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NOMOS ISSN 0946-7165 1/2004 11. Jahrgang Heft 1 Juni 2004 Hrsg. im Auftrag der Sektion Internationale Politik der DVPW Zeitschrift für Internationale Beziehungen Aus dem Inhalt Andreas Wimmel Transnationale Diskurse Zur Analyse politischer Kommunikation in der europäischen Medienöffentlichkeit Hartmut Behr Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund transnationaler Herausforderungen Zur Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen seit der Sicherheitsrats-Resolution 1373 Benjamin Herborth Die via media als konstitutionstheoretische Einbahnstraße Zur Entwicklung des Akteur-Struktur-Problems bei Alexander Wendt Forum Der 11. September und die Folgen für die Disziplin »Internationale Beziehungen« Mit Beiträgen von James Der Derian, Charles A. Kupchan, Thomas Risse, Harald Müller, Stefano Guzzini

Nomos ISSN 0946-7165 Zeitschrift für 1/2004 Zeitschrift ... · Alexander Wendt mit grundlegenden theoretischen Fragen des Akteur-Struktur-Pro- blems vor dem Hintergrund einer pragmatistischen

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NOMOS

ISSN 0946-7165

1/200411. JahrgangHeft 1Juni 2004

Hrsg. im Auftrag der SektionInternationalePolitik der DVPW

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

Aus dem Inhalt

Andreas Wimmel Transnationale Diskurse Zur Analyse politischer Kommunikation in der europäischen Medienöffentlichkeit

Hartmut Behr Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrundtransnationaler Herausforderungen Zur Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen seit der Sicherheitsrats-Resolution 1373

Benjamin Herborth Die via media als konstitutionstheoretischeEinbahnstraße Zur Entwicklung des Akteur-Struktur-Problems bei Alexander Wendt

Forum

Der 11. September und die Folgen für die Disziplin»Internationale Beziehungen«

Mit Beiträgen von James Der Derian, Charles A. Kupchan,Thomas Risse, Harald Müller, Stefano Guzzini

Deutsche Sicherheitspolitik

Deutsche SicherheitspolitikEine Bilanz der Regierung Schröder Herausgegeben von Dr. SebastianHarnisch, Universität Trier, ChristosKatsioulis, M.A., Universität Trier und Dipl.Pol. Marco Overhaus,Universität Trier2004, 267 S., brosch., 29,– €,ISBN 3-8329-0689-4(Aussenpolitik und InternationaleOrdnung)

Die Anforderungen an deutsche Sicherheitspolitiksind mit dem Zerfall der bipolaren Weltordnung unddem Aufkommen des internationalen Terrorismuskomplexer und schwieriger geworden. Die Politik dertraditionellen Bündnispartner verändert sich, dieinternationalen Organisationen, in die Deutschlandeingebettet ist, sind im Wandel begriffen und dieinnenpolitischen Rahmenbedingungen haben sichverschlechtert. Vor diesem Hintergrund stehen Kon-tinuität und Wandel der bilateralen und multilatera-len Bindungen deutscher Sicherheitspolitik imMittelpunkt dieses Sammelbandes. Die einzelnenBeiträge widmen sich den innenpolitischen Bedin-gungsfaktoren (öffentliche Meinung und Parteiend-iskurs), den Auslandseinsätzen der Bundeswehr so-wie der Bundeswehrreform, dem deutschen Beitragin NATO und ESVP, sowie der deutschen Politik in denFeldern Nonproliferation, Krisenprävention und Anti-terrorpolitik. Die empirisch fundierten Studien rich-ten sich gleichermaßen an Studierende, Wissen-schaftler und sicherheitspolitische Praktiker.

Nomos

Harnisch/Katsioulis/OverhausDeutsche SicherheitspolitikEine Bilanz der Regierung Schröder 2004, 267 S., brosch., 29,– €,ISBN 3-8329-0689-4(Aussenpolitik und Internationale Ordnung)

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ZIB 1/2004

INHALT

Gunther Hellmann/Harald Müller

Editorial

..................................................................................................................... 3

AUFSÄTZE

Andreas Wimmel

Transnationale Diskurse

Zur Analyse politischer Kommunikation in der europäischen Medienöffentlichkeit ............................................................................ 7

Hartmut Behr

Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund transnationaler Herausforderungen

Zur Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen seit der Sicherheitsrats-Resolution 1373 ............................................................................... 27

Benjamin Herborth

Die

via media

als konstitutionstheoretische Einbahnstraße

Zur Entwicklung des Akteur-Struktur-Problems bei Alexander Wendt .................. 61

FORUM

Der 11. September 2001 und die Folgen für die Disziplin »Internationale Beziehungen«

James Der Derian

9/11 and Its Consequences for the Discipline

....................................................... 89

Charles A. Kupchan

New Research Agenda? Yes. New Paradigm? No.

............................................ 101

Thomas Risse

Der 9.11. und der 11.9.

Folgen für das Fach Internationale Beziehungen ................................................... 111

Harald Müller

Think Big!

Der 11. September und seine Konsequenzen für die Internationalen Beziehungen ........................................................................... 123

Stefano Guzzini

In den IB nichts Neues?

Der 11. September und die Rollenverständnisse der Disziplin ............................... 135

TAGUNGSBERICHT

Wolfgang Wagner/Frank Schimmelfennig/Michèle Knodt

Auswärtiges Regieren in der Europäischen Union

Ein Tagungsbericht ................................................................................................. 147

Neuerscheinungen

................................................................................................. 155

Mitteilungen der Sektion Internationale Politik

................................................ 159

Abstracts

................................................................................................................ 165

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

............................................................... 169

3

Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 3-5

Gunther Hellmann/Harald Müller

Editorial

Die Anschläge vom 11. September 2001 und der nachfolgende »Krieg gegen denTerror« haben bis jetzt kaum Niederschlag in den führenden Fachzeitschriften derInternationalen Beziehungen gefunden. Auch die Sektion Internationale Politik, diesich in Mainz im Rahmen des 23. Kongresses der DVPW im September 2003 traf,äußerte ein Missbehagen darüber, dass es die

Zeitschrift für Internationale Bezie-hungen

bislang versäumt habe, Beiträge zu den großen Fragen der Zeit zu veröffent-lichen, und stattdessen das Feld den eher politikorientierten Journalen überlasse.Diese Kritik hat Thomas Risse in seinem Forumsbeitrag in diesem Heft nochmalspointiert aufgegriffen.

Mit dem ZIB-Forum dieses Heftes unternehmen wir den ersten Versuch, eineroffenkundigen Gefahr zu begegnen: dass sich die Forschung zu den InternationalenBeziehungen im Zirkel ihrer selbst entworfenen akademischen Aufgaben dreht undzur Substanz dessen, was in der Welt vor sich geht, weder theoretische Orientie-rungshilfen noch praktische Handreichungen bieten kann. Unsere Wissenschaft istin der Tat nicht frei von dem Risiko, sich von einem selbstreferenziellen in ein autis-tisches System zu transformieren.

Das

Forum

, das auf den Beiträgen der Podiumsdiskussion der Mainzer Tagungberuht, hat die Aufgabe, die Konsequenzen des 11. September 2001 für die Diszi-plin der Internationalen Beziehungen zu analysieren und über die Möglichkeiten zureflektieren, die uns zur Analyse der großen Fragen gegenwärtiger Weltpolitik, vorallem der Wirkung des transnationalen Terrorismus auf die internationalen Bezie-hungen, zur Verfügung stehen. Sicher sind die hier vorgeschlagenen Antworten ten-tativ, aber sie stellen einen wichtigen Beitrag zu einer notwendigen Diskussion dar.Zu diesem Themenkomplex ist auch der Aufsatz von Hartmut Behr in diesem Heftzu rechnen, der die Handlungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen in der Ausein-andersetzung mit dem Terrorismus auslotet. Dass neben diesen aktuellen Fragen derWeltpolitik natürlich auch die überwiegend theoretische Reflexion nach wie voreinen wichtigen Platz in unseren fachlichen Auseinandersetzungen hat, zeigt derBeitrag von Benjamin Herborth in dieser Ausgabe, der sich anhand des Werks vonAlexander Wendt mit grundlegenden theoretischen Fragen des Akteur-Struktur-Pro-blems vor dem Hintergrund einer pragmatistischen Gesellschaftstheorie in derNachfolge von George Herbert Mead beschäftigt. Es muss das Ziel einer anspruchs-vollen wissenschaftlichen Fachzeitschrift sein und bleiben, das notwendigerweisegroße Spektrum abzudecken, das sich zwischen theoretisch reflektierten, den breitenWissensbestand der Disziplin kritisch hinterfragenden Analysen zu aktuellen welt-politischen Entwicklungen auf der einen Seite und von solchen weltpolitischen

Editorial

4

Ereignissen eher losgelösten, auf den ersten Blick »rein theoretischen« Abhandlun-gen auf der anderen Seite ergibt. Wir erhoffen uns, dass sich durch das

Forum

wieauch durch den Beitrag von Herborth mehr Kolleginnen und Kollegen ermutigt füh-len, auch Aufsätze einzureichen, die sich jenseits der traditionellen Verknüpfungtheoretischer Problemstellungen und passender empirischer Beobachtungen mitThemen beschäftigen, die sich eher an den Enden des besagten Spektrums befinden,wir also zukünftig sowohl mehr Beiträge zu aktuellen weltpolitischen Entwick-lungstrends (wie z. B. zum Terrorismus und zu den Konsequenzen globaler Macht-verschiebungen) erhalten wie auch solche, die sich mit eher untypischentheoretischen Problemstellungen befassen.

Eine erfreuliche Entwicklung bahnt sich bei den Tagungsberichten an. Auf unsereBitte, der ZIB solche Berichte zu überlassen,

1

haben die Kolleginnen und Kollegenmit positiver Resonanz reagiert. Auch für dieses Heft konnten wir wieder einenTagungsbericht gewinnen, der neue Entwicklungen in der Forschung über »Auswär-tiges Regieren in den Europäischen Union« thematisiert.

Die Frankfurter Herausgeberschaft ist mit diesem Heft in ihr letztes Jahr eingetre-ten. Eine ehrenhafte Aufgabe steht uns noch bevor, nämlich den zehnjährigenGeburtstag der

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

würdig zu begehen. Diesbleibt dem zweiten Heft dieses Jahrgangs vorbehalten. Bereits in diesem Heftmöchten wir dagegen – wenn auch zum letzten Mal aus Frankfurt – den Kolleginnenund Kollegen danken, die auch im vergangenen Jahr wieder – oder zum ersten Mal –ihre Zeit geopfert haben und der ZIB als Gutachterinnen und Gutachter zur Verfügunggestanden und dadurch mit dazu beigetragen haben, dass die ZIB den in sie gesetztenQualitätsstandards auch weiterhin gerecht wird. In diesem Jahr gilt unser Dank:

1 Vgl. Hellmann, Gunther/Müller, Harald 2003: Editorial, in: Zeitschrift für InternationaleBeziehungen 10: 1, 3-6.

Ralf Bendrath Tanja Brühl Michael BrzoskaMargit Bussmann Sven Chojnacki Christopher DaaseMatthias Dembinski Thomas Diez Nicolai DoseWolf-Dieter Eberwein Matthias Ecker-Ehrhardt Sven GareisThomas Gehring Philipp Genschel Catherine GötzeThorsten Gromes Sebastian Harnisch Michael HenkelKai Hirschmann Tanja Hitzel Katharina HolzingerAnne Huffschmid Rainer Hülsse Markus JachtenfuchsBeate Jahn Martin Kahl Otto KeckMichèle Knodt Joachim Krause Anne-Marie Le GloannecMarika Lerch Susanne Lütz Peter MayerOliver Meier Reinhard Meier-Walser Jürgen NeyerFrank Nullmeier Sebastian Oberthür Peter PawelkaIngo Peters Thomas Plümper Henning RieckeKlaus Roscher Christoph Scherrer Joachim Schild

Gunther Hellmann/Harald Müller

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ZIB 1/2004

Frank Schimmelfennig Stefan Schirm Klaus SchlichtePeter Schlotter Susanne Schmidt Ulrich SchneckenerGerald Schneider Niklas Schörnig Manuela SpindlerWolfgang Sporrer Detlef Sprinz Jens SteffekRainer Tetzlaff Ole Wæver Wolfgang WagnerAntje Wiener Jonas Wolf Reinhard WolfMichael Zürn

7

Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 7-25

Andreas Wimmel

Transnationale Diskurse

Zur Analyse politischer Kommunikation in der europäischen Medienöffentlichkeit

In der Debatte um ein europäisches Demokratie- und Öffentlichkeitsdefizit wird häu-fig bemängelt, dass innerhalb der Europäischen Union keine transnationalen Dis-kurse geführt würden. Zwar informierten die nationalen Medien über europa-politische Entscheidungen, ein vorheriger grenzüberschreitender Meinungsaustauschsei jedoch nicht zu beobachten. In diesem Beitrag wird erstens definiert, was untereinem transnationalen Diskurs in Europa genau zu verstehen ist, zweitens wird einediskursanalytische Methode vorgeschlagen, mit der sich massenmediale Diskurse stu-dieren lassen, während drittens am Fall der öffentlichen Debatte zu einem möglichenEU-Beitritt der Türkei empirische Ergebnisse präsentiert werden. Die allgemeingehaltene These, nach der grundsätzlich keine transnationale Interdiskursivität in dereuropäischen Medienöffentlichkeit zu beobachten ist, muss daher als nicht längerhaltbar zurückgewiesen werden.

1. Einleitung

1

In der politikwissenschaftlichen Europaforschung besteht heute weit reichendeÜbereinstimmung darüber, dass sich die Europäische Union zu einem supranationa-len Herrschaftsverband unter der legislativen Führung des Ministerrates, desEuropäischen Parlaments und der Europäischen Kommission entwickelt hat, in demtatsächlich

regiert

wird, also rechtlich verbindliche Entscheidungen von einerReichweite getroffen werden, die zuvor allein souveränen Nationalstaaten vorbehal-ten waren (Jachtenfuchs 2001). Dieser europäische Einigungsprozess hat faktischdazu geführt, dass eine erhebliche Anzahl politischer Sachentscheidungen, die aufeuropäischer Ebene getroffen werden, unmittelbare Rechtsgültigkeit in den jeweili-gen Mitgliedsstaaten erlangen, ohne einem nationalstaatlichen Entscheidungsver-fahren zu unterliegen. Ein solch epochaler Wandel von Staatlichkeit hin zu einemvielschichtigen Regierungssystem jenseits des Nationalstaates wird aus demokratie-theoretischer Perspektive häufig als problematisch eingeschätzt. Schließlich drohein dieser »postnationalen Konstellation« die akute Gefahr, dass hinter der supranati-

1 Dieser Beitrag ist innerhalb des Forschungsprojekts »Die Transnationalisierung vonÖffentlichkeit und ihre Bedeutung für politische Ordnungen am Beispiel der EU« imRahmen des SFB »Staatlichkeit im Wandel« an der Universität Bremen entstanden. DerAutor dankt dem Projektleiter Bernhard Peters sowie den ProjektmitarbeiterInnenMichael Brüggemann, Katharina Kleinen-v. Königslöw und Stefanie Sifft für intensiveDiskussionen, deren Erträge teilweise in diesen Aufsatz eingeflossen sind. Für hilfreicheKommentare und Anregungen danke ich außerdem Tanjev Schultz, Marianne van deSteeg und den GutachterInnen der ZIB.

Aufsätze

8

onal vollzogenen ökonomischen Integration die nationalstaatlich verfassten demo-kratischen Prozesse hoffnungslos zurückbleiben könnten (Habermas 1998: 135f).

So wird auch in der Literatur zum europäischen Demokratiedefizit heute kaumnoch behauptet, dass sich die Europäische Union allein durch institutionelle Refor-men ausreichend demokratisieren und damit legitimieren lasse. Demokratie setzeauch auf europäischer Ebene die faktische Konstitution eines öffentlichen Medien-und Kommunikationsraums voraus, damit sich die Bürger über politische Vorhabeninformieren können, denn wie sonst sollten sie sich aktiv an politischen Prozessenbeteiligen und zu wohlbegründeten kollektiven Entscheidungen gelangen. Über den»demokratischen Gehalt eines politischen Systems sagt die Existenz gewählter Parla-mente, die heute fast überall gewährleistet ist, weniger aus als die Pluralität, innereRepräsentativität, Freiheitlichkeit und Kompromißfähigkeit des intermediärenBereichs der Parteien, Verbände, Assoziationen, Bürgerbewegungen und Kommuni-kationsmedien. Wo ein Parlament nicht auf einer solchen Struktur aufruht, die dieständige Wechselbeziehung zwischen Volk und Staat sichert, bestehen zwar demo-kratische Formen, doch fehlt ihnen die demokratische Substanz« (Grimm 1995: 588).Die »Vielfalt der Interessen, der Meinungen, der Werthaltungen einer pluralistischenGesellschaft kann sich ausreichend nur über eine solche partizipatorische Infrastruk-tur, nicht in der Wahl der Repräsentativkörperschaften allein zur Geltung bringen;eine Struktur, die sich natürlich nicht unabhängig von den Kommunikationsbedin-gungen herausbilden« (Kielmansegg 1996: 57) könne. Demnach ließe sich das»Demokratiedefizit nur beheben, wenn zugleich eine europäische Öffentlichkeit ent-steht, in die der demokratische Prozess eingebettet ist. In komplexen Gesellschaftenentsteht demokratische Legitimation aus dem Zusammenspiel der institutionalisier-ten Beratungs- und Entscheidungsprozesse mit der informellen, über Massenmedienlaufenden Meinungsbildung in den Arenen der öffentlichen Kommunikation«(Habermas 2001: 119). Die Beantwortung der Frage nach der Performanz einereuropäischen Medienöffentlichkeit erscheint vor diesem Hintergrund als essenziellfür die Beantwortung der Frage nach dem Demokratiegehalt europäischen Regierens.

Tatsächlich kann in modernen Gesellschaften eine europapolitische Meinungs-und Willensbildung, an der Vertreter der Politik, des Rechts, der Wirtschaft, derWissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Medien selbst als aktive Sprecher sowiealle interessierten Bürger zumindest als passive Beobachter teilnehmen können, nurnoch unter massenmedialen Bedingungen funktionieren. Wir wissen heute, dass denMassenmedien die entscheidende Aufgabe zukommt, als letzte Instanzen zwischenden europäischen Machtzentren, in denen kollektiv bindende Entscheidungengetroffen werden, und den Bürgern, die diesen politischen Regelungen anschließendunterworfen sind, zu vermitteln. Die jüngsten »Eurobarometerdaten« zeigen eindeu-tig, dass die europäischen Bürger in erster Linie die Massenmedien nutzen, um sichüber die Europäische Union zu informieren. Dabei gaben 66% der Befragten an, sieinformieren sich über das Fernsehen, 46% nutzen die Tageszeitung als Informati-onsquelle, während 31% auf das Radio zurückgreifen; demgegenüber gaben nur21% der Befragten an, dass sie sich bei Gesprächen mit Verwandten, Freunden undKollegen über die EU informieren würden, während Bücher, Broschüren und Infor-

Andreas Wimmel: Transnationale Diskurse

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ZIB 1/2004

mationsblätter nur noch 9% der Bürger erreichen und sich lediglich 3% auf Treffenund Veranstaltungen informieren (Eurobarometer 2004: 24). Aber auch für die ver-antwortlichen Entscheidungsträger innerhalb der Europäischen Kommission, dieden fortschreitenden Integrationsprozess maßgeblich mitbestimmen, stellen dieMassenmedien eine dankbare Chance dar, um die nationalen Öffentlichkeitsräumeaufmerksam im Blick zu behalten. So verdeutlichen die Interviews von LiesbetHooghe (1999) mit hochrangigen Kommissionsbeamten, dass deren persönlicheAnsichten zur Zukunft des europäischen Integrationsprozesses durch öffentlicheMeinungen über die Europäische Union geprägt wurden, die sie in den nationalenMassenmedien kontinuierlich beobachtet haben. Ihre

Bilder von Europa

sind selbst-redend nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern bis zu einem gewissen Graddurch öffentliche Debatten beeinflusst (Hooghe 1999: 356). Somit lässt sich einer-seits aus den »Eurobarometerdaten« ableiten, dass die europäischen Bürger nichtnur ihre Informationen, sondern zudem ihre Meinungen über die Europäische Unioninsbesondere aus der öffentlichen Medienberichterstattung gewinnen; andererseitsbelegt die Studie von Liesbet Hooghe (1999), dass auch die Kommissionsbeamtenvor allem die nationalen Massenmedien nutzen, um sich ein Bild der öffentlichenMeinung über die Europäische Union zu verschaffen.

Die Leistung einer europäischen Medienöffentlichkeit müsste dann in der auf-merksamen Beobachtung und wechselseitigen Integration europapolitischer Dis-kurse bestehen, die in den politischen Institutionen und in den jeweiligenÖffentlichkeitsarenen der Mitgliedsstaaten geführt werden, um diese anschließendgebündelt an die national organisierten Mediensysteme zurückzukoppeln. Eineeuropäische Medienöffentlichkeit könnte demnach nur entstehen, wenn »sich dieintakt bleibenden Kommunikationskreisläufe der nationalen Arenen

füreinander

öffnen« und »so miteinander verschränken, dass die relevanten Beiträge osmotischaus den jeweils anderen Arenen aufgesogen« (Habermas 2001: 120, Hervorh. dort)würden. Massenmediale Öffentlichkeiten funktionierten dann als allgemein zugäng-liche Foren, in denen die europäischen Bürger, die politischen Akteure und diebeteiligten Journalisten den sie betreffenden oder den von ihnen selbst geführtenDiskurs kritisch beobachten könnten. Ob aber innerhalb der Europäischen Unionüber gesamteuropäische Angelegenheiten politische Diskurse geführt werden unddiese in der medialen Wirklichkeit beobachtbar sind, wird in der Literatur starkangezweifelt. Aus dem Fehlen eines europäischen Kommunikationssystems würdezwangsläufig folgen, dass »es auf längere Sicht weder eine europäische Öffentlich-keit noch einen europäischen politischen Diskurs geben« (Grimm 1995: 589) könne,da die notwendige Infrastruktur zur »öffentlichen Meinungs- und Willensbildungeinstweilen nur innerhalb der Nationalstaaten« bestünde (Habermas 2001: 120). Ein»europäischer Diskurs, getragen von europäischen Medien, geführt vor einem undmit einem europäischen Publikum – das mag eine Vision sein« (Kielmansegg 1996:57), die jedoch nicht der sozialen Wirklichkeit entspreche. Diese ersten Vermutun-gen zur Nichtexistenz einer europaweiten Diskursöffentlichkeit ebnen zweifellosinnovativen Forschungsfragen den Weg, die von der empirischen Medieninhaltsfor-schung jedoch noch nicht angemessen aufgegriffen worden sind.

Aufsätze

10

In diesem Beitrag wird zunächst argumentiert, dass ein wesentliches Merkmaleiner europäischen Diskursöffentlichkeit ihre transnationale Reichweite ist. Nurwenn ein grenzüberschreitender Meinungsaustausch in den massenmedialen Öffent-lichkeiten der EU-Mitgliedsstaaten zu beobachten ist, lässt sich sinnvoll von einem

europäischen politischen Diskurs

sprechen. Danach wird eine diskursanalytischeMethode vorgeschlagen, mit der sich die Interaktionsstrukturen öffentlicher Debat-ten in nationalen Massenmedien empirisch untersuchen lassen. Schließlich wird amFall der öffentlichen Debatte zu einem eventuellen EU-Beitritt der Türkei, die indeutschen, französischen und britischen Qualitätszeitungen lebhaft referiert undgeführt wurde, zu zeigen sein, ob und inwieweit wir hier auf einen transnationalenDiskurs verweisen können, der die zuvor entwickelten Kriterien erfüllt. Im Fazitwerden die wichtigsten Ergebnisse in fünf Thesen zusammengefasst.

2. Woran erkennt man transnationale Diskurse in der europäischen Medienöffentlichkeit?

In der vorliegenden Literatur zum Thema »Europäische Öffentlichkeit« wird bereitsseit einiger Zeit nach einem normativ angemessenen Verständnis

europäischer poli-tischer Diskurse

in der massenmedialen Öffentlichkeit gesucht, das die empirischeMedieninhaltsforschung als Operationalisierung verwenden könnte. Dabei wurderecht bald die ursprüngliche Idee verworfen, dass eine diskursive Öffentlichkeit aufgesamteuropäischer Kommunikationsebene

zwangsläufig

eine gemeinsame Spracheund ein einheitliches europäisches Mediensystem voraussetzen würde. Stattdessenwird heute aus guten Gründen vielfach davon ausgegangen, dass auch die etablier-ten, national organisierten Massenmedien als ein nahezu gleichwertiges Äquivalentdienen

könnten

. Nicht eine »länderübergreifende europäische Öffentlichkeit« solltedas kurzfristige Ziel sein, sondern »die Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten«(Gerhards 2000: 288), schließlich würde niemand behaupten wollen, es liege per seein nationales Öffentlichkeitsdefizit vor, nur weil die Bürger viele verschiedeneInformationsmedien nutzen und nicht alle die gleiche überregionale Tageszeitunglesen. Im Gegenteil: Gerade eine vielfältige Medienkultur ist eines der wichtigstenQualitätsmerkmale demokratischer Öffentlichkeit, die auch auf europäischer Ebenezu erhalten wäre. Nahezu unbestritten ist aber eben auch, dass sich die nationalenMassenmedien im Zeitalter europäischer Integrationsentwicklungen in einem ande-ren Licht zeigen sollten, denn tatsächlich darf ein »europäisiertes Kommunikations-system […] nicht mit vermehrter Berichterstattung über europäische Themen in dennationalen Medien verwechselt werden« (Grimm 1995: 588).

An welchen Merkmalen sich aber

europäische politische Diskurse

in den nationa-len Massenmedien erkennen lassen, ist bis heute nicht sehr klar und überzeugendbestimmt worden. Klaus Eder und Cathleen Kantner sprechen bereits dann von »dis-kursiven Interaktionen in der europäischen Öffentlichkeit«, wenn in den »nationalenMedien zur gleichen Zeit die gleichen Themen unter den gleichen Relevanzgesichts-punkten diskutiert« (Eder/Kantner 2002: 81) würden. Demnach sei »die

thematischeVerschränkung

zwischen den verschiedenen medialen Arenen […] der beste Indika-

Andreas Wimmel: Transnationale Diskurse

11

ZIB 1/2004

tor für

Interdiskursivität

« und damit »ein Kriterium für das Bestehen politischerKommunikation« (Eder/Kantner 2002: 84, Hervorh. dort) in Europa. Christiane Eil-ders und Katrin Voltmer gehen davon aus, dass »sich zumindest Ansätze eines euro-päischen Diskurses feststellen« ließen, wenn in den Kommentierungen meinungs-führender Tageszeitungen »europäische Themen und europäische Akteure«(Eilders/Voltmer 2003: 251) in den Mittelpunkt gestellt würden. Ein ausreichenderBeitrag der Printmedien zur Entwicklung einer europäischen Diskursöffentlichkeitbestünde »folglich in einer Inklusion europäischer Themen und Akteure« (Eilders/Voltmer 2003: 255) in die meinungsorientierten Darstellungsformen überregionalverbreiteter Tageszeitungen. Marianne van de Steeg vertritt die Ansicht, dass einsinnvoller Begriff von »diskursiven Interaktionen« in der europäischen Öffentlich-keit »durch den Nachweis tatsächlicher Austauschbeziehungen zwischen den Dis-kursarenen abgesichert werden« (van de Steeg 2003: 181) müsse. Diese diskursivenInteraktionen seien dann zu beobachten, wenn ein Gastautor aus einem anderenLand in den nationalen Medien publizierte, Beiträge aus den Zeitungen anderer Län-der als Nachdruck erschienen und ausländische Akteure in den Artikeln erwähntoder zitiert würden (van de Steeg 2003: 181).

In all diesen Begriffsbestimmungen wird übersehen, dass das wesentliche Merk-mal einer europäischen Diskursöffentlichkeit ihre transnationale Reichweite seinmuss (Peters 1999: 665f). Die Rede von einem

europäischen

Diskurs setzt bereitsein gewisses Maß an

Transnationalität

zwingend voraus. Rein analytisch bestehenin der horizontalen Dimension nur zwei Möglichkeiten, wie in Europa diskutiertwerden kann: Wenn mehrere Akteure aus dem gleichen Land über ein europapoliti-sches Thema diskutieren, sprechen wir von einem nationalen Diskurs, schließlichbewegt sich die diskursive Kommunikation vollständig im nationalen Raum; wennhingegen mehrere Akteure aus verschiedenen Ländern gemeinsam über ein europa-politisches Thema diskutieren, sprechen wir von einem transnationalen Diskurs,schließlich passiert die diskursive Kommunikation nationale Grenzen. Eine

transna-tionale Diskursgemeinschaft

würde also schon terminologisch voraussetzen, dassderjenige Diskursteilnehmer, der in seiner Meinungsäußerung auf einen anderenSprecher Bezug nimmt, einem anderen Land zugeordnet werden kann und somit eingrenzüberschreitender Kommunikationsfluss konstituiert wird. Transnationale Dis-kurse könnten demnach nur dann von Akteuren geführt werden, wenn diese erstenszu einem bestimmten Thema selbst eine Meinung formulieren und dabei zweitensauf die Meinung eines Sprecher, der einem anderen Land zugeordnet werden kann,direkt Bezug nehmen. Notwendig wäre also beispielsweise die Bezugnahme einesfranzösischen Journalisten auf die Meinung eines deutschen Politikers, oder die kri-tische Reaktion des britischen Regierungschefs auf die Meinung deutscher Interes-sengruppen.

Aufsätze

12

Abbildung 1 stellt den strukturellen Unterschied zwischen nationalen und transna-tionalen Diskursen grafisch dar. Die Kreise bezeichnen die jeweiligen nationalenÖffentlichkeitsräume, in denen verschiedene Diskursteilnehmer (DT) in der Regelmedienvermittelt ein europapolitisches Thema diskutieren. Die Pfeile markieren diediskursiven Bezugnahmen, die die beteiligten Sprecher an andere Diskursteilnehmerrichten. In nationalen Diskursen bleiben die jeweiligen Öffentlichkeitsräumeundurchlässig, diskursive Bezugnahmen beschränken sich auf andere nationaleSprecher. Diskursive Interaktionen zwischen zwei oder mehr Sprechern, die sichverschiedenen nationalen Öffentlichkeitsarenen zuordnen lassen, finden nicht statt,so dass nicht sinnvoll von einem transnationalen Diskurs gesprochen werden kann.In transnationalen Diskursen hingegen öffnen sich die jeweiligen Öffentlichkeits-räume einseitig oder wechselseitig, die rein nationalen Bezugnahmen werden durchgrenzüberschreitende Referenzen ersetzt oder zumindest ergänzt. Nur durch solcheInteraktionsstrukturen konstituieren sich transnationale Diskurse in der massenme-dialen Öffentlichkeit, jedoch kann dieses wichtige Merkmal von den oben darge-stellten Begrifflichkeiten nicht hinreichend eingelöst werden.

Aus einer nahezu deckungsgleichen Konvergenz der medialen Agenden in mehre-ren Mitgliedsstaaten folgt noch nicht zwangsläufig ein transnationaler Diskurs zwi-schen den nationalen Öffentlichkeitsarenen, wie Klaus Eder und Cathleen Kantner(2002) offensichtlich annehmen, denn natürlich ist es aus diskurstheoretischer Pers-pektive ein erheblicher Unterschied, ob zur gleichen Zeit in mehreren Mitgliedslän-dern

unabhängig voneinander

über dieselben Themen debattiert wird, oder obverschiedene Akteure aus unterschiedlichen Mitgliedsländern

miteinander

über einThema

transnational

diskutieren und

wechselseitig

Argumente austauschen. Auchdie Idee von Christiane Eilders und Katrin Voltmer (2003) kann vor diesem Hinter-grund nicht ganz überzeugen, schließlich folgt aus der Kommentierung zu europa-politischen Themen noch nicht unbedingt eine diskursive Kommunikation zwischenmindestens zwei Akteuren, die verschiedenen nationalen Öffentlichkeitsräumenzugeordnet werden können. Eine öffentliche Diskussion im Sinne eines Meinungs-

austausches

zwischen mehreren Sprechern ist grundsätzlich etwas anderes als eineöffentlich artikulierte Meinungsbekundung zu einem europapolitischen Thema, bei

Andreas Wimmel: Transnationale Diskurse

13

ZIB 1/2004

der zuvor geäußerte Einwände anderer Sprecher nicht berücksichtigt werden. Mari-anne van de Steeg (2003) wird es ebenfalls nicht gelingen, transnationale Diskurseso zu analysieren, wie sie anzunehmen scheint, denn selbst wenn sich ihre Indikato-ren während der empirischen Arbeit tatsächlich nachweisen ließen, könnte sie damitnichts über die eventuelle Existenz diskursiver Austauschprozesse sagen. Schließ-lich muss ein Gastautor nicht unbedingt auf ausländische Sprecher diskursiv Bezugnehmen, er muss nicht einmal notwendigerweise auf irgendjemanden Bezug neh-men. Auch ausländische Akteure, die im Artikel erwähnt werden, sind keine ausrei-chende Bedingung für diskursive Interaktionen: Beispielsweise könnte es sich dabeium eine neutral verfasste Nachricht handeln, in der der Journalist nicht selbst auf diezitierten Meinungen reagiert und auch die in dem Artikel zitierten Sprecher nicht aufdie Meinungen ausländischer Sprecher direkt Bezug genommen haben.

Zweifellos werden mit all diesen Begrifflichkeiten bestimmte Dimensionen einerEuropäisierung nationaler Medienöffentlichkeiten eingefordert, denen grundsätzlichein diskursives Öffentlichkeitsverständnis vorausgeht und die somit das potenzielleLeistungsvermögen eines massenmedialen Kommunikationsraums nicht allein aufneutrale Informationsübermittlungen beschränkt sehen wollen. Das hier favorisierteModell sollte demnach nicht als Alternative, sondern als Ergänzung eines bis datonur unpräzise definierten, aber oftmals eingeforderten Merkmals einer europäischenMedienöffentlichkeit verstanden werden. So konnte verdeutlicht werden, dass inden anderen diskurstheoretischen Ansätzen das wichtige Moment

transnationalerInteraktionen

, das nach unserem Verständnis schon rein analytisch eine notwendigeBedingung für die Konstitution einer europäischen Diskursöffentlichkeit darstellt,nur unzureichend berücksichtigt wird. Im folgenden Abschnitt wird nun ausgehendvon dem hier angelegten interaktiven Diskursbegriff eine inhaltsanalytischeMethode vorgeschlagen, mit der sich massenmedial geführte Debatten empirischuntersuchen lassen.

3. Wie analysiert man transnationale Diskurse in der europäischen Medienöffentlichkeit?

Die methodische Fachliteratur zu »Diskursanalysen« setzt sich aus einer vielschich-tigen Gemengelage linguistischer, rhetorischer und kritischer Ansätze zusammen,ohne dass diese Differenzierungen als besonders trennscharf zu bezeichnen wären(Fairclough 2003: 121f). Noch unübersichtlicher wird das Feld, wenn öffentlicheDiskurse in der massenmedialen Wirklichkeit mit statistischen Analysemethodenbearbeitet werden sollen, insbesondere wenn dabei die argumentative Qualität poli-tischer Beratungsprozesse in den Mittelpunkt gerückt wird (Steenbergen et al. 2003:27f). Praktische Methoden zu international vergleichenden Diskursanalysen fehlenbislang noch völlig, abgesehen von der komparativen Studie zur öffentlichenAbtreibungsdebatte in Deutschland und in den USA, mit der Myra Marx Ferree,William A. Gamson und Jürgen Gerhards (2002: 45f) wegweisende Pionierarbeitgeleistet haben. Die Existenz dieser heterogenen Ansätze wird meist daraufzurückgeführt, dass die untersuchungsleitenden Fragestellungen, die mit Diskurs-

Aufsätze

14

analysen verbunden werden, sehr vielfältig sein können, so dass zunächst die geeig-nete Methode für das übergeordnete Erkenntnisziel gefunden werden muss.Einerseits führt diese Situation zu zahlreichen Problemen, weil kaum auf etablierteund damit verlässliche Standards zurückgegriffen werden kann, andererseits bietetsich erst so die reelle Chance, durch die Suche nach neuen methodischen Wegeninnovativen Forschungsinteressen nachzugehen und diese schließlich empirischumzusetzen.

Wir wollten wissen, ob im europäischen Mediensystem wirklich »die politischenDiskurse fehlen« (Scharpf 1999: 674), die gerade aus demokratietheoretischer Pers-pektive wünschenswert wären. Jedoch interessierte uns weniger eine eventuelleKongruenz themenspezifischer Diskurs

inhalte

, die Reiner Grundmann, DennisSmith und Sue Wright (2000) schon einmal am Beispiel der öffentlichen Debattezum Kosovokrieg untersucht haben, sondern vielmehr die zugrunde liegenden Dis-kurs

strukturen

, die sich per se auch unabhängig von einzelnen politischen Entschei-dungsgegenständen analysieren ließen. Wir beschränkten uns demnach zunächst aufdie quantitative Durchführung einer interaktiven Strukturanalyse transnationalerDiskurse, die zwar öffentlich publizierte Meinungsbeiträge in ihren Fokus rückt,aber von der qualitativen Bewertung der vorgebrachten Argumente bewusst absieht.Dieser erste Schritt geht in gewisser Weise einer stärker hermeneutischen Inhalts-analyse voraus, denn erst wenn es tatsächlich einen grenzüberschreitenden Mei-nungsaustausch gibt, lassen sich normative Qualitätsstandards an den praktischenDiskurs anlegen. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass somit aus den empiri-schen Ergebnissen zuverlässige Aussagen nur zu einem bestimmten, aus unsererPerspektive jedoch wichtigen Diskursmerkmal abgeleitet werden können, nämlichzur nationalen oder eben transnationalen

Interaktionsstruktur

öffentlicher Debatten.Diese Einschränkung hat zweifellos Konsequenzen für die Prüfung der These, nachder es der europäischen Medienöffentlichkeit an transnationalen Diskursen mangelt,denn natürlich ist das Diskurspotenzial einer europäischen Öffentlichkeit sehr starkvon dem zugrunde gelegten Diskursbegriff abhängig.

Eben wurde begrifflich festgelegt, dass transnationale Diskurse nur dann vonAkteuren geführt werden, wenn diese erstens zu einem bestimmten Thema selbsteine Meinung formulieren und dabei zweitens auf einen Sprecher, der einem ande-ren Land zugeordnet werden kann, diskursiv Bezug nehmen. Entscheidend sinddemnach erstens die Darstellungsformen, in denen Europapolitik medial übermitteltwird (Semetko/Valkenburg 2000: 97f). Sprecher, die in den Massenmedien eineneigenen Beitrag veröffentlichen, können sich einerseits auf die neutrale Übermitt-lung von Aussagen, Positionen und Meinungen anderer Akteure beschränken, ohnedabei eine eigene Meinung zu formulieren. Dahinter verbirgt sich die klassischeNachricht, der Bericht oder die Dokumentation, in denen die Äußerungen andererAkteure lediglich referiert werden. Andererseits können Sprecher zu diesen Aussa-gen, Positionen und Meinungen selbst Stellung beziehen, indem sie diese bewerten,kritisieren, problematisieren, befürworten, unterstützen oder interpretieren und soeine eigene Meinung entwickeln. Nur diese Darstellungsformen sind für transnatio-nale Diskursanalysen relevant. Klassischerweise finden wir öffentliche Meinungs-

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äußerungen in Leitartikeln, Kommentaren oder Essays, jedoch halten sich in dermassenmedialen Wirklichkeit nicht alle Sprecher an die strikte Trennung von Nach-richt und Meinung, so wie sie idealtypisch nahe gelegt wird. Auch einer stärkerquantitativen Strukturanalyse transnationaler Diskurse muss also stets ein herme-neutisches Textverstehen vorausgehen, mit dem aus dem gesamten Sample diejeni-gen Beiträge ausgeschlossen werden, in denen der Autor selbst keine eigeneMeinung formuliert, sondern lediglich neutral gehaltene Informationsübermittlungbetreibt. Diese zentrale Unterscheidung lässt sich oftmals nicht an einem einzigenSatz festmachen, sondern ist nur durch die sorgfältige Lektüre des gesamten Bei-trags zu erkennen.

Nun kommen in den Massenmedien nicht nur diejenigen Sprecher zu Wort, die alsAutoren selbst einen eigenen Beitrag publiziert haben, also in der Regel die Journa-listen. Viele andere Sprecher wie insbesondere die politischen Akteure nehmen anöffentlichen Debatten auf Umwegen teil, indem über ihre Meinungen ausführlichberichtet wird. Sie äußern sich in deutschen, französischen und britischen Zeitungenrelativ selten in der Form eines selbst verfassten Meinungsbeitrags, sondern positio-nieren sich auf Pressekonferenzen, in Regierungserklärungen oder Interviews. Sol-che Meinungsäußerungen werden dann ihrem Nachrichtenwert gemäß ausgewählt,journalistisch aufgearbeitet und dem Publikum in direkten oder indirekten Zitatenvermittelt. Diese fragmentierten Wiedergaben von kurz gehaltenen Meinungsäuße-rungen über längere Zeiträume stellen Diskursanalysen vor methodische Probleme,da nicht wie bei Leitartikeln oder Essays auf einen in sich abgeschlossenen Mei-nungsbeitrag zurückgegriffen werden kann. Nichtsdestotrotz sind natürlich geradedie verantwortlichen nationalen und supranationalen Politiker wichtige Diskursteil-nehmer, die in jeder Strukturanalyse transnationaler Diskurse berücksichtigt werdensollten. Folglich müssen die öffentlichen Stellungnahmen derjenigen Sprecher, diesich nicht in Form eines eigenen Beitrags geäußert haben, aus den relevanten Nach-richten herausgefiltert, wie bei einem Puzzlespiel zusammengefügt und unter demNamen des jeweiligen Sprechers in Textverarbeitungsprogrammen katalogisiertwerden (Fielding/Lee 1998). Wieder sollten nur diejenigen Sprecher tatsächlich Ein-gang in das letztendliche Sample finden, die öffentlich ihre Meinung preisgegebenhaben, anstatt lediglich über einen politischen Sachverhalt wertneutral zu informie-ren. So entstehen

konstruierte

Meinungsbeiträge, die sich nun ebenso wie die sonsti-gen Meinungsäußerungen, die Leitartikeln, Kommentaren und Essays zu entnehmensind, inhaltlich nach diskursiven Bezugnahmen untersuchen lassen. Dabei sollte auf-merksam berücksichtigt werden, dass in verschiedenen Medien derselbe Sprecherauf die gleiche Meinungsäußerung eines anderen Diskursteilnehmers mehrmalsBezug nehmen könnte, aber diese Bezugnahme natürlich nur einmal zu codieren ist.

Die zweite wichtige Unterscheidung bei der Strukturanalyse transnationaler Dis-kurse betrifft das Verständnis diskursiver und nicht diskursiver Bezugnahmen inöffentlichen Meinungsäußerungen: Nicht alle Erwähnungen anderer Akteure solltenals diskursive Bezugnahmen bezeichnet werden, sondern nur die eindeutigen Refe-renzen auf andere Diskursteilnehmer, die bereits ihre Meinung zu dem gleichenThema mitgeteilt haben. Schließlich könnte es passieren, dass der Autor eines län-

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geren Essays lediglich andere Sprecher erwähnt, die sich zu dem umstrittenenThema geäußert haben, ohne dass er sich bemüht, selbst auf deren Positionen zu rea-gieren. Diskursive Bezugnahmen liegen nur dann vor, wenn der Sprecher in seinemMeinungsbeitrag zunächst die Position eines anderen Diskursteilnehmers referiertund direkt anschließend oder im weiteren Verlauf auf diese Meinung selbst befür-wortend, ablehnend oder abwägend Bezug nimmt. Die rein formale Suche nachanderen Akteuren, die in einer Meinungsäußerung erwähnt werden, reicht nicht aus,entscheidend ist vielmehr die erkennbare Berücksichtigung der referierten Positionbei der eigenen Meinungsbildung.

4. Inwieweit gibt es transnationale Diskurse in der europäischen Medienöffentlichkeit?

Ob und inwieweit tatsächlich in der europäischen Medienöffentlichkeit transnatio-nal diskutiert wird, haben wir am Beispiel der öffentlichen Debatte um den eventu-ellen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union untersucht, die hauptsächlich imVorfeld der Kopenhagener Regierungskonferenz am 14. Dezember 2002 in mehre-ren EU-Mitgliedsländern kontrovers geführt wurde. Auf dieser Konferenz sollte ver-bindlich entschieden werden, ob und ggf. wann mit der Türkei, die bereits mehrfachgroßes Interesse an einer baldigen EU-Mitgliedschaft bekundet hatte, erste Beitritts-verhandlungen zu führen seien. Gerade eine so folgenreiche Entscheidung solltenicht hinter verschlossenen Türen in den europäischen Institutionen verhandelt, son-dern zuvor allen Europäern öffentlich zur Diskussion gestellt werden, da sie diezukünftige Verfassung der Europäischen Union grundlegend verändern könnte. Seitdem Ratsgipfel von Helsinki, der schon 1999 stattgefunden hat, besitzt die Türkeiden Status eines Beitrittskandidaten, mit dem ihr eine Vollmitgliedschaft wenigstensin Aussicht gestellt wurde. Nichtsdestotrotz drehte sich die Debatte auch Ende 2002noch um die grundsätzliche Frage, ob die Türkei als ein islamisch geprägtes Land,das bis an den Irak und Syrien grenzt, jemals vollwertiges EU-Mitglied werdensollte, selbst wenn es die notwendigen Beitrittskriterien erfüllen würde. Umstrittenwaren dabei einmal mehr nicht allein die territorialen Grenzen, sondern die kultu-relle und religiöse Identität Europas, die sich durch eine türkische EU-Mitglied-schaft nachhaltig verändern könnte. Schließlich verständigten sich die Staats- undRegierungschefs im Europäischen Rat auf den deutsch-französischen Vorschlag, derTürkei ein weiteres Datum in Aussicht zu stellen, an dem unter Berücksichtigungder bis dahin vollzogenen Reformfortschritte endgültig entschieden werde, ob undggf. wann die Europäische Kommission mit der türkischen Regierung zumindestBeitrittsverhandlungen aufnehmen soll. Die »unendliche Geschichte« (Müftüler-Bac 1998) der türkischen Annäherung an die Europäische Union wurde damit bismindestens Ende 2004 fortgesetzt.

In der Studie wurden mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien drei derpolitisch, wirtschaftlich und kulturell einflussreichsten EU-Mitgliedsländer als Fälleherangezogen, in denen sich zahlreiche Sprecher aus Politik, Recht, Wirtschaft,Wissenschaft und Zivilgesellschaft aktiv an der Türkeidebatte beteiligt haben. Diese

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drei Länder bestimmen wie keine anderen den Prozess der europäischen Integration,geben gerade in allen Verfassungs- und Erweiterungsfragen den Kurs vor und arbei-ten in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgabenbereichen traditionelleng zusammen. Gemäß der Studie von Denis Wu (2000), der mögliche Einflussfak-toren auf die jeweilige Intensität der Auslandsberichterstattung in nationalen Mas-senmedien statistisch getestet hat, besteht ein positiver Zusammenhang zwischender territorialen Größe, der geringen räumlichen Distanz, dem exportorientiertenHandelsvolumen und dem kulturellen Einfluss eines Landes einerseits sowie derquantitativen Nachrichtenlage über dieses Land andererseits (Wu 2000: 121f), sodass mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien drei Fälle ausgewählt wurden,zwischen denen die potenziellen Konstitutionsbedingungen für transnationale Dis-kurse vergleichsweise günstig ausfallen dürften, weil ein grenzüberschreitenderMeinungsaustausch gute Informationen über aktuelle Ereignisse und Debatten inanderen Ländern voraussetzt. Für diese Länder wurden je zwei überregionale Quali-tätszeitungen als Untersuchungsmaterialien ausgewählt, nämlich die

FrankfurterAllgemeine Zeitung

und die

Süddeutsche Zeitung

für Deutschland,

Le Monde

und

LeFigaro

für Frankreich, sowie

The Guardian

und

Financial Times London

für Groß-britannien. Bisherige quantitative Inhaltsanalysen haben gezeigt, dass diese Zeitun-gen im direkten Vergleich mit anderen Printmedien relativ ausführlich übereuropapolitische Themen berichten, einen großen Raum für meinungsorientierteBeiträge bereitstellen und von ausländischen Redaktionen regelmäßig beobachtetwerden (Kevin 2003: 53f), so dass wir gerade hier mit einiger Zuversicht nach trans-nationalen Diskursen suchen können. Alle Ausgaben dieser sechs Zeitungen, die imZeitraum vom 1. November 2002 bis zum 31. Dezember 2002 erschienen sind, wur-den mit den Online-Datenbanken

Factiva

und

LexisNexis

(Suchbegriffe:

Türkei

und/oder Europäische Union, EU in der jeweiligen Landessprache) komplett erhoben.Diese zwei Monate reichen aus, um eine relativ abgeschlossene Phase dieser öffent-lichen Debatte vollständig einzufangen, da in den jeweils zwei Monaten davor unddanach in diesen Zeitungen keine weiteren Meinungsbeiträge zum Thema veröffent-licht wurden. Aus diesem Textsample, das alle Artikel umfasst, in denen ein eventu-eller Beitritt der Türkei zur EU thematisiert wird, sind nun alle deutschen,französischen und britischen Diskursteilnehmer sowie alle EU-Akteure ermitteltworden, die in diesen Zeitungen öffentlich ihre Meinung zu der umstrittenen Fragepreisgegeben haben, ob, wann oder unter welchen Bedingungen die Türkei ein Mit-gliedsstaat der Europäischen Union werden sollte. Leserbriefe wurden nicht berück-sichtigt. Die Codierarbeit wurde vom Autor allein durchgeführt. Auf Basis einerZufallsstichprobe wurde die Zuverlässigkeit des Codebooks durch eine weitereinhaltsanalytisch geschulte Person überprüft. Zur Bestimmung der Reliabilitätwurde Cohens kappa für alle Variablen einzeln errechnet. Die erreichten Werte sinddurchgängig sehr hoch und schwanken für die Bestimmung der Sprecher lediglichzwischen 1,00 (Herkunft) und 0,95 (Typ) sowie für die Bezugnahmen zwischen0,88 (Herkunft) und 0,95 (Typ).

Nach dem ersten Auswahlverfahren, bei dem zunächst alle Akteure bestimmtwurden, die mit einer eigenen Meinung zur Türkeidebatte beigetragen haben, hat

Aufsätze

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sich ein Sprecherensemble ergeben, das 36 deutsche Sprecher, 37 französische, 26britische und 15 von der EU als Diskursteilnehmer umfasst. Von diesen insgesamt114 Sprechern haben immerhin 109 mindestens einmal auf einen anderen Diskurs-teilnehmer diskursiv Bezug genommen, während nur fünf eine eigene Position ver-treten haben, ohne einen anderen Sprecher in ihrem Meinungsbeitrag diskursiv zuberücksichtigen. Insgesamt konnten 290 diskursive Bezugnahmen codiert werden.Durchschnittlich haben die Diskursteilnehmer auf 2,7 andere Diskursteilnehmer dis-kursiv Bezug genommen. Trotz der relativ kleinen Fallzahlen belegen diese Datenschon sehr deutlich, dass während der Türkeidebatte nicht bloß öffentliche Mei-nungsbildung zu beobachten war, sondern sich eine breite Diskussion eingestellthat. Noch einmal sei unterstrichen: Der Studie liegt eine lückenlose Vollerhebungaller sechs Zeitungen innerhalb des zweimonatigen Untersuchungszeitraums (insge-samt circa 300 komplette Ausgaben) zugrunde, so dass sich die Ergebnisse nicht aufeine repräsentative Stichprobe stützen, sondern alle Sprecher ins Sample eingegan-gen sind, die in diesen Zeitungen selbst einen Meinungsbeitrag platzieren konntenoder über deren Meinungsäußerungen neutral berichtet wurde.

Nationale, transnationale und supranationale Bezugnahmen

Tabelle 1 zeigt, inwieweit die verschiedenen deutschen, französischen und britischenSprecher sowie die EU-Akteure national, transnational oder supranational diskutierthaben. Nationale Bezugnahmen wurden codiert, wenn der Diskursteilnehmer, aufden diskursiv Bezug genommen wird, dem gleichen Land zugeordnet werden konntewie der Sprecher selbst. Transnationale Bezugnahmen wurden codiert, wenn der Dis-kursteilnehmer, auf den diskursiv Bezug genommen wird, einem anderen Land zuge-ordnet werden konnte als der Sprecher selbst. Ausschlaggebend war hier nicht derjeweilige Geburtsort, sondern der längerfristige Lebens- und Arbeitsmittelpunkt desSprechers. Eine türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin, die zwar in der Türkeigeboren, aber in Deutschland aufgewachsen ist und heute an einer deutschen Hoch-schule lehrt, würde somit als deutsche Diskursteilnehmerin codiert. SupranationaleBezugnahmen wurden codiert, wenn der Diskursteilnehmer, auf den diskursiv Bezuggenommen wird, zum Zeitpunkt der Bezugnahme einer EU-Institution zugeordnetwerden konnte. Eine gesonderte Codierregel gilt für die EU-Sprecher: Hier meintnationaler Bezug die diskursive Referenz auf einen Diskursteilnehmer, der dem Hei-matland des EU-Sprechers zugeordnet werden kann; transnationaler Bezug meint diediskursive Referenz auf einen Diskursteilnehmer, der nicht dem Heimatland des EU-Sprechers zugeordnet werden kann; und supranationaler Bezug meint die diskursiveReferenz auf einen anderen EU-Sprecher.

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In den Meinungsbeiträgen der 35 deutschen Sprecher, die sich an dem öffentlichenDiskurs beteiligt haben, konnten insgesamt 101 diskursive Bezugnahmen codiertwerden (durchschnittlich 2,9 Bezugnahmen pro Sprecher). Die gleiche Anzahl errei-chen die 34 französischen Sprecher (im Durchschnitt 3,0), während die 25 britischenSprecher auf 60 diskursive Bezüge kommen (im Durchschnitt 2,4). Die 15 EU-Spre-cher erreichen nur 28 diskursive Bezugnahmen (durchschnittlich 1,9), wobei dieserniedrige Wert allein darauf zurückzuführen ist, dass sich unter den EU-Sprechernkeine Journalisten befinden, auf die in Deutschland, Frankreich und Großbritannienjeweils mehr als 50% der Bezugnahmen entfallen. Tatsächlich haben die 45 Journa-listen 155 diskursive Bezüge zu verzeichnen (im Durchschnitt 3,4), während die Wis-senschaftler (2,4) und die Politiker (2,0) insgesamt deutlich geringere Werteerreichen. Trotzdem verdeutlichen diese Zahlen, dass sich die diskursiven Interakti-onsstrukturen in den drei Ländern und vor allem in Deutschland und Frankreich nichtsehr stark unterscheiden. Obwohl sich etwas weniger britische Sprecher an derDebatte beteiligten, wurde durchschnittlich in allen drei Ländern ähnlich oft diskur-siv Bezug genommen. Augenscheinlich ist jedoch, dass sich in Frankreich deutlichmehr Wissenschaftler zu Wort gemeldet haben als in Deutschland und insbesonderein Großbritannien, wo zahlreiche Kolumnisten, die als Journalisten codiert wurden,den öffentlichen Diskurs dominiert haben.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn die Trans- und Supranationalitätder diskursiven Bezugnahmen in den Blick genommen wird. Deutschland zeichnetsich zumindest in der Türkeidebatte durch eine eher national ausgerichtete Diskursöf-fentlichkeit aus, immerhin entfielen 52,5% der diskursiven Bezugnahmen von deut-schen Sprechern auf nationale Diskursteilnehmer, nur 30,7% auf ausländischeDiskursteilnehmer und 16,8% auf supranationale Diskursteilnehmer. In Frankreichhingegen stehen 35,6% nationalen Referenzen schon 40,6% transnationale Bezügegegenüber, während auch die supranationalen Bezüge mit 23,8% einen vergleichs-weise hohen Wert erreichen. Großbritannien unterscheidet sich gravierend von denbeiden anderen Ländern: Nur 8,3% der diskursiven Bezugnahmen entfielen auf natio-

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nale Sprecher, erstaunliche 68,3% auf ausländische Sprecher und 23,3% auf EU-Sprecher. Dabei sind zwei Aspekte besonders bemerkenswert, nämlich die insgesamthohe Prozentzahl an supranationalen Bezügen, obwohl nur 15 EU-Sprecher beteiligtwaren, und der quasi nicht geführte nationale Diskurs in Großbritannien, obwohl sichebenso wie in den anderen Ländern zahlreiche Journalisten an der öffentlichenDebatte beteiligten, die auf die Meinungen der nationalen Regierungs- und Oppositi-onspolitiker hätten eingehen können. Das erste Puzzle ist recht leicht aufzulösen,denn 47 der 68 supranationalen Referenzen entfielen auf den Präsidenten des EU-Verfassungskonvents Valéry Giscard d´Estaing. Er hatte mit seinen extrem polarisie-renden Aussagen, dass die Türkei kein europäisches Land sei und ihre Aufnahme dasEnde der Europäischen Union bedeuten würde, die öffentliche Debatte erst ausgelöstund war bis zuletzt im Fokus der anderen Diskursteilnehmer. Eine vergleichbar hoheAnzahl supranationaler Bezüge ist sicher in anderen Fällen nur dann zu erwarten,wenn ein ebenso gewichtiger EU-Akteur öffentlich eine so kontroverse Ansichtpreisgibt. Das zweite Puzzle ist ebenfalls gut zu erklären, denn im direkten Gegensatzzu Deutschland und Frankreich, in denen die Türkeifrage innenpolitisch sehr umstrit-ten ist, waren sich die britischen Konservativen um Duncan Smith mit Tony Blairweitgehend einig, eine baldige EU-Mitgliedschaft der Türkei kräftig zu unterstützen.Da auch die meisten britischen Kolumnisten diese Position vertreten haben, war einekritische Auseinandersetzung mit den nationalen Politikern nicht notwendig.

Zusammengenommen ergibt sich als erstes Fazit zumindest für die Türkeidebattedas überraschende Ergebnis, dass in Europa keineswegs die grenzüberschreitendenDiskurse fehlen, sondern vor allem in Frankreich und Großbritannien intensivgeführt werden: Insgesamt stehen nur 33,4% nationale Referenzen 43,1% transnatio-nalen und 23,5% supranationalen Bezugnahmen gegenüber. Wenn es in den großeneuropäischen Ländern zu öffentlicher Meinungsbildung über ein europapolitischesThema kommt und gegensätzliche Positionen vertreten werden, kann dies sehr wohlzu einem transnationalen Meinungsaustausch führen, an dem sich zahlreiche Spre-cher beteiligen und der in den jeweiligen nationalen Qualitätszeitungen zu beobach-ten ist. Und selbst wenn es sich auch im Fall der Türkeidebatte ebenso wie bei denmeisten nationalen Debatten im öffentlichen Raum um eine ereignisabhängigeEvent-Öffentlichkeit handelt, die nach der politischen Entscheidungsfindung in derRegel wieder von der massenmedialen Agenda verschwindet, ist die pauschaleThese der Nichtexistenz transnationaler Diskurse in der europäischen Medienöffent-lichkeit nach diesen Ergebnissen empirisch nicht länger haltbar.

Innereuropäische, außereuropäische und supranationale Bezugnahmen

Offen ist jedoch noch die interessante Frage, inwieweit die deutschen, französischenund britischen Diskursteilnehmer sowie die EU-Sprecher innereuropäisch oder außer-europäisch Bezug genommen haben. Aus dem Nachweis eines transnationalen Dis-kurses folgt nicht notwendigerweise ein innereuropäischer Diskurs, in dem sich dieEuropäer selbst mit dem Problem auseinandersetzen, welche Länder sie kollektiv indie europäische Staatengemeinschaft aufnehmen wollen und welche Länder nicht derEuropäischen Union angehören sollen. Theoretisch wäre es denkbar, dass die jeweili-

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gen Sprecher in den europäischen Mitgliedsstaaten nicht miteinander diskutieren, son-dern in ihren Meinungsbeiträgen gerade diejenigen Diskursteilnehmer adressieren, diesich außerhalb der Europäischen Union befinden. Tabelle 2 zeigt, auf welche Diskurs-teilnehmer die deutschen, französischen und britischen Sprecher genau Bezug genom-men haben. Dabei sollte die Tabelle vertikal von oben nach unten gelesen werden, dain der obersten Zeile die bezugnehmenden Sprecher aufgeführt sind und in der erstenSpalte diejenigen Diskursteilnehmer, auf die diskursiv Bezug genommen wurde, d. h.deutsche Sprecher haben beispielsweise insgesamt auf 53 deutsche, sechsfranzösische, einen britischen, zehn amerikanische, zehn türkische, vier sonstigeeuropäische Sprecher sowie 17 EU-Sprecher reagiert. Immerhin 70 (24,1%) aller dis-kursiven Bezugnahmen entfielen demnach auf deutsche Sprecher, gefolgt von denEU-Sprechern mit 68 (23,4%), den französischen Sprechern mit 48 (16,6%), dentürkischen Sprechern mit 40 (13,8%), den amerikanischen Sprechern mit 39 (13,5%),den britischen Sprechern mit 13 (4,5%) und den sonstigen europäischen Sprechern mit12 (4,1%) diskursiven Referenzen. Die innereuropäischen und die außereuropäischen(inkl. Türkei) Bezugnahmen sind jeweils zusammengefasst, zudem sind die innereuro-päischen Referenzen ohne die jeweiligen nationalen Bezüge gesondert aufgeführt.

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Insbesondere zwei Erkenntnisse lassen sich aus diesen Daten ableiten, die die vorheri-gen Schlussfolgerungen etwas relativieren. Erstens handelt es sich bei der Türkeide-batte offensichtlich nur sehr bedingt um einen innereuropäischen Selbstverständi-gungsdiskurs zwischen den europäischen Diskursteilnehmern als vielmehr um einekontroverse Auseinandersetzung zwischen diversen europäischen, amerikanischenund türkischen Sprechern, obwohl die Europäer von einer gemeinsamen Position zurTürkeifrage weiter als je zuvor entfernt waren und sind. In allen drei Ländern, vorallem in Großbritannien, wurde deutlich häufiger auf amerikanische und türkischeDiskursteilnehmer als auf alle innereuropäischen Sprecher zusammen Bezug genom-men, sofern die nationalen Bezugnahmen jeweils ausgeschlossen werden. Während inDeutschland lediglich auf sechs französische, einen britischen Sprecher und auf viersonstige europäische Sprecher diskursiv Bezug genommen wurde, stehen dem zehnamerikanische und zehn türkische Bezüge gegenüber. Noch eine größere Diskrepanzzeigt sich in Großbritannien, wo lediglich auf fünf deutsche, vier französische und fünfsonstige europäische Sprecher, aber auf zwölf amerikanische und 15 türkische Spre-cher diskursiv Bezug genommen wurde. Insgesamt entfielen von den 113 transnatio-nalen Bezugnahmen der nationalen Sprecher nur 41 auf andere innereuropäische, aber72 auf amerikanische und türkische Diskursteilnehmer. Hinzu kommt, dass sonstigeeuropäische Sprecher aus allen weiteren europäischen Mitgliedsländern kaum berück-sichtigt wurden, denn unter den insgesamt 290 diskursiven Bezügen finden sich nurelf, die nicht den drei Untersuchungsländern Deutschland, Frankreich und Großbritan-nien, den EU-Sprechern oder den USA und der Türkei zuzuordnen sind. Von einemintegrierten europäischen Diskurs, der alle EU-Mitgliedsländer umfasst, kann dem-nach nicht gesprochen werden: Sogar der öffentliche Diskurs im so genannten Kern-europa bleibt mehr als fragmentiert.

Ein zweites interessantes Ergebnis betrifft die verschiedenen Sprechertypen, aufdie diskursiv Bezug genommen wurde. Allein die politischen Sprecher stehen imDiskursmittelpunkt, während die öffentlichen Meinungen der zahlreichen anderenDiskursteilnehmer national kaum und transnational so gut wie nie berücksichtigtwurden. In Deutschland entfielen von insgesamt 101 Bezügen allein 86 (85,2%) aufnationale, transnationale und supranationale Politiker, in Großbritannien fiel dasResultat mit 56 Referenzen auf politische Sprecher von insgesamt 60 diskursivenBezugnahmen noch gravierender aus. Die Zahlen belegen, dass nur 13 von den ins-gesamt 290 Bezügen, also nur 4,5%, auf nicht politische Diskursteilnehmer entfie-len, die einem anderen Land zuzuordnen waren. Nur in Deutschland und Frankreichwurde vereinzelt auf die Meinungen nationaler Journalisten (drei bzw. vier Bezüge)und Wissenschaftler (sieben bzw. vier Bezüge) reagiert, während die öffentlichgeäußerten Positionen der britischen Journalisten und Wissenschaftler (jeweils nureine Bezugnahme) auch national so gut wie nicht berücksichtigt wurden. Einegenauere Datenanalysen, die der obigen Tabelle nicht zu entnehmen ist, bestätigtzudem, dass ein öffentlicher Diskurs zwischen Journalisten oder Wissenschaftlern,die aus verschiedenen Ländern kommen, quasi nicht stattgefunden hat, obwohl sichmit 45 Journalisten und 20 Wissenschaftlern sicher verhältnismäßig viele aktivbeteiligt haben, und wenn dann nur außereuropäisch (ein außereuropäischer Bezug

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zwischen Journalisten, drei außereuropäische Bezüge zwischen Wissenschaftlern).Auch beachten nationale Journalisten so gut wie nie die jeweiligen Meinungen aus-ländischer Wissenschaftler (nur zwei innereuropäische und drei außereuropäischeBezüge) und nationale Wissenschaftler nie die jeweiligen Meinungen ausländischerJournalisten. Transnationale Bezüge von Politikern auf ausländische Journalistenhat es nicht gegeben, während politische Sprecher zumindest in zwei Fällen aufaußereuropäische Wissenschaftler diskursiv Bezug genommen haben, ansonstenjedoch weitgehend unter sich diskutierten: Von insgesamt 59 diskursiven Bezugnah-men seitens nationaler politischer Sprecher entfielen 56 oder 94,9% auf nationale(n=27), ausländische (n=16) oder supranationale (n=13) Politiker, so dass von einerunmittelbaren Berücksichtung der öffentlich geäußerten Meinungen andererAkteure national wie auch transnational kaum gesprochen werden kann.

Grundsätzlich belegen die empirischen Daten dennoch zweifelsfrei, dass nichtallein nationale Sprecher in medienvermittelte Debatten über wegweisende europa-politische Entscheidungen eingebunden wurden, sondern zumindest die öffentlichgeäußerten Meinungsbildungen der politischen Akteure außerhalb des eigenen nati-onalen Raumes kritisch beobachtet und bewusst aufgegriffen worden sind. DieserBefund ist aufgrund der oft problematisierten Sprachbarrieren und der national orga-nisierten Medienproduktionen keineswegs selbstverständlich, vielmehr widersprichtdas hier präsentierte Ergebnis den zu Beginn zitierten Vermutungen, die kategorischvon der Nichtexistenz transnationaler Diskurse ausgehen. Gleichwohl kam es in derTürkeidebatte bestenfalls dann zu transnationalen Bezugnahmen, wenn über diePositionen von ausländischen Sprechern zunächst in den nationalen Nachrichteninformiert wurde, um diese dann anschließend in Kommentaren oder Essays zuberücksichtigen. Da aber beispielsweise über die öffentlichen Meinungen ausländi-scher Journalisten oder Wissenschaftler in den nationalen Qualitätszeitungen nichtberichtet wurde, waren transnationale Bezugnahmen auf diese Diskursteilnehmerkaum zu beobachten. Auch auf die öffentlich geäußerten Meinungen politischerSprecher wurde national wie transnational höchstens dann diskursiv reagiert, wennhierzulande bereits in neutraler Form darüber berichtet wurde, was jedoch regelmä-ßig und ausführlich passierte. Wie eingangs vermutet könnte ein gesamteuropäi-scher Diskurs, in den nicht allein die politischen Sprecher aktiv einbezogen werden,nur dann funktionieren, wenn die national organisierten Massenmedien die öffentli-chen Meinungsbildungen jenseits nationaler Grenzen kritischer im Auge behaltenund häufiger in die internationale Berichterstattung einbauen, um so vermehrtAnknüpfungspunkte für meinungsbildende Beiträge bereitzustellen. Nicht zuletztdarin läge der demokratietheoretische Wert einer europäischen Diskursöffentlich-keit, in der nicht ausschließlich europapolitische Machtkämpfe ausgefochten undkommentiert werden, sondern in der vermehrt zivilgesellschaftliche Sprecherdirekte Berücksichtigung finden, um so die politische Klasse mit überzeugendenArgumenten konfrontieren und herausfordern zu können.

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5. Fazit

Erstens ist die allgemein gehaltene These, nach der innerhalb der EuropäischenUnion grundsätzlich keine transnationalen Diskurse geführt werden, angesichts die-ser Ergebnisse nicht länger haltbar. Während deutsche Sprecher immerhin 30,7%ihrer diskursiven Bezüge an ausländische Diskursteilnehmer adressierten, habenfranzösische und britische Sprecher insgesamt sogar häufiger transnational als natio-nal diskutiert. Hinzu kommen noch die zahlreichen diskursiven Referenzen aufsupranationale Diskursteilnehmer, die ebenfalls nicht den nationalen Öffentlich-keitsräumen zugeordnet werden können.

Zweitens handelt es sich jedoch zumindest bei der Türkeidebatte weniger umeinen innereuropäischen Selbstverständigungsdiskurs als vielmehr um eine lebhafteAuseinandersetzung zwischen diversen europäischen, amerikanischen undtürkischen Sprechern. Nur 36,3% aller transnationalen Bezugnahmen entfielen aufandere innereuropäische Diskursteilnehmer, so dass 63,7% der Referenzen an außer-europäische Sprecher gerichtet wurden, die nicht der Europäischen Union angehö-ren, nämlich an Amerikaner und Türken. Zudem wurden Sprecher sonstiger EU-Mitgliedsländer massiv vernachlässigt.

Drittens kann nicht von einem integrierten europäischen Diskurs gesprochen wer-den, in dem verschiedene Sprechertypen ausgewogen berücksichtigt wurden, son-dern bestenfalls von einer kritischen Auseinandersetzung aller beteiligten Sprechermit den verantwortlichen nationalen, ausländischen und supranationalen Politikern.87,9% aller diskursiven Bezüge entfielen auf politische Diskursteilnehmer, lediglich12,1% wurden an andere Sprechertypen gerichtet. Transnationale Bezugnahmenzwischen oder unter Journalisten und Wissenschaftlern waren trotz reger Beteili-gung kaum zu beobachten.

Viertens präsentiert der vorliegende Beitrag eine rein interaktive Strukturanalysemassenmedialer Diskurse, so dass von einer inhaltlichen Bewertung der öffentlichgeführten Türkeidebatte bewusst abgesehen wurde. Hier wären zunächst normativeStandards zu entwickeln, mit denen gute und schlechte Argumente sinnvoll unter-schieden werden können. Die quantitativen Daten belegen allein die strukturelleAusrichtung dieses grenzüberschreitenden Meinungsaustauschs, erlauben aber keineRückschlüsse auf eventuelle Rationalitätssteigerungen, die unter günstigen Bedin-gungen durch deliberative Meinungs- und Willensbildungsprozesse möglich wären.

Fünftens müssen weitere Diskursanalysen zeigen, ob und inwieweit die Ergeb-nisse der hier untersuchten Türkeidebatte als verallgemeinerungsfähig erscheinenoder dem speziellen Fall geschuldet sind. Besonders aufschlussreich wären sicherStudien zu europapolitischen Themen, die wie beispielsweise die aktuellen Debattenüber die geplante Europäische Verfassung oder die Einhaltung des Stabilitäts- undWachstumspakts weniger außereuropäische Einflüsse vermuten lassen, sowie the-menübergreifende Strukturanalysen, mit denen eventuelle Wandlungsprozesse überlängere Zeiträume verglichen werden können.

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27Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 27-59

Hartmut Behr

Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund transnationaler HerausforderungenZur Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen seit der Sicherheitsrats-Resolution 1373

Die Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen hat mit den Anschlägen vom 11.September 2001 eine Intensivierung erfahren. Gleichwohl hat die Auseinandersetzungmit dem zunächst internationalen, dann transnationalen Terrorismus eine 30-jährigeGeschichte, in der die Herausforderungen konzeptionell zunehmend besser erkanntund in politische Gegenmaßnahmen umgesetzt wurden. Dennoch gibt es Defizite: Esist vor allem der transnationale Organisationscharakter des neuen Terrorismus, derdie Politik der VN herausfordert. Der Beitrag wird diese Herausforderung theoretischspezifizieren und drei Handlungsimperative formulieren, an denen die Anti-Terroris-muspolitik der VN seit der Sicherheitsrats-Resolution 1373 beurteilt werden kann. DieThese lautet, dass staatliche Akteure zur Bewältigung transnationaler Herausforde-rungen die operative Logik transnationaler Akteure übernehmen müssen, wozu die VNals internationale Organisation in besonderer Weise geeignet scheinen. Die Über-nahme transnationaler Handlungslogiken, das heißt die Entterritorialisierung politi-schen Handelns, eröffnet die Chance zur Steuerung der Strukturbedingungen, unterdenen sich der globale Terrorismus entwickelt und operativ agiert, selbst wenn dieAkteure und ihre unmittelbaren Handlungen nicht direkt kontrollierbar erscheinen.

1. Einleitung1

Die Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen (VN) begann 1972 mit einemResolutionsentwurf der USA in der Generalversammlung (GV) – also bereits rund30 Jahre, bevor der privat organisierte Terrorismus mit den Anschlägen vom 11.September 2001 seinen bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Während dieser 30 Jahrehaben die VN versucht, den Herausforderungen des Terrorismus durch internatio-nale Zusammenarbeit und multilaterale Politik gerecht zu werden. Natürlich habensich die Bemühungen im Anti-Terrorismus-Kampf seit den Anschlägen des Jahres2001 erheblich intensiviert, was in erster Linie als Reaktion auf Veränderungen derHerausforderungen selbst zurückzuführen ist. Jedoch darf man der Politik der VNnicht nur reaktiven Charakter zuschreiben – im Gegenteil: Die VN haben durch viel-fache Resolutionen des Sicherheitsrates (SR) und der GV bereits Jahre vor dem 11.September 2001 bzw. vor der Sicherheitsrats-Resolution 1373 versucht, den neuen

1 Der vorliegende Beitrag geht zurück auf einen Vortrag bei der Deutschen Gesellschaftfür die Vereinten Nationen (DGVN) in Berlin im Mai 2003. Ich danke für kritische Hin-weise und Kommentare zum Manuskript Thomas Bruha, Manuel Fröhlich, Stefan Ipachund Christoph Gerschütz sowie den GutachterInnen der Zeitschrift für InternationaleBeziehungen.

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Sicherheitsrisiken des transnationalen Terrorismus entgegenzuwirken, und hierbeieine gewisse Weitsichtigkeit bewiesen, die weit über die vieler einzelner Staatenhinausging.

Die aktuellen Diskussionen über Reformen der Vereinten Nationen und des kodifi-zierten Völkerrechts im Angesicht globaler Herausforderungen sind bekannt (Bruha2002; Dicke 2000; Delbrück 2001a). In diesem Zusammenhang ist interessant, dassKofi Annan seit Monaten die tiefgreifendste Reform der VN seit ihrer Gründungplant, mitsamt einer Umformulierung der Charta. Ein Grund der Reform sei u. a. inder Überzeugung zu finden, dass die Charta für die Bekämpfung des Terrorismuskeine ausreichende Grundlage mehr biete (Annan 2002): Eine Position, die sehr wohlzutrifft, denn die Gefahren des Terrorismus sind, wenngleich es seit September 2001keine vergleichbaren Anschläge mehr gegeben hat, nicht gebannt. Das beweisennachhaltig die Anschläge in Djerba und auf Bali, eine Reihe verhinderter Anschläge(wie die Vereitelung eines Giftanschlages auf das Wasserversorgungssystem in Romim März 2002 und der Rizin-Fund in London im Februar 2003), die Meldung desBKA über 200 Terrorverdächtige in der BRD sowie über die Planung eines Anschla-ges gegen das US-Konsulat in Karatschi, immer wieder auftauchende Bin-Laden-Videos mit Aufrufen zu einem heiligen Krieg, die Anschläge im Frühsommer 2003 inSaudi-Arabien und Marokko sowie die möglichen Verbindungen der Anschläge vonIstanbul im November 2003 und Madrid im März 2004 mit dem Netzwerk der AlKaida.

Der vorliegende Beitrag gliedert sich in drei Teile: Zunächst wird die Geschichteder Anti-Terrorismuspolitik der VN vor der SR Resolution 1373 skizziert (2). Ineinem nächsten Schritt folgt eine Analyse der sicherheitspolitischen Herausforderun-gen im Kampf gegen den globalen Terrorismus. Diese Analyse fällt vergleichsweiseausführlich aus, da hier die Herausforderungen theoretisch spezifiziert werden, mitdenen die VN konfrontiert sind und deren Logik sie schließlich für effektive Gegen-strategien übernehmen müssen (3). Auf der Grundlage dieser Analyse können dreiHandlungsimperative für eine effektive Terrorismusbekämpfung formuliert werden,an denen die Politik der VN seit der SR Resolution 1373 beurteilt und Reformvor-schläge diskutiert werden. Das gemeinsame Merkmal dieser Imperative läuft auf dieNotwendigkeit der Überwindung staatlicher Souveränitätspolitiken hinaus, weswe-gen die VN zur Terrorismusbekämpfung ein grundsätzlich geeigneteres Forum dar-stellen als Nationalstaaten und lediglich uni- oder bilaterale Politiken. DieDiskussion gliedert sich zunächst in eine Betrachtung der Maßnahmen und Strate-gien, die in den einschlägigen Anti-Terrorismusresolutionen und -konventionen derGV und des SR beschlossen wurden, sowie in eine Betrachtung flankierender Maß-nahmen durch Unterorgane und neue institutionelle Einrichtungen, die sich unteranderem auch der Terrorismusbekämpfung widmen, so vor allem die Commission onHuman Rights und das Office for Drug Control and Crime Prevention (4).

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2. Zur Anti-Terrorismuspolitik der Vereinten Nationen vor der SR Resolution 1373

In den VN wird die Bedeutung internationaler Kooperation zur Terrorismusbekämp-fung seit den Siebzigerjahren betont. In verschiedenen Resolutionen der GV – ange-fangen mit dem abgelehnten Resolutionsentwurf 3034 der USA von 19722 – wurdedabei immer wieder die Empfehlung zur internationalen Zusammenarbeit ausge-sprochen, so vor allem in der »Convention for the Suppression of Unlawful Seizureof Aircraft« (der so genannten Hague Convention) vom 16. Dezember 1970,3 der»International Convention Against the Taking of Hostages« vom 18. Dezember1979, der Resolution »Measures to Prevent International Terrorism« vom 10.Dezember 1981 und der Resolution »Human Rights and Terrorism« vom 20.Dezember 1993. Dabei hat die Politik der VN während der letzten zehn Jahre zweientscheidende Veränderungen erfahren: Im Zuge des Anschlags von Lockerbie imJahre 1992 verabschiedet der SR die Resolution 731 (1992), die den internationalenTerrorismus erstmals als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationaleSicherheit bezeichnet. Damit machte der SR von seiner Funktion gemäß Kapitel VIIder VN-Charta Gebrauch,4 wobei er in bis dahin ungewohnt allgemeiner Form terro-ristische Handlungen »ohne situative Konkretisierung und […] auch ohne jede zeit-liche Eingrenzung […] als Friedensbedrohung festgestellt« (Dicke 2000: 19) hat.Diese Position hat die GV 1994 übernommen. Ihre Resolution 49/60 fordert zudemeine Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften zur Verhütung, Bekämpfungund Beseitigung des Terrorismus.5

Einen zweiten Reformschub erfuhr die VN-Politik 1999 in der Auseinandersetzungmit dem Terrornetzwerk der Al Kaida und dem Taliban-Regime, das beschuldigtwurde, Al Kaida zu unterstützen sowie Osama Bin Laden und zentrale Organisations-einheiten des Terrornetzwerkes zu beherbergen. In Reaktion auf die Anschläge gegendas World Trade Center 1993 und die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998hat die GV in den Resolutionen 54/109 vom Dezember 1999 und 52/164 vom Januar1998 sowie der SR in den Resolutionen 1267 und 1269 vom Oktober 1999 und inResolution 1333 vom Dezember 2000 alle terroristischen Handlungen, ungeachtetihrer religiösen, politisch-weltanschaulichen und kulturell-ethnischen Motive, aufsSchärfste verurteilt. Gleichwohl haben sich die Mitgliedsstaaten der VN bislang nichtauf eine allgemeine Definition von Terrorismus einigen können.

2 Vgl. zu allen VN-Resolutionen zum Terrorismus zwischen 1972 und 2001 Bassiouni(2001).

3 Vgl. http://untreaty.un.org/English/Terrorism/Conv2.pdf; 18.3.2004.4 Damit wird Kap. VII, Art. 39-51 der VN-Charta – in Kombination mit dem Grundsatz

des Gewaltverbots nach Art. 2, Ziff. 4 – zum Angelpunkt der Anti-Terrorismuspolitikder VN, indem dem SR – als dem nach Kap. V, Art. 24 und 25 hauptverantwortlichenOrgan für die Wahrung des Weltfriedens – ein weiter Ermessensspielraum zur Feststel-lung friedens- und sicherheitsgefährdender Handlungen eingeräumt wird. Zudem fun-giert nach Kap. VII der SR als einziges Organ der VN, das für alle Mitgliedsstaatenverbindliche Anordnungen aussprechen kann, wohingegen die Resolutionen der GV nurempfehlenden Charakter haben.

5 Vgl. dazu UN SR Resolution 731 und GV Res. 49/60 »Maßnahmen zur Beseitigung desinternationalen Terrorismus«, in: DGVN (2001).

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Dieses Problem besteht im Prinzip seit der »International Convention on Offencesand Certain Other Acts Committed on Board Aircraft«, der so genannten Tokyo Con-vention vom 14. September 1963,6 wurde aber vollends offensichtlich, als 1972 derResolutionsentwurf der USA in der GV an grundsätzlichen Meinungsunterschiedendarüber scheiterte, was unter Terrorismus zu verstehen sei. Zwar gab es einen weit-reichenden Konsens unter den westlichen Industriestaaten, jedoch einen ebenso star-ken Konsens vor allem zwischen den Staaten aus Lateinamerika, Afrika undSüdostasien sowie Indien (das zum Wortführer der Gegner des Entwurfes avan-cierte), die sich ihres völkerrechtlich verbürgten Anspruchs auf Entkolonialisierungund auf die Legitimität nationaler Befreiungsbewegungen beraubt sahen, falls die indem Resolutionsentwurf angesprochenen Aktivitäten als »terroristisch« geächtet undverfolgt würden. Das von dem Terrorismusforscher Brian Jenkins geprägte Motto»One man’s freedom fighter, is another man’s terrorist« bewahrheitete sich hier undmarkiert bis heute die Differenzen über die Unterscheidung zwischen Terrorismusbzw. terroristischen Gruppen hier und als legitim erachteten Befreiungsbewegungendort. Nach dem Scheitern des US-Resolutionsentwurfes beschloss die GV die Einset-zung eines Ad-hoc-Ausschusses zum internationalen Terrorismus, der sich mit die-sem Definitionsproblem befassen sollte. Nachdem dieser in den Jahren 1973, 1977und 1979 zusammengekommen war, wurden die Uneinigkeiten jedoch eher offen-sichtlicher, da nun zusätzliche Definitionsprobleme über die Frage auftauchten, obnur individueller oder auch Gruppenterrorismus bzw. Staatsterrorismus in eine Defi-nition einbezogen werden sollten, und wie diese jeweils zu spezifizieren seien. Sobeendete der Ausschuss 1979 erfolglos seine Arbeit, und nach seinem Abschlussbe-richt empfahl die GV ihren Sonder- und Regionalorganisationen – unter gleichzeiti-gem Appell an die Staaten, ihre internationalen Verpflichtungen durch bereitsbestehende Konventionen wahrzunehmen – entsprechende Maßnahmen zurBekämpfung bestimmter Formen von Gewalt auf nationaler und regionaler Ebenevoranzutreiben. Die weitgehende Einigung darauf, dass bestimmte Formen derGewalt und ihre Qualität als terroristisch zu bezeichnen sind (zu diesem Definitions-ansatz auch Jenkins 1982), nicht jedoch eine definitorische Einigung darüber, wasTerrorismus ist, bestimmt daher bis heute die Arbeit der VN und liegt auch denjüngsten Resolutionen zugrunde (weiterführend hierzu u. a. Friedländer 1979).

Durch die Resolutionen aus den Jahren 1998, 1999 und 2000 werden jedochbereits vor dem 11. September 2001 zwei zukunftsweisende Tendenzen deutlich:Zum einen wird die traditionelle Doktrin staatlicher Souveränität und territorialerIntegrität aufgeweicht, indem sich Anordnungen des SR zunehmend auch auf nicht-staatliche Akteure und innerstaatliche Angelegenheiten beziehen und somit eine pas-sive Völkerrechtssubjektivität privater Akteure entsteht. Indem dadurch Anordnun-gen abstrakt verpflichtend werden, werden zweitens internationale Kooperationsowie multilaterale Verhandlungen und Ratifikationsverfahren in besonderen Fällenfür zu ineffektiv erklärt und durch eine Art »Weltgesetzgeberschaft« des SR zu über-winden versucht (dazu mehr in 4.2 und 5). Die Tendenz der Aufweichung staatlicher

6 Vg. dazu http://untreaty.un.org/English/Terrorism/Conv1.pdf; 18.3.2004.

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Souveränität und territorialer Integrität durch die Einbeziehung nicht-staatlicherAkteure zeigt sich ferner an der Verhängung eines Luftverkehrs-, Finanz- und Waf-fenembargos gegen die Taliban aus dem Jahre 1999 (SR Resolution 1267 und 1333).Dieses Embargo griff ebenfalls direkt in die inneren Angelegenheiten Afghanistansein. Gleichzeitig wurden Drittstaaten in ihrem Handeln gegenüber privaten Akteurenauf bestimmte Prinzipien hin verpflichtet. Nach Jost Delbrück (2001a: 26f) wirddamit der traditionelle und intrinsische Charakter des Völkerrechts unterlaufen bzw.– je nach Standpunkt – überwunden.7 Damit schreibt der SR eine Reformpolitik desVölkerrechts durch Eingriffe in staatliche Souveränitätsrechte und innerstaatlicheAngelegenheiten fort, die bereits Anfang der Neunzigerjahre mit der Debatte umhumanitäre Interventionen (z. B. in Somalia; siehe SR Res. 751 und 733 [1992])begann (vgl. Stein 1998; Bartl 1999).

Schon dieser kurze Überblick zeigt, dass sich die Vereinten Nationen nicht erstdurch den 11. September zum Handeln veranlasst sahen, sondern bereits seit langemdas Problem des Terrorismus für den Weltfrieden erkannt und zu bekämpfen versuchthaben. Dabei werden Tendenzen sichtbar, die sich seit einigen Jahren bereits entwi-ckelt, nun aber verdichtet haben, da sich das Problem der Terrorismusbekämpfungverschärft und sich der Terrorismus selbst gewandelt hat. Nur eine detaillierte theore-tische Spezifizierung des neuen Terrorismus, seiner globalen Strukturen und derdamit einhergehenden Herausforderungen für die Staatengemeinschaft erlaubt es, dieImperative effektiver Terrorismusbekämpfung herauszuarbeiten und daran anknüp-fend ein Analyseraster zur Beurteilung der UN-Politik zur Verfügung zu stellen.

3. Veränderte Risikostrukturen: Neue Organisationsformen des Terrorismus und die Bedeutung von Entterritorialität

Der Terrorismus hat sich während der letzten 30 Jahre grundlegend gewandelt. Diesbezieht sich nicht nur auf Waffentechniken und Waffensysteme, die Terroristen zurVerfügung stehen (können) (Laqueur 1996; Schneider 1999), auf die Rolle derMedien (Alexander 1981; Terraine et al. 1979), auf die Zunahme religiöser Motiveals (zumindest propagierte) Motivations- und Legitimationsgrundlage in der interna-tionalen Politik (Rittberger/Hasenclever 1999; Schmidt 2003) oder auf sonstige ide-ologische Orientierungen, sondern vor allem auf den veränderten Akteursstatus, dieOrganisationsstrukturen und daraus erwachsende strategische Optionen terroristi-scher Vereinigungen. In diesen letztgenannten Aspekten – also mit Blick auf dieAkteure und ihre Organisationsformen – liegt meines Erachtens die größte Heraus-forderung für eine effektive nationale und internationale Anti-Terrorismus-Politik.Die USA haben dies bereits 1972 erkannt, als gerade die ersten wissenschaftlichen

7 Neben den Anti-Terrorresolutionen vgl. in diesem Sinne auch die Resolutionen des SR1237 zur Situation der Zivilbevölkerung in Angola vom 7. Mai 1999 (vgl. http://www.un.org/Docs/scres/1999/sc99.htm; 19.3.2004) sowie 1306 zum Verbot des Dia-mantenhandels in Sierra Leone vom 5. Juli 2000 (vgl. http://www.un.org/Docs/scres/2000/sc2000.htm; 19.3.2004); Rüdiger Voigt (1999/2000: 26f) spricht in diesem Zusam-menhang von »globalen Prohibitionsregimen«.

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Arbeiten auf Veränderungen der Akteure hinwiesen (Wilkinson 1979; Sabetta 1977;Milbank 1978), hatten jedoch keine Chance zur Verabschiedung ihres damaligenResolutionsentwurfs in der GV.

3.1. Veränderungen der Organisationsform des Terrorismus

Der Terrorismus ist mittlerweile global geworden. Es sind zunehmend – und die AlKaida ist das herausragende Beispiel – global verzweigte, global vernetzte und glo-bal tätige Netzwerke zu beobachten: Schließlich steht »Al Kaida« dem Namen nachauch nur für die Basis eines solchen Netzwerkes und ist nicht dieses Netzwerkselbst. Solche Netzwerke bestehen aus Hunderten von Einzelorganisationen undOrganisationseinheiten (»Zellen«) sowie Einzelpersonen; sie haben nur wenige (undwenn, dann anonyme und meist »virtuelle«) Zentren, die eher als Verdichtungenvon Kommunikationskanälen innerhalb der Netzwerkstrukturen begriffen werdenmüssen, denn als erkennbare Institutionen. Diese Netzwerke agieren weltweit, sindalso weder in ihrem Organisations- noch Handlungsradius auf ein staatliches Terri-torium beschränkt; man kann nicht einmal sagen, dass sie in einem solchen ihreSchwerpunkte hätten. Alle Teileinheiten, Zellen und Einzelpersonen sind multifunk-tional tätig, d. h., sie widmen sich nicht ausschließlich oder unbedingt (und vorallem nicht erkennbar) dem Terrorismus, sondern sind in sekundären, funktionalintegrierten Bereichen aktiv: Börsenhandel, Restaurantketten, Mafiaringe, kleineund große, legale bis halblegale Handels- und Industriegeschäfte, Zeitungswesen,Softwareringe, Drogen- und Waffenhandel etc. (vgl. Behr 2002a, 2004; Pollard2001). Die Kooperationspartner und ihre »strategischen Allianzen«8 reichen dabeivon den unmittelbaren Akteuren selbst über Hinterleute, Sponsoren, Sympathisan-ten, teilweise gar staatlichen Akteuren und Institutionen bis hin zu den – vielleichtnur propagandistisch, vielleicht auch tatsächlich planerisch tätigen – »Füh-rungspersonen« wie Bin Laden et al.

Zudem sind all diese Einzelpersonen und Einheiten geheim, anonym sowie ver-deckt organisiert und tätig. Sie verwenden dabei klassische Methoden anonymerInformantentätigkeiten (interessant hierzu Green 1969) bis hin zu modernen Verfah-ren wie beispielsweise verschlüsselten Nachrichten in der Pixel-Struktur digitalerBilder, die per Internet, per Mobil- und Satellitentelefon und in E-Mails versendetwerden (vgl. hierzu den Begriff des »Cyber War«; dazu Goldsmith 1999; Sofaer/Goodmann 2001). Die internationale Staatengemeinschaft, die sich dem neuen Ter-rorismus gegenübersieht und ihn bekämpfen möchte, sieht sich daher vorrangig mitdem Problem konfrontiert, solche Netzwerkstrukturen zu erkennen und aufzudecken(vgl. zur weiteren Schilderung v. a. Alexander/Swetman 2001). Der regional undnational beschränkte Terrorismus, seine limitierten Ziele und Mittel beispielsweiseder ETA, der IRA, des Leuchtenden Pfades oder auch noch der RAF – wobei derenAkteursformationen die Anfänge des heutigen Terrorismus bereits widerspiegeln –

8 Dieser Begriff kommt aus den Wirtschaftswissenschaften und ihrer Analyse globalerUnternehmensnetzwerke; vgl. Culpan/Kostelak (1993: 122-136). Für die Terrorismus-forschung hat Williams (1994) den Begriff nutzbar gemacht.

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sind im Vergleich Miniaturen zu den weltweit verzweigten Organisationen des glo-balen Terrorismus.

In der angelsächsischen Diskussion hat sich für derartige Phänomene, seien es Fir-menkonsortien oder Terrorismusnetzwerke, unter organisationstheoretischer undstrategischer Perspektive seit langem der Begriff der »transnationalen Organisation«etabliert.9 Im Deutschen wird zumeist von multinationalen oder internationalen Orga-nisationen gesprochen, was beides den Punkt nicht trifft: Transnationalität des Orga-nisationscharakters impliziert, da die Organisationen global verzweigt und tätig sind,das Merkmal der Entterritorialität, das nun ausführlicher diskutiert werden soll.

3.2. Die Bedeutung von Entterritorialität und sicherheitspolitische Konsequenzen

Entterritorialität ist der Dreh- und Angelpunkt des transnationalen Terrorismus,ebenso wie der Strategien im Anti-Terrorismuskampf. Ohne hier eine detaillierte Dis-kussion über »Entterritorialität« führen zu können (dazu Behr 2002b, 2004), sind dochdrei generelle Bedeutungen der territorialen »Entankerung«10 transnationaler Akteurezu erörtern, die später für die Analyse des neuen Terrorismus, wie auch zur Formulie-rung geeigneter Mittel und Strategien im Anti-Terrorismuskampf relevant sind.

3.2.1. Entterritorialisierung politischen Handelns durch transnationale Netzwerke

»A (global) actor […] should be defined neither by the ascriptive quality of sovereigntynor by the descriptive characteristics of territoriality; instead it should be defined by thebehavioral attribute of autonomy« (Mansbach et al. 1976: 3).

Diese bereits vor 25 Jahren formulierte Beobachtung ist heute, da die Anzahl unddie Bedeutung transnationaler Akteure zugenommen haben, noch um vieles relevan-ter. Da der Aspekt der Autonomie auf die territoriale Ungebundenheit der Akteurezurück verweist, muss die Bedeutung der Entterritorialität transnationaler Akteurenäher bestimmt werden. Mansbach et al. (1976) nennen dafür entscheidende Hin-weise, indem sie einen Akteurstypus identifizieren, den sie als »›transnational‹ or›cross-national‹ […] type of actor« (Mansbach et al. 1976: 39) bezeichnen: Dieserumfasse verschiedene Individuen aus mehreren Staaten, die jedoch weder dieseStaaten noch ihre Regierungen repräsentierten. Transnationale Akteure würden sichals netzwerkartige Organisationen formieren und dabei ein historisch relativ neuarti-ges Phänomen darstellen (Mansbach et al. 1976: 42f). So richtig diese Beobachtun-gen sind, müssen sie mittlerweile doch ergänzt werden, da ihre Konzeption dieUnterordnung von Akteuren unter eine einzelne Autorität voraussetzt und damit ers-tens einen deutlich identifizierbaren Einzelakteur sowie zweitens eine, dem Merk-mal der Autonomie und des Autonomiestrebens entgegengesetzte Struktur eineshierarchischen Verhältnisses zwischen transnationalen Akteuren annimmt. Wie dieAusführungen neuerer Komplexitätstheorien nahe legen, treffen beide Annahmen

9 Vgl. bereits Huntington (1973); siehe auch Encyclopedia of Sociology (1992: 2183-2187).

10 »Entankerung« wird hier als Gegenbegriff zum Begriff der räumlichen und territorialen»Fixierung« nationaler Politik nach Georg Simmel (1992) verstanden.

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nicht mehr zu (vgl. Denemark 1999: 53). Die Auflösung eines identifizierbaren Ein-zelakteurs durch die netzwerkartige, grenzüberschreitende und strategisch ihre Teil-nehmer ständig wechselnde Organisationsform transnationaler Akteure macht eszunehmend unmöglich, sowohl im Interaktionsgeflecht einzelne Akteure zu erken-nen und zu sondieren als auch – im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses –Akteur(e) und Handlungsfolgen klar unterscheiden zu können. »Interaction can beso intense and transformative that we can no longer […] distinguish between actorsand their environment, let alone say much about any element in isolation« (Jervis1997: 62).

Die Auflösung des Einzelakteurs oder der Einzelakteure in transnationalen Netz-werkstrukturen trifft mit dem entterritorialen Charakter transnationaler Politikzusammen. Es bilden sich Netzwerkformationen aus, die durch stetig wechselndeAkteure und ihre intensiven, jenseits staatlich verregelter Räume organisierten Ver-flechtungen gekennzeichnet sind. Daraus folgt eine Verschmelzung der Netzwerkak-teure miteinander und mit ihren Handlungskontexten und -bedingungen.11

Transnationale Akteure erscheinen als ein heterogenes Ensemble unterschiedlicherEinzelorganisationen und Individuen. Dabei sind ihre territoriale Ungebundenheitund die raumtranszendierende Ausdifferenzierung ihrer Beziehungen zugleichBedingungen und Resultat der transnationalen Vernetzung.

3.2.2. Funktionale Differenzierung von Netzwerken

Es können drei funktionale Bedeutungen von Transnationalität unterschieden wer-den, die in einem gemeinsamen Bezug zur Entterritorialität stehen. Zunächst bildentransnationale Akteure strategische Allianzen mit anderen, meist selbst transnationa-len Akteuren, die in einem funktionalen Verhältnis zu ihren Handlungszielen stehen.Die Kooperationsaspekte und Handlungsbeziehungen sind derart organisiert undstrukturiert, wie sie der eigenen Zielerreichung im funktional besten Sinne dienlichsind. Diese funktionale Ausrichtung der eigenen Handlungsformen führt zu einerstrategischen Formation von Netzwerken und ihren Allianzen: Man sucht sich dieKooperationspartner, mit denen die eigenen Ziele am effektivsten zu erreichen sind.Effektivität bedeutet hier funktionale Zielerreichung unter gleichzeitiger Beibehal-tung der individuellen Autonomie, da nur sie weitere funktionale Koalitions- undAllianzbildungen erlaubt. Das hat zur Folge, dass sich Akteure und Netzwerkforma-tionen spontan, von außen betrachtet scheinbar beliebig und permanent neu zusam-menfinden, konstituieren, auflösen und wieder neu bilden – je nachdem, was für deneinzelnen Akteur strategisch am zweckmäßigsten ist.12 Dabei können Akteure nichtnur Teilhaber und Mitspieler in einer Netzwerkformation sein, sondern gleichzeitigin mehreren, sich überlappenden und scheinbar unvereinbaren Akteursbeziehungenstehen. Den einzelnen Akteur zu identifizieren, wird dadurch zunehmend erschwert,

11 Maxfeld (1997: 190); in diesem Sinne auch Rosenaus (1997a: 91, 1997b) Begriff der»fragmegration«.

12 Rosenaus (1997a, 1997b) Begriff der »fragmegration« erhält hier eine zusätzlich funk-tionale Komponente.

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da auch hier – analog zu dem Inklusions- und Exklusionstheorem funktionaler Dif-ferenzierung – Akteure in mehrere Netzwerkbeziehungen gleichzeitig verwobensind (vgl. Maxfeld 1997: 177f; Nassehi 1999: 133-150).

Dergestalt funktional strukturierte Netzwerke und die Dialektik zwischen Frag-mentierung und Integration legen – so die zweite funktionale Bedeutung transnatio-naler Politik – einen anderen akteursbezogenen Integrationsbegriff nahe, als dies imtraditionellen Kontext integrationstheoretischer Annahmen der Fall ist (vgl. Smend1955). Beziehen sich traditionelle integrationstheoretische Konzepte auf den Natio-nalstaat und seinen territorialen Ordnungsrahmen, so wird die Formation transnatio-naler Akteure von Funktionalitätskriterien ihrer Handlungsziele und -strategiengebildet. Mathias Albert (1998: 51) spricht etwa von der »Ausdifferenzierung vonReferenzsystemen«. Transnationale Akteure lösen sich von der territorialen Fixie-rung auf den Nationalstaat und folgen der funktionalen Handlungslogik entterritoria-lisierter Netzwerke. Helmut Willke bezeichnet solche Netzwerke als »lateraleWeltsysteme«, deren »Bezugsgröße […] nicht mehr die nationale Gesellschaft [ist,]sondern das Netzwerk« (Willke 1992: 363). Im Kontext transnationaler Politik ergibtsich damit ein neuer Begriff von Integration im Sinne der funktionalen Formationentterritorialisierter, von nationalstaatlichen Grenzen und Räumen unabhängigerNetzwerke.

Drittens bedeutet die Logik der Funktionalität einen weiteren Faktor der Entter-ritorialität transnationaler Politik, indem sie diese unter handlungstheoretischenAspekten überhaupt erst ermöglicht, so dass die Akteure die Orte ihres Handelnsunabhängig von nationalen Grenzen frei wählen können. Die freie Wahl der Hand-lungsorte und ihre transnationale Vernetzung schafft somit weitere Möglichkeitender Funktionserfüllung: Man trifft sich, vernetzt sich und interagiert an den strate-gisch zweckdienlichsten Orten.

In praktischer Hinsicht bedeuten die genannten drei Faktoren erstens, dassAkteursformationen schwer zu erkennen sind und nahezu unmöglich bestimmt wer-den kann, welche Akteure das Netzwerk umfasst; zweitens, dass der transnationaleInteraktionspartner (gegebenenfalls Gegner) nicht mehr territorial fixiert ist, sondernglobal verstreut und daher höchstens ver-»ort«bar oder »lokal«-isierbar ist, sichjedoch zu jedem Zeitpunkt auf jedem Punkt der Erde aufhalten und dort handelnkann; drittens, dass die Aktionsorte (d. h. hier die Anschlagsziele des transnationalenTerrorismus) nicht mehr einem staatlichen Territorium zuweisbar oder auf diesesbeschränkt sind; sowie viertens, dass nur Wahrscheinlichkeiten über das Wann desHandelns der Akteure und über das Wo ihres Aufenthaltes (Anschlags) angegebenwerden können. Diese Kennzeichen haben entscheidenden Einfluss auf den Begriffder Macht und Machtausübung transnationaler Netzwerke, die für das Verständnisder Handlungspotenziale des transnationalen Terrorismus und seiner Gefahren wieauch für die Entwicklung geeigneter Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfungäußerst bedeutsam sind. Staatliche Gegenmaßnahmen müssen sich – wie u. a. KarlKaiser (1969; Kaiser/Morgan 1970) ausführlich gezeigt hat – an der Logik transna-tionaler Machtausübung orientieren und diese Logik in ihr eigenes Handeln integrie-ren, um den durch transnationale Akteure bedingten Strukturwandel in der

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internationalen Politik erfolgreich zu bewältigen und auf die Gefahren transnationa-ler Politik kontrollierend einwirken zu können.

3.2.3. Die Entterritorialisierung politischer Macht

Die Rationalität des modernen Staates und die Logik seiner Machtausübung folgt –klassisch hierzu Max Weber (1972) – der Zweckrationalität in der Wahl der zurErreichung seiner Ziele notwendigen Mittel. Die Entwicklung des modernen Staatesist hiernach eine Bewegung der zunehmenden Rationalisierung, »that is […] calcu-lating the most instrumentally efficient means for the achievement of goals« (Wolin1985: 221). Diese Logik staatlicher Macht erfordert eine Bestimmung der (schein-bar) rationalsten Mittel, die die Erreichung und Umsetzung selbst bestimmter Zieleermöglichen sollen. Zur Erfüllung dieser Logik ist ferner die uneingeschränkte Kon-trolle sowohl über die einzusetzenden Mittel wie auch über die Formulierung derHandlungsziele notwendige Voraussetzung. Dies aber bedeutet nichts anderes alserstens Autonomie in der Bestimmung der Ziele und in der Wahl der zu ihrer Errei-chung notwendigen Mittel sowie zweitens das Monopol in der Anwendung dieserMittel. Erst wenn beide Bedingungen gewährleistet sind, ist die Logik staatlicherMachtausübung möglich und die Bedingungen für staatliche Souveränität gesichert.Transnationales Handeln folgt einer anderen Logik, aus der heraus transnationaleAkteure in Konkurrenz zum staatlichen Autonomieanspruch und Gewaltmonopoltreten. Claus Offe ist zuzustimmen, dass »gegenwärtig eine Umkehr der Entwick-lungsrichtung (stattfinde), durch die über Jahrhunderte hinweg […] die Ausbildungdes modernen Staates gekennzeichnet war«, nämlich die »zur effektiven Durchset-zung des Gewaltmonopols« (Offe 1987: 313).

Diese Diagnose wird von empirischen Studien über nicht-staatliche Akteure unter-stützt, die zu dem Ergebnis kommen, dass transnationale Akteure über ein ähnlichhohes Maß an Autonomie verfügen wie staatliche Akteure (vgl. Mansbach et al.1976: 275; Väyrynen 1997: 48). Dabei beschreiben sie keine Konkurrenz um eingemeinsames Maß an Macht, die das Verhältnis zwischen transnationalen und staat-lichen Akteuren bestimmt. Auch kann die Stellung transnationaler Akteure nicht auseiner solchen Konkurrenz abgeleitet werden. Denn selbst wenn eine solche Konkur-renz und ein daraus entstehender Machtkampf in gleichen politischen Arenen statt-findet und es zahlreiche und komplexe Wechselbeziehungen zwischen staatlichenund nicht-staatlichen Akteuren gibt, so geht es doch nicht um Anteile an gemeinsa-men Ressourcen und Gütern. Es geht zwar um einen Kampf in durchaus gleichenArenen (issue areas), nicht jedoch auf der Grundlage gleicher Handlungsstrukturenund -logiken. Daher kann transnationales Handeln nicht mit der Logik staatlicherMachtausübung erklärt werden. »A complex multi-centric world of diverse, rela-tively autonomous actors has emerged, replete with structures, processes, and deci-sion rules of its own« (Rosenau 1998: 59, meine Hervorh.).

Ein viel versprechender Ansatz für den Entwurf eines geeigneten Machtbegriffsfür das Handeln transnationaler Akteure besteht in der Zusammenführung desWeberschen Machtbegriffs mit der Machtkonzeption von Michel Foucault (1974,

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1991). Zunächst sind drei Merkmale festzuhalten, die in einen solchen Entwurf ein-fließen müssen: Erstens beruht Macht auf Autonomie, d. h. auf der Freiheit, die Zieledes eigenen Handelns selbst zu bestimmen und die dafür notwendigen Mittel zurZielerreichung anzuwenden; zweitens stellt Macht keine Ressource oder ein Gut dar,das in einem bestimmten Maß vorhanden ist, benutzt werden kann und irgendwannerschöpft ist; drittens ist die Macht transnationaler Akteure an ihr Handeln selbstgebunden: Macht entsteht und regeneriert sich durch Handeln selbst. Bei der Über-tragung des Foucaultschen Machtbegriffes auf die Analyse internationaler Regimeund Netzwerke kommt James Keely zu folgendem Ergebnis: »Foucault treats poweras a network of relations, not a commodity or resource. It is a structuring phenome-non, defining a (field) of interaction« (Keely 1990: 96). In Ergänzung des Weber-schen Machtbegriffs, wonach Macht die Chance zur Durchsetzung des eigenenWillens auch gegen den Willen anderer bezeichnet (Weber 1972: Kap. 1), müssenzur Konzeption transnationaler Machtstrukturen Netzwerke untersucht werden, diesich in einem wettbewerbsähnlichen Verhältnis von und mit staatlichen, zwischen-staatlichen und anderen nichtstaatlichen Akteuren Chancen eröffnen, ihren eigenenWillen gegen andere durchzusetzen. Dies führt zur Entstehung transnationalerMachtsphären, die nicht a priori gegeben sind, sondern erst im Ringen um Autono-mie entstehen. Macht erwächst im Kontext transnationaler Politik somit aus derNetzwerkstruktur selbst, in die die Akteure eingebunden sind und an der sie partizi-pieren. Erst durch diese Partizipation werden sie machtvoll.

Diese Art der Macht artikuliert sich immer erst im Handeln selbst, d. h., sie ist rela-tional. Nichts anderes legt im Grunde auch der Webersche Machtbegriff nahe. DerUnterschied zu transnationaler Macht liegt jedoch darin – und hier kommt die Ergän-zung durch Foucault ins Spiel –, dass die Macht transnationaler Netzwerke nicht aufetablierten, festumrissenen, letztlich per Souveränitätsidee geschützten und integren(nationalstaatlichen) Institutionen, Räumen, Raumstrukturen und dadurch verbürgtenGütern und Ressourcen beruht, sondern sich im strategischen Handeln und initiiertdurch das Handeln transnationaler Netzwerkakteure selbst erst herausbildet. »AlsGegenstand der Analyse wählt man dann Machtverhältnisse und nicht eine Macht[…]. Tatsächlich ist das, was ein Machtverhältnis definiert, eine Handlungsweise,die nicht direkt und unmittelbar auf die anderen einwirkt, sondern eben auf derenHandeln […]. Macht existiert nur in actu« (Foucault 1996: 34f; Hervorh. dort).Dabei wird Macht als konstitutives Element des Handelns zu begreifen sein, das derInteraktion inhärent angehört (vgl. Golden 1995: 209-218).13

Dadurch verliert Macht ihre an messbare Ressourcen und Kräfteverhältnissegebundene Funktion und wird zu einer im Höchstmaß kontextabhängigen, der Hand-lungsspezifik endogen innewohnenden Variable: »Machtausübung ist keine rohe Tat-sache, keine institutionelle Gegebenheit, auch nicht eine Struktur, die besteht oderzerbricht: sie schreibt sich fort, verwandelt sich, organisiert sich, stattet sich mit

13 Die Ausformulierung des Zusammenhangs zwischen Handeln und Autonomie bzw. zwi-schen Handeln und der Aktualisierung individueller Autonomie ist auch bei HannahArendt (1958) zu finden; vgl. auch den Machtbegriff bei Ulrich Matz (1975).

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mehr oder weniger abgestimmten Prozeduren aus« (Foucault 1996: 42). Mag dereine Akteur in einer bestimmten Situation als machtvoll erscheinen und andereAkteure dazu bringen, nach seinem Willen zu handeln, so kann er in einer anderenSituation machtlos sein. Die Unterscheidung von Mansbach (2000: 146f) zwischen»tangiblen« und »intangiblen« Machtressourcen, wobei sich intangible Ressourcenauf die Knotenpunkte innerhalb eines Netzwerkes und die daraus kontextuell entste-henden Machtrelationen beziehen, liefert für die Differenzierung zwischen einemMacht- und Souveränitätsbegriff im Bereich staatlicher und im Bereich transnationa-ler Politik eine weitere begriffliche Annäherung.

Denn was für die binnengesellschaftliche Analyse von Macht mittlerweile zueinem weit akzeptierten Konsens sozialwissenschaftlicher Theoriebildung gewordenist, nämlich die soziale Fragmentierung und Differenzierung von Macht, ist auch inder Theorie Internationaler Beziehungen in den letzten Jahren zunehmend rezipiertworden. Denn die Dominanz der traditionellen, durch die Einflüsse des Realismusund Neorealismus nahe gelegten Perspektive auf den souveränen Staat als entschei-denden internationalen Akteur, legte eine bestimmte Konzeption von Macht nahe,wonach Macht und das Streben nach Macht auf staatliche Akteure eingeschränktwurden. Macht und Machtverhältnisse wurden in dieser Tradition überwiegend aufmessbare und gegeneinander abwägbare nationale Ressourcen wie Wirtschaftskraft,militärische Stärke, Landesgröße, Populationsstärke etc. reduziert. Die »balance-of-power«-Metapher und die Denkfigur eines machtpolitischen Nullsummenspiels sindals Resultanten dieses Verständnisses zu interpretieren. Und schließlich schienensich Machtbesitz und Machtrelationen als Einheiten abzubilden, die an den alshomogen imaginierten Akteur »Staat« gebunden waren (vgl. dazu u. a. Agnew/Cor-bridge 1995: 95).14

Doch nicht nur die (neo-)realistische Konzeption von Macht bedarf der Ergän-zung. Auch der Machtbegriff des Interdependenzansatzes nach Robert Keohane undJoseph Nye (1972), wenngleich sie transnationale Beziehungen behandeln, muss andiesem Punkt erweitert werden. Denn die Nähe ihrer Konzeption von Macht zu derDefinition von Weber bzw. die Tradition des Weberschen Begriffes in den Internati-onalen Beziehungen wird deutlich, wenn sie schreiben, Macht sei die Fähigkeit einesAkteurs, einen anderen Akteur auch gegen dessen Willen zu etwas zu bewegen, wasdieser unter vergleichbaren Kosten ansonsten nicht tun würde (Keohane/Nye 1972:11). Allerdings betonen sie durch die Differenzierung des Machtbegriffes in Potenzi-ale und Ressourcen einerseits und in die tatsächliche Kontrolle über Politikergeb-nisse andererseits auch einen relationalen Charakter von Macht, der – und das machtihre Konzeption hier partiell anschlussfähig – durch eine Asymmetrie zwischen

14 Vgl. hierzu beispielsweise Bruce Russett (1967), der in einer Faktoranalyse die Varia-blen der Bevölkerungsstärke, des Bruttosozialproduktes sowie der Landesgröße kombi-niert und zur Bestimmung akteurspezifischer Machtverhältnisse benutzt hat.Paradoxerweise fand dies unter dem Anspruch statt, Ressourcen- und Machtverteilungenim Rahmen veränderter und globalisierter Weltpolitik zu bestimmen und zu ermitteln.Gleiches gilt für den Ansatz der so genannten Power Transitions Theory nach ihremBegründer A.F.K. Organski (1958, 1965); siehe auch Tammen et al. (2000).

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staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren entstehe. Den Grund für eine solcheAsymmetrie sehen sie in ungleichen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen staatli-chen und transnationalen Akteuren. Trotz dieser Konzeption bleibt ihr Machtbegriffzur Analyse transnationaler Politik jedoch revisionsbedürftig, da die Vorstellung voneinem, den Akteuren a priori gegebenen Machtpotenzial als Handlungsressourceletztlich dominiert (vgl. Keohane/Nye 1977: 11f). Macht in funktionalen Netzwerk-strukturen bildet hingegen fragmentierte und asymmetrische Geflechte.15 Die Orteder Macht sind die Knotenpunkte der Netzwerke. Sie bilden die Berührungspunkte,an denen die Handelnden interagieren und ihre Handlungen in Beziehung treten.Transnationale Macht zeichnet sich daher durch Dezentralisierung sowie durchÜberlagerungen und Fragmentierungen zwischen wechselnden, territorial ungebun-denen Akteuren aus: »In a network, individuals or groups link for joint actionwithout building a physical or formal institutional presence. Networks have no per-son at the top and no center. Instead, they have multiple nodes where collections ofindividuals or groups interact for different purposes« (Mathews 2000: 159).16

Entsprechend einer Typologie nach Studien der RAND-Cooperation sind terroristi-sche Netzwerke als hybride Netzwerkformationen zu verstehen, zusammengesetztaus den Idealtypen des Reihen- oder Kettennetzwerkes (»chain or line network«),des zentralen Netzwerkes (»hub, star or wheel network«) und des dezentralen Netz-werkes (»all channel or fullmatrix network«; Arquilla/Ronfeldt 2001: 316-319).Wenngleich es sich dem gesicherten Urteil entzieht, ob und inwieweit beispielsweiseOsama Bin Laden die strategische Führungsfigur der Al Kaida ist, oder ob er »nur«die ideologische Symbolfigur darstellt, kann man doch davon ausgehen, dass eininnerer Führungszirkel der Al Kaida besteht, wodurch hierarchisch-zentrale Teil-strukturen innerhalb des Gesamtnetzwerkes vermutet werden können. Mit Blick aufden Informationsfluss kann der Typ des Kettennetzwerkes als realistisch angenom-men werden, wodurch die Informationsgehalte wie auch die Medien der Informati-onsübermittlung planerisch gesteuert und eingesetzt werden. Alle anderen Bereicheder Finanzierung, der Mobilisierung, der »Zugehörigkeit« und auch nur der Sympa-thisierung, der Waffenbeschaffung, der Rekrutierung wie auch der Ausbildung undder Durchführung von Attentaten scheinen dezentralen Netzwerkmustern zu folgen.Das heißt nicht, dass diese Teilaktivitäten willkürlich und zufällig erfolgen: Auch siewerden im Höchstmaße strategisch organisiert und durchgeführt, doch finden sieeben durch global verstreute Zellen statt, sind wiederum eingebettet in regionale undlokale Terrorgruppen und sind vor allem selbstständig tätig, indem jeder Teil in dasNetzwerk spezifische Fähigkeiten und Ressourcen einbringt, wodurch erst das Netz-werk als Ganzes entsteht. Es ist somit eher eine sprachliche Irreführung, wenn mansagen würde, dieser oder jener Anschlag sei von der Al Kaida verübt worden, dadiese als solche weder existiert noch in Erscheinung tritt, sondern nur Teile der

15 Zur Fragmentierung transnationaler Macht auch Murphy (1999) und Strange (1996).16 Agnew und Corbridge sprechen diesbezüglich von einer »deterritorialisation of political

powers« (Agnew/Corbridge 1995: xi), Ferguson und Mansbach von einer »decliningimportance of territory as a source of power« (Ferguson/Mansbach 1999: 79).

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Gesamtstruktur, die sich dezentral und fragmentiert »lediglich« im Rahmen einesideologischen Überbaus und auf der Basis individueller und persönlicher Verbindun-gen strategisch ergänzen. Die stärksten und effektivsten Netzwerke seien jene, soschreiben John Arquilla und David F. Ronfeldt, »in which the organizational designis sustained by a winning story and a well-defined doctrine, and in which all this islayered atop advanced communications systems and rests on strong personal andsocial ties« (Arquilla/Ronfeldt 2001: 324).17

3.3. Sicherheitspolitische Konsequenzen

Aus den Merkmalen der Entterritorialität, die analytisch auf den transnationalenTerrorismus übertragen werden können, ergeben sich in sicherheitspolitischer Hin-sicht drei Konsequenzen. Erstens: Risiken können zu jeder Zeit an jedem Punkt derErde auftauchen und sind daher nicht prognostizierbar (ausführlich dazu Doran1999). Zweitens: Die Akteure sind keine einheitlichen, fassbaren und homogenen(politischen) Subjekte, sondern lösen sich, verstanden als Handlungseinheit, auf.Nachweisbar sind vielmehr einzelne Handlungen bzw. Handlungszusammenhänge,die zerstreut und diffus initiiert worden sind, ohne kausal rekonstruierbaren Anfangund ein ebensolches Ende: Ein Anschlag (also die Handlung), der (die) sich ereignethat oder auch verhindert werden konnte, stellt weder die Gesamtheit der Handlungund des Handlungszusammenhangs noch des Risikos dar, sondern immer nur einenTeil desselben (vgl. Behr 2004). Drittens: Diese Risiken können nicht mehr mit denherkömmlichen sicherheitspolitischen Strategien bekämpft werden, sondern erfor-dern neue Ansätze erweiterter Sicherheitspolitik, die über den traditionellen Rahmenzwischenstaatlicher Politik hinaus sowohl nicht-staatliche Akteure in ihre Strategieneinbinden als auch zivile, d. h. nicht unmittelbar militärische Risiken in Betrachtziehen (u. a. Rosenau 1994, 1998; Barsanti 1999).

Der für diese sicherheitspolitischen Konsequenzen mittlerweile weithin gebräuch-liche, zuerst in US-amerikanischen Debatten aufkommende (Dunlap 1998; van Cre-veld 1999), mittlerweile aber auch in deutschsprachigen Diskussionen etablierte

17 Im deutschsprachigen Kontext denkt man bei Netzwerkanalysen vor allem an die Stu-dien von Renate Mayntz (1993) und Fritz Scharpf (1993). Es soll hier kurz darauf einge-gangen werden, warum diese Studien an dieser Stelle nicht weiter in die Argumentationeingebaut werden. Im Mittelpunkt der Überlegungen von Mayntz und Scharpf stehen dieBegriffe der Problemlösungsfähigkeit und der Steuerungsfähigkeit transnationaler Netz-werke. Empirisch nehmen sie dabei Bezug auf die EU und die Europäische Integration.Im Sinne der Frage nach Handlungsfähigkeiten und Handlungskompetenzen von Policy-Netzwerken und policy-orientierten Netzwerkanalysen geht es Ihnen dabei vor allem umEntscheidungsstrukturen und Entscheidungsprozesse innerhalb von Netzwerken. Wenn-gleich in ihrem Ansatz auch staatliche Entgrenzungsprozesse und das Zusammenwirkenstaatlicher und nicht-staatlicher Akteure Berücksichtigung finden und als entscheidendeGründe für das Entstehen von Netzwerken gewertet werden, so signalisiert ihr Konzeptder Policy-Netzwerke »eine tatsächliche Veränderung in den politischen Entscheidungs-strukturen« (Mayntz 1993: 40) und nimmt damit eine grundsätzlich andere Perspektiveein als dies in den hier vorgetragenen Überlegungen der Fall ist, in denen es um Organi-sationsstrukturen von Netzwerken und ihren theoretischen Stellenwert geht. Vgl. fernerScharpf (1993), Scharpf/Mayntz (1995), auch von Prittwitz (2001).

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Begriff (u. a. Münkler 2002: 13-58) ist die Asymmetrie bzw. die asymmetrischeKriegsführung. Asymmetrie umfasst die folgenden Dimensionen: Die Akteure verfü-gen über ungleiche Mengen an Waffen; die Akteure sind ungleichartig, d. h. der eineist ein staatlicher, der andere ein privater Akteur, mit je unterschiedlichen, aus ihremstaatlich-territorialen bzw. transnational-entterritorialen Akteurscharakter resultie-renden strategischen Optionen; durch den Einsatz ihrer Mittel/Waffen sowie durchdie Optionen ihrer Netzwerkorganisation erreichen transnationale Akteure einMachtpotenzial gegenüber Staaten, das sie unter symmetrischen Bedingungen nichterreichen könnten und das sie in einen operativen Vorteil bringt. Asymmetrisch agie-rende Akteure können, wie die Anschläge vom 11. September 2001 gezeigt haben,die Infrastruktur, die Wirtschaft, die Psychologie und auch die physische Umwelteines Staates erheblich und langfristig schädigen. Tendenziell sind sie jedoch eher inder Lage, einen psychologischen Sieg zu erringen, nicht aber mit physischer Kraftihren Gegner »wehrlos« zu machen.18

3.4. Sicherheitspolitische Imperative gegenüber den entterritorialisierten Risiken

Aus der Analyse der Transnationalität und Entterritorialität des neuen Terrorismusfolgen drei Imperative, die jede effektive Anti-Terrorismuspolitik, sei sie staatlich,bilateral oder im Rahmen der VN, umsetzen muss. Um auf die Macht transnationa-ler Akteure, ihre Handlungslogik und ihren Handlungsort politischen Einfluss zugewinnen, gründen staatliche Instrumente im Allgemeinen auf zwei Strategien: ein-mal regionale Integration, zweitens Bildung politischer Regime auf zwischenstaatli-cher Ebene zu bestimmten Politikfeldern. Wie auch immer solche Formen derKooperation im Einzelnen aussehen, entscheidend für die politische Auseinander-setzung mit Transnationalität ist die Frage, inwieweit die eingesetzten Instrumenteauf transnationale Akteure und die global verstreuten Orte ihres Handelns überhauptZugriff haben. Um dies zu gewährleisten, müssen staatliche Steuerungsmaßnahmendie Handlungs- und Organisationslogiken transnationaler Politik erfassen und bis-weilen auch übernehmen. Wenn sich der transnationale Terrorismus als entterritori-alisiertes Sicherheitsrisiko bestimmen lässt, folgt als grundlegende Konsequenz fürstaatliche Steuerungsstrategien, dass auch sie ihre eigene Territorialgebundenheitüberwinden müssen. Dies galt oben für die Analyse transnationaler Politik; und diesgilt nun auch für die Konsequenzen, die in praktischer Hinsicht für politisches Han-deln im Umgang mit transnationaler Politik entstehen. Albert fasst dieses Erforder-nis folgendermaßen zusammen: »Der Deterritorialisierungsthese zufolge greifen[…] die Instrumente politischer Steuerung, […] die in einer Welt von Territorial-staaten entworfen und dafür optimiert wurden, im ›System‹ globaler (Politik)genauso wenig, wie die im Rahmen einer Territorialstaatenwelt geborenen Begriffeund Ziele der Analyse« (Albert 1998: 54). In die gleiche Richtung argumentiert

18 Das Ziel, den Gegner »wehrlos« zu machen, wobei von der Kapitulation ohne Kampf bishin zur vollständigen Vernichtung alles, je nach Notwendigkeit, möglich ist und erlaubtsein soll, ist nach Carl von Clausewitz (1915: 5) die zentrale Strategie der symmetri-schen Kriegsführung.

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auch Klaus Dicke, wenn er schreibt, dass durch Globalisierungswirkungen »her-kömmliche Jurisdiktionsgrenzen und territorial gegliederte politische Steuerungska-pazitäten von neuen [transnationalen; H.B.] Handlungsspielräumen überspannt bzw.unterlaufen werden« (Dicke 2000: 22).

Die politische Steuerung transnationaler Politik ist für staatliche Akteure dannunproblematisch, wenn sich transnationale Akteure staatlichen Institutionen gegenü-ber kooperativ verhalten. Dies ist der Fall bei transnationalen Umwelt- und Men-schenrechtsorganisationen, bisweilen auch bei transnationalen Unternehmen. Wasgeschieht aber, wenn transnationale Akteure die ihnen strategisch zur Verfügung ste-hende Anonymität, ihre asymmetrischen Machtpositionen und ihre territoriale Unge-bundenheit gegen Staaten und staatliche Sicherheitsinteressen nutzen und gezielteinsetzen wie im Fall des transnationalen Terrorismus? In diesem Fall sind nicht dieAkteure und ihre Handlungen selbst kontrollierbar, sondern allein die Bedingungensteuerbar, unter denen transnationale terroristische Gruppen agieren. Das heißt wie-derum, dass nur durch Steuerung dieser Bedingungen die Anonymität der Akteureaufgehoben und die Wirksamkeit ihrer Handlungen gemindert werden können. Denndie Abhängigkeit des transnationalen Terrorismus von bestimmten Strukturbedin-gungen bedeutet andererseits auch seine große Anfälligkeit und Sensibilität bei einerVeränderung dieser Bedingungen. Daraus folgt, dass transnationaler Terrorismus nurüber die Steuerung seiner Strukturbedingungen eingedämmt und nur in Ausnahme-fällen durch direkten Zugriff auf die Akteure kontrolliert werden kann (z. B. beimilitärischen Operationen gegen Waffenlager und Ausbildungscamps).

Staatliche Maßnahmen, die transnationalen Terrorismus vollständig kontrollierenkönnten, würden eine Eliminierung der Bedingungen bedeuten, unter denen sichtransnationale Politik allgemein entwickelt. Damit würden ihre Funktionsbedingun-gen praktisch außer Kraft gesetzt. Ein solcher Eingriff zielte auf die Beseitigung derstrukturellen Gegebenheiten transnationaler Politik schlechthin, also auf ein Einfrie-ren der Entgrenzungsphänomene der Staatenwelt und der internationalen Frei-zügigkeit innerhalb und zwischen Staaten, auf eine Einschränkung der Entwicklungund Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien sowie aufeine Einschränkung demokratisch gewährter Organisationsfreiheiten. Dies wäre einillusorisches Vorhaben, zumal die Prozesse, die die Bedingungen transnationalerPolitik ausmachen, seit Jahrzehnten eine irreversible Entwicklung angenommenhaben. Ferner wären nicht nur als bedrohlich wahrgenommene Akteure und ihreHandlungen von solchen Maßnahmen betroffen, sondern alle Akteure, die sich trans-national organisieren und mit denen auch kooperative Formen des Regierensgewünscht und gefördert werden.

Der Anknüpfungspunkt liegt hingegen darin, dass staatliches Handeln die Logiktransnationaler Politik übernimmt. Dadurch kann auf ihre Intensität Einfluss genom-men werden. Dieser Einfluss besteht nicht in der Kontrolle und Steuerung transnatio-naler Politik selbst – es sei denn, man wollte und könnte staatlicherseits die Prozesseder Entgrenzung und »Globalisierung« revidieren, überblicken und kontrollieren –,sondern in der Steuerung der Strukturbedingungen, die transnationale Akteure vor-

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finden und die transnationale Politik sowie die Intensität ihrer Ausübung ermögli-chen.19 Aus diesen Bestimmungen ergeben sich nun drei Handlungsimperative:– Erstens: Staatliche und zwischenstaatliche Steuerungsstrategien müssen dem

transnationalen Terrorismus auf der Ebene seines dezentralisierten, fragmentier-ten und asymmetrischen Handelns begegnen. Staaten müssen dazu zu machtvol-len Akteuren jenseits ihrer nationalen Souveränitätsrechte und -räume werden.Dies impliziert die Notwendigkeit einer partiellen Selbstüberwindung staatlicherSouveränitätspolitik und die Strategie der Bildung internationaler, eigentlichtransnationaler Kooperationen. Die ausführlichen Diskussionen zu einem trans-nationalen Machtbegriff haben gezeigt, dass die Umsetzung dieses ersten Gebotseine strategisch notwendige Bedingung für die Auseinandersetzung von Staatenmit Transnationalität schlechthin ist, woraus sich seine zentrale Bedeutung auchfür die Formulierung der zwei nächsten Gebote ergibt.

– So müssen staatliche Akteure zweitens in die entterritorialen Netzwerke des Ter-rorismus vordringen, ihre Anonymität aufdecken, ihre Handlungszusammen-hänge erkennen und die Knotenpunkte ihres Handelns präventiv besetzen undgegebenenfalls zerstören. Daraus folgt die Notwendigkeit der Bildung staatlichinitiierter, in der Zusammensetzung jedoch staatlich-privater anti-terroristischerGegen-Netzwerke.

– Drittens: Es müssen verbindliche Rechtsregeln entwickelt werden, die den territo-rialen Charakter traditionellen Rechts überwinden und flexibel und ortsbezogenanwendbar sind, um rechtsfreie Sphären globaler Politik zu erfassen und rechtlichzu kontrollieren. Daraus folgt die Notwendigkeit der Entterritorialisierung inter-nationalen Rechts und die Strategie der Entwicklung transnationalen Rechts.

Wird die Politik der Vereinten Nationen, speziell seit dem 11. September 2001 die-sen Handlungsgeboten gerecht? In welchen Bereichen besteht Reformbedarf?

4. Die Politik der Vereinten Nationen seit der SR Resolution 1373

Die VN sind unmittelbar nach dem 11. September 2001 tätig geworden und habeneine Reihe neuer Maßnahmen und Strategien der Anti-Terrorismusbekämpfungergriffen.20 Der Sicherheitsrat hat bis zum Januar 2003, einschließlich der Resolu-tion 1373, insgesamt sieben Resolutionen zur Anti-Terrorismuspolitik verabschie-

19 So wird beispielsweise versucht, die Finanzierung des Terrorismus nicht direkt, sondernüber den »Umweg« der Kontrolle internationaler Finanzmärkte und der Aufdeckung ein-zelner Transaktionen zu steuern. Die Problematik zwischen einer wünschenswertenSteuerung der Strukturen und der lediglich möglichen Steuerung der Strukturbedingun-gen spiegelt sich mit Blick auf internationale Finanzmärkte in der Diskussion bei Marti-nek (1999) wieder.

20 Es wird hier zwischen Maßnahmen und Strategien unterschieden: Unter Maßnahmenwerden die konkreten Handlungen verstanden, die direkt zur Bekämpfung des Terroris-mus empfohlen werden und ergriffen werden sollen; unter Strategien werden die langfri-stigen Vorstellungen und Ziele verstanden, womit und wodurch die genanntenMaßnahmen umgesetzt werden sollen.

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det;21 in der gleichen Zeit gibt es zwei Resolutionen der Generalversammlung.22

Ferner wurde durch Bestimmung der SR Resolution 1373 ein ständiges Komitee zurTerrorismusbekämpfung eingesetzt (Counter Terrorism Committee) sowie nacheinem gemeinsamen Beschluss des SR nach Resolution 2002/875 und der GV nachResolution A 57/273 eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet (Policy WorkingGroup on the UN and Terrorism). Bei jeder der seit September 2001 formuliertenneuen Resolutionen wurden die früheren Resolutionen bekräftigt und mitsamt denhierin beschlossenen Maßnahmen und Strategien als eine Art acquis communautaireder Anti-Terrorismuspolitik formuliert,23 der sich zusammenfassend auf die folgen-den Maßnahmen und Strategien erstreckt.

4.1. Maßnahmen

Folgende Maßnahmen sind übereinstimmend in den Resolutionen bestimmt worden:– Versuche, die Finanzierung des Terrorismus durch Kontrolle der nationalen und

internationalen Finanzmärkte auf verdächtige Transaktionen zu unterbinden,inkl. des sofortigen Einfrierens verdächtiger Konten und Guthaben;

– Versuche, die Rekrutierung von Mitgliedern terroristischer Vereinigungen zuunterbinden und zu kontrollieren;

– Versuche, die Bewaffnung terroristischer Gruppen zu unterbinden und zu kon-trollieren;

– Versuche, die Ansiedlung terroristischer Gruppen zur Vorbereitung, Finanzie-rung und Planung ihrer Aktionen zu unterbinden;

– nationale Bemühungen, Attentäter vor Gericht zu stellen und zu verurteilen;– Versuche, die Reisemöglichkeit und Bewegungsfreiheit von Terroristen bzw.

Terrorverdächtigen durch verstärkte Grenzkontrollen und koordinierte internati-onale polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit zu unterbinden (z. B.durch Interpol, aber auch durch Neugründungen staatlicher und internationalerInvestigationsbehörden);

– Aberkennung des Flüchtlingsstatus für Terroristen.

21 Vgl. SR Resolutionen 1373 (28.9.2001), 1377 (12.11.2001), 1438 (14.10.2002), 1440(24.10.2002), 1450 (13.12.2002), 1452 (20.12.2002), SR 1455 (17.1.2003), in: http://www.un.org/terrorism/sc.htm; 19.3.2004.

22 Vgl. GV 56/88 (24.1.2002), GV 57/27 (15.1.2003), in: http://www.un.org/terrorism/res.htm; 21.3.2004.

23 Den Begriff des »acquis communautaire« entlehne ich hier im völkerrechtlichen Sinneder Definition der EU über ihr gemeinschaftliches Recht. In diesem Sinne bedeutetacquis communautaire, übertragen auf die VN: »the content, principles and politicalobjectives«, »legislation adopted pursuant to the Treaties«, »statements and resolutionsadopted within the UN framework«, »joint actions, common positions, declarations andconclusions within the framework of the common security policy« sowie »internationalagreements concluded by the UN and those concluded among themselves by the memberstates with regard to UN activities« (vgl. hierzu http://www.europa.eu.int/scadplus/leg/en/cig/g4000c.htm#c16a; 3.6.2003).

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4.2. Strategien: Policy-Strategien und institutionelle Einrichtungen

Die zentralen Strategien und Strategieempfehlungen der Resolutionen zur Umset-zung der genannten Maßnahmen lauten:– Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit zur Unterdrückung und Ver-

hinderung terroristischer Aktionen;– Erarbeitung entsprechender nationaler Gesetze, um die Finanzierung und Vorbe-

reitung terroristischer Handlungen zu verbieten, zu sanktionieren und zu kon-trollieren;

– Erarbeitung eines internationalen Frühwarn- und gegenseitigen Informationssys-tems über neue Entwicklungen und operative Unternehmungen terroristischerGruppen;

– Unterstützung der Staaten im Anti-Terrorismuskampf;– Beitritt möglichst aller Staaten zu den Anti-Terrorismus Resolutionen der VN;– Bekämpfung der Verbindungen zwischen Terrorismus und transnationalem Ver-

brechen (transnational organized crime).Diese Strategien sollen in institutioneller Hinsicht durch das Security Council Commit-tee on Counter Terrorism, das im Frühjahr 2003 zwei wichtige Dokumente veröffent-licht hat,24 sowie von der Policy Working Group on the UN and Terrorism ergänzt wer-den. In den Dokumenten des Committee on Counter Terrorism werden sehr konkreteund weitreichende Schritte vereinbart, in deren Zentrum vorrangig die Koordinationund Intensivierung internationaler Kooperation steht. Der Netzwerk- bzw. Gegen-Netzwerk-Gedanke spielt dabei eine zentrale Rolle. So sollen im globalen Maßstabinternationale, regionale und subregionale Organisationen zusammengebracht werden,um Informationen auszutauschen und diese zu koordinieren, um eine bestmöglicheImplementierung der Strategien auszuarbeiten und diese mit Blick auf bestimmte regi-onal- und staatsspezifische Notwendigkeiten zu präzisieren, sowie einzelne staatlicheInstitutionen zu beraten. Ferner soll ein globales Kontaktnetzwerk (network of contactpoints) eingerichtet werden, in das auch internationale, nationale und regionale Behör-den miteinbezogen werden sollen und das vor allem der weiteren gegenseitigen Infor-mation sowie der Koordination politischer und polizeilicher Maßnahmen dient. Zudemsoll eine Kodifizierung internationaler Praktiken und Standards entwickelt werden, umdie in den Resolutionen genannten Maßnahmen international und regionalspezifischmöglichst effektiv umzusetzen.25 Dazu wurde auch – was oftmals als das Herzstück derSR Resolution 1373 gesehen wird (vgl. Schenker 2001: 1) – ein Arbeitsplan entworfen,in dem alle Mitgliedsstaaten der VN dazu aufgefordert werden, dem SR ihre Schritteund Erfolge bei der nationalen Implementierung der vorgesehenen Maßnahmen und

24 Es handelt sich dabei um das »Outcome Document of the Special Meeting of the Coun-ter Terrorism Committee« vom 31. März 2003 (VN-Archiv unter: S/AC.40/2003/SM.1/4) sowie um einen »Counter Terrorism Committee Follow-Up Action Plan« vom 3.April 2003 (VN-Archiv unter: S/AC.40/2003/SM.1/6/Rev.1), in: http://www.un.org/Docs/sc/committees/1373/special/meeting.html; 18.3.2004.

25 Es ist hier die Rede von »implementation kits« und »assistance programmes to helpMember States […] to implement such best practices«, sowie von einer zu vereinheit-lichenden »Matrix of Needs« des internationalen Anti-Terrorismuskampfes.

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Strategien zu berichten. Diese Berichte erstrecken sich auf die folgenden Aspekte:Welche nationalen Gesetzgebungsinitiativen sind vorgesehen oder bereits in Kraft?Welche Exekutivmaßnahmen sind geplant? Und welche eigenen internationalenAnstrengungen werden unternommen, um die Resolution 1373 weiter umzusetzen?

Im Anhang dieses Dokuments werden die internationalen, regionalen und subregi-onalen Organisationen aufgelistet, die untereinander in Kontakt gebracht werden,kooperieren und dann einzelne Staaten bei der Implementierung beraten sollen. Dazuzählen 53 Organisationen inkl. einiger UN-Agenturen und -Programme, wie derInternationalen Atomenergie Behörde, dem Internationalen Währungsfonds und derAnti-Drogen-Behörde. Dieser Ansatz entspricht dem oben formulierten Gebot derBildung anti-terroristischer Gegen-Netzwerke (counter networking) und liegt damitauf der Linie effektiver Terrorismusbekämpfung. Jedoch gibt es hier eine Schwach-stelle, die reformbedürftig wäre: Die Teilnehmer an diesem globalen Netzwerk, alsodie genannten internationalen, regionalen und sub-regionalen Institutionen, sind alle-samt staatliche Institutionen. Wichtig wäre jedoch, in diese Netzwerke auch nicht-staatliche Akteure zu integrieren, da sich der zentrale Ansatz der Gegen-Netzwerk-bildung nicht darin erschöpfen darf, nur ein globales Informationsnetzwerk aufzu-bauen, sondern in der Tat ein Gegen-Netzwerk. Denn es geht darum, in die transnati-onalen Netzwerke des Terrorismus ein- und vorzudringen und dort Knotenpunkte zubesetzen und zu zerstören. Da jedoch die Akteure des transnationalen Terrorismusselbst nicht-staatliche Akteure sind und die Netzwerke des Terrorismus wesentlichaus privaten Akteuren bestehen, müssen in die Netzwerke der VN ebenfalls privateAkteure in einem globalen Maßstab mit integriert werden. Bis auf dieses Defizit istder genannte Ansatz jedoch begrüßenswert, da er das erste und zweite Gebot zurBekämpfung des transnationalen Terrorismus aufgreift und erfüllt.

Die Policy Working Group on the UN and Terrorism, die nach einer Initiative desGeneralsekretärs im Oktober 2001 gemeinsam durch den SR und die GV gegründetwurde, verfolgt eine dreigeteilte Strategie aus »dissuade« (potenziellen Sympathi-santen davon abzuraten und sie davon abzubringen, terroristische Aktionen zu pla-nen), »deny« (Gruppen und Einzelne konkret daran zu hindern, terroristische Aktio-nen durchzuführen) und »international cooperation« (Netzwerkbildung durchZusammenarbeit). Die Arbeitsgruppe besteht ihrerseits aus acht Untergruppen. IhreAufgabe wird nicht in operativen Einsätzen des Terrorismuskampfes gesehen, son-dern ausschließlich in beratenden und empfehlenden Tätigkeiten, die über die bishe-rigen Strategien hinausgehen. In diesem Zusammenhang wird explizit die Einbezie-hung von privaten Akteuren und NGOs in den Anti-Terrorismus-Kampf gefordert.Im Bericht der Arbeitsgruppe heißt es unter Empfehlung 9: »Review and enhance theoutreach of the United Nations information centers to civil society, including the gro-wing number of institutes and think-tanks in Arabic-speaking countries«.26 Ferner

26 Vgl. insgesamt hierzu den Bericht der Arbeitsgruppe »Report of the Policy WorkingGroup on the United Nations and Terrorism«, Annex des Briefes vom Generalsekretäran die Präsidenten der Generalversammlung und des Sicherheitsrates, 6. August 2002(VN-Archiv unter A/57/273-S/2002/875), in: http://www.un.org/terrorism/a57273.htm;18.3.2004.

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wird betont, dass Demokratisierung und die Herstellung sozio-ökonomischerGerechtigkeit erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung und Unterdrückung des Ter-rorismus seien, ebenso wie eine international verstärkte Kontrolle illegaler Waffen-märkte (»disarmament«). All das sind durchaus bekannte Empfehlungen. Dagegenbetrifft eine tatsächliche Neuerung die Forderung nach der Entwicklung und Stär-kung ethischer Normen für Wissenschaftler im Bereich der Waffentechnologie, umzu verhindern, dass sie ihre Arbeit und ihr Know-how terroristischen Gruppen zurVerfügung stellen. Diese Empfehlung zielt auf eine ähnliche Initiative ab, wie sieetwa der Global Compact im Bereich der globalen Wirtschaft darstellt.

Im Rahmen des Global Compact wurde unter der Leitung des Generalsekretärs derVN ein Forum aus verschiedenen Interessengruppen und globalen Akteuren derWeltwirtschaft geschaffen, wie internationalen Konzernen, Gewerkschaften undanderen zivilgesellschaftlichen Institutionen. Das Ziel von Global Compact ist zumeinen, die Weltbevölkerung, insbesondere aus den benachteiligten Regionen, anpositiven Entwicklungen ökonomischer Globalisierungsprozesse in verstärktemMaße teilhaben zu lassen, sowie zum anderen, universelle Werte und Praktiken zuverankern, um durch Globalisierung neu entstehende Probleme effektiv kontrollierenzu können. Der Global Compact wurde erstmals im Jahre 1999 von Kofi Annan vordem World Economic Forum in Davos angeregt und nahm in New York am 26. Juli2000 mit Vertretern der VN, globaler Unternehmen und zivilgesellschaftlicher Inter-essengruppen seine Arbeit auf.27 Das Motto des Gobal Compact zielt auf die Grün-dung einer zivilgesellschaftlich-staatlichen Partnerschaft zur demokratischenRegulierung ökonomischer Globalisierungsprozesse.28

Ohne die Resultate und die Effektivität der Global Compact-Initiative hier im Ein-zelnen zu erörtern (dazu kritisch Paul 2001), ist jedoch festzuhalten, dass der Ansatzeiner solchen staatlich-privaten Partnerschaft in die Richtung effektiver globaler Koo-peration weist und er damit auch für die Kontrolle und Bekämpfung des transnationa-len Terrorismus die Notwendigkeit der Bildung von Gegen-Netzwerken weitergehendeinlösen könnte. Damit könnten nach dem Global Compact-Modell auch sicherheits-politische Allianzen gebildet werden, mit dem Ziel, private Akteure normativ in einedemokratische Wertegemeinschaft einzubinden und sie somit von illegalen und terro-ristischen Praktiken abzuhalten; ferner könnten sie als Mediatoren auftreten und zwi-schen verfeindeten Parteien vermitteln. Eine weitere Möglichkeit, die ein solchesModell bieten könnte, besteht in der Akkumulation und synergetischen Zusammen-

27 Vgl. dazu »Press Briefing by Secretary-General’s Special Advisor on Global Compactand World Economy Forum«, 26. Juli 2001; ferner »The United Nations: Partners inCivil Society« (http://www.un.org/ partnerships/civil_society/home.html; 10.5.2002)sowie hier die Erklärung von Kofi Annan: »The United Nations once dealt only withGovernments. By now we know that peace and prosperity cannot be achieved withoutpartnerships involving Governments, international organizations, the business commu-nity and civil society. In today’s world, we depend on each other« (http://www.unfound-ation.org/partnership/partnership.asp; 21.3.2004). Zum Global Compact-Netzwerk sieheauch http://www.unglobalcompact.org.

28 Vgl. dazu »Discussing New Democratic Diplomacy, DPI/NGO Conference ExchangesViews on Civil Society Partnership with States«, Press Release NGO/377, PI/1276, in:http://www.un.org/News/Press/docs/2000/20000829.ngo377.doc.html; 21.3.2004.

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führung von Wissen und Informationen privater und staatlicher Akteure sowie in derNutzung von Fachkenntnissen privater Akteure. Ähnlich hat beispielsweise der SRauch in anderen Politikfeldern gelegentlich bereits förmliche Sitzungen für Konsulta-tionen mit nicht-staatlichen Organisationen unterbrochen, um notwendiges Hinter-grundwissen zu erhalten (vgl. dazu Hingst 2001: 42f). Die Optionen, die staatlichgesteuerte Netzwerke durch ein an das Global Compact-Modell angelehntes Anti-Terrorismusnetzwerk erhalten könnten, wären weiterhin dahingehend vorstellbar,dass Fachleute und Spezialisten, deren Expertise (beispielsweise im Bereich Waffen-und Sprengstofftechniken, Softwareentwicklung und -korruption) sich Terroristendurch Rekrutierung und Integration in ihre eigene Netzwerken nutzbar machen, vonSeiten staatlicher Netzwerke eingeworben und ihrerseits integriert werden. Zu denkenwäre hier an Programme zur Einbindung von Computer- und Internetclubs, von Inter-net-Providern,29 von Nuklearwissenschaftlern und Waffentechnikern, privaten Kredit-und Geldinstituten, transnationalen Protestbewegungen etc. Entsprechend der Logikund Strategie transnationaler Machtausübung, die die VN in ihrer Gegen-Netzwerk-bildung übernehmen muss, bestünden die konkreten Maßnahmen damit in einemWettbewerb um das An- bzw. Abwerben von Netzwerkakteuren und ihre Integrationin die eigenen Sicherheitsallianzen, wodurch die Machtpotenziale der gegnerischenNetzwerke vermindert, die der eigenen Netzwerke hingegen gestärkt würden.

So passend der Global Compact als Modell dienen kann, so ist andererseits doch aufdas Problem der begrenzten Reichweite und Funktionalität staatlich initiierter Gegen-netzwerke durch die normative Selbstverpflichtung der beteiligten Akteure hinzuwei-sen. So mussten sich die Unternehmen zur Teilnahme am Global Compact auf die Ein-haltung internationaler Arbeits-, Umweltschutz- und Menschenrechtsbestimmungenverpflichten, was seine Prinzipien der Offenheit und Transparenz verdeutlicht. Dies istmit Blick auf den Terrorismus und den Bereich der Terrorismusbekämpfung nicht vor-stellbar, da Terroristen gerade an der Geheimhaltung und Anonymität ihrer Vorhabenund ihrer Organisation(en) existenziell interessiert sind und des Weiteren die Normender Staatengemeinschaft nicht teilen. Der Kreis der Teilnehmer an solchen Netzwer-ken wäre somit durch ihre Verpflichtung auf demokratisch-rechtsstaatliche Normenper se beschränkt. Jedoch gilt diese Einschränkung nur mit Blick auf bereits terroris-tisch formierte und aktive Personen, nicht jedoch mit Blick auf »sympathisierendeGrenzgänger«, die aus ideologischen, sozialen oder sozialpsychologischen Gründendem Terrorismus zuneigen könnten. Diese Personen und Personengruppen wären sehrwohl ansprechbar, normativ integrierbar und für die eigenen Netzwerke strategischeinsetzbar, bevor sie den Rekrutierungspraktiken terroristischer Gruppen anheimfal-len. Und da Macht und effektive Machtausübung in transnationalen Netzwerkenwesentlich aus einem Wettbewerb um strategische Allianzen und Agenten besteht,böte der Global Compact doch ein Modell auch der Anti-Terrorismuspolitik.

29 Ein positives Beispiel dieser Art stellt ein Abkommen der US-Regierung mit Internet-Providern über den Schutz und die Kontrolle bestimmter Web-Seiten und E-Mails mitverdächtigen (terroristischen) Inhalten aus dem Jahre 1998 dar; siehe dazu Whine (1997,1998). Dazu sowie zur zunehmenden Bedeutung des Internets als Organisations- undAktionsforum des transnationalen Terrorismus siehe auch Karmon (2001).

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Insofern liegen die Empfehlungen der Policy Working Group on the UN and Ter-rorism auf der Linie einer höchst effektiven Anti-Terrorismuspolitik. Allein drei –ihrerseits doch wiederum weitreichende – Defizite sind auch hier zu betonen. ZumErsten sind es natürlich nur Empfehlungen, die weitgehend noch auf ihre Umsetzungwarten; zum Zweiten – und genau dies verweist auf das Problem der Umsetzung –versteht sich die VN, wie von der Arbeitsgruppe dargelegt wird, nicht selbst alsAkteur, der zur Umsetzung der eigenen Empfehlungen voranschreiten könnte, son-dern eben nur als Ratgeber; und zum Dritten fehlt den VN zum eigenen Handeln dieLegitimation (mit der doch eher seltenen Ausnahme, der SR würde unter gegebenenBedingungen ein Mandat aussprechen). Hier liegt ein Effektivitätshemmnis vor, danur die Staaten – und das heißt letztlich freiwillig und unter ihren Souveränitätsan-sprüchen – und nicht die VN selbst als Akteur auftreten. Dieses Effektivitätshemm-nis wäre wohl nur durch eine Reform des Völkerrechts zu beheben, die die VN miteinem dauerhaften Mandat für eigenes operatives Handeln und zur Unterhaltungeigener operativer Einheiten ausstatten würde. Jedoch verdeutlicht die »(Selbst-)Ermächtigung« des SR als »Weltgesetzgeber« die Absicht, die politische Effektivitätder VN zu erhöhen, um nicht nur auf die erfolgreiche Mobilisierung politischen Wil-lens angewiesen zu sein und um diplomatisch komplizierte und langwierige Verfah-ren multilateraler Politik zu überwinden: »Es hat […] den Anschein, dass derSicherheitsrat […] als internationaler (Ersatz-)Gesetzgeber tätig geworden ist, derden Staaten allgemeine Rechtspflichten auferlegt, die bisher in dieser Form nurdurch die Zustimmung eines jeden Staates für diesen verbindlich werden konnten«(Finke/Wandscher 2001: 172; ähnlich auch Dicke 2001). Denn gerade in der Anti-Terrorismuspolitik waren es die Schwierigkeiten multilateraler Einigung und Ent-scheidungsfindung, die im Jahre 1972 eine Resolution gegen den internationalenTerrorismus blockierten. Die rechtliche Stärkung der VN und ihrer Organe versprä-che somit mehr Effektivität als lediglich die Mobilisierung politischen Willens, des-sen Umsetzung dann in die Souveränitätsrechte der Nationalstaaten zurückfällt, dieje nach politischem Willen im Anti-Terrorismuskampf durchaus auch effektive Maß-nahmen ergreifen können und ergriffen haben, die jedoch im Rahmen der VN insge-samt effektiver gebündelt werden könnten. Diese erweiterte Ausstattung betrifft dieweitreichendste Forderung nach einer Reform der VN im Anti-Terrorismuskampf,die letztlich auf die Schaffung einer neuen und erweiterten Legitimationsgrundlagedurch die Entwicklung transnationalen Rechts hinausläuft.

Diese Forderung wird in dem vom Generalsekretariat im September 2002 formu-lierten Report »Strengthening of the United Nations: An Agenda for FurtherChange« selbst erhoben. Es heißt hier unter »What more should be done« (II.B.): »Atthe same time, it is important to remember that authority derives also from the capa-city to take prompt […] decisions, and from the will to act on them«.30 Eine Steige-rung der Autorität der Vereinten Nationen wird also mit ihrer Fähigkeit zur

30 Vgl. »Strengthening of the United Nations: An Agenda for Further Change« (VN-Archivunter: A/57/387), in: http://www.unhchr.ch/Huridocda/Huridoca.nsf/0/4b5d557cb16e82b6c1256c3e003933dd?Opendocument; 18.3.2004.

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Entscheidung und zum selbstständigen Handeln verbunden. Eine solche Autoritäts-steigerung durch Reformen des Völkerrechts erscheint auch notwendig, um die Auf-gaben der Zukunft erfolgreich bewältigen zu können. In diesem Licht lassen sichdann auch die anfangs erwähnten Reformpläne von Annan zur Umstrukturierung derVN interpretieren, in dessen Absicht auch konsequenterweise die Einschränkungenstaatlicher Souveränität zugunsten der Staatengemeinschaft liegen (vgl. hierzu auchAnnan 1999, 2002).

4.3. Flankierende Strategien

Dass die Bewältigung transnationaler Herausforderungen, wie auch Abraham Sofaerund Seymour Goodman (2001) in ihrem Vorschlag für internationale Vereinbarun-gen zur Bekämpfung des Terrorismus, dem so genannten Stanford Draft, schlussfol-gern, transnationale Antworten benötigt und auch worin die VN diese Antwortenhauptsächlich erblicken, ist bislang nur an Maßnahmen und Strategien der unmittel-baren Terrorismusbekämpfung im Rahmen von Verträgen, Deklarationen und Reso-lutionen, also des legal framework in fight against terrorism, betrachtet worden.Nun sollen noch flankierende Strategien mit in die Analyse einbezogen werden, dasie zum einen den normativen Rahmen stärken, in den die Anti-Terrorismuspolitikeingelassen ist und der nötig erscheint, um Konflikten bereits im Vorfeld präventivzu begegnen und ökonomische und soziale Krisenherde zu befrieden, die als Nähr-boden terroristischer Gewalt und als soziales Unterstützer-Umfeld des Terrorismusgelten könnten. Außerdem schaffen flankierende Strategien einen werteorientiertenRahmen zur Verurteilung und Ächtung terroristischer Gewalt. Und schließlich ent-spricht die weitere Einbeziehung von VN-Institutionen und Politikfeldern über dieArbeit der GV und des SR hinaus dem Selbstverständnis der Vereinten Nationenvon ihrer umfassenden Verantwortung und Aufgabe im Kampf gegen den Terroris-mus, wovon gemäß eines erweiterten Verständnisses von Sicherheit jeder Aspektihrer Arbeit sowie vor allem deren interne Koordination zur Umsetzung der konkre-ten Maßnahmen aus den Resolutionen des SR und der GV betroffen sind:

»Terrorism is a global threat with global effects; […] its consequences affect everyaspect of the United Nations agenda – from development to peace to human rights andthe rule of law. By its very nature, terrorism is an assault on the fundamental principlesof law, order, human rights, and the peaceful settlement of disputes upon which theUnited Nations is established. […] The United Nations has an indispensable role to playin providing the legal and organizational framework within which the international cam-paign against terrorism can unfold.«31

Die Organe, die die Anti-Terrorismusbestimmungen des SR und der GV in ihrerUmsetzung koordinieren und die konkreten Bestimmungen durch ergänzende Maß-nahmen flankieren, sind im wesentlichen die Commission on Human Rights, derEconomic and Social Council sowie das UN Office for Drug Control and CrimePrevention (UNODC). Den aktivsten Part spielt dabei die Menschenrechtsbehörde,und zwar aus einer doppelten Aufgabenstellung heraus: Zum einen stellt der Terro-

31 So Kofi Annan am 4. Oktober 2002, zitiert in: http://www.unodc.org/unodc/en/terro-rism.html; 28.11.2003.

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rismus selbst eine eklatante Menschenrechtsverletzung dar, und zwar mit Blick aufdie grundsätzlichen Ansprüche der Unversehrtheit des Lebens, des Gewaltverbotes,der menschenunwürdigen Bestrafung, rechtsstaatlicher Prinzipen sowie der Gedan-ken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Zum anderen ist die Frage der Menschen-rechte betroffen, da Staaten bei der Bekämpfung des Terrorismus dazu angehaltensind, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu wahren, weil ihre Verletzungdurch die Staaten selbst den Zielen der Terroristen, die rechtsstaatliche Ordnung zuzerstören, mehr in die Hände spielt, als jedwedes Attentat dies erreichen könnte.32

Die Arbeit der Menschenrechtsbehörde ist institutionell an die oben genannte PolicyWorking Group on the UN and Terrorism gekoppelt. So hat diese Arbeitsgruppe imFrühjahr 2003 den Menschenrechtskommissar um einen Bericht gebeten, in dem dieRolle internationaler und regionaler sowie auch nicht-staatlicher Organisationen imKampf gegen den Terrorismus aufgelistet und beurteilt werden solle.

Die Menschenrechtsbehörde hat jedoch auch selbst eine Resolution »HumanRights and Terrorism« (2001/37) verfasst.33 Neben einer an die Charta der VN, dieErklärung der Menschenrechte sowie an das von der GV und dem SR beschlosseneacquis communautaire der VN-Anti-Terrorismuspolitik angelehnte ausnahmsloseVerurteilung des Terrorismus werden darin sowohl die wachsenden Verbindungenzwischen terroristischen Gruppen und dem internationalen Waffen- und Drogenhan-del als ernsthaftes Problem diagnostiziert als auch die Bedrohung von Demokratie,Rechtsstaatlichkeit und liberaler Öffentlichkeit (civil society) mit Sorge verfolgt.Entsprechend fordert die Resolution, dass alle Maßnahmen, national wie internatio-nal, im Einklang mit den Grundsätzen des Völkerrechts und der internationalen Men-schenrechte erfolgen müssen. Die Betonung der Menschenrechte und die Wahrungund Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie die Erweiterung derAnti-Terrorismuspolitik auf den Kampf gegen den internationalen Waffen- und Dro-genhandel finden sich ihrerseits als zentraler Bestandteil in dem so genannten GlobalProgramme against Terrorism im Rahmen der Terrorism Prevention Branch wieder(UNODC 2003).

Neben der Menschenrechtsbehörde spielt das UNODC zur institutionellen Koordi-nierung der Anti-Terrorismuspolitik und zur strategischen Implementierung der inden Resolutionen des SR und der GV beschlossenen Maßnahmen die größte Rolle.Ihre Einrichtung geht direkt zurück auf die Resolution 1373 und die dort bestimmteSchaffung des Counter Terrorism Committee (CTC). Indem nämlich das CTC dieDurchführung von SR Resolution 1373 in den einzelnen Staaten überwachen undunterstützend begleiten sollte, stellt das UNODC wiederum die Schaltstelle zwischendem CTC und den einzelnen Nationalstaaten dar: »UNODC responds to CTCrequests and direct requests from countries in need of assistance for bringing their

32 Vgl. dazu »Protecting Human Rights and Fundamental Freedoms While Countering Ter-rorism«, Report of the Secretary General, 8. August 2003 (VN-Archiv unter: A/58/226),in: http://ods-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/15/PDF/N0346415.pdf?Open-Element; 21.3.2004.

33 Vgl. die Resolution »Human Rights and Terrorism« der Commission on Human Rights,in: http://www.un.org/documents/ecosoc//cn4/res/ecn4res200137.htm; 21.3.2004.

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legislation in line with the requirements of resolution 1373 (2001) and the […] con-ventions and protocols related to international terrorism« (UNODC 2003: 8). Dasgesamte globale Programm gegen Terrorismus wurde nach einem Symposium 2002aus der Taufe gehoben und startete im Oktober des gleichen Jahres. Durch institutio-nelle Vernetzungen innerhalb der Organe und Unterorgane der VN sowie durch dieKopplung ihrer verschiedenen Aufgabenfelder und Expertisen werden fünf Haupt-ziele zur Verbesserung der internationalen Kooperation und zur Steigerung derEffektivität bei der Umsetzung vor allem von SR Resolution 1373 verfolgt. Um diesehr spezifischen Aufgabenbeschreibungen nicht zu verfälschen, sei der Wortlauthier zitiert:

»Reviewing domestic legislation and providing advice on drafting enabling laws; facili-tating and providing training to national administrations with regard to new legislation;providing in depth assistance on the implementation of the new legislation against ter -rorism with the mentorship programme; maintaining an experts roster to supplementspecific expertise where required« (UNODC 2003: 4). 34

Eine abschließende Beurteilung der flankierenden Maßnahmen – auch hierzu sollendie oben genannten Handlungsgebote verwendet werden – ergibt folgendes Bild:Der dritte Imperativ der Entwicklung transnationalen Rechts wird mit den flankie-renden Maßnahmen nicht angestrebt und nicht umgesetzt. Umso mehr spielt hier derGedanke der Gegen-Netzwerkbildung wiederum die entscheidende Rolle und wirdstrategisch anvisiert. So wird denn auch als Ziel des »Global Programme AgainstTerrorism« der multiplikatorische Effekt operationaler Partnerschaften zwischenStaaten und privaten Akteuren genannt (»multiplying impact through operationalpartnerships«). Dadurch soll die Umsetzung der einschlägigen Anti-Terrorismusbe-stimmungen durch beratende Maßnahmen des CTC und des UNODC, durch dieEntwicklung national spezifischer und systemtypischer Implementierungsinstru-mente zur Bewältigung von rechtlichen bis hin zu sozialen Problemen sowie durchdie Entstehung synergetischer Effekte internationaler Kooperation vom Erfahrungs-austausch bis hin zur Entwicklung verknüpfter Datenbanken (»databases on anti-ter-rorism material«) zentral beaufsichtigt sowie effektiver gestaltet werden. Zudemwerden die Organe und Unterorgane innerhalb der VN sowie ihre spezifischen Poli-tikfelder und Aufgaben durch die Auflage gezielter Programme und die Schaffungneuer Einrichtungen intern vernetzt, so dass man auch von einer institutionellenAnpassung der VN an die Herausforderungen des transnationalen Terrorismus spre-chen kann. Durch die zentrale Stellung der Commission on Human Rights innerhalbdieser Reformen wird schließlich der normative Rahmen gestärkt, in den die Anti-Terrorismuspolitik eingebettet ist. Das oben durchgespielte Gedankenexperiment,das Modell des Global Compact auf die Anti-Terrorismuspolitik zu übertragen,erinnert doch stark an das »Global Programme Against Terrorism« und wirddadurch nicht nur konzeptionell im Rahmen der vorgetragenen Überlegungen aufge-

34 Zur Umsetzung dieser Aufgaben wurde ein dreiteiliger Plan beschlossen, der von derländerspezifischen Analyse des Regierungs- und Rechtssystems, über die Einrichtunggemeinsamer Datenbanken zur Terrorismusbekämpfung bis hin zu konkreten Implemen-tierungsinstrumenten (»tools« und »practices kits«) reicht (vgl. UNODC 2003: 5f).

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wertet, sondern findet sich in den Leitgedanken des Programms durchaus realiterwieder und wäre hier zur Erweiterung politischer Maßnahmen im Anti-Terrorismus-kampf, insbesondere auch zur Schwächung des Unterstützer-Umfeldes des Terroris-mus und seiner personellen Rekrutierungsbasis, weiter anschlussfähig.35

5. Zusammenfassung und Ausblick

Die Vereinten Nationen haben die Herausforderungen des transnationalen Terroris-mus konzeptionell richtig erkannt und in geeignete Maßnahmen und Strategienüberführt. Dabei ist zu beobachten, dass der 11. September keine qualitativen Ver-änderungen bei der Bestimmung geeigneter Maßnahmen und der Formulierung ent-sprechender Strategien zur Terrorismusbekämpfung bedeutet. Die Kernelemente,wie sie die SR Resolution 1373 gut zwei Wochen nach dem 11. September formu-liert hat, nämlich die Unterbindung der Finanzströme und Finanzquellen terroristi-scher Vereinigungen, verstärkte Grenzkontrollen und Visumsbestimmungen sowiedie Stärkung der internationalen Zusammenarbeit von Fahndungsbehörden undGeheimdiensten, sind bereits aus den einschlägigen Resolutionen der Neunziger-jahre bekannt. Was sich jedoch, und zwar massiv gewandelt hat, sind die Intensitätund das Problembewusstsein, mit denen das Thema angegangen wird, wie auch derumfassende Charakter der Fokussierung und Verurteilung terroristischer Gewalt.Zwar hat der SR bereits in seiner Resolution 731 aus dem Jahre 1992 Handlungendes internationalen Terrorismus als Bedrohung für den Weltfrieden erklärt undungeachtet jeglicher Motive verurteilt. Doch wurden bis zur Resolution 1373 (2001)in den vorausgegangenen Anti-Terrorismuskonventionen noch spezifische Handlun-gen (wie Flugzeugentführung, Geiselnahme und Bombenattentate) als terroristischverurteilt und spezifische Adressaten (terrorist units) genannt (nämlich Afghanistan

35 Die Analyse könnte hier fortfahren und abschließen mit der Untersuchung einer »zwei-ten Reihe« flankierender Maßnahmen über die in direktem Bezug zu den Anti-Terroris-musresolutionen stehenden Steuerungs- und Implementierungshilfen politischer,rechtlicher und administrativer Strategien hinaus, nämlich internationaler Programmeund Maßnahmen in den Bereichen Demokratisierung, Entwicklungszusammenarbeit,Armutsbekämpfung und Bildungspolitik. Flankierend wären diese Bereiche insofern, alssie – so die These, die zu veranschlagen wäre – weiter darauf zielen würden, den Terro-rismus von seinem Unterstützer-Umfeld und seinen Mobilisierungsressourcen abzu-schneiden. Jedoch würde diese Diskussion den hiesigen Rahmen bei weitem sprengen,zumal eine solche Untersuchung die Frage prüfen müsste, inwieweit der transnationaleTerrorismus denn überhaupt auf die Unterstützung nationaler Bevölkerungsschichtenangewiesen ist und inwieweit er dort eigentlich sein »Personal« maßgeblich rekrutiert;oder ob nicht auch hier das Prinzip der Transnationalität greift, also Rekrutierungen glo-bal erfolgen sowie die Unterstützung durch weltweit verstreute Sympathisanten bedeut-samer ist als die durch radikale Bewegungen in einzelnen Nationalstaaten? Für die letzteAnnahme spräche zunächst, dass die Attentäter beispielsweise des 11. September 2001keineswegs aus den sozial benachteiligten Schichten, sondern eher aus den Bildungs-und Sozialeliten ihrer Herkunftsländer stammten, weshalb es also durchaus möglicherscheint, dass Demokratisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Armutsbekämpfungund Bildungspolitik mit dem Ziel, den Terrorismus »von der Wurzel her« zu bekämpfen,ihre anvisierten Adressaten und damit ihre Intention verfehlen könnten.

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bzw. die Taliban, die Al Kaida und Bin Laden selbst).36 In der Resolution 1373 undin ihrer Folge, wenngleich der Politik der VN (immer) noch keine allgemeine undgemeinsame Terrorismusdefinition zugrunde liegt, wurde der Kreis der als »terroris-tisch« bestimmten Gewalthandlungen erweitert, vor allem mit Blick auf Unterstüt-zer und Sympathisanten des Terrorismus. Was nach dem und durch den 11.September eintrat, ist also in erster Linie eine quantitative Intensivierung und Erwei-terung der Anti-Terrorismuspolitik durch neue institutionelle Einrichtungen undeine interne Koordination und Verbindung von VN-Organen und ihren Arbeitsfel-dern zur Flankierung konkreter Maßnahmen und Strategien.

Jedoch besteht bei einzelnen Umsetzungen und zukünftigen Vorhaben noch weitererReformbedarf. Dies betrifft vor allem die Möglichkeit, nicht nur Empfehlungen undAufforderungen den Staaten gegenüber auszusprechen – also nicht nur ein Forum fürdie Staaten zu sein –, sondern mit einem eigenständigen Exekutivorgan im Sinneverstärkt supranationaler Merkmale selbstständig entscheidend und handelnd tätig zuwerden. Hierzu fehlt den VN jedoch das Mandat, und die Anti-Terrorismuskonventio-nen sind bislang nur von wenigen Staaten unterzeichnet worden. WeitgreifendeSchritte würden vor allem auf die Schaffung supranationalen, global geltenden Rechtsabzielen, das die Verfolgung von Akteuren und ihren Handlungen ermöglicht undberechtigt, die sich territorial bestimmbaren nationalen wie internationalen Rechtsräu-men entziehen. Wie Delbrück (2001b: 22) deutlich macht, herrschen in Ermangelungglobalen Rechts (noch) weitgehend rechtsfreie Räume. Diese müssten rechtlich verre-gelt werden, um dort stattfindende Handlungen verfolgen und juristisch verurteilen zukönnen. Eine solche, wie David Held schreibt, »universal constitutional order« (Held2002: 4) müsste auf jede Handlung eines jeden Individuums, unabhängig von denstaatlich-territorialen Rechtsräumen, in denen diese Handlungen stattfinden, und unab-hängig von dort geltenden nationalen Rechtssystemen, anwendbar sein. Nur durch einederart universelle normative Reichweite und faktische Durchsetzbarkeit könnten bis-lang rechtsfreie Orte transnationalen Handelns erfasst und kontrolliert sowie dortigeHandlungen sanktioniert werden. Jedoch ist hier unter politikwissenschaftlichenGesichtspunkten erstens zu fragen, wie ein solches Recht beschaffen sein müsste;zweitens, wer solches Recht legitimerweise durchsetzen könnte.37 Denn eine Suprema-tie universellen Rechts gegenüber nationalem Recht greift in die Souveränitätsrechteund die territoriale Integrität der Staaten ein, auf deren Territorium die Handlungenstattfinden;38 und die »Rechtssetzungshoheit (gehört nun einmal) zu den ›klassischen‹Kernbestandteilen nationalstaatlicher Souveränität« (Voigt 1999/2000: 21).

36 Mit Ausnahme wurden auch der Sudan und Libyen erwähnt, die dann jedoch von derListe gestrichen wurden, als einige Regierungsvertreter des Sudan die Attentate des 11.September verurteilten und Libyen zwei des Lockerbie-Anschlags Verdächtige nachSchottland auslieferte.

37 Beiden Perspektiven ist die politik- und rechtsphilosophische Frage nach der Legitima-tion universeller Rechtsnormen sowie nach der Legitimation eines globalen »Implemen-tationsapparates« (Voigt 1999/2000: 16) und eines Sanktionsinstrumentes immanent.

38 Von dieser aktuellen Problematik aus kann historisch ein Bogen zu der eingangserwähnten Ablehnung des Resolutionsentwurfes 3034 der USA aus dem Jahre 1972durch die GV geschlagen werden, in der nämlich genau dieses Argument von Seiten derGegner dieses Entwurfes, der sie z. B. zur Genehmigung extraterritorialer Strafverfol-

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Ein weiteres Problem liegt darin, dass ein Eingriff in nationale Souveränitätsrechtezur Erhöhung der Steuerungsfähigkeit transnational vernetzter Handlungen zumin-dest theoretisch in solchen Fällen funktioniert, in denen einzelne Handlungen ihrenbestimmbaren Ort haben (also Straftaten in Staaten und auf ihren Territorien erkenn-bar stattfinden), selbst wenn der gesamte Handlungszusammenhang entgrenzt unddaher territorial nicht bestimmbar ist. Jedoch würde auch universelles Recht dannnicht mehr greifen, wenn die Orte transnationaler Handlungen als Knotenpunkte ent-territorialer Netzwerke nicht mehr bestimmbar oder rekonstruierbar sind wie bei-spielsweise im Falle digital vernetzter Handlungen. Ungeachtet dieses Sonderfallswürden staatliche Souveränitätsabgaben zugunsten internationaler Kooperationjedenfalls eine Erhöhung der politischen Steuerungsfähigkeit im Anti-Terrorismus-kampf bedeuten.39 Es ist also auch hier – wie bereits bei der strategischen Umsetzungder ersten beiden Steuerungsgebote – das Paradoxon zu beobachten, dass unter Glo-balisierungsdruck und in der Folge der Anpassung von Staaten an Globalisierungslo-giken Souveränitätseinbußen in Kauf zu nehmen sind, im Falle einer erfolgreichenUmsetzung der Steuerungsgebote jedoch dieser Verlust durch die Herstellung neuerHandlungsmacht wieder aufgefangen werden kann. Jedoch wird dadurch staatlicheSouveränität nicht wieder hergestellt, sondern Handlungsmacht neu dazu gewonnen.Für die Bekämpfung des Terrorismus wird es deswegen von besonderer Bedeutungsein, inwieweit die Staaten und die Staatengemeinschaft ihre auf dem traditionellenstaatlichen Souveränitätsanspruch fußende Politik überwinden, selbst der Logik nachtransnationale Strategien entwickeln und somit in das territorial entgrenzte Hand-lungsfeld des globalen Terrorismus durch ihrerseits entterritoriale Strategien vorsto-ßen, um dadurch, wenngleich nicht die Akteure selbst, so wenigstens ihreHandlungsorte und deren strukturellen Bedingungen kontrollieren zu können. Staatenebenso wie die VN werden somit in doppelter Hinsicht zu einem Agenten der Globa-lisierung: zum einen, indem sie die Bedingungen transnationaler Politik ermöglichenund ermöglicht haben, und zum anderen, indem sie nun unter diesen Bedingungenhandeln und die Logik der Transnationalität selbst praktizieren müssen.

39 Eine Umsetzung dieses Prinzips ist zum Beispiel in den Kriegstribunalen in Ex-Jugosla-wien entsprechend der Resolution 827 (1993) des SR zu sehen, ebenfalls im Falle der SRResolutionen 1267 (1999), 1333 (2000) und 1373 (2001) gegen die Taliban und die AlKaida. Am weitesten fortgeschritten dürfte die Entwicklung transnationalen Rechts imBereich privater Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sein. In Anlehnung an das histo-rische Vorbild des mittelalterlichen Kaufmannsgewohnheitsrechts ( lex mercatoria), dasüber staatlich-territoriale Grenzen hinweg für alle Kaufleute galt, ist heutzutage die Redevon einer »neuen ›lex mercatoria‹«, die sich vor allem in der internationalen Schiedsge-richtsbarkeit ausdrückt; vgl. Stein (1995).

gung durch internationale Behörden verpflichtet hätte, geltend gemacht wurde. Souverä-nitäts- und legitimationstheoretisch sind die Probleme also nach wie vor ungelöst. Diedaraus resultierende Praxis des SR, in bestimmten Fällen eine Art »Weltgesetzgeber-schaft« auszuüben, ist aus dieser Perspektive nicht mehr als eine Behelfskonstruktion imZuge völkerrechtlicher Reformbewegungen. Über die weitere Entwicklung dieses Prin-zipienkonfliktes zwischen nationalen Souveränitätsansprüchen und transnationalenRechtsentwicklungen kann nur spekuliert werden.

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61Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 61-87

Benjamin Herborth

Die via media als konstitutionstheoretische EinbahnstraßeZur Entwicklung des Akteur-Struktur-Problems bei Alexander Wendt

Über die via media, die Kombination von Post-Positivismus in ontologischen undPositivismus in epistemologischen Fragen, ist »den Konstruktivisten« die Aufnahme inden Kanon allgemein akzeptierter Ansätze in den Internationalen Beziehungengelungen. Der wesentliche Vorteil gegenüber klassischen rationalistischen Ansätzen,so zumindest ein gängiger rhetorischer Aufmacher, bestehe in einem angemessenerenVerständnis von sozialem Wandel, der Einsicht in die (Re-)Konstruierbarkeitweltpolitischer Strukturen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dasssoziales Handeln, also die wesentliche Triebfeder offener Transformationsprozesse,begrifflich unterentwickelt ist. In Form einer immanenten Kritik zeigt der Artikel,inwiefern sich konstitutive Effekte sozialen Handelns mithilfe der bei Wendt nurverkürzt rezipierten Sozialtheorie George Herbert Meads auf den Begriff bringenlassen und welche Konsequenzen sich daraus für den Struktur- und Handlungsbegriffder via media ergeben.

1. Einleitung1

Über die via media, die Kombination von Post-Positivismus in ontologischen undPositivismus in epistemologischen Fragen, ist »den Konstruktivisten« die Aufnahmein den Kanon allgemein akzeptierter Ansätze in den Internationalen Beziehungengelungen. Der wesentliche Vorteil gegenüber klassischen rationalistischen Ansätzen,so zumindest ein gängiger rhetorischer Aufmacher, bestehe in einem angemessene-ren Verständnis von sozialem Wandel, der Einsicht in die (Re-)Konstruierbarkeitweltpolitischer Strukturen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dasssoziales Handeln, also die wesentliche Triebfeder offener Transformationsprozesse,begrifflich unterentwickelt ist. Ein »akteurszentrierter Ansatz« signalisiert nach wievor methodologischen Individualismus und rational choice. Alexander Wendt selbst,der die Berücksichtigung der wechselseitigen Konstitution von Akteur und Strukturprogrammatisch eingefordert hatte (Wendt 1987), rechtfertigt die Konzentration aufeine Neufassung des Strukturbegriffs in seiner Social Theory of International Poli-tics (Wendt 1999) auch damit, dass »with the emergence of rational choice and gametheory as important analytical tools in IR we now have a fairly well-developed fra-mework for thinking about agency and interaction« (Wendt 1999: 184).2 Daraus

1 Für hilfreiche Anmerkungen und Kritik danke ich Rainer Baumann, Gunther Hellmann,Patrick Thaddeus Jackson, Wolfgang Wagner, Alexander Wendt, Antje Wiener, KlausDieter Wolf sowie den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern der ZIB.

2 Wendt (1999: 184) gesteht allerdings zu, dass die Bedeutung von Interaktionsprozessenin rationalistischen Ansätzen unterbestimmt bleibt.

Aufsätze

62

ergibt sich eine Handlungskonzeption, die auf Zielgerichtetheit und Zweckrationali-tät basiert – wobei Ziele und Präferenzen der Handlungssituation vorgelagert blei-ben. Die zentrale Innovationsleistung der »konstruktivistischen Wende«, die klassi-sche Kausallogik um eine konstitutionstheoretische Perspektive zu erweitern, wirdsomit halbiert: Es wird zwar deutlich, dass Strukturen Handeln erst ermöglichen,Interessen und Identitäten konstituieren, worin aber umgekehrt die konstitutivenEffekte sozialen Handelns bestehen, bleibt ausgeblendet. Die so halbierte Konstituti-onslogik ist, gerade wegen dieser Asymmetrie, dann nicht mehr in der Lage, sozialenWandel auf den Begriff zu bringen: »Constitutive analysis is inherently static. It tellsus what structures are made of and how they can have certain effects, but not aboutthe processes by which they move through time, in short, about history« (Wendt1999: 185f, Hervorh. dort).

Inwiefern damit der ursprünglich formulierte Anspruch, Akteure und Strukturenals »ontological equals« (Wendt 1987) zu behandeln, zumindest nicht vollständigeingelöst wird, soll im Folgenden in Form einer immanenten Kritik der WendtschenTheorie rekonstruiert werden. Nach einer knappen Einführung in die Unterschei-dung zwischen Kausallogik und Konstitutionslogik werde ich daher zunächst nach-zeichnen, wie Wendt die durch seine programmatische Formulierung des Akteur-Struktur-Problems eröffneten Möglichkeiten für die Theoriebildung begrifflich kon-kretisiert. In einem zweiten Schritt geht es dann darum, die Konsequenzen diesergrundbegrifflichen Entscheidungen aufzuzeigen und ihnen eine weniger einseitigstrukturlastige Alternative gegenüberzustellen.

Dabei sind die analytischen Grundbegriffe, mit denen sich auch konstitutiveDimensionen sozialen Handelns auf den Begriff bringen lassen, bei Wendt überseine Rezeption der pragmatistischen Sozialtheorie George Herbert Meads (in einerdurch den Symbolischen Interaktionismus verkürzten Form) bereits angelegt, wennauch kaum ausgeführt. Im Sinne einer Kritik und Erweiterung des WendtschenArguments werde ich daher skizzieren, welche Konsequenzen sich aus einer solchenpragmatistischen Reformulierung ergeben. Denn in Opposition zu sowohl rationalis-tischen als auch normativistischen Ansätzen sind es, so auch Mustafa Emirbayer andAnn Mische, insbesondere die Arbeiten George Herbert Meads »that offer us themost compelling tools for overcoming the inadequate conceptions of agency«(Emirbayer/Mische 1998: 968). Denn es ist nicht nur das rationalistische Akteurs-modell, das völlig auf die bornierte Akkumulation von Lustquanten abzielt, sondernauch die normativistische Logik der Angemessenheit, die konstitutive und kreativeDimensionen sozialen Handelns ausblendet (vgl. dazu kritisch Sending 2002). Dienormative Totalintegration in eine vorgegebene Ordnung konstruiert hier einenhomo sociologicus, der sich zwar charakterlich, nicht aber grundbegrifflich von demModell eines homo oeconomicus unterscheidet, denn beide handeln auf der Grund-lage ihnen exogen vorgegebener Bedingungen (vgl. Joas 2000: 272-279, 1992a). Inbeiden Fällen wird soziales Handeln auf eine bloße Anpassung an exogene Präferen-zen oder gesellschaftliche Normen reduziert. Eine nicht-reduktionistische Konzep-tualisierung sozialen Handelns wäre aber Bedingung, um die Idee wechselseitigerKonstituiertheit von Struktur und Handeln begrifflich fassen zu können.

Benjamin Herborth: Die via media als konstitutionstheoretische Einbahnstraße

63ZIB 1/2004

2. Konstitutionslogik und Kausallogik: Was bringt die »soziologische Wende« in den Internationalen Beziehungen?

Die gesellschaftstheoretisch grundlegende Frage, wie ein wenigstens rudimentärerBegriff von Handlungsautonomie mit der Rolle übersubjektiver Strukturgesetzlich-keiten zusammengebracht werden könne, gehört spätestens seit Wendts (1987) vieldiskutiertem Aufsatz The Agent-Structure Problem in International Relations The-ory auch zu den Grundfragen der Internationalen Beziehungen.3 Ich werde in diesemAbschnitt zu zeigen versuchen, dass es sich dabei weder um ein neues Paradigmaoder eine neue Großtheorie im herkömmlichen Sinne noch um eine jener sozialwis-senschaftlichen Modeerscheinungen handelt, bei denen das Innovationspathos einerneuen Begrifflichkeit die substanziellen Veränderungen überwiegt. Es handelt sichmeines Erachtens in der Tat insofern um einen »sociological turn«, als die Struktu-rierung theoretischer Kontroversen entlang paradigmatischer Stellungskriege wir-kungsvoll unterlaufen wird.

Diese »paradigm wars« (Wendt 1998), gegen die Wendt sein konstitutionstheore-tisches Programm explizit entwickelt, waren in der Vergangenheit Gegenstanddiverser »kleiner Debatten«, in denen die Selbstbeschreibung der Disziplin imSchatten ihrer Großtheorien verhandelt wurde. In diesem Zusammenhang sind sol-che Debatten insbesondere metatheoretisch instruktiv,4 insofern sie sich im Wesent-lichen als »labeling exercise« (Hellmann 2000: 170) herausstellen, bei dem nichtGeltungsansprüche und empirische Plausibilität von Theorien, sondern selbstrefe-renziell der relative Erklärungsanteil zwischen den Paradigmen verhandelt wird.5

Das zentrale Anliegen Wendts besteht vor dem Hintergrund einer solchen Ten-denz darin, über eine Neubestimmung des Strukturbegriffs die Verflechtungszusam-menhänge zwischen denjenigen Faktoren aufzuschließen, deren exklusiveGeltungsansprüche die traditionellen »Großtheorien« der Internationalen Beziehun-gen in Bezug auf ihre jeweilige »Lieblingsvariable« mit Zähnen und Klauen zu ver-teidigen versuchen. Keineswegs geht es darum, die Bedeutung von Macht oderInteressen hinter die konstruktivistischen Favoriten wie Normen oder Identitäten

3 Vgl. u. a. Dessler (1989); Carlsnaes (1992); Wendt (1992); Zehfuß (1998); Wight(1999); Jackson/Nexon (1999).

4 So etwa Legro und Moravcsik (1999), die in einer feindlichen Übernahme der theoreti-schen Definitionskompetenz einen »minimal realism« entwerfen, auf dessen Grundlagesie dann einen wesentlichen Teil der Erklärungskraft realistischer Ansätze ihren eigenenParadigmen zuschlagen. Gestandene Realisten wie Stephen Van Evera, Stephen M. Waltoder Randall L. Schweller erscheinen vor diesem Hintergrund, so Taliaferro in seinerReaktion, als »liberals with an identity crisis« (Taliaferro 2000: 182).

5 Dies wird wissenschaftstheoretisch in der Regel über Lakatos’ Methodologie wissen-schaftlicher Forschungsprogramme legitimiert. So etwa Vasquez (1997), der im Realis-mus ein degeneratives Forschungsprogramm sieht, eine amorphe Konstruktion, die denKriterien des »raffinierten Falsifikationismus« (Lakatos 1974) nicht gerecht werdenkönne. Abgesehen davon, dass bei Lakatos Problemverschiebungen degenerativ seinkönnen, nicht aber ganze Forschungsprogramme, stellt sich die Frage, inwiefern Laka-tos’ an naturwissenschaftlichen Beispielen entwickelte Kriterien, insbesondere dieAnnahme eines harten Kerns von Forschungsprogrammen, auf sozialwissenschaftlicheZusammenhänge überhaupt übertragbar sind.

Aufsätze

64

zurückzustufen.6 Wenn sich die soziale Bedeutung von Macht oder Interessen abernicht auf deren materielle Gewalt stützt, sondern immer (symbolisch) vermittelt ist,sind Macht und Interessen ohne ihre ideellen Grundlagen nicht verständlich. Nebender kausalen Bestimmung des Einflusses bestimmter »Variablen« kommt es also aufden konstitutiven Zusammenhang dieser Faktoren untereinander an. Während Kau-salbeziehungen nur die Wirkungen eines Faktors auf einen anderen anzeigen undzudem eine zeitliche Sequenzialisierung von Ursache und Wirkung voraussetzen,implizieren Konstitutionsbeziehungen eine logische Abhängigkeit. Ohne Herr wäreder Knecht kein Knecht, der eine kann dem anderen niemals zeitlich oder logischvorgelagert sein (Wendt 1999: 83-88). Der kausallogisch zentrale Begriff der Vari-ablen selbst – und mit ihm die wissenschaftstheoretische Orientierung an einemklassisch naturwissenschaftlichen Erkenntnisideal – werden damit obsolet.7 Kausal-logik und Konstitutionslogik stehen allerdings nicht in einem Verdrängungswett-bewerb. Sie antworten auf unterschiedliche Fragen. Gleichwohl ist für Wendt diekonstitutionslogische Fragestellung die allgemeinere und theoretisch grundlegen-dere – wenn auch nicht zwingend empirisch dringendere. Die Entstehungsbedingun-gen von Identitäten und Präferenzen, in der Kausallogik rationalistischer Ansätze alsexogen gegeben vorausgesetzt, rücken hier in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

3. Zur Entwicklung des Akteur-Struktur-Problems bei Alexander Wendt

Die Folie, auf der Wendt einen Strukturbegriff entwickelt, der all diesen Herausfor-derungen gewachsen sein soll, sind die konkurrierenden Strukturtheorien internatio-naler Politik. Für Wendt (1987) waren dies (schon) Neorealismus und (noch)Wallersteins Weltsystemtheorie. Während sich Waltz’ (1979) individualistischeCharakterisierung des internationalen Systems »in terms of the observable attributesof [its] member states« als Selektions- und Sozialisationsmechanismus, der dieHandlungsfreiheit einschränkt, und Wallersteins holistische Bestimmung »in termsof the fundamental organizing principles of the capitalist world economy whichunderlie and constitute change« (Wendt 1987: 335), auf den ersten Blick grundle-gend unterscheiden, erscheint ihre logische Struktur doch überraschend ähnlich.8

Das theoretische Problem, das Verhältnis zwischen sozialen Strukturen undAkteuren auf den Begriff zu bringen,9 wissen beide – so Wendt (1987: 337-349) –

6 Wenngleich genau dies für einen Teil »konstruktivistisch« inspirierter Forschung geradecharakteristisch ist.

7 Zwar gibt es Versuche, komplexere Kausalbeziehungen innerhalb des klassischen Voka-bulars darzustellen, dies führt aber schon in dem Moment zu begrifflichen Unschärfen,in dem gleichzeitig von kausaler Wechselwirkung und unabhängiger Variable gespro-chen wird. Sobald eine Variable selbst kausalen Einflüssen unterliegt, ist sie eben nichtmehr unabhängig.

8 Diese individualistische Interpretation des Neorealismus nimmt Wendt später wenig-stens implizit zurück, wenn er seinen Begriff von Makrostruktur gegen Waltz (1979)entwickelt (Wendt 1999: 145-147).

9 Genau genommen geht es hier um Akteurshandeln, nicht um den Akteursstatus. SowohlMead (1962) als auch später den Praxistheorien von Bourdieu (1993) und Giddens

Benjamin Herborth: Die via media als konstitutionstheoretische Einbahnstraße

65ZIB 1/2004

einfach dadurch zu umgehen, dass sie eine der beiden Seiten, Strukturen oderAkteure, als exogen gegebene »primitive units« voraussetzen und damit weiterenBegründungsverpflichtungen entziehen. »They both presuppose some theory ofwhat is being structured, human or organizational agents, and or their relationship tosocial structures« (Wendt 1987: 336f, Hervorh. dort). Neorealismus wie auch Neoli-beralismus folgen derselben individualistisch-rationalistischen Strategie, wenn sieAkteure, ihre Interessen und Identitäten als von sozialen Strukturen unabhängig undgegeben voraussetzen, anstatt zu rekonstruieren, inwieweit diese Strukturen Interes-sen und Identitäten erst erzeugen. Unter diesen Bedingungen kann, etwa in einer denNeorealismus explizit fundierenden Staatstheorie, nicht mehr nach den Entstehungs-bedingungen von Akteuren gefragt werden. Wenn umgekehrt, wie in Wallersteins(1974) Weltsystemtheorie, allgemeine Strukturen von den Akteuren losgelöst wer-den, die sie erst erzeugen, werden analog diese Strukturen zur quasi-metaphysi-schen, unhintergehbaren Voraussetzung (Wendt 1987: 344-349, 1992: 392f).

Indem er Akteuren und Strukturen den gleichen ontologischen Status einräumt,hofft Wendt, solche Vereinseitigungen vermeiden zu können. In Anlehnung an die»structuration theory«10 bringt er soziale Strukturen und individuelle Akteure in einwechselseitiges Bedingungsverhältnis: »Human agents and social structures are, inone way or another, theoretically interdependent or mutually implicating entities«(Wendt 1987: 338, meine Hervorh.). Den Ausgangspunkt des Akteur-Struktur-Pro-blems bilden dann zwei »truisms about social life« (Wendt 1987: 337). Zum einensind Individuen und ihre Organisationen in der Lage, zielgerichtet und reflektiert zuhandeln und damit soziale Strukturen zu reproduzieren oder zu transformieren; zumanderen strukturieren diese Strukturen das Handeln dieser zielgerichteten Akteureuntereinander. Von einem Problem – einer Antinomie im klassischen Sinne – mussman nun sprechen, weil die beiden »truisms« sich ausschließen. Entweder wir spre-chen von Handlungsautonomie oder von der strukturellen Bedingtheit sozialen Han-delns.

Generative Strukturen und Möglichkeitsräume

Wendts erster Schritt zur Überwindung dieser Dichotomie besteht in der Aneignungeines generativen Strukturbegriffs, wie er ihn bei Wallerstein (1974) bereits ange-legt findet.11 Strukturen dürfen demnach nicht individualistisch nur als (materielle)

10 Wendt (1987: 336, Fn.2) nennt Anthony Giddens, Pierre Bourdieu, Roy Bhaskar undDerek Layder als Hauptvertreter. Er selbst bezieht sich in erster Linie auf Bhaskar. ZurInkommensurabilität der Strukturbegriffe von Giddens und Bhaskar vgl. Wight (1999).

11 Konsequenter formuliert findet sich ein generativer Strukturbegriff allerdings etwa beiBourdieu (1993) und Oevermann (1991).

(1988) geht es in diesem Sinne um die »Überwindung des Dualismus von Struktur undHandeln« (Reckwitz 2003: 283, meine Hervorh.; vgl. auch schon Adorno 1996). In die-sem Sinne sind die konstitutiven Effekte sozialen Handelns nicht auf außeralltäglicheEigenschaften spezifischer Akteure zurückzuführen, sondern vielmehr als Eigenschaftenzu verstehen, die sich prozessual aus praktischen Handlungsabläufen ergeben. In diesemSinne spricht Joas (1992a) programmatisch von der Kreativität des Handelns, nicht vonder Kreativität des Akteurs.

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Handlungsbeschränkungen verstanden werden. Als Strukturgesetzlichkeiten derIndividuierung dienen sie vor allem der Handlungsermöglichung;12 sie sind real,irreduzibel und nicht beobachtbar. Im Gegensatz zum strukturalistischen Determi-nismus betonen Strukturierungstheoretiker allerdings »the need for a theory ofpractical reason and consciousness that can account for human intentionality andmotivation« (Bhaskar, zitiert nach Wendt 1987: 356). Wie genau solche räumlichund zeitlich spezifischen Strukturen der Individuierung in einer »dialektischen Syn-these« (Wendt 1987: 356) vermittelt werden sollen, bleibt allerdings noch unklar.

Deutlich wird jedoch, dass der Staat als Akteur selbst theoretisch so gefasst wer-den müsste, dass die Entstehungsbedingungen der kausal wirksamen Charakteristikavon Staaten theoretisch und empirisch verstehbar werden. »Ideally such a theorywould define exhaustively the possible ways of acting of state agents, rather thangenerate determinate predictions about particular state behaviours« (Wendt 1987:365f). Der so gewendete Strukturbegriff soll also nicht länger erklären, warumetwas passiert, er soll einen Möglichkeitsraum aufspannen, der jedem staatlichenHandeln konstitutionslogisch vorausgeht.

Obwohl seine Rezeption George Herbert Meads erst mit Anarchy is what statesmake of it (Wendt 1992) beginnt, nimmt Wendt (1987) hier bereits auf Grundzügeder bei Mead angelegten pragmatistischen Gesellschaftstheorie Bezug. Auch Meaduntersucht in erster Linie die »Möglichkeiten alternativen Handelns unter unendlichvielen verschiedenen Bedingungen« (Mead 1988: 130).13 Erzeugt werden dieseMöglichkeiten durch latente Sinnstrukturen. Deren Gegenstand ist nicht der subjek-tive Sinn einer Handlung im Sinne einer Motivation, sondern ein »intersubjektiver«Sinn, also das, »was anderen aufgezeigt werden kann, während es durch den glei-chen Prozess auch dem aufzeigenden Individuum aufgezeigt wird« (Mead 1988:129). Der so eröffnete Möglichkeitsraum schließt all diejenigen Handlungsmöglich-

12 Vgl. dazu Zehentreiter (2001) sowie Wendt: »[…] that the capacities and even existenceof human agents are in some way necessarily related to a social structural context – thatthey are inseparable from human sociality« (Wendt 1987: 355, Hervorh. dort).

13 Von einer pragmatistischen Gesellschaftstheorie Meads zu sprechen ist in mehrfacherHinsicht gewagt. Zum einen existiert keine systematische Veröffentlichung dieserGesellschaftstheorie – sein vermeintliches Hauptwerk Mind, Self and Society (Mead1962) wurde posthum von Meads Schüler Charles W. Morris aus Vorlesungsmitschrif-ten zusammengestellt, zum anderen hat Mead selbst, der einen Lehrstuhl für Sozialphilo-sophie in Chicago innehatte, sich eher als Sozialpsychologe, nicht aber als Soziologeoder Gesellschaftstheoretiker verstanden. Dass eine solche Gesellschaftstheorie inMeads Werk angelegt ist, zeigt sich allerdings nicht nur daran, dass sich eine soziologi-sche Denkschule – der symbolische Interaktionismus – auf Mead als Gründervaterbezieht. Indem er implizit einen rationalistischen homo oeconomicus genauso zurück-weist wie einen normativistischen homo sociologicus und die symbolisch vermittelteInteraktion in einer sozialen Gruppe zum systematischen Ausgangspunkt seiner Überle-gungen macht, von dem aus erst rekonstruiert wird, wie Individuierung und individuelleZwecksetzung – sei sie rationalistisch oder normativistisch – möglich wird, beschäftigtsich Mead mit genau den gesellschaftstheoretischen Grundfragen, die auch in derDebatte um das Akteur-Struktur-Problem adressiert werden. Dazu Habermas: »Den ein-zigen aussichtsreichen Versuch, den vollen Bedeutungsgehalt von gesellschaftlicherIndividualisierung begrifflich einzuholen, sehe ich in der Sozialpsychologie von G. H.Mead« (Habermas, zitiert nach Ritsert 2001: 118).

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keiten mit ein, die es erlauben, an einen spezifischen Handlungsverlauf sinnvollanzuschließen. Der Möglichkeitsraum ist also Ausdruck einer intersubjektivenBedeutungsstruktur, die sich von der etwa in Max Webers (1972: 1-30) Grundbe-griffen dargestellten Kategorie des subjektiv gemeinten Sinns deutlich unterschei-den lässt.14 Die Funktion von Sinn oder Bedeutung ist also nicht kausal, sondernkonstitutiv: Sinn determiniert nicht das Ergebnis einer Handlung im Sinne normati-ver Angemessenheit – er ermöglicht Handlungen, indem er sie intersubjektiv ver-stehbar macht.

Was damit gemeint ist, lässt sich am besten anhand einer Analogie zu Chomskys(1977) Kompetenztheorie in der Linguistik illustrieren: Wir sind prinzipiell in derLage, unendlich viele verschiedene Sätze zu formulieren, die ein Gesprächspartner,der derselben Sprache mächtig ist, auch versteht. Diese Kompetenz kann aus prakti-schen Gründen nicht auf einfacher Imitation beruhen. Dass wir in der Lage sind,Sätze zu verstehen, die wir noch nie zuvor gehört haben, setzt ein abstraktes Regel-wissen der Grammatik einer Sprache voraus. Nur auf der Grundlage universellergrammatischer Regeln können wir jeden beliebigen Satz verstehen, solange er die-sen Regeln zufolge wohlgeformt ist. Es ist diese, Verständigung überhaupt erstermöglichende Fähigkeit, die Chomsky (1977) als Kompetenz bezeichnet.15 Obwohljeder Muttersprachler die grammatikalischen Regeln seiner Sprache beherrschenmuss, werden nur die wenigsten in der Lage sein, diese Regeln auch exakt zu expli-zieren. Dieses implizite Wissen, dieses tacit knowledge, ist die Basis der Kompe-tenz. Performanz bezeichnet demgegenüber die tatsächliche Anwendung dersprachlichen Kompetenz in Form von wohlgeformten Sätzen. Die Performanz liefertalso bei Chomsky (1977) das für die Analyse der sprachlichen Kompetenz entschei-dende Datenmaterial. Sie ist eine mögliche Ausprägung der Anwendung vonRegeln, die sich in ihr wiederfinden lassen.16

Überträgt man dieses Modell auf soziale Handlungen, wie es etwa Bourdieu(1993) oder Oevermann (1991, 2000) getan haben, wird deutlich, was mit der Kate-

14 Damit lässt sich auch die klassische Dichotomie von objektivem Erklären und subjekti-vem Verstehen überwinden. Weber selbst ist in seinen materialen Arbeiten, insbesondereder Protestantischen Ethik (Weber 1993) deutlich über seine eigenen Kategorien hinaus-gegangen (zu dieser Spannung vgl. Joas 1992b; zur Bedeutung von Weber für eine nichtindividualistische Theorie der internationalen Beziehungen vgl. Jackson 2002).

15 »Es ist ganz offenkundig, daß Sätze eine spezifische Bedeutung haben, die durch sprach-liche Regeln bedingt ist, und daß derjenige, der eine Sprache beherrscht, das Regelsy-stem, das sowohl die phonetische Gestalt des Satzes wie seinen spezifischensemantischen Inhalt determiniert, in gewisser Weise internalisiert hat – daß er entwickelthat, was wir als eine spezifische sprachliche Kompetenz bezeichnen wollen« (Chomsky1977: 483, Hervorh. dort).

16 »Freilich ist gleichermaßen deutlich, daß der tatsächlich beobachtete Sprachgebrauch –die tatsächliche Sprachverwendung, die Performanz – nicht einfach die spezifischenVerbindungen zwischen Laut und Bedeutung widerspiegelt, die durch das sprachlicheRegelsystem gebildet werden. Zur Performanz gehören noch viele andere Faktoren. Wasin unserer Gegenwart gesagt wird, interpretieren wir nicht bloß durch Anwendung dersprachlichen Prinzipien, die die phonetischen und semantischen Eigenschaften einerÄußerung determinieren. Dafür wie Sprache erzeugt, erkannt und verstanden wird, sindaußersprachliche Überzeugungen über den Sprecher und die Situation von entscheiden-der Bedeutung« (Chomsky 1977: 483f, Hervorh. dort).

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gorie des (objektiven) Sinns gemeint ist: Erst bedeutungserzeugende konstitutiveRegeln machen intersubjektive Verständigung – hier nicht nur im Sinne rein sprach-lichen Verstehens, sondern vor allem als Verstehen von Handlungen – möglich. Siebilden das kollektive Fundament sozialen Handelns, das seinerseits durch die Per-formanz sozialer Praxis ständigen Veränderungen unterworfen ist (Reckwitz 2000).

Als Genscher z. B. Ende der Achtzigerjahre den Begriff der »Verantwortungspoli-tik« prägte, herrschte allgemeine Übereinstimmung darüber, dass damit imBewusstsein der Geschichte Deutschlands eine militärische Zurückhaltung gemeintwar. Wenn Gerhard Schröder heute davon spricht, Deutschland müsse mehr Verant-wortung in der Welt übernehmen, dann herrscht eine ebenso allgemeine Überein-stimmung darüber, dass damit das Gegenteil von Genschers Verantwortungspolitikgemeint ist. Die Handlungsräume, vor deren Hintergrund deutsche Außenpolitikmöglich wird, haben sich also verändert, ohne dass dies politisch besonders themati-siert worden wäre.

Wandel durch Wechselwirkung

Die Frage, wie solche Veränderungsprozesse funktionieren, stellt sich Wendt dannin Anarchy is what states make of it (Wendt 1992). Hier bezieht er sich explizit aufMead und den Symbolischen Interaktionismus. Die in rationalistischen Theorien indie Annahmen verlegten properties der Akteure – Identitäten, Interessen und Präfe-renzen – erklärt Wendt nun als Produkte symbolisch vermittelter Interaktion. DenAusgangspunkt bilden dabei Situationen, in denen etablierte Situationsdefinitionenals Grundlage eingespielter Handlungsroutinen außer Kraft gesetzt sind: »Some-times situations are unprecedented in our experience, and in these cases we have toconstruct their meaning, and thus our interests, by analogy or invent them de novo«(Wendt 1992: 398). Wendt konstruiert als Beispiel einen ersten Kontakt zwischeneiner außerirdischen und der menschlichen Zivilisation.17 Der gedankenexperimen-telle Handlungsablauf beginnt mit einem »Reiz«, der eine Reaktion erfordert: dieAußerirdischen. Die Situationsdefinition der unverhofft besuchten Menschheit grün-det sich auf ihre Identitäten und Interessen, die selbst das Produkt früherer Interakti-onen darstellen, die Wendt aber als in der Handlungssituation gegeben unterstellt.Ohne ihre Entstehungsbedingungen prinzipiell zu ignorieren, können sie also inKlammern gesetzt werden (bracketing). Die Reaktion der Menschheit auf das Auf-tauchen Außerirdischer, ihr soziales Handeln, wird nun von den fragwürdigen Besu-chern interpretiert. Ihre Situationsdefinition wird sich wenigstens teilweise nachdieser ersten Reaktion richten. In die Handlungen der Außerirdischen gehen alsonicht nur diejenigen Identitäten und Interessen ein, die sie im Umgang mit ihrenextra-terrestrischen Gattungsgenossen erworben haben. Sie können bereits auf erste

17 In seiner Social Theory of International Politics verwendet Wendt (1999: 56, 208)anstelle der Außerirdischen den ersten Kontakt zwischen Montezumas Azteken und spa-nischen Eroberern als plausibleres Beispiel. Die Logik des ersten Kontakts bleibt jedochdie gleiche.

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Erfahrungswerte aufgrund der Verhaltensweisen der Menschen zurückblicken. ImHandlungsverlauf formen die Beteiligten also qua Praxis jene »intersubjectiveunderstandings and expectations« (Wendt 1992: 406), die nicht nur in den beteilig-ten Akteuren verankert werden, sondern diese überhaupt erst konstituieren. Die fol-genden Situationsdefinitionen gründen sich dann auf die so eingespielteIntersubjektivität. In diesem Sinne spricht Wendt von der »codetermination of insti-tutions and process« (Wendt 1992: 406). Die Logik des Sicherheitsdilemmas ohneBerücksichtigung der vorgängigen Interaktionen zwischen den Staaten vorauszuset-zen, wäre demzufolge ein Kategorienfehler:

»These claims presuppose a history of interaction in which actors have acquired ›selfish‹identities and interests; before interaction […] they would have no experience uponwhich to base such definitions of self and other […]. Self-help is an institution, not aconstitutive feature of anarchy« (Wendt 1992: 402).

Situationsdefinitionen sind also immer durch intersubjektiv geprägte Identitäten ver-mittelt, die ihrerseits Produkte der Handlungen der beteiligten Akteure sind. An die-ser Stelle führt Wendt (1992: 419) Meads zentrale Differenzierung zwischen dem»me« als demjenigen Teil der Subjektivität »defined in terms of others« und dem »I«als dem nicht auf Andere reduzierbaren Teil der Subjektivität ein, der für die Aus-wahl aus dem intersubjektiv eröffneten Spektrum von Alternativen zuständig ist.18

Kulturen der Anarchie als spezifische Vermittlungen von Mikro- und Makrostruktur

Mit der Erweiterung des ursprünglichen Forschungsprogramms um diese interaktio-nistischen Perspektiven sind die wesentlichen Bausteine einer Metatheorie für dieInternationalen Beziehungen eingeführt. Es handelt sich hier insofern um eine Meta-theorie, als inhaltliche Festlegungen völlig ausgespart bleiben. Es gibt, Wendt(1999: 1f, 193) weist wiederholt darauf hin, nicht die konstruktivistische Theorie derinternationalen Beziehungen. Die Tatsache, dass Institutionen auf kollektiven Inter-pretationen von Symbolkonfigurationen basieren, sozial konstruiert sind oder nichtsanderes als intersubjektive Zuschreibungen darstellen, sagt nichts aus über denGegenstand, der Wendt eigentlich interessiert: »the ontology of international life«(Wendt 1999: 370).19 Eine substanzielle Theorie der Internationalen Politik arbeiteter erst im zweiten Teil des Buches, International Politics (Wendt 1999: 193-378),aus. Zuvor führt er jedoch, frühere Arbeiten zum Teil ergänzend, zum Teil aber auchengführend, eine Reihe von Binnendifferenzierungen ein – zwischen Mikrostruktu-

18 Diese Interpretation von Meads »I« als einer Art bewusster Wahlentscheidung scheintmir allerdings zu kurz zu greifen; vgl. die Kritik in Abschnitt 4. Um Unklarheiten zu ver-meiden, verwende ich die Originalbegriffe »I« und »me«. In der deutschen Übersetzungvon Mind, Self and Society – Geist, Identität und Gesellschaft (Mead 1988) – werden dieBegriffe mit Ich bzw. ICH wiedergegeben. Diese Übersetzung ist jedoch als mangelhaftund unklar kritisiert worden. In den von Hans Joas herausgegebenen Gesammelten Auf-sätzen Meads (1987a), werden aus »I« und »me« grammatikalisch korrekt das »Ich« unddas »Mich«.

19 Zur Kritik eines solchen Verständnisses von Metatheorie vgl. Wight (1999), der daraufhinweist, dass Begriffe wie Struktur und Akteur nur in unmittelbarem Bezug auf empiri-sche Anschauung sinnvoll sind und daher auch fallspezifisch variieren können.

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ren und Makrostrukturen, zwischen common knowledge und collective knowledgeund wiederum zwischen kausalen und konstitutiven Effekten. Mikrostrukturenbeziehen sich auf die »world from agents’ point of view« (Wendt 1999: 147). DieEigenschaften einzelner Akteure reichen hierzu allerdings nicht aus: »What mattersis how they interact, the outcome of which is emergent from rather than reducible tothe unit-level« (Wendt 1999: 148). Mikrostrukturen sollen also die Interaktionenerklären, die sich zwischen Akteuren abspielen, die entweder – wie am Beispiel derAußerirdischen gezeigt – die Absichten des Gegenübers nicht einschätzen,geschweige denn steuern können oder aber in Verhandlungssituationen von vorn-herein von der Wahl des anderen abhängig sind. Makrostrukturen zielen demgegen-über auf die Erklärung jener »broad tendencies in the system as a whole« (Wendt1999: 149), die auch der stets präsente Gegenspieler Waltz (1979) im Blick hat.Dessen »balance of power« und seine Fabrikation von Staaten als »like units« giltals Makrostruktur, da sie auf der Erklärungsebene des internationalen Systemsansetzt, ohne das Verhalten einzelner Akteure erklären zu wollen. Das wesentlicheKennzeichen von Makrostrukturen besteht also darin, dass sie gewissermaßen über-determiniert sind. Hier findet sich das oben skizzierte Kompetenzmodell wieder.Makrostrukturen existieren nur durch Mikroprozesse, genauso wie die Grammatikeiner Sprache nur dadurch existiert, dass sie gesprochen oder wenigstens überliefertwird. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Interaktionen auf der Mikroebene, die eineeinzige Makrostruktur realisieren können. Wendt beschreibt diese Beziehung auchals »supervenience«. Makrostrukturen werden nicht durch Interaktionsprozessebeeinflusst, sie sind nichts anderes als diese Interaktionsprozesse. »Yet because thesupervenience relation is non-reductive, with multiple micro-states realizing thesame macro-state, the door is open to relatively autonomous macro-level explana-tions« (Wendt 1999: 156). Im Gegensatz zu Waltz sieht Wendt aber in den Mikro-fundierungen einen notwendigen Bestandteil einer systemischen Theorie.

Nachdem er zuvor den Nutzen einer konstitutionslogischen Perspektive am Bei-spiel der ideellen Grundlagen scheinbar materieller Faktoren illustriert hat (Wendt1999: Kap. 3) präzisiert Wendt nun diese subjektiv gefärbte und eher unspezifischeKategorie:

»From the impossibly broad category of ›ideas‹ we can therefore narrow our focus atleast somewhat to ›knowledge‹, using this term in the sociological sense of any belief anactor takes to be true […] The ideational aspect of social structure might now be seen asa ›distribution of knowledge‹« (Wendt 1999: 140, Hervorh. dort).

Die Kenntnis der spezifischen Rationalität von Gegen- oder Mitspielern, ihren Stra-tegien, Präferenzen und Überzeugungen fasst Wendt in dem aus der Spieltheorieentlehnten Begriff common knowledge zusammen. Common knowledge ist auf seineTräger reduzierbar und erklärt Handlungen auf der Grundlage einer intentionalisti-schen Handlungstheorie. Wendt akzeptiert, »that the game-theoretic concept ofcommon knowledge provides a useful model of how culture is structured at themicro-level« (Wendt 1999: 159). Erst durch einen konstruktivistischen Zugriffkämen jedoch auch die konstitutiven Aspekte zum Tragen, die Wendt in den »inter-subjektiven Verständnissen« sieht, die im Verlaufe einer Interaktion die Identitäten

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und Interessen der Beteiligten kontinuierlich reproduzieren oder transformieren.Collective knowledge bezieht sich demgegenüber auf Wissensstrukturen »held bygroups which generate macro-level patterns in individual behavior« (Wendt 1999:161). Der »Kapitalismus« oder das »westfälische Staatensystem« wären Beispielefür solche Wissensstrukturen. Analog zur Unterscheidung zwischen Mikrostruktu-ren und Makrostrukturen lässt sich daher die Beziehung zwischen collective know-ledge und seinen Trägern auch als »supervenience« charakterisieren, währendcommon knowledge auf seine Träger reduzierbar ist. Diese Unterscheidungen schei-nen mir deshalb von besonderer Bedeutung zu sein, weil in der Festlegung der hiernur noch kausalen Funktion von Interaktionen auf spezifische Eigenschaften – Stra-tegien, Präferenzen und Überzeugungen – bereits ein Verständnis von sozialemWandel angelegt ist, das vergleichsweise reduktionistisch erscheint. Wandel nichtals Auswahl, etwa zwischen alternativen »Kulturen der Anarchie« im Rahmen einerMakrostruktur, sondern als Wandel dieser Makrostruktur selbst zu begreifen, istnicht mehr möglich, wenn das collective knowledge der Makrostrukturen Interaktio-nen (Praxis) zwar voraussetzt, durch diese aber in seiner autonomen Logik über-haupt nicht affiziert wird (vgl. dazu Drulák 2001).

Implikationen der Konzeptualisierung von Wandel

Der wesentliche Unterschied zwischen einer Position des methodologischen Indivi-dualismus, wie Wendt ihn »dem Mainstream« zuschreibt, und einer Position desmethodologischen Holismus liegt darin, dass sich individualistische Strategien aufkausale Effekte beschränken, während eine holistische Perspektive zusätzlich diekonstitutiven Dimensionen in den Blick bekommt (Wendt 1999: 166). Kausalbezie-hungen können nur zwischen Akteuren bestehen, die voneinander unabhängig exis-tieren, sonst handelte es sich ja um ein konstitutives Verhältnis. Auf dieser Ebenelässt sich allerdings nur der kulturelle (strukturelle) Einfluss auf das Verhalten vonAkteuren begrifflich fassen. Kulturell bedingte Anpassungsprozesse, in einemreduktionistischen Verständnis also Sozialisationsprozesse, sind auf die Anpassungdes Verhaltens beschränkt (simple learning), ohne dass gleichzeitig die Verände-rung von Identitäten oder Interessen (complex learning) in den Blick käme. Derspringende Punkt bei Wendts Lösung des Akteur-Struktur-Problems, über einengenerativen Strukturbegriff Strukturiertheit – und damit Kultur – als Bedingung derMöglichkeit von Individuierung zu begreifen, erfordert die konstitutionslogischePerspektive. Da Wendt diese konstitutionslogische Perspektive aber zuvor auf derEbene der kulturellen Vermittlung von Identitäten und Interessen durch Makrostruk-turen eingefroren hat, erscheint ihm Kultur nun als »self-fulfilling prophecy«(Wendt 1999: 184-189):

»[…] Actors need to define the situation before they can choose a course of action.These definitions will be based on at least two considerations: their own identities andinterests which reflect beliefs about who they are in such situations; and what they thinkothers will do, which reflect beliefs about their identities and interests« (Wendt 1999:186f).

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Im Regelfall werden unsere prophecies im Sinne einer funktionierenden Logikder Angemessenheit erfüllt, »which will reinforce our cultural beliefs« (Wendt1999: 187).20 Wenn aber Kultur, also gewissermaßen die Gesamtheit sozial konstru-ierter Strukturen, aus sich selbst heraus Anpassungsbewegungen auslösen kann, sichselbst erfüllt, lässt sich der theoretische Anspruch, Strukturen und Akteure als onto-logisch gleichwertige Seiten derselben Medaille zu behandeln, kaum noch aufrecht-erhalten.21 Sie können zwar ontologisch unabhängig und auf komplexe Weiseverknüpft sein, »ontological equals« sind sie aber nicht. Hier liegt eine begrifflicheAsymmetrie, insofern generative Strukturen, die einen Raum möglicher Handlungeneröffnen, einem »nicht-generativen« Begriff sozialen Handelns gegenüberstehen,der nur eine Auswahl aus diesen im Vorhinein eröffneten Möglichkeiten erlaubt.Mikrostrukturen sind daher nicht generative, sondern schließende Strukturen.

Trotzdem, insistiert Wendt, gibt es nicht die Logik der Anarchie. An-archie ver-weist ja darauf, dass etwas nicht da ist: »Anarchy is a nothing, and nothings cannotbe structures« (Wendt 1999: 309). Anarchie ist lediglich »ein leeres Gefäß«, dassehr unterschiedlich – mit unterschiedlichen Kulturen der Anarchie – gefüllt werdenkann. Wendt (1999: Kap. 6) unterscheidet idealtypisch drei solcher Kulturen – eineHobbessche, in der Staaten sich als Feinde gegenüberstehen; eine Lockesche, dievon Rivalität geprägt ist; und schließlich eine Kantische Kultur der Freundschaft.22

Diese Kulturen können sich mit unterschiedlicher Intensität, Wendt (1999: 254)spricht von »degrees of cultural internalization«, manifestieren. Wendt (1999: 266-278) unterscheidet drei Grade der Internalisierung anhand der Medien ihrer Durch-setzung: force, price und legitimacy, die zwar jeweils eine gewisse Nähe zur Hob-besschen, Lockeschen bzw. Kantischen Anarchie aufweisen, diesen Idealtypenjedoch nicht exakt zugeordnet werden können. Besonders deutlich wird WendtsVorstellung von der Konstitution der Identitäten und Interessen von Staaten durchMakrostrukturen, also durch Kulturen der Anarchie, in seiner Beschreibung derInternalisierung einer Lockeschen Kultur in der Westfälischen Staatenwelt durch

20 Vgl. das ebenfalls makrostrukturelle Argument zur notwendigen Emergenz eines Welt-staates in Wendt (2003).

21 An diesem Problem ändert sich nichts durch die revidierte »Logik der Anarchie« (sic!),mit der Wendt (2003) Tendenzen zur Weltstaatlichkeit beschreibt. Auch hier ist derWandel auf der Makroebene eingefroren, vollzieht sich unabhängig vom kategorial aufdie Mikroebene verschobenen Handeln der Akteure.

22 Wendt weist legitimerweise darauf hin, dass er mit der Bezeichnung dieser Kulturennicht den Anspruch auf eine authentische Rekonstruktion der Positionen ihrer philoso-phischen Namenspatrone verbindet. Die Gegenüberstellung eines Naturzustands derFeindseligkeit und der Freundschaft mit den Namen Hobbes und Kant zu verbinden,scheint mir jedoch besonders problematisch. Kant hat kein anderes Menschenbild alsHobbes, er beschreibt den Naturzustand in seiner politischen Philosophie als ebensounangenehm wie Hobbes. Der Unterschied besteht in den kontraktualistischen Auflösun-gen dieses Naturzustands. Dem Leviathan bei Hobbes setzt Kant hier ein Idealmodell derVerrechtlichung durch Volkssouveränität entgegen. Solange dieses Ideal nicht wenig-stens annähernd erreicht ist – und nach den strengen Kriterien für Volkssouveränität, dieKant anlegt, wäre dies bis heute nicht der Fall – kann von einem ewigen Frieden (noch)keine Rede sein. Vgl. in diesem Sinne die kantianische Kritik des Demokratischen Frie-dens bei MacMillan (1995), Cavallar (2001) und Franceschet (2001).

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den »›Foucault Effect‹ – the social constitution of ›possessive individuals‹« (Wendt1999: 286). Zunächst wird der Zugang zum internationalen System erst durch diewechselseitige Anerkennung von Staatlichkeit ermöglicht. Damit ist ein hinsichtlichdemokratischer Regierungs- und kapitalistischer Wirtschaftsordnungen tendenziellwachsender Anspruch an zivilisatorische Standards gekoppelt, die hier an den Nati-onalstaat gebunden sind. Solche internen Strukturen sind auf den ersten Blick»intrinsic features of material actors […] but [their] social meaning and conse-quences are endogenous« (Wendt 1999: 293, Hervorh. dort), also Funktionen desinternationalen Systems. Als Begleiterscheinung dieser Entwicklung tendieren Staa-ten dazu, »kollektive Identitäten« zu bilden. Staaten werden zwar erst durch dasinternationale System »individuiert«, da diese Individuierung aber zugleich eineAbgrenzung gegenüber »nicht-zivilisierten« Staaten impliziert, »they will have astake or interest in the group which they would not have if its norms were less fullyinternalized« (Wendt 1999: 293). Diese kollektive Identität manifestiert sich, soWendt, jedoch erst im Angesicht einer externen Bedrohung, etwa durch »Schurken-staaten«.23 Ohne einen solchen Anlass werden die Staaten aufgrund ihrer besitzindi-vidualistischen Selbstbilder Rivalitäten auch innerhalb ihrer in-groups ausleben. Derinteressante Aspekt dieser ansonsten eher konventionellen Beschreibung ist derZusammenhang, den Wendt zwischen Egoismus und Anerkennung sieht:

»Self-interest is thereby constituted as the appropriate relationship of Self to Other,which in effect creates the collective action problem, but to do so it must forget theSelf’s dependence on the Other’s recognition of its rights and identities« (Wendt 1999:294, Hervorh. dort).24

Identitäten und Interessen sind also kulturell vermittelte Handlungsdispositionen,die dem einzelnen Akteur (Staat) nicht bewusst werden.

Der Übergang von einer Kultur der Anarchie in die andere ist dabei als emergen-ter Effekt der Interaktionen zwischen Staaten auf der Mikroebene durchaus möglich.Nicht zufällig fällt Wendt, da er konstitutive Effekte auf die Ebene der Makrostruk-turen beschränkt hat, nun in ein klassisch kausallogisches Vokabular – »the move-ment of a variable over time« (Wendt 1999: 319) –, während die vorangegangeneDiskussion der drei Kulturen der Anarchie in »konstitutionslogischem Vokabular«gehalten war. Im Gegensatz zu rationalistischen Modellen von Wandel sind aller-dings auch hier nicht nur das Verhalten von Akteuren, sondern auch ihre Eigen-schaften Gegenstand von Transformationsprozessen.

Weiterhin in kausallogischer Terminologie fasst Wendt (1999: 343-366) struktu-rellen Wandel als Produkt von vier »master variables«. Interdependenz, geteiltesSchicksal und Homogenität werden als »active or efficient causes« behandelt,Selbstbeschränkung als »enabling or permissive cause«. Die Muster kollektiver

23 Dass allen Solidaritätsbekundungen zum Trotz seit dem 11. September 2001 eher Ad-hoc-Allianzen die Führungsrolle übernahmen und selbst Europa auf die »drei Großen«reduziert wurde, stellt optimistisch-konstruktivistische Versionen kollektiver Identitätallerdings vor ernsthafte Erklärungsprobleme.

24 In diesem Sinne begreift auch Bourdieu (1993) Habitusformationen als »vergesseneGeschichte«.

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Identitätsbildung könnten sich nun immer dann ändern, wenn wenigstens einer der»efficient causes« mit Selbstbeschränkung zusammenfällt. Keine der Variablenerfasst ein wenigstens denkbares kreatives Potenzial sozialen Handelns in diesenTransformationsprozessen. Interdependenz, ein geteiltes Schicksal und die Homo-genität von Akteuren mögen von Bedeutung sein, sind aber nichts als Hintergrund-beschreibungen der Situationen, in denen sich Wandel vollzieht. Interdependenz,die Frequenz sozialen Austausches, ist eine formale Eigenschaft, die sich über Zeitentwickelt; sowohl das »geteilte Schicksal« als auch die Homogenitätsbedingunghängen ab von Erfahrungen der Vergangenheit. Als »efficient causes« dienen sie alsbloße Grenzbedingungen, ohne ein transformatives Potenzial selbst fassen zu kön-nen. Die theoretische Last liegt also wesentlich auf der vierten Variable Selbstbe-schränkung, die sich in der Tat direkt auf die Eigenschaften von Akteuren bezieht.Prozesse kollektiver Identitätsbildung hängen also wesentlich von der Bereitschaftab »to hold ourselves back, thus making it possible for others to step forward andidentify with us, enabling us in turn to identify with them« (Wendt 1999: 359).Neben einer interessanten Parallele zu Nobert Elias’ (2001) Zivilisationstheorieerlaubt die Konzentration auf Selbstbeschränkung, kollektive Identitätsbildung aufdie wechselseitige Anerkennung von Differenz zu beziehen, nicht auf eine vorgän-gige Übereinstimmung von Normen oder Interessen.25 Auch der Fokus auf Selbstbe-schränkung weist Akteuren allerdings eine bloß passive Rolle zu.Selbstbeschränkung erlaubt im Wesentlichen eine Anpassung an Transformations-prozesse. Geht man von einer tendenziellen Zunahme von Interdependenz aus, diezu dem gemeinsamen Erfahrungshintergrund führt, der dann Perzeptionen einerSchicksalsgemeinschaft oder die vermeintliche Homogenität von Akteuren beför-dert, gelangt man zu einer strukturellen Erklärung sozialen Wandels. Wendts Trans-formationsmodell steht somit in der Tradition liberalen Fortschrittsdenkens, esbeschreibt eine Entwicklungslogik, deren Realisierungsbedingungen sich durchsoziales Handeln kaum affizieren lassen. Dieser modernisierungstheoretische Unter-bau der Wendtschen Theorie ist allerdings nicht Gegenstand dieses Beitrags (vgl.die Kritik bei Sarvary 2001). Mir geht es vielmehr darum aufzuzeigen, inwieferneine mangelhafte Konzeptualisierung sozialen Handelns theoriearchitektonisch dazuführt, dass sich Transformationsprozesse, die über einen spezifischen, kulturell ver-mittelten Inhalt von Anarchie als generativer Makrostruktur hinausreichen, sichnicht angemessen darstellen lassen: Da Wendt mit seiner Unterscheidung zwischencommon und collective knowledge die konstitutiven Effekte auf die Konstitution vonIdentitäten und Interessen durch Makrostrukturen begrenzt hat, kann er sozialenWandel nur als Auswahl zwischen unterschiedlichen Kulturen der Anarchie fassen,nicht aber konstitutionslogisch als eine Veränderung des »leeren Gefäßes« Anarchieselbst. Hierin liegt eine Engführung im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten.

Der Hinweis, dass eine »Kantische Kultur der Freundschaft«, die eine kollektiveSicherheitsarchitektur und hohe Beachtung internationalen Rechts einschließt, einer

25 Wendt ist an dieser Stelle also »konstruktivistischer« als die Mehrzahl der Arbeiten, diesich auf ihn beziehen.

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Überwindung von Anarchie bereits sehr ähnlich sieht, ist zwar berechtigt. Es istjedoch unangemessen, daraus zu folgern, Kantische Anarchie sei tatsächlich dieunmittelbare Vorstufe ihrer schließlichen Überwindung. Je nach Intensität des Fort-schrittsoptimismus kann man daran glauben, es wäre jedoch mit dem begrifflichenGerüst der Social Theory schlicht inkompatibel. Wenn als entscheidendes Kriteriumnämlich nicht die Politikergebnisse gelten, die sich in den Fällen Kantischer Anar-chie und legitimer Herrschaft jenseits des Nationalstaats in der Tat ähnlich sähen,sondern die jeweiligen Wirkungsweisen, zeigt sich ein grundlegender Unterschied.Besonders deutlich wird dies in den Arbeiten von Ian Hurd (1999), den ersten syste-matischen Analysen zum Legitimitätsbegriff in den Internationalen Beziehungen,die unmittelbar an Wendts Kantische Anarchie anknüpfen. Hurd fasst Legitimitätals »subjektive Qualität«, »the normative belief by an actor that a rule or institutionought to be obeyed« (Hurd 1999: 381). Die Bindungswirkung internationalenRechts ergäbe sich dann einfach daraus, dass Akteure sich rechtskonform verhaltenwollen, weil sie spezifische Rechtsnormen, die ihren normativen Interessen entspre-chen, bewusst für gerecht(fertigt) halten. Während sich Staaten also unter Anarchieà la Hobbes oder Locke dazu entscheiden, diesen Rechtsnormen nicht Folge zu leis-ten, entscheiden sie sich unter Kantischer Anarchie eben dafür. Was sich hier geän-dert hat, sind lediglich die Präferenzen in Bezug auf internationales Recht, nicht dieStrukturen des internationalen Systems.26 Legitime Herrschaft im WeberschenSinne, die in anarchischen Welten auf die Ebene des Nationalstaates beschränktbleibt, ist hingegen durch die Herstellbarkeit kollektiv bindender Entscheidungencharakterisiert, die von spezifischen Akteurspräferenzen gerade unabhängig ist.27

Wenn also z. B. das Grundgesetz auf der Grundlage einer Entscheidung des europä-ischen Gerichtshofes geändert wird, um Frauen zu den Kampftruppen der Bundes-wehr zuzulassen, obwohl dies den mehrheitlichen Präferenzen nicht entspricht, hatsich die Struktur des internationalen Systems geändert, nicht die akteursspezifischenPräferenzen. Diese Art systemischen Wandels bleibt in Wendts Social Theory aus-geblendet. Im abschließenden Teil werde ich daher versuchen, eine Möglichkeit zuskizzieren, wie mithilfe einer pragmatistischen Gesellschaftstheorie auch die konsti-tutionslogische Dimension von sozialem Handeln und sozialem Wandel auf denBegriff gebracht werden kann.28

26 Vgl. die Kritik bei Jackson (2002: 448f). Ironischerweise illustriert Hurd seinenLegitimitätsbegriff am Beispiel des Interventionsverbots. Indem damit aber die Möglich-keit rechtlich zulässiger Eingriffe in die Autonomie von Nationalstaaten ausgeschlossenwird, bezeichnet die Legitimität des Interventionsverbots nichts anderes als die Legitimi-tät der Anarchie selbst.

27 Ebenso gelten auf nationalstaatlicher Ebene Gesetze auch für diejenigen, die der Regie-rungsmehrheit ihre Stimme nicht gegeben haben.

28 Vgl. dazu Joas (1992a,1992b); Oevermann (1991); Zehentreiter (2001) und für die Inter-nationalen Beziehungen Baumann/Hellmann/Wagner (2001).

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4. Soziales Handeln und Konstitutionslogik: Eine Erweiterung des Arguments

Indem Wendt soziales Handeln auf die Sphäre kausaler Effekte begrenzt, weicht eran einer entscheidenden Stelle von seinem ursprünglichen Forschungsprogramm ab.Ging es ihm in der ursprünglichen Formulierung des Akteur-Struktur-Problemsnoch darum, »to avoid what I shall argue are the negative consequences of individu-alism and structuralism by giving agents and structures equal ontological status«(Wendt 1987: 339), heißt die Devise später scheinbar »culture all the way down«(Hobson 2000: 521). Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen sind beide Pole in derSocial Theory of International Politics (Wendt 1999) nicht mehr gleichgeordnet.Hier begreift Wendt das Verhältnis, analog zu seiner Unterscheidung zwischenMikro- und Makrostrukturen, als »supervenience« (Wendt 1999: 156). Das Verhält-nis von Strukturen zu sozialem Handeln lässt sich also als regelhafte Erzeugungbeschreiben, während umgekehrt soziales Handeln lediglich eine trivialerweise not-wendige Mikrofundierung dieser Strukturen darstellt. Das Argument, es gäbe ohneAkteurshandeln keine Gesellschaft, also auch keine internationalen Beziehungen,wird den theoretischen Anstrengungen, eine konstitutionslogische Perspektive zuetablieren, allerdings kaum gerecht. Soziales Handeln kann bei Wendt kausallogischden Zustand der Anarchie verändern, also den Übergang etwa von einer LockeschenKultur der Anarchie zu einer Kantischen Kultur ermöglichen, die konstitutionslogi-sche Dimension von sozialem Handeln, von Praxis bleibt aber ausgeblendet. Nocheinmal: »Constitutive analysis is inherently static. It tells us what structures aremade of and how they can have certain effects, but not about the processes by whichthey move through time, in short, about history« (Wendt 1999: 185f, Hervorh. dort).Selbst wenn Anarchie ein »leeres Gefäß« ist, das unterschiedlicher kulturspezifi-scher Füllungen bedarf, ist es möglich, dass dieses Gefäß seine Form verändert. Fürdiese Art von Veränderung besitzt die Social Theory of International Politics(Wendt 1999) kein Sensorium, weil den Makrostrukturen, die Handlungsmöglich-keiten eröffnen, asymmetrisch ein Begriff von sozialem Handeln gegenübergestelltist, der diesen Möglichkeitshorizont nur noch schließen kann.

Grundzüge eines »generativen« Handlungsbegriffs

Die analytischen Grundlagen, mit deren Hilfe sich diese konstitutionslogischeDimension begrifflich fassen lässt, ist jedoch in den Arbeiten Wendts, genauer: inseiner Mead-Rezeption bereits angelegt. Wendt bezieht sich im Wesentlichen inzwei Kontexten auf Mead. Zum einen bei seiner Darstellung von Interaktionspro-zessen, die immer als Situationen des »ersten Kontakts« illustriert werden (Wendt1999: 328-330). Zum anderen greift er auf Meads Unterscheidung zwischen »I« und»me« zurück, um den Stellenwert der Akteure im Akteur-Struktur-Problem syste-matisch in den Blick zu bekommen (Wendt 1999: 178-184).

Wendt interpretiert Mead in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus. Ergreift damit eine Interpretationslinie auf, die nicht nur die pragmatistischen WurzelnMeads, der sein Konzept symbolvermittelter Interaktion in enger Anlehnung an denpragmatistischen Philosophen John Dewey entwickelte, relativ unberücksichtigt

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lässt, sondern die über die extensive Rekonstruktion der Bedeutung solcher Interak-tionsprozesse das gesellschaftstheoretische Potenzial aus dem Auge verliert, das inMeads verstreuten Schriften zu finden ist (vgl. Joas 1992a, 1992b). Der als »ersterKontakt« stilisierte Interaktionsprozess zwischen »Ego« und »Alter« – Menschenund Außerirdischen oder Montezumas Azteken und den spanischen Eroberern – denauch Wendt im Blick hat, ist als heuristisches Instrument sicher geeignet aufzuzei-gen, wie complex learning – die Veränderungen nicht nur des Verhaltens, sondernauch der Akteursdispositionen in einem Handlungsablauf – funktionieren kann. Eshandelt sich dabei jedoch auch um nicht mehr als ein heuristisches Instrument, dasMead (1988) in den ersten Kapiteln von Mind, Self and Society, einer Nachschriftseiner sozialpsychologischen Vorlesung, benutzte, um auf grundlegende Abläufeder Handlungskoordinierung hinzuweisen. Bezeichnenderweise wählt Mead als Bei-spiel nicht einen ersten Kontakt, sondern die Begegnung zweier Hunde. Über vokaleGesten vermittelte Interaktion kennzeichnet noch nicht die Spezifizität humanerSozialität (Mead 1988: 102f). Auf dieser Stufe wäre der Vorwurf, Sprache nicht sys-tematisch berücksichtigen zu können, noch berechtigt (vgl. Kratochwil 2000; Zeh-fuß 1998). Der wichtige sozialtheoretische Beitrag Meads besteht allerdings geradedarin, die Spezifizität menschlicher Sozialität im Anschluss an und im Bruch mitnatürlichen Entwicklungsprozessen herausgearbeitet zu haben (Joas 1989). Der Vor-wurf, Wendt könne wegen seines Rückgriffs auf Mead die soziale Bedeutung vonSprache nicht angemessen formulieren, ist also unberechtigt. Im zweiten, der »Kri-tik der funktionalistischen Vernunft« gewidmeten Band seiner Theorie des kommu-nikativen Handelns räumt Habermas (1981) Mead dementsprechend einen zentralenStellenwert bei der Darstellung des Übergangs von strategischer zu kommunikativerRationalität ein. Obwohl Joas (1992b: 179) und Oevermann (1991) meines Erach-tens mit Recht darauf hinweisen, dass eine Verständigungsorientierung im Sinne deskommunikativen Handelns in Meads Konzept symbolischer Vermittlung nicht ange-legt ist, überrascht es vor diesem Hintergrund, Wendts Theorie die Möglichkeiteines angemessenen Begriffs der sozialen Bedeutung von Sprache abzusprechen.Habermas macht aber deutlich: »Wenn wir die revolutionäre Kraft der verhaltens-theoretischen Grundbegriffe, das paradigmensprengende Potential dieses Ansatzesfreilegen wollen, müssen wir auf G.H. Meads Sozialpsychologie zurückgehen«(Habermas 1981, II: 12, Hervorh. dort), zurückgehen hinter die Reduktion Meadsauf symbolischen Interaktionismus.

Während sozialer Sinn im symbolischen Interaktionismus Gegenstand von situati-ven Aushandlungsprozessen ist, Bedeutung also verhandelt wird, bekommt Meaddie grundlegendere Frage nach der Erzeugung von Bedeutungsstrukturen in denBlick. Ein dem generativen Strukturbegriff korrespondierender Begriff der Kreativi-tät sozialen Handelns, wie er bei Mead angelegt ist (Joas 1992a), zielt auf gerade dieemergenten (konstitutiven) Effekte sozialen Handelns, die Wendt und der Symboli-sche Interaktionismus nicht zu fassen in der Lage sind. Moderne Konzeptionen einerrelationalen Soziologie weisen auf diese Traditionslinie zunehmend hin. MustafaEmirbayer und Ann Mische sehen – Joas zitierend – in der pragmatistischen Tradi-tion »first steps towards developing an adequate conception of the constitutive crea-

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tivity of action, conceived of as ›the permanent reorganization and reconstitution ofhabits and institutions‹« (Emirbayer/Mische 1998: 969; vgl. Emirbayer 1997).

Im Gegensatz zu den individualistisch formulierten Weberschen Kategorien, diesoziales Handeln als einen Spezialfall eines allgemeineren Handlungsbegriffs fas-sen, der durch die Einbeziehung der Erwartungshaltungen anderer charakterisiert ist(Weber 1972: 11-16), bezieht sich Mead durchgehend auf soziale Gruppen als ele-mentare Analyseeinheiten. Erst auf dieser Grundlage sozialer Praxis werden die Ent-stehungsbedingungen primärer und sekundärer Attribute (vgl. Jackson/Nexon2003), Prozesse der Individuierung (einschließlich der Herausbildung kollektiverAkteure) ebenso wie die Entstehung von Sprache als Instrument symbolischer Ver-mittlung deutlich, die variablenzentrierte Ansätze stillschweigend voraussetzen.

Gesten werden bei Mead dann zu Symbolen, wenn sie »sich auf das sprechendeIndividuum ebenso auswirk[en] wie auf andere« (Mead 1988: 108). Die kollektiveInterpretation von Symbolkonfigurationen ist also grundlegend für die Herstellungvon Sinn. »Sinn ist daher die Entwicklung einer objektiv gegebenen Beziehung zwi-schen bestimmten Phasen der sozialen Handlung; er ist nicht ein psychischesAnhängsel zu dieser Handlung und keine ›Idee‹ im traditionellen Sinne« (Mead1988: 115). Dabei stellt die Geste insofern nur eine »frühe Phase« dar, als das Ent-werfen hypothetischer Möglichkeiten unmittelbar an den Spracherwerb gebundenist. Wendts Modell einer »supervenience« zwischen Strukturen und Akteuren, dasgerade durch die »multiple realizability« im Rahmen eines solchen Mög-lichkeitsraumes gekennzeichnet ist, setzt also aus einer Meadschen PerspektiveSprache bereits voraus.29 Denn die Existenz dieser vielfältigen Möglichkeiten impli-ziert, dass »Ideen« sich nicht einfach darauf beziehen, was Akteure tun, sonderndarauf, was sie, gegeben einen solchen Möglichkeitsraum, gerade nicht tun. DieEntstehung dieser hypothetischen Möglichkeiten und ihre implizite Rekonstruktiondurch soziales Handeln bezeichnen »the sort of analysis [which] is essential to whatwe call human intelligence, and it is made possible by language« (Mead 1962: 95).Erst durch Sprache werden die Selbstdistanzierung vom unmittelbarem Handlungs-vollzug und dessen Reflexion in Begriffen alternativer Handlungsmöglichkeiten undVerhaltenserwartungen möglich.

All dies lässt sich offensichtlich nicht mehr in der Logik eines Erstkontakts for-mulieren. Mead spricht daher auch von einer gegenseitigen Abhängigkeit »von egound socius, von Ich und Anderem […], die wohl richtiger noch als eine Beziehungdes Ich und der anderen, des ego und der socii, bezeichnet werden sollte« (Mead1987b: 208, Hervorh. dort). Den Ausgangspunkt gesellschaftlicher Individuierungbildet also immer eine soziale Gruppe. Es sind nicht bedeutsame Andere in konkre-ten Interaktionen, die »egos« Identität bilden, es ist die »organisierte Gemeinschaftoder gesellschaftliche Gruppe, die dem Einzelnen seine einheitliche Identität gibt«(Mead 1988: 196) – also der (oder das) generalisierte Andere. Die Unklarheit, ob»the generalized other« besser als der oder das generalisierte Andere übersetzt wird,verweist schon darauf, dass hier der Schritt vom heuristischen Modell symbolisch

29 Vgl. zu Bedeutung und Entwicklung von Sprache bei Mead auch Wagner (2001: 27).

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vermittelter Interaktion zu den Grundelementen einer Gesellschaftstheorie vollzo-gen ist. Eine Interaktion face-to-face mit dem generalisierten Anderen ist schwerdenkbar.

Problematische Situationen als Ursprung von Transformationsprozessen

Mead (1988: 216-267) unterscheidet daher zwei konstitutive Dimensionen von Sub-jektivität: Das »I« als nur subjektive Kreativitäts- und Spontaneitätsinstanz, dienicht gesellschaftlich vermittelt ist, und, als Sphäre der gesellschaftlichen Vermitt-lung, das »me« als das Ich, betrachtet durch die Augen Anderer, in dem die Haltun-gen des generalisierten Anderen identitätsbildend wirken. Normalerweise, inRoutinesituationen, sind die Handlungsspielräume durch das »me« vorgegeben.Hier ist es durchaus angemessen, davon zu sprechen, dass Kulturen der Anarchie als»self-fulfilling prophecy« funktionieren. Wenn problematische Situationen oderKrisensituationen solche bewährten Handlungsroutinen in Frage stellen, so Mead(1988: 222-229), wird das »me« allerdings durch das »I«, die Kreativitäts- undSpontaneitätsinstanz, in den Hintergrund gedrängt. In kritischen Entscheidungssitu-ationen handeln Subjekte also im Wesentlichen autonom. Bewährte Handlungsrou-tinen bleiben dabei allerdings im Hintergrund als Erfahrungsschatz präsent. Wennsich die spontane Problemlösung pragmatisch bewährt30 und auf Dauer gestellt wird,kann sie selbst in den Erfahrungshintergrund des Sozialcharakters einfließen. In eta-blierten Handlungsroutinen spiegeln sich also immer »veralltäglichte« subjektiveKrisenlösungen: »Es würde kein ›I‹ in dem von uns gemeinten Sinn geben, gäbe eskein ›me‹; und es gäbe kein ›me‹ ohne Reaktion in der Form des ›I‹« (Mead 1988:225; vgl. auch Oevermann 2001 und Wagner 2001).

Problematische Situationen in diesem theoretischen Sinne stimmen dabei hinsicht-lich Bedeutung und Ausmaß keineswegs immer mit dem überein, was wir gemeinhinunter politischen Krisen verstehen. Während des Golfkriegs 1991 etwa fand die indiesem Sinne eigentlich krisenhaftere Operation Provide Comfort, die der kurdi-schen Bevölkerung im Nord-Irak sichere Schutzzonen garantieren sollte, eher imSchatten der weitaus größeren Operation Desert Storm statt. Provide Comfort wurdezwar von der UNO befürwortet, aber von den Golfkriegsalliierten ohne explizitesMandat durchgeführt. Damit wurde eine zentrale Handlungsroutine – das Souveräni-tätsprinzip – in Frage gestellt. Während die Sicherung der Existenz Kuwaits, trotzaller vermeintlichen ökonomischen Hintergründe, völlig im Einklang mit etablierten,wenn auch selten angewandten Normen des Völkerrechts stand, gab es für ProvideComfort keine Handlungsroutine, auf die die Operation im Rückgriff begründbargewesen wäre (Daase 1999: 17). Entscheidend für eine Krise in diesem Sinne ist alsonicht das Ausmaß des Schocks, sondern die Frage, ob ehemals bewährte Handlungs-routinen kreativ in Frage gestellt und ersetzt werden, also ob Neues entsteht. Krisenkönnen dabei durch exogene Schocks (brute facts) hervorgerufen werden, sie kön-

30 In dieser Möglichkeit zum Scheitern an der Realität liegt ein zentraler Unterschied zu(radikal-)konstruktivistischen Positionen.

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nen aber auch als Entscheidungskrisen, oder durch bloße Reflexion als »Krise durchMuße« willentlich herbeigeführt werden (Oevermann 1991).

Jeder dieser Krisentypen kann dazu führen, dass Handlungsroutinen verworfenwerden. Gemeinsam ist allen, dass die Krisenlösungen, die sich – bei pragmatischerBewährung – selbst als Handlungsroutinen veralltäglichen können, auf ein kreativesHandeln zurückgehen, das selbst nicht strukturiert ist, weil die Strukturen (Hand-lungsroutinen) und damit die eingespielten Situationsdefinitionen sich nicht längerals hilfreich bewähren konnten. Gerade dieses Scheitern unserer strukturierten»Weltanschauung« ist gleichbedeutend mit Krisen in dem skizzierten Sinne. Struk-turen im Sinne von Handlungsroutinen sind also selbst als Krisenlösungen entstan-den: »Als einmal gegebene ist sie [die Identität; B.H.) ein ›me‹, aber ein ›me‹, dasfrüher einmal ein ›I‹ war« (Mead 1988: 218).

Wenn Anarchie die Unmöglichkeit kollektiv verbindlicher Entscheidungenbezeichnet, sind problematische Situationen, die in genuinen Entscheidungssituatio-nen auftreten, hier besonders einschlägig.31 Als genuine Entscheidungskrisen lassensich all diejenigen Situationen beschreiben, in denen ein rationales Kalkül optimier-ten Verhaltens nicht möglich ist, da die Situation durch eine Form von Unsicherheitgekennzeichnet ist, die selbst die Zuweisung von Wahrscheinlichkeiten zu bestimm-ten Handlungsoptionen unmöglich macht und dem rationalistischen Maximierungs-kalkül die methodische Grundlage entzieht. Unsicherheit in diesem Sinne unterschei-det sich damit von einem spiel- und entscheidungstheoretischen Risikobegriff, dergerade durch die Zurechenbarkeit solcher Wahrscheinlichkeitswerte gekennzeichnetist.32 Auf der Grundlage solcher Wahrscheinlichkeitswerte und exogener Präferenzenentscheidet in rationalistischen Theorien dann der Automatismus rationaler Kalkula-tion, nicht etwa ein »Entscheider«. Streng genommen, geht es in der rationalistischenSpiel- und Entscheidungstheorie also überhaupt nicht um Entscheidungen, da dasErgebnis auf der Grundlage exogener Faktoren immer schon festgelegt ist. Der prag-matistische Begriff eines Horizonts sinnvoller Handlungsoptionen, der sich aus derFähigkeit zur Vorstellung alternativer Handlungsmöglichkeiten – in Meads Termino-logie: mind – ergibt, erlaubt es, sich Entscheidungssituationen als radikal offen vor-zustellen. Daraus ergibt sich das Entscheidungsparadoxon der Gleichzeitigkeit vonEntscheidungszwang und Begründungsverpflichtung bei radikaler Unsicherheit(Oevermann 1991). Problematische Situationen durch Routinisierung zu überwindenist konstitutiv für die Fähigkeit von Akteuren, über Zeit mit sich selbst identisch zubleiben, also ihre Identität zu bewahren. Wenn solche Routinen scheitern, so dassunter Bedingungen von Unsicherheit »ends and means cannot be connected in dailylife« (Mitzen 2003: 4), werden Identitäten selbst fragil. Daraus ergibt sich, wie Jenni-fer Mitzen (2003) dargelegt hat, ein ontologisches Sicherheitsbedürfnis nach Routini-sierung, die sich pragmatistisch fassen lässt als Veralltäglichung von Krisenlösungen.Selbst die Entscheidung, sich nicht zu entscheiden, bedeutet praktisch die Eliminie-

31 Da die »Konstruktion« von Entscheidungskrisen selbst Bestandteil des Möglichkeits-horizonts ist, ist der pragmatistische Krisenbegriff keinesfalls notwendig exogen.

32 So auch bereits der postkeynesianische Ökonom George Shackle (1970); vgl. Ford(1990: 21f). Den Hinweis hierauf verdanke ich Alexander Wendt.

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rung aller Handlungsmöglichkeiten bis auf eine, nämlich die bereits praktizierte.Wenn die Debatte über eine weitergehende Erweiterung der EU immer weiter ver-schoben wird, bedeutet das praktisch eine Entscheidung gegen Erweiterung. Wennaber eine Routine sich handlungspraktisch nicht mehr bewähren kann, also im Falledes Krisentyps brute fact, lassen sich Reaktionen darauf nicht mehr als rational aufder Grundlage bestehender Routinen rechtfertigen, weil ja gerade diese Grundlagegescheitert ist. Ebenso unmöglich ist es, Entscheidungen in genuinen Handlungskri-sen als irrational zu bezeichnen, da gleichzeitig auch hierfür der Maßstab weggefal-len ist.33 Entscheidungen zu treffen ist in diesem Sinne konstitutiv für die Autonomiesozialer Praxis. Die radikale Unbestimmtheit von Entscheidungskrisen stellt Han-delnde vor eine reale Herausforderung, ermöglicht damit aber zugleich Autonomieim Sinne der genuinen choice, die rational choice nicht denken kann.

Diese problematischen Situationen, aus denen heraus Handlungsroutinen sich erstveralltäglichen können, sind daher diesen Routinen logisch und empirisch vorgela-gert, wenngleich routinisiertes Handeln den alltagspraktischen Normalfall darstellt(Oevermann 2001: 209f). Dabei kann potenziell jeder Moment eines Handlungsab-laufs zur Krise, und damit zur Quelle neuer Handlungsroutinen, werden: »Wir habengesehen, daß […] soziales Verhalten, nachdem es bereits begonnen worden ist, einerfortwährenden Neuorientierung unterliegen muß, weil die Individuen, auf deren Ver-halten unser eigenes Verhalten antwortet, ihrerseits ständig ihr Verhalten in demMaße verändern, in dem unsere Reaktionen zutage treten« (Mead 1987c: 219).

Diese »emergenten Effekte« sozialen Handelns sind es erst, die Strukturen konsti-tuieren. Im empirischen Normalfall eines routinisierten Handlungsablaufs bleibt die-ses Kreativitätspotenzial latent. Hier gilt die von Wendt beschriebene Tendenzkultureller Dispositionen, sich selbst zu erfüllen. Wann immer dieser routinisierteAblauf durchbrochen wird, kehrt sich dieses Verhältnis jedoch um: In spontanenund kreativen Krisenlösungen konstituieren die Akteure nun gewissermaßen dieStrukturen von morgen. Struktureller Wandel bezieht sich dann nicht mehr nur wiebei Wendt als kultureller Wandel auf verschiedene Idealtypen der Anarchie. Dieanarchische Strukturiertheit selbst kann potenziell zum Gegenstand von Transfor-mationsprozessen werden. Wandel bezieht sich also nicht mehr nur auf den Inhaltdes »leeren Gefäßes« Anarchie, sondern auf die Form dieses Gefäßes selbst.Begreift man Kreativität als wesentliche Eigenschaft sozialen Handelns, lässt sichdessen Rolle in Transformationsprozessen auch jenseits der passiven Selbstbe-schränkung verständlich machen.

Dieser weite Begriff sozialen Wandels darf nun aber nicht im Sinne einer bewuss-ten Steuerung missverstanden werden. Wendt selbst unterläuft in seiner Rezeptionein Kategorienfehler, wenn er Meads Kreativitäts- und Spontaneitätsinstanz, das »I«,als »distinct locus of thought, choice, and activity« (Wendt 1999: 182, vgl. 1992:419) heranzieht, um die Chance einer bewussten Gestaltung der politischen Umwelt,also die soziale Konstruktion einer kooperativen Alternative zur realistisch interpre-

33 Gemeint ist hier natürlich eine situationsbezogene materiale Rationalität, nicht ein jedemHandeln vorgelagerter allgemeingültiger Rationalitätsmaßstab.

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tierten Anarchie, zu begründen: Selbstbewusstsein bezieht sich auf die Identität alssolche, nicht auf das »I« als Steuerzentrum. Eine rationale Wahl ist in problemati-schen Situationen, wie gezeigt, gerade nicht möglich. Darüber hinaus bedürfen poli-tische Gestaltung wie auch das Hinterfragen unbefriedigender Zustände immer derVerständigung über soziale Normen, die bei Mead in den Bereich des »me«, also desSozialcharakters, fallen. Wirklich greifbar werden Krisenlösungen erst, wenn siesich im Handeln manifestiert haben, also bereits zur Routine geworden sind. Erst imNachhinein kann sich erweisen, ob eine Krisenlösung ihrerseits scheitert oder sichals Routine zu veralltäglichen beginnt. »Das ›I‹ liegt außerhalb der Reichweite unse-rer unmittelbaren Erfahrung. In den Begriffen sozialen Verhaltens ausgedrücktbedeutet dies, daß wir unsere Reaktionen nur insofern wahrnehmen können, als sieals Vorstellungen vergangener Erfahrungen auftreten und sich mit sinnlichen Reizenverbinden« (Mead 1987d: 239). Die Einbeziehung der konstitutionslogischenEffekte sozialen Handelns impliziert also keinesfalls einen schwächeren Strukturbe-griff, als Wendt ihn vorgeschlagen hat. Im Gegenteil, eigentlich müsste es nun exak-ter heißen: Anarchy is what states have been making of it.

Denn in der unmittelbaren Handlungssituation ist deren Ergebnis nicht absehbar.Reflexive Intelligenz bei Mead setzt gerade die Fähigkeit zur Handlungsverzö-gerung (delay of action) voraus. Nur über eine solche Rekonstruktionsleistung wer-den Implikationen früherer Entscheidungen deutlich. Nimmt man die Kreativitätsozialen Handelns ernst, ist eine »rationale Handlungskontrolle« daher nur in derForm der kritischen Rekonstruktion früherer Entscheidungen möglich. Denkbar istalso allenfalls ein negatives Vermeiden alter Fehler, nicht aber die positive Steue-rung, die Wendt (insb. 2001) im Blick hat. Im Gegensatz zu den strukturalistischenAnarchiebegriffen wird so zwar nicht der generalstabsmäßig steuerbare Entwurfeiner neuen Weltordnung möglich, indem aber der permanente Reproduktionspro-zess, dem anarchische Strukturen unterliegen, immer auch als möglicher Transfor-mationsprozess gefasst wird, lassen sich Anarchie, Hierarchie oder Heterarchie alskontingente Möglichkeiten einer radikal offenen Zukunft beschreiben.

Im Rahmen der liberalen Fortschrittslogik, der seine Theorie verpflichtet ist, istWendt zwar bereit, über Anarchie hinauszudenken, aufgrund seiner halbierten Kon-stitutionstheorie kann er dies allerdings entweder – wie in der Social Theory (Wendt1999) – überhaupt nicht, oder – wie in seinem jüngsten Beitrag (Wendt 2003) – nurin einer ebenso statischen makrostrukturellen Logik auf einer anderen Ebene alsteleologische Notwendigkeit formulieren.34 Die »relative Unabhängigkeit« derMakrostruktur erschwert daher nicht nur ein konstitutionstheoretisches Verständnismakrostrukturellen Wandels, die Makrostruktur wird vielmehr, indem sie von derpermanenten Reproduktion und Transformation durch soziale Praxis entkoppeltwird, zu einer Art »impliziten Ontologie«.35 Dass diese nicht notwendig die Gestalt

34 Der Übergang von der Kantischen Anarchie vollzieht sich hier wesentlich über einen»Kampf um Anerkennung«. Wendt (2003: 510-516) übernimmt diesen Begriff von AxelHonneth (1992), bei dem er allerdings auf die Offenheit sozialer Kämpfe bezogen ist,nicht auf eine teleologische Entwicklungstheorie.

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eines liberalen Fortschrittsoptimismus annehmen muss, bemerkt Wendt (1995) zuRecht. Das Gegenstück wären dann allerdings konstruktivistische »Schlechtwetter-theorien«, deren eigenständige Makrodynamik Prozesse kollektiver Identitätsbil-dung und supranationaler Integration unwahrscheinlicher erscheinen lässt oder sichexpliziter den normativen Grundlagen staatlichen Konfliktverhaltens widmet. Wennes aber darum gehen soll, etwa die Europäisierung nationaler Identitäten nicht ent-weder als allenfalls zwischenzeitlich zu blockierenden Fortschritt oder als Ding derUnmöglichkeit zu bestimmen, sondern die kontingente Entwicklung nationalstaatli-cher Identitätsformationen auf einem Spektrum zwischen Europäisierung und Ent-europäisierung zu rekonstruieren (vgl. dazu Hellmann 2004), wenn soziales Lernenin der internationalen Politik weder ausschließlich als Übernahme liberaler Lernin-halte noch als zwangsläufiges Verlernen gefasst werden soll, dürfen die »broad ten-dencies« der Entwicklung des internationalen Systems nicht durch die statischenKonstitutionseffekte einer eigenlogischen Makrostruktur vorgegeben sein.

5. Schlussbemerkung: Akteur-Struktur-Problem und Konstitutionslogik in den (i)nternationalen Beziehungen

Ich habe zu zeigen versucht, dass ein pragmatistischer Begriff der Kreativität sozia-len Handelns im Gegensatz zum middle-ground constructivism in der Lage ist, dieProposition, Handeln und Strukturen seien als »ontological equals« wechselseitigkonstitutiv, begrifflich einzulösen. Indem Handeln und Strukturen sich kontinuier-lich in sozialer Praxis reproduzieren, fallen Struktur und Prozess in eins. Reproduk-tion und Transformation von Strukturen sind dann lediglich unterschiedliche Mani-festationen von Handlungsverläufen, deren Kreativitätspotenzial immer präsentbleibt. Selbst im Falle routinisierter Strukturreproduktion scheint die transformativeKapazität sozialen Handelns als latente Möglichkeit durch, da die Reproduktion vonStrukturen immer auch eine Entscheidung gegen deren Rekonfiguration ist.36 Sozia-ler Wandel wird damit nicht mehr als außeralltäglicher Spezialfall behandelt, der inder Regel vor die Klammer gezogen werden kann, er steht vielmehr im Zentrum dertheoretischen Überlegungen (vgl. Oevermann 1991). Gleichzeitig wird sozialesHandeln nicht auf die zielgerichtete Erfüllung bereits vorgegebener Zwecke einge-grenzt, sondern prozess- und relationslogisch verstanden als »the temporallyconstructed engagement by actors of different structural environments – the tempo-ral-relational contexts of action – which, through the interplay of habit, imagination,and judgment, both reproduces and transforms those structures in interactiveresponse to the problems posed by changing historical situations« (Emirbayer/Mische 1998: 970).

35 Wendt (1999: 316) benutzt diesen Begriff ( tacit ontology) selbst, um vor der »Verdingli-chungsgefahr« zu warnen, die sich ergibt, wenn Identitäten und Interessen als situativgegeben eingeklammert werden (bracketing).

36 Der Begriff Entscheidung soll hier nicht über die Zukunftsoffenheit solcher Rekonfigu-rationen hinwegtäuschen.

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Erst indem so Kontingenz und Offenheit sozialer Wirklichkeit ernst genommenwerden, lässt sich der Anspruch des middle-ground constructivism, Wandel ange-messener darstellen zu können, tatsächlich einlösen. Damit geht allerdings einher,dass empirische Regelmäßigkeiten als Standard empirischer Geltungsüberprüfungzumindest für die konstitutionstheoretische Forschung hinfällig werden.37 Hypothe-sentests basieren gerade auf der Annahme, dass eindeutige Verhaltensannahmen aussozialwissenschaftlichen Theorien ableitbar sein müssen.38 Wenn Strukturen alsBedeutungsstrukturen immer an die spezifischen Handlungskontexte ihrer Repro-duktion und Transformation gebunden sind, sind zu ihrer Rekonstruktion Verfahrender Sinnrekonstruktion erforderlich. Begreift man Makrostrukturen hingegen alsvon den konstitutiven Effekten sozialen Handelns unabhängig, wird ein Modelleiner schrittweisen Annäherung durch wissenschaftlichen Fortschritt denkbar, derauf je kontextspezifische Sinnrekonstruktionen nicht angewiesen ist. Dass Wendt(1999: 85) eine methodologische Differenzierung zwischen verstehender Sinnre-konstruktion und erklärender Kausalitätsbestimmung ablehnt, ist also gerade vordem Hintergrund einer halbierten, bloß strukturalistischen Konstitutionslogik mög-lich, weil Kontingenz hier zugunsten einer spezifischen makrostrukturellen Ent-wicklungshypothese, bei Wendt in der Form einer liberalen Fortschrittslogik,weitgehend ausgeklammert bleibt. Wenn es also darum geht, Keohanes (1988: 393)etwas altväterlichem Rat zu folgen, die »konstruktivistischen Wilden« sollten end-lich testbare Theorien vorlegen, um in den Kreis akzeptierter social science aufge-nommen zu werden, dann führt die via media sicher ans Ziel; gemessen an den mitdem Akteur-Struktur-Problem aufgeworfenen theoretischen Fragen greift sie jedochzu kurz.

37 Die Debatte über diese methodologischen Differenzen hat allerdings gerade erst begon-nen (vgl. Wolf 2003; Dembinski/Müller 2003; Daase 2003).

38 Wendt kritisiert zwar aus der Perspektive seines wissenschaftlichen Realismus dieGleichsetzung von Kausalität und Kongruenz zwischen Hypothesen und beobachtbaremVerhalten und fordert fallspezifische Rekonstruktionen tatsächlicher Kausalmechanis-men, erklärt aber gleichzeitig den Erfolg von Wissenschaft ( science) aufgrund einerschrittweisen Annäherung an über Zeit stabile Wahrheiten (Wendt 1999: 64-67).

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89Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 89-100

James Der Derian

9/11 and Its Consequences for the Discipline

1. Introduction

During my preparation for this essay,1 the second anniversary of the 9/11 terroristattack was being marked across the United States by ceremonies of remembrance,religious services, and 24-hour television programming. This was as it should be, tohonor the dead, to tend to the wounded in spirit, and to recognize the need for under-standing. But between our desire and our capacity to comprehend a world after 9/11,a vast gulf seems to have opened, and two years later, with global terrorism still athreat and Iraq a deepening quagmire, the gap shows little sign of closing, in thepractice as well as in the discipline of international relations.

To bridge this abyss, between an unspeakable act and unthinkable consequences,between past terror and the present insecurities, it will take more than memorialsand public ceremonies (like New York City’s Mayor Bloomberg’s »apolitical« deci-sion on 9/11+1 to read only borrowed speeches from the past), looped-viewings ofterrorist attacks and military counter-attacks (the mind-numbing option of the majornetwork and cable channels on 9/11+2), or a rash of docudramas (like the tenden-tious, »DC 9/11: Time of Crisis«, in which President Bush declares, »If some tin-horn terrorist wants me, tell him to come get me«). It will take more thanincarcerating suspected terrorists without public hearings, infringing on the civilliberties of citizens and visitors to America, or preventive military attacks for root-ing out future threats. It will take deeper historical investigations, cross-cultural per-spectives, and comparative political analyses; in other words, a criticaltransvaluation of the current national security discourse in the United States.

Which, of course, is highly unlikely, for several reasons. First, the perceivedexceptionality of the attack quickly became grounds for a reflexive act of patrioticaffirmation and intellectual abnegation. Its territory under attack, the US abjuredcoalition politics and collective action in favor of a unilateral and pre-emptive defi-nition of friend and foe by which the state is refortified and sovereignty is reinscri-bed. Second, the intellectual reaction – or rather the lack of one among socialscientists – resembled the initial response to the fall of the Berlin wall, a profoundevent that was notoriously described by some »scientific« scholars as a single datapoint from which nothing important, that is, nothing verifiable, could be posited; itis always safer to wait for more data. Third, it is important to recognize how trauma

1 This article is a revised version of a talk given to the German Association of PoliticalScience (September 22, 2003) and a review essay written for boundary 2 (Der Derian2003). I wish to thank the editors of ZIB and the anonymous reviewers for their helpfulcomments.

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– from the first real-time looped images of the attack to its later manipulation by themedia and the Bush administration – silenced many critics and fence-sitters alike,leaving an open playing field to the visceral hate- and fear-mongering of the politi-cal first-responders. Fourth, the politics of intimidation, less crude but no less effec-tive than McCarthyism, grew and spread through the ranks of politicians, punditsand think-tank courtiers, stifling what little dissent existed.

To be sure, there were to be signs of a critical shift, when the quasi-peace after thequasi-war in Iraq failed to follow the script. However, I do not think that I exagger-ate the overall impact of 9/11 on the American psyche and political attitude. Con-sider one personal experience: Several months before the war in Iraq started I wasasked to present at a conference on »The American Media and Wartime Challen-ges«, sponsored by Triangle International Security Studies (composed of NorthCarolina State, University of North Carolina, and Duke University). As luck wouldhave it, the conference took place a couple of days after the start of Operation IraqiFreedom. I presented a paper that was critical of the interpenetration of the militaryand the media.2

Now, in the course of my IR career I have been attacked by some of the best (aswell as the worst), and truth be told, I prefer a good fight to preaching to the choir.But this crowd was out for blood like I have not witnessed ever before. The ques-tions (more in the category of shouted »comments«) barely rose from the mud, andgot personal real quick. I could understand why the twenty or so mid-career officersfrom the Fort Bragg Special Operations School who were attending the conferencemight be passionate about the topic. Indeed, one warned me to leave by the otherdoor since his friend – who’s idea of refutation was to demand whether I had everbeen to boot camp – »wanted a piece of me«.

But probably the most worrying aspect of the encounter was the agreement oracquiescence of just about every other academic in the room. Many seemed to agreewith the soldiers, some more obviously than others. One co-panelist, a Communica-tion Studies professor, pretty much jettisoned her talk to launch an attack on anyone(primarily me) who could possibly think that enemy or civilian casualties are legiti-mate issues for a wartime press – or academic conferences. The other, an ex-general(one of the few I guess who did not get the call to explain the war to us on CNN,Fox, ABC, or other networks), who spent most his time extolling the necessity ofstrategic bombing (based I guess on his experience of flying over 200 missions inVietnam), regardless, again, of civilian casualties.

To be sure, several of the academics in the room came up to me afterwards toapologize for the behavior of the crowd (including an instructor from Fort Bragg),and a few said they actually agreed with me. However, my question to them was:where were you when I was under attack? Missing in action, I am afraid. I am happyto say the day ended on a more hopeful note. That evening I stumbled upon animpromptu peace vigil on Franklin Street in Durham, North Carolina, organized by

2 A shortened version can be found at http://www.watsoninstitute.org/infopeace/911/#;22.3.2004.

James Der Derian: 9/11 and Its Consequences for the Discipline

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a remarkable group of high school students and their mothers. For the next threehours the drumming, dancing, and honking by passing cars provided a fine antidoteto the hate and fear I had witnessed in that seminar room.

I think it is safe to say that a critical response to the official policy of the UnitedStates to 9/11 was and will continue to be subject to political, theoretical, and some-times even personal attack. This raises several problems for the discipline of IR thatI would like to address. First, assessing the impact of 9/11 is complicated by the factthat the discipline of IR has never been very effective at studying, let alone measur-ing, the influence of affect – like fear, hate, and empathy – on the practices of worldpolitics. Second, there is as well the perennial issue of how well an academicapproach in general manages to elucidate the practice of IR. It has long been myposition that the accelerated pace and deterritoralized nature of global politics – the»chronopolitics« that Virilio (1986) sees dominating traditional geopolitics – leavesmost IR scholars in the dust. By the time data has been collected, general proposi-tions tested, and conclusions reached, the moment of relevance has long past.Others, especially those closer to centers of power like Charles Kupchan (2002,2004 in this issue), can better address the theory/practice gap that Alexander Georgeand other historically-oriented IR specialists consider bridgeable by increasing thepragmatic relevance of IR theory (cf. George 1993). Third, we need to ask whyopposition to the Iraq war, at least in the United States, largely came from twoapproaches only: the critical and realist camps.

The second part of my essay provides one strategy, among many others, that criti-cal, continental approaches to IR can bring to bear on the terror wars. But before I doso, I think we need to seriously consider why among traditional schools of IR therealists lead the antiwar charge. Following in the footsteps (if not to the barricades)of Hans Morgenthau during the Vietnam war, »paleo-realist« John Mearsheimer and»uber-realist« Stephen Walt published high-profile renunciations of the rush to war(Mearsheimer/Walt 2003), while the likely critics, liberal institutionalists, andhumanitarian interventionists like Joseph Nye, Michael Ignatieff, and Anne MarieSlaughter split hairs over the morality, legality, and legitimacy of the war, yet theydid not oppose the US invasion.3

This lesson was brought home at the March 2003 meeting of the International Stu-dies Association in Portland, Oregon. Motivated by the extraordinary silence at themeeting over the impending war, about three dozen IR scholars (including me) sta-ged a silent (complete with duct-taped mouths) protest in the main lobby of thehotel. Overwhelmingly, our ranks came from the critical, feminist, poststructuralistor (and often overlapping), »foreign« representatives of IR. Moreover, it is worthnoting that the past (John Vasquez) and future (Steve Smith) presidents of the ISAjoined the protest – neither of whom, again, fall within the liberal institutionalistparadigm that dominates IR in the US.

3 Cf. the statements and publications compiled in: http://www.ciaonet.org/special_section/iraq/analysis.html; 29.3.2004; http://www.ksg.harvard.edu/cchrp/news.shtml; 29.3.2004and http://www.fpa.org/newsletter_info2583/newsletter_info_sub_list.htm?section=The%20Legality%20of%20War); 29.3.2004.

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I think it is possible, perhaps even necessary, to recognize the diagnostic powersthat realists have recently displayed, especially in their general assessment of USnational interest in the Middle East, and in their particular advocacy for proportiona-lity between means and ends in the war against global terrorism. Realists pridethemselves as depicting things as they really are, rather than as idealists might wishthem to be. And by idealists we must include, in a strange convergence, the born-again fundamentalists, true-believer neoconservatives, and ardent Straussians –sometimes one and the same – who in their advocacy of regime change and humanrights found more allies from within the ranks of liberal institutionalists than fromerstwhile allies in moderate national security circles.

But critics from the continental approach to IR – a camp I have been known to fre-quent – would be loath to let realists off the hook so easily. As Walter Benjaminwrote in The Arcades Project, »the history that showed things ›as they really were‹was the strongest narcotic of the century« (Benjamin 1999: 463). Contemporary rea-lism is not without its own self-serving constructions, like the positing of an apo-dictic principle of international anarchy and the immutability of human nature, aswell as the objectification of power, the fetishization of weaponry, and the reifica-tion of the state. In spite of all the transformations of world politics that confoundmany of realism’s fundamental precepts, it continues to haunt IR like the undead.Fortunately, there are alternatives to realism and liberalism for understanding theworld after 9/11.

My own belief is that 9/11 does represent a revolution, one that had already begunin the technology of warfare and the politics of identity, yet had failed to produce acommensurate revolution in the arts of comprehension and mediation. In the post-9/11world, this means adapting critical methodologies that look more closely and criti-cally at how wars of fundamentalist terror and counter-terror have become insepa-rable from and indeed enabled by the arts of technology: Of how terrorists usedemail, cell phones, flight simulators, and the internet to amass the knowledge and tocoordinate the machinery that killed 3016 people and caused billions of dollarsworth of damage. Of how the US military used global surveillance, networked com-munication, smart weapons, robotic aircraft, real-time simulation, and rapid deploy-ment of special forces to conduct a virtuous war (i. e., low-casualty, long-distance,good visuals) in Afghanistan and Iraq. Of how the Internet itself became a battle-field, through which organizers mustered millions of antiwar demonstrators inseveral cities and unofficial war blogs collected and disseminated multiple accountsof 9/11, as the US-government developed new techniques of surveillance and data-mining for the war against terror.

2. Virtual Theory

IR scholars must offer a timely response to the method and madness of a technologi-cally enabled, mythologically-informed war and counter-war of terror. Dismantlingmyths takes more than realist hardheadedness or liberal wishfulness; it takes thekind of close, critical yet pragmatic reading for which sovereign as well as virtuous

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powers have little tolerance. Based on my own investigations into the military-industrial-media-entertainment network, I have put out a marker for a virtual theoryof International Relations. In Virtuous War (Der Derian 2001) I write that we haveaccelerated beyond a »post-modern condition« (first identified as such by philoso-pher Francois Lyotard 1979) and plunged headlong into a digitally-enhanced »vir-tual immersion«, in which instant scandals, catastrophic accidents, »wag-the-dog«foreign policy, computer simulations, live-feed wars, and quick-in, slow-to-get-outinterventions into still-born or moribund states have become the rule of the day.

In short, virtual theory seeks to intervene critically yet pragmatically from anintellectual distance provided by continental philosophy. It is an admittedly pluralistapproach, plug and play if you will, which targets the gravest dangers in IR. It stu-dies the often inexplicable tragedies of IR without the amorality of realism or thevirtuous condemnations of liberalism. By negotiations of power and knowledge, themodern and postmodern, the empirical and critical, the classical and digital, virtualtheory acts as both software and hardware for a networked global politics. A virtualtheory, by the very ambiguity of its name, suggests both the creative potential of itsgaze and the elusive nature of its object. Virtual theory has the potential to makemeaning and to produce presence, to create the actual through a theatrical differen-tiation and technical vision. In shorthand, a virtual theory is: thin on explanation andthick on description; instrumented for intervention rather than interpretation; moreconcerned with events, interests, and matériel than agents, structures, and proofs;more interested in consequences rather than causes; not interested in how a problemis solved but why an event goes, or fails to go, critical and global. It is particularlysensitive to: accidents, synchronicities, connectivity, complexity, accelerants, cata-lysts, feedback, white noise, negative synergy, phase shifts, imminent threats, para-doxes, spatio-temporal rifts, and dreams.

It is important to remember that virtuality is defined by a potential for infinitereproducibility and by a capability to produce an effect at a distance – the chiefsource of its creative as well as destructive powers. This puts a very high premiumon reflexivity in virtual theory, in the sense of a need to constantly question howthrough acts of observation virtual theory helps to actualize an event. It might seekto leverage any technology which can make the best possibility actual. But at thesame time, it must take responsibility for constructing a world – not ex nihilio but exmachina – where there was none before.

On the epistemological spectrum, this formulation clearly places virtual theorycloser to the postmodernists and constructivists than the rationalists or realists. Vir-tual theory repudiates the philosophical realism and positivism underlying mostsocial science theory. Constructing a de-territorialized sense of being – neither herenor there as being but always as becoming different – virtuality represents a para-doxical extra-reality that does not fit the dominant dyad of the social sciences, thereal and the ideal. Nor does it fit the neat philosophical binaries of IR: the relativismof realism and the universalism of idealism. Neither realist or idealist, utopian ornihilist, virtual theory posits future possibilities forged from the encounter betweencritical imagination and technological determinism.

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Virtual theory takes aim at the most powerful discourses, in which material inter-ests are instantiated through virtuous statements. At the pinnacle today would be theNational Security Strategy of the United States of America (NSS 2002). As a casestrategy for virtual theory, I offer a close reading of the ur-document of the war onterror and against Iraq. It follows in chapter-and-verse the structure of the original,and seeks to decode the inconsistencies, contradictions, and outright mythologizingof US foreign and military policy.

Overview of America’s International Strategy (Section I)

»Our Nation’s cause has always been larger than our Nation’s defense« (President Bush,cited in NSS 2002: 1).

From President Bush’s opening lines to The National Security Strategy of the UnitedStates of America (NSS 2002), the gap between rhetoric and reality takes on mythicproportions:

»Our Nation’s cause has always been larger than our Nation’s defense. We fight, as wealways fight, for a just peace – a peace that favors liberty. We will defend the peaceagainst the threats from terrorists and tyrants. We will preserve the peace by buildinggood relations among the great powers. And we will extend the peace by encouragingfree and open societies on every continent« (President Bush, cited in NSS 2002: 1).

Regardless of authorial (or good) intentions, the National Security Strategy readsmore a Kiplingesque folk tale of the 19th century than a strategic doctrine for the21st century. The rhetoric of the White House favors and clearly intends to mobilizethe moral clarity, nostalgic sentimentality, and uncontested dominance reminiscentof the last great empires against the ambiguities, complexities, and messiness of thecurrent world disorder. However, the gulf between the Nation’s stated cause (»tohelp make the world not just safer but better«; NSS 2002: 1) and defensive needs(»to fight a war against terrorists of global reach«; NSS 2002: 5) is so vast that onedetects what Nietzsche referred to as the »breath of empty space«, that void betweenthe world as it is and as we would wish to be which produces all kinds of metaphysi-cal concoctions.

In short shrift (thirty pages), the White House articulation of US global objectivesto the Congress elevates strategic discourse from a traditional, temporal calculationof means and ends, to the theological realm of monotheistic faith and monolithictruth. Relying more on aspiration than analysis, revelation than reason, the NationalSecurity Strategy is not grand but grandiose strategy. In pursuit of an impossiblestate of national security against terrorist evil, soldiers will need to be sacrificed,civil liberties curtailed, civilians collaterally damaged, regimes destroyed. But anation’s imperial overreach should exceed its fiducial grasp, what’s a full spectrumdominance of the battlespace for?

Were this not an official White House doctrine, the contradictions of the NationalSecurity Strategy could only be interpreted as poetic irony. How else to comprehendthe opening paragraph which begins with: »The United States possesses unprece-dented – and unequaled – strength and influence in the world«, and ends: »The greatstrength of the nation must be used to promote a balance of power that favors free-

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dom?« (NSS 2002: 1). Perhaps the cabalistic Straussians that make up the defenseintellectual brain trust of the Bush administration (among them: Paul Wolfowitz,Richard Perle, and William Kristol and other advocates of the »New American Cen-tury«) have come up with a nuanced, indeed, anti-Machiavellian reading of Machia-velli that escapes the uninitiated. But so fixed is the National Security Strategy onthe creation of a world in America’s image, that concepts like balance of power andimminent threat, once rooted in historical, juridical as well as reciprocal traditions,become free-floating signifiers. Few Europeans, »old« or »new«, would recognizebalance of power principle deployed by the NSS to justify pre-emptive, unilateral,military action against not actual but »emerging« imminent threats (cf. NSS 2002:15). Defined by the 18th century jurist Vattel as a state of affairs in which no onepreponderant power can lay down the law to others, the classical sense of »balanceof power« is effectively inverted in principle by the NSS document and in practiceby the go-it-alone statecraft of the United States. Balance of power is global suze-rainty, and war is peace.

Champion Aspirations For Human Dignity (Section II)

»Some worry that it is somehow undiplomatic or impolite to speak the language of rightand wrong. I disagree. Different circumstances require different methods, but not diffe-rent moralities« (President Bush, cited in NSS 2002: 3).

What significance should we make of the fact that the shortest section of the NSS(barely a page-and-a-half) is on the »non-negotiable demands of human dignity«and rights, including »free speech, freedom of worship, equal justice, respect forwomen, religious and ethnic tolerance, and respect for private property« (NSS 2002:3). Are these rights so self-evident and inalienable that they do not warrant furtherclarification or justification? It would seem so: »History has not been kind to thosenations which ignored or flouted the rights and aspirations of their people« (NSS2002: 3). And yet this universalist avowal of rights requires a selective if not out-right denial of history. Where was the US-support of freedom, justice, and religiousand ethnic tolerance when it supported the »second Hitler« in his earlier war againstIran? When it provided intelligence, arms, and the precursors for chemical weaponsof mass destruction? When it abandoned the Shiites in the south and the Kurds in thenorth of Iraq after the first Gulf War?

Most significant is that these rights are considered »non-negotiable«, making war,if not the first, certainly more of a viable option when these rights are violated. Inthis regard, President Bush’s National Security Strategy is continuation rather than arepudiation of the President Clinton’s National Security Strategy of the United Sta-tes 1994-1995. To be sure, it places greater more emphasis on »preventive diplo-macy« (Clinton 1995: 17) and »multilateral intervention« (Clinton 1995: 18) thanBush’s preference for preemptive war and unilateralist predispositions. But the vir-tuous imperatives are in full evidence in the Clinton National Security Strategy: »Allof America’s strategic interests – from promoting prosperity at home to checkingglobal threats abroad before they threaten our territory – are served by enlarging thecommunity of democratic states to help preserve them as democracies committed to

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free markets and respect for human rights, is a key part of our national security stra-tegy« (Clinton 1995: 76).

Hardly surprising, then, that many liberals, both within the government and theuniversity, supported the war against Iraq; and hardly unfair to question the extent towhich Clinton and other moral interventionists prepared the high ground for thiswar. Nietzsche (1968) who always detected the smell of the swamp in all talk of vir-tue, finds in The Twilight of the Idols a »bestowing virtue« in the realist’s »couragein the face of reality«: My recreation, my preference, my cure from all Platonism hasalways been Thucydides. Thucydides, and perhaps, Machiavelli’s Principe are mostclosely related to myself by the unconditional will not to gull oneself and to seereason in reality – not in »reason«, still less in »morality« (Nietzsche 1968: 106f).

Strengthen Alliances to Defeat Global Terrorism and Work to prevent Attacks Against Us and Our Friends (Section III)

»Just three days removed from these events, Americans do not yet have the distance ofhistory. But our responsibility to history is already clear: to answer these attacks and ridthe world of evil. War has been waged against us by stealth and deceit and murder. Thisnation is peaceful, but fierce when stirred to anger. The conflict was begun on timing andterms of others. It will end in a way, and at an hour, of our choosing« (President Bush,cited in NSS 2002: 5).

A war to rid the world of evil, and ending it on the hour, even one so chosen by themost powerful nation in the world, is yet another tall order set by the National Secu-rity Strategy. The war is to be fought simultaneously on multiple fronts, aiming,when possible, »to disrupt the financing of terrorism« and »to enlist the support ofthe international community«; and, when necessary, to »not hesitate to act alone[…] to exercise our right of self-defense by acting preemptively […]« (NSS 2002:6). The strategy for defense might start but it does not stop at our border. States thatsupport terrorism will be compelled »to accept their sovereign responsibilities«;»terrorism will be viewed in the same light as slavery, piracy, or genocide«; andpublic diplomacy will be used »to promote the free flow of information and ideas[…]« (NSS 2002: 6). And should the ghost of Vince Lombardi prove insufficient(»While we recognize that our best defense is a good offense […]«), then the warmust be waged at home as well (»[…] we are also strengthening America’s home-land security to protect against and deter attack«; NSS 2002: 6).

In most of the sections that follow, after all the early fist-waving at terrorism andits supporters, the hand of the US is opened to the international community that mustbe constituted in »a war of freedom against fear«, one that has »no quick or easyend« (NSS 2002: 7). In these sections the National Security Strategy seeks to »Workwith Others to Defuse Regional Conflicts« (NSS 2002: section IV); »Ignite a NewEra of Global Economic Growth through Free Markets and Free Trade« (NSS 2002:section VI); »Expand the Circle of Development by Opening Societies and Buildingthe Infrastructure of Democracy« (NSS 2002: section VII); and »Develop Agendasfor Cooperative Action With the Other Main Centers of Global Power« (NSS 2002:

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Section VIII). But the document seems schizoid: after a prologue in which lines aredrawn and ultimatums issued, the call for international dialogue rings hollow.

The National Security Strategy might aim for peace but it amounts to a blueprintfor a permanent war. Gone is any trace of the humility that presidential candidateBush invoked in his foreign policy addresses. In its place, hubris of an epic sizeobviates any historical- or self-consciousness about the costs of empire. What endsare not predestined by America’s righteousness are to be preempted by the sanctityof holy war. The National Security Strategy leaves the world with two options:peace on US terms, or the perpetual peace of the grave. The evangelical seepsthrough the prose of global realpolitik, and mitigates its harshest pronouncementswith the solace of a better life to come. We all shall be – as played by the band as theTitanic sank – »Nearer My God to Thee«.

Prevent Our Enemies From Threatening Us, Our Allies, and Our Friends with Weapons of Mass Destruction (Section V)

»The gravest danger to freedom lies at the crossroads of radicalism and technology.When the spread of chemical and biological and nuclear weapons, along with ballisticmissile technology – when that occurs, even weak states and small groups could attain acatastrophic power to strike great nations. Our enemies have declared this very intention,and have been caught seeking these terrible weapons. They want the capability to black-mail us, or to harm us, or to harm our friends – and we shall oppose them with all ourpower« (President Bush, cited in NSS 2002: 13).

It is clear from the National Security Strategy that the end of the Cold War was theharbinger of a new world dis- rather than order. »New deadly challenges have emer-ged rogue states and terrorists« (NSS 2002: 13); and while they might not possessthe might of the Soviet Union, they have the asymmetrical advantages garnered byweapons of mass destruction and the will to use them. Positing that traditional deter-rence no longer works, the National Security Strategy presents axiomatically theright to preemptively strike against these new enemies: »The greater the threat, thegreater is the risk of inaction – and the more compelling the case for taking anticipa-tory action to defend ourselves, even if uncertainty remains as to the time and placeof the enemy’s attack« (NSS 2002: 15). This is not a grand strategy; this is a blankcheck, to take whatever actions whenever deemed necessary against whomever fitsthe terrorist profile.

Facing »an age where the enemies of civilization openly and actively seek theworld’s most destructive technologies« (NSS 2002: 15), the National Security Strat-egy sanctions a counter-strategy based on superior intelligence, ethics, and technolo-gical capability: »The reasons for our actions will be clear, the force measured, andthe cause just« (NSS 2002: 16). In short, war will be virtuous. First auditioned in theBalkans, and dress-rehearsed in Afghanistan, virtuous war took center stage in theinvasion of Iraq. Virtuous war projects a technological and ethical superiority inwhich computer simulation, media dissimulation, global surveillance, and networ-ked warfare combine to deter, discipline, and if need be, destroy the enemy. Ethi-cally intentioned and virtually applied, drawing on the doctrines of just war whenpossible and holy war when necessary, virtuous war is more than a felicitous oxy-

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moron. After September 11, as the United States chose coercion over diplomacy inits foreign policy, and deployed a rhetoric of total victory over absolute evil, vir-tuous war became the ultimate means by which the United States intended to re-secure its borders, assert its suzerainty, and secure the holy trinity of internationalorder: global capitalism (Ignite a New Era of Global Economic Growth through FreeMarkets and Free Trade; NSS 2002: 17); western models of democracy (Expand theCircle of Development by Opening Societies and Building the Infrastructure ofDemocracy; NSS 2002: 21); a hegemonic »balance of power« ( Develop Agendasfor Cooperative Action with the Other Main Centers of Global Power; NSS 2002:25); and preventive interventions (Transform America’s National Security Instituti-ons to Meet The Challenges and Opportunities of the Twenty-First Century; NSS2002: 29).

Transform America’s National Security Institutions to Meet The Challenges and Opportunities of the Twenty-First Century (Section IX)

»Terrorists attacked a symbol of American prosperity. They did not touch its source.America is successful because of the hard work, creativity, and enterprise of our people«(President Bush, cited in NSS 2002: 29).

The National Security Strategy calls for nothing less more than a transformation ofthe »major institutions of American national security« (NSS 2002: 29), in which themilitary and the intelligence community are to lead the way. The various tenets ofthe »RMA« – the revolution in military affairs – were fully evident in the Iraq war,not only in the unfolding of the war plan, OPLAN 1003 VICTOR, but by the highvalues placed on flexibility, speed, and information. The opening decapitationstrike, the infowar of »shock and awe«, the reliance on light ground forces and pre-cision munitions for a »rolling start«, all reflect Secretary of Defense Donald Rums-feld’s efforts to implement a radical transformation in how the United States fightsand defends itself.

Ultimately, however, real-world transformations exceed the grasp of the NationalSecurity Strategy. The war in Iraq put on full display just how effective the militarycould be in attaining its planned goals. But what falls outside the engineering andimaginary of the plan, what Edmund Burke called the »empire of circumstance«, isin the driver’s seat and beyond the cybernetic machinations of the National SecurityStrategy, as we see in the »peace« that followed. Many scholars saw the end of theCold War as an occasion to wax nostalgic over the stability of a bipolar balance ofpower and to debate the merits of a new unipolar order. These debates continued tobe state-centric as well as materialist in their interpretation of how power works. Bysuch criteria, there was little doubt that the United States would emerge as the domi-nant military, economic, and indeed, civilizational power. Even in Paul Wolfowitz’sworst-case nightmares, it was difficult to identify a potential »peer competitor« onthe horizon.

But then came 9/11, and the shock of the unexpected rippled through the dreamsof a steady-state hegemony. Asymmetrical power and fundamentalist resentment,force-multiplied by the mass media, prompted a permanent state of emergency.

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After the first responders came a semiotic fix with a kick, the National Security Stra-tegy of the United States of America. But from the tragedy of 9/11 to the farce ofIraq war, after the multilateral hopes for a »safer and better world« (NSS 2002: 1)were subverted by the unilateral nihilism of preventive war, the syntax of order andthe code of the simulacrum began to break down. We caught a glimpse of a hetero-polar matrix, in which actors radically differ in identity and interests (states versussuper-empowered individuals), using technologies in revolutionary ways (civilianairliners to create kamikaze weapons of mass destruction, the internet to mobilizethe largest antiwar demonstrations ever), were suddenly comparable in their capabi-lity to produce improbable global effects. It might be small solace, but out of thisnihilistic moment might yet come a real balance of power, in which the imperialreach of the National Security Strategy is foreshortened by a secular grasp of globalreality.

3. Concluding Remarks

For reasons ethical, theoretical, and technological, I believe global events more thanever require rapid yet responsible responses from scholars. There is a professional aswell as a public responsibility to place 9/11 and future global events in a historicalcontext and interpretative field that reaches beyond the immediacy of personal tra-gedy and official injury. At a time when political posturing stands in for analysis,press punditry mimics an attention deficit disorder, and academic conformity squel-ches critical viewpoints, international relation scholars must work swiftly and dili-gently to uncover what is dangerous to think and say, and to get it out by whatevermedium possible, whether it be by newspaper, television, journal, book, or the Inter-net. Otherwise 9/11 will be remembered not for the attack itself but for the increa-sing cycles of violence that follow.

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101Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 101-109

Charles A. Kupchan

New Research Agenda? Yes. New Paradigm? No.

Scholars of international relations continue to debate whether the events of Septem-ber 11 necessitate a major rethinking of the field’s main paradigms. Although noconsensus has emerged on this issue, there is a tendency – perhaps »urge« is a betterword – to believe that such a paradigm shift is necessary. This urge arises from twosources. First, the events of September 11 evoke a sense of shock, and this shockproduces an emotional inclination to believe that the developments of that day havetherefore changed international politics in a fundamental way. Second, September11 has induced policy makers in the United States to embrace a paradigm shift in theprinciple and practice of US foreign policy, a shift embodied in the new US nationalsecurity strategy and manifest in the »war on terrorism«. This change in policy hasnaturally encouraged scholars of international relations to believe that a requisitechange is needed in the field’s main intellectual frameworks.

I contend in this essay that September 11 necessitates no such paradigm shift. Allthe major questions facing scholars prior to September 11, and the analytic perspec-tives used to address those questions, continue to be relevant today. To be sure, a hostof new and urgent questions should now be on the scholarly agenda – questions that Iidentify below. But these are questions that broaden our research agenda rather thanones that require a fundamental reconsideration of the foundations of that agenda.

I use the term »paradigm« to refer to the foundational theoretical and conceptualperspectives that scholars self-consciously employ to analyze international politics.(Policy makers often employ them as well, but rarely in a self-conscious way.) Myclaim is not that the existing array of mainstream theoretical perspectives – realism,liberalism, constructivism, and their variants – is adequate or complete in any abso-lutist sense. On the contrary, the field of international relations has much room togrow. However, I do not believe that the events of September 11 make our currentparadigms any more lacking than they were before the developments of that day.

1. No Paradigm Shift

I base this assessment on the claim that the events of September 11 have not funda-mentally altered the nature of international politics. Despite assertions of a newclash of civilizations, no new geopolitical fault-lines have been created. Despiteoptimism that the threat of terror would serve as a durable source of unity among thegreat powers, managing relations among the world’s main centers of power stillremains a vital challenge. Indeed, September 11 has done more to divide than toconsolidate the Atlantic Alliance. Rather than changing the underlying dynamics of

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international politics, the events of September 2001 have only added the need tocombat terrorism to an already long list of priorities – but traditional priorities andparadigms remain as relevant as ever.

Furthermore, I contend that scholars of international relations should activelyresist the inclination to presume that September 11 has fundamentally altered globalpolitics. To shift paradigms would be to grant the perpetrators of September 11 amajor success. One of Al-Qaeda’s objectives was to provoke a defining confronta-tion between the Islamic world and the West – to induce practitioners and studentsof international relations to embrace a paradigm shift, which then becomes a self-fulfilling prophecy. This is precisely what has happened among US policy makers.Rather than shifting priorities and tactics to address the threat of terrorism, US prac-titioners have predicated policy on a new paradigm – one in which the effort to fightterrorism has become the defining and consuming mission for America. As a result,fundamental suppositions about the nature of the international system have changed.American policy makers now maintain that US preeminence and unilateralism arekey sources of stability, challenging realist thinking about the impact of unipolarityon structural dynamics. Washington has been dismissive of, if not openly hostile to,international institutions, disregarding the liberal claim that they are essential tocooperation. The United States has also turned its back on allies, trumping construc-tivist faith in the durability of a cohesive Western identity.

American policy makers have thus come to believe that the international systemhas changed much more than it has, holding a view of a global landscape that bearslittle resemblance to that envisaged by the rest of the world – and one that challengesthe mainstream paradigms in the field of international relations. The adverse conse-quences of this fundamental gap in perceptions, and of this failure to adhere to theinsights of scholarship, are readily apparent – a deeply divided international com-munity, a costly and bloody US occupation of Iraq, rising anti-American sentimenton a global basis, and America’s isolation in the world.

The community of international relations scholars should not make the same mis-take as the community of US policy makers. On the contrary, scholars need to pro-vide long-term perspective and serve as voices of centrism and moderation –especially amid the polarized political atmosphere. They should serve as a ballast ofreason and rigorous argumentation at a time when both are in short supply.

This assessment is by no means meant to dismiss the significance of the events ofSeptember 11; new and difficult challenges face policy makers and scholars alike. Inparticular, the Bush administration’s concern about the dangerous nexus of terror-ism, weapons of mass destruction, and rogue nations is a very real one. Washingtonis right to put this issue at the top of the international agenda and to suggest that thepreventive and preemptive use of force may be necessary to deal with related threats.This new reality requires updating existing norms about the use of force – and scho-lars can make an important contribution in this area. It should also be noted that ifterrorist groups do gain access to nuclear weapons and resort to their use, a para-digm shift in the field of international relations would be necessary. This develop-

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ment would call into question our understanding of deterrence, the consequences ofpower asymmetries, and other core concepts within the field.

2. New Research Questions

Although September 11 does not necessitate a paradigm shift, it does confront inter-national relations scholars with a set of new and pressing questions. These additionsto the research agenda, which are not meant to exclude others, fall into five mainareas: Weak States and Failed States; Religion and International Politics; Terrorismand Its Impact on Great Power Behavior; Domestic Politics, Foreign Policy, andBenign Hegemony; and Reframing the Atlantic Link.

Weak States and Failed States

The study of underdeveloped states has generally been the domain of comparativepolitics. Scholars of international relations, and in particular of international secu-rity, have tended to neglect the study of weaker states precisely because their weak-ness limits their impact on international politics. The primary exception would bethe study of civil and ethnic conflict – to which underdeveloped states are prone. Butfor the most part, such research focuses on the internal causes and consequences ofsuch conflict, rather than its impact on the broader international setting. September11 has given weak and failed states much more import and prominence. Since theattacks on New York and Washington, Afghanistan and Iraq have been at the centerstage of international politics. The conflicts in these countries and the tasks of post-war reconstruction have been the dominant issues shaping relations among the greatpowers, challenging the effectiveness of international institutions, and demandingthe international community’s attention and resources.

These developments have several consequences for the field of international rela-tions. They challenge the general supposition that structure (the distribution ofpower) is the most important factor shaping the international system. Managingrelations among concentrations of power is no less important than it used to be, butmajor threats to stability may now emerge from states or regions that possess littlematerial power. This shift necessitates a rethinking of traditional notions of hierar-chy and asymmetry. The emergence of more potent asymmetrical threats alsorequires directing more intellectual and political capital toward failed states thatcould become centers of activity for non-state, terrorist groups. These developmentsnecessitate a reconsideration of existing approaches to the use of force. Prevailinginternational norms, as enshrined in the UN Charter, generally treat the use of forceas legitimate only when such action takes the form of self-defense against aggres-sion or is approved by the UN Security Council. The security threats posed by weakor failing states may necessitate new forms of humanitarian intervention or evenpreventive war. The scholarly community, and international legal scholars in parti-cular, can help update prevailing norms and principles to these new circumstances.

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The security threats posed by weak and failed states may at times require the useof force, as in Afghanistan. But the challenges they pose often can be best addressedthrough non-security measures. In this sense, dealing with the threats emerging fromsuch states solely in a traditional security framework will address only the symp-toms of the problem, not its causes. Scholars of international relations can helpadvance other policy avenues – such as economic development, political liberaliza-tion, and education – that can help prevent failed states from emerging to begin with.In this sense, international relations scholars may want to renew efforts to reach outacross disciplinary boundaries as well as to promote better links between area stu-dies and international relations.

Finally, September 11 and its aftermath have made clear the need for systematicstudy of military occupations and the challenges of nation-building. If the interna-tional community finds itself more frequently engaged in stabilizing weak and failedstates, it will need a firmer analytic foundation upon which to base its policies. Inpreparing for the occupation of Iraq, the United States turned to studies of post-World War II Germany and Japan. The analogy was a weak one, however, perhapsone of the reasons that US forces were unprepared for the chaos that followed thefall of Saddam Hussein. Recent experiences in the Balkans, Afghanistan, Iraq, andelsewhere provide scholars with critical case studies for grappling with a host ofimportant questions. Should pre-war elites and military personnel be retained to helpestablish post-war stability, or should they be excluded from political life? Whatstandards should be used in assessing when to return effective sovereignty from theinternational community to local officials? What mix of coercion, co-optation, andpersuasion has proved most effective in maintaining order? To what degree do inter-national institutions confer legitimacy on post-war occupations and thereby helpbuild support for foreign authorities and troops among the local population? Schol-arly exploration of these issues would help guide policy makers in ongoing andfuture instances of post-war governance and reconstruction.

Religion and International Politics

Al-Qaeda and like-minded groups pose a threat not just to the security of stateswhose citizens and territory they attack, but also to the prevailing international order.Their immediate goal is to induce the West to withdraw from the Islamic world,ostensibly enabling Islam to flourish by ending its repression and pollution by out-siders. But Islamic groups like Al-Qaeda also challenge the legitimacy of the mainconstitutive unit in the world – the secular nation-state. Rather than supporting theseparation between church and state, Islamic radicals believe that the state shouldpromote Islam and be guided by Sharia. Legitimacy derives from religious authorityand practice, not from representative government. For extremists, nation-states in theIslamic world are fictive creations of European colonizers, established to underminethe unity of the Muslim people. The advancement of this vision, were it to comeabout, would constitute a radical alteration of the international system and necessi-tate a major rethinking of prevailing paradigms (cf. on these issues Philpott 2002).

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Al-Qaeda’s agenda and vision are unlikely to prevail. The events of September 11have, if anything, strengthened the traditional nation-state by forcing it to tighten itsgrip on political life at home and abroad. And Al-Qaeda’s ability to operate has beenconsiderably degraded by the toppling of the Taliban and ongoing military and non-military countermeasures. Nonetheless, the emergence of religiously-motivatedgroups willing to use violence to challenge the Westphalian order does confrontinternational relations scholars with important challenges. Can these groups and thenetworks through which they operate be examined through existing approaches inthe field – such as those of epistemic communities or transnational issue networks(cf. Haas 1992; Keck/Sikkink 1998)? Can the study of international politics in thepre-Westphalian era illuminate contemporary international politics in the Islamicworld? Inasmuch as the Protestant Reformation was a turning point in the gradualseparation of political life and religious life in the Christian world, what historicalinsights can be gleaned for the Islamic world?

Accompanying these analytic questions is a number of prescriptive questions. If itis absolutist religion – not religion per se – that challenges the prevailing interna-tional order, what steps can be taken to promote pluralism in the Middle East? Inas-much as the rise of a middle class helped limit the political power and ideologicalallure of the church in Europe, what can be done to broaden the middle class in Isla-mic societies? Studying the role of public education and social mobility in promotingpluralism in early modern Europe might also provide useful guidance on how educa-tion, literacy, and economic opportunity could achieve the same in the modernMiddle East.

Terrorism and its Impact on Major Power Behavior

Scholars of international relations have yet to examine adequately the impact of thethreat of terrorism on great power behavior. Initial studies of this issue suggestedthat terrorism would be the new unifying threat, serving as a foundation for greatpower harmony. According to G. John Ikenberry, the impact of September 11 wouldbe to push the United States »back toward a more centrist foreign policy« that»stresses alliances [and] multilateral cooperation,« thereby providing »new sinewsof cohesion among the great powers« (Ikenberry 2001/2002: 19f). Such assess-ments, however, have proved off the mark. The events of September 11 and theiraftermath have done more to divide than to unite the international community, withAmerica’s unilateralist urge strengthening rather than abating. The US-led waragainst Iraq was particularly divisive, especially among the Atlantic democracies.

Several factors appear to be at work. Although terrorism potentially poses a threat toall countries, terrorists single out specific targets when they strike. The targeted coun-try then has a stronger incentive to strike back than others, one of the main reasons thatvictims of terrorism usually retaliate on their own. The United States is also a morelikely target than other countries due to its primacy and its presence in the MiddleEast, leading to further differences in threat perception and strategies of response.

The elusive nature of the threat of terror also adds to its divisive impact. Al-Qaedaand other perpetrators of terrorism are usually non-state actors, making them diffi-

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cult to find and to counter through the use of force. The clear link between the Tali-ban and Al-Qaeda won the United States widespread international support for thewar in Afghanistan. But the absence of a convincing link between Saddam Husseinand the events of September 11 denied Washington such support for the war in Iraq.Looking forward, the scholarly community should devote increased attention toexploring what impact the ongoing threat of terrorism is likely to have on greatpower behavior and how it might be possible to effect greater cooperation and cohe-sion among the liberal democracies.

Scholars of international relations should also engage in systematic study of howterrorism affects the foreign policies of targeted countries. Many initial assessmentscompared the events of September 11, 2001 with those of December 7, 1941, theday Japan attacked the United States at Pearl Harbor. Both events were deemed toawaken America’s internationalist fervor, ensuring its steady engagement in mee-ting threats and providing global leadership. As one commentator remarked: »Wehave been put on notice that every major Western city is now vulnerable. For theUnited States itself, this means one central thing. Isolationism is dead«.1

On the surface, this assessment appears to be accurate. Since September 11, theUnited States has demonstrated unprecedented resolve to use its power as it sees fit,the isolationist forces that were gaining steam during the 1990s having beenabruptly reversed. But it would be premature – as well as historically inaccurate – topresume that terrorism as a matter of course evokes a determined brand of interna-tionalism. On the contrary, terrorism does have the potential to induce great powersto turn inward (cf. Kupchan 2002: 219-230). Terrorist attacks against British targetsin Palestine and Aden helped convince London to terminate its colonial presence inthe Middle East. Terrorist strikes against French targets similarly convinced Paris towithdraw from Algeria. Prior to September 11, attacks against Americans in Leba-non (1983), Somalia (1993), and Yemen (2000) induced the United States to with-draw its forces, not to take the fight to the perpetrators. Washington has shown nolack of resolve since the events of September 11, but it may be that the war in Iraqrepresents a turning point and that the costs of occupation will induce the UnitedStates to turn inward.

From this perspective, the scholarly community should place particular emphasison exploring the impact of terrorism on the domestic politics of foreign policy. Thisnew type of threat is unlikely to evoke steady engagement in the same way that theSoviet Union or Nazi Germany did. Instead of facing identifiable enemies againstwhich to mobilize the nation, terrorism represents a far more shadowy enemy.Instead of asking Americans to make sacrifices for the war effort or to alter theirbehavior when the alert level is raised, officials continue to urge the electorate to goabout their daily routines lest the threat of terror succeed in disrupting normalcy.The long-term effect of terrorism on internationalism thus warrants careful study.

1 Sullivan, Andrew 2001: America at War: America Wakes up to a World of Fear, in: TheSunday Times, 16. September 2001.

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Domestic Politics, Foreign Policy, and Benign Hegemony

Perhaps the most significant change in international politics since September 11stems from its impact on US politics and foreign policy. The attacks gave birth to anew US doctrine of preeminence and preemption. The Bush administration alsostepped away from the multilateralist course to which the United States had adheredsince World War II, opting instead for a bristly unilateralism. These changes in bothprinciple and practice have in turn altered international perceptions of US power,calling into question the notion of benign or liberal hegemony (Kupchan 1998) andcreating the prospect that other nations may on a regular basis resist rather than rallybehind US leadership (cf. Kupchan et al. 2001; Ikenberry 2001).

One set of important questions for examination concerns the causes and the dura-bility of this shift in US policy. It may be that Washington’s extremist turn is a tem-porary aberration caused by George W. Bush and his team of advisers, and that adifferent leadership would bring a course correction. Several observations lend cre-dence to this perspective. A relatively small coterie of advisers – the neoconserva-tives – has been in control of policy. This group does not represent the politicalmainstream, but has held sway in Washington largely because America’s system ofchecks and balances has been in suspension since September 11. Amid the »war onterrorism«, neither centrist Republicans nor Democrats were willing to challenge thepresident on matters of national security. As the neoconservatives lose their privi-leged position – in part due to the inaccuracy of their predictions for post-war Iraq –and as America’s public discourse recovers, US policy may move back to the mode-rate center.

At the same time, there are reasons to believe that more durable, secular changeshave contributed to the new course of US policy. Future terrorist strikes, or merelythe threat of them, could keep the US public on edge, favoring more extremistvoices and hampering the return of a more variegated political discourse. The popu-list overtones of the Bush administration resonate strongly in the agrarian south,mountain west, and southwest – the fastest growing regions of the United States.Support for unilateralism thus may gain steam across the political spectrum. In addi-tion, America’s political landscape is becoming more polarized, making it difficultto rebuild a bipartisan coalition behind liberal internationalism.

Whether temporary or more durable, the new trajectory of US policy is alreadyhaving a powerful impact on the dynamics of unipolarity. The scholarly communityneeds to begin addressing a host of issues. Has the notion of liberal or benign hege-mony become obsolete? In light of the asymmetrical distribution of power in theinternational system, how might balancing against the United States manifest itself?What impact will growing anti-American sentiment have on other nations’ foreignpolicies toward the United States?

Reframing the Atlantic Link

The literature on alliances and security community has dominated scholarly work ontransatlantic relations. In light of the erosion of relations between the United States

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and Europe over the past several years, it may well be time to apply a new concep-tual framework and vocabulary to Atlantic issues. Transatlantic differences overIraq made clear that US and European security are no longer indivisible. Americaand European members of NATO are in nominal terms still allies, but NATO islosing its relevance as a formal military alliance. The United States has made clearits preference for coalitions of the willing. In addition, its strategic priorities haveshifted away from Europe and its forces are following. For its part, Europe possessesa limited willingness and capability to stand alongside the United States in missionsoutside Europe. The EU is also embarking on the establishment of its own defensecapability.

The Atlantic area still represents a security community – war across the Atlanticremains beyond the realm of the thinkable. But the notion of security communityalso connotes a sense of we-ness, a shared identity. That sense of we-ness is cur-rently at risk, with officials in Europe frequently calling for Europe to rise as a coun-terweight to the United States and European publics seeing America as a threat tointernational stability, not a benign hegemon. Some Americans have come to seeEurope as an impediment and Washington is rife with talk of the need to »disaggre-gate« the EU and foster divisions within Europe that will work against its unity.

The scholarly community needs to address both descriptive and prescriptive ques-tions. On the descriptive front, how should these changes in Atlantic relations beunderstood? Will the Atlantic zone remain a formal security community – in thesense that war remains unthinkable – but nonetheless witness the return of balanceof power dynamics on a moderate level? Do relations among the liberal democraciesduring the 1920s or 1930s provide a useful model? On the prescriptive front, scho-lars need to address how to avert the further deterioration of Atlantic relations. Howand under what circumstances do security communities unravel? What specific stepscan be taken to reclaim Atlantic harmony? Answers to these questions will bothexpand our understanding of contemporary international politics and help to ensurethat the Atlantic community does not become a permanent casualty of the events ofSeptember 11.

3. Conclusions

Addressing the questions enumerated above will require theoretical innovation andpainstaking empirical work. This new research agenda will accordingly keep scho-lars of international relations busy for quite some time. These questions are, however,ones that can and should be examined primarily through existing paradigms in thefield. Research located at the intersection of competing paradigms and at the meetingpoint of the field of international relations and comparative politics holds particularpromise of advancing this new agenda. Our paradigmatic approaches should changeas the field evolves. But that change should come as part of a natural intellectual evo-lution, not as a precipitous over-reaction to the events of September 11.

Charles A. Kupchan: New Research Agenda? Yes. New Paradigm? No.

109ZIB 1/2004

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111Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 111-121

Thomas Risse

Der 9.11. und der 11.9.Folgen für das Fach Internationale Beziehungen

1. Ähnlich wie der 9.11.1989 bedeutet der 11.9.2001 eine Zäsur der Weltpolitik.Er fordert die Theorien und paradigmatischen Grundlagen des Faches Inter-nationale Beziehungen aber nicht in gleicher Weise heraus, wie es das Endedes Ost-West-Konfliktes getan hat.

Das Ende des Ost-West-Konfliktes löste im Fach Internationale Beziehungen (IB)eine Auseinandersetzung um die theoretischen Grundlagen der IB aus.1 Die realenEntwicklungen der internationalen Politik öffneten ein Gelegenheitsfenster für alljene, die die epistemologischen und ontologischen Grundlagen der auf beiden Seitendes Atlantiks vorherrschenden Ansätze kritisierten, insbesondere den Realismussowie auf rationalistischen Annahmen beruhende Theorien. Die »konstruktivistischeWende« war zwar schon vor der Zeitenwende 1989 eingeläutet worden (vgl. z. B.Onuf 1989; Kratochwil/Ruggie 1986; Kratochwil 1989), aber es war das Ende desOst-West-Konfliktes, das eine Identitätskrise des Faches Internationale Beziehun-gen auslöste. Die Neunzigerjahre wurden zum Tummelplatz verschiedener Debattenum Konstruktivismus, Post-Positivismus, Poststrukturalismus usw. Diese Selbstre-flexion des Faches diesseits und jenseits des Atlantiks führte zu verschiedenen Para-digmenwechseln in Bezug auf die jeweils dominierenden Ansätze:

(1) Staatszentrierte Theorieansätze im Allgemeinen und (neo-)realistische Theo-rien im Besonderen verloren ihren dominanten Status als Bezugsgröße für die Theo-rien der IB. Während noch zu Beginn der Neunzigerjahre fast jede Dissertationritualisiert den Neorealismus zuerst widerlegen musste, um Raum zu schaffen fürden eigenen Theorieansatz, ist dies zehn Jahre später kaum noch der Fall, nicht ein-mal mehr in den USA.

(2) Konstruktivistische Ansätze etablierten sich im Laufe der Neunziger mehroder weniger gleichberechtigt mit rational choice und eroberten den »middleground« (vgl. Adler 1997, 2002). Damit wurden Sinnkonstruktionen, Bedeutungs-strukturen, Diskurse und Kommunikationsprozesse (vgl. die so genannte ZIB-Debatte, die dazu beigetragen hat, sprachbasierte Ansätze in den InternationalenBeziehungen fest zu etablieren) zu zentralen Untersuchungsgegenständen desFaches IB, ohne die man wichtige Phänomene der internationalen Politik nichterklären kann. Gleichzeitig differenzierten sich konstruktivistische und andere post-

1 Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag bei der Veranstaltung der Sektion »Internatio-nale Politik« auf dem Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft,Mainz, 22.-25.9.2003. Für kritische Kommentare danke ich Christian Büger, StefanoGuzzini, Harald Müller, Klaus Schlichte und zwei anonymen Gutachtern/-innen der ZIB.

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positivistische Ansätze stärker aus (vgl. dazu Wiener 2003; Christiansen et al. 2001;Risse 2003).

Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen war ein zunehmender theoretischerPluralismus im Fach Internationale Beziehungen (IB), und zwar diesseits und jen-seits des Atlantiks. Der Theorienpluralismus macht allerdings in den USA in denführenden Fachzeitschriften und Universitäten nach wie vor bei einem moderatenKonstruktivismus halt, der die epistemologischen Grundlagen konventioneller sozi-alwissenschaftlicher Forschung weiter akzeptiert. Dagegen hat sich das Theorien-spektrum in den europäischen IB inzwischen so weit differenziert, dass sichbeispielsweise postmoderne Ansätze nicht länger als selbsternannte Außenseiter derDisziplin fühlen müssen. Das wird am Theorienspektrum der im European Journalof International Relations, dem Review of International Studies, in Millennium oderauch in der ZIB publizierten Aufsätze deutlich. Auch die drei kürzlich veröffentlich-ten Bände zum Stand der theorieorientierten IB-Forschung in den USA (Katzensteinet al. 1998), im transatlantischen Raum (Carlsnaes et al. 2002) und in Deutschland(Hellmann et al. 2003) dokumentieren, dass sich die Disziplin heute an Maos Motto»Lasst tausend Blumen blühen!« orientiert.

Angesichts dieses Theorienpluralismus ist es unwahrscheinlich, dass der11.9.2001 zu ähnlichen Paradigmenwechseln führen wird wie der 9.11.1989. DieGründe dafür erscheinen mir recht eindeutig: Der 11.9. stellt sicherlich eine Zäsurder Weltpolitik dar. Gleichzeitig wurden die Entstaatlichung und Entterritorialisie-rung von Gewalt, die bis dahin im Wesentlichen auf die Peripherie der OECD-Weltund die Räume begrenzter Staatlichkeit in den Ländern des Südens beschränktgeblieben waren, zur sichtbaren sicherheitspolitischen Bedrohung hoch industriali-sierter Demokratien. Die vom 11.9. ausgelösten Veränderungen der US-Außenpoli-tik lösten darüber hinaus eine Debatte um die Struktur des internationalen Systemsund die Folgen für die innerwestlichen Beziehungen aus (vgl. u. a. Kagan 2003;Kupchan 2003; Ikenberry 2001; Nye 2002). Dabei verdeutlicht diese Debatte einmalmehr, dass unterschiedliche Varianten des realistischen Paradigmas zu völlig gegen-sätzlichen Positionen führen – von Kagans (2003) Diagnose amerikanischer Machtund europäischer Ohnmacht zu Kupchans (2003) Ausrufung des »Endes der ameri-kanischen Ära«.

Aber ist dies Anlass genug, den Theorie-Werkzeugkasten im Fach IB neu zubesichtigen und gegebenenfalls neue theoretische Werkzeuge zu suchen? Ich binskeptisch. Um mit dem 11.9.2001 und seiner Bedeutung für die Weltpolitik theore-tisch umgehen zu können, muss der theoretische und methodologische Werkzeug-kasten des Faches nicht neu geordnet werden. Ich wüsste nicht, welcheVeränderungen der theoretischen Perspektive nach dem 11.9. angesagt wären, dienicht schon vor den Angriffen auf New York und Washington von unterschiedlichenVertretern/-innen des Faches angedacht worden waren. Der staatszentrierte Blickauf die internationalen Beziehungen war auch schon vor dem 11.9. problematisch.Und um beim Konstruktivismus zu bleiben: Auch schon vor dem 11.9. war es rich-tig, bei der Analyse internationaler Politik auf Sinnkonstruktionen, Bedeutungs-strukturen und intersubjektiv geteilte Überzeugungen zu achten.

Thomas Risse: Der 9.11. und der 11.9.

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2. Das Fach Internationale Beziehungen diesseits und jenseits des Atlantiks hatauf die Terrorangriffe des 11.9.2001 und auf die US-amerikanische Reaktiondurch vielfältige Beiträge zur aktuellen Weltpolitik reagiert. Allerdings und imUnterschied zum 9.11.1989 haben die weltpolitischen Ereignisse der letztenJahre bisher kaum Diskussionen und Reflexionen auf die theoretischen undmethodischen Grundlagen des Faches ausgelöst.

Wenn die These stimmt, dass der 11.9. anders als der 9.11. keine theoretischenReflexionen auf die Grundlagen des Faches Internationale Beziehungen auszulösenbraucht, dann lassen sich auch die verhaltenen Reaktionen des Faches auf die Ter-rorangriffe auf New York und Washington erklären. Kaum war der Kalte Krieg vor-bei, so erschienen auch schon die ersten Sammelbände mit Variationen zum Thema»Das Ende des Kalten Krieges und die Theorien der Internationalen Beziehungen«(vgl. z. B Allan/Goldmann 1992; Lebow/Risse-Kappen 1995). Die weltweit füh-rende Fachzeitschrift – International Organization (IO) – veröffentlichte 1994 einSymposium zum Thema. Bis heute reißt die Fülle der Publikationen zum Ende desOst-West-Konfliktes nicht ab.

Nach dem 11.9.2001 stellt sich die Lage anders da: Die Terroranschläge auf NewYork und Washington, die Antworten der US-amerikanischen Politik sowie dieKriege in Afghanistan und Irak lösten vielfältige Reaktionen in der Zunft aus. Aberdiese Reaktionen kommentierten in erster Linie die aktuellen Ereignisse der Weltpo-litik in den politikorientierten Zeitschriften wie Foreign Affairs, Foreign Policy,International Affairs, Internationale Politik, Blätter für deutsche und internationalePolitik, WeltTrends usw. Auch die Buchpublikationen diesseits und jenseits desAtlantiks zum 11.9. und seinen Folgen richteten sich in erster Linie an das breiterePublikum statt an die Fachöffentlichkeit (vgl. in Deutschland z. B. Czempiel 2002;Müller 2003; außerdem u. a. Kagan 2003; Kupchan 2003).

Das Ende des Ost-West-Konfliktes führte zu einer ausführlichen Reflexion auf dietheoretischen Grundlagen des Faches – nach dem 11.9.2001 lässt sich das bishernicht beobachten. Es mag sein, dass es zweieinhalb Jahre nach den Ereignissen dazunoch zu früh ist. Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Veranstaltung der Sek-tion »Internationale Politik« auf dem Politologen-Kongress in Mainz zu den Folgendes 11.9. für die Disziplin Internationale Beziehungen, die in dieser Ausgabe derZIB dokumentiert wird, die einzige Veranstaltung dieser Art gewesen ist – auch undgerade im internationalen Vergleich!2

Ein Blick auf führende amerikanische, europäische und deutschsprachige Fach-zeitschriften – IO, World Politics, European Journal of International Relations(EJIR), Review of International Studies und Zeitschrift für Internationale Beziehun-gen (ZIB) – bestätigt diesen Eindruck. Erst allmählich publizieren diese Zeitschrif-ten Beiträge zu Themen, die direkt oder indirekt mit dem 11.9.2001zusammenhängen. World Politics veröffentlichte 2002 immerhin einen Artikel zu

2 Ich kann mich beispielsweise nicht erinnern, auf den alljährlichen Kongressen der Ame-rican Political Science Association (APSA) mit ihren mehr als tausend Panels eine Ver-anstaltung der Art gesehen zu haben, wie sie jetzt unsere Sektion organisiert hat.

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»Islam and Authoritarianism« (Fish 2002). International Organization fragte eineReihe prominenter Fachkollegen/-innen, welche Konsequenzen sich aus dem 11.9.für das Fach IB ergäben. Die Beiträge wurden aber nicht im Heft selbst, sondern als»Dialogue IO« im Internet veröffentlicht. Erst 2003 findet sich in IO der erste Auf-satz zum Thema, ein Vergleich der Strategien der Terrorismus-Bekämpfung inDeutschland, Japan und den USA (Katzenstein 2003). EJIR publizierte 2003 einenBeitrag von Robert Jervis (2003) zu den abschreckungstheoretischen Implikationendes Irak-Krieges, verbunden mit einem Editorial, dass sich angesichts des Irak-Krie-ges auch eine fachwissenschaftliche IB-Zeitschrift in die Niederungen aktueller Dis-kussionen begeben müsse.3 In der Nummer 1/2003 der ZIB befindet sich einLiteraturbericht von Reinhard Wolf (2003) »Zum praktischen Mehrwert aktuellerTheoriebeiträge«, der diverse Beiträge auf ihre praktische Relevanz zur Zukunft dertransatlantischen Beziehungen hin untersucht.4 Ausnahmen von der Regel sind zumeinen das Review of International Studies, zum anderen International Security, dieseit dem 11.9.2001 eine ganze Reihe von Aufsätzen zum Thema veröffentlichthaben.5 Selbst die öffentliche Debatte um die gegenwärtige US-Außenpolitik, umUnilateralismus und Unipolarität hat bisher kaum Spuren in der fachwissenschaftli-chen Öffentlichkeit hinterlassen – mit den beiden Ausnahmen Wolf (2003) und Cox(2003)! Allerdings muss man darauf hinweisen, dass es die Zeitschrift InternationalSecurity war, die über Jahre hinweg und vor dem 11.9.2001 eine Debatte über dasEnde des Kalten Krieges und die Folgen der Unipolarität für die Weltordnunggeführt hatte. Dort finden sich alle wesentlichen Positionen wieder, die heute in derpolitischen und populärwissenschaftlichen Öffentlichkeit eine Rolle spielen (eineZusammenfassung aller wichtigen Positionen bei Ikenberry 2002).

Nun ist damit zu rechnen, dass die Beiträge zu den Folgen des 11.9.2001 für dieWeltpolitik in den führenden Fachzeitschriften zunehmen werden. Aber ich wage zubehaupten, dass sich diese Beiträge auf die substanziellen Fragen des transnationa-len Terrorismus, der Privatisierung und Entstaatlichung von Gewalt (sowie auf dieamerikanische Außenpolitik und deren Folgen) konzentrieren werden (vgl. z. B.Booth/Dunne 2002). Es ist eher unwahrscheinlich, dass der 11.9. ähnliche Grund-satzdebatten im Fach Internationale Beziehungen auslösen wird wie der 9.11. – ausden oben genannten Gründen. Dieses ZIB-Forum beispielsweise stellt den erstendeutschsprachigen Beitrag zur Bedeutung des 11.9. für das Fach InternationaleBeziehungen dar (für einen britischen Beitrag siehe Cox 2002).

3 Es ist bemerkenswert, dass es der Irak-Krieg und nicht der 11.9. war, der dieses State-ment des EJIR-Herausgebers auslöste.

4 Vgl. auch den Beitrag von Hartmut Behr (2004) zur Terrorismusbekämpfung durch dieVereinten Nationen in diesem Heft.

5 Vgl. u. a. McInnes (2003); Forum on Chomsky (2003); Carter (2001/2002); Jentleson(2002); Posen (2001/2002); siehe jetzt auch Cox (2003); Pape (2003); Enders/Sandler(2002).

Thomas Risse: Der 9.11. und der 11.9.

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3. Das Fach Internationale Beziehungen hat die Entstehung transnationaler ter-roristischer Netzwerke mehr oder weniger ignoriert. Während die Erforschungder transnationalen Beziehungen privater Akteure zugenommen hat, konzent-rierte sich diese Forschung entweder auf wirtschaftliche Globalisierungspro-zesse oder auf die »guten« transnationalen Netzwerke.

Bei aller Spezialisierung und Ausdifferenzierung des Faches hat es einen blindenFleck in der Erforschung internationaler Beziehungen schon lange vor dem11.9.2001 gegeben: Der entstehende transnationale Terrorismus wurde ignoriert. Ichmag mich irren, aber mir fällt kein prominenter Beitrag in einer der führenden Fach-zeitschriften, keine Buchpublikation bei einem der führenden Universitätsverlageein, die sich vor dem 11.9. mit dem Phänomen des internationalen Terrorismus ausder Perspektive theoriegeleiteter Forschung der Internationalen Beziehungen beschäf-tigt hätte. Phil Williams (z. B. 2002) ist unter den etablierten IB-Forschern/-innenmeines Wissens der einzige, der sich auf transnational organisiertes Verbrechen spe-zialisiert hat, und auch er behandelt terroristische Netzwerke nur am Rande. Christo-pher Daase (2001, 2002) ist in der deutschsprachigen IB-Forschung fast der einzige,der sich wissenschaftlich mit dem Terrorismusbegriff auseinander gesetzt hat (füreine hervorragende Policy-orientierte Analyse vgl. Schneckener 2002). Das Themawurde ansonsten mehr oder weniger ignoriert bzw. den Terrorismus-Experten derdiversen Think Tanks überlassen – in den USA ebenso wie in Europa (vgl. z. B.Arquilla/Ronfeldt 2001).

Wenn man die Gründe für die Vernachlässigung dieser entstaatlichten Gewaltpro-blematik zu Beginn des 21. Jahrhunderts herauszufinden versucht, könnte manzunächst auf die nach wie vor bestehende Fixiertheit des Faches auf die Staatenweltkommen. Aber diese Antwort kann nicht befriedigen, denn zumindest in der europä-ischen IB-Forschung kann man kaum noch von einer Dominanz des staatszentrier-ten Paradigmas sprechen. Dies gilt insbesondere auch für die vergleichende –quantitative und qualitative – Kriegs(ursachen)forschung, die sich in den Neunziger-jahren zunehmend mit den »kleinen Kriegen« und mit transnationalisierten Gewalt-ökonomien beschäftigt hat.6 Aber diese Forschung konzentrierte sich bisher auf –auch grenzüberschreitende – kriegerische Auseinandersetzungen innerhalb vonStaaten in den Krisenregionen der Welt. Die Privatisierung und Aneignung vonGewaltmitteln durch terroristische Netzwerke wurde kaum in den Blick genommen.

Auch die Renaissance der Erforschung transnationaler Beziehungen in den Neun-zigerjahren diesseits und jenseits des Atlantiks hat den Blick nicht auf die sich her-ausbildenden transnationalen Terrornetzwerke gelenkt. Dagegen beschäftigte sichdie überwältigende Mehrheit der Forschergemeinschaft mit den »guten« transnatio-nalen Netzwerken, z. B. im Bereich der Menschenrechte, der internationalenUmweltpolitik und der Entwicklungspolitik (vgl. als Überblick Risse 2002; Nölke2003). Bei aller Erforschung der »Macht der Menschenrechte« (Risse et al. 1999)haben wir die sich anbahnende transnationale »Macht des Terrors« übersehen. Netz-

6 Vgl. die Überblicksartikel und Kontroversen in Schlichte (2002); Hasenclever (2002);Daase (2003); Levy (2002).

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werktheoretische Arbeiten, die sich mit transnationalem Terrorismus beschäftigen,sind nach wie vor selten (Ausnahmen sind Deibert/Stein 2002; Arquilla/Ronfeldt2001; Behr 2004 in diesem Heft). Dabei ergeben sich erstaunliche Parallelen zwi-schen Entstehung und Funktionsweise transnationaler Menschenrechtsnetzwerkeeinerseits und Terrornetzwerken andererseits: Beide sind gekennzeichnet durch einegemeinsame normative Agenda, einen gemeinsamen Diskurs, den engen Austauschvon materiellen und ideellen Ressourcen sowie im wesentlichen informelle und den-noch recht stabile Interaktionsbeziehungen mit flachen Hierarchien (vgl. etwa dieDefinition transnationaler »advocacy networks« bei Keck/Sikkink 1998). SelbstAppelle an transnationale und nationale Öffentlichkeiten über strategische Kon-struktionen ist beiden Typen von Netzwerken gemeinsam. Der entscheidende Unter-schied zwischen Terrornetzwerken einerseits und »advocacy«-Netzwerken bzw.epistemischen Gemeinschaften andererseits – neben den Zielen der Netzwerke – istdie fehlende Transparenz terroristischer Netzwerke. Es fällt auf, dass Netzwerkana-lysen, die im Fach Internationale Beziehungen inzwischen durchaus gang und gäbesind (Überblick bei Börzel 1998; Nölke 2003), für die Untersuchung von Terror-netzwerken bisher kaum genutzt wurden.

Es kann nicht an der Dominanz des regierungs- oder staatszentrierten Paradigmasliegen, dass Terrornetzwerke bisher kaum zum Gegenstand theoriegeleiteter IB-For-schung geworden sind. Schon eher könnte es etwas mit der liberalen und koopera-tionsorientierten politischen Einstellung derjenigen zu tun haben, die sich mittransnationalen Beziehungen beschäftigen. Dieses Teilgebiet der IB-Forschung wirdseit den Arbeiten von Keohane und Nye (1977) zur komplexen Interdependenz vonliberalen Institutionalisten moderat rationalistischer und gemäßigt konstruktivistischerPrägung dominiert.7 Es verwundert daher kaum, dass sich diese Forscher/-innen bis-her kaum mit der dunklen Seite von Transnationalisierung und Entgrenzungbeschäftigt haben.

4. Der vorhandene theoretische und methodologische Werkzeugkasten der IBsollte für die Erforschung des transnationalen Terrorismus, seiner Ursachen,seines Umfeldes und seiner Wirkungen für die Weltpolitik genutzt werden.

Statt eines Paradigmenwechsels scheint mir nach dem 11.9. eine Perspektivenverän-derung im Fach Internationale Beziehungen notwendig zu sein. Vor allem gilt es,das vorhandene Theorie- und Methoden-Instrumentarium auf neue Themen derinternationalen Politik anzuwenden. Es kommt darauf an, transnationalen Terroris-mus sowie die Entstaatlichung und Entterritorialisierung von Gewalt allgemein, ihreUrsachen, ihr Umfeld und die Folgen zum Gegenstand theoriegeleiteter Forschungzu machen. Das ist meines Erachtens die zentrale Herausforderung, die der11.9.2001 an das Fach stellt. Dabei braucht zur Erforschung transnationaler Terror-

7 Vgl. z. B. Keck/Sikkink (1998); Risse-Kappen (1995); Finnemore (1996); Ruggie(1998); Boli/Thomas (1999).

Thomas Risse: Der 9.11. und der 11.9.

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Netzwerke sowie ihrer Ursachen und Folgen für die Weltpolitik das theoretischeRad nicht neu erfunden zu werden. Dies lässt sich an drei Beispielen erläutern:- Mithilfe von Netzwerkansätzen unterschiedlichster Prägung lassen sich die

internen Funktionsweisen und Dynamiken des transnationalen Terrorismusuntersuchen.

- Konstruktivistische Ansätze können zur Erforschung der Varianz im staatlichenUmgang mit Terrorismus herangezogen werden, aber auch der politischen Dis-kurse und Sinndeutungen im Zusammenhang mit Terrornetzwerken.

- Machttheorien können Ordnung in das Chaos der aktuellen Populärdiskussionum Unipolarität und amerikanischen Unilateralismus bringen.

Zur Anwendbarkeit von Untersuchungsansätzen, die transnationale Netzwerke undihre Funktionsweisen in den Blick nehmen, habe ich oben bereits Andeutungengemacht. Dies gilt auch für die Verwundbarkeit offener und liberaler Gesellschaftenfür transnationalen Terrorismus einerseits8 und für die Debatte darüber, ob terroristi-sche Netzwerke zerfallene oder dysfunktionale Staaten als Ausgangsbasis ihrer Akti-vitäten brauchen, andererseits (dazu insgesamt Williams 2002). Mit anderen Worten:Die Debatte über das Wechselverhältnis von Staatlichkeit und Transnationalismuskann auch für die Analyse von Terrornetzwerken fruchtbar gemacht werden.

Was den Konstruktivismus in seinen verschiedenen Varianten angeht, so habendiejenigen unter uns, die sich für soziale Konstruktionen und die Rolle von Sinn-und Bedeutungsstrukturen in der internationalen Politik interessieren, einiges beizu-tragen zur Untersuchung der Folgen des 11.9. nicht nur für die hoch industrialisier-ten Gesellschaften. Die securitization (»Versicherheitlichung« in schlechterdeutscher Übersetzung) der Kopenhagener Schule könnte z. B. genutzt werden, umdie unterschiedlichen Interpretationen des transnationalen Terrorismus diesseits undjenseits des Atlantiks genauer zu analysieren (zum Kopenhagener Ansatz und seinenSchwächen vgl. u. a. Weinlich 2002). Hier ließen sich auch die unterschiedlichenResonanzstrukturen untersuchen und begründen, warum das framing der Bush-Administration als »Krieg gegen den Terrorismus« in den USA zur vorherrschendenSinnkonstruktion wurde, wohingegen transnationaler Terror in Europa zumeist nachwie vor als Problem transnationaler Verbrechensbekämpfung behandelt wird (mitanderen Konnotationen von Gefahr und Bedrohung).

Konstruktivisten hätten außerdem eine Menge dazu zu sagen, wie die manichäi-schen Sinnkonstruktionen eines Osama Bin Laden und des Al-Kaida-Netzwerkeseinerseits und die ähnlich dichotomen Freund-Feind-Konstruktionen der Bush-Administration (»Achse des Bösen«) andererseits in ihren relevanten Öffentlichkei-ten fast spiegelbildlich wirken und sich gegenseitig verstärken. Die Hasstiraden BinLadens und anderer lassen sich im Westen trefflich als Begründung für die Notwen-digkeit eines »Krieges gegen den Terrorismus« samt der Einschränkung liberalerFreiheitsrechte nutzen. Umgekehrt verstärkt genau diese Reaktion in vielen mehr-heitlich islamischen Gesellschaften das Gefühl, es handle sich wirklich um einen

8 Vgl. dazu den von mir und anderen entwickelten »domestic structure«-Ansatz zur Ana-lyse transnationaler Beziehungen; Risse-Kappen (1995).

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»Krieg der Zivilisationen« und es gehe gegen den Islam insgesamt und nicht gegenTerrornetzwerke mit islamistischer Ideologie. Warum gilt Bin Laden inzwischen alsHeld vieler islamischer Gesellschaften (vgl. die Daten in The Pew Global AttitudesProject 2003)? Am Ende wird Huntingtons (1996) »Krieg der Zivilisationen« nochzu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Schließlich könnten Theorien der IB einiges beitragen zur Debatte um amerikani-sche Macht und Unipolarität. Diese Diskussion – mit allen Implikationen, die sie fürdas transatlantische Verhältnis hat – bewegt sich auf beiden Seiten des Atlantiksteilweise auf einem Niveau populärwissenschaftlicher Argumentation, als hätten dieKollegen/-innen, die sich daran beteiligen, vergessen, was sie in den Siebziger- undAchtzigerjahren in der Auseinandersetzung mit einem neorealistisch verengtenMachtbegriff gelernt haben (zu den Problemen dieses Machtbegriffes vgl. Baldwin2002; Guzzini 1993). Wer das gegenwärtige internationale System für unipolar hältund eine teilweise unilateralistische Außenpolitik der Bush-Administration damiterklärt, muss eine Reihe gedanklicher Sprünge machen, die allesamt fragwürdigsind:

Erstens muss angenommen werden, dass Machtressourcen fungibel sind, dass alsodie unbestrittene US-amerikanische militärische Überlegenheit in andere Sachberei-che der internationalen Politik ausstrahlt (zum Gegenargument jetzt auch wiederNye 2002). Wer im Zeitalter der Globalisierung ökonomische Ressourcen für eineentscheidende Komponente der internationalen Machtverteilung hält, muss dagegendas internationale System entweder als multipolar oder als durch komplexe Interde-pendenz gekennzeichnet analysieren. Von der Verteilung ideeller Machtressourcenoder von »soft power« (Nye 1990) will ich an dieser Stelle gar nicht reden. Zweitensmüssten sich materielle Machtressourcen quasi automatisch und ohne Verluste inpolitischen Einfluss übersetzen lassen (zur Kritik dieses Ansatzes vgl. schon March1966). Wie schwierig es ist, materielle Ressourcen in politischen Einfluss umzuset-zen, das erleben die Vereinigten Staaten zur Zeit im Irak. Drittens müssten sich mit-hilfe der machtpolitischen Positionierung eines Staates im internationalen Systemmehr oder weniger klare Schlussfolgerungen für dessen Außenpolitik ergeben (zudiesen Schwierigkeiten einer neorealistischen Außenpolitikanalyse vgl. u. a. Bau-mann et al. 2001). Selbst wenn man die Welt für unipolar hält, ergeben sich aus die-ser Analyse noch keine Schlussfolgerungen für die US-amerikanische Außenpolitik.Ob die Supermacht in einem unipolaren Sinn unilateral vorgeht oder als »benignhegemon« mulilaterale Institutionen aufbaut, das ergibt sich nicht aus der Strukturdes internationalen Systems (vgl. dazu Ikenberry 2001).

Zur öffentlichen Diskussion um amerikanische Macht und europäische Ohn- oderGegenmacht könnte das Fach IB einige ideologiekritische Anmerkungen beitragen.Konstruktivisten könnten darüber hinaus den Diskurs über die US-amerikanischeAußenpolitik unter dem Gesichtspunkt analysieren, welche politischen Konsequen-zen die soziale Konstruktion des internationalen Systems als unipolar und der USAals einzig verbliebene Supermacht für das außenpolitische Verhalten von Staatenund ihre gesellschaftlichen Umfelder hat.

Thomas Risse: Der 9.11. und der 11.9.

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Diese und andere Beispiele dokumentieren, dass das Fach Internationale Bezie-hungen einiges zur Diskussion um den 11.9.2001 und seine weltpolitischen Folgenbeizutragen hat. Bisher hat sich dieser Beitrag im Wesentlichen auf die politikorien-tierte Diskussion um transnationalen Terrorismus, US-amerikanische Außenpolitikund europäische Antworten konzentriert. Dagegen ist selbstverständlich nichts ein-zuwenden, wenn sich Forscher/-innen der Internationalen Beziehungen praktisch-politisch einmischen. Es wäre aber mittel- und langfristig fatal, wenn wir darüberunsere Aufgabe vernachlässigten, theoriegeleitete empirische Grundlagenforschungzum 11.9. und seinen Folgen zu betreiben.

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Harald Müller

Think Big!Der 11. September und seine Konsequenzen für die Internationalen Beziehungen

1. Diagnose: Zeitenwende? 1

1.1. Die Eule der Minerva

»Wasserscheide« oder »Geschichtsbruch« sind wirkungsmächtige Metaphern. Mitihnen soll politische Wirklichkeit neu konstruiert werden. Sie eröffnen zuvor ver-schlossene Handlungsspielräume, weil es einleuchtet, dass völlig veränderteUmstände nach revolutionären Antworten verlangen. So hat die »Wasserscheide«von 1989/1991, die Umwälzung eines weltpolitischen Zustands, die Forderung nachneuen Politikformen (»Neue Weltordnung«, »Friedensdividende«, »präventiveKonfliktlösung«, »nukleare Abrüstung«) ermutigt. Konnte der Fall der Mauer alsAufforderung für eine friedensorientierte Praxis gedeutet werden, so öffnete der Fallder zwei Türme 2001 ein anderes Gelegenheitsfenster: für den Beginn eines kontur-und grenzenlosen »Krieges gegen den Terror«, in dessen Rahmen sich strategischeEntwürfe umsetzen ließen, die sich im rechten Spektrum des amerikanischen sicher-heitspolitischen Establishments mehr als ein Jahrzehnt entwickelt haben (Homolar-Riechmann 2003).

Von diesem strategischen Verwertungszusammenhang politischer Metaphoriklässt sich vor allem deshalb nicht absehen, weil sich derartige Ereignisse verlässlichnicht einstufen lassen, solange man als Beobachter zeitlich zu dicht am Geschehenist. Dass das Frohlocken nach dem 9. November 1989 über einen grundstürzendenWandel sich bewahrheitete, war gutes Glück. Was, wenn die sowjetische Führungder Eingliederung des vereinten Deutschlands in die NATO nicht zugestimmt hätte?Und wenn der Moskauer Putsch im Sommer 1991 Erfolg gezeitigt hätte, wäre dasheutige Urteil über die Zeitenwende bescheidener ausgefallen. Hegels kluge Mah-nung betreffs der »Eule der Minerva« ist gerade von den Zeitgenossen laufenderGeschichte zu beherzigen. Die versuchsweise Antwort auf die Eingangsfrage stehtunter diesem Caveat und fällt entsprechend vorsichtig aus. Ein Wandel hat stattge-funden, aber er erfasst nicht das gesamte weltpolitische Geschehen. Der Satz»Nichts wird mehr so sein wie zuvor« ist purer Unsinn. Es kommt aus der Perspek-tive einer wissenschaftlichen Disziplin vielmehr darauf an, Kontinuität und Wandeldifferenziert zu benennen.

1 Für anregende Kommentare möchte ich mich bei den Teilnehmern des Symposiums aufder Konferenz der DVPW in Mainz, September 2003, bei Nicole Deitelhoff sowie beizwei anonymen GutachterInnen bedanken.

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124

1.2. Elemente der Kontinuität

Der Blick auf die Makrodaten internationalen Geschehens offenbart eine MengeKontinuität. Was die Machtressourcen angeht, bleibt das Gefälle zwischen demWesten und dem Rest der Welt erhalten, ja, es steigt noch. Unangefochten stehendie USA an der Spitze. Ihr Verteidigungshaushalt nähert sich 50% der Weltmilitär-ausgaben, und ihr Bruttosozialprodukt ist mit ungefähr einem Viertel des Welt-BSPdas mit Abstand größte irgendeines Nationalstaats. In anderen Indikatoren – Handel,Technologieentwicklung, Bildungs- und Forschungsausgaben usw. – liegen dieUSA stets in der Spitzengruppe.

Die Problemlagen in der Welt sind gleichfalls stabil geblieben. Die großen Kon-flikte schwelen weiter: im Nahen Osten, in Südasien, auf der koreanischen Halb-insel, im Zentrum Afrikas. Armut, Umweltzerstörung, Seuchengefahr, Migrationgehen nach dem 11.9.2001 weiter, wenn man auch aus Sicherheitsgründen mehroder weniger unbeholfen versucht, der ungehemmten Globalisierung bestimmteKontrollen beizugeben, etwa bezüglich der Terror-Finanzierung, der Einreise oderbei der Einfuhr von Containern. Dies sind jedoch marginale Feinkorrekturen an denansonsten ungehemmt wirkenden Kräften der longue durée.

Sind die Probleme weitgehend dieselben, so sind die Lösungen weiterhin unzurei-chend. Die Welt ist für ihre Aufgaben mit Instrumenten der Governance unterver-sorgt. Weder die Nationalstaaten noch die wirtschaftlichen Unternehmen erbringendie Steuerungs- und Verteilungsleistungen, die notwendig werden, um die funktio-nalen Erfordernisse einer zusammenwachsenden Welt von sechs Milliarden Men-schen zu erfüllen. Schon gar nicht vermag die neoliberale Ideologie die Nachfragenach moralischen Ressourcen zu befriedigen; die Parole »Geiz ist geil« eignet sichnicht als Motto für eine Welt, in der der Ressourcentransfer ein Teil von Problemlö-sungen bleiben wird. Infolgedessen wandern Minderheiten, oft übrigens gerade jün-gere Mitglieder der gebildeten Klassen, in Fundamentalismen ab. Auch in dieserPerspektive muss der 11. September betrachtet werden.

Es gibt also eine Menge Kontinuität; gleichwohl wäre es naiv, so zu tun, als habesich nichts verändert. Wichtig ist nur die Feststellung, dass die Veränderungen nichtin den materiellen, sondern in den ideationalen Strukturen der internationalen Bezie-hungen vorliegen, in Bewusstseinslagen, kollektiven Wahrnehmungen und dendazugehörigen öffentlichen Diskursen.

1.3. Momente des Wandels

Nirgendwo ist diese ideationale Änderung so deutlich wie in den Vereinigten Staa-ten. Und damit ist sie angesichts der überragenden Stellung dieses Landes auchwichtig. Aber auch hier wäre es bei Weitem zu undifferenziert zu behaupten, der 11.September habe die amerikanische Weltsicht verändert. Es hat einen deutlichen,abrupten Wandel des Gefühls der Verwundbarkeit im amerikanischen Volk gege-ben; damit einher ging das dringende Bedürfnis nach Erklärungen und sichtbaren,wirksamen Handlungen, um derartige Bedrohungen in Zukunft abzuwenden; kurz:ein plötzlicher, rapider Anstieg des Verlangens nach politischer Führung. Diese

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Nachfrage schuf ein Gelegenheitsfenster für die nationalistisch-machtpolitischenund neokonservativen Elemente innerhalb der die Regierung tragenden Koalition,ihre seit langem entwickelte Strategie militärisch abgestützter, neoimperialer Macht-projektion und Verteidigung durchzusetzen. Auch der Präsident ließ sich davonüberzeugen, dass es nunmehr dazu keine Alternative gebe. Mit Verschwörungstheo-rien hat das gar nichts zu tun: Richard Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitzoder Richard Perle haben nie verheimlicht, was die USA ihrer Meinung nach tunmüssten, um ihre eigenen Interessen und eine gedeihliche Weltordnung zugleichdurchzusetzen. Zu den Kontinuitäten ihres sicherheitspolitischen Programms zähltdie Raketenabwehr und die profunde Abneigung, völkerrechtliche Bindungen einzu-gehen, die die amerikanische Handlungsfreiheit beschränken könnten. Dazu zähltauch die Aversion gegen die Vereinten Nationen. Zu den Neuerungen gehören dieFokussierung auf »Schurkenstaaten« und ihren angeblichen Konnex zum Terroris-mus sowie die Entschlossenheit zu präventivem militärischem Handeln.

Durchsetzungsfähig war diese Position in ihrer Gesamtheit vor dem 11. Septem-ber nicht, während einzelne Elemente, namentlich die Raketenabwehr, ihren Platzim Regierungsprogramm fanden. Der Gedanke militärischer Prävention ist inDemokratien kaum zustimmungsfähig (Schweller 1992). Dies änderte sich mit derDurchsetzung des Kriegsdiskurses in den USA. Anders als in Europa traf das Dis-kursangebot des Präsidenten, die neue Lage als »Kriegszustand« zu definieren, inden Medien und in der Öffentlichkeit kaum auf Widerstand. Mit diesem Perspekti-venwechsel wurde das neokonservative Strategietableau konsensfähig; wenn mansich in einem permanenten, globalen Kriegszustand befindet, verlieren einzelne prä-ventive Militäraktionen den Charakter des Friedensbruchs, sie sind vielmehr zuOperationen auf einzelnen Kriegsschauplätzen herabgestuft, die im Ermessen desOberkommandierenden liegen. Die Exekutive kommt in den Genuss nahezu unbe-grenzter Loyalität, da sich das Volk im Krieg um seine Führung schart und ihr völ-lige Unterstützung zukommen lässt. Innere und äußere Handlungsschrankenentfallen: Der Kriegsdiskurs bedeutet ein umfassendes »Empowerment« für dieOrgane und die Führung der Exekutive (Mueller 1985).

Als Konsequenz des 11. September scheint daher eine bizarre Konstellation amweltpolitischen Horizont auf: die Konfrontation zweier Parteien, die nicht einfachim klassischen Sinne revisionistisch sind, d. h. versuchen, ihren Status in der gege-benen Ordnung unter kräftigem Einsatz der Ellenbogen zu verbessern; sie sind viel-mehr revolutionär. Es geht ihnen darum, die Ordnung selbst aus den Angeln zuheben: Die Neokonservativen wollen den Status Quo, ein Zwischenstadium zwi-schen westfälischer Staatenwelt und internationaler, transnationaler und supranatio-naler Global Governance in eine imperiale Hierarchie umwandeln, die auf globalerEbene dem aufgeklärten Absolutismus nachmodelliert erscheint; die Al Kaidamöchte eine nach Prinzipien des »Kampfes der Kulturen« zweigeteilte Welt, in derdie Grenze zwischen dem Einheitsstaat der islamischen Umma und dem Rest ver-läuft.

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2. Konsequenzen für die Theorie: Die Anerkennung von Komplexität

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Theorie internationaler Beziehungen?Die Folgen sollten weniger in der Zerknirschung über die Unzulänglichkeit oder inder simplen Umsteuerung unserer Analyseinstrumente liegen. Es wäre zu kurzgegriffen, nun den Terrorismus zum zentralen Forschungsgegenstand zu erheben. Esist auch nicht deutlich, ob die politikwissenschaftliche Netzwerkanalyse wesentlichmehr zu Tage fördern könnte als die Studien eines Gunaratna (2002) oder Arquilla(Arquilla/Ronfeldt 1998), oder ob die konstruktivistische Analyse fundamentalisti-scher Weltsicht tiefere Einsichten erbringen würde als die Fundamentalismus-Serieder American Academy of Sciences (Marty/Appleby 1992-1995) oder die verglei-chende Terrorismus-Studie von Mark Juergensmeyer (2000). Ich möchte dahergerne noch etwas weiter ausholen als Thomas Risse (2004) in diesem Heft. Die The-orie internationaler Beziehungen muss sich darauf rückbesinnen, dass sie es miteinem Gegenstand äußerster Komplexität zu tun hat, welche die Theorie zwar nichtspiegeln kann und soll, der sie aber jedenfalls gerecht werden muss.

2.1. Dialektisch denken

Das Denken in dialektischen Prozessen muss wieder gelernt werden. Antinomien,Paradoxien und Widersprüche kennzeichnen das politische Geschehen weitaus mehrals lineare Kausalität im Newtonschen Sinne, und viele Lippenbekenntnisse zukomplexeren Kausalitätsmodellen lösen sich in unserer Wissenschaft schnell wiederin unterkomplexe Wenn-dann-Eindeutigkeiten auf. Eine positive Ausnahme hat sichin der Globalisierungsdebatte herauskristallisiert, die gewissermaßen als Denkmo-dell genutzt werden kann. Hier ist erkannt worden, dass Globalisierung kein einsin-niger Prozess ist, sondern sich in gegenläufigen Prozessen von Integration undFragmentierung niederschlägt (Zürn 1998: Kap. IX). Beide Prozesstypen sindunvermeidliche Folgen der Bildung immer längerer Handlungsketten, beide sindpolitikmächtig und produzieren in ihrer Verknüpfung neue, weltpolitisch bedeut-same Akteure. Gerade der transnationale Terrorismus fundamentalistischer Prägungist ein Paradebeispiel. Möglich wäre er nicht ohne die Entwicklung von multikultu-rellen, multiethnischen Gesellschaften, ohne weltweite Migration und Kommunika-tion und ohne globale Finanzströme; er ist daher zunächst ein Phänomen globalerIntegration. Zugleich repräsentiert er die schärfste Form kommunalistischer Frag-mentierung und feindseliger, gewaltsamer Ausgrenzung gegen das Fremde. Er istsomit das Ergebnis nicht linearer, sondern kontradiktorischer Entwicklung.

Auf dieselbe Weise sollten auch andere wichtige Phänomene angegangen werden:(1) So wird neuerdings viel zu einseitig eine Evolution der organisierten Gewalt wegvom Staatsmonopol und hin zur Privatisierung diagnostiziert (Kaldor 2000; Münk-ler 2002; Eppler 2002). Private Gewalt ist fraglos relevant und untersuchenswert.Aber zu verdrängen, dass die Organe des Staatsmonopols – wo es funktioniert –natürlich durch diese Entwicklung zu Gegenreaktionen veranlasst werden, ist einsträflicher Denkfehler. Als Zwilling der »Privatisierung« sehen wir, wenn wir genauhinschauen, den mächtigen Versuch, das Gewaltmonopol zu stärken und anderswo

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neu zu errichten, sehen wir den durchaus erfolgreichen Versuch, private Gewaltak-teure zu domestizieren und in den Dienst des Staates zu nehmen. Die Einschränkungvon liberalen und Habeas-Corpus-Rechten durch den »wehrhaften Staat« ist daswahrscheinlich wirkungsmächtigere Gegenstück zur Entfesselung des Privaten ausden Fängen des staatlichen Gewaltmonopols.

(2) Dialektische Analyse ist auch ein gesundes Korrektiv für einen robusten Opti-mismus über die unwiderstehliche Entwicklung demokratischer Sicherheitsgemein-schaften (Adler/Barnett 1998), in denen sich ein später Typus von Aufklä-rungsprogressismus manifestiert, welcher sich nach der »Dialektik der Aufklärung«und Zygmunt Baumans (1992) Analyse der dunklen Seite des Zivilisationsprozesseseigentlich nie ohne seinen skeptischen Zwillingsbruder zeigen sollte. Denn dieDemokratie bringt neben dem Friedenswillen, der Achtung vor dem Leben und denRechten anderer eben auch die Verachtung der Diktatur und den Willen zur notfallsgewaltsamen Befreiung der dort geknechteten Artgenossen hervor. Der monadischedemokratische Frieden des kontinentaleuropäischen Pazifismus und der liberaleBefreiungskrieg der amerikanischen Neokonservativen sind zwei Seiten einerMedaille, zwei gleich legitime Erben liberaler Politikphilosophie. Miteinander kon-frontiert, wie während des Irak-Krieges, bringen sie die wechselseitige Entfremdunghervor, das völlige Unverständnis, wie der so nahe Partner so unendlich weit ent-fernte Deutungen und Strategien entwickeln kann. Dessen liberale Identität gerät inZweifel; diese Zweifel nagen am Fundament der demokratischen Sicherheitsge-meinschaft. Sie beruht auf der wechselseitigen Zuschreibung der gleichen Identität.Wenn Kernwerte nicht länger geteilt zu werden scheinen, zerfällt ihre Grundlage.Und schließlich ist kein normativer Konflikt so zersetzend – und auch so gewalthal-tig – wie das Schisma innerhalb derselben Weltanschauung (Müller 2004).

(3) Zum dialektischen Denken gehört schließlich – in praxeologischer Perspektive– das Ausloten kontraintuitiver Handlungsfolgen und sich selbst erfüllender Prophe-zeiungen. Nirgends wird dies gegenwärtig deutlicher als in den Wirrungen der iraki-schen Nachkriegszeit. Als Teil des globalen Anti-Terror-Krieges wurde derWaffengang geführt. Nach seinem Ende wurde der Irak erst zum Schauplatz desTerrors gegen die Besatzungsmächte und gegen die hilflose irakische Zivilbevölke-rung. Insofern ist die Frage nicht einfach, wie von Charles Kupchan (2004) in die-sem Heft notiert, was der Terror den Großmächten tut, sondern auch, was dieGroßmächte für den Terror vollbringen. Auch hier muss die Wechselwirkung, nichteinfach nur eine Wirkungsrichtung, ins Visier genommen werden.

2.2. Lange Handlungsketten und das Schrumpfen der Zeit

Internationale Beziehungen hängen an langen Handlungsketten, die Norbert Elias(1978/1979) als das für den Zivilisierungsprozess kennzeichnende Merkmal sozialerBeziehungen identifiziert hat; im Zeichen der Globalisierung ist diese Diagnose nurzu unterstreichen. Freilich wissen wir – Zygmunt Bauman (1992) ist ein weiteresMal zu erwähnen – dass der von Elias betonten ordnungsstiftenden Wirkung dieserVerschränkung von Handlung ein gleich wirksames Zerstörungspotenzial gegenü-bersteht. Nicht umsonst hat die Chaostheorie eine solche Handlungskette, die vom

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Flügelschlag eines chinesischen Schmetterlings bis zu einem Gewitter über NewYork reicht, zu ihrer populärsten Illustration erhoben.

Was unsere Zeit insbesondere von der gerade kurz vergangenen unterscheidet, inder Elias (1978/1979) gedacht und geschrieben hat, ist die unglaubliche Verdich-tung der Zeit, in der die Handlungsketten vom Ausgangspunkt bis zur Wirkung lau-fen, ein Aspekt, auf den James Der Derian (2004) in diesem Heft immer wiederverweist. Die interkontinentale Übertragung physischer Gewalt durch ballistischeRaketen innerhalb von zwanzig Minuten oder von symbolischer Gewalt durch elek-tronische Wellen innerhalb weniger Sekunden ändert das Verhältnis von Politik zurZeit; die Kombination beider – die Auslösung physischer Gewalt durch elektroni-sche Einwirkung im Modell des »Cyberwars« – wird diesen Effekt noch verstärken(Minkwitz 2003).

Denn Elias’ Handlungsketten waren Stifter von Ordnung nicht nur dadurch, dasssie die Belange von Menschen miteinander verknüpften. Sie trennten auch denUrheber einer Wirkung von den dadurch in Mitleidenschaft gezogenen Akteurendurch Raum und Zeit. Verursachung wurde so unüberschaubar, die Zuschreibungvon »Schuld« unmöglich. Die Anonymisierung von Verursachung hatte insoferneine konfliktdämpfende Funktion, als die aus erlittenem Schaden wachsende Feind-schaft gegen den schuldigen Verursacher aus dem Alltagsleben verschwand. DerZeitraffer der Globalisierungsära und die Bebilderung allen Geschehens in Echtzeitmacht solche Zuschreibungen über große Entfernungen wieder möglich, drängt sieförmlich auf. Feindbildunternehmern tun sich hier ganz neue Möglichkeiten auf,selbst wenn der Verursacher am Beginn der Handlungskette im chaostheoretischenSinn den Schaden nicht intentional angestrebt hat: Zeit und Raum verlieren ihresozial heilende Wirkung, während das Risiko kontraintuitiver Handlungsfolgen dra-matisch wächst.

2.3. Ein mehrdimensionaler Machtbegriff

Die letzten Monate sollten uns endgültig vorsichtig gemacht haben gegenüber einemeindimensionalen Machtbegriff (Baldwin 2002). Messen wir Macht lediglich amRessourcenbesitz des Akteurs, so ergibt sich zwangsläufig, dass Amerikas Gestal-tungswille unwiderstehlich sein muss; eben das ist die Illusion des Neokonservatis-mus. Es mag möglich sein, einen Gegner gleichen Zuschnitts – die Regierung einesNationalstaats – gegen seinen Willen mit physischer Gewalt zur Erfüllung der Präfe-renzen des Mächtigeren zu zwingen. Da jedoch das Ziel der Machtausübung nicht inihr selbst, sondern in einem damit angestrebten Zweck zu liegen pflegt, ist damiteben noch nichts gewonnen. Erzwingungsmacht und Gestaltungsmacht sind nichtein und dasselbe.

Technologie und Vernetzung fördern die Relativierung von Macht-Asymmetriendurch die Aufwertung von Chaosmacht. Die schwächere Seite hat mannigfaltigeMöglichkeiten, der stärkeren zu schaden. Sie hat keine Chance, den eigenen Willenstrategisch durchzusetzen. Aber sie kann den Stärkeren daran hindern, die von ihmangestrebten Ergebnisse zu erreichen, oder sie kann diese Ergebnisse so teuermachen, dass die Präferenzen am Ausgangspunkt anders gelegen hätten, hätte der

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Akteur das Ende gekannt. Um diese Paradoxie zu verstehen, ist eine Rückbesinnungauf den Machtbegriff Hanna Arendts (1970) von Nutzen. Arendt verstand Macht –im Unterschied zu Gewalt – als die Fähigkeit, viele Menschen um und für ein Pro-jekt zu mobilisieren, viele Willen auf ein Ziel auszurichten. Weil Handlungskettenlang und komplex und die Chancen des asymmetrischen Machtausgleichs vielfältigsind, werden erwünschte Ergebnisse nur erzielt, wenn der Wille vieler Akteure dafürmobilisiert werden kann. Es genügte nicht, Saddam Hussein zu besiegen, um denNahen Osten oder auch nur das »sunnitische Dreieck« im Herzen des Irak nachWashingtons Wünschen neu zu gestalten.

Blickt man aus dieser Perspektive auf die weltpolitische Konfliktkonstellationzweier unkonventioneller und revolutionärer Akteure, so lässt sich prognostizieren,dass ihrer beider Blütenträume wohl kaum reifen werden; der amerikanisch-neokon-servative nicht, weil zwischen Macht als Ressourcenkontrolle oder Erzwingungs-macht und Macht als Gestaltungsmacht (Macht über outcomes) eine Lücke klafft,die selbst von den USA nicht zu schließen ist; die Al Kaida nicht, weil die Kluft zwi-schen Zielen und Ressourcen zu groß ist und auch die Mobilisierungsmacht über dieMassen der Moslems um Größenordnungen zu gering bleibt, um die Ressourcena-symmetrie zu kompensieren. Aber Schaden anrichten können beide in ihrer Kon-frontation natürlich schon. Für diese Zeit wäre der weltpolitisch dominierendeKonflikt dann nicht durch die Machtverteilung zwischen Staaten und ihren Koalitio-nen bestimmt, auch nicht durch internationale Institutionen, wie die dominierendenParadigmen der Internationalen Beziehungen unterstellen. Vielmehr verliefe dieHauptkonfliktlinie zwischen einer sehr spezifischen innenpolitischen Koalition inden USA, die keineswegs den Mainstream der amerikanischen öffentlichen Mei-nung zu auswärtigen Fragen repräsentiert, und einem religiös-politisch motivierten,transnationalen Akteur, der Al Kaida.

2.4. Theoretische Grenzgänge

Erkennen wir die nicht-hintergehbare Komplexität unseres Untersuchungsgegen-stands an, dann ist disziplinäre Demut die unvermeidliche Folge. Was für die Theo-riebildung dann zum vorrangigen Imperativ wird, sind »Grenzgänge«, wie GuntherHellmann treffend formuliert hat (Hellmann/Müller 2002): das Zusammenziehenvon Perspektiven aus unterschiedlichen Disziplinen. Internationale Beziehungen,Transnationalismus, Politische Ökonomie, Anthropologie, Ethnologie usw. müssenzusammen gedacht werden, um vielfältige Phänomene unseres Faches verstehen zukönnen. Damit soll nicht gesagt sein, dass die einzelne Disziplin nichts Nützlichesbeitragen könne, ganz im Gegenteil. Aber der Nutzen, den sie stiften kann, kommteben erst zur Wirkung, wenn sie mit den Leistungen anderer Wissenschaftsgebietezusammen gedacht wird. Andernfalls bleibt nur die bornierte Einseitigkeit unddamit eher ein Verlust als eine Zunahme von Erkenntnisgewinn.

Die besten Arbeiten über Kriegsökonomien illustrieren diesen Sachverhalt (Junget al. 2003). Kein Zugang ist zu diesem Phänomen möglich, ohne den Blick auf dieGlobalisierung in ihren kommunikativen und ökonomischen Aspekten. Die politi-sche Ökonomie des betroffenen Landes oder der Region muss verstanden werden,

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gleichfalls das mikroökonomische Anreiz-Umfeld des individuellen Gewaltakteurs.Die Rentenökonomie mit ihren wirtschaftlichen wie politischen und sozialen Folgenmuss in den Blick genommen werden, ebenso die Blockadewirkung auf die demo-kratische Entwicklung, woraus sich wiederum Folgen für die Rechtsunsicherheitund die psychologischen, wirtschaftlichen und sicherheitsbedingten Anreize zurgewaltmäßigen Selbsthilfe ergeben. Ethnische und religiöse kulturalistische Identi-tätskonstruktionen gilt es darüber hinaus zu analysieren, um die entstandenen Front-linien zu verstehen. Mit dem Repertoire einer Einzelwissenschaft ist diesergordische Knoten nicht zu lösen.

2.5. Ethik internationaler Politik

Zu den besonders dringlichen Grenzgängen zählt die Reintegration der Ethik in dieInternationale Politik. Es wird nicht mehr und nicht weniger gebraucht als eineMoraltheorie internationaler Beziehungen. Die anti-westlichen Positionen in derislamischen Welt oder auch nur der gegenwärtige Anti-Amerikanismus im Irak lei-ten sich weniger aus Nutzenkalkulationen oder aus Momenten des »Kulturkrieges«ab, sondern vielmehr aus der Wahrnehmung von Verachtung, fehlendem Mitgefühl,Heuchelei und doppelten Standards seitens der Siegermächte. Mit Realpolitik oderNeoliberalismus, den Allzweckwerkzeugen aus dem hegemonialen Instrumenten-koffer, lassen sich diese Ressentiments nicht aus der Welt schaffen. Selbst wohlge-meintes und erfolgreiches funktionales »Institutionen-Bauen« hilft letztlich nichtweiter, weil es im Kern um Fragen von Gerechtigkeit geht. Ohne die normativeRekonstruktion eines Gerechtigkeitsbegriffs, der so kulturneutral oder -übergreifendist, dass er zumindest von einer relevanten Zahl von Menschen über Kulturgrenzenhinweg akzeptiert werden kann, lassen sich die zwischen »nördlichen« und »süd-lichen« Akteuren schwelenden, hochgradig gewalthaltigen Konflikte nicht erfolg-reich bearbeiten.

Begründbar ist eine solche Ethik nur durch den interkulturellen Dialog, dessen sub-stanzielle Voraussetzungen offen bleiben, mit Ausnahme der Präsuppositionen derDialogführung selbst, wozu zwingend die Anerkennung der »Anderen« zählt. Es gehtalso nicht darum, andere Parteien von der Wertigkeit des eigenen Universalismus zuüberzeugen, sondern unter der Voraussetzung der eigenen passiven Überzeugungsfä-higkeit die Chancen von Einverständnis auszuloten. Die Schwierigkeiten, angesichtsder Werte-Fragmentierung in der Welt einen solchen Dialog zu führen, sind nicht zuverkennen. Eine Alternative gibt es gleichwohl nicht.

Das gilt auch für das schon angesprochene, noch weit vor der Gewaltgrenze ange-siedelte transatlantische Schisma. Weder taktische Differenzen noch die herkömmli-che Machtkonkurrenz liegen ihm zu Grunde, sondern die ehrwürdige platonisch-aristotelische Frage nach der »guten Ordnung« und was sie unter heutigen weltpoli-tischen Umständen beinhalten mag. Natürlich hat es auch mit »Interessen« zu tun –aber es ist illusionär, Interessen von den dahinterstehenden Weltbildern und norma-tiven Konstruktionen abzulösen. Damit ergibt sich die zwingende Notwendigkeit,dass sich die Internationalen Beziehungen ethischen und moralischen Fragenzuwenden. Dabei handelt es sich nicht um unbesiedeltes Territorium. Im Gegenteil:

Harald Müller: Think Big!

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Die Moralphilosophie tummelt sich mit denkbar größter Lebhaftigkeit auf demFelde globaler Politik, und das ist gut so. Freilich überkommt die Spezialistin derInternationalen Beziehungen bei der Lektüre der Ausführungen über den »gerechtenKrieg« oder die »Weltdemokratie« oft ein erhebliches Unbehagen. Zwar sind dieentsprechenden Ausführungen oft von brillanter Intelligenz und natürlich von einerphilosophischen Durchdringung der Materie, die uns nicht möglich ist. Dafür man-gelt es jedoch überwiegend der erforderlichen Kenntnisse des Gegenstands,einschließlich der brauchbarsten Deutungsschemata, was dem Ergebnis entschiede-nen Abbruch tut. Auch hier ist der »Grenzgang« ein Desiderat, das Zusammenden-ken von IB und Moralphilosophie (z. B. Mayer 1999).

2.6. Die Anerkennung von »Agency«

Die letzte Forderung, die aus der Reflexion über den 11. September erwächst, ist diestärkere Betonung der Bedeutung von Agency. All unsere Theorien enthalten einenunverkennbaren strukturalistischen Bias. Dies gilt, wenigstens in seiner angewand-ten Form, auch für den Konstruktivismus (Sending 2002). Er räumt zwar dort, wo erseine eigenen Grundlagen diskutiert, der Agency gleichberechtigten Rang mit derStruktur ein; sobald er beginnt, substanzielle Theorie internationaler Beziehungenzu entwickeln oder sich in die Niederungen empirischer Analyse zu stürzen, nimmter indes unversehens dieselbe strukturalistische Schlagseite an wie die von ihm kon-struierten Konkurrenten. Ich ziele dabei nicht darauf ab, Agency im Sinne desmethodologischen Individualismus zu privilegieren, sondern das gestörte Gleichge-wicht von Struktur und Akteur zu restaurieren.

Als erster Schritt ist die Differenzierung von Struktur selbst gefordert. Makro-strukturen wie »das internationale System«, »der Staat« usw. reichen zumeist nichthin, um Entscheidungshandeln hinreichend zu qualifizieren. Es ist nicht beliebig, obein Bush oder ein Gore regiert, wenn er mit einer Herausforderung wie dem 11. Sep-tember konfrontiert wird. Es macht einen Unterschied, ob Schlüsselpositionen in deramerikanischen Regierung mit Repräsentanten der republikanischen Mitte oder derrepublikanischen Rechten besetzt sind.

Agency ist aber auch darüber hinaus von zentraler Bedeutung, weil sich politischeEntscheidungen letztlich in Mikroprozessen von wenigen Individuen entwickeln.Diese sind natürlich in institutionelle und ideationale Strukturen eingebunden; den-noch behält ihr Handeln Freiheitsgrade, die es einem strukturalistischen Determinis-mus entziehen. Damit wird bereits deutlich, dass Agency auch Kontingenz bedingt:Vom individuellen Entscheidungsknoten können Stränge in verschiedene Richtungführen. Strukturalistische Denkschemata neigen zur Konstruktion von Notwendig-keiten ex post. Dieses Vorurteil zugunsten einer Berücksichtigung von Kontingenzzu durchbrechen ist für die Internationalen Beziehungen von größter Notwendigkeit.Ein Gorbatschow kümmerte sich wenig um die ewigen »covering laws«, die dieRealisten von Morgenthau bis Mearsheimer »aufgedeckt« hatten. Er tat einfachetwas anderes, als er hätte tun »sollen« und änderte damit die Welt.

Kontingenz wiederum schafft die Möglichkeit für Singularitäten: unvorhergese-hene, präzedenzlose, unerklärte Ereignisse wie der 11. September, der in seiner spe-

Forum

132

zifischen, symbolisch unglaublich wirksamen Erscheinungsform aus dem Rahmender Prognosen fiel (nicht das terroristische Großereignis selbst war unerwartet, son-dern eben dieses besondere). Diese single data points sagen wir durch die Entziffe-rung von Regelmäßigkeiten, der vornehmen Aufgabe aller klassischen Theoriebil-dung, nicht voraus, noch können wir sie so ex post erklären. Hier hilft nur diePfadanalyse des einmaligen Falls; unser durchaus berechtigter theoretischer Ehrgeizdarf uns die Chance, auch diesen Weg wissenschaftlicher Analyse offen zu halten,nicht verstellen.

Denn die Reichweite und die Wirkung von Agency ist durch die technische Ent-wicklung eher stärker geworden. Moderne Technik macht das Handeln einzelnerMenschen und kleiner Gruppen potenziell viel wirksamer als zu den Zeiten, indenen die Reichweite einer Waffe auf die Schnellkraft der Bogensehne beschränktwar. Die räumlichen Beschränkungen der Handlungswirkungen der Akteure sindnicht aufgehoben, aber dramatisch reduziert. Die Wichtigkeit von Kontingenz undSingularitäten ist somit gesteigert. Diese Entwicklungen geben den Akteuren zwarkeine Macht über outcomes. Die Handlungsergebnisse entziehen sich gerade wegender genannten Entwicklung zunehmend der Kontrolle einzelner Handelnder. Aberdie negative Macht, Zerstörungskraft, »Chaosmacht« von Agency nimmt zu.

3. Schlussfolgerung

Der Imperativ für unsere Wissenschaft ist daher die Rückbesinnung auf »big thin-king«, das bewusste Wagnis einer Vogelschau aus großtheoretischer Perspektive. Esist wirklich nicht von entscheidender Bedeutung, ob Demokratien eher früh oderspät in einem Wahlzyklus statistisch ein wenig mehr oder weniger gewaltgeneigtsind. Die bemühte und relativ risikolose Krümelsuche mit dem neuesten statisti-schen Instrumentarium füllt zwar die Seiten begutachteter Zeitschriften, ist aber vongähnender Langeweile und ohne Relevanz für die großen Fragen, die unsere Wis-senschaft bewegen (sollten) und deren Beantwortung unsere Verantwortung gegen-über der (uns übrigens letztlich bezahlenden!) Öffentlichkeit ist.

Wenn wir uns um Theorie bemühen, kann also nicht das positivistische Ideal mitseinem biederen Hempel-Oppenheim-Schema gemeint sein. Wir müssen eher in dieRichtung von Idealtypenbildung, raum-zeitlich spezifizierter Teilgeneralisierungund Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1997) denken.

Gute Theorie, so sagen uns die Positivisten und so wiederholen es unsere Neorea-listen feierlich, zeichnet sich durch Sparsamkeit aus. Wir im Wissenschaftssektorarg Gebeutelten wissen ja nur zu gut, dass Sparsamkeit in Zeiten knapper Mittel einenotwendige Tugend ist. Für die Theoriebildung in einem extrem komplexen Gebietallerdings kann sie auch Fluch und Sünde sein.

Harald Müller: Think Big!

133ZIB 1/2004

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135Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 135-146

Stefano Guzzini

In den IB nichts Neues?Der 11. September und die Rollenverständnisse der Disziplin

In den letzten Jahren ist die Disziplin der Internationalen Beziehungen (IB) bei Selbst-analysen nicht sehr gut weggekommen. Doch bei der Betrachtung, was denn 9/11 fürdie Disziplin der IB bedeutet, fällt die Schelte etwas weniger harsch aus – und ichdenke, alles in allem nicht zu Unrecht. Um die drei zur Diskussion stehenden Beiträgebesser einzuordnen, möchte ich von den verschiedenen Rollen einer Wissenschaftsdis-ziplin wie der IB ausgehen. Denn unsere Disziplin besteht aus zumindest drei Gemein-schaften, die jeweils eine verschiedene Funktion in der Aufarbeitung von 9/11 spielen:die Studien- und Lehrgemeinschaft, die Forschungsgemeinschaft und die Expertenge-meinschaft mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in der politischen Debatte.

1. Die IB als Studien- und Lehrgemeinschaft (learning community)1

Keiner der Diskussionsbeiträge erwähnt den Universitätsbetrieb als Forum, in dem9/11 Bedeutung gefunden hat. Aber natürlich haben sich Seminare mit der Proble-matik befasst (zu welcher auch immer: amerikanische Außenpolitik, politischerIslam, die mögliche Teilung Europas), sind zusätzliche Diskussionstreffen, Work-shops usw. organisiert worden.2 Dies ist nach »außen« weniger sichtbar, gerade weilvieles spontan geschah und ein wenig selbstverständlich in den Universitätsalltaghineingehört. Doch obwohl hier weder große Politik noch bahnbrechende For-schung betrieben wurde und auch die Presse im Allgemeinen nicht dabei war, gehörtdies zu den wichtigsten Beiträgen, die die Disziplin zur Aufarbeitung der Ereignisseleisten kann.

Gerade für politisch Interessierte findet ein Großteil der Aufarbeitung politischerEreignisse nicht in den Medien, sondern in der direkten Umgebung statt. Tausendevon Studierenden (und damit ein Teil der zukünftigen Entscheidungselite) warenmobilisiert und diskussionshungrig. Die Universität ist eine der wenigen institutio-nalisierten Foren (auch im Romanisten-Café), in der solche Debatten zumindestimplizit den Anspruch erheben, über Stammtischniveau hinauszukommen. In denSeminaren kann man die dann schon erprobten Argumente noch einmal abklopfen,

1 Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag auf dem Kongress der Deutschen Vereinigungfür Politische Wissenschaft, DVPW, Mainz, 22.-25.9.2003. Für kritische Kommentaredanke ich den beiden Gutachterinnen und Gutachtern und vor allem Nicole Deitelhoffund Gunther Hellmann.

2 So organisierte z. B. die London School of Economics (LSE) spontan eine offene Diskus-sion, zu der tausend Besucher kamen, vgl. Chris Hill (2002). Die Beiträge des Roundta-ble sind in der Zeitschrift International Relations 16 (2002): 2 veröffentlicht.

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136

wobei hier Lehrende die Möglichkeit haben, das Interesse zu verbreitern und einwenig Distanz in die Diskussion zu bringen. Mit der Zunahme von Austauschstudie-renden und damit international gemischten Gruppen wird das Seminar häufig selbstzu einer Kleinform internationaler Beziehungen, in der die Studierenden, aber auchdie Lehrenden Erklärungsbedarf aufarbeiten können, was bei 9/11 gerade durch dasgegenseitige Unverständnis (und nicht nur durch Uneinigkeit) transatlantischer undinnereuropäischer Positionen wichtig war.3

Dabei beschränkt sich der Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden nichtauf die eigene Universität: Der private E-Mail-Verkehr mit ehemaligen und auchwildfremden Studierenden war schon erstaunlich. Einige der Internet-Diskussions-listen wurden geradezu von Beiträgen überschwemmt. Selbst die so genannte IR-theory list (siehe Tab. 1) wurde zum Forum einer Auseinandersetzung mit amerika-nischer Außenpolitik.

Tabelle 1: Anzahl monatlicher E-Mails auf der IR-Theory Diskussionsliste

(Quelle: http://groups.yahoo.com/group/irtheory/)

Dieser tagtägliche Aspekt unserer Disziplin, gleichzeitig lokal und auch global ver-netzt zu sein, ist weniger sichtbar als die Forschung oder die öffentliche Debatte,aber nicht weniger wichtig. Es ist sehr schwierig, abschließend zu sagen, ob die Dis-ziplin auf 9/11 in dieser Hinsicht gut genug reagiert hat, ob Studierende und Hoch-schullehrende genügend Initiative für eine offene, engagierte und gleichzeitigselbstkritische Debatte gezeigt haben. Wie James Der Derians (2004) Beitrag in die-sem Heft deutlich macht, war und ist dies wohl gerade in den USA besondersschwierig.

2. Die Disziplin als Forschungsgemeinschaft (academic community)

Am Ende des Kalten Krieges wurde der Disziplin vorgeworfen, sie wäre unvorbe-reitet gewesen (Gaddis 1992/1993).4 Paradigmatische Veränderungen solltenfolgen. Thomas Risse (2004, in diesem Heft) behandelt ausführlich die beiden Sei-ten dieses Themas. Zwar sieht er die Fachliteratur, die legitimerweise an den Veröf-

3 Man denke nur an einige anti-amerikanische Stereotypen und umgekehrt auch an die hit-zige Diskussion im Anschluss an Oriana Fallacis Antisemitismus-Vorwurf an dieeuropäische Linke im Corriere della Sera, der in Windeseile in viele Sprachen übersetztwurde. Vgl. zum Anti-Europanismus auch den ausgezeichneten Artikel von TimothyGarton Ash (2003).

Jan Feb Mar Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

2001 2 17 33 54 256 57 84

2002 28 101 35 134 51 150 189 194 141 65 161 156

2003 189 383 690 294 233 316 80 140 245 227 155 62

4 Einige würden das für die Friedensforschung allerdings bestreiten; vgl. Wiberg (1992).

Stefano Guzzini: In den IB nichts Neues?

137ZIB 1/2004

fentlichungen der maßgeblichen Fachzeitschriften festgemacht wird, dem ThemaTerrorismus hinterherhinken, aber einen Grund zu einem theoretischen Paradigmen-wechsel gibt es nicht. Dem würde ich nicht widersprechen, sondern nur ein paarÜberlegungen anfügen.

Kein Paradigmenwechsel notwendig

Der Hauptgrund ist relativ einfach: 9/11 kam für keine der größeren Denkschulenunerwartet, während viele Realisten doch Schwierigkeiten hatten, die Art der sowje-tischen Aufgabe des Ostblocks zu erklären (warum gab es kein sowjetisches Tienan-men?). Selbst wenn das Ausmaß der Selbstmordanschläge, die Orte und ihreLogistik, überraschend kamen, so ist das Phänomen selbst nicht neu: nach Spreng-stofflastern in US-Kasernen (z. B. im Libanon) nun voll getankte Flugzeuge in dieHäuser der Finanz- und Militärmacht. Und so ist es auch nur folgerichtig, wenn diedrei Diskussionsbeiträge in diesem Heft uns auffordern, schon bestehende For-schungslinien fortzuschreiben bzw. etwas neu zu fassen, sei es die ChronopolitikDer Derians (2004), die benign hegemony-These von Charles Kupchan (2004) oderdie Analyse transnationaler Akteure bei Risse (2004).

Doch ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Die Theoriedebatte in derDisziplin der IB ist durch das Umfeld beeinflusst, in dem sie vor allem stattfindet: inden USA. Wir sehen die Welt häufig durch die Brille der US-Debatten; bis vor kur-zem mussten wir fast automatisch durch die engen Schleusen nordamerikanischerGutachterverfahren, die zunehmend eher noch enger werden. Größere Forschungs-gelder waren bis vor nicht allzu langer Zeit auch meist an nordamerikanische Spon-soren/Stiftungen gekoppelt. Es gibt eine politisch-kulturelle und auch materielleAsymmetrie in der Disziplin. Daher ist es nicht ganz verwunderlich, wenn sichunsere US-Kollegen hauptsächlich mit den USA befassen und, so wie das Kupchan(2004) in seinem Beitrag in weiten Teilen eindrucksvoll vorexerziert, die zentralenFragen der Disziplin mit den Fragen der amerikanischen Außenpolitik zu verwech-seln scheinen (wir würden wohl das gleiche tun).

Der Einfluss des politischen Umfelds der USA auf die Theoriedebatte hat bisherzwei konzeptuelle Vermengungen zur Folge. Zum einen bekamen wir in den IBimmer die heilige Dreifaltigkeit der Paradigmen präsentiert, die mit den vorherr-schenden ideologischen Unterscheidungen in der US-Politik übereinstimmten. Rea-listen sind die Konservativen, Idealisten die Liberalen, und die Strukturalisten (oderwie auch immer diese diskursive Restkategorie genannt wurde) sind die radicals.Zudem ist die Debatte geprägt von der Zusammenlegung der Paradigmen einerseitsund außenpolitischer Strategie andererseits: Die Falken sind die Realisten, die Tau-ben sind Liberale (idealists, utopians, welches Schimpfwort einem auch immer ein-fällt), und der Rest sind radikale Revisionisten, weil sie den anderen Recht zu gebenscheinen und zur Lösung der Probleme vor allem vor der eigenen Tür kehren.5

5 Es ist interessant, dass der gleiche Trugschluss, die gleiche Vermengung von außenpoli-tischer Position und Theorieposition, in abgeänderter Form auch in der anderen (jetztehemaligen) Großmacht besteht; vgl. Sergounin (2000).

Forum

138

Neben einer Reihe konzeptueller Paradoxien führt diese Vermengung dreierhöchst unterschiedlicher Ebenen (Theorie/Paradigma, politische Ideologie, außen-politische Strategie) zu dem falschen Rückschluss, dass, wenn sich außenpolitischeAufgaben verändern, dies auch an paradigmatische Veränderungen gekoppelt seinmuss. Kupchans Analyse, dass ein Paradigmenwechsel angesagt ist, sollten Terro-risten Massenvernichtungswaffen in die Hand bekommen, ist dementsprechend fol-gerichtig – und gleichzeitig irreführend, wenn unter einem Paradigma einetheoretische Weltanschauung gemeint ist. Weder die Logik der Abschreckungstheo-rie an sich noch die zentralen Konzepte derselben ändern sich – nur ihre Anwen-dung.6 Wahrscheinlich erscheint die Theoriediskussion als unsinnig, wenn sie nichtweit reichenden strategischen Veränderungen einen neuen Unterbau liefert. DieSuche nach der Theorie, die auf die vermeintlich neue Situation passt, wird dann zurHauptaufgabe der Disziplin, und theoretisch wenig signifikante Konzepte werdenzum Mantra des vermeintlichen Strategie-Insiders (Stichwort: asymmetrische Kon-flikte). Deswegen ist es für die Theorieentwicklung so wichtig, wer den Ton in derUS-außenpolitischen Strategiedebatte angibt. Ob eine neue Theoriedebatte nuninhaltlich notwendig ist oder nicht, in irgendeiner Form wird sie uns schon aufge-drückt werden.

Das sieht man selbst an Thomas Risses (2004) Beitrag, der ja gerade dies vermei-den will. Er fordert eine theoriegeleitete Forschung ein, mit der Absicht, über dieGrundlagenforschung eine Distanz in die außenpolitische Diskussion einzubringen,in der die teilweise sehr emotionale und ideologische Ad-hoc-Debatte einen neutra-leren (und rationaleren) Bezug finden kann. Dabei vermengt Risse keineswegs diegenannten drei Ebenen. Doch trotz des Plädoyers für die theoriegeleitete empirischeDiskussion ist es letztendlich der Terrorismus, d. h. der Brennpunkt der Strategiedis-kussion, der einen Großteil seiner Überlegungen zum Perspektivenwechsel in derDisziplin ausmacht, und gerade nicht die Theoriediskussion zur Entstaatlichung undEntterritorialisierung der Gewalt, die er ursprünglich zusammen mit dem Terroris-mus anführt. Was passiert aber, wenn die Theoriediskussion zur Evolution des Phä-nomens Gewalt signifikantere Phänomene als die Struktur terroristischer Netzwerkeausfindig macht; was also, wenn die Theorie zwar die Erforschung der Empirie lei-tet, aber nicht oder nur sekundär zum Terrorismus führt? Theoriegeleitete empiri-sche Grundlagenforschung oder strategisch-empirisch geleitete theoretischeGrundlagenuntermauerung? Über Risses Text hinaus: Ist Theorieleitung dann sinn-los, wenn sie nicht zum schon vorgegebenen empirischen Phänomen führt, wie diesdie nordamerikanische Debatte oder allgemein eine Policy-Orientierung häufigunterstellt? Problem-oriented ist nicht notwendigerweise policy-oriented.

6 Wobei die von Kupchan genannten und von Risse zu Recht zerpflückten power asymme-tries am besten ganz – und ganz unabhängig von 9/11 – aus dem Katalog der Grundkon-zepte verschwinden sollten (Guzzini 1993, 2000b).

Stefano Guzzini: In den IB nichts Neues?

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Vom Terrorismus überrascht?

Risse (2004) führt das relative Schweigen zum Forschungsgegenstand Terrorismus7

darauf zurück, dass der Mainstream liberal-institutionalistisch ist, welcher sich wie-derum weniger mit den Schattenseiten des Transnationalismus beschäftige. Ichdenke, das Problem ist etwas weiter zu fassen.

Zum einen ist der Terrorismus außerhalb des Mainstreams auch wissenschaftlichetwas mehr aufgearbeitet worden, allerdings in den Ländern, die dem Terrorismusmehr ausgesetzt waren. In Verbindung mit Waffenhandel/-proliferation hat sichbereits eine der ersten Ausgaben von Cultures & Conflits damit beschäftigt. Das istnach der Serie der Attentate islamischer Fundamentalisten im Frankreich von 1986und allgemein der »Nähe« zum Maghreb vielleicht auch nicht verwunderlich.8 Auchin Italien haben Studien zur transnationalen Gewalt eigentlich nie gefehlt, so auchzum Terrorismus, was ja eines der Hauptthemen des dortigen Doyens der Theorieninternationaler Beziehungen ist (Bonanate 1994). Schließlich, was den militantenpolitischen Islam angeht, wird man von Veröffentlichungen, vor allem in Frank-reich, seit 20 Jahren geradezu überschüttet (so z. B. Kepel 1984, 1991, 2000; Roy1985, 2002).

Diese Forschungen werden in der Disziplin der IB aber nicht immer wahrgenom-men. Mit der zunehmenden Institutionalisierung der Disziplin ist auch ihre Abgren-zung weit fortgeschritten. Die Forschungsbereiche, die Kupchan wieder einbeziehenwill, sind in einigen Ländern nie so richtig draußen gewesen. Wir scheinen immernoch an den Spätfolgen der disziplinären Engführung des Neorealismus zu kranken.Das Problem unseres Fachs war vielleicht nicht, dass es sich nur noch als internatio-nal politics anstelle der weiteren international relations definierte, sondern dass esden engen staatszentrierten Politikbegriff bei Waltz akzeptierte (übrigens dann auchein Problem bei Wendt). Deswegen nützt auch der Aufruf zur Verbindung vonAußen- und Innenpolitik wenig, wenn auch hier die Definition der Politik eng amRegierungsprozess gehalten wird (vgl. Milner 1998) und sich meistens auf diesicherlich wichtigen Phasen des Entscheidungsprozesses (von agenda-setting bisImplementierung) beschränkt. Politik ist jedoch mehr als »policy« in der Policy-Analyse.

Wenn man dagegen die Definitionen der Politik in der Internationalen PolitischenÖkonomie (IPÖ) und der jetzt so langsam entstehenden Internationalen PolitischenSoziologie annimmt (eine neue Sektion der International Studies Association, ISA),dann fallen auf einmal wesentlich mehr Forschungsbeiträge in die IB. Diese meistmakropolitischen Ansätze schauen dann auf das Zusammenwirken von verschiede-nen Herrschaftsbereichen vor dem Hintergrund transnationaler Marktprozesse und

7 In meinen Ausgrabungen stieß ich auf wenig mehr. Enders/Sandler (1999, 2002) ver-suchten, dem Phänomen quantitativ näher zu kommen (zunächst argumentierend, dassder Terrorismus nach dem Kalten Krieg statistisch rückläufig ist). Pape (2003) unter-sucht die strategischen Gründe, warum Selbstmordattentate zunehmend zum Arsenal desTerrorismus gehören.

8 Die Ausgabe hieß »Les réseaux internationaux de violence: transferts d’armes et terro-risme«. Vgl. auch Bigo (1991).

Forum

140

Vergesellschaftung. Und hier haben, wenn auch zum Teil außerhalb des nordameri-kanischen Mainstreams der IB, viele Analysen stattgefunden; ja, das Thema der Ent-territorialisierung und Privatisierung der Gewalt kommt von dort.

Auf der theoretischen Ebene haben sich schon einige mit der Privatisierung derGewalt befasst und transnationale Phänomene in den Vordergrund gestellt (Badie/Smouts 1992), sei es mit der Analyse so genannter neuer Kriege (Kaldor 1999, Duf-field 2001) und dem Aufkommen neuer Akteure wie der Private Military Companies(Reno 2000; Mandel 2002; Singer 2003). Auch die Entterritorialisierung ist in derPolitischen Ökonomie/Soziologie untersucht worden. Zum einen haben Wissen-schaftler schon seit längerem auf das Problemfeld Waffen/Geldwäsche/Finanzlibera-lisierung/Kriege hingewiesen (Naylor 1987, 2002; Palan 2003). Beiträge zurtransnationalen Kriminalität gibt es schon seit einiger Zeit, so von Pino Arlacchi(1983, 1988), der ja dann zur UN wechselte, um dagegen vorzugehen, sowie jetztauch von Fabio Armao (2000) und Letizia Paoli (1993, 2003).9 Das Thema ist auchschon von der soziologischen Theorie eingeordnet worden (siehe z. B. Castells 1998,der ein Kapitel in sein Hauptwerk eingebaut hat). Parallel zur Untersuchung anderertransnationaler Eliten (van der Pijl 1998, 2004; Graz 2003) hat dies auch in der IPÖEinzug gehalten, so vor allem bei Strange (1996, 1998), die gerade in diesem Bereichauch schon analysiert und kritisiert worden ist (Friman 2001; Leander 2001).

Nun muss man Risse Recht geben, dass das nicht gerade der Mainstream ist, unddass einiges (aber nicht alles) davon auch nicht mit systematischer Theorie unterfüt-tert ist. Jedoch mündet nun vieles davon in die Analyse der fundamentalen Prämis-sen der IB: der Institution des staatlichen Monopols legitimer Gewalt (Thomson1994; Leander 2004a, 2004b).

3. Die Disziplin als politische Experten-Instanz (epistemic community)

Ob sie es will oder nicht, die Disziplin ist auch eine politische Instanz, gerade imZeitalter allgegenwärtiger »Experten«. Die nordamerikanische Debatte vor Augen,betonen Kupchan (2004) und vor allem Der Derian (2004) gerade diesen Punktbesonders. Dabei ist die Stoßrichtung jedoch unterschiedlich.

Wissenschaft als präemptive Deeskalierungsinstanz

Kupchans Hauptargument ist nicht nur, dass ein Paradigmenwechsel unnötig ist,sondern auch, dass selbst das Gerede darüber politisch schädlich ist, da es eine self-fulfilling prophecy nach sich ziehen würde. Nun könnte man das leicht als die ideo-logische Überzeugungstat eines Liberalen abtun, der hohe Beratungsfunktionen inder vorhergehenden US-Regierung hatte. Aber auch hier ist mehr im Spiel.

Zum einen lebt der wissenschaftliche Diskurs allgemein von der Schaffung eineszumindest relativ rationalen Raums in der öffentlichen Debatte. Damit das Spezifi-

9 Parallel dazu ist natürlich auch die Vernetzung der Polizei in den IB untersucht worden(vgl. Bigo 1996).

Stefano Guzzini: In den IB nichts Neues?

141ZIB 1/2004

sche des Sachwissens überhaupt eine Geltungschance hat, müssen bestimmte Rah-menbedingungen erfüllt sein. Doch gerade die scheinen in den USA bedroht. Sollman Paul Kennedy Glauben schenken, so erinnert das jetzige Klima in den USA gardem im wilhelminischen Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, in dem das Landeinfach keine Distanz zu sich selbst schaffen konnte.10 Die Deeskalation schafftRaum für rationalen Diskurs.

Zum anderen ist Kupchans Zug eine alte Maxime der moderaten Realisten, derFriedensforschung und einiger heutiger Konstruktivisten (vgl. dazu Guzzini 2004).Wolfers (1962) hatte schon davor gewarnt, Machtpolitik pauschal anzuwenden, dasie manchmal die Sicherheitsprobleme erst schafft, die sie vorgibt zu lösen. Die Ost-politik und die Friedensforschung haben diesen Begriff der potenziellen self-fulfil-ling prophecy im Kalten Krieg zum Thema gehabt, indem sie Politikinstrumenteausdachten, die deeskalierend wirken sollten. Die neuerliche konstruktivistischeVariante untermauert diese Reflexivität der sozialen Welt metatheoretisch (Wendt1999; Guzzini 2000a) und untersucht die aktive Rolle von Sprache in einer Realität,die sie vorgibt, nur passiv zu beschreiben. Dies geschieht in der Version des kom-munikativen Handelns (Müller 1994; Risse 2000) oder eines Sprechakts, der einPhänomen securitized oder auch de-securitized (Wæver 1995; Buzan et al. 1998) –übrigens verwandte Ansätze, die beide empirisch aus der Analyse der deutschenOstpolitik entwickelt bzw. abgeleitet wurden.

Kupchans Aufruf zur Deeskalation des Sicherheitsdiskurses ist dementsprechendauch Ausdruck des aus der Erfahrung des Kalten Krieges gewachsenen Selbstver-ständnisses weiter Teile der Friedens- und Konfliktforschung. Die teilweise sehrschnelle Reaktion gegen Bushs Kriegserklärung zeigte eine eher wache und raschalarmierte Disziplin (vgl. Czempiel 2002; Jervis 2002; Müller 2003).11

Mangelnde Zivilcourage oder der blinde Fleck des Liberalismus?

Der Derian (2004) geht mit unserem Fach schon härter ins Gericht. In einer Zeit poli-tischer Ausgrenzung vermisst er die Zivilcourage seiner Zunft, die im persönlichenGespräch solidarisch, in der Öffentlichkeit aber stumm ist. Während sich das briti-sche Unterhaus eine historische Debatte lieferte, sah sich der altehrwürdige demokra-tische Senator Robert Byrd (West Virginia) umringt von tiefem Schweigen.12

In diesem Zusammenhang greift Der Derian eine Gruppe besonders heraus: die IB-Liberalen. Während prominente Realisten gegen den Krieg mobilisierten, warenviele Liberale im East-Coast-Establishment der IB dafür. Und er lässt durchklingen,dass dies vielleicht nicht zufällig so war. Damit spricht er ein Thema an, das in dergegenwärtigen Analyse der US-Außenpolitik aufgekommen ist, nämlich dass diesezwar neo-konservativ klingt, de facto aber Wilson-liberale Züge trägt (Rhodes

10 Vgl. »Ein entsetzlicher Fehler«, Interview mit Paul Kennedy, in: Der Spiegel 1, 5.1. 2004.11 Es ist interessant, dass die Milzbrandbriefattentate, die die terroristische Bedrohung

potenziell in alle Haushalte der USA brachten und damit die Deeskalation der Sicher-heitsdebatte als ein auf wenige Machtzentren isoliertes Phänomen verhinderten, nie rich-tig aufgeklärt worden sind.

12 Vgl. die eindrucksvolle Rede vom 12.2.2003 vor dem US-Senat (Byrd 2003).

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142

2003). Weiter zugespitzt: Wenn Liberale nicht mehr Tauben, sondern Falken sind,dann deswegen, weil der Liberalismus in seinem Universalismus in letzter Instanzzum Imperialismus neigt.

Es stimmt, dass viele prominente Liberale in der IB sich mit ihrer Kritik (soferndenn da eine war) gerade für europäische Betrachter unerwartet lange zurückgehal-ten haben. Wie auch in Teilen der deutschen Diskussion wurde die Skepsis derneuen Administration gegenüber dadurch ausgeglichen, dass Saddam HusseinsRegime menschenverachtend ist. Also konnte man das Ganze im weitesten Sinne alshumanitäre Intervention betrachten, sofern man die Risiken eines Krieges und seinerFolgewirkungen optimistisch einschätzte. Zudem haben vielleicht auch einige US-Liberale Blair (und Clinton) geglaubt, der ja immer vorgegeben hat, dass der Kriegnicht unter allen Umständen notwendig ist und multilateral abgesegnet werdenmuss: Insofern war der Truppenaufmarsch dann ein Moment von coercive diplo-macy. Erst als klar wurde, dass der neue Unilateralismus die UN isoliert und Alli-ierte ausgrenzt, wurden einige IO-Multilateralisten zu offenen Kriegsgegnern undversuchten, mehr Argumente in die Debatte einzubringen. Und selbst dann warendas bei weitem nicht alle.

Aber ist dies Ausdruck einer Wahlverwandtschaft? Ist die jetzige US-Regierungaufgrund ihres moralistischen Diskurses notwendigerweise einer liberalen Außen-politik verbunden? Ich denke, die Debatte folgt einem Pavlowschen Reflex. Wannimmer ein US-Präsident die außenpolitische Verteidigung der Demokratie propa-giert, wird er mit dem Erz-Liberalen Wilson verglichen. Aber dieser Umkehrschlussist schlicht falsch: Liberale mögen Weltverbesserer sein, aber nicht jeder außenpoli-tischer Weltverbesserer ist ein Liberaler. Die Demokratie ist keine chasse gardéedes Liberalismus und der Moralismus schon gar nicht. Letzterer wird ja allgemeinfür die Oszillation amerikanischer Außenpolitik verantwortlich gemacht: vom Isola-tionismus der moralisch Überlegenen, die sich nicht die Hände in europäischerGroßmachtpolitik schmutzig machen wollen, bis zum Internationalismus der Welt-verbesserer, die am Modell USA den Rest erziehen möchten (vgl. das klassischeArgument bei Hoffmann 1978). Daraus folgt, dass moralistische Außenpolitik imNamen der Demokratie sowohl liberaler, wie auch anderer, z. B. konservativerNatur sein kann. Kissinger hat das einmal so veranschaulicht: »The liberal approachtreated foreign policy as a subdivision of psychiatry; the conservative approach con-sidered it as an aspect of theology« (Kissinger 1983: 239).

Die zugespitzte Kritik, dass der Liberalismus notwendigerweise zum Imperialis-mus neigt, und dass daher das betroffene Schweigen oder gar die Kriegsunter-stützung vieler Liberaler zu erklären ist, ist meiner Ansicht auch nicht zwingend.Liberale können sich sehr wohl der Gefahren rationalistischer Hybris bewusst sein,ganz zu schweigen von der nationalistischen Hybris, die den Neo-Konservativen vonliberaler Seite bescheinigt wird (Hoffmann 2003). Der US-Liberalismus ist jedochmit einigen nationalistischen Gründermythen vermischt, die diesen Schritt einfachermachen (Bishai 2004). Bei US-Liberalen (und zunehmend auch anderswo?) kanndaher eine Vermischung der eigenen (nationalen) Identität, des Demokratiegedan-

Stefano Guzzini: In den IB nichts Neues?

143ZIB 1/2004

kens und des Liberalismus vorkommen, die einen Ausdruck wie »liberaler Imperia-lismus« dann nicht mehr als selbstwidersprüchlich erscheinen lässt.

Doch Der Derian hat allerdings Recht, auf die Rolle der IB-Realisten im Ver-gleich zu den IB-Liberalen in den USA abzuheben. Soll er denn frei dieses Moralinssein, muss nämlich der akademische Realismus – zumindest jener, der sich in derTradition der Ethik der Vorsicht/Mäßigung (prudence) sieht – versuchen, sich vonder Theologie der Konservativen abzusetzen. Gerade weil die öffentliche DebatteRealisten und Falken vermengt, fühlen sich akademische Realisten sehr schnell her-ausgefordert, sich abzugrenzen, wie geschehen bei der Gründung der NATO(George Kennan), dem Vietnam-Krieg (Hans Morgenthau) und jetzt dem Irak-Krieg(John Mearsheimer und Stephen Walt).13 Sie haben dabei den IB-Liberalen gegen-über den großen Vorteil, dass sie in einer solchen Kritik nicht so leicht abgetan wer-den können. Das verringert nicht den Stellenwert ihrer Rolle in der Debatte, in derdiese Gruppe von Realisten (es waren ja nicht alle: siehe Henry Kissinger) Raum füreine schon eher rationale Debatte ermöglichten.14 Hier ist Der Derian wahrschein-lich zuzustimmen, dass (im politischen Sinne: liberale und konservative) IB-Realis-ten in dieser Funktion wichtiger waren und mehr Zivilcourage bewiesen als die IB-Liberalen in den USA.

4. Die IB als Gemeinschaft? (Which Community?)

»In der IB nichts Neues« war also funktional in der Lehr- und Studiengemeinschaft,durchdacht im Forschungsbetrieb und absichtlich in der politischen Verantwortung.Ironischerweise mag es eher positiv zu sehen sein, dass die IB nicht sofort auf alleTrittbretter gesprungen ist und eine gewisse Distanz behalten hat – trotz der (zu)großen Versuchung, noch schnell ein Kapitel(chen) zum Terrorismus oder zu 9/11in die Forschungsanträge einzufügen, nur um den nicht immer sehr weit blickendenMaßstäben gesellschaftlicher Relevanz unserer öffentlichen und privaten Geldgeberentgegenzukommen.

Und doch manifestieren die drei Beiträge zusammen eine doppelte Unzufrieden-heit. Zum einen wird von außen eine Erwartungshaltung an die IB herangeführt, inder sie schnell zu einer Art Betroffenheitswissenschaft oder gar einer Legitimations-maschine verkommt, wie Kupchan und Der Derian klar monieren. Sich dieser Ein-schüchterung zu widersetzen, die Distanz zu bewahren, ist ein Vabanque-Spiel,denn zu viel davon ist auch nicht »förderlich«. Risses und Müllers Einklagen theore-tisch fundierter Arbeiten ist ja auch ein Versuch, den weniger wissenschaftlichenPolicy-Experten nicht die Definition der Relevanz zu überlassen, die die wissen-schaftliche IB dann ausgrenzt (und Gelder umleitet).

13 Umgekehrt benutzen auch einige Konservative den so verstandenen Realismus, um sichvon den Neo-cons abzusetzen; vgl. Fukuyama (2002).

14 Ich habe mich deswegen selbst u. a. realistischer Thesen bedient (man kann ja immerwelche finden), um die jetzige US-Außenpolitik zu kritisieren (Guzzini 2002).

Forum

144

Zum anderen liegt auch intern etwas im Argen. Selbst wenn man noch ein paarheroische Beispiele aus der inhaltlichen und geographischen Semi-Peripherieanbringt, so zeigen alle Beiträge auf ihre Art, dass die offizielle Debatte in der Diszi-plin zu eng zu sein scheint. Das Endspiel im UN-Sicherheitsrat mit seinen Kabinett-stückchen (oder Kindergartenstreichen), gar der Krieg, waren für viele wenigerwichtig als der damals stetig fallende Kaffeepreis. So am Schluss mag das ein wenigaufgesetzt klingen, durchaus selbstkritisch auf die »Nordlastigkeit« der IB hinzu-weisen, aber es einfach weglassen, hilft ja auch nichts. Man könnte das Ganze viel-leicht als Signal verstehen, anderen Stimmen in der IB mehr Geltung zu verleihen,obwohl das unser Wissenschaftsbetrieb wahrscheinlich immer weniger zulässt.

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Wolfgang Wagner/Frank Schimmelfennig/Michèle Knodt

Auswärtiges Regieren in der Europäischen UnionEin Tagungsbericht

1. Die europäischen Außenbeziehungen als hard case für den Governance-Ansatz

Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat sich der so genannte Governance-Ansatzin der Forschung zur europäischen Integration fest etabliert. Im Gegensatz zu denklassischen Integrationstheorien Neofunktionalismus und Intergouvernementalis-mus, die sich um die Erklärung des Integrationsprozesses bemühen, nimmt derGovernance-Ansatz das vorhandene institutionelle Mehrebenen-System der EUselbst zum Ausgangspunkt und untersucht, wie es sich auf die Effektivität und Legi-timität des europäischen Regierens auswirkt, wie es sich in charakteristischen Pro-zessmustern europäischer Politik niederschlägt und welche (auch informellen)Rückwirkungen das europäische Regieren wiederum auf die Institutionen der EUund ihrer Mitgliedsstaaten (Stichwort: Europäisierung) hat. Damit geht der Gover-nance-Ansatz zugleich über die klassischen Annahmen der Theorien internationalerPolitik hinaus. Er erweitert den Fokus des Intergouvernementalismus und nimmtüber die Staaten und Regierungen als zentrale Akteure auch supranationale und pri-vate Akteure in die Analyse auf. Zudem erweitert er neofunktionalistische Ansätze,indem anerkannt wird, dass subnationale öffentliche Akteure an der Politikgestal-tung beteiligt sind. Somit bezieht sich Governance auf interaktive Politikprozesse,an denen öffentliche und private Akteure auf allen Ebenen des Mehrebenensystemsteilnehmen, um gemeinsam soziale Probleme zu lösen. Der Governance-Ansatz istdabei (im Gegensatz zum Intergouvernementalismus) nicht ausschließlich auf hori-zontale Politikentwicklungs- und -durchsetzungsmodi fokussiert (Krieg, Verhan-deln, Argumentieren), sondern schließt Formen hierarchischer Steuerung ebenso einwie eine funktionale Differenzierung der Akteure.1

Der Nutzen einer solchen Herangehensweise für das Verständnis der EU, ihrerPolitik und ihrer Entwicklung ist bisher insbesondere in den Politikbereichen nach-gewiesen worden, in denen die Ausdifferenzierung der Institutionen zu einem dyna-mischen Mehrebenensystem am weitesten vorangeschritten ist: im Bereich desBinnenmarktes und den verschiedenen Bereichen marktkorrigierender Politiken wiebeispielsweise der Regionalpolitik. Im Vergleich mit diesen Politikbereichen sinddie Außenbeziehungen dagegen weitgehend in der Hand traditioneller Integrations-

1 Die im Englischen mögliche Differenzierung zwischen »government« und »gover-nance« lässt sich nicht ohne weiteres ins Deutsche übertragen. Daher wird im deutsch-sprachigen Raum neben dem deutschen Begriff »Regieren« vielfach auch dieBezeichnung »Governance« verwendet; vgl. Hooghe/Marks (2001); Jachtenfuchs(2001); Jachtenfuchs/Kohler-Koch (2003).

Tagungsbericht

148

theorien sowie problembezogener, beschreibender Forschungen geblieben. DieTagung »EU Governance and External Relations« nahm sich dieser Forschungslü-cke an und versammelte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutsch-land, Großbritannien, Spanien, Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden und denUSA, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des auswärtigen Regierens in derEuropäischen Union beschäftigen.2

Verglichen mit dem Binnenmarkt erscheinen die Außenbeziehungen der EU alsein hard case für den Governance-Ansatz, weil in diesem Politikbereich das europä-ische Mehrebenensystem vergleichsweise schwach institutionalisiert ist und auf denersten Blick intergouvernementale Aushandlungsprozesse die dominierende Formder Entscheidungsfindung darstellen. Ein intergouvernementaler oder IB-Ansatz,der nach wie vor die beliebteste Gegenfolie ist, um den Mehrwert neuer Ansätze zudemonstrieren, scheint hingegen im Bereich der Außenbeziehungen unmittelbarePlausibilität zu besitzen: Traditionell gilt Außenpolitik schließlich als Kernelementstaatlicher Souveränität und als Domäne der Exekutive mit entsprechend geringerBeteiligung gesellschaftlicher Akteure und eingeschränkter demokratischer Kon-trolle. Auch der »Vertrag über die Europäische Union« sieht für die Außenpolitikeine intergouvernementale Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten mit einer nur ein-geschränkten Rolle für die supranationalen Akteure Kommission, Europäisches Par-lament und Europäischer Gerichtshof vor. Darüber hinaus interagiert dieEuropäische Union in ihren Außenbeziehungen mit einer Umwelt, die im Gegensatzzur Politik innerhalb der EU stark intergouvernemental geprägt ist und der sich dieEU in ihren Strategien und Verfahren anpassen muss. Der Bereich der Außenbezie-hungen erscheint somit als Heimspiel für einen intergouvernementalen Ansatz.Sollte es daher gelingen, den Mehrwert eines Governance-Ansatzes gerade auf die-sem Gebiet zu verdeutlichen, würde dies die Bedeutung dieses Ansatzes erheblichunterstreichen.

Was aber wäre im Einzelnen zu zeigen, um den Mehrwert eines Governance-Ansatzes zu unterstreichen? Wie Frank Schimmelfennig in seiner Einführung dar-legte, hätte der Governance-Ansatz zweierlei zu leisten: Zum einen wäre zu zeigen,dass sich die europäischen Außenbeziehungen als institutionalisierte und regelba-sierte Politik beschreiben und erklären lassen, die öffentliche und private Akteureauf verschiedenen Ebenen und – je nach institutionellem Kontext – unterschiedlicheSteuerungsmodi einschließt. In einem ersten Schritt wäre also der Nachweis zuerbringen, dass sich europäische Außenpolitik ohne ihren institutionellen Kontextnur unzureichend beschreiben und erklären lässt. Zum anderen wäre zu zeigen, dassdie alltägliche Regierungspraxis auf das institutionelle System zurückwirkt. Institu-tioneller Wandel auf verschiedenen Ebenen des europäischen Regierens wäre dannweniger auf mitgliedsstaatliche Interessen und Machtpositionen zurückzuführen,sondern vielmehr auf alltägliche Praktiken und daraus hervorgehende informelle

2 Die Tagung fand am 10. und 11. Oktober 2003 am Mannheimer Zentrum fürEuropäische Sozialforschung (MZES) im Rahmen des von der DFG gefördertenSchwerpunktprogramms »Regieren in der Europäischen Union« statt.

Wagner/Schimmelfennig/Knodt: Auswärtiges Regieren in der Europäischen Union

149ZIB 1/2004

Institutionalisierung. Unter diesen Bedingungen wäre es gerechtfertigt, anstelle von»Außenpolitik« im traditionellen Verständnis besser von »auswärtigem Regieren«zu sprechen.

2. Die Europäische Union und ihre unmittelbare Nachbarschaft

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die Europäische Union durch zahlreicheInterdependenzen mit ihren mittel- und osteuropäischen Nachbarn verbunden. Anden Beispielen der Umwelt-, Energie- und Kriminalitätspolitik zeigte Sandra Lave-nex, dass die Europäische Union dort einen Export europäischer Politiken versucht,wo sie ihre Interessen durch die gewachsenen Abhängigkeiten für besonders ver-wundbar hält. Um die Interdependenzen zu managen, bemüht sich die EU um eine»politics of inclusion«, so Michael Smith, bei der die institutionelle und rechtlicheReichweite der EU über den Kreis der Mitgliedsstaaten hinaus ausgeweitet wird.

Die zweifellos weitgehendste Form dieser »politics of inclusion« ist die Vollmit-gliedschaft innerhalb der EU. Im Rahmen dieser Erweiterungspolitik wird der EU inder Regel ein außerordentlich großer Einfluss auf die Bewerberstaaten unterstellt.Unter welchen Umständen und auf welche Weise dieser Einfluss tatsächlich ausge-übt worden ist, wurde von Frank Schimmelfennig und Ulrich Sedelmeier diskutiert.Ihnen zufolge besitzt die EU den größten Einfluss auf die Bewerberstaaten, wenndiese im Rahmen der Beitrittsverhandlungen den acquis communautaire überneh-men müssen (acquis conditionality). Hohe Anpassungskosten und innerstaatlicheWiderstände können dabei lediglich das Tempo verlangsamen; letzen Endes aberführt das starke Interesse an einer Vollmitgliedschaft stets zur Übernahme der erfor-derlichen Regelung. Weniger erfolgreich ist die EU darin, autoritäre Regime zurÜbernahme demokratischer Normen zu bewegen (democratic conditionality): Wäh-rend sich die Demokratisierung zahlreicher mittel- und osteuropäischer Staatenunabhängig von der Politik der EU vollzog, erschienen den weiterhin autoritärregierten Regimen die Kosten eines Systemwechsels selbst angesichts des Anreizeseiner Vollmitgliedschaft in der EU als zu hoch. Charakteristisch für das konditionaleVorgehen der EU gegenüber den Bewerberstaaten, mit dem die Ausweitung deseuropäischen Regierens betrieben wird, ist ein auch im Vergleich zum sonstigeneuropäischen Regieren ausgeprägt hierarchischer Steuerungsmodus. Gerade derErfolg der Erweiterungspolitik führt im Verhältnis zu jenen (neuen) Nachbarstaaten,denen eine Mitgliedschaft auf absehbare Zeit verwehrt sein wird, jedoch zu neuenProblemen.

Elisabeth Johansson-Nogués diskutierte die Aussichten, auch unterhalb derSchwelle der Mitgliedschaft ein dichtes Netz an kooperativen Beziehungen aufzu-bauen, das wegen des Einschlusses supranationaler und subnationaler Akteure alsnetwork governance bezeichnet werden kann. Das im Ostseeraum erfolgreicherprobte Modell lässt sich jedoch nur bedingt auf den Mittelmeerraum und die ost-europäische Peripherie übertragen, weil es an der kritischen Masse regionaler, kom-munaler und zivilgesellschaftlicher Akteure mangelt.

Tagungsbericht

150

3. Die Wechselbeziehungen zwischen EU und WTO

Im Bereich der Handelspolitik kann die WTO als Institution betrachtet werden, diedas Mehrebenensystem der EU um eine zusätzliche institutionelle Ebene erweitert.Michèle Knodt und Su-Ling Tseng stellten verschiedene Formen des institutionellenWandels vor, die sich aus diesem erweiterten Mehrebenensystem für das dynami-sche System der EU ergeben: Während sich die formalen Entscheidungsprozessedurch Auferlegung (imposition) ändern, wandeln sich Interaktionsstrukturen durchEinbindung und ordnungspolitische Leitideen durch aktive Propagierung. Der Bei-trag zeigte, dass angestoßen durch die Auseinandersetzung mit der internationalenEbene sich nicht nur die formale Organisation des Außenhandelns der EU veränderthat, sondern neuen Akteuren wie Unternehmen und auch Wirtschafts- und Sozial-verbänden der Zugang zur europäischen Außenhandelspolitik eröffnet wurde. Wäh-rend Knodt und Tseng insgesamt eine Zentralisierung der Handelspolitik in der EUerwarten und somit den Einfluss EU-externer Faktoren betonen, vertrat JürgenNeyer die These, dass die EU aufgrund einer wenig belastbaren Legitimitätsgrund-lage und ihrer Abhängigkeit von der Unterstützung durch Mitgliedsstaaten und Ver-bände im Konfliktfall eher die Verletzung internationaler Handelsregeln in Kaufnehmen wird.

4. Regieren über unterschiedliche Pfeiler: cross-pillarization

Zu den Besonderheiten der europäischen Außenbeziehungen gehört, was im EU-Jar-gon als pillarization bzw. cross-pillarization bezeichnet wird und eine starke Frag-mentierung von Rechtsgrundlagen und Entscheidungsverfahren bezeichnet.Allerdings betonten sowohl Deirdre Curtin und Ramses Wessel aus einer europa-rechtlichen Perspektive als auch Stephan Stetter aus einer politikwissenschaftlichenPerspektive, dass die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Pfeilern imaußenpolitischen Alltagsgeschäft von untergeordneter Bedeutung ist. Für Stetterergibt sich der Trend zur Zentralisierung außenpolitischer Kompetenzen, der dieFragmentierung von Rechtsgrundlagen und Entscheidungsverfahren überlagert, ausder Funktion des Politikfeldes für die makropolitische Stabilisierung des gesamtenpolitischen Systems der EU. Die Überwindung der Pfeilerstruktur im außenpoliti-schen Alltagsgeschäft zeigt den Mehrwert eines Governance-Ansatzes, weil dieserinformelle Institutionalisierungsprozesse und die transformative Wirkung derRegierenspraxis auf die institutionelle Architektur der EU erfassen und nachzeich-nen kann.

5. Europäisierung nationaler Politiken

Im Gegensatz zu einer intergouvernementalen Perspektive, der zufolge die grundle-genden außenpolitischen Interessen der Mitgliedsstaaten durch die europäische Inte-gration unberührt bleiben, betont der Governance-Ansatz die Europäisierungnationaler Politiken als Folge ihrer Einbindung in ein dynamisches Mehrebenensys-

Wagner/Schimmelfennig/Knodt: Auswärtiges Regieren in der Europäischen Union

151ZIB 1/2004

tem. Für Michael E. Smith sind Elitensozialisation einerseits und organisatorischeAnpassungen in den Außenministerien andererseits die beiden wichtigsten Mecha-nismen, durch die die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EUdie mitgliedsstaatlichen Politiken europäisiert. Durch die intensive und vertraulicheKommunikation zwischen Beamten verschiedener Ebenen innerhalb der Außenmi-nisterien bildet sich Vertrauen sowie eine Annäherung von Sichtweisen, die einenproblemlösenden Interaktionsmodus befördern und Lösungen oberhalb des kleins-ten gemeinsamen Nenners ermöglichen. Hinsichtlich der Organisation von Außen-politik in den Mitgliedsstaaten hat die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitikdie Einrichtung neuer Positionen (wie dem Europäischen Korrespondenten) sowiedie Erhöhung von Budget und Mitarbeiterzahl erforderlich gemacht, um den Anfor-derungen des außenpolitischen Alltagsgeschäfts Genüge zu tun.

Kritischer wurde der Einfluss der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitikauf die nationalen Politiken von Melanie Morisse-Schilbach sowie von WolfgangWagner betrachtet. Morisse-Schilbach argumentierte aus einer historisch-institutio-nalistischen Perspektive, dass nationale diplomatische Kulturen als starker Filter imSozialisationsprozess fungieren. Da es in den Mitgliedsstaaten unterschiedliche,zum Teil auf lange Traditionen zurückblickende diplomatische Kulturen gibt,kommt es nicht zu einem einheitlichen Europäisierungsprozess, sondern vielmehrzu ausgeprägten Widerständen gegen eine Unterminierung nationaler Souveränität.Auch in Wagners Fallstudie zur deutschen Politik im Rahmen der EuropäischenSicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) verläuft der Europäisierungsprozessnicht geradlinig. Während die Bundesrepublik zu Beginn der Neunzigerjahre nochzu den Vorreitern einer ESVP gehörte und die Schaffung gemeinsamer Institutionenwesentlich vorantrieb, haben sinkende Wehretats und das Festhalten an einer Wehr-pflichtigenarmee mittlerweile dazu geführt, dass die Realisierung einer Europäi-schen Eingreiftruppe durch den mangelnden deutschen Beitrag mehr behindert alsgefördert wird. Ein interaktionistischer Analyserahmen hilft, das Wechselspiel zwi-schen deutscher Politik und europäischem Regieren nachzuzeichnen und die neuedeutsche Position als europapolitischer Nachzügler als nicht-intendierte Konse-quenz früherer deutscher Politik zu verstehen.

Die vergleichende Analyse niederländischer, dänischer, griechischer, italienischer,französischer und deutscher Politiken gegenüber der GASP/ESVP stand im Mittel-punkt des von Bernhard Stahl vorgestellten Forschungsprojekts. Das unterschiedlichgroße Engagement für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik wird dabei auf unterschiedliche nationale Identitäten zurückge-führt, die durch Diskursanalysen in den betreffenden Staaten erhoben wurden.

6. Ergebnisse und Perspektiven

Nicht nur innerhalb des Binnenmarktes, sondern auch im Bereich der Außenbezie-hungen gibt es eine europäische Politik, die sich mithilfe nationaler Interessen undintergouvernementaler Aushandelungsprozesse nur noch unzureichend erschließenlässt. Vielmehr ist auf verschiedenen Feldern, insbesondere bei der Erweiterungs-

Tagungsbericht

152

und Nachbarschaftspolitik, eine charakteristische europäische Politik zu Tage getre-ten, die sich mit auswärtigem Regieren beschreiben und analysieren lässt. Es ist einehochgradig institutionalisierte Politik, die im Rahmen des europäischen Mehrebe-nensystems maßgeblich von supranationalen Organisationen (vor allem von derEuropäischen Kommission) auf der Basis von EU-Regeln und -Verfahren mitgestal-tet wird, dadurch eine Opportunitätsstruktur für weitere öffentliche und privateAkteure eröffnet und – je nach Kontext – unterschiedliche Steuerungsmodi umfasst.Dieses auswärtige Regieren zielt in erster Linie auf die Schaffung eines dem europä-ischen Mehrebenensystem möglichst ähnlichen bzw. mit diesem kompatiblen inter-nationalen Umfelds, das durch Multilateralismus, Dialog und Offenheit für nicht-staatliche Akteure gekennzeichnet ist. Nahezu alle Beiträge greifen bei der Analyseauswärtigen Regierens auf einen weiten Begriff von Institutionen zurück, der überformale Entscheidungsverfahren hinaus informelle Verhaltensnormen und Routinenmit einbezieht.

Allerdings zeigten die Beiträge auch, dass es keinen gleichförmigen und ungebro-chenen Trend zum europäischen auswärtigen Regieren gibt. Zum einen variieren dieinstitutionellen Rahmenbedingungen und Steuerungsmodi je nach institutionellemund Policy-Kontext: Auswärtiges Regieren im Rahmen der Erweiterung hat eineandere Qualität als die übrige Nachbarschaftspolitik; die Politikentwicklungsprozesseder Außenhandelspolitik sind andere als die der Sicherheits- und Verteidigungspoli-tik. Zum anderen wäre es voreilig, von einer geradlinigen und einheitlichen Europä-isierung nationaler Politiken auszugehen. Vielmehr zeigte sich die Notwendigkeit,die Europäisierungsforschung für Prozesse der (Re-)nationalisierung und (Re-)Sozi-alisierung zu öffnen.

Die Problematik des Governance-Ansatzes stand im Mittelpunkt eines Roundtab-les, auf dem Gunther Hellmann, Hanns Maull, Michèle Knodt, Peter Schlotter undMathias Jopp die Ergebnisse der von ihnen innerhalb des Schwerpunktprogrammsgeleiteten Forschungsprojekte diskutierten. Hellmann wies darauf hin, wie weit sichgerade der Politikbegriff beim Governance-Ansatz mit dem überschneidet, der derAußenpolitikforschung einerseits und einer Cooperation-under-anarchy-Perspek-tive andererseits zugrunde liegt. Gleichzeitig könnten gerade die beiden letztgenann-ten Perspektiven für Fälle militärischen Gewalteinsatzes einen komparativen Vorteilbesitzen. Auf Unterschiede zwischen einer strategischen Entscheidungsebene, dieFragen von Krieg und Frieden sowie die Beziehungen zu Großmächten einschließt,und einer sub-strategischen Entscheidungsebene, auf der vor allem die alltäglicheSoft-power-Politik stattfindet, verwiesen auch Jopp und Schlotter. Ihre Forschungs-ergebnisse verweisen auf die anhaltende Bedeutung einer intergouvernementalenPerspektive für die strategische Entscheidungsebene, während diese für die alltägli-che Politik nicht ausreicht. Maull kritisierte die im Workshop vorgestellten Papierevor allem dafür, das Politische in den europäischen Außenbeziehungen in den Hin-tergrund zu drängen. Knodt wies noch einmal darauf hin, dass die Entwicklung desKonzepts hin zu einem analytischen Ansatz trotz der Konjunktur des Begriffs in denletzten Jahren noch unzureichend ist. Regieren wird dabei meist im Sinne derbewussten Setzung von allgemein verbindlichen Handlungszielen und Maßnahmen

Wagner/Schimmelfennig/Knodt: Auswärtiges Regieren in der Europäischen Union

153ZIB 1/2004

sowie deren Realisierung durch die Interaktion unterschiedlicher Akteure verstan-den. Um das Konzept für die Integrationsforschung handhabbar zu machen, ist eineweitergehende theoretische Unterfütterung von Nöten. Am fruchtbarsten, so hat dieTagung auch im Bereich der Außenbeziehungen gezeigt, wird dieses Problem durchdie Kopplung mit institutionellen Ansätzen gelöst.

Allerdings bedarf es einer reflektierteren Fallauswahl, um ein vollständigeres Bildauswärtiger europäischer Regierungstätigkeit zu erhalten. Insbesondere fehlenUntersuchungen, die sich mit gescheiterten Fällen auswärtigen Regierens auseinan-der setzen. Diese könnten auch zur Behebung eines weiteren Defizits beitragen, dasin der Unterspezifizierung kausaler Mechanismen besteht. Häufig bleibt der Zusam-menhang zwischen den institutionellen Besonderheiten der EU und den Charakteris-tika ihrer Außenbeziehungen eine Behauptung oder gar Annahme, ohne dass diekausalen Zusammenhänge herausgearbeitet würden.

Tagungspapiere3

Curtin, Deirdre/Wessel, Ramses (Universität Utrecht/Universität Twente): Fragmentation inthe Governance of EU External Relations: A Legal Institutional Perspective.

Johansson-Nogués, Elisabeth (Universitat Autònoma de Barcelona): »Network governance«and the EU’s Near Neighborhood.

Knodt, Michèle/Tseng, Su-Ling (Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung):International Embeddedness of European Governance.

Lavenex, Sandra (Universität Bern): The EU’s Other Foreign Policy: The External Dimensionof Internal Policies.

Morisse-Schilbach, Melanie (Universität Dresden): Administering the Governance of CFSP:Process, Dimensions and Patterns of »Europeanization« in the Case of France and GreatBritain.

Neyer, Jürgen (Freie Universität Berlin): Bargaining over Beef and Bananas: External Effectsof EU Multi-Level Governance.

Schimmelfennig, Frank/Sedelmeier, Ulrich (Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialfor-schung): Governance by Conditionality: EU Rule Transfer to the Eastern European Can-didate Countries.

Smith, Michael E. (Georgia State University): Multi-level Governance, Domestic Politics, andEuropean Foreign and Security Policy.

Stahl, Bernhard (Universität Trier/Cologne Business School): European Foreign Policy andNational Identity: Comparative Foreign Policy Behaviour and Discourses of Denmark,France, Germany, Greece, Italy, and the Netherlands.

Stetter, Stephan (Universität Bielefeld): Cross Pillar Governance in EU Foreign Politics: TheRole of Supranational Actors in Middle East Politics.

Wagner, Wolfgang (Universität Frankfurt am Main): Renationalisation by Default. Germany’sMounting Gap between Symbolism and Substance in European Security and DefensePolicy.

3 Eine Auswahl der Tagungspapiere erscheint in überarbeiteter Form im Journal of Euro-pean Public Policy, Heft 4/2004.

Tagungsbericht

154

Literatur

Hooghe, Liesbet/Marks, Gary 2001: Multi-level Governance and European Integration, Boul-der, CO.

Jachtenfuchs, Markus 2001: The Governance Approach to European Integration; in: Journalof Common Market Studies 39: 2, 245-264.

Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate 2003: Regieren und Institutionenbildung, in: Jach-tenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate (Hrsg.): Europäische Integration, 2. Auflage,Opladen, 11-46.

155Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 155-158

Neuerscheinungen

Die Redaktion der Zeitschrift für Internationale Beziehungen bittet vor Erscheineneines jeden Heftes die Mitglieder des Review-Panels der ZIB, einige wenige, ausihrer Sicht besonders wichtige und interessante Neuerscheinungen aus ihren jeweili-gen Fachgebieten zu empfehlen. Aus diesen Literaturempfehlungen ergibt sich fol-gende Liste.

1. Theorien der Internationalen Beziehungen / Allgemeine Publikationen

Albert, Mathias/Hilkermeier, Lena (Hrsg.): Observing International Relations: Niklas Luh-mann and World Politics, London: Routledge 2004.

Amadae, Sonja M.: Rationalizing Capitalist Democracy: The Cold War Origins of RationalChoice Liberalism, Chicago, IL: University of Chicago Press 2003.

Carment, David: Assessing State Failure: Implications for Theory and Policy, in: Third WorldQuarterly 24 (2003): 3, 407-427.

Cox, Robert W./Schechter, Michael G.: The Political Economy of a Plural World: CriticalReflections on Power, Morals and Civilization, London: Routledge 2002.

Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk/Nuscheler, Franz (Hrsg.): Globale Trends 2004/2005. Fak-ten, Analysen, Prognosen, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2003.

Lebow, Richard Ned: The Tragic Vision of Politics: Ethics, Interests and Orders, Cambridge:Cambridge University Press 2003.

Lipson, Charles: Reliable Partners: How Democracies Have Made a Separate Peace, Prince-ton, NJ: Princeton University Press 2003.

Maier, Matthias Leonhard/Hurrelmann, Achim/Nullmeier, Frank/Pritzlaff, Tanja/Wiesner,Achim (Hrsg.): Politik als Lernprozess? Wissenszentrierte Ansätze in der Politikanalyse,Opladen: Leske + Budrich 2003.

Rosow, Stephen J.: Toward an Anti-disciplinary Global Studies, in: International Studies Pers-pectives 4 (2003): 1, 1-14.

Speck, Ulrich/Sznaider, Natan (Hrsg.): Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltord-nung, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2003.

Sullivan, Michael P.: Theories of International Relations: Transition vs. Persistence,Basingstoke: Palgrave MacMillan 2002.

Wendt, Alexander: Why a World State is Inevitable, in: European Journal of InternationalRelations 9 (2003): 4, 491-542.

Whitman, Jim: Global Dynamics and the Limits of Global Governance, in: Global Society 17(2003): 3, 253-272.

2. Außenpolitikanalyse / Deutsche Außenpolitik

Engel, Ulf/Kappel, Robert (Hrsg.): Germany’s Africa Policy Revisited: Interests, Images andIncrementalism, Münster: LIT Verlag 2002.

Neuerscheinungen

156

Joerißen, Britta/Stahl, Bernhard (Hrsg.): Europäische Außenpolitik und nationale Identität.Vergleichende Diskurs- und Verhaltensstudien zu Dänemark, Deutschland, Frankreich,Griechenland, Italien und den Niederlanden (Dokumente und Schriften der Europäi-schen Akademie Otzenhausen, Band 121), Münster: LIT Verlag 2003.

Kremp, Werner/Wilzewski, Jürgen (Hrsg.): Weltmacht vor neuer Bedrohung. Die Bush-Admi-nistration und die US-Außenpolitik nach dem Angriff auf Amerika (Atlantische Texteder Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, Band 20), Trier: Wissenschaftlicher VerlagTrier 2003.

Malone, David M./Khong, Yuen Foong (Hrsg.): Unilateralism and U.S. Foreign Policy: Inter-national Perspectives, Boulder, CO: Lynne Rienner 2003.

3. Internationale Institutionen

Alamir, Fouzieh Melanie: Erklärungswert von Theorien internationaler Beziehungen. Sicher-heitspolitische Perspektiven dargestellt am Beispiel des NATO-Wandels (Reader Sicher-heitspolitik, Ergänzungslieferung 08/2003), in: http://www.reader-sipo.de/artikel/0308_AIV1.htm; 4.2.2004.

Albin, Cecilia: Negotiating International Cooperation: Global Public Goods and Fairness, in:Review of International Studies 29 (2003): 3, 365-385.

Foot, Rosemary/MacFarlane, S. Neil/Mastanduno, Michael (Hrsg.): US Hegemony and Inter-national Organizations: The United States and Multilateral Institutions, Oxford: OxfordUniversity Press 2003.

Franck, Thomas M.: What Happens Now? The United Nations After Iraq; in: American Jour-nal of International Law 97 (2003): 3, 607-620.

Hampson, Fen Osler/Reid, Holly: Coalition Diversity and Normative Legitimacy in HumanSecurity Negotiations, in: International Negotiation 8 (2003): 1, 7-42.

Ku, Charlotte/Jacobson, Harold K. (Hrsg.): Democratic Accountability and the Use of Forcein International Law, Cambridge: Cambridge University Press 2003.

Reus-Smit, Christian: Politics and International Legal Obligation, in: European Journal ofInternational Relations 9 (2003): 4, 591-625.

Schlesinger, Stephen C.: Act of Creation: The Founding of the United Nations, Boulder, CO:Westview Press 2003.

4. Europäische Integration

Börzel, Tanja A./Cichowski, Rachel A. (Hrsg.): The State of the European Union, Volume 6:Law, Politics, and Society, Oxford: Oxford University Press 2003.

Currle, Edda: Migration in Europa. Daten und Hintergründe (Forum Migration, Band 8),Stuttgart: Lucius und Lucius 2003.

Frank, Cornelia: Polnische Sicherheitspolitik. Warschaus Position zur ESVP. Eine gesell-schaftstheoretische Annäherung (Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung derUniversität Hamburg, Arbeitspapier Nr. 2/2003), in: http://www.sozialwiss.uni-ham-burg.de/publish/Ipw/Akuf/publ/ap2-03.pdf; 4.2.2004.

Gillingham, John: European Integration, 1950-2003: Superstate or New Market Economy?,Cambridge: Cambridge University Press 2003.

Hayward, Jack/Menon, Anand (Hrsg.): Governing Europe, Oxford: Oxford University Press2003.

Neuerscheinungen

157ZIB 1/2004

Scharpf, Fritz W.: Problem-Solving Effectiveness and Democratic Accountability in the EU(MPIfG Working Paper 03/1, Februar 2003), in: http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/workpap/wp03-1/wp03-1.html; 21.1.2004.

Schlotter, Peter (Hrsg.): Europa – Macht – Frieden? Zur Politik der »Zivilmacht Europa«(AFK-Friedensschriften, Band 30), Baden-Baden: Nomos 2003.

von Bogdandy, Armin (Hrsg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatischeGrundzüge, Heidelberg: Springer 2003.

Wallace, Helen (Hrsg.): Interlocking Dimensions of European Integration, Basingstoke: Pal-grave Macmillan 2001.

Wiener, Antje/Diez, Thomas (Hrsg.): European Integration Theory, Oxford: Oxford UniversityPress 2003.

5. Sicherheit und Frieden

Bos, Ellen/Helmerich, Antje (Hrsg.): Neue Bedrohung Terrorismus. Der 11. September 2001und die Folgen, Münster: LIT Verlag 2003.

Buzan, Barry/Wæver, Ole: Regions and Powers: The Structure of International Security, Cam-bridge: Cambridge University Press 2003.

Caprioli, Mary/Trumbore, Peter F.: Identifying »Rogue« States and Testing their InterstateConflict Behavior, in: European Journal of International Relations 9 (2003): 3, 377-406.

Crawford, Timothy Wallace: Pivotal Deterrence: Third-Party Statecraft and the Pursuit ofPeace, Ithaca, NY: Cornell University Press 2003.

Cronin, Audrey Kurth/Ludes, James M. (Hrsg.): Attacking Terrorism: Elements of a GrandStrategy, Washington, DC: Georgetown University Press 2004.

Debiel, Tobias: UN-Friedensoperationen in Afrika. Weltinnenpolitik und die Realität vonBürgerkriegen, Bonn: J. H. W. Dietz-Verlag 2003.

Guzzini, Stefano/Jung, Dietrich (Hrsg.): Contemporary Security Analysis and CopenhagenPeace Research, London: Routledge 2003.

Küng, Hans/Senghaas, Dieter (Hrsg.): Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationalerBeziehungen, München: Piper 2003.

Rosato, Sebastian: The Flawed Logic of Democratic Peace Theory, in: American Political Sci-ence Review 97 (2003): 4, 585-602.

Schneider, Gerald/Barbieri, Katherine/Gleditsch, Nils Petter (Hrsg.): Globalization andArmed Conflict, Lanham, MD: Rowman and Littlefield 2003.

Senghaas, Dieter: Die Konstitution der Welt – eine Analyse in friedenspolitischer Absicht, in:Leviathan 31 (2003): 1, 117-152.

Stedman, Stephen John/Rothchild, Donald/Cousens, Elizabeth M. (Hrsg.): Ending Civil Wars:The Implementation of Peace Agreements, Boulder, CO: Lynne Rienner 2002.

Stevens, Anthony: Roots of War and Terror, London: Continuum International PublishingGroup 2003.

Theiler, Olaf: Die NATO im Umbruch. Bündnisreform im Spannungsfeld konkurrierenderNationalinteressen (Schriften der Akademie der Bundeswehr für Information und Kom-munikation, Band 26), Baden-Baden: Nomos 2003.

Thiel, Ansgar: Soziale Konflikte, Bielefeld: Transcript 2003.

Neuerscheinungen

158

6. Internationale Politische Ökonomie

Blyth, Mark/Spruyt, Hendrik: Our Past as Prologue: Introduction to the Tenth AnniversaryIssue of the Review of International Political Economy, in: Review of International Poli-tical Economy 10 (2003): 4, 607-620.

Görg, Christoph/Wissen, Markus: National dominierte globale Herrschaft. Zum Verhältnisvon Uni- zu Multilateralismus in der »Neuen Weltordnung«, in: Prokla 133 (4/2003),625-644.

Harrod, Jeffrey/O’Brien, Robert (Hrsg.): Global Unions? Theory and Strategies of OrganizedLabour in the Global Political Economy, London: Routledge 2002.

Harvey, David: The New Imperialism, Oxford: Oxford University Press 2003.Panitch, Leo/Leys, Colin (Hrsg.): The New Imperial Challenge: Socialist Register 2004, New

York, NY: Monthly Review Press 2003.Picciotto, Sol: Private Rights vs Public Standards in the WTO, in: Review of International

Political Economy 10 (2003): 3, 377-405.Sassen, Saskia: Globalization or Denationalization? in: Review of International Political Eco-

nomy 10 (2003): 1, 1-22.Silver, Beverly J.: Forces of Labour: Workers’ Movements and Globalization Since 1870,

Cambridge: Cambridge University Press 2003.

7. Nord-Süd-Beziehungen / Entwicklungspolitik

Collier, Paul/Elliott, Lani/Hegre, Håvard/Hoeffler, Anke/Reynal-Querol, Marta/Sambanis,Nicholas: Breaking the Conflict Trap: Civil War and Development Policy (World BankPolicy Research Reports), Washington, DC: World Bank/Oxford University Press 2003.

McGowan, Patrick J./Nel, Philip (Hrsg.): Power, Wealth and Global Equity: An InternationalRelations Textbook for Africa, 2. Auflage, Kapstadt: University of Cape Town Press2002.

South African Institute of International Affairs (Hrsg.): South African Yearbook of Internatio-nal Affairs 2002/03, Johannesburg: South African Institute of International Affairs 2003.

8. Internationales Problemfeld: Umwelt

Beisheim, Marianne: Fit für Global Governance? Transnationale Interessengruppenaktivitätenals Demokratisierungspotenzial – am Beispiel Klimapolitik (Bürgergesellschaft undDemokratie, Band 16), Opladen: Leske + Budrich 2003.

Brunnengräber, Achim (Hrsg.): Die Globalen Öffentlichen Güter unter Privatisierungsdruck.Festschrift für Elmar Altvater, Münster: Westfälisches Dampfboot 2003.

9. Internationales Problemfeld: Menschenrechte

Commission on Human Security: Human Security Now, New York, NY: Commission onHuman Security 2003, in: http://www.humansecurity-chs.org/finalreport/FinalRe-port.pdf; 18.2.2004.

Schilling, Theodor: Internationaler Menschenrechtsschutz. Universelles und EuropäischesRecht, Tübingen: Mohr Siebeck 2004.

159Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 159-163

Mitteilungen der Sektion Internationale Politik

1. Tagung der Sektion Internationale Politik der DVPW

»Zum Verhältnis Wissenschaft, Gesellschaft und Politik: Die neuen (I)nternationa-len Beziehungen an der Schnittstelle eines alten Problems«; Berlin, im März 2005

Mit dem Aufruf, das Verhältnis der Politikwissenschaft zur politischen Praxis einer»Neubestimmung« zu unterziehen, eröffnete der damalige Vorsitzende der Deut-schen Vereinigung für Politische Wissenschaft, Udo Bermbach, Mitte der Siebziger-jahre einen wissenschaftlichen Kongress der DVPW. Er knüpfte damit an eine rechtintensive Beschäftigung der Sozialwissenschaften mit diesem Thema an und leisteteselbst einen Beitrag (u. a. im Rahmen des PVS-Sonderheftes Nr. 9) zur Fachdiskus-sion. Seither ist das politikwissenschaftliche Interesse an der Problemstellungjedoch stark zurückgegangen, wie jüngst sowohl der Bielefelder Soziologe PeterWeingart wie auch Michael Greven auf dem letzten DVPW-Kongress unabhängigvoneinander feststellten. Diese Entwicklung ist, um mit Peter Weingart einen distan-zierten Beobachter zu zitieren, umso überraschender, »als der gesamte Problem-komplex sowohl von hohem theoretischen als auch von erheblichem praktischenInteresse ist«.

Der Vorstand der Sektion Internationale Politik teilt diese Defizitanalyse und plantvor diesem Hintergrund für März 2005 eine Sektionstagung in Berlin, die zum einenden Anschluss an und die Auseinandersetzung mit der neueren Wissenschaftsfor-schung suchen und zum anderen die Implikationen dieser Forschung für das Wech-selverhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft neu thematisieren soll.Die Problemstellung verweist darauf, dass das Forschungsfeld in den (i)nternationa-len Beziehungen noch keine klaren Konturen besitzt. Die Sektionstagung wird sichdaher unter anderem mit folgenden Themengebieten beschäftigen müssen:

Wissensproduktion

Die Entstehungsbedingungen und -kontexte wissenschaftlichen wie nicht-wissen-schaftlichen Wissens sind ein wichtiges Themenfeld der neueren Wissenschaftsfor-schung. Sie sind in den letzten Jahren in unterschiedlicher Form auch Forschungsge-genstand in den IB gewesen (z. B. in der epistemic communities- oder learning-Literatur). Von Interesse sind hier – theoretisch wie empirisch – die Entstehungsbe-dingungen verschiedener Wissensformen als auch das Selbstverständnis unter-schiedlicher Wissensproduzenten. Dazu zählen in einem breiten Zugriff neben Wis-senschaftlern im universitären Umfeld u. a. auch politiknahe think tanks,Diplomaten, Nachrichtendienste oder NGOs. Unter anderem sollte es hier auch um

Mitteilungen der Sektion Internationale Politik

160

die Frage gehen, was die jeweiligen Wissensformen auszeichnet und worin sie sichunterscheiden.

Wissenskommunikation und -transformation

Die alte Vorstellung, wonach Wissenskommunikation zwischen Wissenschaft undPolitik dergestalt funktioniert, dass die Wissenschaft der Praxis ihr Wissen zur Ver-fügung stellt und diese jene nicht nur mit den nötigen Ressourcen versorgt, sondernauch (zumindest in Teilen) gewisse Aufgabenstellungen vorgibt, ist durch dieWissenschaftsforschung schon länger verworfen worden. Der Prozess der Wissens-kommunikation gilt demgemäß als weit vielfältiger und komplexer. Die For-schungsergebnisse aus anderen Feldern legen dabei nahe, die Kommunikationszu-sammenhänge genauer zu untersuchen, in denen Wissen ausgetauscht wird, wie essich dabei verändert und welche Folgen diese Kommunikationsprozesse jeweils zei-tigen. Von Interesse sind dabei:– Kommunikationsformen, die die Grenzen zwischen unterschiedlichen Wissens-

produktionstätten überschreiten – z. B. klassische Beratungskonstellationen zwi-schen Wissenschaftler, Politikberater und Entscheidungsträger bei Fachtagun-gen, aber auch neuere Netzwerkbildungen, die längerfristig angelegt sind undauch stärker zivilgesellschaftliche Akteure einbeziehen sollen (etwa große inter-nationale Konferenzen im Rahmen internationaler Organisationen oder inner-staatliche Foren wie das »Forum Globale Fragen«); hierzu zählen auch Fragen,die sich aus der zunehmenden Gründung so genannter professional schools nachUS-amerikanischem Muster ergeben (z. B. welches Wissen für die Ausbildungfür den höheren diplomatischen Dienst notwendig ist, das (etwa) in einer klassi-schen politikwissenschaftlichen Ausbildung mit internationalem Schwerpunktverzichtbar ist, und umgekehrt);

– Kommunikationsformen innerhalb bestimmter Wissensproduktionszirkel – z. B.wissenschaftsinterne Kommunikation über peer review journals, aber auch dieDiffusion wissenschaftlichen Wissens von hoch spezialisierten Publikationskon-texten hin zu solchen, die an eine breite Öffentlichkeit gerichtet sind (z. B. vonIO über Foreign Affairs zur Meinungsseite der New York Times), oder auch inumgekehrter Richtung (z. B. wenn Wissenschaftler die Ideen politischer Ent-scheidungsträger in Forschungsprojekte übersetzen); hierzu zählt auch die häu-fig zu vernehmende Klage von Praktikern, dass vieles von dem, was inhochspezialisierten Fachzeitschriften veröffentlicht wird, für die politische Pra-xis völlig untauglich und deshalb »irrelevant« sei;

– die Transformation von Wissensbeständen vom Wissenschafts- zum Anwen-dungsbezug, also wie sich Inhalte in diesem Transformationsprozess oder imWechselspiel zwischen Wissenschaft und Anwendung verändern –z. B. Ideen,die sich entweder primär in eher »theoretischen« bzw. »praktischen« Kontextenoder aber im Wechselspiel zwischen beiden herausgeschält haben, wie die Ideeder »gemeinsamen Sicherheit«;

– die Folgen von Wissenskommunikations- und -transformationsprozessen – dabeistellt sich die Frage, wie diese Prozesse die Praxis der Politik, aber auch der

Mitteilungen der Sektion Internationale Politik

161ZIB 1/2004

Wissenschaft verändern (z. B. Prägung von Forschungsagenden bzw. ganzerForschungslandschaften; institutionelle Veränderungen in der »Beratung« politi-scher Praxis usw.).

Diese Liste kann aber nur erste Anhaltspunkte dafür bieten, welchen Themen sichdie Sektionstagung im März 2005 widmen sollte, um neue Probleme an den Schnitt-stellen von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, insbesondere im Hinblick auf dieDisziplin der Internationalen Beziehungen, in den Blick zu bekommen.

2. Ankündigung »Offene Sektionstagung«

Die Sektion Internationale Politik der DVPW veranstaltet voraussichtlich vom 14.-16. April 2005 an der Universität Mannheim eine offene Sektionstagung. DieTagung soll neben den spezialisierten Sektionstagungen (Themenworkshops undNachwuchstagungen) ein regelmäßiges Forum für den gesamten Bereich der Inter-nationalen Beziehungen etablieren. Eine Beteiligung aus benachbarten Sektionen,Arbeitskreisen und Ad-hoc-Gruppen ist sehr erwünscht. Für die offene Sektionsta-gung können Vorschläge für einzelne Papiere, aber auch ganze Panels bis zum 1.November 2004 an Frank Schimmelfennig ([email protected]) eingereicht werden. Weitere Informationen folgen auf der Internet-Seite der Sektion und über die IB-Mailing-Liste.

3. Neue Mailing-Liste

Seit Dezember 2003 ist eine neue Mailing-Liste aktiviert, die die Kommunikationzwischen Sektionsvorstand und Sektion verbessern soll. Sie kann nur durch denVorstand der Sektion bedient werden. Mitglieder der DVPW, die ihre Adresse die-ser Mailingliste hinzufügen wollen, senden bitte eine Mail mit dem Betreff »Auf-nahme auf Sektionsmailing-Liste« an [email protected]. Der Vorstand der Sektionwird diese Mailing-Liste mit Bedacht einsetzen, so dass niemand fürchten muss, ineiner Flut von Mails zu ertrinken. Anregungen zur Nutzung und Verbesserung die-ser neuen Kommunikationsmöglichkeit sind willkommen. Bitte wenden Sie sichauch in diesen Fällen an [email protected].

4. Bericht der Tagung »Politik – Wirtschaft – Gesellschaft. Theorien und Problemfelder internationaler Beziehungen«

Sechste wissenschaftliche Tagung der Nachwuchsgruppe der Sektion InternationalePolitik der DVPW, 30. Januar bis 1. Februar 2004, im Studienhaus Wiesneck inBuchenbach bei Freiburg i. Brsg.

Die Sechste Tagung der Nachwuchsgruppe der Sektion Internationale Politik derDVPW fand vom 30. Januar bis 1. Februar 2004 im Studienhaus Wiesneck inBuchenbach bei Freiburg i. Brsg. statt. Unter dem Thema »Politik – Wirtschaft –Gesellschaft. Theorien und Problemfelder internationaler Beziehungen« kamen die-

Mitteilungen der Sektion Internationale Politik

162

ses Mal circa 50 NachwuchswissenschaftlerInnen zusammen. Aus den insgesamteingesandten 35 Vorschlägen wurden durch ein anonymes Begutachtungsverfahren17 Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ausgewählt, ihre Arbeitenvor einem interessierten Fachpublikum zu diskutieren. Wie schon in der Vergangen-heit konnten auch diese Mal wieder »etablierte« Fachvertreter und Fachvertreterin-nen gewonnen werden, die Papiere zu kommentieren.

Während des Treffens der Nachwuchsgruppe im Rahmen der Tagung wurden am31. Januar Nicole Deitelhoff (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung,Frankfurt a. M.) und Tatjana Reiber (Universität der Bundeswehr, München) alsneue Nachwuchssprecherinnen für die nächsten zwei Jahre gewählt. Sie treten dieNachfolge von Anja Jetschke (Universität Freiburg) und Rainer Baumann (Univer-sität Frankfurt a. M.) an. Ferner wählte die Nachwuchsgruppe Silke Weinlich (Uni-versität Bremen) und Klaus Dingwerth (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)zu den beiden StellvertreterInnen.

Weitere Themen der Versammlung betrafen die Ausgestaltung der neuen Home-page der Nachwuchsgruppe, die nunmehr unter der Adresse: http://www.unibw-muenchen.de/ifip/ib-nachwuchsgruppe.html zu finden ist. Ferner wurde angeregt,die Nachwuchsgruppe durch alternative, zusätzliche Treffen noch intensiver zu ver-netzen und neben der im Zweijahres-Turnus stattfindenden Nachwuchstagung wei-tere Workshops zu organisieren. Mehrere Tagungsteilnehmer sprachen sich dafüraus, angesichts der Finanzierungsprobleme von Tagungen und Workshops geradefür den Nachwuchs eine Liste von günstigen Tagungsstätten zu sammeln und auf dieHomepage zu stellen. Die Nachwuchssprecherinnen nehmen gern Ideen und Anre-gungen zu diesen Punkten entgegen. Außerdem steht die Mailing-Liste, die inzwi-schen mehr als 500 Abonnenten aufweist, natürlich auch weiterhin für Diskussionund Informationsaustausch zur Verfügung (Anmeldung über [email protected]).

Die »alten« und »neuen« NachwuchssprecherInnen möchten im Namen der Nach-wuchsgruppe nochmals allen Teilnehmenden, vor allem den anwesenden Vertreter-Innen des Sektionsvorstands sowie den Kommentatoren und Kommentatorinnen,herzlich für ihr Engagement danken.

Die für den Bericht verantwortlichen Nachwuchssprecherinnen sind unter den fol-genden Adressen zu erreichen:

Nicole DeitelhoffHessische Stiftung Friedens- und KonfliktforschungLeimenrode 2960322 Frankfurt a. M.

Tel: 069/959104-41Fax: 069/[email protected]

Tatjana ReiberUniversität der Bundeswehr MünchenInstitut für Internationale Politik, Sicherheitspolitik, Wehr- und VölkerrechtWerner-Heisenberg-Weg 3985577 NeubibergTel: 089/6004-3966Fax: 089/[email protected]

Mitteilungen der Sektion Internationale Politik

163ZIB 1/2004

Für Rückfragen stehen die Sprecher der Sektion unter folgenden Adressen zurVerfügung:

Prof. Dr. Gunther Hellmann [Geschäftsführung in 2004]Johann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtFB Gesellschaftswissenschaften, Institut für Vergleichende Politikwissenschaftund Internationale BeziehungenRobert-Mayer-Straße 5, Fach 10260054 Frankfurt/[email protected]: 069/7 98-2 51 91 oder 069/7 98-2 26 67Fax: 069/7 98-2 84 60

PD Dr. Peter RudolfStiftung Wissenschaft und PolitikLudwigkirchplatz 3-410719 [email protected]: 030/88007-242Fax: 030/88007-100

PD Dr. Frank SchimmelfennigUniversität MannheimMannheimer Zentrum für Europäische SozialforschungPostfach68131 [email protected]: 0621/1812813Fax: 0621-1812845

Verantwortlich für die Zusammenstellung dieser Rubrik ist derVorstand der Sektion Internationale Politik der DVPW

165Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 165-168

Abstracts

Andreas WimmelTransnational DiscoursesAnalyzing Political Communication in the European Public SphereZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 7-25

In debates about a European public sphere it is frequently claimed that so far notransnational discourse has been established within the European Union. While it isacknowledged that the national mass media inform the member states’ publics aboutEU policies and politics, genuine cross-border communication is said to be lacking.Against this background the article firstly defines what exactly can be understood bya transnational discourse. Secondly, a discourse-analytical method is proposed bywhich discussions in the mass media can be examined. Thirdly, this method isapplied to the case of public debates on a possible EU-accession of Turkey in Ger-many, France and Great Britain. Findings indicate that, contrary to general asser-tions, there is a transnational discourse which may be the base of a comprehensivetransnational European public sphere.

Hartmut BehrThe UN Anti-Terrorism Policy Since SC Resolution 1373A Critical Review in the Light of Transnational ThreatsZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 27-59

Since 9/11 the UN’s efforts to fight terrorism have received new impulses eventhough the world organization has been involved in anti-terrorism for some 30 yearsnow. The attacks of 9/11, however, challenged the UN in new ways. This was theresult of the changed character of terrorism itself which became globally organizedand thus gained more powerful strategic options than ever before. The UN wellrecognized these threats, nevertheless, some desiderata remain. To reflect on theseand to further develop strategic imperatives to fight terrorism, the new transnationalchallenge has to be specified theoretically and conceptually. States, and because ofits own global character particularly the UN must adopt the strategic logic of trans-national actors, namely of transnational terrorists. Adopting the transnational logicwould enable the UN to manage the structural, political and social environment inwhich terrorism emerges and in which terrorist groups act.

Abstracts

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Benjamin HerborthCutting Constructivism into HalvesConstitutive Effects on the Via MediaZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 61-87

The via media, combining a post-positivist stance in ontological questions and apositivist epistemology, made constructivism a generally accepted approach inInternational Relations. Showing how structures of world politics can be (re-)constructed, many of its proponents argue, it contributes to a more appropriateunderstanding of social change. Against this background it seems surprising thatsocial action, the trigger of open processes of transformation remains undertheori-zed. Proceeding as an internal critique, the article thus shows how the constitutiveeffects of social action could be conceptualized based on George Herbert Mead’ssocial theory, discussed by Wendt in a curtailed form, and illustrates the repercus-sions of such a re-conceptualization for the concepts of structure and agency in viamedia constructivism.

James Der Derian9/11 and Its Consequences for the DisciplineZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 89-100

From 9/11 to the war in Iraq, a gap has opened in IR between not only theoreticalapproaches but political positions. In official circles, the exceptionality of the attack,a sense of insecurity, and reflexive acts of patriotic affirmation laid the ground for aunilateral and pre-emptive definition of friend and foe. Assessing the impact of 9/11was hindered by the discipline’s resistance to the study of affect (fear, hate, andempathy) as well as by the methodological predominance of approaches that cannotkeep up with the accelerated and mediated nature of global politics. Leading up tothe Iraq war, peculiar disciplinary alliances emerged: critical and realist theoristsagainst the war on one side, neoliberal and humanitarian interventions for the war onthe other. This essay offers an alternative approach, based on a decoding of the USnational security doctrines that emerged from 9/11.

Abstracts

167ZIB 1/2004

Charles A. KupchanNew Reasearch Agenda? Yes. New Paradigm? NoZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 101-109

This essay contends that the events of September 11 do not necessitate a rethinkingof the main paradigms in the field of international relations. All the major questionsfacing scholars prior to September 11, and the analytic perspectives used to addressthose questions, continue to be relevant today. A host of new and urgent questionsshould now be on the scholarly agenda, including: Weak States and Failed States;Religion and International Politics; Terrorism and its Impact on Great Power Beha-vior; Domestic Politics, Foreign Policy, and Benign Hegemony; and Reframing theAtlantic Link. Nonetheless, these are questions that broaden our research agendarather than ones that require a fundamental reconsideration of the foundations of thatagenda. Our paradigmatic approaches should change as the field evolves. But thatchange should come as part of a natural intellectual evolution, not as a precipitousreaction to the events of September 11.

Thomas Risse11/9 and 9/11Consequences for the DisciplineZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 111-121

11/9/1989 – the end of the Cold War – challenged core assumptions of internationalrelations theory and led to extensive soul-searching within the International Relati-ons (IR) community. In contrast, 9/11/2001 has not led to similar debates so far.While IR scholars have been busy writing about transnational terrorism, US foreignpolicy, and the like, the leading IR journals have only started publishing theory-gui-ded empirical research on 9/11 and its consequences. But it is unlikely that 9/11 willgenerate similar paradigmatic debates as 11/9, mainly because of the consequencesof these latter debates. The end of the Cold War opened theoretical space and enab-led paradigmatic pluralism that could help us now to understand the consequencesof 9/11. I argue that the existing IR theory tool-kit can be brought to bear on the ana-lysis of transnational terrorist networks and its implications for world politics. Thus,the theoretical wheel does not require re-invention.

Abstracts

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Harald MüllerThink Big!9/11 and Its Consequences for International RelationsZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 123-133

While the terrorist attacks of September 11 have not changed the whole world, assome suggest, their interpretation presents a considerable challenge to the academicfield of International Relations. In terms of causality and consequences, transnatio-nal terrorism and its relationship to the »ordinary« world of states is of such comple-xity as to make mainstream positivist approaches rather futile. We have to relearn tothink in contradictions, antinomies, paradoxes and dilemmas, that is, in a dialecticalway. We have to rediscover contingency and singularity as inherent elements ofinternational politics. We have to give agency equal rank with structure which someapproaches do rhetorically, but not in the practice of their work. And we must under-stand that without an ethics of international relations, existing cleavages between theWest and other parts of the world will not be adequately understood.

Stefano GuzziniBusiness as UsualIR and Its Roles after September 11ZIB, Vol. 11, No. 1, pp. 135-146

Criticized for its theoretical inertia before the end of the Cold War, the discipline ofInternational Relations has largely escaped similar blame with regard to 9/11. Thistime around, so the article argues, the discipline tried consciously to keep doingbusiness as usual in the three communities that define the discipline: the learningcommunity in the daily discussions within universities, the academic communityand its state of research, and the epistemic community with its place in the publicpolitical debate. The universities did respond; relevant research has been going on,although sometimes under other labels and at the margins of the mainstream; and thepolitical resistance against the assumption of a profound change was a way to keepsome distance and open rational space in an often very emotional or ideologicaldebate. Yet, there is not one discipline. The strategy of stemming the tide was nei-ther general, nor did it always work. Indeed, the debate about 9/11 shows the extentto which »the« discipline is still defined by the concerns of the major countries.

169Zeitschrift für Internationale Beziehungen11. Jg. (2004) Heft 1, S. 169-170

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Hartmut Behr Dr., Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft, Uni-versität Jena und JSPS Visiting Professor, GraduateSchool for Humanities and Social Sciences, Institute ofSocial Sciences, University of Tsukuba, 1-1-1-enno dai,Tsukuba-shi, 305-8571, Japan,E-Mail: [email protected]

James Der Derian Ph.D., Professor of Political Science, University of Mas-sachusetts at Amherst und Research Professor of Interna-tional Relations, Watson Institute for International Studies,Brown University, Box 1970, Providence, RI 02912, USA,E-Mail: [email protected]

Stefano Guzzini Ph.D., Associate Professor of Government an der Univer-sität Uppsala und Senior Researcher am Danish Institutefor International Studies, Strandgade 56, DK-1401 Copen-hagen K, Dänemark,E-Mail: [email protected]

Gunther Hellmann Dr., Professor für Politikwissenschaft an der Johann Wolf-gang Goethe-Universität Frankfurt a. M., Robert-Mayer-Straße 5, Fach 102, 60054 Frankfurt a. M.,E-Mail: [email protected]

Benjamin Herborth M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ver-gleichende Politikwissenschaft und International Bezie-hungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurta. M., Robert-Mayer-Straße 5, 60054 Frankfurt a. M.,E-Mail: [email protected]

Michèle Knodt Dr., Projektleiterin: »Regieren im erweiterten Mehrebe-nensystem« im Mannheimer Zentrum für EuropäischeSozialforschung (MZES) sowie wissenschaftliche Mitar-beiterin am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft II derUniversität Mannheim, 68131 Mannheim,E-Mail: [email protected]

Aufsätze

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Charles A. Kupchan Ph.D., Associate Professor of International Affairs, Geor-getown University, Senior Fellow, Council on ForeignRelations, Department of Government, Georgetown Uni-versity, ICC 6th Floor, Washington, DC 20057, USA,E-Mail: [email protected].

Harald Müller Dr., Geschäftsführendes Vorstandsmitglied und For-schungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung und Professor für Politikwissen-schaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frank-furt a. M., HSFK, Leimenrode 29, 60322 Frankfurt a. M.,E-Mail: [email protected]

Thomas Risse Dr., Professor für internationale Politik am Otto Suhr Ins-titut für Politische Wissenschaft, Freie Universität Berlin,Ihnestr. 22, 14195 Berlin,E-Mail: [email protected]

Frank Schimmelfennig Dr., PD, Fellow am Mannheimer Zentrum für EuropäischeSozialforschung, Universität Mannheim, 68131 Mannheim,E-Mail: [email protected]

Wolfgang Wagner Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stif-tung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK, Leimen-rode 29, 60322 Frankfurt a. M.,E-Mail: [email protected]

Andreas Wimmel Dipl. Pol., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderfor-schungsbereich »Staatlichkeit im Wandel« an der Univer-sität Bremen, Linzer Str. 9a, 28359 Bremen,E-Mail: [email protected]