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NÜRNBERGISCHE HESPERIDEN UND ORANGERIEKULTUR IN FRANKEN Orangeriekultur Schriftenreihe des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e.V. BAnD 7

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  • NÜRNBERGISCHE HESPERIDENUND ORANGERIEKULTUR IN FRANKEN

    Orangeriekultur Schriftenreihe des Arbeitskreises

    Orangerien in Deutschland e. V.

    BAnD 7

  • © 2011Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KGStettiner Straße 25 · D-36100 PetersbergTel. 0661/9 62 82 86 · Fax 0661/6 36 86www.imhof-verlag.de

    Gestaltung und Reproduktion: Michael Imhof Verlag, PetersbergDruck: B.o.s.s Druck und Medien GmbH, GochRedaktion: Dr. Simone Balsam, Dresden

    Printed in EU

    ISSN 1617-884XISBN 978-3-86568-670-1

    INHALTBeiträge der 30. Jahrestagung des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e.V., 4. bis 6. Septem ber 2009, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, „Nürnbergs Hesperidengärten und die mittelfränkische Orangeriekultur“.

    Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

    Bezirk MittelfrankenVorwort 7

    JOHANN CHRISTOPH VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“ UND IHRE REZEPTION

    Heinrich HamannJohann Christoph Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ 9

    Clemens Alexander WimmerFunktion und Bedeutung von Volkamers Zitrusbuch 34

    Heike Palm, Hubert RettichGeorg Ernst Tatters Exemplar von Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ 46

    Clemens Alexander WimmerVolkamers Rezeption in Schlesien. Ein Breslauer Zitruskatalog von 1731 86

    NÜRNBERGISCHE HESPERIDEN

    Jochen MartzZur Entwicklung der Zitruskultur in Nürnbergs Gärten – Von den Anfängen bis in das 19. Jahrhundert 95

    Helmut WiegelDer Pegnesische Blumenorden – Eine Sprachgesellschaft des Barock und ihr Garten 106

    Tilman T. R. RauDas „Commercium Litterarium“ ein „Commercium plantarum“? Botanischer Wissens austausch in der ersten medizinischen Wochenschrift Deutschlands 117

    Fresand Wintergarten GmbH

    und Helmut Wiegel, Bamberg

  • „Orangeriekultur“, so lautet der neue Sammel-name unserer Schriftenreihe des ArbeitskreisesOrangerien in Deutschland e. V. Damit spanntsich ein thematischer Bogen, der die bisherigenAktivitäten unseres Arbeitskreises, wie die Pfle-ge und Unterhaltung der Pflanzenbestände inden Orangerien und die Denkmalpflege an denOrangeriegebäuden ebenso einschließt wie denzukünftig noch verstärkt angestrebten Wissens-austausch über berufspraktisches gärtnerischesFachwissen und die wissenschaftliche Erfor-schung der Orangerie in ihrer Dimension alsKunstwerk, philosophische Metapher, Baudenk-mal und lebendige Stätte der Kulturgeschichte.Der 1979 erstmals und 1993 als eingetragenerVerein neu gegründete Arbeitskreis Orangerienin Deutschland verfolgt das Ziel einer mög-lichst umfassenden Erforschung und breit an-gelegten Denkmalpflege historischer Orange-rien, sowohl hinsichtlich ihrer Gewächshäuserund Gartenanlagen wie auch hinsichtlich ihrerPflanzensammlungen und Techniken der gärt-nerischen Kultivierung. Orangeriekultur um-fasst neben der Pflege der frostempfindlichenGewächse auch das kreative Zusammenlebender Menschen mit diesen Pflanzen, die prakti-zierte Gartenkultur und schließlich den quali-fizierten Umgang mit der Sinnbildwelt und derihr zu Grunde liegenden Philosophie.Es ist eine gute Tradition, dass der ArbeitskreisOrangerien in Deutschland e. V. die Ergebnisseseiner Jahrestagungen in einer Schriftenreiheveröffentlicht. Dieser siebte Band spiegelt dieErgebnisse der Tagung vom 4. bis 6. September2009 im Germanischen Nationalmuseum inNürnberg mit dem Thema: „Nürnbergs Hes-

    peridengärten und die mittelfränkische Oran-geriekultur“. Neben den Orangerien in derMitte Frankens bildete Johann Christoph Vol-kamers publizistisches Werk „NürnbergischeHesperides“ einen besonderen Schwerpunkt.Ein Großteil der Bildtafeln dieses Werkes istdaher diesem Band zur Illustration beigefügt.Die hier erstmalige Publikation dieser kolorier-ten Kupferstiche verdanken wir dem freundli-chen Entgegenkommen der Stiftung Preußi-sche Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburgin Potsdam.Im Inhalt dieses Bandes bildet die Rezeptionvon Volkamers Werk den ersten thematischenAbschnitt. Zu einem nahe gelegenen weiterenSchwerpunkt kristallisieren sich die Artikel zurnürnbergischen Gartenkultur, teils auch imHinblick auf die humanistische, allegorischeund geistesgeschichtliche Dimension. Der Ab-schnitt über die Orangerien in Mittelfrankenwürdigt die Orangeriestandorte in Eichstätt,Erlangen und Aschaffenburg mit eigenen Bei-trägen. Die aktuellen Berichte zur Forschungund Denkmalpflege beschließen den Band.

    Ohne die freundliche finanzielle Unterstützungmit Druckkostenzuschüssen durch den BezirkMittelfranken, Fresand Wintergarten GmbHsowie Helmut Wiegel, Bamberg, wäre diesesBuchprojekt nicht realisierbar gewesen. Für dieLektorierung des Bandes ist Frau Dr. SimoneBalsam herzlich zu danken.

    Prof. Dr. Helmut-Eberhard PaulusVorsitzender des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V.

    ORANGERIEKULTUR IN FRANKEN

    Norbert NordmannOrangerien und Gewächshäuser in Mittelfranken 129

    Konstantin BuchnerVom „Hortus Eystettensis“ zum Bastionsgarten in Eichstätt 140

    Helmut-Eberhard PaulusDie Orangerie des Residenzschlosses Erlangen 1703–1714 148

    Jost AlbertDer Pomeranzenhain und das abschlagbare Überwinterungshaus am Pompejanum in Aschaffenburg 1839–1870 167

    AKTUELLE FORSCHUNG UND DENKMALPFLEGE

    Claudia GröschelOrangerie- und Gartenkultur im Ortenburger Hofgarten 199

    Dagmar FetterováWas unternehmen wir zur Rettung der Orangerien in Tschechien? 214

    ANHANGTagungsprogramm 222Orangeriekultur 222Bildnachweis 223

    6 INHALT

    VORWORT

    Abb. S. 8 Citrus limon ‚Dolce‘ – Süße ZitroneVolkamers „Limon dolce ordinario“, Taf. 158b, kolorierter Kupferstich, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Fotograf Daniel Lindner, 2008. Die Frucht der süßen Zitrone ist vom Aussehen kaum von der gemeinen zuunterscheiden. Die Farbe des Fruchtfleisches ähnelt dagegen dem der Bitterorangen. Sie hat jedoch kaum Säure undschmeckt wenig aromatisch. Die Pflanze ist sehr blühfreudig und trägt viele Früchte. Volkamer hat auf dem Stich einenTeil seines eigenen Nürnberger Gartens dargestellt mit der Grotte am Ende der Gartenachse. (Claudia Gröschel)

  • noch Teile erhalten sind. In den mit Blindlinienund Arabesken verzierten Lederbezug sind aufder Vorderseite die Initialen G. E. T. und die Jah-reszahl 1727 geprägt. Laut Besitzeintrag auf demVortitel hat Georg Ernst Tatter, der damals nochals Hofgärtner auf der Sophienlust bei Meinin-gen lebte, das Werk in jenem Jahr erworben.Was dieses Exemplar auszeichnet und seinen be-sonderen Quellenwert ausmacht, sind darin ent-haltene handschriftliche Notizen von Tatterüber die von ihm kultivierten Zitrussorten sowiezwei beigebundene handschriftliche Anleitun-gen zum Anbau der Ananas bzw. zur Kultivie-rung des Kaffeebaumes im Gewächshaus. DassTatter dem Buch außerdem – wie sonst in einerFamilienbibel üblich – Aufzeichnungen übersich und seine Familie beifügte, zeigt, welch ho-hen ideellen Wert er diesem Werk beimaß.In den folgenden vier Einzelbeiträgen werdenTatters autobiographische Eintragungen und sei-ne Hinweise über den von ihm betreuten Zitrus-bestand der Sophienlust sowie seine Anleitungenfür zwei begehrte exotische Raritäten vorgestellt,deren Kultivierung damals noch kaum einemGärtner gelang.

    DIE BESITZER VON VOLKAMERS „NÜRNBERGI-SCHE HESPERIDES“H. Rettich

    Wie in anderen Fürstentümern auch, gab es inHannover Hofgärtnerfamilien, die über vieleGenerationen eine führende Rolle in der Gar-tenkunst und Pflanzenkultur spielten. Einigevon ihnen, wie die Wendlands, erlangten Be-kanntheit und Anerkennung über die regiona-len Grenzen hinaus. Keine der hannoverschenHofgärtnerfamilien war hier jedoch über einenso langen Zeitraum kontinuierlich vertretenwie die Familie Tatter: fast zweihundert Jahrelang, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf der ersten Seite des Exemplars der „Nürn-bergischen Hesperiden“ finden wir unter dem

    Vortitel den Besitzeintrag von Georg ErnstTatter (1689–1755), dem Stammvater der han-noverschen Familie Tatter, außerdem ist dasJahr der Erwerbung, 1727, und als Ortsangabe„Sophienlust“ vermerkt (Abb. 2). Dabei handeltsich um einen in der Nähe von Meiningen erstwenige Jahre zuvor angelegten Sommersitz derHerzogin Elisabeth Sophie von Sachsen-Mei-ningen, wo Georg Ernst Tatter als Hofgärtnertätig war. Auf der nächsten Seite, dem Titel-blatt, hat Georg Ernst Tatter neben seinem Na-men den Kaufpreis eingetragen: elf Reichstaler(Abb. 3). In das Exemplar der Gottfried Wil-helm Leibniz Bibliothek sind 31 Blätter miteingebunden, auf denen Georg Ernst, außerden beiden Abhandlungen über die Kultivie-rung des Kaffeebaums (9 Seiten) und der Ana-nas (19 Seiten), auch die Lebensdaten seinerFami lie (5 Seiten) niedergeschrieben hat.7 Es er-scheint ungewöhnlich, dass er für seine auto-biographischen Aufzeichnungen nicht etwa ei-ne Familienbibel, sondern gerade dieses Buchbestimmt hat; es zeigt jedoch, wie wichtig Vol-kamers „Nürnbergische Hesperides“ für ihngewesen sind, nicht nur als Arbeitsmittel undpraktischer Ratgeber: Es weist auch auf seinSelbstverständnis als Orangeriegärtner hin, aufdie Zugehörigkeit zu seinem Berufsstand undwohl auch auf seine Erwartung, dass diese gärt-

    4746 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 2 Besitzeintrag von Georg Ernst Tatter auf dem Vor-titel; aus: J. Chr. Volkamer: Nürnbergische Hesperides,Nürnberg Bd. 1 1708, Bd. 2 1714, GWLB Hannover, KGBH682.

    Die Beiträge zur Tagung des ArbeitskreisesOrangerien im Jahr 1995 in Hannoverzeigten bereits den großen Anteil der GärtnerGeorg Ernst Tatter (1689–1755) und JohannWilhelm Tatter (1719–1795) am Gedeihen undan der Vielfalt der Herrenhäuser Kübelpflan-zenbestände im 18. Jahrhundert.1 Sie gaben denAnstoß für weitere Forschungen über GeorgErnst Tatter, der wegen seiner besonderen Fä-

    higkeiten als Orangeriegärtner und Ananas-Kul-tivateur 1734 aus Meiningen nach Hannover ab-geworben wurde.2 Spektakulär war, dass Tattereine eigene Pflanzensammlung besaß, die er 1750zu dem Preis von 2092 Reichstalern – immerhindas Vierfache seines Jahresgehalts als bestbezahl-ter Gärtner in Hannover – an die Krone verkauf-te. Da Tatter in der Verkaufsliste überwiegenddieselben italienischen Bezeichnungen für die Zi-trusgewächse verwendet hat wie Johann Chris-toph Volkamer, gingen wir davon aus, dass erdessen „Nürnbergische Hesperides“ (1708–1714)besessen haben musste oder dass ihm diesesWerk zumindest als Arbeitsmittel zur Verfügungstand.3

    Im Jahr 2005 bestätigten sich diese Vermutun-gen: In der ehemals „Königlichen Gartenbiblio-thek Herrenhausen“, die vom AuktionshausReiss & Sohn zur Versteigerung angebotenwurde, fand sich ein Exemplar von Volkamerszweibändigem Werk aus dem Besitz der Hof-gärtnerfamilie Tatter – mit handschriftlichenEintragungen von Georg Ernst Tatter aus denJahren 1727–1734.4 Seit 2007 befindet sich diesesStandardwerk zur Zitruskultur im Besitz derGottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek/Nieder-sächsische Landesbibliothek Hannover.5 Beidiesem Exemplar sind Volkamers „Nürnbergi-sche Hesperides“ (1708) und seine „Continua-tion der Nürnbergischen Hesperidum“ (1714)in einem physischen Band zusammengebunden(Abb. 1).6 Der originale Holzdeckeleinband desBuches ist mit Leder bezogen und war ehemalsmit zwei Schließen versehen, von denen nur

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

    GEORG ERNST TATTERS EXEMPLAR VONVOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 1 Exemplar von Volkamers „Nürnbergische Hespe-rides“ (Bd. 1 und 2 in einem Band) aus der KöniglichenGartenbibliothek Herrenhausen, ehemals im Besitz derHofgärtnerfamilie Tatter, GWLB Hannover, KGBH 682.

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    nerische Tradition in den nachfolgenden Gene-rationen fortgesetzt wird. Frau Palm und ichhatten schon vor längerer Zeit damit begonnen,die Biographie Georg Ernst Tatters und die sei-ner Familie durch die Auswertung von Akten,Recherchen in Kirchenbüchern, und auchdurch Einsichtnahme in heute noch in Famili-enbesitz erhaltene Dokumente zu erforschen,und wir konnten jetzt mit den biographischenAufzeichnungen in den „Nürnbergischen Hes-periden“ wichtige ergänzende Hinweise finden.Aus unseren Recherchen wissen wir, dassGeorg Ernst Tatter aus einer alten Gärtnerfa-milie stammte: Seine Vorfahren väterlicherseitslassen sich bereits vor dem DreißigjährigenKrieg als fürstliche Gärtner im thüringischenRaum nachweisen. Bis in die zweite Hälfte des18. Jahrhunderts begegnen wir ihr an den dor-tigen, durch Erbteilung zahlreichen zum Teilneu entstandenen Residenzen oder Nebenresi-

    denzen. Der Stammvater der Thüringer Tatterswar ein ursprünglich aus Darmstadt stammen-der Georg(e) oder Görge Tatter, der unter Her-zog Johann von Sachsen-Weimar (1570–1605),einem Sohn Herzog Wilhelms I. (1530–1573),in den Jahren um 1600 als Schlossgärtner in Al-tenburg, danach als „Fürstlich SächsischerLustgärtner“ in Weimar nachzuweisen ist. DieNachkommen finden wir über vier Generatio-nen in Ebeleben, Gotha, Langensalza undschließlich in dem seit 1680 selbständigen Her-zogtum Sachsen-Meiningen, wo der Vater vonGeorg Ernst, Georg Christoph Tatter (1663–1730) 42 Jahre als Hofgärtner auf der von Her-zog Bernhard I. (1649–1706) 1682 neu angeleg-ten Residenz Elisabethenburg tätig war. Georg Ernst Tatters Eintragungen zur Famili-engeschichte in den „Nürnbergischen Hespe-riden“ beginnen mit dem Datum seiner Geburtund enthalten die Namen seiner Eltern, Groß-

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    eltern väterlicher- und mütterlicherseits, undder respektablen Reihe seiner Paten, mit jewei-liger Angabe des Berufs. Neben den Geburts-daten seiner insgesamt sechs Söhne vermerktTatter die Planetenkonstellationen bei ihrer Ge-burt und führt hier auch die Namen der jewei-ligen Paten an. Außerdem macht er Angabenzu seinem eigenen beruflichen Werdegang undnennt die Stationen seiner beruflichen Tätig-keit. „Anno 1689“, schreibt er, „d[en] 8. Aprilbin ich in diese jammervolle Welt gebohren zuMeiningen und in der Schloßkirchen getaufftworden [...].“ Über seine Lehrzeit äußert er sichleider nicht. 1713 trat er eigenen Angaben zu-folge seine erste Stelle als Land-Gärtner in Mei-ningen und zugleich auch als fürstlicher Hof-gärtner im nahen Römhild an; Römhild bzw.Schloss Glücksburg war – nach kurzer Glanz-zeit als Residenz eines unabhängigen Fürsten-tums (1680–1710) – jetzt nur noch Witwensitz.Die Einstellung bot Georg Ernst jedenfalls diefinanzielle Basis für seine Heirat im gleichenJahr mit der Tochter eines Gold- und Silber-schmieds aus Arnstadt. In Römhild wurde seinerster Sohn Ludwig Günther (1714–1792) gebo-ren, sein zweiter Sohn Johann Wilhelm (1719–1795) dann in Meiningen, wo Tatter 1718 zumHofgärtner ernannt worden war. 1720 zog dieFamilie auf die bereits erwähnte Sophienlust.Im Jahr 1718 hatte Herzog Ernst Ludwig I. vonSachsen-Meiningen (1772, reg. 1706–1724) denetwa sechs Kilometer von der ResidenzstadtMeiningen entfernt gelegenen „MemelsdorferHof“ seiner zweiten Gemahlin Elisabeth So-phie (1674–1748) übertragen, nach der die Anla-ge „Sophienlust“ benannt wurde.8 Georg ErnstTatter war von ihr kurz nach seiner Anstellungals Hofgärtner in Meiningen mit dem Entwurffür die Sophienlust beauftragt worden. Sein er-haltener Plan aus dem Jahr 1719 (Abb. 4) zeigteine achsensymmetrische, von Wasserachsengerahmte Anlage mit einer vom Corps de Logisder geplanten dreiflügeligen Schlossanlage aus-gehenden Hauptachse, aufwändig gestalteten

    Parterrefeldern und Boskettzonen (darunterein Labyrinth und ein Gartentheater) sowie ei-nem seitlich des Schlosses separat gelegenenOrangenplatz.9 Inwieweit dieser Plan zur Aus-führung kam, ist unklar; nach überliefertenAkten waren Orangen-, Gewächs- und Treib-häuser errichtet worden. Jedenfalls leiteteGeorg Ernst Tatter 14 Jahre lang die Arbeitenan dem neuen Garten. In dieser Zeit trug ernicht nur eine ansehnliche Sammlung von exo-tischen Gewächsen zusammen, sondern kulti-vierte auch mit großem Erfolg Kaffeepflanzenund Ananas.10

    Auf der Sophienlust wurden die weiteren vierKinder von Georg Ernst Tatter, alles Söhne, ge-boren und getauft, von ihm genauestens doku-mentiert in seinem Exemplar der „Nürnbergi-schen Hesperiden“.11 Wir kannten diese Ge-burtsdaten bereits aus Kirchenbucheinträgenund hatten uns gefragt, aus welchem Grund beidem fünften Sohn die inzwischen verwitweteHerzogin Elisabeth von Sachsen Meiningen,deren Schwager (Herzog Friedrich Wilhelm,1679–1746) samt Prinzen und Prinzessin (Erb-prinz Ernst Ludwig, 1709–1729; Prinz CarlFriedrich, 1712–1743; Prinzessin Louise Doro-thea, 1710–1767), sowie ein halbes DutzendHofleute als Paten eingetragen sind. Die Um-stände, die dazu geführt haben, erfahren wirjetzt aus seinen Aufzeichnungen: Nicht ohneStolz berichtet er, dass genau zur Geburtsstun-de seines Sohnes Friedrich Ludewig (15. Mai1726, vormittags zwischen 10 und 11 Uhr) dieHofgesellschaft aus Meiningen zur Feier desNamenstags der Herzogin Elisabeth Sophievorfuhr und letztere darauf bestanden habe,dass die gesamte Gesellschaft das Kind aus derTaufe hob. Die Familie Tatter zog 1729 von derSophienlust nach Meiningen zurück. Nachdem Tod seines Vaters im darauf folgenden Jahrübernahm Georg Ernst dessen Stelle als Hof-gärtner, behielt aber weiterhin die Aufsichtüber den Garten der Sophienlust. Inzwischenmuss er sich den Ruf eines versierten Orange-

    G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

    Abb. 3 Besitzeintrag mit Angabe des Kaufpreises (11 Rtlr) auf dem Titelblatt, GWLB Hannover, KGBH 682.

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    riegärtners erworben haben. Als er 1733 zu ei-ner Begutachtung der Bestände der Herrenhäu-ser Orangerie nach Hannover gerufen wurde,beeindruckte er durch seine Fachkenntnissederart, dass der für die Hofbau- und Garten-angelegenheiten zuständige Geheime Kammer-rat Heinrich Reichsfreiherr von Grote (1675–1753) ihn unbedingt als Orangeriegärtner fürHerrenhausen gewinnen wollte. Tatter sahwohl in Hannover bessere Möglichkeiten undAufstiegschancen und sagte zu. Im darauf fol-genden Frühjahr zog die Familie mit ihrenKindern und einer großen Sammlung vonOrangerie-, Blumengewächsen und exotischenPflanzen nach Herrenhausen.12 „Anno 1734,den 8. April“, beschließt er seine biographi-schen Aufzeichnungen in den „NürnbergischenHesperiden“, – es war sein 45. Geburtstag –,„bin ich wieder von Meiningen weg gezogenund durch sonderbare fügung Gottes bey seinerKönigl[ichen] Majestät von Großbritannienund Churfürstlichen Durchlaucht zu Braun-schweig Lüneburg zu Herrnhaußen bey Hanno-ver Orangerie-Gärtner worden. Gott gebe, dassallhier in Ruhe und Friede mein Leben seeligbeschließen möge.“Tatters Erwartungen an Hannover haben sichim Wesentlichen erfüllt. Seine fast 20-jährigeDienstzeit fiel noch in die Glanzzeit des Gro-ßen Gartens, dessen Orangerie durch seineSpezialkenntnisse nicht nur bedeutend vergrö-ßert, sondern auch in repräsentativer Weisezur Geltung gebracht werden konnte. SeineErfahrungen in der Anzucht der empfindli-chen Orangeriepflanzen und vor allem seineKenntnisse und Erfolge bei der Ananaskultur(s. u.) trugen nicht unwesentlich zum Ruf derHerrenhäuser Gärten bei. Im Berggarten wur-de durch die Spezialisierung Tatters im Be-reich der exotischen Pflanzen und den Ankaufseiner umfangreichen eigenen Sammlungdurch die Krone Mitte des 18. Jahrhundertseine neue Entwicklung eingeleitet, die im 19.Jahrhundert durch den Ausbau zum botani-

    schen Garten fortgesetzt wurde. Georg ErnstTatter starb am 13. Dezember 1755. Die Ein-träge seines Sterbedatums sowie weitere kurzebiographische Notizen in dem Exemplar der„Nürnbergischen Hesperiden“ stammenüberwiegend von der Hand seines Sohnes Jo-hann Wilhelm, der damit als nächster Besitzervon Volkamers Zitruswerk identifiziert wer-den kann.13

    Johann Wilhelm Tatter (1719–1795) absolvierteseine Gärtnerlehre ab 1735 in Hannover beidem Hofgärtner Johann Adam Scheuer vonSchloss Monbrillant.14 Während seiner Gesel-lenzeit in der Herrenhäuser Orangerie unter-nahm er mehrere Reisen zur beruflichen Wei-terqualifizierung, die von der Kammerkasse be-zuschusst wurden, und ihn u. a. nach St. Peters-burg in die Kaiserlichen Gärten sowie nachLondon (Hampton Court) und nach Hollandführten. 1752 wurde Johann Wilhelm seineminzwischen 63 Jahre alten Vater Georg Ernst alsgleichberechtigter Gartenmeister beigeordnet.1756 heiratete er die 20 Jahre jüngere Anna Do-rothea Dahme, Tochter eines fürstlichen Ver-waltungsbeamten.15 Als Nachfolger seines Va-ters war er vier Jahrzehnte als Gartenmeister inHerrenhausen tätig, zunächst für die Orangerie,den Küchengarten und das Treibquartier aufdem Berggarten, und ab 1780 bis zu seinem Tod1795 noch zusätzlich für die Anlagen des Gro-ßen Gartens.16

    Johann Wilhelm Tatter gab das Exemplar der„Nürnberger Hesperiden“ an seinen drittjüngs-ten Sohn Wilhelm Heinrich Tatter (1773–1832)weiter, der als einziger den Gärtnerberuf erlernte.Dessen Besitzeintrag aus dem Jahr 1791 lässt da-rauf schließen, dass er den Prachtband noch vorBeendigung seiner Lehrzeit bekommen hat.Nach mehrjährigem Studienaufenthalt (1803–1806) in London, u. a. in Kew Gardens, wurdeWilhelm Heinrich Tatter Hofgärtner in demHerrenhausen benachbarten Garten von SchlossMonbrillant, der von Johann Jonas ChristianTatter (1729–1812), dem Bruder seines Vaters,

    50 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 4 Georg Ernst Tatter: Entwurf für den Garten der Sophienlust bei Meiningen, Thüringisches StaatsarchivMeiningen, Kartenkammer 5/ 50.

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

  • Prosper Alpinus (1553–1617), der im Zuge ve-nezianischer Handelsaktivitäten ab 1580 meh-rere Jahre Ägypten bereiste. Das Ergebnis die-ser Reise war das Werk „De Plantis Aegypti Li-ber“, das ab 1592 in Venedig erschien.23 Es ent-hält die erste wissenschaftliche Beschreibungder Kaffeepflanze, ergänzt durch die Zeich-nung eines Kaffeebaumzweiges (Abb. 5). Seinebotanischen und medizinischen Angaben wur-den zur oft zitierten Grundlage der Abhand-lungen über den Kaffee in vielen nachfolgendenReiseberichten und theoretischen Schriftenund sein Holzschnitt mit der Darstellung einesKaffeebaumzweiges scheint durch das ganze 17.Jahrhundert die verbindliche Bildquelle zurKaffeepflanze gewesen zu sein.24

    Der zunächst von Venedig dominierte Levante-Handel sowie der im 16. Jahrhundert aufblü-hende Ostindienhandel der Portugiesen undSpanier und schließlich ab dem 17. Jahrhundertder von den Engländern und Holländern be-herrschte Seehandel brachten nicht nur weitereInformationen über den Kaffee, sondern auchdie ersten Kaffeebohnen nach Europa. Kaumwar durch die Reiseberichte die Kunde vomKaffee nach Europa gedrungen, da setzte hiereine stürmische Entwicklung vom Luxus- undModegetränk zum heute weltweit verbreitetenAlltagsgetränk ein. Neben den HafenstädtenVenedig, London, Amsterdam, Marseille, Bre-men oder Hamburg entwickelten sich ab derzweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch an-dere wichtige Handelsplätze wie Paris, Ox-ford oder Leipzig zu Zentren des Kaffeever-brauchs.25 Der durch die Türkenkriege des 16.und 17. Jahrhunderts erfolgte west-östlicheKulturkontakt trug ebenfalls zur Verbreitungdes Kaffees bei. Nicht zuletzt die Entdeckungdes Kaffees durch die französische Hofgesell-schaft löste eine Welle europäischer Kaffeelei-denschaft aus (Anlass war der Besuch des tür-kischen Gesandten am Hof Ludwigs XIV. imJahr 1669, durch den orientalische Lebensfor-men und das Kaffeezeremoniell bei der ton-

    angebenden französischen Oberschicht einModethema wurden). So war der am Ende des16. Jahrhunderts als Kuriosum entdeckte Kaf-fee an der Wende zum 18. Jahrhundert zur ge-fragten Handelsware geworden. Allerdings be-saßen zu dieser Zeit die Araber noch das Mo-nopol im Kaffeehandel und beim Kaffeean-bau, denn in Europa hielt sich erstaunlich lan-ge der Irlaube, „die Coffee-Bohnen würden […]von den Arabern, ehe sie solche verschickten,zuvor mit siedendem Wasser gebrühet, und sol-chergestalt zum Säen und Fortpflanzen un-tauglich gemacht“.26 Noch 1688 wundert sichder englische Botaniker und Arzt John Ray(1627–1705) darüber, dass der „Kaffee ausschließ-lich in Arabien angebaut wird“27 (Abb. 6). Erst1696 gelang es holländischen Seefahrern, Kaf-feepflanzen in ihre fernöstliche Kolonie Bata-via zu exportieren und dort eigene Kaffeekul-turen zu begründen. 1706 erreichte eine erste Sendung Javakaffeeden Hafen von Amsterdam und mit ihm ge-

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    um 1780 landschaftlich modernisiert und vondiesem bis 1810 geleitet worden war. 1814 reisteer erneut nach London, von wo er eine größereMenge Pflanzen nach Hannover schickte. Mon-brillant war in dieser Zeit Wohnsitz des HerzogsAdolf Friedrich von Cambridge und Hannover(1774–1850).17 Es ist sicherlich auch das VerdienstWilhelm Heinrich Tatters, dass Monbrillant da-mals, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts,als der bestgehaltene königliche Garten galt.18

    Als Wilhelm Heinrich Tatter 1832 starb, warsein einziger noch lebender Sohn Wilhelm Hein-rich Ludwig (genannt William) Tatter (1823–1897) gerade neun Jahre alt. Auch er erlernte denGärtnerberuf und war zunächst im Küchengar-ten in Linden bei Hannover, in der Herrenhäu-ser Obstbaumplantage, und schließlich bis zuseinem Tod als Oberhofgärtner im Großen Gar-ten tätig. Ob er die „Nürnbergischen Hesperi-den“ von seinem Vater geerbt hat, oder ob dasVolkamer-Buch vielleicht an seinen Onkel, denOberhofgärtner Heinrich Ludolph Wendland(1792–1869) gelangte, wissen wir nicht.19 Es wirdwohl unklar bleiben, auf welchem Weg undwann dieses Exemplar in den Besitz der Welfenbzw. in die Königliche Gartenbibliothek gekom-men ist. Georg Tatter (1858–1924), der einzige Sohn vonWilliam Tatter, führte die Gärtnertradition fortund wurde nach seiner Ausbildung in der re-nommierten Gärtnerlehranstalt in Wildpark beiPotsdam und mehrjährigen Auslandsaufenthal-ten in England und Österreich auf der Königli-chen Obstbaumplantage in Herrenhausen ein-gestellt, der er bis zu ihrer Auflösung 1893 alszweiter Hofgärtner vorstand. Mit seiner damitverbundenen Entlassung aus königlichen Diens-ten endete eine 160-jährige Geschichte, in der dieHofgärtner aus der Familie Tatter über fünf Ge-nerationen für die Herrenhäuser Gärten einemaßgebliche Rolle spielten.20

    GEORG ERNST TATTERS TRAKTAT ZURKULTIVIERUNG DER KAFFEEPFLANZEH. Rettich

    Einführung und frühe Kultivierung desKaffeebaums in Europa

    Kaffee war noch vor gut 400 Jahren ein inEuropa gänzlich unbekanntes Genußmittel.Von der ursprünglich in Südäthiopien behei-mateten, später ausschließlich in Arabien ange-bauten Nutzpflanze, bzw. dem nur dort gehan-delten Rohkaffee, hatte hier noch niemand et-was gehört. Erst ab dem ausgehenden 16. Jahr-hundert erfuhren reisende Europäer, vornehm-lich Ärzte und Botaniker, von dem seit Mittedes 15. Jahrhunderts im Orient gebräuchlichenGetränk, das aus den Früchten des Kaffee-baums hergestellt wurde. Deren von Abenteu-erlust und Neugierde geprägte Reisen warennicht nur Begegnungen mit einer neuen unbe-kannten Welt, sondern markierten auch denAnfang moderner, auf eigener Beobachtung be-ruhender wissenschaftlicher Forschung. Ihreaufwändig publizierten Berichte veranschauli-chen, wie die Europäer den Kaffee als Getränk,aber auch als Kulturpflanze kennenlernten. Der erste in Europa gedruckte Text zum The-ma Kaffee findet sich in dem 1582 erschienenenReisebericht des gelehrten Augsburger Arztesund Botanikers Leonhart Rauwolf (1540–1596).21 Auf seiner 1573 begonnenen dreijährigenForschungsreise – der ersten eines Deutschen inden Orient – hatte dieser zwar nicht die Kaffee-pflanze, aber das von den Arabern „qahwa“oder auch „Chaube“ genannte Getränk kennengelernt. Mit dessen Beschreibung sowie derSchilderung des Kaffeegenusses in arabischenKaffeeschenken weckte Rauwolf erstmals dasInteresse für Kaffee in Europa.22

    Die erste Abbildung einer Kaffeepflanze veröf-fentlichte ein Zeitgenosse Rauwolfs, der ausVenedig stammende und an der UniversitätPadua lehrende Arzt und Botanikprofessor

    52 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 5 Erste europäische Darstellung einer Kaffeepflanze;aus: Prosper Alpinus, De Plantis Aegypti Liber, Venedig1592.

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

  • neu eingeführten Kübelpflanzen länger am Le-ben zu erhalten.36 So ist es nicht verwunderlich,dass der Kaffeebaum im ersten Drittel des 18.Jahrhunderts zu den besonders raren Schätzeneiner Pflanzensammlung gehörte, und in Lexi-ka oder zeitgenössischen Berichten besondereErwähnung fand. Neben dem bereits 1710 inder berühmten Orangerie des Landdrosten vonMünchhausen in Schwöbber zu bewundern-den Kaffeebaum, ist 1711 auch von einem„Coffeebäumlein“ für den WeikersheimerSchlossgarten die Rede.37 1714 wird aus Berlinvon einer „Coffee-Staude“ im BotanischenGarten vor dem Potsdamer Tor berichtet, wel-che „aus einer Bohne, so der Königl[iche].Geh[eime]. Rath und Leibmedicus Gundelshei-mer Seel[ig] aus den orientalischen Ländernbekommen; von dem Gärtner Michelmann, alseinem guten Botanico, aufgezogen; es wird aberdie Erfahrung weisen, ob solche Staude fort-kommen wird, weil man der gleichen inTeutschland noch nie gesehen, in dem die Cof-fee-Bohnen, so zu uns Europäern herauskom-men, in dortigen Ländern zuvor gedörret undverbrannt werden, um die Handelung solcherGestalt allein zu behalten.“38 Michelmanns Be-mühungen waren erfolgreich und bald gab esfür die Kaffeebäume im Botanischen Gartenein eigenes Gewächshaus. König Friedrich Wil-helm I. soll von den dort geernteten Früchtensogar verschiedene Male Kaffee getrunken ha-ben.39 Als 1723 im Apel’schen Garten in Leip-zig ein zwei Jahre zuvor aus Amsterdam erwor-bener Kaffeebaum von Mai bis Juli blühte undim darauf folgenden Jahr Früchte trug, hat diesgrößte öffentliche Aufmerksamkeit erregt.40 Imselben Jahr, 1723, waren auch Kaffeebäume imFürstlichen Garten zu Gotha und im Königli-chen „Herzogin-Garten“ in Dresden zu be-wundern.41 In der Nähe von Wolfenbüttel be-saß der Geheime Rat von Münchhausen42 einRittergut mit einem Garten, wo „im Sommer1725 vier Caffee-Bäume geblühet und reife Boh-nen getragen, mit welchen er auf seinem Gute

    Linden, den Fürsten tractiret [hat].“43 Die letzt-genannte Erwähnung in Zedlers Universal-Le-xikon in der Ausgabe von 1733 zeigt, dass dieBohnen von selbst gezüchteten Kaffeebäumenauch zur Zubereitung von Kaffee verwendetwurden. Es findet sich aber in dieser Ausgabenoch keine Anleitung zur Kultivierung desKaffeebaums.44

    Georg Ernst Tatters Anleitung zur Kultivierung des Kaffeebaums

    Auf der Sophienlust, der Sommerresidenz derMeininger Herzogin, kultivierte Georg ErnstTatter bereits seit Anfang der 1720er Jahre denKaffeebaum mit so großem Erfolg, dass er anseinen über fünf Meter hohen Kaffeebäumenoft jeweils mehr als 1000 reife Früchte erntenund stolz berichten konnte, „dass auch Ihro Kö-

    55

    langten auch die ersten Kaffeebaumsetzlingenach Holland, wo sie im Medizinischen Gar-ten von Amsterdam und im Universitätsgar-ten von Leiden aufgezogen und vermehrt wur-den.28 Von dort kamen wohl schon um 1710einzelne Exemplare auch in andere botanischeoder sonstige bedeutende Gärten, so z. B. ver-mutlich auch nach Schwöbber bei Hameln,wo im Garten des Landdrosten Otto vonMünchhausen bereits 1710 eine Kaffeepflanzeerstmals Früchte getragen haben soll.29 AusSchwöbber wiederum mögen die ersten inHerrenhausen nachweisbaren Kaffeepflanzenstammen: Dort sind in einem Inventar von

    1714 sechs Pflanzen in Töpfen unter dem da-mals noch gebräuchlichen Namen „Jasminumarabicum“ aufgeführt.30 Dies ist bemerkens-wert, weil in der Literatur für das Auftreten derKaffeepflanze in Europa häufig das Schlüssel-jahr 1714 angegeben wird. Im Juli dieses Jahresließ nämlich der Rat der Stadt Amsterdam demfranzösischen König als Geschenk einen dortgezüchteten Kaffeebaum überbringen, welcherin den Königlichen botanischen Garten in Pa-ris, den Jardin Royal des Plantes, gebracht wur-de – ein Ereignis, das in Frankreich höchstesAufsehen erregte, und von dem der MarseillerKaufmannssohn und Orientkenner Jean de LaRoque (1661–1745) in seinem 1715 erstmals er-schienenen, weit verbreiteten Bericht: „Voyagede l’Arabie heureuse“ (Reise ins glückliche Ara-bien) als Sensation ausführlich berichtete.31 LaRoque zeigte darin auch eine naturgetreue Wie-dergabe des Kaffeebaums (Abb. 7). Der Direk-tor des Jardin Royal, Antoine de Jussieu (1686–1758) hatte bereits 1713 die Pflanze wissen-schaftlich beschrieben und sie dabei den Jasmi-nen zugeordnet.32 1715 veröffentlichte er eineweitere Beschreibung, die auf eigener Beobach-tung basierte, und die er durch einen nach derNatur gezeichneten Zweig von dem Exemplarim Jardin Royal illustrierte33 (Abb. 8). Es warCarolus Linneus (1707–1778), der ein Viertel-jahrhundert später „Coffea arabicum“ erstmalsals eine eigene Art beschrieb, die mit Jasmin ge-nauso wenig gemeinsam habe wie eine Bucheoder eine Eiche.34

    Von Leiden und Amsterdam, seit 1714 auch vonParis, gelangten Kaffeepflanzen nicht nur in dieKolonien der europäischen Mächte, sondernwurden gelegentlich auch nach Deutschland in„großer Herrn Gärten“ verschickt. „Es habenselbige aber nicht lange gedauert, sondern sindbald wieder eingegangen, weil sie vielleicht dasKlima nicht gewohnt gewesen, oder aber dieGärtner im Winter in Glas-Cassen ihre War-tung nicht verstanden.“35 Es scheint demnachden wenigsten Gärtnern gelungen zu sein, diese

    54 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 7 Kaffeebaum, nach der Natur gezeichnet; aus: Jean de La Roque, Voyage de l’Arabie heureuse, Paris1716, GWLB Hannover.

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    Abb. 6 Französische Kaufleute beim Kaffeeeinkauf inArabien; aus: Jean de La Roque, Voyage de l’Arabie heu-reuse, Paris 1716.

  • trägt und bei zu viel Sonne sofort die Blätterhängen lässt. Die Bäume müssen sowohl imSommer als auch im Winter ständig feuchtgehalten werden und dürfen auf keinen Fallaustrocknen. Lauwarmes Gießwasser ist ih-rem Wachstum besonders förderlich. Bei ein-setzender Kälte im Herbst, in der Regel EndeSeptember, müssen sie ins Winterquartier ge-bracht werden. Zur Ersparnis von Heizkostenempfiehlt Tatter ein kleineres Glashaus, ge-gebenenfalls auch einen abgetrennten Raumvon einem größeren Haus, in dem die Tem-peratur an kalten Tagen 6°–8° über dem „Tem-perirten“ gehalten werden muss. Die Bäumedürfen nicht direkt am Fenster, sondern sollenmöglichst nah am Ofen und mindes tens 1/2 bis1 Schuh (etwa 0,15–0,30 m) über dem Erdbo-den stehen, damit sie nicht von unten her er-frieren. Um die Bäume vor der vom Ofen aus-gehenden Hitze zu schützen, empfiehlt er, umdie Pflanzgefäße einen 1,80 m hohen Bretter-schutz aufzustellen. Die jungen Bäume stelltTatter in den ersten drei bis vier Jahren auchauf eine Stellage direkt über den Ofen. Sie müs-sen dann aber stärker gegossen werden, wobeidarauf zu achten ist, dass kein Gießwasser aufdie Blätter läuft. Im Winter darf nicht zu vielgeheizt werden, weil die Bäume sonst zu starkwachsen, Blätter und Früchte abwerfen undeingehen.Bei seinen Hinweisen zur Vermehrung be-schreibt Tatter nur die Aussaat und erwähntnicht die auch mögliche Vermehrung durchStecklinge. Dabei verwendet er nicht die tro-ckenen, sondern die frischen roten Früchte,nimmt sie aus ihren Hülsen und entfernt auchdie „dünne Schale“ (das sog. Silberhäutchen),damit sie schneller aufgehen. Er steckt, vor-zugsweise im Januar, vier bis sechs Bohnen fin-gertief in einen mittelgroßen Topf mit leichterErde, stellt die Töpfe in die Nähe des Ofensoder auf eine Stellage über dem Ofen, wo sienach drei bis vier Wochen aufgehen und hand-breit heranwachsen, bevor sie im Frühjahr zum

    Treiben ins Ananashaus gebracht werden. Hier,im Treibhaus, dürfen sie erst dann auf ein fri-sches Mistbeet gestellt werden, wenn der Mistnach etwa einer Woche ausgedünstet ist, an-dernfalls werden die Blätter schwarz und diePflanzen gehen ein. Daher müssen die Töpfejedes Mal, wenn das Mistbeet im Ananashauserneuert wird (6- bis 8-mal pro Sommer), vo-rübergehend zu den großen Kaffeebäumen insGlashaus gestellt werden. Im zweiten Jahr wer-den sie dann umgetopft und endgültig zu dengrößeren Kaffeebäumen ins Glashaus gestellt.Im dritten oder vierten Jahr setzen sie dannin der Regel Früchte an.Die größten Kaffeebäume, die Tatter besitzt,sind 16–18 Schuh hoch (etwa 4,60–5,20 Meter)und tragen nicht selten über 1000 Früchte.Die Früchte sitzen büschelweise, 50–60 Stück,an den Ästen und sind teilweise noch grünoder bereits ausgereift und rot. Sie dürfen erstgeerntet werden, wenn sie ganz trocken sindund müssen dann von ihren Hülsen gesäubertwerden. Über die weitere Verarbeitung biszur gebrauchsfertigen Kaffeebohne äußertsich Tatter nicht, sondern verweist auf „weit-läufige Beschreibungen“ in der Literatur. Ne-ben dem praktischen Nutzen, Kaffee ausselbst geernteten Kaffeebohnen zu kreden-zen, ist auch der hohe Zierwert des Kaffee-baums für Tatter von besonderer Bedeutung.Obwohl ganzjährig unter Glas, zeigt er sichstets in vollkommenstem Wachstum, wirftnie alle, sondern nur die ältesten Blätter ab,ist also immergrün und trägt die schönstenreifen Früchte. Bei richtiger Wartung undPflege sei er sogar härter und ausdauernderals manche andere Gewächshauspflanze.Aufgrund seiner langjährigen Beobachtungenhat Tatter auch festgestellt, dass nach zehn biszwölf Jahren die Kaffeebäume unansehnlich, d.h. die Äste von unten her bis zur Krone nachund nach dürr werden. Dann hilft ein radikalerVerjüngungsschnitt (er berichtet von einem al-ten, über 18 Fuß hohen Baum, den er in 4 Fuß

    5756 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    nigl[iche] Hoheit offt frembde Herrschaften mitdenen hier gewachsenen Caffee-Bohnen zur größ-ten Raritaet tractiret [habe], und haben solchenviel kräftiger im trinken befunden, als denFrembden.“45 Tatter war so erfolgreich bei derKultivierung des Kaffeebaums, dass von ihm aufder Sophienlust angezogene junge Kaffeebäumean zahlreiche „vornehme“ Gärten verschicktwerden konnten. Es ist fast zu vermuten, dassseine Anleitung über die Kultivierung des Kaf-feebaums in Abschrift mitgegeben wurde.Georg Ernst Tatter hat in dem am 3. Januar1728 verfassten Traktat über die Kultivierungdes Kaffeebaums im Gewächshaus seine eige-nen Erfahrungen und die notwendigen Maß-nahmen zur Pflege der von ihm auf der So-phienlust herangezogenen Kaffeepflanzen for-

    muliert. Dieses Schriftstück hat er ebenfallsin sein Exemplar der „Nürnbergische Hespe-rides“ mit einbinden lassen.46 Zunächst schil-dert er die Pflege der Kaffeebäume im Jahres-verlauf. Danach berichtet er über die Vermeh-rung durch Samen und die Kultivierung derJungpflanzen. Aufgrund mehrjähriger eigenerErfahrung hat Tatter gelernt, dass die Kaffee-pflanze sehr sensibel ist und hohe Anforderun-gen an ihre Umgebung stellt. Sie braucht vielSonne und Wärme, gleichzeitig aber auch einenSonnenschutz. Vor allem müssen große Tem-peraturschwankungen vermieden werden. Siemuss das ganze Jahr über, also auch im Som-mer, im Glashaus „eingesperrt“ bleiben und be-sonders im Winter ausreichend warm gehaltenwerden. Zwar ist das Glashaus, in dem er seineKaffeebäume überwintert, noch nicht mit einerKanalheizung ausgestattet, aber mit einigen da-mals gebräuchlichen Tricks kann er den Bäu-men doch gute Wachstumsbedingungen ver-schaffen. Zur Pflege der größeren Kaffeebäumegibt Tatter detaillierte Hinweise, die im Ein-zelnen knapp zusammengefasst wiedergegebenwerden.Nachdem die Kaffeebäume im Winter in einemmöglichst kleinen, ständig beheizten Glashausoder in einem separaten, ausreichend warm ge-haltenen Bereich gestanden haben, werden siegegen Ende Mai in ein größeres Glashaus ge-bracht, wo sie den ganzen Sommer über blei-ben. Da der Kaffeebaum besonders wind- undzugluft-empfindlich ist, dürfen die Pflanzennicht zu nah an den Fenstern stehen. Gelüftetwird nur bei warmem Wetter durch Öffnen derGlashaustür. Dabei dürfen die Bäume nicht zunah an der Tür stehen, denn bei zu starkemLuftzug oder zu kühler Luft lassen sie sofortdie Blätter hängen. Wenn notwendig, mussauch im Sommer kurzzeitig eingeheizt werden.Die Temperatur überprüft Tatter mit Hilfe ei-nes am Fenster aufgehängten Thermometers.47

    Andererseits hat Tatter festgestellt, dass derKaffeebaum absolut keine Sommerhitze ver-

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

    Abb. 8 Jasminum arabicum – Zweig des Kaffeebaums imJardin des Plantes in Paris; aus: Antoine de Jussieu, Histoi-re du Café, in: Mémoires de l´Académie des Sciences. An-née 1713, Paris 1716.

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    Höhe am Stamm abgeschnitten hat, woraufsich im ersten Jahr drei neue „Stämme“ mit star-ken, Frucht behangenen Ästen gebildet habenund der Baum nach drei Jahren wieder die alteHöhe von 18 Fuß erreicht hatte, dicht belaubtund voller Früchte war. Diesen Verjüngungs-schnitt will er zukünftig öfters anwenden.Tatter beschließt den Traktat mit den Wor-ten: „soferne aber, gebe Gott, künfftig hinnnoch mehrers observieren sollte, dass zu dieserWartung dienlich, so werde [ich] es auf dasgenaueste annoch aufsetzen.“ Hier, im Exem-plar der „Nürnbergische Hesperides“ hat erkeine weiteren Eintragungen zur Kultivie-rung des Kaffeebaumes gemacht und wederüber seine gärtnerischen Beobachtungen inMeiningen, noch über seine späteren Erfah-rungen in Herrenhausen berichtet.48

    Zusammenfassend kann gesagt werden, dass dieKaffeepflanze erst spät, zu Beginn des 18. Jahr -hunderts, in Europa eingeführt wurde und dasssie im ersten Drittel des Jahrhunderts als abso-lute Rarität galt, nicht zuletzt wegen ihrer da-mals noch äußerst schwierigen Kultivierung immitteleuropäischen Klima mit einer – im Ver-gleich zu heute – noch wenig entwickelten Ge-wächshaustechnik. Georg Ernst Tatter gehörtewohl zu den ersten Gärtnern, denen es gelungenwar, die Kaffeepflanze dauerhaft im Gewächs-haus zu halten. Sein 1727/1728 verfasster Trak-tat, der auf eigenen Erfahrungen beruht, ist nachbisherigem Forschungsstand die erste schriftli-che Kulturanleitung für den Kaffee als Kübel-pflanze in Europa.

    GEORG ERNST TATTERS METHODE DERANANASKULTIVIERUNG, UM 1727H. Palm

    Georg Ernst Tatter (1689–1755) gehörte zu denwenigen Gärtnern, die bereits in den 1720er Jah-ren mit Erfolg Ananas im Gewächshaus kulti-vierten. Um das Wissen über seine Leistung in

    der Familie am Leben zu erhalten, stellte er sei-ne Anbaumethode in einem Bericht dar, den erin sein neu erworbenes Exemplar von JohannChristoph Volkamers „Nürnbergische Hespe-rides“ mit einbinden ließ.49 Vermutlich handeltes sich bei diesem Manuskript um die ältesteAnleitung zur Kultivierung von Ananas, die imdeutschen Sprachraum überliefert ist.Die in den Tropen Südamerikas heimischeAnanas war schon seit Kolumbus’ Reisen inEuropa bekannt und wurde bald von den Por-tugiesen, Engländern, Franzosen und Nieder-ländern als Kulturpflanze in Asien und Afri-ka verbreitet.50 Da die Ananas reif geerntetwerden muss, um ihren vollen Geschmack zuentwickeln, aber nur kurze Zeit gelagert wer-den kann, gelangten wegen der langen Reise-zeiten der Segelschiffe nur selten wohlschme-ckende Früchte nach Europa.51 Offenbar glück -te es in Einzelfällen, fruchtende Ananaspflan-zen in Töpfen zu transportieren, die dann inEuropa ausreiften und großes Aufsehen erreg-ten.52

    Die Ananaspflanze benötigt während derWachstumsperiode ein feuchtwarmes Klimamit Temperaturen von 16°–30° C, bzw. wäh-rend der Reifezeit 24°–32° C, Bodenwärmeund viel Licht.53 Daher scheiterten Versuche,in Europa Ananas anzubauen, zunächst ander einfachen Ausstattung der Gewächshäusermit Ofenheizung und eingeschränkten Licht-verhältnissen.54 Ende des 17. Jahrhunderts ver-besserten sich die Möglichkeiten zur Kultivie-rung wärmebedürftiger Gewächse durch dasneu entwickelte Scheibenglas (Walzglas), mitdem sich größere Fensterflächen für Gewächs-häuser und zur Abdeckung von Mistbeetenherstellen ließen.55 Auch wurde mit unter-schiedlichen Methoden zur Erwärmung derGewächshäuser und der in ihnen angelegtenTreibbeete experimentiert (Mistbeet, Loh-beet, unterirdische Öfen, Kanalheizung). Er-schwerend blieb allerdings, dass die Ananas-pflanzen, die in den Tropen im zweiten Jahr

    58 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 9 „Ist die kleine Art der Ananas, insgemein Renette genannt/ die dem Geschmack nach angenehmste“, aus Volkamers „Nürnbergische Hesperides“, Bd. 2, Nürnberg 1714, S. 219, Taf. 3, GWLB Hannover, KGBH 682.

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    viele Früchte hervorbrachten.65 Daher erläutertVolkamer in seinem Kapitel über Gewächshäu-ser die Bauweise der in Schwöbber genutztenAnanashäuser und bildet eine Außenansichtdes Treibhauses ab.66 Seiner Beschreibung istzu entnehmen, dass die Ananas dort im Som-mer auf einem Mistbeet im Treibhaus kulti-viert wurden und in einem Gewächshaus mitOfenheizung auf Stellagen überwinterten. De-taillierte Hinweise zur Kulturmethode findensich jedoch nicht. Auch in seinem Kapitel überdie Ananas gibt Volkamer dazu nur wenige zu-sammenfassende Ratschläge: Das Wichtigstesei ein gut eingerichtetes Mistbeet, das häufigerneuert werden müsse, sowie die intensivePflege der Pflanzen. Um Fäulnis zur verhin-dern, seien kalte Luft und kalte Erde sowieFeuchtigkeit zwischen den Blättern unbedingtzu vermeiden. Wo es an Mist fehle, könnten

    eventuell die von dem schwedischen Arzt OlofRudbeck beschriebenen „unterirdischen Öfen“zur Erwärmung der Beete genutzt werden.67

    Soweit offenbar der Stand der gedruckten In-formationen über den Anbau von Ananas imGewächshaus, auf die sich Georg Ernst Tatterin den 1720er Jahren stützen konnte.68

    Georg Ernst Tatters Anleitung zur Kulti -vierung der Ananas, 1727/1728

    Georg Ernst Tatters Erfahrungsbericht über dieKultivierung von Ananas, den er in sein Exem-plar der „Nürnbergische Hesperides“ mit ein-binden ließ, umfasst achtzehn Seiten. SechzehnSeiten davon hat er am 12. Dezember 1727 aufder Sophienlust geschrieben.69 Die restlichen bei-den Seiten, auf denen er einen Versuch der Ana-

    G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 10 Otto vonMünchhausens Gartenin Schwöbber. Linksneben der Orangerie:Winter-Ananashaus(8), davor Sommer-Ananashaus (9). Vogelschau aus Volka-mers „NürnbergischeHesperides“, Bd. 2,Nürnberg 1714, Voransprach, Taf. 8.

    Früchte bilden, im Gewächshaus erst nach ei-nigen Jahren fruchteten und daher mehrmalsüberwintert werden mussten.

    Johann Christoph Volkamers Hinweise zurKultivierung der Ananas, 1714

    Johann Christoph Volkamer beschreibt dieAnanaspflanze, die wegen ihres „herrlichenGeschmacks und leckerhafften Annehmlich-keit“ zu Recht als „Königin der Früchte“ be-zeichnet werde, im Anhang des zweiten Ban-des der „Nürnbergischen Hesperiden“ (1714).56

    In diesem Kapitel werden einige ausländischeGewächse vorgestellt, die nicht zu den klassi-schen Orangeriepflanzen zählen, aber mit be-sonderem Aufwand im Gewächshaus kulti-viert werden können. Volkamer berichtet überdie Herkunft der Ananas aus dem tropischenAmerika, ihre Verbreitung in Asien und Afri-ka und erste Kulturerfolge in Europa. Er be-schreibt die Pflanze und deren Vermehrungdurch Schösslinge und Kronen (Blattschopfauf der Frucht), führt die in anderen Länderngebräuchlichen Namen auf und stellt siebenAnanassorten vor. Es folgen Hinweise zur me-dizinischen Verwendung, zum Verzehr derfrischen Früchte und zur weiteren Verarbei-tung.57 Dem Text sind fünf Abbildungen bei-gefügt, die überwiegend aus anderen Publika-tionen übernommen und mit Landschaftsdar-stellungen angereichert wurden (Abb. 9).58

    In den Ausführungen, die sich auf Reisebe-richte und botanische Beschreibungen stüt-zen, nehmen die Hinweise zum Anbau derAnanas in Europa nur wenig Raum ein. NachJohann Christoph Volkamer waren Jan Com-melin (1629–1692) im medizinischen Gartenin Amsterdam sowie Paul Hermann (1646–1695) und Peter Hotton (1648–1709) im bota-nischen Garten in Leiden die ersten, die dieAnanas in Europa kultivierten. Bald darauf seidies auch Joseph Pitton de Tournefort (1656–

    1708) im königlichen botanischen Garten zuParis gelungen. Die genannten Botaniker ge-hören auch nach dem heutigen Stand der Wis-senschaft zu den ersten, die in Europa um1690 Ananasfrüchte zur Reife gebracht ha -ben.59 Gleichzeitig experimentierten in denNiederlanden auch wohlhabende Privatleuteauf ihren Landgütern mit dem Anbau vonAnanas. Sie hatten ihre Pflanzen vermutlich,ebenso wie Jan Commelin und Paul Her-mann, durch die niederländische westindischeHandelskompanie aus den Kolonien Surinamund Curaçao erhalten.60 Zu diesen botanischinteressierten Gartenbesitzern gehörte Agne-ta Block (1629–1704), die zur Erinnerung andie erste, 1687 auf ihrem Landgut gereifteAnanas eine silberne Medaille schlagen ließ.61

    Volkamer berichtet, dass die ersten Ananas inDeutschland in Boses Garten in Leipzig undim Garten des hannoverschen Schatzrates undLanddrosten Otto von Münchhausen (1643–1717) in Schwöbber bei Hameln reiften;62 auchsein Bruder (Johann Georg Volkamer d. J.,1662–1744) besitze Ananaspflanzen aller be-kannten Sorten und habe bereits Früchte ge-erntet. Nach anderen Quellen wurde die Ana-nas bereits 1702 von einem Dr. F. Kaltschmidtin Breslau und im „Eberhart’schen Garten“ inFrankfurt am Main kultiviert sowie 1715 in denlandgräflichen Gärten in Kassel.63 Den wegenseiner Pflanzensammlung berühmten GartenOtto von Münchhausens stellt Volkamer zuBeginn des zweiten Bandes der „Nürnbergi-schen Hesperiden“ vor.64 Von dort hatte erFrüchte seltener Zitrussorten erhalten, die indem Band beschrieben und abgebildet sind. EinGrundriss und eine Vogelschauansicht des Gar-tens in Schwöbber zeigen neben der Orangerieauch ein Winter- und ein Sommer-Ananashaus(Abb. 10). Während andere Gartenbesitzertrotz „unbegreifflicher Mühe und Sorgfalt“ nureinzelne Früchte ernteten, kultivierte Münch-hausen bereits um 1714 einige Hundert Ana-naspflanzen in fünf Sorten, die in jedem Jahr

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    nastreiberei im Winter 1727/1728 darstellt, hater offenbar im folgenden Jahr (1728) ergänzt.70

    Einleitend stellt Tatter fest, dass in VolkamersGartenbuch eine Anleitung zur Kultivierung derAnanas in den kalten Ländern Europas fehle.Da die richtige Behandlung dieser Pflanze bisherkaum bekannt sei, wolle er berichten, „wienehml[ich] diese herrliche und delicate Früchteglücklich zu erlangen und zu ziehen seyn, wiedenn solche in allhiesigen Ihro Königl[iche] Ho-heit Lust-Garten zu Sophienlust oh[n]weit Sach-sen Meinungen schon zieml[iche] Jahre her, nichtnur glücklich gepflantzet und vermehret, sondernauch alle Jahre die schönsten Früchte zu ihrervolligen Reifung gebracht habe.“71 In der folgen-den, detaillierten Anleitung stellt Georg ErnstTatter seine Anbaumethode im Jahreslauf dar.Dazu benötigte er zwei Gewächshäuser, einTreibhaus für den Sommer und ein Überwinte-rungshaus.

    Die Überwinterung der Ananaspflanzen

    Den Winter (Oktober bis Anfang/Mitte April)verbrachten die Ananaspflanzen in einem Ge-wächshaus, dessen Bauweise Georg Ernst Tat-ter nicht näher beschrieben hat.72 Es wurdedurch einen Ofen geheizt und war mit hölzer-nen Stellagen ausgestattet, auf denen die Ge-wächse in Töpfen standen. Die Stellagen, dieunten einen Mindestabstand von drei oder vierSchuh (ca. 0,90 bis 1,20 m) zur Fensterfront ha-ben sollten, stiegen zur Rückwand treppenartigan. Da die Temperatur in Bodennähe für dieAnanaspflanzen zu niedrig war,73 nutzte Tatterdie unteren zwei oder drei Stufen zur Überwin-terung von weniger empfindlichen „IndianischenGewächsen“. Die höher gelegenen Stufen warenfür die Ananaspflanzen reserviert, die hier denganzen Winter ohne Bewässerung völlig trockenstanden. Nur diejenigen Pflanzen, die beim Um-zug ins Winterquartier noch unreife Früchte tru-gen, wurden bis zur Ernte behutsam gegossen.

    Sie erhielten die wärmsten Plätze auf den Stella-gen oder wurden auf Bretter gestellt, die überdem Ofen angebracht waren. Die Blattschöpfeoder „Kronen“, die vor dem Verzehr der Früchtevorsichtig herausgeschnitten wurden, hängte Tat-ter an einem trockenen Platz oben im Haus auf.Sie wurden im nächsten Frühjahr eingepflanztund wuchsen dann zu neuen Pflanzen heran. Da-neben vermehrte Tatter die Ananas durchSchösslinge, die sich nach dem Abschneiden derFrüchte an den Blattachseln oder unterirdischenStammteilen der alten Pflanzen bilden.74 DieTemperatur im Gewächshaus kontrollierte erdurch ein mit Alkohol („Sprit“) gefülltes Ther-mometer, das in sechs bis sieben Schuh (ca. 2 m)Höhe an einem Fensterstock hing.75

    Die Ananastreiberei im Sommer

    Während der Wachstumsperiode der Ananas-pflanzen nutzte Tatter ein Treibhaus, das durchdie Sonne und die bei den bakteriellen Zerset-zungsprozessen von Mist entstehende Wärme er-hitzt wurde. Es war nach dem Vorbild des Ana-nastreibhauses Otto von Münchhausens (1643–1717) erbaut worden, das Volkamer im zweitenBand (1714) seines Buches abgebildet und be-schrieben hat (Abb. 11).76 Das Sommer-Ananas-Haus in Schwöbber war etwa 12,50 m lang und2,40 m breit.77 Anstelle eines Fußbodens besaßes eine 1,30 m tiefe Grube, die die gesamteGrundfläche einnahm und während der Treib-periode mit Mist gefüllt war. Über dem Beet ver-blieb dann eine lichte Höhe von etwa 2,20 m, sodass der Gärtner „auf den in der Mitte längsthingelegten Brettern, bequemlich aufrecht zugehenvermag.“78 Das von Volkamer abgebildete Ana-nashaus in Schwöbber hatte eine hohe Rück-wand und eine, vermutlich nach Süden ausgerich-tete, niedrige Vorderwand. Diese bestand aus ei-nem Sockel, auf den eine Reihe von senkrechtstehenden Fenstern aufgesetzt war. Die Vorder-seite des Daches setzte sich aus längeren Fenstern

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    gleicher Breite zusammen.79 Volkamer weist be-sonders auf die Konstruktion der Fenster hin. Siebestanden aus kleinen Scheiben, die dicht andicht (ohne hölzerne Fenstersprossen) in dieRahmen eingepasst waren, um den Lichteinfallso wenig wie möglich zu behindern. Bei Kälteund Schnee mussten die oberen, schräg liegendenFenster mit Holzladen oder Strohmatten abge-deckt werden, um zu verhindern, dass kaltesWasser auf die Pflanzen tropfte.80 Die Rückwanddes von Tatter genutzten Treibhauses enthieltÖffnungen mit Klappen, durch die er die Lüf-tung regulierte.Tatter ließ das Mistbeet – je nach Witterung –Anfang oder Mitte April mit frischem Pferde-mist füllen.81 Sobald sich der Mist erwärmt hat-te, wurden die im Überwinterungshaus stehen-den Ananaspflanzen aus den Töpfen genom-men und dort auf den Stellagen abgelegt. An-schließend füllte Tatter die Töpfe unterschied-licher Größe mit einer Mischung aus guter Er-de und Sand und setzte sie auf das Treibbeet.Erst wenn die Erde in den Töpfen lauwarmwar, pflanzte er die Ananas ein. Zuvor musstendie vertrockneten Wurzeln und Blätter abge-schnitten werden. Um Fäulnis zu vermeiden,wurden die Pflanzen unterhalb der verbliebe-

    nen Blätter „geschabet wie eine Rübe“, bis sämt-liche braunen und schwarzen Stellen entferntwaren. Die herunterhängenden Blätter derPflanzen band er mit Bast zusammen, bis siedurch die Wasseraufnahme wieder ausreichendFestigkeit und Halt erlangt hatten. Nach demPutzen mussten die Pflanzen innerhalb vonzwei Tagen in die im Treibhaus stehenden Töp-fe eingesetzt werden. Tatter ordnete die Töpfe im Treibhaus in fünflangen Reihen an, in denen die Ananaspflanzennach der Größe bzw. dem Alter sortiert waren.Der Gesamtbestand setzte sich offenbar je zu ei-nem Drittel aus ganz jungen, aus einjährigen so-wie aus zweijährigen und älteren Pflanzen zu-sammen. Die größten Pflanzen, die während derTreibsaison Früchte ausbilden sollten, setzte erin die Reihe unmittelbar an der Rückwand desHauses, davor standen die ganz jungen Pflanzenund die aus den Früchten herausgeschnittenenBlattschöpfe (Kronen), die jetzt ebenfalls Wur-zeln bildeten. Auf diese Reihe folgte der einenFuß (0,30–0,40 m) breite Weg, der mit Bretternabgedeckt war. Zur Vorderseite des Hauses hingab es eine weitere Reihe mit großen Pflanzen,die während der Saison Früchte ansetzten, undzwei Reihen mit mittelgroßen Pflanzen, die erst

    G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 11 Sommer-Ananashaus Otto v. Münchhausens in Schwöbber, aus Volkamers „Nürnbergische Hesperides“, Bd. 2,Nürnberg 1714, S. 22.

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  • nass-Pflantze, daß sie auch fast in Indien nichtkönnen größer gefunden werden.“86 EinigeFrüchte waren bereits um den 24. August reif,während die in herkömmlicher Weise behan-delten erst in den Monaten Oktober bis De-zember und später geerntet werden konnten.In einem Nachtrag berichtet Tatter von einemVersuch der Ananastreiberei im Winter1727/1728: Als er am 16. Oktober 1727 beimEinräumen des Winterquartiers entdeckte,dass drei große Ananaspflanzen gerade erst zublühen begonnen hatten, setzte er sie auf denOfen und behandelte sie in der oben beschrie-benen Weise. Die erste Frucht dieser Pflanzenwar bereits am 18. Januar 1728 reif und sei vonHerzogin Elisabeth Sophie von Sachsen-Mei-ningen (1674–1748) „als eine große Raritaet ge-speist worden.“87 Diese Ananas habe eine schö-ne Farbe und einen vortrefflichen Geruch ge-habt und fast die normale Größe erreicht, sei

    jedoch im Geschmack etwas wässriger gewe-sen, was Tatter auf den Mangel an Sonne zu-rückführte. Mit den beiden anderen Früchten,die am 10. März verzehrt wurden, habe es sichebenso verhalten.Georg Ernst Tatters Manuskript (Abb. 12) istvermutlich die einzige überlieferte Anleitung,die die Ananastreiberei mit der einfachentechnischen Ausstattung von Mistbeet undÜberwinterungshaus beschreibt, wie sie zu-nächst auch in Schwöbber genutzt wurde.88 Siezeigt, wie die Kulturmethode durch akribi-sche Arbeit, genaue Beobachtung und Expe-rimentierfreude weiterentwickelt wurde, undillustriert damit auf anschauliche Weise eineBehauptung Johann Christoph Volkamers ausdem zweiten Band der „Nürnbergischen Hes-periden“: „So gar wahr ists und bleibt es/wann ein Garten-Herr die Unkosten nichtscheuet/ und der vorgesetzte Gärtner einen ge-

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    im folgenden Jahr Früchte tragen würden. Zwi-schen den Töpfen sollte etwa eine Handbreit Ab-stand bleiben, um den Pflanzen ausreichendPlatz zur Entwicklung zu bieten. Die Zwischen-räume wurden mit „langem Pferdemist“ (Stroh-mist) angefüllt.82 Beim Ausstopfen der Zwischen-räume sollte auf eine gleichmäßige Festigkeit undDichte des Mistes geachtet werden, um eine mög-lichst gleichmäßige Erwärmung zu erzielen.83

    Um die Wurzeln der unmittelbar am Weg ste-henden Pflanzen vor zu großer Hitze zu bewah-ren, beließ Tatter den Wegebereich unter denBrettern zunächst auf etwas niedrigerem Niveau.Erst nach einigen Wochen, wenn die Hitze zu-rückging, wurde auch der Weg bis zur Randhöheder Töpfe mit Mist aufgefüllt.Unter idealen Bedingungen bewurzelten sich diePflanzen innerhalb von zwei bis drei Tagen, imAllgemeinen dauerte es acht bis vierzehn Tage.Nach etwa drei Wochen begannen sie zu wach-sen; im Mai und Juni blühten die älteren Pflan-zen und setzten Früchte an. Offenbar wurdendie meisten Ananas bei dieser Behandlung erstnach dem Umzug ins Winterquartier reif. Tattergibt als Erntezeit die Monate Oktober bis De-zember an; einige Früchte reiften erst im Januarund später.84 Während der Treibperiode, die vonApril bis Oktober dauerte,85 musste das Mistbeetim Abstand von sechs bis sieben Wochen erneu-ert werden. Um den Zersetzungsprozess zu be-schleunigen, beließ Tatter einen Teil des altenMistes in der Vertiefung. Während der Arbeitenwurden die Töpfe mit den Ananaspflanzen aufden Stellagen im Überwinterungshaus unterge-bracht. Nur bei sehr warmem Wetter und wenndie Arbeiten im Laufe eines Tages durchführbarwaren, konnten die Pflanzen so lange an einemgeschützten Platz im Freien stehen.Bei dieser frühen Stufe der Ananastreiberei mitsehr einfachen technischen Mitteln hing der Er-folg im Wesentlichen von der peniblen Beobach-tung der Pflanzen und dem Engagement desGärtners ab. In den ersten Tagen nach dem Um-setzen ins Treibhaus musste beinahe stündlich

    die Wärme in den Töpfen kontrolliert werden.Denn bei zu großer Hitzeentwicklung bestanddie Gefahr, dass die Wurzeln der Pflanzen ver-dorrten, bei zu niedrigen Temperaturen verfaul-ten sie. Wenn sich die Erde zu stark erwärmte,mussten die Töpfe aus dem Beet gezogen werden.Kühlten sich die Töpfe zu sehr ab, dann wurdedurch das Nachlegen von Mist und sorgfältigesAusstopfen der Zwischenräume Abhilfe geschaf-fen. Diese und andere Pflegemaßnahmen schil-dert Tatter anschaulich im Detail.

    Experimente: Ananastreiberei im Winter

    Abschließend beschreibt Georg Ernst Tatterzwei Versuche, die schon auf die weitere Ent-wicklung in der Ananastreiberei vorausweisen.In den vorangegangenen Jahren hatte er beimEinräumen des Winterquartiers jeweils sechsgroße Ananaspflanzen, die noch keine Früch-te trugen, auf ein Brett gestellt, das in zweiSchuh (etwa 0,60 m) Höhe über dem Ofen be-festigt war. Dort wurden sie behutsam gegos-sen, damit ihre Wurzeln nicht vertrockneten.Mitte Februar oder Anfang März schnitt Tat-ter die trockenen Blätter ab, legte etwas fri-sche Erde auf die Töpfe und setzte diese aufden Ofen, wo sie ständig „warm wie auf Mistgestanden.“ Wenn bei kaltem Wetter stark ge-heizt werden musste, legte er Backsteine aufden Ofen, auf die er die Töpfe mit den Ana-naspflanzen stellte. Wurde die Erde zu kühl,dann bettete er die Töpfe auf dem Ofen inSand ein. Bei beständiger Wärme und Feuch-tigkeit begannen die Ananas innerhalb vonvierzehn Tagen zu wachsen. Einige Pflanzenhatten bereits geblüht und Früchte gebildet,als Tatter sie im Frühjahr ins Mistbeet um-setzte. Durch diesen Vorsprung konnten dieFrüchte im Sommer reifen und wurden sogroß, „daß sie die andern weit übertraffen[,]ja die Cronen oder Bouquette auf diesen Früch-ten waren so starck als eine tragbahre Anna-

    64 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 12 Georg Ernst Tatters Anleitung zur Kultivierung der Ananas im Gewächshaus, 1727/1728. Manuskript, eingebundenin sein Exemplar von Johann Christoph Volkamers „Nürnbergische Hesperides“, GWLB Hannover, KGBH 682.

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

  • ten von Sir Matthew Decker (1679–1749) inRichmond, wo sie der aus den Niederlandenstammende Gärtner Henry Telende mit gro-ßem Geschick anbaute.100 Telende erläuterteseine Anbaumethode Richard Bradley, der1721 und 1724 in seiner monatlich erscheinen-den Zeitschrift „A General Treatise of Hus-bandry and Gardening“ einen detaillierten Be-richt darüber veröffentlichte, und in dem nachSachgebieten geordneten Kompendium glei-chen Titels 1726 nochmals abdruckte.101 Hen-ry Telende nutzte im Sommer kein Glashaus,sondern einen niedrigen Treibkasten mit ei-ner Grundfläche von 3,30 m Länge und 2,45 mBreite. Die auf der niedrigen Vordermauervon 0,25 m und der höheren Rückwand von0,90 m aufliegende, geneigte Fensterfläche er-möglichte eine gute Sonneneinstrahlung.102 Indem Kasten befand sich eine Vertiefung von1,50 m, in der das Treibbeet aus mehrerenSchichten aufgebaut wurde. Auf dem Bodenlag eine Drainage aus Kies oder Schotter,durch die das Wasser ins Erdreich versickernkonnte. Darauf wurde eine einen Fuß starkeSchicht Pferdemist aufgebracht, die wieder-um mit einer etwa drei bis vier Fuß starkenSchicht Gerberlohe abgedeckt wurde, in dieTelende die Ananaspflanzen in Töpfen ein-setzte. Da das Beet im Laufe des Sommersum etwa einen Fuß absank, fanden die wach-senden Pflanzen ausreichend Platz unter derGlasabdeckung des Kastens. In diesem Treib-kasten blühten die Ananaspflanzen ab Feb-ruar und benötigten etwa fünf Monate vomFruchtansatz bis zur Reife. Den Winter ver-brachten sie in einem gut isolierten Gewächs-haus, dessen Dach mit einer dicken SchichtReet gedeckt war. Das Haus wurde durch ei-ne Kanalheizung erwärmt, die Telende nachniederländischem Vorbild mit Torf beheizte.103

    Henry Telendes wichtigstes Hilfsmittel warein mit Alkohol gefülltes Thermometer, des-sen Skala er nach seinen Erfahrungswertenspeziell für die Ananastreiberei eingerichtet

    hatte. Auf Betreiben von Richard Bradleywurde dieses Thermometer von dem Messin-strumentenbauer John Fowler in Londonnachgebaut und zum Kauf angeboten.104

    1723 richtete Philipp Miller (1691–1771) imGarten der Londoner Apothekergesellschaft(Physic Garden) in Chelsea ein mit Gerberlo-he erwärmtes Treibbeet für exotische Pflan-zen ein und arbeitete seitdem an der Vervoll-kommnung dieser Treibmethode. 1724 veröf-fentlichte er in seinem ersten Nachschlage-werk „The Gardeners and Florists Dictiona-ry“ eine Anleitung zur Kultivierung der Ana-nas, die im Wesentlichen auf den HinweisenTelendes beruhte.105 In seinem 1731 erschiene-nen Gärtnerlexikon („The Gardeners Dictio-nary“) konnte er sich bereits auf eigene Erfah-rungen im Ananasanbau stützen. Durch dasLexikon, das in den folgenden Jahrzehntendurch aktualisierte Neuauflagen, gekürzteAusgaben und Übersetzungen weite Verbrei-tung fand, wurden Millers Kulturhinweise zurAnanas einer großen Leserschaft zugäng-lich.106 Im Jahr 1737 publizierte auch Pieter dela Court van der Voort seine über Jahrzehnteerworbenen Erfahrungen im Anbau von Ana-nas.107 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-derts folgte dann eine größere Anzahl vonVeröffentlichungen zum Thema.108

    Tatter hatte wohl schon Anfang der 1720erJahre mit dem Anbau von Ananas auf der So-phienlust begonnen.109 Als er seine Erfahrun-gen 1727 dokumentierte, waren ihm offenbarweder Lohbeete noch die Kultivierungsme-thode Henry Telendes bekannt. Kanalheizun-gen dagegen waren ihm zumindest in der Li-teratur begegnet, denn Volkamer hatte sie be-reits im zweiten Band der „NürnbergischenHesperiden“ anhand von zwei Plänen be-schrieben, die er von einem Adligen aus Böh-men erhalten hatte.110 Dem neuesten Stand derTechnik hingegen entsprach Tatters Verwen-dung eines speziellen Thermometers für dasGewächshaus.111

    67

    bührlichen Verstand und unverdrossenen Fleißanwendet/ so kann man/ ich will eben nichtsagen/ alles/ jedoch unfehlbar das meiste/ zuStand bringen/ was man in entlegenen war-men Ländern für ein Eigenthum schätzet.“89

    Zum Stand der Ananas kultivierung um 1727

    „Ich meines Orts habe anfänglich manchenrthlr. [Reichstaler] damit eingepüßet, indemmir viele Annanassen erstlich verdorben, biß ichendlich mit meinem Schaden und vielen Nach-sinnnen es so weit gebracht, daß nunmehro Gottsey danck zieml[iche] Jahre her so schöne früch-te gezogen, daß mir es ohne Ruhms Meldungwohl in Teutschland noch zur Zeit wenig nachthun; auser in dem berühmten Münnichhaußi-schen Garten zu Schwöbber, allwo auch einegroße Menge Annanassen anjetzo anzutreffenseyn, wovon gleichfalls jährlich schöne früchtegezogen werden.“90 Da das Treibhaus auf derSophienlust dem in Schwöbber glich und GeorgErnst Tatter diesen Garten offenbar aus eigenerAnschauung kannte, kann vermutet werden, dasser das Grundprinzip der Ananaskultivierungdort kennen gelernt hatte und das Verfahrennach und nach verbesserte.91 Problematisch warbei dieser Methode, dass die Erwärmung desMistbeets im Treibhaus nur begrenzt steuerbarwar und daher einen hohen Zeit- und Pflegeauf-wand erforderte. Außerdem erwärmte der Ofendas Überwinterungshaus so ungleichmäßig, dassdie Pflanzen dort trocken gehalten werden muss-ten, um sie vor Fäulnis zu schützen. Da die Pflan-zen nach dem Umsetzen ins Treibhaus Zeit zurWurzelbildung und Erholung benötigten, ver-zögerten sich Blüte und Fruchtansatz, so dassdie meisten Früchte erst im Herbst und Winterausreiften. Tatters Experimente zeigten, dass esbei großem Pflegeaufwand möglich war, in die-sem einfachen Gewächshaus wenige Pflanzenin der Nähe des Ofens so warm zu halten, dass

    sie auch im Winter vorsichtig gegossen werdenkonnten und im Wachstum blieben. Er zog da-raus den Schluss, dass es bei einem größeren,besser ausgestatteten Gewächshaus gelingenmüsste, das ganze Jahr über reife Früchte zuerzielen.92

    Solche Gewächshäuser waren in den Nieder-landen bereits in den letzten beiden Jahrzehn-ten des 17. Jahrhunderts entwickelt worden.Im medizinischen Garten in Amsterdam undim botanischen Garten in Leiden hatte manin den 1680er Jahren Gewächshäuser mit Ka-nalheizungen errichtet, die den gesamtenPflanzenraum gleichmäßiger erwärmten.93 Inden 1690er Jahren kam zudem Gerberlohe alsTreibmittel in Gebrauch, die den Pferdemistim Treibbeet ganz oder teilweise ersetzte.94

    Ein solches Lohbeet hielt bei richtiger Bear-beitung bis zu sechs Monate eine gleichmäßi-ge Wärme, wodurch sich der Pflegeaufwanderheblich reduzierte. Aber auch mit diesentechnischen Neuerungen war der Erfolg nichtimmer garantiert. So berichtet Richard Brad-ley (ca. 1688–1732),95 bei seinem Besuch immedizinischen Garten in Amsterdam im Jahr1714 seien zwar einige Hundert gesunde Ana-naspflanzen in mehreren Sorten vorhandengewesen, allerdings habe man dort bishernoch keine sichere Methode entwickelt, umgute Früchte hervorzubringen.96 Die erfolg-reichsten Ananaskultivateure in den Nieder-landen waren wohl Pieter de la Court van derVoort (1664–1739) und sein Gärtner Willemde Vinck. Sie hatten ihre Anbaumethode nachErprobung unterschiedlicher Öfen so weitverbessert, dass sie um 1714 jährlich mehrereHundert Früchte ernten konnten.97 Über-schüssige Jungpflanzen gaben sie mit einerPflegeanleitung an Interessierte ab, so zumBeispiel um 1720 an die Bischöfe von Mainz,Würzburg und Münster.98

    De la Court soll den Ananasanbau in Englandeingeführt haben;99 durch ihn gelangten ver-mutlich um 1715 Ananaspflanzen in den Gar-

    66 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

  • In den folgenden Jahrzehnten dehnten GeorgErnst Tatter und sein Sohn und Nachfolger Jo-hann Wilhelm Tatter (1719–1795) den Anbauder Ananas im Berggarten kontinuierlich aus.114

    Mitte des 18. Jahrhunderts waren unterschied-liche Gewächshaustypen mit Kanalheizungund Lohbeeten in Gebrauch, dazu kam einegrößere Anzahl von Treibkästen und Mistbee-ten (Abb. 13). In den 1770er Jahren umfassteder Bestand etwa achthundert Ananaspflanzen.Mit der verfeinerten Technik gelang es, imSommer und Winter Ananas zur Reife zu brin-gen. Die Preise zeigen, dass die Früchte nochimmer ein teures Luxusgut waren, denn imWinter geerntete Ananas kosteten je nach Grö-ße einen bis drei Reichstaler, was bis zu dreiWochenlöhnen eines Gartenarbeiters ent-sprach. Nach dem Ende der Personalunion(1837), als der Landesherr wieder in Hannoverresidierte, erreichte die Ananas treiberei in Her-renhausen ihren Höhepunkt. Damals waren et-wa 2000 Pflanzen verschiedener Jahrgänge vor-handen, von denen etwa 500 pro Jahr Früchtetrugen. Die angewendete Kulturmethode hatWilliam Tatter (1823–1897), der Urenkel vonGeorg Ernst Tatter, 1879 in seiner Anleitungzur Obsttreiberei ausführlich beschrieben.115

    Erst 1922 wurde die Ananastreiberei im Berg-garten endgültig aufgegeben.

    GEORG ERNST TATTERS HINWEISE ZURZITRUSSAMMLUNG DER SOPHIENLUST, UM 1727H. Palm

    Aus früheren Forschungen ist bekannt, dassder hannoversche Hofgärtner Georg Ernst Tat-ter (1689–1755) in Herrenhausen eine wertvollePflanzensammlung besaß, die er 1750 an dieKrone verkaufte.116 Sie bestand aus mehrerenHundert exotischen Gewächsen und aus einemBestand von Orangeriepflanzen, der als „DieKleine Orangerie“ bezeichnet wurde. Dazu ge-

    hörten Zitrusgewächse in 89 Arten und Varie-täten, von denen jeweils ein Exemplar vorhan-den war. Die Überschrift eines Inventars von1752 deutet darauf hin, dass Tatter einen Groß-teil der Zitrussorten bereits 1734 aus Meinin-gen mit nach Hannover gebracht hatte.117

    Georg Ernst Tatter war der Sohn des Meinin-ger Hofgärtners Georg Christoph Tatter(1663–1730). Von 1713 an arbeitete er zunächstals Meininger Landgärtner, von 1713 bis 1716zusätzlich als Hofgärtner in Römhild. 1718 er-hielt er eine Anstellung als Hofgärtner in Mei-ningen, wo er bald mit der Planung und An-lage eines neuen Gartens am LustschlösschenSophienlust beauftragt wurde, das HerzoginElisabeth Sophie (1684–1748) in sechs Kilome-ter Entfernung von der Residenzstadt, zwi-schen Untermaßfeld und Bauerbach, errichtenließ.118 Ab 1720 lebte Tatter mit seiner Familieauf der Sophienlust, wo er den Garten anleg-te, die Orangerie betreute und bald auch Kaf-fee und Ananas im Gewächshaus kultivierte.Nach dem Tod seines Vaters erhielt er 1730die Hofgärtnerstelle in Meiningen. Als GeorgErnst Tatter im September 1733 die Orangeriedes hannoverschen Kurfürsten und Königsvon Großbritannien Georg II. (1683–1760) vorden Toren Hannovers begutachtete, wurdeihm von der hannoverschen Hofgartenverwal-tung eine Stelle als Orangeriegärtner angebo-ten, die er Ostern 1734 antrat und bis zu sei-nem Tod inne hatte.119

    Im Jahr 1727 erwarb Georg Ernst Tatter Jo-hann Christoph Volkamers zweibändiges Zi-truswerk „Nürnbergische Hesperides“ undfügte ihm vor dem Einbinden autobiographi-sche Notizen und handschriftliche Berichteüber die Kultivierung von Kaffee und Ananasim Gewächshaus bei.120 Das Buch enthält au-ßerdem Angaben über die Zitrussorten, dieTatter im Garten der Sophienlust bei Meinin-gen kultivierte. Diese Notizen hat Tatter je-doch nicht als Liste oder Bericht hinzugefügt,sondern selbstbewusst in Schönschrift auf die

    6968 G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Die Einführung der Ananastreiberei in Hannover

    Als Georg Ernst Tatter im September 1733 dieKübelpflanzensammlung in der Sommerresi-denz Herrenhausen begutachtete, erkannte derfür die hannoverschen Hofgärten zuständigeGeheime Kammerrat Heinrich von Grote of-fenbar seine besonderen Fähigkeiten,112 denn erwarb den Gärtner aus Meiningen ab und schuffür ihn eine zusätzliche Stelle in Herrenhausen.Da Tatter nach seinem Besuch in Hannoverumgehend Ananasfrüchte als Beweis seinesKönnens an von Grote schickte, ist zu vermu-ten, dass seine Erfahrung in der Kultivierungdieser begehrten und prestigeträchtigen Tafel-frucht ein wichtiger Grund für seine Einstel-lung war. In den hannoverschen Hofgärtenwurde sie damals noch nicht angebaut, obwohlder Landesherr Kurfürst Georg August (1683–

    1760) als George II. zugleich König von Groß-britannien war und in London residierte, wodie durch Bradley und Miller publizierte Me-thode der Ananastreiberei schon seit Anfangder 1720er Jahre Nachahmer fand. Tatter brach-te bei seinem Dienstantritt im Frühjahr 1734mit seiner umfangreichen Pflanzensammlungauch Ananaspflanzen nach Herrenhausen, fürdie nach seinen Anweisungen unmittelbar zu-vor ein Ananas treibhaus errichtet worden war.So konnte sich König Georg II. bei seinem Be-such im Jahr 1735 bereits von der Qualität derin Herrenhausen gereiften Ananas überzeugen.In einem Gespräch mit dem jetzt für die Gär-ten zuständigen Kammerrat Friedrich Karl vonHardenberg (1696–1763) ordnete er an, Tatterdie Ananaspflanzen abzukaufen, weil dessennach London geschickte Früchte Königin Ca-roline (1683–1737) besser geschmeckt hatten alsdie in England kultivierten.113

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

    Abb. 13 Ananashaus mit Treib-Beet und Kanalheizung, Berggarten in Herrenhausen, Mitte 18. Jh., Historisches MuseumHannover.

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    Tatter offenbar aus eigener Anschauung kann-te und mit der er in Briefkontakt stand.135 Obdie Besitzerin der Sophienlust, Herzogin (seit1724 Herzoginwitwe) Elisabeth Sophie, eineTochter des „Großen Kurfürsten“ FriedrichWilhelm (1620–1688) von Brandenburg, ihreBeziehungen zum Hof in Berlin und anderenverwandten Höfen nutzte, um seltene Pflan-zen zu beschaffen, ist nicht bekannt.136 Da siezuvor mit ihrem zweiten Ehemann, demMarkgrafen Christian Ernst (1644–1712) vonBrandenburg-Bayreuth in Erlangen gelebt hat-te, könnte ein Teil der Zitrusgewächse in Nürn -berg erworben worden sein, wo offenbar einvielfältiges Angebot bestand. Elisabeth Sophie,

    die 1703 von Markgraf Christian Ernst das imBau befindliche Schloss Erlangen als Geschenkerhalten hatte, ließ dort einen Schlossgartenanlegen, in dem sie den Hofgärtner GeorgWolf d. Ä. und den Nürnberger KunstgärtnerJohann Georg Weidner beschäftigte.137 Das1706 fertig gestellte Orangeriegebäude beher-bergte schon bald einen umfangreichen Kübel-pflanzenbestand, dessen Wert 1712 auf 4.000bis 6.000 Gulden geschätzt wurde.138 Nach demTod des Markgrafen Christian Ernst führtender nun regierende Markgraf Georg Wilhelm(1678–1726) und Elisabeth Sophie langwierigeAuseinandersetzungen darüber, welche Ver-mögenswerte zum Privateigentum der Witwe

    G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 15 Cedrati musciati mit Georg Ernst Tatters An-merkung: „Diese besitze auch und ist eine von denen vor-trefflichsten Früchten.“ Volkamer, Continuation der Nür-bergischen Hesperidum, Bd. 2 (1714), S. 61, GWLB Han-nover, KGBH 682.

    prächtigen Kupferstiche geschrieben. Nur ein-mal ist er – vermutlich weil der Platz nicht aus-reichte – von diesem Prinzip abgewichen undnotierte die fünf vorhandenen Pampelmusen-sorten im Anschluss an den gedruckten Text.121

    Tatters Einträge (vgl. Tabelle, S. 75–77) begin-nen bei der ersten von Volkamer vorgestelltenZedrat-Zitrone Cedro grosso Bondolotto (Abb.14). Der knappe Hinweis, der sich in der rech-ten oberen Ecke des mit Fruchtabbildung undStadtansicht von Nürnberg fast komplett aus-gefüllten Blattes noch eben unterbringen ließ,erläutert zugleich den Zusammenhang derMarginalien: „Diese große Arth Cedro ist nebstandern vielen rahren Sorten auch alhier in IhroKönigl. Hoheit Garten zu Sophienlust.“122

    Tatters Notizen sind knapp gehalten; am häu-figsten finden sich lakonische Bemerkungen,die das Vorhandensein der Zitrussorte bestäti-gen, wie „diese habe auch“ oder „ist auch da“.123

    Bei einigen Sorten hat Tatter Hinweise zur An-zahl oder Qualität der geernteten Früchte hin-zugefügt, so notierte er z.B. zu Cedro di Fio-renza: „Diese ist auch da, und öffters der schöns-ten reifen Früchte bekommen“ oder zu Cedratimusciati: „diesen besitze auch, und ist eine vondenen vortrefflichsten Früchten“ (Abb. 15).124

    Dreimal weist er auch darauf hin, dass einzelneSorten zwei bzw. zweieinhalb Pfund schwereFrüchte getragen hatten (Abb. 16).125 EinigeEinträge enthalten Hinweise auf besonderenDuft, panaschiertes Laub und variierendeFruchtformen der Zitrussorten wie zum Bei-spiel bei Limon zatelle (Abb. 17): „Die ist auchda, und hat Früchte von unterschiedlichen Figu-ren hervor gebracht.“126

    Tatters Marginalien zu den Zitrusgewächsenstammen vermutlich – ebenso wie seine Berich-te über die Kultivierung des Kaffeebaumes undder Ananas im Gewächshaus – sämtlich ausden Jahren 1727/1728.127 Sie belegen, dass da-mals mindestens 69 Zitrusarten und -varietätenauf der Sophienlust kultiviert wurden:128

    8 Zedrat-Zitronensorten (Citrus medica L.),42 Limonensorten (Citrus Limon (L.) Burm.

    f.),129 inklusive einiger Kreuzungen aus Li-monen und Pomeranzen („Lumien“),130

    5 Pampelmusensorten (Citrus grandis (L.),Osbeck),

    14 Orangensorten (Pomeranzen, Citrus auran-tium L., und Apfelsinen, Citrus sinensis (L.),Osbeck).131

    Die Orangerie der Sophienlust enthielt dem-nach etwa 40 Prozent der in Volkamers „Nürn-bergische Hesperides“ vorgestellten 174 Zitrus-arten und -varietäten und gehörte wohl zu denbesonders vielfältigen Sammlungen.132 Es ist an-zunehmen, dass bis 1727/1728 nur die etwazwanzig Zitrussorten auf der SophienlustFrüchte getragen hatten, bei denen Tatter diesausdrücklich vermerkt oder die Früchte er-wähnt hat.133 Auch Volkamer kultivierte nichtalle in seinem Werk vorgestellten Zitrussortenselbst und hatte bis 1708 bzw. 1714 nur von ei-nem Teil der in seinem Garten vorhandenenSorten Früchte erhalten.134 Von den 69 Sorten,die auf der Sophienlust nachgewiesen sind, hatVolkamer offenbar in den Jahren 1708 bzw.1714 etwa 40 Sorten selbst kultiviert. Seine Sor-tenbeschreibungen zeigen jedoch, dass er beietwa der Hälfte der 69 Sorten für die Anferti-gung der Kupferstiche auf Früchte angewiesenwar, die ihm vom Gardasee, aus Padua, Rom,Nogare sowie aus Amsterdam, Hamburg unddem Garten Otto von Münchhausens in Schwöb -ber zugeschickt worden waren. Der Kupfer-stich der Pampelmuse im zweiten Band beruhtauf einer Zeichnung, die er aus dem Bose’schenGarten in Leipzig erhalten hatte. In vielen Fäl-len hatte Volkamer sich mit den Früchten auchPflanzen der betreffenden Sorten zuschickenlassen, um seine Sammlung zu erweitern.Tatters Einträge enthalten keine Hinweise aufdie Herkunft der auf der Sophienlust befind-lichen Zitrusgewächse. Besonders seltene Sor-ten könnten aus dem Garten der Familie vonMünchhausen in Schwöbber stammen, den

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

    Abb. 14 Cedro grosso Bondolotto mit Georg Ernst Tat-ters Anmerkung „Diese große Art Cedro ist nebst andernvielen rahren Sorten auch allhier in Ihro Königl. HoheitGarten zu Sophienlust.“ Volkamer, Nürnbergische Hespe-rides, Bd. 1 (1708), S. 114, GWLB Hannover, KGBH 682.

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    liegt jedoch nahe, dass sich darunter das vonGiovanni Battista Ferrari verfasste Standard-werk über Zitrusgewächse, „Hesperides sive demalorum aureorum cultura et usu“, Rom 1646,befand, das Volkamer als Anregung und Vor-bild für seine Veröffentlichung gedient hatte.Ein Exemplar dieses Werkes befand sich nach-weislich bereits 1678 im Bestand der Bibliothekund ist auch heute noch vorhanden.146

    Da Volkamers Werk in vielen Kapiteln den da-maligen Wissenstand über Zitrusgewächse undderen Pflege vermittelte und die vom Autorausfindig gemachten Zitrusarten und -sorten

    in Text und Bild vorstellte, hatte es für einenOrangeriegärtner einen großen praktischenWert als Handbuch und Nachschlagewerk.Hier fand er ausführliche Beschreibungen derSorten, die in der Literatur verwendeten Syno-nyme, auf Erfahrung basierende Hinweise fürdie Kultivierung im hiesigen Klima und Anga-ben über Volkamers Bezugsquellen. Die beige-fügten Abbildungen waren eine wichtige Hilfe,wenn es galt, unbekannte Pflanzen zu bestim-men. Für die praktische Nutzung des Buchesals Nachschlagewerk hätten allerdings Lesezei-chen oder eine Liste der von Tatter kultivierten

    G. E. TATTERS EXEMPLAR VON VOLKAMERS „NÜRNBERGISCHE HESPERIDES“

    Abb. 17 Limon zatelle mit Georg Ernst Tatters Anmer-kung: „Die ist auch da, und hat Früchte von unterschiedli-chen Figuren hervor gebracht.“ Volkamer, NürnbergischeHesperides, Bd. 1 (1708), S. 146b, GWLB Hannover,KGBH 682.

    gehörten. Nachdem Elisabeth Sophie be-schlossen hatte, erneut zu heiraten, zähltenauch die Orangeriegewächse zu den Streitob-jekten, denn Markgraf Georg Wilhelm be-stand darauf, dass der Passus der Wittumsre-gelung, nach dem bei einer Wiederverheira-tung der Witwe das Schloss Erlangen samtConcordienkirche, Orangerie und Brunnen imSchlossgarten unentgeltlich an ihn zurückfal-len sollte, auch den Pflanzenbestand der Oran-gerie einschloss.139 Um den Streit beizulegen,bot der bei den Verhandlungen anwesende zu-künftige dritte Ehemann Elisabeth Sophies,Herzog Ernst Ludwig I. (1672–1724) von Sach-sen-Meiningen, schließlich sogar an, die Oran-geriepflanzen für 6.000 Gulden selbst zu erwer-ben. In dem unmittelbar vor der Wiederverhei-ratung geschlossenen Vertrag verzichtete Elisa-beth Sophie schließlich doch auf die Orangerie -gewächse.140

    Offenbar hatte Elisabeth Sophie schon baldnach dem Baubeginn der Sophienlust bei Mei-ningen einen Bestand an Orangerie- und Ge-wächshauspflanzen beschaffen lassen. TattersEintragungen lassen vermuten, dass die in sei-nem Exemplar der „Nürnbergische Hesperi-des“ gekennzeichneten Zitrusgewächse der Ei-gentümerin der Sophienlust gehörten. Offen-bar nutzte Tatter die Möglichkeit, sich durchVermehrung eine eigene Pflanzensammlungaufzubauen, die er 1734 mit nach Herrenhau-sen nahm. Eine solche Sammlung stellte ein be-achtliches Kapital dar, denn sie eröffnete ihmzum einen die Möglichkeit, die Vielfalt der vonihm als Hofgärtner betreuten Orangerie zu er-weitern, zum anderen konnte er sich durch denVerkauf begehrter seltener Sorten eine zusätz-liche Einnahmequelle erschließen. Unmittelbarnach Tatters Weggang aus Meiningen,141 der of-fenbar von der Herzogsfamilie sehr bedauertwurde, ließ Elisabeth Sophie einen Teil der Kü-belpflanzen der Sophienlust nach Coburgüber führen, wo sie sich zu dieser Zeit überwie-gend aufhielt.142 Dazu gehörten 124 nicht näher

    spezifizierte Zitrusbäume, bei denen es sich umausgewählte Exemplare besonderer Sorten ge-handelt haben dürfte, sowie 68 ausländischeGewächse, 71 Ananaspflanzen und zahlreicheBlumen in Töpfen. Das Pflanzeninventar vom16. April 1736 belegt, dass im Garten der So-phienlust eine umfangreiche Kübelpflanzen-sammlung verblieben war. Sie bestand aus 292Zitrusgewächsen unterschiedlicher Größe, dieim Inventar pauschal als Orangenbäume be-zeichnet sind, einer größeren und sieben jungenZedratzitronen, 200 jungen unveredelten Zi-truspflanzen sowie 116 anderen Orangeriege-wächsen (Feigen, Lorbeer, Kirschlorbeer, Myr-ten und Zypressen). Das Inventar verzeichnetaußerdem 76 Kaffeebäume und weitere 300 Ge-wächshauspflanzen sowie 95 Nelken und 77Aurikeln in Töpfen.143

    Aus Georg Ernst Tatters autobiographischenNotizen geht nicht hervor, seit wann er sichauf die Pflege von Orangeriepflanzen undexotischen Gewächsen spezialisiert hatte. Esist jedoch zu vermuten, dass er VolkamersStandardwerk, das alles Wissenswerte überdie Kultivierung von Zitrusgewächsen ent-hielt, bereits gelesen hatte, bevor er 1727 eineigenes Exemplar erwerben konnte. Da Elisa-beth Sophie im zweiten Band von VolkamersZitrusmonographie als Bauherrin der Erlan-ger Schloss- und Gartenanlage gewürdigtwird, und die beigefügten idealisierten An-sichten einen glänzenden Eindruck von ihremdortigen Wirken vermitteln, ist anzunehmen,dass sich ein Exemplar des Werkes in ihremPrivatbesitz oder in der Meininger Hofbiblio-thek befunden hat.144 Als Tatter im September1733 im Auftrag der Hofgartenverwaltung dieOrangerie in Herrenhausen begutachtete,suchte er gemeinsam mit seinem Sohn LudwigGünther (1714–1772) und dem Orangeriegärt-ner Heinrich Jacob Leppentin (1690–1747) dieKönigliche Bibliothek in Hannover auf.145 DasBesucherbuch verzeichnet leider nicht, welcheBücher sich die Gärtner vorlegen ließen. Es

    HEIKE PALM, HUBERT RETTICH

    Abb. 16 Limon da Portugal dolce mit Georg Ernst TattersAnmerkung: „Diese arth ist viel vorhanden. Von dieser Sor-te haben zum öfteren schöne Früchte erhalten, wovon einigeextra groß gewesen, daß auch einstens Ein Stück zu 2 ½ lb.[Pfund] gewogen. A[nno] 1726.“ Volkamer, NürnbergischeHesperides, Bd. 1 (1708), S. 132b, GWLB Hannover,KGBH 682.

  • 7574 PFLANZENLISTE

    Sorten mit Verweisen auf die Seitenzahl derBeschreibungen und Abbildungen ausgereicht.Durch die handschriftlichen Notizen auf denKupferstichen stellte der Gärtner eine augen-fällige und dauerhafte Verbindung zwischenden prachtvollen Darstellungen und der Pflan-zensammlung der Sophienlust her. Es ist daherdenkbar, dass er das Buch nutzte, um Fachleu-ten oder Gästen des Hofes die von ihm betreu-te Zitrussammlung vorzustellen. Da viele derGewächse noch keine Früchte getragen hattenund sich somit für den Laien nicht sonderlichunterschieden, konnte die Vielfalt und das Po-tential der Sammlung erst durch die Abbildun-gen veranschaulicht werden, die meist einenZweig der Zitrussorte mit Blüten und Früchten,teils auch aufgeschnittene Früchte darstellen.Beim Durchblättern des Buches erscheinen diegekennzeichneten Sorten im Kontext des gan-

    zen Reichtums der Gattung Citrus. Die Texteverdeutlichen, welches Fachwissen zur Kulti-vierung der anspruchsvollen Gewächse not-wendig war. Die großformatigen Kupfertafelnvereinen die Zitrusdarstellungen mit Land-schafts- und Gartenveduten aus Nürnberg undItalien und stellen Bezüge zum Hesperidenmy-thos her. Volkamers Werk veranschaulicht dasZusammenspiel von Wissenschaft,