eigenschaften von uns

    016 bild liches Dasein erhalten. Sehr lehrreich der bergang der

    017 in bei Plato: hier ist die Metonymie, Vertauschung von Ur-

    018 sache und Wirkung vollstndig. In der jetzigen Bedeutung von

    019 alt ist Ursache u. Wirkung vertauscht, eigentl. gewachsen.

    020 Pallida mors, tristis senectus, praeceps ira. Die erfundenen Dinge

    021 werden nach ihren Erfindern, die unterworfenen nach ihren

    022 Unterwerfern genannt Neptunus Vulcanus, vario Marte pugnare.

    023 Homerische Helden als typische Reprsentanten ihrer Fertigkei-

    024 ten. Automedon fr Fuhrmann, die rzte Machaones.

    025 Antonomasia est dictio per accidens proprium significans.

    026 Statt eines Eigennamens ein ihn kennzeichnendes Epitheton. Ro-

    027 manae eloquentiae princeps fr Cicero, Africani nepotes als Be-

    028 zeichnung der Gracchen. Onomatopoiia est dictio ad imitan-

    029 dum sonum vocis confusae ficta, ut cum dicimus hinnire equos,

    030 balare oves, stridere vaccas(?) et cetera his similia. Catachresis

    031 wird nur als tropus betrachtet, wenn ihrer Einfhrung keine032 Noth besteht (wie bei silberne Hufeisen) Cicero fhrt an gran-

    033 dis oratio pro longa, minutus animus pro parvo. Dann hufig in

    034 der Vertauschung der S innesthtigkeiten Aesch.

    Page: 0447

    001 Sept. 99. Beispiele bei Lobeck Rhemat. p. 333 ff. -

    002 bei Sop h., Il. 127

    003 (das Brausen, das Geschrei). Soph. Aj. 785 .

    004 Anders Hesiod Erg. 6112

    005 . Metalepsis transsumptio sehr knstli-

    006 cher tropus wie

    007 wenn Odyss. 299 die heien. u.

    008 ist synonym (nmlich ), homonym aber mit009 sind die . (die Spitzinseln in der Nhe Aetoliens)

    010 Quintilian interpretirt est enim haec in metaleps natura ut inter

    011 id q uod transfertur et in quod transfertur sit medius quidam

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/empfindung#empfindung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    012 gradus, nihil ipse significans, sed praebens transitum. Wenn Ci-

    013 cero sus fr Verres sagt, so steht zwischen inne verres, nicht als

    014 Name, sondern als Thier. Eustath. findet eine metalepsis Il.

    015 164 fr . d enn

    016 Mdchen u. Augapfel sind [syn] homonym, aber u.

    017 synonym.

    018 Epitheton. Die Dichter, sagt Quintil., bedienen sich der Epi-

    019 theta in reichem Mae, ihnen ist es genug, wenn sie berhaupt

    020 nur zu ihren Hauptwrtern passen, beim Reden drfen sie nur

    021 angewandt werden, wenn ohne dieselben etwas fehlen oder we-

    022 niger gesagt sein wrde. Allegoria inversio aut aliud verbis,

    023 aliud sensu ostendit aut etiam interim contrarium: die erstere

    024 Gattung die eigentl. Allegorie, die letztere die Ironie. Virg. Ge-

    025 org. II 542 et iam tempus equum fumantia solvere colla dh. das

    026 Gedicht zu beendigen. Oder Horaz od. 1,14 o navis refernt in

    027 mare te nov i fluctus. Rein wird d ie Allegorie in der Rede selten

    028 angewandt, meist mit apertis gemischt (mit nicht allegor. Be-

    029 standtheilen), rein zB. Cic. hoc miror, hoc queror quemquam

    030 hominem ita p essum dare velle, ut etiam navem perfret, in qua

    031 ipse naviget. Cic. pro Murena 17, 35 quod enim fretum, quem

    032 Euripum tot mo tus, tantas tam varias habere putatis agitationes,

    033 commutationes, fluctus, quantas perturbationes et quantos ae-

    034 stus habet ratio comitiorum? Man mu sich hten nicht aus dem

    Page: 0448

    001 Bilde zu fallen: viele sag t Quintil. fangen mit Sturm an. u. hren

    002 mit Feuer oder Einsturz auf. Das Rthsel, eine ganz dunkle

    003 Allegorie, ist der Rede unstatthaft. Das stehende Grammatiker-

    004 beispiel mater me genuit, eadem mox gignitur ex me (Wasser Eis

    005 Wasser) Ironia illusio: die Worte besagen gerade das Gegentheil

    006 von d em, was sie zu besagen scheinen.

    007 Als Arten der Ironie unterscheidet Quintil. (p lena

    008 odio atque hostili irrisio -

    009 mit zum grinsenden Lachen verzogenem Gesicht: lat. exa-

    010 cerbatio) (eine witzige Selbstironie) u.011 die auf andere gerichtete Ironie. In der Form eines

    012 leisen Spotts hatten sie den . Dann d ie

    013 eine -

    014 . Il. ,11

    015 . Dazu gehrt der Euphemismus. Dann die

    016 (der Kunstausdruck nur bei Servius Virg. Georg. 1 ,125 u. bei Ho-

    017 razscholiasten. (ungefhr identisch mit der ) Oxy-

    018 moron, Verbindung eines Subjekts mit einem sein Wesen negiren-

    019 den Prdikat, . .

    020 Die circumlocutio circuitio circuitus loquendi gehrt

    021 besser zu den rhet. Figuren u. nicht zu den Tropen. Rein zum

    022 Schmuck zB. in , , -

    023 . Das verbi transgressio Hervorhebung eines be-024 deutenden Wortes durch seine Stellung an Anfang oder Schlu

    025 des Satzes. Die bei blo s zwei Worten zB. die Nach-

    026 stellung der Prposition mecum quibus de rebus. Diacope oder

    027 Tmesis Trennung eines Compositum durch ein da zwischen ge-

    028 schobenes Wort septem subjecta trioni b ei Virg. Georg. III 381 .

    029 Dialysis oder Parenthesis Einschaltung eines andren Satzesin030 einen Satz. Auch das Hyperbaton ist eigentl. kein Tropus. Die

    031 sensuum ordo praeposterus das was man zuerst

    032 sagen mte sagt man spter. Virgil. Aen. II 353 moriamur et in

    033 media arma ruamus. Oder . Die

    034 bertreibung der Wahrheit um eine Sache zu vergrern oder zu

    Page: 0449

    001 verkleinern. Verschiedene Weisen: man sagt entweder mehr als

    002 geschehen kann od er geschehen ist Hor. od. 1, 1, 3 6 sublimi

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/gattung#gattung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    003 feriam sidera vertice. Oder wir heben die Dinge durch eine Ver-

    004 gleichung Il. A 249

    005 . Die Hyperbel sucht sich durch andere Tropen zu strken.

    006 Die Gefahr der sehr gro.

    8. Die rhetorischen Figuren.

    008 Bei den Tropen handelt es sich um bertragungen: Wrter statt

    009 anderer Wrter gesetzt: an Stelle des Eigentliches das Uneigent-

    010 liche. Bei den Figuren giebt es keine bertragungen. Es sind

    011 kunstmig genderte Fo rmen des Ausdruckes, Abweichungen

    012 vom Usuellen, doch o hne bertragungen. Doch ist die Grenzbe-

    013 stimmung sehr schwer. figura () sit arte aliqua novata

    014 forma dicendi. formae et lumina sagt Cicero orat. 181 lumini-

    015 bus, quae Graeci quasi aliquos gestus orationis vocant.

    016 Varianten von Satzformationen, die ohne einen wesentl. Unter-

    017 schied in d er Bedeutung nach ihrer Form theils als Vermehrung,

    018 theils a ls Verminderung theils a ls Umnderung derjenigen Aus-

    019 drucksmittel erscheinen, welche sonst regelmig u. usuell sind.

    020 Mehreren Lautbildern u. Lautformationen kommt dieselbe Be-

    021 deutung zu dh. die Seele wird zur Bildung derselben Vorstellung

    022 angeregt. Mehr will Bedeutung nicht sagen: kein Ausdruck be-

    023 stimmt u. umgrnzt eine Seelenbewegung ganz fest, da er als

    024 die eigentliche Darstellung der Bedeutung angesehen werden

    025 knnte. Jeder Ausdruck ist nur ein Symbol. Nicht d ie Sachen u.

    026 Symbole knnen sich unter einander vertreten. Es bleibt eine

    027 Wahl mglich. Eine Hufung von Ausdrucksmitteln (Pleonas-

    028 mus) will die Vorstellung gleichsam zum Verweilen einladen, die

    029 Weglassung von Wrtern (Ellipse) zeigt ein Streben nach Be-

    030 schleunigung an u. erregt das Gemth, die Vertauschung von

    Page: 0450

    001 Wortformen (Enallage) u. Stellungsvernderungen (Hyperbaton)

    002 zieht eine Erhhung der Aufmerksamkeit nach sich.

    003 Schwer ist zu bestimmen ob es eine grammatische oder eine

    004 rhetorische Figur ist: eine feste Grenzlinie zwischen der Art, wie

    005 der Redende den Seelenmoment darstellt u. dem allg emeinen usus006 kann oft nicht gezogen werden. Die Sprache gestattet ja auch indi-

    007 viduelle Formation u. nun hngt es von dem schwankenden Ur-

    008 theil ber das Mehr oder Minder Gebruchliche ab, ob wir eine

    009 Figur fr gramma tisch oder [historisch] rhetorisch nehmen.

    010 Pleonasmus. 1) berflssige Ausdrcke im Satz, weil ent-

    011 weder das, was sie bezeichnen, seinem Inhalte nach in d iesem

    012 Satz schon g engsam bezeichnet ist (Pleonasmus im engeren Sinn)

    013 oder weil sie eines bestimmt angebba ren Inhaltes ermangeln

    014 (Parapleroma) Der Grammatiker Tryphon verglich die Expletiv-

    015 conjunktionen

    016 mit dem Werg, welches beim Einpacken gebrechlicher

    017 Gefe verwandt wird. In sorgfltiger Rede wirken sie meistens

    018 rhythmisch, als comp lementa numerorum. Isocrates gefllt sich

    019 in Herbeifhrung musikal. Wirkungen durch Verwendung von

    020 Fllwrtern. Mancherlei wird im Laufe der Zeit zu Pleonasmen

    021 multo usu , , , homo

    022 adulescentulus. Es sind unbeabsichtigte P leonasmen, berflssige

    023 Genauigkeit, whrend die eigentl. rhetor. Pleonasmen ber die

    024 gengende Feststellung des Sinnes hinaus Wirkungen indiv iduel-

    025 ler Art beabsichtigen. Ursprnglich rhetorisch ist der P leonasm.

    026 des Dativus ethicus. Oder wenn Substantive durch ein folg. p ro-

    027 nomen wieder aufgenommen werden. (Epanalepsis) Dann wenn

    028 ein Wort desselben Stammes dem verbum beigefgt wird

    029 , . 2) Die zweite Art des pleonast.

    030 Ausdrucks ist Perissologia nur um ein lngeres Verweilen der

    031 Seele bei den dargestellten Moment auszudrcken. Wenn sich ein

    032 bestimmter Begriff nicht einfach mit seinem Worte bezeichnet

    033 findet, sondern umschrieben wird, so ist d ies periphrasis.

    034 keineswegs nur eine wegen Wortaufwand tadelnswerthe

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

    http://www.degruyter.com/view/NO/einfach#einfachhttp://www.degruyter.com/view/NO/begriff#begriffhttp://www.degruyter.com/view/NO/augenblick#augenblickhttp://www.degruyter.com/view/NO/bildung#bildung
  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    Page: 0451

    001 Rede, sondern eine durch Flle ausgezeichnete. Eine gewisse be-

    002 hagliche Ruhe, ferner gemessenes Abwgen, aber auch Wrde

    003 u. Majestt finden durch d ie Perissologie ihren Ausdruck. Dazu

    004 Epitheta od er Epexegesen die sich von selbst verstehen das

    005 Epitheton ornans. Dann Hufung von synonymen Ausdrcken,

    006 die Seele kann sich (wie beim Zorne) nicht gleich von einer Sache

    007 freimachen. 3) d ie Tautolog ie das Gesagte nicht nur mit demsel-

    008 ben S inn sondern denselben Worten wiederholt. 009 . ah Corydon Corydon in Vergil. Ecl. 2, 69. -

    010 sub aqua sub aqua maledicere temptant von den in Fr-

    011 sche verwandelten Bauern Ov. Met. VI 376. Mit Nachdruck fan-

    012 gen mehrere Glieder der Rede mit demselben Worte an d ie

    013 Epanaphora. Cic. Philipp. XII 12 sed credunt improbis, credunt

    014 turbulentis, credunt suis. Das Gegentheil die Antistrophe. Cic.

    015 Philipp. I, 10 de exilio reducti a mortuo, civitas data a mortuo,

    016 sublata vectigalia a mortuo. Wiederholung derselben Anfangs-

    017 u. Schluworte Symploke pro Milone 22 quis eos postulavit?

    018 Appius. quis produxit? Appius. Dann kann das Schluwort eines

    019 Satzes als Anfangswort des folgenden dienen. Cic. Catil. 1 ,1 hic

    020 tamen vivit. Vivit? Immo vero etiam in senatum venit.

    021 Die Ellipse. Im allgemeinen Auslassung von Worten in einem

    022 Satze so da das Fehlende aus dem Zusammenhange ergnzt

    023 werden kann. Die gramma t. Ell. ist so zum usus geworden, da

    024 die ausgefllte Rede mifllt er hat den krzeren (Halm) gezo-

    025 gen. Entstanden einmal aus phonetischen Grnden, damit der

    026 Lautkrper gedrngter erscheine. Jungfr. v. Orl. II 2 ich liebe

    027 (den) wer mir Guthes thut und hasse (den) wer mich verletzt u.

    028 ists der eigne Sohn den ich gebo ren (welcher mich verletzt, so

    029 ist er) desto hassenswerther. Dann ist der Inhalt Veranlassung,

    030 welcher nicht vollstndig bezeichnet werden soll Wenn es aber

    031 regnete? unbestimmte Ergnzung. Aposiopesis. Dann da s Asyn-

    032 deton ich darf ihn hassen, (denn) ich hab ihn gebo ren. Mit

    033 bezeichnen die Alten auch die Auslassung eines Buch-

    034 stabens oder einer Silbe. Quintil. bezeichnet einmal dami t ein

    Page: 0452

    001 vitium detractionis, dann stellt er sie mit der Synecdoche zusam-

    002 men, da mu bei ihr ein Wort aus andern ergnzt werden: end-

    003 lich IX 3, 58 bespricht er die figurae quae per detractionem fiunt.

    004 1) cum subtractum verbum aliquod satis ex ceteris intellegitur

    005 2) in quibus verba decenter pudoris gratia subtrahuntur. 3) per

    006 detractionem figura cui coniunctiones eximuntur ()

    007 4) das sogenannte in qua unum ad verbum plures

    008 sententiae referuntur, quarum una quaeque desideraret illud, si

    009 sola poneretur zB. Cic. pro Cluentio 6, 15 vicit pudorem libido,

    010 timorem auda cia, ra tionem amentia. Sehr verworrene Unter-

    011 scheidung, grammatisch u. rhetorisch verwechselt. Ellipse ein

    012 einfacher Satz es fehlt oder

    013 . ( ), ( )

    014 Dann fehlt die copula summum ius summa iniuria: nihil per vim

    015 Milo Cic. Mil. 19. Ellipsen die nheren Bestimmungen des ein-

    016 fach erweiterten Satzes treffend quae cum dixisset, finem ille (fe-

    017 cit), nihil ad rem, dextra sinistra (manu), Soph.

    018 El. 1415. Im Latein. lt man die einen Nachsatz einleitenden

    019 Worte so sage ich so wisse aus Cic. ad Att. 3, 13 quod

    020 scribis te audire me etiam mentis errore ex dolore affici mihi

    021 vero mens integra est. Das Fehlen des Nachsatzes im Griech.

    022 heit . Mit oder -

    023 bezeichnet man die Weglassung vo n Worten, die beim zu-

    024 sammengezogenen Satz eintritt; fr khnere Krzungen hatte

    025 man den terminus . was einem von zweien zukommt,

    026 wird auch auf den andern bertragen. Von diesen Ausdrcken

    Brought to you by | Universitaetsbibliothek BaselAuthenticated | 131 152 32 87

    Download Date | 8/5/13 6:03 PM

  • 5/25/2018 NIETZSCHE KGA Darstellung Der Antiken Rhetorik [SS 1874]

    027 ist Zeugma im Gebrauch geblieben, hat aber die Bedeutung der

    028 bekommen Tacit. annal. II 20 Germanicus quod ar-

    029 duum sibi, cetera legatis permisit, zu sibi er behielt sich vor.

    030 (Zeugma verwechselt, wie arsis u. thesis) Cic. Tusc. 5, 40 nostri

    031 graece fere nesciunt, nec Graeci latine (sciunt)

    032 Die Enallage. In der Sprache erscheinen viele synonyme

    033 Schp fungen, der logische Verstand wrde vieles ausscheiden.

    034 Die Wissenschaft der Synonymik sucht das Wesen der sinnver-

    Page: 0453

    001 wandten Sprachb ilder mit einer Schrfe festzuhalten, die das We-

    002 sen der Sache nicht trifft. Um dieselben Beziehungen der Be-

    003 griffe auszudrcken durch verschiedenartige Mittel, zur Sy