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NOMOS ISSN 0946-7165 1/2010 17. Jahrgang Heft 1 Juni 2010 Hrsg. im Auftrag der Sektion Internationale Politik der DVPW Zeitschrift für Internationale Beziehungen Aus dem Inhalt Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/ Christoph Trinn/Nicolas Schwank Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive Johannes Marx Is There a Hard Core of IR? Eine wissenschaftstheoretische Betrachtung der Theorien der Internationalen Beziehungen Karsten Lehmann Interdependenzen zwischen Religions- gemeinschaften und internationaler Politik Religionswissenschaftliche Anmerkungen zu politikwissenschaftlichen Religionskonzeptionen Forum (I)nternationale Beziehungen und Religion Mit Beiträgen von Claudia Baumgart-Ochse, Mariano Barbato, Elizabeth Shakman Hurd, Jonathan Fox/Nukhet A. Sandal

ISSN 0946-7165 Zeitschrift für VERLAG zeitschrift für 1/2010 … · 2013-05-16 · Carlo Masala/Stephan Stetter/Sebastian Enskat Editorial Mit dem Jahreswechsel 2009/2010 hat die

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NOMOS

ISSN 0946-7165

1/201017. Jahrgang

Heft 1Juni 2010

Hrsg. im Auftrag der Sektion Internationale Politik der DVPW

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

Aus dem InhaltUwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/ Christoph Trinn/Nicolas SchwankKulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive

Johannes MarxIs There a Hard Core of IR? Eine wissenschaftstheoretische Betrachtung der Theorien der Internationalen Beziehungen

Karsten LehmannInterdependenzen zwischen Religions-gemeinschaften und internationaler PolitikReligionswissenschaftliche Anmerkungen zu politikwissenschaftlichen Religionskonzeptionen

Forum(I)nternationale Beziehungen und ReligionMit Beiträgen von Claudia Baumgart-Ochse, Mariano Barbato, Elizabeth Shakman Hurd, Jonathan Fox/Nukhet A. Sandal

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/2010

17:1

WOCHENSCHAU VERLAG

Adolf-Damaschke-Str. 10, 65 824 Schwalbach/Ts., Tel.: 06196 / 8 60 65, Fax: 06196 / 8 60 60, www.wochenschau-verlag.de

... ein Begriff für politische Bildung

www.zeitschriftfuermenschenrechte.de

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Die zfmr ist die wissen-schaftliche Fachzeitschrift für die Menschenrechtsfor-schung. Sie bündelt die De-batte um Menschenrechte und Menschenrechtspolitik in der Politikwissenschaft und bietet ein aktuelles Forum zur sozialwissen-schaftlichen Analyse von Menschenrechtsfragen.

In der zfmr fi nden Sie Bei-träge zur historisch-syste-matischen Entwicklung, zur Legitimation, Interpretation und Umsetzung sowohl der bürgerlich-politischen als auch der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte und da-mit den Anschluss an den internationalen Menschen-rechtsdiskurs.

Im wissenschaftlichen Beirat der zfmr sind ver-treten: Zehra Arat | Heiner Bielefeldt | Marianne Bra-ig | Horst Fischer | Rainer Forst | Karl-Peter Fritzsche | Brigitte Hamm | Rainer Huhle | Paul Martin | Anja Mihr | Uta Ruppert | Rai-ner Schmalz-Bruns | Beate Wagner | Annette Zimmer.

Herausgeber

Tessa Debus, Regina Kreide, Michael Krenne-rich, Karsten Malowitz, Arnd Pollmann und Susanne Zwingel

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INHALT

Carlo Masala/Stephan Stetter/Sebastian EnskatEditorial ........................................................................................ 3

AUFSÄTZE

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas SchwankKulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive ............... 7

Johannes MarxIs There a Hard Core of IR?Eine wissenschaftstheoretische Betrachtung der Theorien der InternationalenBeziehungen ................................................................................... 41

Karsten LehmannInterdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und internationalerPolitikReligionswissenschaftliche Anmerkungen zu politikwissenschaftlichen Reli-gionskonzeptionen ............................................................................ 75

FORUM(I)nternationale Beziehungen und Religion

Claudia Baumgart-OchseReligiöse Akteure und die Opportunitätsstruktur der internationalenBeziehungenEine Replik auf Karsten Lehmann ........................................................ 101

Mariano BarbatoPostsäkulare Internationale BeziehungenEine Replik auf Karsten Lehmann ........................................................ 119

Elizabeth Shakman HurdDebates within a Single Church: Secularism and IR Theory .................. 135

Jonathan Fox/Nukhet A. SandalToward Integrating Religion into International Relations Theory ........... 149

Mitteilungen der Sektion .................................................................. 161

Abstracts ....................................................................................... 163

Autorinnen und Autoren dieses Heftes ............................................... 167

ZIB 1/2010 1

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Carlo Masala/Stephan Stetter/Sebastian Enskat

Editorial

Mit dem Jahreswechsel 2009/2010 hat die Redaktion der Zeitschrift für InternationaleBeziehungen (ZIB) ihren inzwischen vierten Umzug hinter sich gebracht. Räumlichgesehen war dieser Umzug allerdings kaum der Rede wert. Von der Ludwig-Maxi-milians-Universität in München, wo die ZIB in den vergangenen fünf Jahren vonChristopher Daase verantwortet wurde, ging es an die nur wenige Kilometer entfernteUniversität der Bundeswehr München (UniBw) in Neubiberg, wo die ZIB für diekommenden fünf Jahre angesiedelt sein wird.

Was Christopher Daase in seinem Abschluss-Editorial geschrieben hat, soll hiernoch einmal unterstrichen werden: leicht gemacht worden ist es der ersten MünchnerZIB-Redaktion wahrlich nicht. Umso größeren Respekt verdient daher die Leistungvon Herausgeber und Redaktionsteam. Dass die Redaktionsarbeit fünf Jahre lang fastausschließlich aus den finanziellen und personellen Mitteln des Lehrstuhls für Inter-nationale Politik bestritten werden musste, war der ZIB zu keinem Zeitpunkt anzu-merken. Dies ist in besonderem Maße auch das Verdienst von Steven Wakat, der dieZIB als verantwortlicher Redakteur nicht nur an der LMU in bewundernswert pro-fessioneller Art und Weise betreut hat, sondern auch entscheidend daran beteiligt war,dass der Umzug an die UniBw so schnell und reibungslos vonstatten ging.

Es ist vor allem der UniBw zu verdanken, dass die neue Redaktion deutlich bessereBedingungen vorfindet, als dies beim letzten Umzug der Fall war. Die Fakultät fürStaats- und Sozialwissenschaften finanziert nicht nur für fünf Jahre die Stelle einesleitenden Redakteurs, sondern stellt darüber hinaus – gemeinsam mit dem NOMOS-Verlag – die Mittel für die Stelle einer Redakteurin für besondere Aufgaben zur Ver-fügung. Marina Karbowski, die diese Stelle übernommen hat, wird sich dabei vorallem um zwei Projekte kümmern, die uns besonders am Herzen liegen:

(1) Seit ihrer Gründung hat sich die ZIB vor allem auch als Forum für Debatteneinen Namen gemacht, die die wissenschaftliche Diskussion in der Disziplin – undteilweise auch darüber hinaus – nachhaltig geprägt haben. Die so genannte ZIB-De-batte ist dabei nur das prominenteste Beispiel für eine Vielzahl an Beiträgen zu un-terschiedlichsten Themen, die sich explizit oder implizit aufeinander beziehen. The-matische Schwerpunkte zu identifizieren, besonders einschlägige Beiträge auszu-wählen und diese gebündelt in so genannten ZIB Readers verfügbar zu machen, istdeshalb eines der beiden Projekte, derer wir uns im laufenden Jahr neben der eigent-lichen Redaktionsarbeit angenommen haben. Der erste ZIB Reader wird bereits in derzweiten Jahreshälfte 2010 beim NOMOS-Verlag erscheinen.

(2) Um auch den akademischen Nachwuchs möglichst frühzeitig mit den Standardswissenschaftlichen Arbeitens sowie dem zentralen Publikationsorgan der Disziplinvertraut zu machen, möchten wir außerdem einen ZIB-Lehrleitfaden entwickeln, an-

Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 3 – 5

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hand dessen sich die ZIB gezielt für die Lehre einsetzen lässt, sowohl in Seminarenals auch in selbstorganisierten Gruppen Studierender. Wir sind davon überzeugt, dassStudierende viel von der wissenschaftlichen Qualität, dem hohen Reflexionsgrad intheoretischen und methodischen Fragen und der Verknüpfung von Theorie und Em-pirie lernen können, die die ZIB auszeichnen.

Beim eigentlichen Kerngeschäft, der Redaktionsarbeit, sehen wir gute Gründe fürKontinuität und wenig Anlass für Wandel. Jene Änderungen, die wir etwa an derStruktur der Hefte vorzunehmen gedenken, halten sich deshalb auch in Grenzen. Ide-altypisch umfasst jede Ausgabe der ZIB unter unserer Regie drei begutachtete Auf-sätze, die einen originären, theoretisch und methodisch reflektierten Beitrag zur Dis-ziplin Internationale Beziehungen1 im weiteren Sinne leisten sowie entweder die Ru-brik Forum oder die Rubrik Symposium.

Das Forum soll auch in Zukunft vor allem Raum bieten, auf Beiträge im selbenoder einem bereits erschienenen Heft zu reagieren und wissenschaftliche Kontrover-sen auszutragen. Gleichzeitig möchten wir das Forum weiterhin nutzen, um das voreinigen Jahren von Gunther Hellmann und Harald Müller angeregte Ausloten inter-disziplinärer Grenzen voranzutreiben. Foren werden deshalb in den nächsten Jahrenhäufiger unter einer Überschrift nach dem Muster »(I)nternationale Beziehungen und…« stehen. Den Anfang macht das Forum zu »(I)nternationale Beziehungen und Re-ligion«. Anlässlich des Beitrags von Karsten Lehmann in diesem Heft haben wir fünfAutorinnen und Autoren gebeten, auf diesen Beitrag zu reagieren bzw. sich ihrerseitsGedanken zur Rolle von Religion in den (I)nternationalen Beziehungen zu machen.

Hinter der inzwischen etablierten Rubrik Symposium steht die Idee, Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler zusammenzubringen, um über ein besonders einschlä-giges Ereignis oder Thema und seine Konsequenzen für die Disziplin InternationaleBeziehungen zu diskutieren. Diesem Zweck dient vor allem die Organisation undanschließende Dokumentation von so genannten ZIB-Symposien auf Tagungen undKongressen. Mit solchen Symposien soll die ZIB einem breiteren Publikum bekanntgemacht und die Möglichkeit geschaffen werden, zeitnah auf aktuelle Entwicklungenin den (I)nternationalen Beziehungen zu reagieren. Das Symposium ist auch weiterhinder Ort, an dem stärker policy-orientierte Beiträge ihren Platz finden werden.

Darüber hinaus haben wir uns entschieden, in Zukunft auf die Rubriken Neuer-scheinungen und Tagungsberichte zu verzichten. Umfassende Literaturübersichtenwerden in anderen Fachzeitschriften, unter anderem in der online verfügbaren Bi-bliographie der Zeitschrift für Politikwissenschaft, regelmäßig und umfassend publi-ziert. Über Tagungen und deren Ergebnisse kann über den DVPW-Rundbrief, dieMitteilungen der Sektion oder einschlägige E-Mail-Verteiler informiert werden. DieZIB soll dagegen der Ort qualitativ hochwertiger IB-Forschung in Form von Aufsät-zen, Foren und Symposien sein.

1 Wie inzwischen üblich, folgt auch die neue ZIB-Redaktion der Konvention, »Internationa-le« groß zu schreiben, wenn die wissenschaftliche Disziplin Internationale Beziehungen (IB)und nicht ihr Untersuchungsgegenstand gemeint ist. Ist sowohl die Disziplin als auch ihrGegenstand gemeint, wird die Schreibweise »(I)nternationale Beziehungen« verwendet.

Editorial

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Abgesehen von diesen Akzentsetzungen werden wir uns darum bemühen, den er-folgreichen Weg, den unsere Vorgänger mit der Zeitschrift für Internationale Bezie-hungen beschritten haben, kontinuierlich fortzuführen. Unterstützt werden wir dabeivon einem fachlich breit aufgestellten Redaktionsteam, das sich aus Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern der beiden Professuren für Internationale Politik hier an der UniBwzusammensetzt. Ungeachtet dessen sind wir uns natürlich darüber im Klaren, dass dieQualität einer begutachteten Zeitschrift vor allem von der Bereitschaft qualifizierterGutachterinnen und Gutachter abhängt, Zeit und Arbeitskraft für das Beurteilen vonManuskripten zu investieren. Wir hoffen deshalb auch in Zukunft auf die Mitwirkungall jener, die die ZIB zu dem gemacht haben, was sie heute ist und möchten uns andieser Stelle bei denen bedanken, die im vergangenen Jahr, noch unter Regie vonChristopher Daase, ein Gutachten für die Zeitschrift für Internationale Beziehungenverfasst haben (Redaktionsschluss: 31.12.2009):

Martin AdelmannMariano BarbatoMarianne BeisheimMartin BinderUlrich BrandHelmut BreitmeierTanja BrühlThomas DiezWolf-Dieter EberweinSieglinde GstöhlSebastian HarnischAndreas HasencleverKatharina HolzingerOtto KeckOliver KesslerGert Krell

Ulrike LorenzCarlo MasalaStefan MayJürgen NeyerAndreas NölkePhillip PattbergThomas SaretzkiFrank SchimmelfennigStefan A. SchirmGabi SchlagRainer Schmalz-BrunsNiklas SchörnigHans Otto SeitschekAlexander SpencerManuela SpindlerStephan Stetter

Ingo TakeFelix WassermannReinhard WolfChristoph ZürcherMichael Zürn

Editorial

ZIB 1/2010 5

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Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas Schwank

Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicherPerspektive

Der Beitrag untersucht die Bedeutung kultureller Faktoren (gemessen als sprachli-che, religiöse und kulturelle Fraktionalisierung) für das inner- und zwischenstaatli-che Konfliktgeschehen weltweit zwischen 1950 und 2005. Ausgehend von einer theo-retisch vorgenommenen Trennung zwischen Ursache und Gegenstand von Ausein-andersetzungen fragt er erstens, wann Kultur Konflikte auslöst, sowie zweitens, wannKultur in Form der Identität von Akteuren selbst Thema eines Konflikts ist. Für dieerste Frage zeigt sich als nichtlinearer Effekt, dass ein mittlerer Grad sprachlicherFraktionalisierung das Konfliktrisiko anhebt. Ein ähnliches Muster wird für die re-ligiöse Fraktionalisierung sichtbar, ist aber weniger robust. Zur Beantwortung derzweiten Frage wird die Teilmenge an Konflikten betrachtet, in denen Sprache, Reli-gion und geschichtliche Identitätskonstruktionen eine wesentliche Rolle spielen unddas Konfliktgeschehen als Thema kulturell überformen (Kulturkonflikte). Obwohlsich diese kulturell aufgeladenen Konflikte durch ein erhöhtes Gewaltniveau aus-zeichnen, liefert die statistische Analyse kaum Hinweise auf ein von nicht-kulturellenKonflikten abweichendes Ursachenprofil.

Einleitung

Der vorliegende Beitrag untersucht die Bedeutung von Kultur für das inner- und zwi-schenstaatliche Konfliktgeschehen der Jahre 1950 bis 2005. Anders als in bisherigenAnsätzen1 wird eine doppelte Perspektive eingenommen: Erstens wird die Bedeutungkultureller Größen als Erklärung für das allgemeine Phänomen Konflikt untersucht.Da Ursache und Gegenstand einer Auseinandersetzung nicht identisch sein müssen,wird zweitens nach den Ursachen von Konflikten gefragt, in denen Kultur ein zen-trales Thema der Auseinandersetzung ist. Mit anderen Worten, es wird untersucht, obund wie gut kulturelle Faktoren das Auftreten politischer Auseinandersetzungen imAllgemeinen und kultureller Konflikte im Spezifischen erklären können. Beide Per-spektiven zusammengenommen ergeben eine umfassendere Betrachtung der Bezie-hung zwischen Kultur und Konflikt als bisher üblich. Die getrennte Betrachtung voninner- und zwischenstaatlichen Konflikten erlaubt zudem eine differenzierte Antwortauf die ursprünglich von Samuel P. Huntington (1993) aufgeworfene und von ihmnur auf zwischenstaatliche Konflikte bezogene These, nach der kulturelle Unter-schiede die Triebfeder moderner Kriege seien.

1.

1 Vgl. Huntington (1993; 1997); Russett/Oneal/Cox (2000); Henderson/Trucker (2001); Ale-sina et al. (2003); Fearon/Laitin (2003); Collier/Hoeffler (2004); Gartzke/Gleditsch (2006).

Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 7 – 39

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Der vorliegende Beitrag gliedert sich wie folgt: Im Anschluss wird ein allgemeinerBegriff für Kulturkonflikte als Untergruppe politischer Auseinandersetzungen ent-wickelt, in denen Kultur als identitätsstiftende Größe ein bestimmendes Element derKonfrontation darstellt. Danach wird diskutiert, wie kulturelle Konflikte innerhalbdes zugrundeliegenden CONIS-Konfliktdatensatzes (CONIS = Conflict InformationSystem) identifiziert werden können und es wird ein deskriptiver Überblick über dasweltweite Konfliktgeschehen im Untersuchungszeitraum gegeben. Anschließendwird im analytischen Teil der Arbeit geprüft, (a) wie die kulturelle Fraktionalisierungeines Landes sein Konfliktniveau allgemein beeinflusst und (b) welche Einflussgrö-ßen einen signifikanten Erklärungsbeitrag leisten können, wenn man den Blick aufdie Untergruppe der kulturellen Konflikte verengt. Dabei zeigt sich, dass vor allemder Grad an sprachlicher Fraktionalisierung das Konfliktrisiko ansteigen lässt. Fürdie religiöse Fraktionalisierung ist diese Verbindung weniger stabil. Eine weitereSpezifizierung der Zusammenhänge liefert Hinweise darauf, dass die Beziehung bei-der Größen zum Konfliktrisiko nichtlinear zu sein scheint. Ein Fazit rundet den Bei-trag ab.

Kulturelle Konflikte: Theorie und Empirie

Im Folgenden werden kulturelle Konflikte als eine von mehreren Unterformen despolitischen Konflikts definiert. Politische Konflikte sind Auseinandersetzungen zwi-schen zwei oder mehr Akteuren über mindestens einen Konfliktgegenstand, die mit-tels messbarer Maßnahmen ausgetragen werden.2 Bei allen Konflikten handelt es sichaußerdem um Kommunikationssituationen (vgl. Gurr 1970: 223-224; Messmer2003), in denen zwischen Kommunikationspartnern (den Konfliktparteien) ein Kom-munikationsinhalt (das Thema des Konflikts) über Medien respektive Kommunika-tionsmittel (die Konfliktmaßnahmen) ausgetauscht wird. Die allgemeine Obergruppeder politischen Konflikte lässt sich in zweifacher Hinsicht unterteilen: Zum einenkönnen Konflikttypen anhand der beteiligten Konfliktparteien in innerstaatliche, zwi-schenstaatliche und transnationale Konflikte unterschieden werden. Wir gehen davonaus, dass unser Modell der Konfliktkommunikation sowohl für innerstaatliche alsauch für zwischenstaatliche Konfliktkonstellationen gilt: Zwar unterscheidet sich dieInteraktion zwischen Staaten, zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurensowie zwischen nicht-staatlichen Akteuren untereinander, doch auf dem Abstrakti-

2.

2 Das »Politische« in politischen Konflikten ergibt sich aus dem Bezug auf die Größen »Staat«,»Sicherheit« und »Höchstnormen«: Politische Konflikte weisen stets einen Staatsbezug auf,der sich nicht in einer Staatsbeteiligung äußern muss, sondern der immer dann gegeben ist,wenn der grundlegende Staatszweck, für Sicherheit zu sorgen, betroffen ist. Dies ist der Fall,wenn in einem Territorium eine Verknappung physischer Sicherheit tatsächlich, wahrge-nommen oder potenziell vorliegt. Das Potenzial zur Reduzierung von Sicherheit ergibt sichimmer dann, wenn ein Konfliktakteur die Verletzung einer Höchstnorm (Verfassungsrecht,Völkerrecht oder Menschenrechte) beklagt und dieser Vorwurf nicht im Rahmen dieserHöchstnorm behandelt wird (bspw. vor einem von dem betreffenden Akteur als legitim er-achteten Verfassungsgericht oder internationalen Gerichtshof).

Aufsätze

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onsniveau, auf dem wir uns hier insbesondere hinsichtlich der Konfliktgegenständebewegen, sind die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kommunikationskonstella-tionen größer als die jeweiligen Unterschiede.

Zum anderen können Konflikttypen anhand der inhaltlichen Bezugspunkte derKonfliktkommunikation in machtpolitische, sozioökonomische sowie kulturelleKonflikte differenziert werden. Wir begreifen Kultur in diesem Zusammenhang alsBedeutungsgewebe, das zur Hervorbringung und Wahrung der Identität eines Kol-lektivs konstituiert wird (Geertz 1994: 9). Damit gehört alles, was von einer Gesell-schaft zur Hervorbringung und Wahrung der kollektiven Identität konstruiert wird,zum Bereich des Kulturellen. Mit der Eingrenzung auf den Identitätsbereich wird einKulturbegriff mittlerer Reichweite gewählt. Er grenzt sich ab von dem engen sozio-logischen Kulturbegriff (Kultur als Komplex aus Standards, Werten und Normen undihren Symbolisierungen (Hansen 1993; 2000; Mintzel 1993; Parsons/Shils 1990;Schmid 1992)) und von dem weiten ethnologischen Kulturbegriff (Kultur als Inbegriffmenschlicher Lebensweise (Held et al. 1999; Huntington 1997; Schwelling 2004)).

Kulturkonflikte sind damit all jene Auseinandersetzungen zwischen Akteuren, indenen die aus eben diesem Bedeutungsgewebe entstehende Identität Thema des Kon-flikts ist. Hieraus ergeben sich die folgenden Konflikttypen:

Tabelle 1: Konflikttypologie

Differenzierung nach Konfliktakteuren

Innerstaatliche Kon-flikte

Konflikt zwischen nicht-staatlichen Akteuren innerhalb eines Staatesoder zwischen einem Staat und einem nicht-staatlichen Akteur in die-sem Staat.

ZwischenstaatlicheKonflikte

Konfliktparteien sind hier ausschließlich Staaten.

Transnationale Kon-flikte

Konflikt zwischen nicht-staatlichen Akteuren unterschiedlicher natio-naler Herkunft oder zwischen einem Staat und nicht-staatlichen Ak-teuren aus anderen Staaten.

Differenzierung nach Konfliktgegenstand

MachtpolitischeKonflikte

Hier dreht sich die Konfliktkommunikation um den Zugang zu auto-ritativen Positionen in Staat und Gesellschaft oder im internationalenSystem (»Machtverteilung«).

SozioökonomischeKonflikte

Hier bilden die Verteilung von Gütern und Rechten in oder zwischenGesellschaften sowie die dieser Verteilung zugrundeliegenden Me-chanismen den Inhalt der Auseinandersetzung (»ökonomische Teilha-be«).

Kulturelle Konflikte Hier bildet Kultur den Inhalt der Kommunikation.

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas Schwank: Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive

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Politische Konflikte sind in einem strukturellen Kontext verortet. Er bildet denRahmen der Kommunikation und standardisiert sie, indem er bestimmte Themen undden Einsatz bestimmter Medien zu bestimmten Zeiten durch bestimmte Akteurewahrscheinlicher macht als entsprechend denkbare Alternativen (Krallmann/Zie-mann 2001: 249; Hansen 2000: 39; Billington et al. 1991: 5). Der strukturelle Kontextbesteht aus zwei Ebenen: zum einen aus dem ökologisch-anthropologischen Kontextder physikalisch-biologischen Umwelt des Menschen (Goffman 1977: 31-32; Parsons1978; Esser 1999: 92-93) und zum anderen aus dem sozio-kulturellen Kontext. Letz-terer zerfällt seinerseits wieder in einen gesellschaftlichen Rahmen (z.B. politischeInstitutionen, wirtschaftliche und demografischen Strukturen) sowie in einen kultu-rellen Kontext (d.h.: Kultur im Sinne unserer Definition). Für die Beschäftigung mitkulturellen Konflikten ist in erster Linie dieser kulturelle (Teil-)Kontext von Bedeu-tung. Er steht mit dem Konfliktgeschehen insofern in einer doppelten Verbindung,als dass er einerseits die kulturellen Strukturen enthält, die konfliktursächlich seinkönnen und die somit Gegenstand der ersten Fragestellung sind. Zum anderen wirdder kulturelle Kontext in kulturellen Konflikten selbst zum Thema und damit Gegen-stand der zweiten Fragestellung. Letzteres bedarf der zusätzlichen Erläuterung.

Jeder politische Konflikt nimmt als Kommunikation Bezug auf seinen Kontext.Kulturelle Konflikte stechen in dieser Hinsicht allerdings durch eine Besonderheithervor: Sie nehmen nicht einfach Bezug (Referenz) auf den kulturellen Kontext – inkulturellen Konflikten wird der kulturelle Kontext selbst zum Gegenstand des Kon-flikts (Introferenz). In herkömmlichen Konflikten bezieht sich die Kommunikationauf einen thematischen Konfliktgegenstand. Im Regelfall wird er in expliziten For-derungen als eindeutig abgrenzbares, interessengeleitetes Konfliktgut formuliert. Da-mit erscheint der Konfliktgegenstand im Kern verhandelbar. Im Unterschied dazugeht es in kulturellen Konflikten nicht (nur) um Interessen, sondern vor allem umIdentität. Kulturelle Konflikte sind Identitätskonflikte und somit schwer zu verhan-deln. Auch wenn herkömmliche Konfliktgüter fast immer eine zusätzliche Rollespielen, konzentriert sich die Kommunikation in einem kulturellen Konflikt doch auf»Konfliktfelder«, d.h. auf ein oder mehrere nicht explizit formulierte, identitätsbe-zogene Themen. Zu beachten ist, dass Konfliktfelder nicht Motive, sondern Themendarstellen: Sie drücken aus, worum es in dem Konflikt geht, worüber kommuniziertwird und nicht, warum der Konflikt geführt wird, was also seine Ursachen sind (Seul1999: 564).

Als Konfliktfelder (vgl. Tabelle 2) kommen drei Dimensionen von Kultur in Be-tracht: Religion, Sprache und geschichtliche Zusammenhänge (nachfolgend als »His-torizität« bezeichnet). Mit Neil Smelser (1992: 11), Klaus Hansen (2000: 47) undNiklas Luhmann (1984: 224; 1985: 46-47) lässt sich argumentieren, dass die Her-vorbringung und Wahrung der Identität eines Kollektivs mit drei Erfordernissen ver-knüpft ist: (1) Die Komplexität von Welt und Gesellschaft muss zur Ermöglichungvon Identität reduziert werden, (2) die Identität muss zur Verbreitung im Kollektivkommuniziert werden und (3) die Identität muss zur Erhaltung fortlaufend reprodu-ziert werden. Diese Erfordernisse werden vorrangig durch die Phänomene Religion(Komplexitätsreduktion), Sprache (Kommunikation) und Historizität (Reproduktion)

Aufsätze

10

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erfüllt: (1) Religion ist der Mechanismus zur Komplexitätsreduktion par excellence,da sie die Kontingenz der Welt, also die Unvorhersehbarkeit des Möglichen, wei-testmöglich, selbst in postmortaler und transzendentaler Hinsicht, reduziert und da-durch Kontrolle und Kontinuität der Welt und damit individuelle und kollektive Iden-tität ermöglicht. (2) Sprache wiederum ist der Kommunikationsmechanismus par ex-cellence – der Mensch ist ein Sprachwesen, das in seiner Wahrnehmung der Welt unddamit der Konstruktion seiner eigenen Identität und der Identität des zugeordnetenKollektivs von der jeweiligen Sprache geprägt wird. (3) Historizität als Geschicht-lichkeit im Sinne von Geschichtserfahrung (markante historische Ereignisse) bzw. alsnarrative Geschichte (historische oder historisierende Herkunftsgeschichte) dient derfortlaufenden Reproduktion des betreffenden Kollektivs durch Tradierung seinerIdentität.

Die vorliegende Untersuchung definiert daher kulturelle Konflikte als solche in-nerstaatlichen, zwischenstaatlichen oder transnationalen politischen Konflikte, in de-nen die beteiligten Akteure die Konfliktfelder Sprache, Religion (vgl. Fox/Sandler2006) und/oder Historizität thematisieren. Hervorzuheben ist dabei nochmals, dasskulturelle Konflikte über das Thema des Konflikts bestimmt werden und nicht, wiesonst oft üblich, über die ihnen zugrundeliegenden Ursachen im Sinne von Wirkfak-toren. Kulturelle Konflikte sind nicht notwendigerweise Konflikte, in denen kulturelleUnterschiede zwischen gesellschaftlichen Gruppen (etwa Sprache oder Religion) zumAuftreten eines Konflikts führen. Die Konzeptualisierung kultureller Konflikte unddie Ausdifferenzierung von Kultur als soziales Phänomen entlang der drei Dimen-sionen von Sprache, Religion und Historizität ermöglichen nicht nur die Abgrenzungkultureller Konflikte von anderen Konfliktformen nicht-kultureller Art, sondern aucheine Binnendifferenzierung kultureller Konflikte in unterschiedliche Typen (vgl. Ta-belle 2).3

3 Diese Definition kultureller Konflikte deckt sich nicht mit in der Literatur gängigen Kon-zepten wie »ethnische« oder »religiöse« Konflikte. »Ethnische Konflikte« sind politischeKonflikte zwischen Ethnien oder zumindest unter Beteiligung mindestens einer Ethnie. Dasdefinierende Merkmal des Konzepts ethnischer Konflikte sind die ethnischen Akteure. Werdie Akteure sind – ethnische Gruppen sind kulturelle Entitäten –, determiniert jedoch nicht,worüber sie kommunizieren: »Ethnische« Konflikte müssen sich nicht zwingend um Kultu-relles drehen, sondern können auch um machtpolitische oder sozioökonomische Konfliktgü-ter geführt werden. Umgekehrt ist selbstverständlich auch nicht jeder kulturelle Konflikt ein»ethnischer« Konflikt. Eine weitere Problematik ist Folgendes: »Ethnien« sind in der Eth-nologie oftmals »kleinere« Volksgruppen (z.B. »die Hmong« in Laos), bei denen ein kon-zertiertes Handeln vorstellbar ist. Anders verhält es sich jedoch bei Religionen (oder auch beiden »Rassen« der angelsächsischen Literatur): »Die Muslime« als Religionsgemeinschaftkönnen nicht als handelnder Akteur konzipiert werden. Daher wird bei Religionen häufig einErsatzakteur substituiert (z.B. eine muslimische Bruderschaft in Nigeria). Die Feststellungjedoch, dass eine Organisation mehrheitlich aus Angehörigen einer bestimmten Religion be-steht, reicht zur Einstufung des Konflikts als religiös nicht aus. So kann ein Konflikt zwischenzwei Gruppen bestehen, deren Mitglieder v.a. Christen sind, doch damit ist der Konflikt nochnicht zwingend inter-konfessionell (auch wenn bspw. die meisten Mitglieder der CDU undder SPD in Deutschland Christen sind, bilden religiöse Themen in der Kommunikation zwi-schen den beiden Akteuren nur selten ein Thema).

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Tabelle 2: Kulturelle Konfliktfelder und ihre Indikatoren

Konfliktfeld Indikator Beispiel

Religion Verbaler oder aktiver Verweis auf einreligiöses Symbol (Person oder Ge-genstand), der als Thematisierung vonReligion verstanden wird.

Umstrittener Besuch eines Tempelsdurch einen Regierungschef oder At-tentat auf einen religiösen Führer.

Sprache Verbaler oder aktiver Verweis auf einsprachliches Symbol (Person oder Ge-genstand), der als Thematisierung vonSprache verstanden wird.

Verbot einer Sprache an den Univer-sitäten oder Erhebung eines Dialektszur Sprache.

Historizität1 Verbaler oder aktiver Verweis auf einSymbol (Person oder Gegenstand) mitBezug zu markanten geschichtlichenEreignissen oder zur historischen/his-torisierenden Herkunftsgeschichte,wobei dieser Verweis als Thematisie-rung von Historizität verstanden wird.

Umstrittene Errichtung eines Krie-gerdenkmals oder öffentlicher Dis-kurs über vorkoloniale Staatserfah-rung.

Anmerkungen: 1 = Der hier verwendete Historizitätsbegriff unterscheidet sich von dem der Geschichts-wissenschaft, die darunter die Faktizität historischen Geschehens versteht. Innerhalb dieses Konfliktfeldshat auch die Problematisierung der Hautfarbe und Physiognomie ihren Platz – also das, was im angel-sächsischen Raum als »Rassenzugehörigkeit« diskutiert wird. Die Hautfarbe »eignet« sich aufgrund deslangsamen Schwindens der Distinktion besonders zur symbolischen Vergegenwärtigung von Herkunftsge-schichtlichkeit.

Das Design der vorliegenden Studie erfordert drei Formulierungen von Erwartungenüber den Effekt kultureller Wirkungsfaktoren auf Konflikte im Allgemeinen und imHinblick auf die Ursachen kulturell konnotierter Konflikte im Speziellen. Dies ge-schieht in den folgenden zwei Abschnitten. Innerhalb der Abschnitte wird getrenntauf inner- und zwischenstaatliche Konflikte eingegangen.

Im Hinblick auf die von Kultur ausgehenden Kausaleffekte auf das Konfliktge-schehen werden kulturelle Strukturmuster einer Gesellschaft im Wesentlichen in de-ren kultureller Fraktionalisierung erfasst, beziehungsweise in ihren Unterformen, derreligiösen und der sprachlichen Fraktionalisierung. Das kulturelle Strukturmusterformt die Gesellschaft und die Kommunikationen, aus denen sie besteht. Gesell-schaftliche Einheiten sind nur dann als Akteure zu verstehen, wenn und solange siean dieser Kommunikation beteiligt sind. Dies impliziert gleichzeitig, dass das kultu-relle Strukturmuster einer Gesellschaft bestimmte Kommunikationen und damit auchdas Auftreten bestimmter Akteure wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher macht.Alternativ ließe sich auch formulieren: Viele Akteure sind nur innerhalb einer Ge-sellschaft denkbar, die eine ganz bestimmte kulturelle Strukturierung aufweist.

Wenn aber die kulturelle Strukturierung einer Gesellschaft ihre Kommunikationenformt, dann bedeutet dies, dass kulturelle Diversität eine Diversifizierung der Kom-munikation nach sich zieht und über Differenzen in der kollektiven Identität kom-

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muniziert wird. Diversifizierung bedeutet also auch steigende Kommunikationsakti-vität und eine Zunahme von Akteuren mit untereinander bestehenden Differenzen.Es ist somit zu erwarten, dass eine Zunahme der kulturellen Fraktionalisierung dasAuftreten innerstaatlicher Konflikte begünstigt.

Damit lassen sich drei Hypothesen für innerstaatliche Auseinandersetzungen for-mulieren, die gleich gerichtet sind:– Die Wahrscheinlichkeit innerstaatlicher Konflikte ist umso größer, je größer

(Hypothese 1i) die sprachliche, (Hypothese 2i) die religiöse oder (Hypothese 3i)die kulturelle Fraktionalisierung eines Landes ist.

Zwar ließe sich auch argumentieren, dass eine hohe Fraktionalisierung als »Hyper-diversifikation« von Kommunikation einen dämpfenden Einfluss haben kann. Da dieabhängige Variable Kulturkonflikte für diese Untersuchung aber neu bestimmt wurdeund der CONIS-Ansatz potenziell ein breiteres und damit anderes Spektrum vonKonflikten erwarten lässt als bisher verbreitete Datensätze, sollen diese Überlegungenfür die erste Analyse noch zurückgestellt werden. Sie werden weiter unten ausdrück-lich wieder aufgegriffen. Da sich die Konfliktgegenstände zwischenstaatlicher Aus-einandersetzungen von denen innerstaatlicher Konflikte unterscheiden (Schwank2010) vermuten wir a priori – außer für die offensichtliche Verbindung zwischen-staatlicher Kulturkonflikte – keinen Effekt kultureller Fraktionalisierung auf die zwi-schenstaatliche Konfliktbelastung eines Landes. Insofern lassen sich unsere Hypo-thesen für zwischenstaatliche Auseinandersetzungen wie folgt formulieren:– Die Wahrscheinlichkeit zwischenstaatlicher Konflikte ist unabhängig von (Hy-

pothese 1z) der sprachlichen, (Hypothese 2z) der religiösen und (Hypothese 3z)der kulturellen Fraktionalisierung eines Landes.

Die zweite, spezifische Forschungsfrage macht es nötig, über den Effekt des kultu-rellen Rahmens hinaus auch weitere Wirkungshypothesen aufzustellen, die potenzi-elle nicht-kulturelle Ursachen von (kulturellen) Konflikten erfassen. Im Anschluss andie Ergebnisse der empirischen Konfliktforschung wird dazu ein Grundmodell for-muliert, das neben dem kulturellen Kontext weitere Faktoren zur Erklärung der Kon-fliktwahrscheinlichkeit in einem Land enthält, die sich in der bisherigen empirischenKonfliktforschung als erklärungskräftig erwiesen haben. Das Grundmodell orientiertsich dabei an vergleichbaren Studien in der Forschungsliteratur (Fearon/Laitin 2003;Collier/Hoeffler 2004; Hegre/Sambanis 2006) und beinhaltet Kontrollvariablen fürden Entwicklungs- und Demokratisierungsgrad eines Landes sowie Variablen zuraußenwirtschaftlichen Verflechtung, kultivierbaren Landfläche, zur Migration sowiezum Wirtschaftswachstum. Erweitert wird dieses Grundmodell zudem um den Faktoryouth bulge,4 der eine starke Herausforderung eines kulturellen Erklärungsansatzes(Huntington 1997) darstellt. Die theoretisch erwarteten Einflüsse der Kontrollvaria-blen lassen sich wie folgt formulieren:

Analog zu den vorherigen Überlegungen zur kulturellen Fraktionalisierung ist zuerwarten, dass größere Länder heterogener sind als kleinere, was der Argumentation

4 Wagschal et al. (2008); Urdal (2004; 2006); Heinsohn (2003); Fuller (1995; 2004); Fuller/Pitts (1990).

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Paul Colliers und Anke Hoefflers (2004: 588; 1998: 564) sowie Henrik Urdals (2004:8) zufolge separatistische Tendenzen und damit Konflikte fördern dürfte. Daraus fol-gen die Hypothesen,– dass die Wahrscheinlichkeit innerstaatlicher (Hypothese 4i) und zwischenstaat-

licher (Hypothese 4z) Konflikte umso höher ist, je größer die Bevölkerung ist.Wegen der großen Streuung der Werte wurden die herangezogenen Bevölke-rungsdaten logarithmiert.

Ein hohes Entwicklungsniveau wird oft mit einem geringeren Risiko innerstaatlicherKonflikte in Verbindung gebracht (z.B. Collier/Hoeffler 2004: 574). Daher erwartenwir,– dass die Wahrscheinlichkeit innerstaatlicher Konflikte umso höher ist, je geringer

das Entwicklungsniveau eines Landes ist (Hypothese 5i). Zwischen Staaten solltediese Beziehung indes nicht gelten, weshalb wir keinen Zusammenhang erwarten(Hypothese 5z). Der Wohlstand bzw. das Entwicklungsniveau einer Gesellschaftwird von uns durch die Säuglingssterblichkeit abgebildet (ausführlich zu diesemIndikator Sen 1998).

Einem ökonomischen Knappheitsargument entspringt auch die Wahl der dritten Kon-trollvariable »kultivierbare Landfläche«, gemessen in Hektar pro Person. Je wenigerLandfläche zur Verfügung steht, desto eher dürfte – vor allem bei wachsender Be-völkerung – ein Konflikt um diese knappe Ressource ausbrechen, womit auch dieKonfliktwahrscheinlichkeit ansteigen sollte. Daher erwarten wir,– dass die Wahrscheinlichkeit innerstaatlicher (Hypothese 6i) und zwischenstaat-

licher (Hypothese 6z) Konflikte umso höher ist, je geringer die kultivierbareLandfläche pro Person ist.

– Ausgehend von der Überlegung, dass ein Zuwachs an Wohlstand Verteilungs-konflikte tendenziell entschärfen sollte, ist zudem zu erwarten, dass das Wachs-tum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf sowohl das Risiko innerstaatlicher(Hypothese 7i) als auch das zwischenstaatlicher (Hypothese 7z) Konfliktesenkt.5

Die These vom liberalen Handelsfrieden (Rosecrance 1986; Polachek 1997; McDo-nald 2004; Oneal/Russett 1999) geht auf Basis einer positiven Bewertung von Frei-handel davon aus, dass stärker in den internationalen Handel eingebundene Länderfriedlicher sind. Im Sinne dieser These erwarten wir daher,– dass eine hohe Weltmarkintegration (gemessen als Export von Gütern und

Dienstleistungen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) einen dämpfenden Effektauf die zwischenstaatliche Konfliktwahrscheinlichkeit hat (Hypothese 8z).

Für innerstaatliche Konflikte ist das Bild weniger einheitlich.

5 Alternativ ließe sich argumentieren, statt der Wachstumsrate selbst deren Veränderung überZeit als Indikator heranzuziehen, um so mehr auf die vom Individuum wahrgenommenenÄnderungen der wirtschaftlichen Lage abzustellen. Zwar ist es zweifellos korrekt, dass In-dividuen erkennen, ob sich die ökonomische Lage schneller oder langsamer ändert als in derVergangenheit. Für das von uns angeführte absolute Knappheitsargument dürfte die Wirkungeines allgemeinen wirtschaftlichen Auf- oder Abwärtstrends aber von größerer Bedeutungsein.

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Wie Katherine Barbieri und Rafael Reuveny (2005) ausführen, stehen sich hier –neben Stimmen, die keine Beziehung zwischen Handel und Konfliktrisiko sehen –zwei gegensätzliche Positionen gegenüber: Eine Seite verweist auf nivellierende undwohlstandssteigernde Effekte von Handel, auf dessen Fähigkeit, staatliche Strukturenzu stärken oder auf das alle potenziellen Konfliktparteien disziplinierende Risiko, imFall einer Auseinandersetzung keine Handelsgewinne mehr zu erhalten. Die andereSeite hingegen wendet unter anderem ein, dass derartige Gewinne meist nur kleinenEliten und nicht breiten Bevölkerungsschichten zuteilwerden, was Ungleichheit unddamit Unzufriedenheit fördert. Als eine davon unabhängige Überlegung verfolgt diePolitical Instability Task Force (Goldstone et al. 2000: 10-11) zudem die Überlegung,dass ein geringer Außenhandel Indiz für grundlegende strukturelle Probleme seinkönnte. Das Handelsniveau mancher Länder wäre demzufolge gegenüber einem – inAbhängigkeit von der Ländergröße variierenden – »natürlichen« Handelsniveau re-duziert, beispielsweise durch rent-seeking lokaler Eliten, Korruption oder durch un-wirksame juristische Strukturen, die der eigentliche Grund für eine negative Bezie-hung zwischen Handelsniveau und Konfliktrisiko seien. Wir gehen davon aus,– dass die Verbindung zwischen Handel und Konfliktrisiko auf innerstaatlicher

Ebene dem zwischenstaatlichen Muster folgt und erwarten, dass eine hohe Welt-marktintegration das Risiko innerstaatlicher Konflikte senkt (Hypothese 8i).

Im Anschluss an Immanuel Kant – Staaten mit demokratischer Verfassung bekämpfeneinander nicht –, wird der Demokratisierungsgrad meist als weitere entscheidendeGröße für das Konfliktrisiko eines Landes angeführt. Während oft davon ausgegangenwird, dass das zwischenstaatliche Konfliktrisiko mit dem Anstieg des Demokratie-niveaus sinkt, ist innerstaatlich eine solche als »domestic democratic peace« (Hen-derson/Singer 2000: 279, Fn. 3) bezeichnete Verbindung theoretisch allerdings nichteindeutig. Zwar können in Autokratien Konflikte nicht offen ausgetragen werden,was ihr Konfliktpotenzial eigentlich erhöhen sollte, umgekehrt kann Protest in diesenSystemen aber meist auch effektiver unterdrückt werden (vgl. z.B. Urdal 2006: 613;Fearon/Laitin 2003: 79; Henderson/Singer 2000: 279). Demokratien wiederum habenhingegen die Möglichkeit, Konflikte gewaltfrei zu bearbeiten. Aus diesen Gründenist wiederholt davon ausgegangen worden, dass die Verbindung von Demokratie undinnenpolitischer Gewalt nichtlinear sein könne (Gurr 1968; 1970; Muller/Weede1990: 626; Hegre et al. 2001), vor allem weil zwischen beiden Polen stehende Systemewegen ihres uneinheitlichen Institutionensystems zu keiner der beiden Lösungen inder Lage seien (Henderson/Singer 2000: 279-280; Gleditsch 1995). Allerdings wirdauch argumentiert, dass halbdemokratische Systeme in erster Linie Systeme in einemakuten Transformationsprozess seien, der enttäuschten Gruppen Rebellion attraktiverscheinen ließe (Hegre et al. 2001: 34; Henderson/Singer 2000: 279). In der jüngstenLiteratur wird die sonst meist als relativ stabil charakterisierte Beziehung (Hegre/Sambanis 2006: 526) kritisch gesehen (Strand 2007; Fjelde 2008), vor allem wegenpotenzieller Messprobleme.

Für unsere Analyse formulieren wir im Einklang mit der herrschenden Meinunggleichwohl die Erwartung,

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– dass Staaten mit einem mittleren Demokratisierungsniveau ein höheres Risikoinnerstaatlicher Konflikte haben als Autokratien und Demokratien (Hypothese9i). Für zwischenstaatliche Konflikte erwarten wir, dass das Risiko einer Aus-einandersetzung mit steigender Demokratisierung zurückgeht (Hypothese 9z).

Als weitere Einflussgröße wird die Migration über die Grenzen eines Landes hinwegherangezogen. Sie kann unterschiedliche Ursachen haben, wie z.B. ökonomische At-traktivität (für Immigration) oder aber auch Konflikte (für Emigration), weshalb einmassives Endogenitätsproblem bei dieser Variable vorliegt. Im Folgenden wird davonausgegangen,– dass Emigration die Konfliktwahrscheinlichkeit in einem Land senkt, während

Immigration diese erhöht (Hypothese 10i).– Für zwischenstaatliche Konflikte ist die Kausalität aufgrund des Endogenitäts-

problems uneindeutiger. Da Länder mit Emigration zumeist auch von hoher Vio-lenz geprägt sind, erwarten wir hier ein positives Vorzeichen (Hypothese 10z).

Als letzte Variable des Grundmodells wird auf youth bulges (Heinsohn 2003; Urdal2006; Wagschal et al. 2008) kontrolliert, die – bedenkt man, dass Huntington (1997:433) ihnen eine zentrale Rolle als Motor im »Kampf der Kulturen« zuweist – auchals Herausforderung an eine kulturell motivierte Erklärung verstanden werden kön-nen. Ausgangspunkt der These ist die Erkenntnis, dass der Großteil der Protagonistenpolitischer, aber auch anderer Formen von Gewalt, jung und männlich ist (Mesquida/Wiener 1999; Goldstone 1991: 136-137; Urdal 2004: 3). Der Überlegung zufolgekann ein großer Bevölkerungsanteil nach Status und Anerkennung strebender jungerMänner als youth bulge (von engl. bulge = Wölbung, Beule) das Risiko inner- undzwischenstaatlicher Konflikte erhöhen, vor allem dann, wenn den Statusbestrebungenkeine adäquaten Aufstiegsmöglichkeiten gegenüberstehen. Die Effekte eines solchenJugendüberschusses – hier erfasst als der Anteil junger Männer zwischen 15 und 24an der männlichen Bevölkerung über 14 – können durch Faktoren wie z.B. Bevölke-rungsdichte verstärkt, aber auch beispielsweise durch ökonomisches Wachstum, Mi-gration oder Krankheiten wie Aids abgeschwächt werden (vgl. Wagschal et al. 2008).Für unsere Analyse erwarten wir,– dass die Wahrscheinlichkeit innerstaatlicher (Hypothese 11i) und zwischenstaat-

licher (Hypothese 11z) Auseinandersetzungen umso höher ist, je größer der Anteiljunger Männer an der männlichen Bevölkerung eines Landes ist.

Daten und Methode

Die Zuordnung empirischer Konflikte zu einem oder mehreren kulturellen Konflikt-feldern erfolgt auf Grundlage des an der Universität Heidelberg entwickelten CONIS-Datensatzes. CONIS wertet ausschließlich Informationen aus öffentlich zugänglichenNachrichtenquellen qualitativ aus und bereitet sie zum Zwecke einer Ereignisdaten-analyse auf. CONIS unterscheidet sich von anderen Datenbanken wie dem Correlatesof War-Projekt (COW (Singer/Small 1972; Small/Singer 1982)) und dem UppsalaConflict Data Program (UCDP 2010 (Gleditsch et al. 2002)) durch drei wesentliche

3.

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Merkmale: (1) CONIS erfasst alle Formen politischer Konflikte weltweit seit 1945und beschränkt sich nicht auf einzelne Regionen oder auf gewaltsame Konflikte. (2)CONIS erfasst Konfliktdynamiken, also die individuellen Entwicklungsphasen dereinzelnen Konflikte. (3) CONIS ist eine quantitative Datenbank auf qualitativerGrundlage: Die Messung und Kategorisierung der Konflikte basiert nicht wie beianderen Forschungsansätzen auf der Zahl kampfbedingter Todesopfer sondern aufeiner Inhaltsanalyse der zwischen den Akteuren stattfindenden Kommunikationenund Handlungen. Als Ergebnis der methodischen Erneuerung erfasst CONIS einewesentlich höhere Anzahl politischer Konflikte. Dies gilt insbesondere für inner-staatliche Konflikte, für die oftmals keine oder nur sehr ungenaue Todesopferangabenvorliegen. Außerdem erzwingt die Untersuchung von Konfliktdynamiken die Auf-teilung des Konfliktgeschehens in verschiedene Teilkonflikte, die in anderen Daten-sätzen als ein größerer Konflikt codiert werden. So umfasst der CONIS Datensatzzum hier verwendeten Stand (2007) insgesamt 761 Konflikte und 13.126 Jahresin-tensitätswerte. Der am häufigsten zitierte Datensatz des Correlates of War-Projektes(Sarkees 2000) stellt für den gleichen Zeitraum lediglich 144 Kriegsdatensätze ohneJahresdaten zur Verfügung. Der ebenfalls weit verbreitete Datensatz des UppsalaConflict Data Program (UCDP 2010 Armed Conflict Dataset v. 4-2008, 1946-2007)enthält 235 bewaffnete Grundkonflikte und 1.912 Jahresdaten. Da der CONIS Da-tensatz somit eine mehrfache Datenmenge im Vergleich zu anderen Datensätzen ent-hält, liegt es nahe, dass durch die Analyse der CONIS Daten Ergebnisse erzielt wer-den, die von bisherigen Untersuchungen abweichen (vgl. Schwank 2010).

Das für CONIS entwickelte dynamische Konfliktmodell umfasst insgesamt fünfIntensitätsstufen. Die erste Stufe (»Disput«) markiert die Artikulation eines Interes-sengegensatzes, die zweite (»gewaltlose Krise«) die Drohung mit Gewalt. Die dritteStufe (»gewaltsame Krise«) beinhaltet die punktuelle, begrenzte Anwendung vonGewalt, in der vierten (»begrenzter Krieg«) wird Gewalt geplant eingesetzt, ohne aberdas Ziel zu verfolgen, den Gegner vollständig niederzuwerfen. Es geht eher darum,ihn durch massive Gewalt zum Einlenken zu bewegen. Die fünfte Stufe (»Krieg«)schließlich ist die systematische Anwendung von Gewalt mit dem Ziel, den Gegnerniederzuwerfen und ihm den eigenen Willen aufzuzwingen (Schwank 2010; Wag-schal et al. 2008). Das weltweite Konfliktpanorama wird von CONIS in inner- undzwischenstaatliche Konflikte untergliedert, so dass ein geeigneter Datenbestand vor-liegt, um die oben formulierten Hypothesen zu prüfen.

Neben der Zuordnung der verschiedenen Phasen eines Konflikts ist hier auch dieTypologisierung eines Konflikts anhand seiner Themen von Bedeutung. Die in Ta-belle 1 vorgenommene Differenzierung können wir zu diesem Zweck leicht verein-fachen: Die machtpolitischen und sozioökonomischen Konflikte fassen wir zur Ka-tegorie der »nicht-kulturellen Konflikte« zusammen. Die Klassifikation eines Kon-flikts als »kultureller Konflikt« beruht auf der Beobachtung, ob in der Konfliktkom-munikation kulturelle Gegenstände thematisiert werden, hängt also davon ab, aufwelche Themen mindestens einer der beteiligten Konfliktakteure (z.B. eine Regie-rung) oder ein ihm zugeordneter Akteur (bspw. eine Armeeführung) Bezug nimmt.Ob und in welcher Form eine solche Bezugnahme vorliegt, beruht auf den kommu-

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nizierten Intentionen dieses Akteurs und auf dem gleichfalls kommunizierten Ver-ständnis des oder der Adressaten, also auf Kommunikationen, wie sie in öffentlichzugänglichen Quellen erkennbar werden. Ob ein Konfliktgegenstand als kulturell de-finiert wird, hängt davon ab, ob die Akteure eines der oben genannten Konfliktfelder»aktivieren«. Zur Operationalisierung der Aktivierung der kulturellen Konfliktfelderwird als Indikator jeweils der verbale oder aktive Verweis auf ein entsprechendesSymbol (Person oder Gegenstand) durch einen Konfliktakteur herangezogen, der vomGegenüber als Thematisierung von Religion, Sprache oder Geschichtlichkeit (imSinne geschichtlicher Ereignisse oder der Herkunftsgeschichte) verstanden wird.

Die nachfolgende Tabelle 3 gibt Aufschluss über die Anzahl und die Verteilung derin der CONIS-Datenbank (Stand: Dezember 2007) registrierten Konflikte. Erfasstwird die Anzahl der Grundkonflikte nach der höchsten erreichten Konfliktstufe, un-abhängig von ihrer Dauer.

Tabelle 3: Anzahl und Anteil der inner- bzw. zwischenstaatlichen kulturellen undnicht-kulturellen Konflikte nach der jeweils höchsten erreichtenKonfliktintensität (1945-2007)

Innerstaatliche Konflikte

Intensitätsstufe:Disput

(1)

gewalt-lose

Krise(2)

gewalt-sameKrise

(3)

be-grenzterKrieg

(4)Krieg

(5) (Summe)

Kon

flikt

typ: nicht-kulturelle

Konflikte(Anteil in Prozent)

2(0,95)

27(12,86)

90(42,86)

57(27,14)

34(16,19)

210(100)

kulturelle Konflikte(Anteil in Prozent)

10(3,68)

31(11,40)

85(31,25)

97(35,66)

49(18,01)

272(100)

Zwischenstaatliche Konflikte

Intensitätsstufe:Disput

(1)

gewalt-lose

Krise(2)

gewalt-sameKrise

(3)

be-grenzterKrieg

(4)Krieg

(5) (Summe)

Kon

flikt

typ: nicht-kulturelle

Konflikte(Anteil in Prozent)

43(19,82)

89(41,01)

55(25,35)

18(8,29)

12(5,53)

217(100)

kulturelle Konflikte(Anteil in Prozent)

5(8,06)

20(32,26)

12(19,35)

7(11,29)

18(29,03)

62(100)

Entsprechend der Trennung zwischen Konfliktgütern und Konfliktfeldern wird aufeine graduelle Unterscheidung zwischen starker und schwacher Thematisierung des

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kulturellen Kontexts verzichtet. Stattdessen werden die einzelnen politischen Kon-flikte über eine dichotome Differenzierung den kulturellen bzw. den nicht-kulturellenKonflikten zugeordnet. Die eindeutige Abgrenzung dieser Konfliktgruppe basiert aufzwei Bestimmungsmerkmalen: (1) Die kulturelle Thematisierung des Konflikts kannnur über die Entscheidungsträger einer Konfliktpartei erfolgen und (2) aus den Kom-munikationen der Konfliktparteien kann konkludent geschlossen werden, dass dieThematisierung des kulturellen Konflikts von den Konfliktparteien als solche ver-standen wurde.6 Damit wurde sich bewusst gegen eine einfache Zählregel entschie-den, welche die Klassifikation eines Konflikts als kulturell/nicht-kulturell ausschließ-lich aus der Häufigkeit abgeleitet hätte, mit der die Akteure Bezug auf ein Konfliktfeldnehmen. Denn letztlich lässt sich weder allgemein begründen, wie vieler Bezugnah-men es jeweils bedarf, damit ein Konflikt einer bestimmten Konfliktklasse zugeordnetwird, noch lässt die Zahl der Nennungen als solche Rückschlüsse auf die Bedeutungdes Konfliktfeldes zu, da Akteure cheap talk betreiben können, d.h. in einer Kom-munikation mit Dritten nicht-authentische Deutungen und Begründungen ihres Han-delns bieten. Dementsprechend lassen sich auch keine theoretisch begründetenSchwellenwerte angeben, welche die Grenze zwischen bestimmten Konflikttypenmarkieren. Vielmehr handelt es sich bei der hier gewählten Vorgehensweise um einekontextualisierende und inhaltsanalytische Interpretation des Datenmaterials.7

Hinsichtlich der empirischen Relevanz kultureller Konflikte für das globale Kon-fliktgeschehen zeigen die Auswertungen in Tabelle 3 zweierlei:– Kulturelle Konflikte bilden einen signifikanten Anteil am weltweiten Konflikt-

geschehen, insbesondere auf innerstaatlicher Ebene. Von den 761 in CONIS er-fassten Konflikten sind 44 Prozent Kulturkonflikte. Mit 81 Prozent ist die großeMehrheit der kulturellen Konflikte innerhalb von Staaten zu finden, nur 19 Pro-zent spielen sich zwischen Staaten ab. Betrachtet man nur den Anteil der Ge-waltkonflikte (Stufe 3-5), sind sogar 86 Prozent der kulturellen Konflikte inner-staatlich.

– Deutlich zu erkennen ist außerdem eine höhere Gewaltneigung von kulturellenim Vergleich zu nicht-kulturellen Konflikten: Auf innerstaatlicher Ebene sind 31Prozent der kulturellen Konflikte zumindest zeitweise mit Gewalt ausgetragenworden (d.h. die höchste gemessene Intensität war Stufe 3), 54 Prozent erreichtensogar die Stufen 4 und 5 (begrenzter Krieg und Krieg). Bei den nicht-kulturellenKonflikten ist dagegen der Anteil der weniger gewaltsamen Konflikte (maximal

6 Die Thematisierung von Kulturellem durch Akteur A und das Verstehen der diesbezüglichenHandlungen und Kommunikation durch Akteur B als Thematisierung von Kulturellem müs-sen mithin zusammenkommen, um einen kulturellen Konflikt zu konstituieren. So themati-siert bspw. die Tötung buddhistischer Mönche im Süden Thailands durch muslimische Se-paratisten Kulturelles (hier: Religiöses), und dies wird von der thailändischen Regierung auchso verstanden. Umgekehrt war die Zerstörung von Kirchengebäuden durch die Bombenan-griffe auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten nicht als Thematisierung vonKulturellem (d.h. Religiösem) gemeint und wurde von der deutschen Führung auch nicht soverstanden.

7 Diese Interpretation wurde im Laufe des diesem Beitrag zugrundeliegenden Forschungspro-zesses von den Autoren durchgeführt. Die dabei generierten Daten sind nun Teil der CONIS-Datenbank.

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Stufe 3) mit 43 Prozent höher, dafür erreichten nur 43 Prozent ein Gewaltniveauder Stufen 4 oder 5. Noch deutlicher ist das Muster bei den zwischenstaatlichausgetragenen Kulturkonflikten: Hier hatten 19 Prozent der registrierten Kon-flikte die maximale Stufe 3, in 40 Prozent der Fälle wurde zeitweise das Gewalt-niveau eines (begrenzten) Krieges (Stufe 4 und 5) gemessen. Im Vergleich dazuerreichten zwar 25 Prozent der nicht-kulturellen Konflikte zwischen Staaten dieIntensitätsstufe 3, der Anteil von Konflikten mit einer maximalen Intensität derStufe 4 oder 5 ist mit 14 Prozent jedoch deutlich geringer.

Für die statistische Auswertung wurden die Konflikte als Länderjahre erfasst, d.h. fürjedes Land liegt für jedes Jahr ein eigener CONIS-Wert vor. War ein Land in mehrereKonflikte verwickelt, wurde jeweils das höchste im betreffenden Jahr gemesseneKonfliktniveau herangezogen. Um die Auswertung mittels logistischer Regression8

zu ermöglichen, wurden die Konfliktwerte dichotomisiert, d.h. jedes Jahr, in dem dasKonfliktniveau die Stufe 3, 4 oder 5 erreichte, wurde mit 1 codiert, für die anderenJahre wurde der Wert 0 vermerkt. Damit wurde eine weite Erfassung des gewaltsamenKonfliktaustrags gewählt, die Konflikte aller Gewaltstufen gleich stark gewichtet.

Die im Grundmodell eingesetzten Makrovariablen stammen aus den Beständen derVereinten Nationen (Bevölkerung, Säuglingssterblichkeit, Migration und youth bul-ge (United Nations Population Division 2005)), der Weltbank (Landwirtschaftlichnutzbare Fläche pro Person sowie Export von Gütern und Dienstleistungen (WorldBank 2005)) und vom Center for International Comparisons of Production, Incomeand Prices der Universität Pennsylvania (BIP-Wachstum pro Kopf (Heston et al.2006)). Wegen der hohen Anzahl verfügbarer Messpunkte wurde für das Demokra-tisierungsniveau der Polity-IV-Index (Jaggers/Gurr 1995; Marshall/Jaggers 2005)verwendet, der Länder auf einer Skala von -10 für reine Autokratien bis +10 für reineDemokratien einteilt. Um den vermuteten nichtlinearen Zusammenhang zwischenKonfliktrisiko und Demokratie zu erfassen, wurden neben dem regulären Polity-IV-Index die Werte zusätzlich quadriert in die Regressionsgleichung eingebracht (vgl.Urban/Mayerl 2006: 207-208). Da zu erwarten steht, dass die Konfliktwahrschein-lichkeit zu beiden Enden der Polity-Skala absinkt, sollte die quadrierte Variable inder Regression ein negatives Vorzeichen besitzen.

Als zentrale unabhängige Faktoren zur Erfassung des kulturellen Kontexts werdendie sprachliche, die religiöse sowie die kulturelle Fraktionalisierung eines Landes(letztere als arithmetisches Mittel der beiden anderen Indizes) verwendet. Sowohl die

8 Die binäre logistische Regression (Greene 1993; Liao 1994; Andreß et al. 1997) analysiertZusammenhänge zwischen metrischen unabhängigen Variablen und einer dichotomen ab-hängigen Variable (0, 1). Anders als bei der linearen Regression betrachtet man dabei abernicht den konkret erwarteten Wert der abhängigen Variable, sondern vielmehr die Eintritts-wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, im vorliegenden Fall eines Konfliktes (Y = 1) oder einerniedrigeren Konfliktstufe (Y = 0). Eine weitere wesentliche Differenz zur linearen Regressionist auch die unterschiedliche Interpretation der Regressionskoeffizienten, da diese in den lo-gistischen Regressionsverfahren nicht so direkt und eindeutig zu lesen sind wie im linearenModell. Am einfachsten ist es noch, die Ergebnisse als sogenannte odds (Wahrscheinlich-keitsverhältnisse) zu berechnen, was jedoch eine Umrechnung der Koeffizienten des Regres-sionsoutputs erfordert.

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sprachliche als auch die religiöse Fraktionalisierung wurden berechnet als 1 – Her-findahl-Index auf Basis der jeweiligen Bevölkerungsanteile.9 Der Indexwert variiertzwischen 0 und 1, wobei hohe Indexwerte einer starken kulturellen Fraktionalisierungentsprechen, niedrige Werte dagegen homogene Bevölkerungen anzeigen.

Empirische Analyse

Die vorliegende Studie verbindet zwei Perspektiven. Zum einen wird gefragt, wie daskulturelle setup einer Gesellschaft das Konfliktrisiko beeinflusst. Zum anderen wer-den die Ursachen von kulturellen Konflikten untersucht. Für die erste Frage ist dieabhängige Variable die gesamte Konfliktbelastung eines Landes, für die zweite sinddagegen allein die kulturellen Konflikte relevant. Da wir sowohl inner- als auch zwi-schenstaatliche Konflikte betrachten, ergeben sich insgesamt vier mögliche Kombi-nationen, was auch die Gliederung der empirischen Analyse bestimmt: In einem ers-ten Schritt prüfen wir, inwieweit Kultur als Ursache innerstaatlicher Konflikte wirkenkann. Ein zweiter Schritt verengt dann den Fokus auf kulturelle Konflikte und ver-sucht zu klären, wie es zu innerstaatlichen Auseinandersetzungen kommt, in denenKultur als Thema eine prominente Rolle spielt. Nach der gleichen Vorgehensweiseanalysieren wir im dritten und vierten Abschnitt zwischenstaatliche Konflikte. Umdie Übersichtlichkeit zu erhöhen, sprechen wir bei der abhängigen Variable von »allenKonflikten« bzw. vom »Konfliktpanorama«, wenn die Rolle von Kultur als möglicheUrsache untersucht wird. Steht dagegen Kultur als Thema im Vordergrund, verwen-den wir die Bezeichnung »Kulturkonflikte«.

Kultur als Ursache innerstaatlicher Konflikte

In einem ersten Schritt betrachten wir den Einfluss kultureller Faktoren als Ursachevon Konflikt. Die Befunde in Tabelle 4 zeichnen ein differenziertes Bild.

4.

4.1.

9 Quelle für die sprachliche Fraktionalisierung ist der Ethnologue-Datensatz (Gordon 2005).Quelle für die Berechnung der religiösen Fraktionalisierung ist das Jahrbuch 2007 der En-cyclopaedia Britannica.

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Tabelle 4: Bestimmungsfaktoren innerstaatlicher Konfliktwahrscheinlichkeit 1950bis 2005 (alle Konflikte; binäre logistische Regression)

(1)CONIS (3,4,5)

(2)CONIS (3,4,5)

(3)CONIS (3,4,5)

Konstante -7,909(0,511)***

-8,066(0,514)***

-8,326(0,515)***

Bevölkerung (logarithmiert) 0,577(0,032)***

0,628(0,033)***

0,610(0,033)***

Säuglingssterblichkeit(pro 1000 Geburten, UNWPP)

0,001(0,001)

0,004(0,001)***

0,003(0,001)***

Kultivierbare Landfläche(Hektar pro Person, WDI)

-0,629(0,141)***

-0,576(0,148)***

-0,584(0,141)***

Wachst. BIP/Kopf, int. US$, PPP, konst. Prei-se (Penn World Tables)

-0,015(0,006)**

-0,016(0,006)***

-0,017(0,006)***

Export von Gütern und Dienstleistungen (Pro-zent des BIP, WDI)

-0,003(0,003)

0,004(0,003)

0,002(0,003)

Demokratisierungsgrad(Polity IV: -10 bis +10)

0,050(0,007)***

0,052(0,007)***

0,052(0,007)***

Demokratisierungsgrad(Polity IV, quadriert)

-0,008(0,001)***

-0,008(0,001)***

-0,007(0,001)***

Nettomigration pro 1000 Einw.(positive Werte = Immigration)

-0,014(0,006)**

-0,012(0,006)*

-0,010(0,006)

Youth Bulge: Anteil der 15-24-jährigen Män-ner an Männern über 14 Jahre

0,060(0,008)***

0,057(0,009)***

0,063(0,009)***

Index der sprachlichen Fraktionalisierung 0,500(0,137)***

Index der religiösen Fraktionalisierung -1,453(0,195)***

Index der kulturellen Fraktionalisierung -0,249(0,192)

Pseudo-R² nach Nagelkerke 0,242 0,256 0,241

Einbezogene Fälle (N) 4427 4421 4421

Anmerkungen: Die verwendete Methode ist die binäre logistische Regression, die abhängige Variable istdie dichotome Variable zur Erfassung der Konfliktintensität (0 = niedrige bzw. keine Konflikte; 1 = hoheKonfliktintensität). Die Zahlen bei der abhängigen Variable in Klammern geben die aggregierten Kon-fliktintensitäten der CONIS-Datenbank an. Dargestellt sind die Koeffizienten für die logistische Regression(erster Wert) sowie die zugehörigen Standardfehler (in Klammern) mit: * = signifikant auf dem 10 %-Niveau, ** = signifikant auf dem 5 %-Niveau, *** = signifikant auf dem 1 %-Niveau (zweiseitige Frage-stellung beim Hypothesentest).

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Für die sprachliche Fraktionalisierung zeigt sich der vermutete positive Zusammen-hang zwischen Indexwert und Konfliktrisiko. Demnach nimmt in einem Land dasRisiko eines Konflikts mit steigender sprachlicher Fraktionalisierung zu. Für den In-dex der religiösen Fraktionalisierung gilt dies nicht. Im Widerspruch zu den formu-lierten Erwartungen haben Länder mit einer höheren religiösen Fraktionalisierungdem Koeffizienten zufolge ein geringeres Konfliktrisiko als homogenere Staaten.Weniger überraschend ist vor dem Hintergrund dieses gemischten Befundes das Er-gebnis des dritten Modells: Da der kombinierte Index der kulturellen Fraktionalisie-rung die gegenläufige Wirkung der religiösen und sprachlichen Fraktionalisierunggleichzeitig erfasst, ist der Koeffizient zwar negativ, aber insignifikant.

Der Blick auf die Kontrollvariablen offenbart einen signifikanten Einfluss der youthbulge-Variablen (dem Anteil junger Männer zwischen 15 und 24) und auch für diemeisten anderen Kontrollvariablen zeigt sich das theoretisch erwartete Vorzeichen.Die Koeffizienten sind in fast allen Modellen signifikant. Den Ergebnissen aus Ta-belle 4 zufolge sind damit eine große Bevölkerung und teilweise auch Immigrationmit einem erhöhten innerstaatlichen Konfliktrisiko korreliert. Auch die Säuglings-sterblichkeit als Maßzahl für den Entwicklungsstand einer Gesellschaft ist in zwei derdrei Gleichungen hochsignifikant, was auf den vermuteten Zusammenhang zwischenEntwicklungsniveau und Konfliktrisiko hindeutet – je höher die Säuglingssterblich-keit in einem Land ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamenKonflikts.

Länder mit einer größeren Verfügbarkeit von Ackerland pro Kopf oder einem starkwachsenden Bruttoinlandsprodukt haben dagegen eher ein geringeres Konfliktrisiko.Auch die beiden Demokratisierungsvariablen erweisen sich als hochgradig signifi-kant und für den quadrierten Term ist das Vorzeichen wie erwartet negativ. Dies passtzu den bisherigen Befunden aus einem breiten Strang der empirischen Konfliktfor-schung, der eine kurvilineare Beziehung zwischen dem Demokratisierungsniveau ei-nes Landes und dem Risiko gewalttätiger innerstaatlicher Konflikte untersucht.

Eine Ausnahme unter den Kontrollvariablen stellt der Export von Gütern undDienstleistungen dar, der in keiner der drei Gleichungen ein konventionelles Signi-fikanzniveau erreicht. Die in der Literatur berichtete negative Beziehung zwischenHandelsverflechtung und Konfliktrisiko (Barbieri/Reuveny 2005; Martin et al. 2008;Goldstone et al. 2000) kann mit den Modellen nicht bestätigt werden.

Kultur als Thema innerstaatlicher Konflikte

Im zweiten Teil der Analyse gehen wir der Frage nach, wann Kultur zum Themainnerstaatlicher Konflikte wird. Wir verengen dazu den Fokus auf ausschließlich in-nerstaatliche Kulturkonflikte und lassen alle Auseinandersetzungen außen vor, in de-nen Sprache, Religion und Historizität kein prominentes Thema darstellen. Dabeiergibt sich ein zu den bisherigen Befunden ähnliches Muster, das jedoch auch eineReihe von Abweichungen aufweist (Tabelle 5).

4.2.

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas Schwank: Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive

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Tabelle 5: Bestimmungsfaktoren innerstaatlicher Konfliktwahrscheinlichkeit 1950bis 2005 (kulturelle Konflikte; binäre logistische Regression)

(1)CONIS (3,4,5)

(2)CONIS (3,4,5)

(3)CONIS (3,4,5)

Konstante -9,533(0,589)***

-10,128(0,586)***

-10,243(0,593)***

Bevölkerung (logarithmiert) 0,733(0,038)***

0,812(0,038)***

0,767(0,038)***

Säuglingssterblichkeit(pro 1000 Geburten, UNWPP)

0,002(0,001)

0,009(0,001)***

0,005(0,001)***

Kultivierbare Landfläche(Hektar pro Person, WDI)

-0,289(0,138)**

-0,182(0,140)

-0,246(0,133)*

Wachst. BIP/Kopf, int. US$, PPP, konst. Prei-se (Penn World Tables)

-0,005(0,007)

-0,008(0,007)

-0,007(0,007)

Export von Gütern und Dienstleistungen (inProzent des BIP, WDI)

0,008(0,003)**

0,021(0,003)***

0,014(0,003)***

Demokratisierungsgrad(Polity IV: -10 bis +10)

0,038(0,008)***

0,042(0,008)***

0,042(0,008)***

Demokratisierungsgrad(Polity IV, quadriert)

-0,004(0,002)**

-0,004(0,002)***

-0,004(0,002)**

Nettomigration pro 1000 Einw.(positive Werte = Immigration)

-0,010(0,008)

0,001(0,007)

-0,002(0,008)

Youth Bulge: Anteil der 15-24-jährigen Män-ner an Männern über 14 Jahre

0,006(0,010)

0,012(0,010)

0,019(0,010)*

Index der sprachlichen Fraktionalisierung 1,645(0,171)***

Index der religiösen Fraktionalisierung -1,118(0,225)***

Index der kulturellen Fraktionalisierung 0,979(0,229)***

Pseudo-R² nach Nagelkerke 0,265 0,245 0,243

Einbezogene Fälle (N) 4427 4421 4421

Anmerkungen: siehe Tabelle 4.

Erneut ist die Konfliktwahrscheinlichkeit höher, wenn eine starke sprachliche Frak-tionalisierung vorliegt. Im Gegensatz zur aufgeführten Betrachtung aller Konflikteerweist sich der kombinierte Index kultureller Fraktionalisierung im Hinblick aufkulturelle Konflikte jetzt allerdings als klar signifikant und er hat auch das theoretischerwartete positive Vorzeichen: Kulturkonflikte sind demnach in Ländern mit einerhohen kulturellen Fraktionalisierung wahrscheinlicher als in homogenen Gesell-

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schaften. Das Vorzeichen für den Index der religiösen Fraktionalisierung weicht hin-gegen erneut von den oben formulierten theoretischen Erwartungen ab. Dieser erklä-rungsbedürftige Befund wird im Abschnitt 4.5 näher thematisiert. Dass der Koeffi-zient zwischen den Modellen auch in seiner Größe stark abnimmt, könnte analog zursprachlichen Fraktionalisierung darauf zurückzuführen sein, dass sich die Effekte re-ligiöser Fraktionalisierung vor allem in Form eines erhöhten Risikos für mittlereKonfliktniveaus äußern.

Bei den Kontrollgrößen werden auch hier verschiedene Indikatoren insignifikant.Insbesondere das Wirtschaftswachstum, aber auch die Migrationsrate und die kulti-vierbare Landfläche verlieren an Bedeutung. Sie sind schwächer und weniger signi-fikant mit dem Risiko eines kulturellen Konflikts assoziiert. Aber auch der Anteiljunger Männer ist in zwei Gleichungen nicht mehr statistisch signifikant. Weiter untensoll deshalb gefragt werden, ob hier vielleicht Interaktionseffekte zwischen dem An-teil junger Männer und der kulturellen Fraktionalisierung eines Landes (in seinenverschiedenen Ausprägungen) bestehen. Auffällig ist zudem, dass der Koeffizient fürden Export von Gütern und Dienstleistungen signifikant ist, wenn man ausschließlichkulturelle Konflikte betrachtet – allerdings widerspricht das Vorzeichen den theore-tischen Erwartungen.

Einen möglichen Ansatzpunkt für Kritik stellt die potenzielle Nähe zwischen ab-hängiger Variable und den drei unabhängigen kulturellen Einflussgrößen dar. Demmöglichen Einwand einer Tautologie sei jedoch entgegnet, dass, wie bereits ausge-führt wurde, Ursache und Thema von Konflikten nicht identisch sein müssen, mitanderen Worten: Kulturkonflikte können nicht-kulturelle Auslöser haben und kultu-relle Auslöser können zu nicht-kulturell konnotierten Konflikten führen. Damit be-steht von theoretischer Seite her keine zwingende Verbindung zwischen abhängigerund unabhängiger Größe. Darüber hinaus liegt auch in den Erhebungskriterien (Be-völkerungsanteile zur Indexerhebung gegenüber Thematisierungen zur Konfliktein-stufung) keine konzeptionelle Beziehung vor – wie groß eine Bevölkerungsgruppetatsächlich ist, hat kaum Einfluss darauf, wie sehr sie als »anders« und die eigeneIdentität berührend dargestellt wird.

Kultur als Ursache zwischenstaatlicher Konflikte

Nachdem wir die Bedeutung des kulturellen setup eines Landes für dessen inner-staatliche Konfliktbelastung untersucht haben, gehen wir nun der Frage nach, inwie-weit kulturelle Indikatoren ein signifikanter Prädiktor für die zwischenstaatlicheKonfliktbelastung eines Landes im Allgemeinen sind (Kultur als Ursache). Die Er-gebnisse der logistischen Regression zur Wahrscheinlichkeit zwischenstaatlicherKonflikte sind in Tabelle 6 dargestellt.

4.3.

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas Schwank: Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive

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Tabelle 6: Bestimmungsfaktoren zwischenstaatlicher Konfliktwahrscheinlichkeit1950 bis 2005 (alle Konflikte; binäre logistische Regression)

(1)CONIS (3,4,5)

(2)CONIS (3,4,5)

(3)CONIS (3,4,5)

Konstante -8,338(0,691)***

-9,176(0,702)***

-8,767(0,696)***

Bevölkerung (logarithmiert) 0,531(0,041)***

0,579(0,041)***

0,533(0,041)***

Säuglingssterblichkeit(pro 1000 Geburten, UNWPP)

-0,006(0,002)***

-0,002(0,002)

-0,006(0,002)***

Kultivierbare Landfläche(Hektar pro Person, WDI)

-1,341(0,273)***

-1,208(0,263)***

-1,275(0,265)***

Wachst. BIP/Kopf, int. US$, PPP, konst. Prei-se (Penn World Tables)

0,000(0,007)

-0,005(0,008)

-0,003(0,008)

Export von Gütern und Dienstleistungen (inProzent des BIP, WDI)

0,001(0,004)

0,007(0,004)**

0,001(0,004)

Demokratisierungsgrad(Polity IV: -10 bis +10)

-0,033(0,009)***

-0,029(0,009)***

-0,031(0,009)***

Demokratisierungsgrad(Polity IV, quadriert)

-0,004(0,002)*

-0,004(0,002)*

-0,003(0,002)*

Nettomigration pro 1000 Einw.(positive Werte = Immigration)

0,004(0,007)

0,011(0,007)*

0,007(0,007)

Youth Bulge: Anteil der 15-24-jährigen Män-ner an Männern über 14 Jahre

0,044(0,013)***

0,056(0,013)***

0,053(0,013)***

Index der sprachlichen Fraktionalisierung 1,470(0,203)***

Index der religiösen Fraktionalisierung 0,816(0,256)***

Index der kulturellen Fraktionalisierung 1,971(0,286)***

Pseudo-R² nach Nagelkerke 0,191 0,171 0,188

Einbezogene Fälle (N) 4427 4421 4421

Anmerkungen: siehe Tabelle 4.

Wie in Abschnitt 4.1 ist die abhängige Variable erneut die allgemeine Belastung einesLandes durch Konflikte, ganz gleich ob mit oder ohne kulturelle Thematisierung. Inden entsprechenden Hypothesen war im theoretischen Teil die Erwartung formuliertworden, dass sprachliche, religiöse und kulturelle Fraktionalisierung zwischen Staa-ten keine Rolle spielt, da sich die Konfliktgegenstände auf dieser Ebene von deneninnerstaatlicher Auseinandersetzungen unterscheiden. Akzeptiert man das Pseudo-R²

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nach Nagelkerke als Näherungsgröße für die Erklärungskraft der Modelle, fällt zuerstauf, dass die Gleichungen offenbar weniger imstande sind, die Konfliktbelastung aufzwischenstaatlicher als auf innerstaatlicher Ebene zu erklären. Dennoch sind alle dreikulturellen Faktoren hochsignifikant – und anders als bei den obenstehenden Model-len besitzen die Koeffizienten diesmal alle das positive Vorzeichen, das eigentlichfür innerstaatliche Konflikte erwartet worden war. Auffällig ist zudem, dass der Gradder sprachlichen Fraktionalisierung einen deutlich größeren Regressionsparameteraufweist als im Modell für das innerstaatliche Konfliktpanorama in Tabelle 4. Diesdeutet darauf hin, dass sprachliche Fraktionalisierung auf zwischenstaatlicher Ebeneeine größere Rolle für die Konfliktwahrscheinlichkeit spielt als auf der innerstaatli-chen.

Der Blick auf die Kontrollvariablen zeigt, dass verschiedene Erklärungsfaktoren,die für die innerstaatliche Konfliktwahrscheinlichkeit relevant waren, bei der Analysezwischenstaatlicher Auseinandersetzungen an Signifikanz verlieren. Hierzu zählt dasWirtschaftswachstum eines Landes, aber auch der Grad der Demokratisierung. Mi-gration und Export sind ebenfalls von geringerer Bedeutung. Die Bevölkerungsgröße,youth bulges und die Menge kultivierbaren Landes pro Kopf haben hingegen weiter-hin signifikante Parameter, die in die theoretisch erwartete Richtung weisen. DasVorzeichen für das Entwicklungsniveau eines Landes – gemessen als Säuglings-sterblichkeitsrate – hingegen ist negativ und zeigt damit in eine unerwartete Richtung.Dem in zwei Modellen signifikanten Koeffizienten zufolge sind Länder mit niedrigerSäuglingssterblichkeit eher in zwischenstaatliche Konflikte verwickelt als andereStaaten. Die Befunde in Tabelle 6 führen damit zum Ergebnis, dass auch auf derzwischenstaatlichen Ebene die kulturelle Fraktionalisierung eine Rolle zu spielenscheint.

Kultur als Thema zwischenstaatlicher Konflikte

Im vierten Schritt der Analyse greifen wir jene zwischenstaatlichen Konflikte heraus,in denen Kultur ein hervorgehobenes Thema der Auseinandersetzung darstellte undprüfen, ob sich signifikante Erklärungsgrößen für kulturelle aufgeladene zwischen-staatliche Konflikte identifizieren lassen. Die Ergebnisse der statistischen Analysesind in Tabelle 7 dargestellt.

4.4.

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas Schwank: Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive

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Tabelle 7: Bestimmungsfaktoren zwischenstaatlicher Konfliktwahrscheinlichkeit1950 bis 2005 (kulturelle Konflikte; binäre logistische Regression)

(1)CONIS (3,4,5)

(2)CONIS (3,4,5)

(3)CONIS (3,4,5)

Konstante -8,468(0,970)***

-9,275(0,972)***

-9,284(0,974)***

Bevölkerung (logarithmiert) 0,351(0,054)***

0,510(0,056)***

0,407(0,055)***

Säuglingssterblichkeit(pro 1000 Geburten, UNWPP)

-0,004(0,002)*

0,006(0,002)***

0,000(0,002)

Kultivierbare Landfläche(Hektar pro Person, WDI)

-1,374(0,384)***

-1,439(0,405)***

-1,287(0,370)***

Wachst. BIP/Kopf, int. US$, PPP, konst. Preise(Penn World Tables)

-0,004(0,010)

-0,009(0,011)

-0,009(0,010)

Export von Gütern und Dienstleistungen (inProzent des BIP, WDI)

-0,016(0,007)**

0,004(0,006)

-0,007(0,006)

Demokratisierungsgrad(Polity IV: -10 bis +10)

0,001(0,012)

0,004(0,012)

0,007(0,012)

Demokratisierungsgrad(Polity IV, quadriert)

0,010(0,003)***

0,009(0,003)***

0,010(0,003)***

Nettomigration pro 1000 Einw.(positive Werte = Immigration)

0,022(0,008)***

0,024(0,007)***

0,025(0,008)***

Youth Bulge: Anteil der 15-24-jährigen Män-ner an Männern über 14 Jahre

0,044(0,018)**

0,040(0,018)**

0,057(0,017)***

Index der sprachlichen Fraktionalisierung 2,327(0,314)***

Index der religiösen Fraktionalisierung -1,742(0,408)***

Index der kulturellen Fraktionalisierung 1,331(0,396)***

Pseudo-R² nach Nagelkerke 0,143 0,112 0,107

Einbezogene Fälle (N) 4427 4421 4421

Anmerkungen: siehe Tabelle 4.

Erneut zeigt sich für den Index der sprachlichen Fraktionalisierung ein hochsignifi-kantes Ergebnis. Gegenüber den Modellen für die innerstaatlichen Kulturkonflikte istder Koeffizient deutlich größer und er ist auch dann noch hochsignifikant, wenn man(hier nicht aufgeführt) nur Konflikte der Stufe 4 und 5 zusammenfasst. Die religiöseFraktionalisierung ist dagegen erneut negativ mit der Konfliktwahrscheinlichkeit as-soziiert, sie folgt somit dem bereits auf innerstaatlicher Ebene beobachteten Muster.

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Im Vergleich zu den Modellen für das zwischenstaatliche Konfliktpanorama ist dieserVorzeichenwechsel der wohl auffallendste Unterschied, der mit der Veränderung derabhängigen Variable einhergeht. Anders als bei den innerstaatlichen Konflikten wiegtdie starke Assoziation der sprachlichen Fraktionalisierung die umgekehrte Ausrich-tung der religiösen Fraktionalisierung im zusammengefassten Index der kulturellenFraktionalisierung mehr als auf – der Koeffizient in Modell 3 ist positiv und signifi-kant. Es fällt zudem auf, dass die Nettomigrationsrate für kulturelle Konflikte einensignifikanten Prädiktor darstellt – eine Beziehung, die für das allgemeine Konflikt-risiko nicht besteht.

Erweiterung der Erklärungsmodelle: Nichtlinearität und Interaktionen beiinnerstaatlichen Konflikten

Die bisherige Untersuchung hat für die religiöse Fraktionalisierung teilweise ein un-erwartetes Ergebnis geliefert. Auf innerstaatlicher Ebene ist der entsprechende Indexsignifikant mit einer Senkung des Konfliktrisikos verbunden, auf zwischenstaatlicherEbene zeigt sich dieselbe Assoziation für die Kulturkonflikte, nicht aber für das ge-samte Konfliktpanorama. Warum könnte die religiöse Fraktionalisierung diesen Ef-fekt aufweisen? Eine mögliche Erklärung hierfür könnten systematische Verzerrun-gen des Datenbestandes in Verbindung mit einem Endogenitätsproblem sein. DieQualität und Verlässlichkeit statistischer Erhebungen ist in den hier untersuchtenLändern sehr unterschiedlich. Während die meisten Industrieländer über ausgefeilteMethoden der Datensammlung verfügen, stehen für Entwicklungsländer – noch dazuwenn diese von Konflikten betroffen sind – oft nur rudimentäre Schätzungen zurVerfügung. Wegen der damit verbundenen Ungenauigkeit ist es sehr wahrscheinlich,dass in den wohlhabenderen (und tendenziell weniger von Konflikten betroffenen)Industrieländern eine höhere Anzahl von religiösen Gruppen gezählt wird als in Ent-wicklungsländern. Daher dürfte der Index in letzteren Staaten tendenziell zu niedrigausfallen, also eine geringere Fraktionalisierung ausweisen als tatsächlich besteht.

Neben Bedenken im Hinblick auf die Qualität der Datengrundlage könnte aber auchein Endogenitätsrisiko zum unerwarteten Verhalten des Indikators beitragen. AlbertoAlesina, Arnaud Devleeschauwer, William Easterly, Sergio Kurlat und RomainWacziarg (2003: 165, 167) beispielsweise finden in ihrer Untersuchung der Bezie-hung religiöser, ethnischer und sprachlicher Fraktionalisierung zum langfristigenWirtschaftswachstum keine konsistenten Effekte religiöser Fraktionalisierung. Sieinterpretieren diesen Befund dahingehend, dass Religion im Gegensatz zu den ande-ren erhobenen Merkmalen Ethnie (die oft an die Hautfarbe einer Person anknüpft)und Sprache ein persönliches Merkmal ist, das bei sonst drohender Repressionschlicht geleugnet werden kann. Da sich die eigene Religion zudem im Lauf desLebens ändern kann, vermuten sie, dass entwickelte Länder einen höheren Grad re-

4.5.

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas Schwank: Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive

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ligiöser Fraktionalisierung aufweisen könnten, weil sie schlicht toleranter sind (Ale-sina et al. 2003: 167).10

Ein dritter Grund für das unerwartete Vorzeichen könnte aber auch eine nichtlineareBeziehung zwischen unabhängiger und abhängiger Größe sein. Wie könnte eine sol-che Verbindung aussehen? Kern der bisherigen Hypothesen war, dass sich mit derFraktionalisierung einer Gesellschaft ihr kulturelles Strukturmuster verändert, da dieZahl der in ihr auftretenden Akteure zunimmt. Vor allem für Bereiche hoher Frak-tionalisierung erscheint jedoch auch die Vermutung plausibel, dass zwar die Wahr-scheinlichkeit für das Auftreten von Akteuren mit steigender Fraktionalisierung wei-ter zunimmt, dass sich aber ab einem gewissen Grad aufgrund der Struktur dieserAkteure das Konfliktrisiko nicht weiter erhöht bzw. dass es sogar sinkt. Mit anderenWorten: Zwar sind mit steigender Fraktionalisierung in jedem Fall auch mehr Akteurezu erwarten, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass damit nicht mehr unbedingt auchein Anstieg des Konfliktrisikos einhergeht, weshalb als Konkretisierung der bisheri-gen Hypothesen im Folgenden getestet wird, ob die Verbindung zwischen religiöserund sprachlicher Fraktionalisierung als nichtlinear weiter qualifizierbar ist.

Annahmen zu einer nichtlinearen Wirkung kultureller (meist ethnischer) Fraktio-nalisierung auf das Konfliktniveau eines Landes finden sich in der Literatur an meh-reren Stellen. So argumentiert beispielsweise Tanja Ellingsen (2000: 232), dass eth-nisch inhomogene Länder angesichts nicht deckungsgleicher Grenzen von Staat undEthnie Probleme haben dürften, einen Demos zu konstruieren, welcher der politischenGemeinschaft Legitimität verleihen könnte. Folglich sollte das entsprechende Landeinem erhöhten Konfliktrisiko ausgesetzt sein: »If fragmented societies find it diffi-cult to define ›the people‹, one would expect the likelihood of domestic conflict toincrease the more fragmented a society«. Umgekehrt kann aber auch das Risiko ge-waltsamer Aufstände zunehmen, wenn eine Minderheit von adäquaten Zugängen zuSchlüsselpositionen innerhalb einer Gesellschaft ferngehalten wird – eine Situation,die vor allem dann zu Konflikten führen dürfte, wenn die sich gegenüberstehendenGruppen fast gleich groß sind, da hier die Chancen auf eine erfolgreiche Rebellionam besten sind. Da sich beide Überlegungen in ihrem Extrem widersprechen, fasstEllingsen diese als komplementäre Erklärungsansätze auf und argumentiert, dass vorallem in Gesellschaften mittlerer Fraktionalisierung ein erhöhtes Konfliktrisiko be-steht, weil hier die dominante Gruppe »large but not too large« (Ellingsen 2000: 233)ist und bei steigender Fraktionalisierung entweder die Wahrscheinlichkeit einer Dis-kriminierung anderer Gruppen nachlässt bzw. bei sinkender Fraktionalisierung dieMöglichkeit einer Minderheit zur Rebellion zurückgeht.

Ebenfalls mit Blick auf die ethnische Fraktionalisierung vermuten James Fearonund David Laitin (2003: 78) im Anschluss an Donald Horowitz (1985), dass die po-litischen Prozesse sehr homogener oder sehr heterogener Länder einander insofern

10 Ein der Erhebung der religiösen Bevölkerungsdaten vergleichbares Problem besteht beiden sprachbezogenen Daten nicht. Die verfügbaren Informationen sind hier detaillierterund zuverlässiger. Dieser Umstand ist quellenbedingt, liegt aber auch im kommunikativen»Wesen« des Sprachlichen, das deutlich weniger »personalisierbar« ist als religiöse An-schauungen.

Aufsätze

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strategisch ähneln könnten, als dass in beiden Fällen Koalitionen kleiner Gruppennotwendig sind, um Einfluss zu gewinnen. Wegen der großen Zahl an potentiellenVariationen sei daher in heterogenen Ländern eher dann mit einem erhöhten Kon-fliktrisiko zu rechnen, wenn eine relativ große Minderheit einer dominanten Mehrheitgegenüberstehe, aber keine Aussicht auf eine Machtübernahme besitze. Collier undHoeffler gehen davon aus, dass eine hohe soziale Fraktionalisierung das Risiko ge-waltsamer innerstaatlicher Konfrontationen senkt, da auf der einen Seite die Koordi-nationskosten für Rebellen zunehmen, gleichzeitig aber die Größe ihres Rekrutie-rungspotentials (die jeweilige Ethnie) zurückgeht (Collier/Hoeffler 1998: 566-567).

Im Hinblick auf den Grad religiöser Fraktionalisierung stellen Fearon und Laitin(2003), Collier und Hoeffler (2004) sowie José Montalvo und Marta Reynal-Querol(2005) fest, dass dieser auf das Bürgerkriegsrisiko einer Gesellschaft keinen Einflussausübt (vgl. die Übersicht bei de Juan/Hasenclever 2008). Wir gehen davon aus, dasssich dieser Befund im Rahmen des vorliegenden Untersuchungsansatzes aus den ge-nannten Gründen nicht bestätigen wird. Nicht nur bei einer mittleren sprachlichen,sondern auch bei einer mittleren religiösen Fraktionalisierung sollte eine erhöhteWahrscheinlichkeit innerstaatlicher Konflikte zu erwarten sein. Im Folgenden sinddaher zwei Hypothesen zur Nichtlinearität (nl) zu testen, die jedoch in Form vonInteraktionstermen mit dem Faktor youth bulge überprüft werden (vgl. Tabelle 8):– Hypothese 1(nl): Länder mit einem mittleren Grad religiöser Fraktionalisierung

haben ein gegenüber anderen Ländern erhöhtes Risiko innerstaatlicher Konflikte.– Hypothese 2(nl): Länder mit einem mittleren Grad sprachlicher Fraktionalisie-

rung haben ein gegenüber anderen Ländern erhöhtes Risiko innerstaatlicherKonflikte.

Interaktionseffekte ergeben dann Sinn, wenn die Ausprägung einer Variable darüberentscheidet, ob die Wirkung einer anderen Variable verstärkt oder abgeschwächt wird.Im Hinblick auf kulturelle Einflussfaktoren erscheinen youth bulges insofern als einnaheliegender Kandidat, als dass Huntington (1997) ihnen eine zentrale Rolle alsMotor seiner »Kulturkampfthese« zukommen lässt: Das Wiederaufkommen islami-scher Werte und in dessen Gefolge auch islamistischer Gewalt ist demnach nebentraditionellen Mittelschichten und Migranten vor allem durch junge, oftmals gebildeteMenschen getragen, die den Kern der militanten Protagonisten stellen (Huntington1997: 156, 174). Die hohe Beteiligung muslimischer Länder an interkulturellenBruchlinienkriegen erklärt er damit, dass hier eine starke Bevölkerungsexpansion ei-nen kritischen Populationsdruck hervorgerufen hat:

»Die Bevölkerungsexplosion in muslimischen Gesellschaften und das riesige Reservoiran oft beschäftigungslosen Männern zwischen 15 und 30 sind eine natürliche Quelle derInstabilität und der Gewalt innerhalb des Islam wie gegen Nichtmuslime. Welche anderenGründe auch sonst noch mitspielen mögen, dieser Faktor allein erklärt zu einem großenTeil die muslimische Gewalt der achtziger und neunziger Jahre« (Huntington 1997: 433).

Konflikte (die teilweise auch als Kulturkonflikte gedeutet und konstruiert werdenkönnen) könnten im Licht dieser Überlegungen möglicherweise deutlich durch de-mographische Ursachen mit befördert werden, während Sprache, Religion, Ethnieoder Ideologie vielleicht nur einen vordergründigen Auslöser oder zumindest einen

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vor allem im Verbund mit demographischen Verwerfungen entscheidenden Faktordarstellen.

Tabelle 8 fasst die Ergebnisse für innerstaatliche Konflikte (sowohl für das gesamteKonfliktpanorama als auch für Kulturkonflikte allein) zusammen, wobei religiöse undsprachliche Fraktionalisierung jeweils als nichtlineare Einflussgrößen sowie zusätz-lich deren Interaktion mit dem Faktor youth bulge berücksichtigt wurden. Für dieModelle wurden die einzelnen Länder dann mit einer Dummy-Variable markiert,wenn der jeweilige Fraktionalisierungsindex im Intervall von 0,3 bis 0,7 lag (die Ge-samtspannweite reicht von 0 bis 1) und so einen mittleren Fraktionalisierungsgradanzeigte. Der Interaktionsterm wird berechnet, indem diese Dummy-Variable an-schließend mit der youth bulge-Variable multipliziert wurde.

Tabelle 8: Nichtlinearität und Interaktionseffekte der kulturellen Fraktionalisierungzur Erklärung innerstaatlicher Konfliktwahrscheinlichkeit 1950 bis 2005

AlleKonflikte

Kulturkon-flikte

AlleKonflikte

Kulturkonflik-te

(1)CONIS(3,4,5)

(2)CONIS(3,4,5)

(3)CONIS(3,4,5)

(4)CONIS (3,4,5)

Konstante -8,703(0,534)***

-10,358(0,606)***

-8,492(0,532)***

-10,323(0,602)***

Bevölkerung (logarithmiert) 0,597(0,032)***

0,778(0,037)***

0,594(0,032)***

0,781(0,037)***

Säuglingssterblichkeit(pro 1000 Geburten, UNWPP)

0,004(0,001)***

0,008(0,001)***

0,002(0,001)**

0,007(0,001)***

Kultivierbare Landfläche(Hektar pro Person, WDI)

-0,541(0,137)***

-0,212(0,132)

-0,597(0,140)***

-0,219(0,135)

Wachst. BIP/Kopf, int. US$, PPP,konst. Preise (Penn World Tables)

-0,017(0,006)***

-0,009(0,007)

-0,017(0,006)***

-0,009(0,007)

Export von Gütern und Dienstleistun-gen (in Prozent des BIP, WDI)

0,001(0,003)

0,017(0,003)***

0,000(0,003)

0,017(0,003)***

Demokratisierungsgrad(Polity IV: -10 bis +10)

0,054(0,007)***

0,041(0,008)***

0,049(0,007)***

0,040(0,008)***

Demokratisierungsgrad(Polity IV, quadriert)

-0,008(0,001)***

-0,004(0,002)***

-0,008(0,001)***

-0,005(0,002)***

Nettomigration pro 1000 Einw.(positive Werte = Immigration)

-0,012(0,006)**

0,000(0,007)

-0,011(0,006)*

0,001(0,007)

Youth Bulge: Anteil der 15-24-jährigenMänner an Männern über 14 Jahre(UNWPP)

0,081(0,010)***

0,027(0,011)**

0,076(0,010)***

0,024(0,011)**

Aufsätze

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AlleKonflikte

Kulturkon-flikte

AlleKonflikte

Kulturkonflik-te

(1)CONIS(3,4,5)

(2)CONIS(3,4,5)

(3)CONIS(3,4,5)

(4)CONIS (3,4,5)

Dummy für mittlere religiöse Fraktio-nalisierung (0 = niedrige und hoheFraktionalisierung)

1,209(0,387)***

0,841(0,411)**

Interaktionsterm: Dummy mittlere reli-giöse Fraktionalisierung und männl.Youth Bulge

-0,047(0,012)***

-0,029(0,013)**

Dummy für mittlere sprachliche Frak-tionalisierung (0 = niedrige und hoheFraktionalisierung)

1,181(0,390)***

0,867(0,415)**

Interaktionsterm: Dummy mittleresprachliche Fraktionalisierung undmännl. Youth Bulge

-0,041(0,012)***

-0,024(0,013)*

Pseudo-R² nach Nagelkerke 0,246 0,236 0,241 0,236

Einbezogene Fälle (N) 4427 4427 4427 4427

Anmerkungen: siehe Tabelle 4.

Fokussiert man auf die Länder mit mittlerer sprachlicher und religiöser Fraktionali-sierung, so zeigt sich eine deutliche Veränderung der Ergebnisse. Als erstes fällt auf,dass in allen vier Modellen die Dummy-Variable und damit der Konditionaleffekt füreine mittlere Fraktionalisierung positiv und signifikant ist – bei einem gegebenendurchschnittlichen Anteil junger Männer in der Bevölkerung haben Länder mit einemsprachlichen oder religiösen Fraktionalisierungsgrad zwischen 0,3 und 0,7 demnachein höheres Risiko für innerstaatliche Konflikte, unabhängig davon, ob es sich dabeium politische Konflikte allgemein oder um kulturell eingefärbte Auseinandersetzun-gen im Besonderen handelt. Insofern erscheinen die ersten Befunde für den FaktorReligion in einem neuen Licht: Das Risiko eines Konfliktes (gleich ob kulturell kon-notiert oder nicht) in fraktionalisierten Gesellschaften geht also weniger von religiöseroder sprachlicher Zersplitterung allgemein aus, als vielmehr von einer Situation, inder sich wenige und ungefähr gleich große Gruppen gegenüberstehen. Deutlich über-raschender mag hingegen das Vorzeichen für die vier Interaktionseffekte mit deryouth bulge-Variable sein: Zwar erhöht der Anteil junger Männer in allen untersuch-ten Ländern das Konfliktrisiko, der Effekt ist jedoch in Ländern mit einem mittleren

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Fraktionalisierungsniveau spürbar geringer als in Ländern mit einer niedrigen oderhohen Fraktionalisierung.11

Zusammenfassung

Diese Untersuchung hatte die Verbindung von Kultur und Konflikt zum Gegenstand.Eingangs wurden dazu kulturelle Konflikte als jene Untergruppe der politischen Aus-einandersetzungen definiert, in denen die Identität der beteiligten Akteure – verstan-den als Referenz auf Sprache, Religion oder historische Bezüge – Thema (aber nichtunbedingt auch Ursache) des Konflikts ist. Daran anschließend wurde für den Un-tersuchungszeitraum 1950 bis 2005 diese Verbindung aus zwei Perspektiven be-leuchtet: Zum einen wurde allgemein gefragt, wie das kulturelle setup eines Landes,gemessen sowohl als dessen religiöse und sprachliche Fraktionalisierung als auch alsDurchschnitt beider Größen, dessen Konfliktrisiko beeinflusst. Zum anderen wurdespezifisch untersucht, welche der in der Konfliktforschung diskutierten Ansätze einesignifikante Erklärungsleistung für das Risiko eines kulturellen Konflikts liefern kön-nen. Angesichts theoretisch unerwarteter Ergebnisse wurde die Ausgangsthese mo-difiziert und es wurde erfolgreich auf eine nichtlineare Verbindung von kulturellerStruktur und Konflikt getestet.

Kulturelle Konflikte, so das Ergebnis des deskriptiven Überblicks, sind vorwiegendinnerstaatliche Phänomene. Zugleich sind sie sichtbar gewalttätiger als Auseinander-setzungen ohne Identitätsbezug. In der näheren statistischen Analyse konnte eine sta-bile positive Verbindung zwischen dem Grad sprachlicher Fraktionalisierung unddem Konfliktrisiko eines Landes isoliert werden. Dieser Bezug ist unabhängig vonder Konfliktart (kulturell oder nicht-kulturell) und von den beteiligten Parteien (in-nerstaatliche oder zwischenstaatliche Auseinandersetzungen). Offenbar sind dem-nach Gesellschaften mit größerer sprachlicher Heterogenität eher von Konflikten be-troffen als sprachlich homogene Länder. Die weitere Qualifizierung dieser Verbin-dung ergab zudem einen signifikanten Konditionaleffekt, der darauf hindeutet, dassvor allem ein mittleres Fraktionalisierungsniveau und damit eine Situation, in der sichannähernd gleich große soziale Gruppen gegenüberstehen, entscheidend sein könnte.

Für die religiöse Fraktionalisierung ergab sich hingegen eine unerwartete, signifi-kant negative Verbindung zwischen Fraktionalisierung und Konfliktrisiko. Nur fürdas allgemeine Konfliktrisiko zwischen Staaten zeigte sich das eigentlich für inner-staatliche Auseinandersetzungen vermutete positive Vorzeichen. Da Religion alsMerkmal allerdings auch geleugnet werden kann und damit nur schwer erfassbar ist,

5.

11 Hierzu sei allerdings angemerkt, dass der Befund teilweise durch die Definition der ab-hängigen Variable bedingt scheint: Berücksichtigt man nicht Konflikte der CONIS-Stufen3 (»Krise«), 4 (»Begrenzter Krieg«) und 5 (»Krieg«), sondern nur (aus Platzgründen hiernicht aufgeführt) die gewalttätigeren Auseinandersetzungen der Stufen 4 und 5, ist derInteraktionsterm in den Modellen für sprachliche Fraktionalisierung positiv (wenn auchnur für Kulturkonflikte signifikant). Für die Modelle zur religiösen Fraktionalisierungbleibt er dagegen weiter negativ.

Aufsätze

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kann dieser Befund auch durch die heterogene Datengrundlage der Studie begünstigtsein. Für eine solche Interferenz spricht, dass eine nichtlineare Spezifizierung derRegressionsmodelle einen stabilen, signifikant konfliktsteigernden Konditionaleffektmittlerer Fraktionalisierung auf das Konfliktrisiko eines Landes auswies. Sprachlicheund religiöse Fraktionalisierung zeigten zudem eine wechselseitig hemmende Ver-bindung zur konfliktsteigernden Wirkung des Anteils junger Männer in einer Gesell-schaft, deren weitere Untersuchung lohnenswert erscheint.

Im Hinblick auf die Determinanten kultureller Konflikte und damit auf die zweite,spezifische Perspektive, ergab die Untersuchung keine funktionalen Unterschiedezwischen dem allgemeinen Konfliktrisiko eines Landes und der Wahrscheinlichkeit,in einen innerstaatlichen kulturellen Konflikt verwickelt zu sein. Die Verfügbarkeitvon Ackerland, ökonomisches Wachstum, Migration und der Anteil junger Männererwiesen sich gemessen an ihren Regressionskoeffizienten und an ihrem Signifik-anzniveau insgesamt als schwächere Prädiktoren für eine kulturelle Auseinander-setzung als allgemein für das Konfliktrisiko. Umgekehrt zeigte sich die Einbindungin den Weltmarkt als signifikant positiv mit dem Risiko kulturell konnotierter Aus-einandersetzungen verbunden. Für die kulturellen Einflussgrößen selbst blieb die As-soziation bis auf die oben erwähnte nichtlineare Spezifizierung ebenfalls bestehen.Auf zwischenstaatlicher Ebene erwies sich hingegen die Migrationsrate als signifi-kanter Prädiktor für das Risiko eines kulturellen Konflikts – eine Beziehung, die fürdas allgemeine Konfliktrisiko nicht nachgewiesen werden konnte.

Zusammenfassend lässt sich damit eine spürbare Wirkung kultureller Einflussgrö-ßen auf das Konfliktrisiko von Ländern nachweisen, besonders jedoch von sprachli-cher Fraktionalisierung. Die getrennte Untersuchung von inner- und zwischenstaat-lichen Konflikten hat zudem gezeigt, dass Wirkungszusammenhänge jeweils unter-schiedlich verlaufen. Diese Ergebnisse sind wichtige Impulse für eine differenziertereDiskussion über den Zusammenhang von Kulturen und Konfliktrisiken und könnensich auch in überarbeiteten Modellen für die Konfliktfrühwarnung niederschlagen.Allerdings beeinflussen eine Reihe weitere Größen ebenfalls die Wahrscheinlichkeiteiner Auseinandersetzung. Beispielsweise erhöhen die Einwohnerstärke eines Lan-des, ein hoher Anteil junger Männer, geringe agrarische Nutzflächen und ein geringesWirtschaftswachstum ebenfalls die Konfliktwahrscheinlichkeit. Sprachliche und re-ligiöse Fraktionalisierung sind damit zwar Größen, die bei der Abschätzung vonKonfliktrisiken auf jeden Fall nicht ignoriert werden sollten. Da sie aber keine Er-klärung »im Alleingang« leisten können, sollten sie nicht außerhalb des übrigen Kon-texts betrachtet werden.

Notwendig für die ertragreiche Forschung in diesem Bereich ist folglich die Be-rücksichtigung des strukturellen Rahmens, in dem sich kulturelle Konflikte als kom-munikative Interaktionsprozesse abspielen, und eine Gesamtschau des Zusammen-spiels der einzelnen Faktoren, um den Zusammenhang zwischen Kultur und Konflikterhellen zu können. Weiterführende Forschungsdesiderata lassen sich an dieser Stelleausmachen, insbesondere eine prozessorientierte und dynamisierte, also konfliktpha-senbezogene Konflikttypenzuordnung – Stichworte sind hier die Kulturalisierung undÖkonomisierung von Konflikten – wie auch das Forschungsfeld der Frühwarnung in

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Bezug auf kulturelle Konflikte. Gerade die CONIS-Datenbank mit ihrem Fokus aufKonfliktdynamiken und Ereignisdaten kann hier einen Beitrag leisten.

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Johannes Marx

Is There a Hard Core of IR?Eine wissenschaftstheoretische Betrachtung der Theorien der InternationalenBeziehungen

Die Lehrbücher der Internationalen Beziehungen kennen üblicherweise eine Vielzahlvon Theorien. Das Verhältnis der Theorien zueinander und die Frage ihrer Anwen-dungsbedingungen sind jedoch weitgehend ungeklärt. Hier setzt der Artikel an. Eswird argumentiert, dass zumindest einige der gängigen Theorien in keinem Konkur-renzverhältnis zueinander stehen. Stattdessen sind sie als unterschiedliche Modelledesselben Forschungsprogramms zu interpretieren. Die Modelle unterscheiden sichinsofern voneinander, als dass sie von verschiedenen empirischen Strukturvoraus-setzungen und Strukturwirkungshypothesen ausgehen, während sie denselben »har-ten Kern« teilen. Diese Theorien der Internationalen Beziehungen lassen sich damitals kontextualisierte Spezialisierungen eines allgemeinen Modells der Internationa-len Beziehungen verstehen.

Einleitung

Lehrbücher geben einen guten Einblick in den theoretischen Entwicklungsstand einerDisziplin.1 In den Lehrbüchern der Internationalen Beziehungen findet sich eineVielzahl unterschiedlicher Theorien.2 Die folgenden Theorien werden beispielsweisein einem populären Lehrbuch der Internationalen Beziehungen behandelt: Realismus,Neorealismus, Interdependenz, Regimetheorie, Neofunktionalismus, neuer Libera-lismus, liberale Ansätze zum Demokratischen Frieden, die Englische Schule, Welt-gesellschaft und Globalisierung, Imperialismustheorie, Weltsystemtheorie, neo-Gramscianische Perspektiven, internationale politische Ökonomie, Sozialkonstruk-tivismus, kritische Theorie, postmoderne Ansätze, feministische Ansätze und kriti-sche Geopolitik (Schieder/Spindler 2006).

Die Anordnung in den Lehrbüchern ist häufig chronologischer, selten systemati-scher Natur. Dies liegt darin begründet, dass es an einer allgemein akzeptierten Sys-tematik der Theorien der Internationalen Beziehungen mangelt und grundlegendeFragen bezüglich des Stellenwerts, des Anwendungsbereichs und des Anspruchs derTheorien ungeklärt sind. Dieser Artikel möchte einen Beitrag zur Klärung dieser Fra-gen leisten, indem er eine Systematisierung vor dem Hintergrund wissenschaftstheo-retischer Überlegungen vorschlägt. Natürlich können diese Fragen nicht für alle an-

1.

1 Für hilfreiche Kommentare und Anmerkungen danke ich Frank Gadinger, Mathias Paul, DirkPeters, Stefan Schlag sowie den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern.

2 Baylis/Smith (2001); Dunne et al. (2007); Reus-Smit/Snidal (2008); Schieder/Spindler(2006); Schimmelfennig (2008).

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gesprochenen Theorien gelöst werden. Für die folgende Untersuchung stehen daherbewährte Theorien der Internationalen Beziehungen im Mittelpunkt. Lediglich fürden Neorealismus, die liberale Theorie der Internationalen Beziehungen, Neoinstitu-tionalismus und Sozialkonstruktivismus sollen die angesprochenen Probleme disku-tiert werden.3 Eine solche Untersuchung verlangt wissenschaftstheoretische Überle-gungen hinsichtlich der Struktur, der inhaltlichen Qualität und der Bewertung vonTheorien.

Wissenschaftstheoretische Untersuchungen sind in den Internationalen Beziehun-gen immer noch eine Ausnahme. Einzig die Überlegungen von Lakatos haben in denletzten Jahren eine gewisse Prominenz gewonnen (vgl. Elman/Elman 2002; Faust2004; Vasquez 1998; Vogt 1999). Im Allgemeinen wird in der Forschungsliteraturder Begriff des Forschungsprogramms synonym mit dem Begriff der Theorie ver-wendet. Dementsprechend werden auch einzelne Theorien wie der Neorealismus alsUntersuchungsobjekte herangezogen und mit neueren theoretischen Entwicklungeninnerhalb des Neorealismus verglichen, um degenerative oder progressive Problem-verschiebungen festzustellen (Vasquez 1998). Dies ist eine legitime Vorgehensweise,mit der sinnvolle Erkenntnisse über den qualitativen Wandel von Theorien gewonnenwerden können. Jedoch eignet sich diese Perspektive nicht für die geplante Untersu-chung. Stattdessen soll hier gefragt werden, ob die verschiedenen theoretischen Po-sitionen innerhalb der Internationalen Beziehungen nicht eine gemeinsame theoreti-sche Basis haben. Eine solche Basis stellt eine notwendige Voraussetzung für einenkonstruktiven Dialog zwischen Vertretern und Vertreterinnen unterschiedlicherTheorien dar. Im Falle von Inkommensurabilität zwischen Theorien ist aus Sichtmancher Wissenschaftstheoretiker/-innen eine sinnvolle Kommunikation nicht mög-lich oder zumindest problematisch (Kuhn 1997; 1999; Stegmüller 1973; 1986a).

Im Folgenden wird daher durchaus im Sinne von Lakatos davon ausgegangen, dassForschungsprogramme größere theoretische Einheiten darstellen und diverse Theo-rien in einem Forschungsprogramm zusammengefasst werden können. Als potentielleVertreter für Forschungsprogramme werden in den Sozialwissenschaften üblicher-weise das soziologische und das ökonomische Forschungsprogramm genannt (Esser1999a; 1999b; Opp 1986a; Schimank 2000). Inwieweit diese Positionen kompatibeloder kompetitiv sind, ist in der Forschung umstritten.

Auch für die Theorien der Internationalen Beziehungen sind diese Fragen weitge-hend ungeklärt. So findet sich die Position, dass die Theorien der InternationalenBeziehungen miteinander konkurrieren (Herrmann 1998: 606; Jackson/Sorensen1999: 34), ebenso wie der Standpunkt, dass die Theorien überwiegend dem rationa-

3 An dieser Stelle soll nicht bestritten werden, dass es eine Vielfalt an Theorien gibt. Allerdingsstellt sich aus wissenschaftstheoretischer Perspektive die Frage, welche Qualität diese Un-terschiede haben. Auch ist der Nachweis der Zugehörigkeit zu einer Theoriegruppe (For-schungsprogramm) per se noch kein Qualitätsmerkmal. Um eine Abschätzung der qualitati-ven Güte etwa eines Forschungsprogramms zu geben, schlagen manche Autoren vor, diehistorische Entwicklung vor dem Hintergrund kohärenztheoretischer Kriterien zu betrachten(Andersson 1988; Bartelborth 1996; Lakatos 1964).

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listischen Zweig zugeordnet werden können oder sich zumindest ergänzen.4 Überdiesfindet sich in der Literatur die Forderung, dass die destruktive metatheoretische De-batte zu beenden und durch einen konstruktiven empirischen Dialog zwischen denTheorien zu ersetzen ist (Jupille et al. 2003: 8).

Die Frage, wie so ein konstruktiver Dialog zwischen den Theorien aussehen könnte,ist jedoch weitgehend ungeklärt. Abstrakt ausgedrückt würde sich ein solcher Dialogaus wissenschaftstheoretischer Perspektive über die Geltungsbedingungen der Zu-satzannahmen zu verständigen haben.5 Konkret ist diese Frage nicht zu beantworten,so lange unklar ist, worin sich die Theorien voneinander unterscheiden und welchenStellenwert diese Unterschiede besitzen. Um diese Fragen zu klären, werden dieTheorien in einer geeigneten Metasprache reformuliert. In dieser Sprache müssenauch Bedingungen formuliert sein, unter welchen Umständen Theorien zu For-schungsprogrammen zusammengefasst werden können. Innerhalb solcher Program-me ist die Kommunikation insofern unproblematisch, als dass theoretische Debattennicht vor Inkommensurabilitätsproblemen stehen.

Der Versuch einer systematischen Rekonstruktion der Theorien in einer einheitli-chen Metasprache soll in diesem Artikel unternommen werden. Es wird argumentiert,dass sich die Theorien der Internationalen Beziehungen als kontextualisierte Spezi-almodelle eines allgemeinen theoretischen Forschungsprogramms der Internationa-len Beziehungen interpretieren lassen und der allgemeine theoretische Kern der In-ternationalen Beziehungen dem Kern des ökonomischen Forschungsprogramms ent-spricht.6

Wissenschaftstheoretische Position und Vorgehensweise

Als wissenschaftstheoretischer Rahmen wird auf die Position des Strukturalismus vonWolfgang Stegmüller und Joseph Sneed zurückgegriffen. Inhaltlich knüpft der Struk-turalismus an die Überlegungen von Thomas Kuhn und Imre Lakatos an (Poser 2001:165). Im Unterschied zum klassischen Theorienverständnis (statement view), wie esbeispielsweise von Karl Popper und Hans Albert vertreten wurde, wird das Ziel auf-gegeben, Theorien axiomatisch-logisch – im Sinne von durch Konjunktion verbun-denen Sätzen (statements) – zu rekonstruieren (Stegmüller 1986b: 17; 1987a:469-512). Dies gilt auch für die Annahme, dass Theorien endgültig verifiziert oder

2.

4 Fearon/Wendt (2005: 53); Hasenclever et al. (2000: 13); Schimmelfennig (2003); Zangl/Zürn(2003: 142).

5 Was Zusatzannahmen sind und welchen Stellenwert sie haben, wird im folgenden Abschnittgeklärt.

6 Dabei darf das ökonomische Forschungsprogramm nicht gleichgesetzt werden mit einemspezifischen Theoriemodell innerhalb des ökonomischen Forschungsprogramms, dem Homooeconomicus. Im Gegensatz zum Homo oeconomicus ist das ökonomische Forschungspro-gramm nicht grundsätzlich auf spezifische Präferenzen festgelegt (Opp 1999), kann auchNormwirkung und Normwandel analysieren (North 2006; Richter 1996) und ist offen fürsozialpsychologische Anschlusstheorien (Ajzen/Fishbein 1980; Esser 1996; Kunz 1997a).

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falsifiziert werden könnten. Stattdessen werden Theorien mengentheoretisch als ab-strakte Strukturen aufgefasst (non-statement view).7

Theorien lassen sich nach dieser Vorstellung als Strukturen auffassen, die aus einerMenge theoretischer Annahmen sowie einer Menge intendierter Anwendungen be-stehen. Die theoretischen Annahmen lassen sich in einen theoretischen Kern und eineReihe weiterer theoretischer Annahmen aufteilen, die den Schutzgürtel bilden. Dieseweiteren Annahmen können sich beispielsweise auf die Stabilität bestimmter Ein-flussgrößen, Verbindungen zu anderen Theorien etc. beziehen. Ein weiteres zentralesElement bilden die intendierten Anwendungen einer Theorie.8 Verschiedene Theo-rien können durchaus auf denselben theoretischen Kern zurückgreifen. Die Kernan-nahme einer Theorie stellt die zentrale Gesetzesaussage dar.

Normale Wissenschaft, durchaus im Sinne Kuhns, besteht nun darin, dass neueAnwendungen für den Kern gefunden werden. Um diese Anwendungen zu ermögli-chen, sind Änderungen bei den theoretischen Zusatzannahmen erlaubt. Wenn eineTheorie nun in der Anwendung auf einen Fall scheitert, ist das nicht notwendigerweiseals Falsifikation dieser Theorie zu interpretieren (Stegmüller 1987b: 280-302). Statt-dessen bedeutet dies zunächst nur, dass die Zusatzannahmen in einer Weise modifi-ziert werden müssen, die die Erklärung des neuen Sachverhalts ermöglicht. Dies istdie Funktion des theoretischen Schutzgürtels, den jedes entwickelte Forschungspro-gramm aufweist. Erst wenn dies dauerhaft misslingen sollte, müsste diese konkreteAnwendung aus der Menge der intendierten Anwendungen ausgeschlossen werden.Eine Anwendung, von der man annahm, dass sie zum intendierten Anwendungsbe-reich der Theorie gehörte, kann nicht durch diese erklärt werden. Sollte sich dauerhafterweisen, dass die beobachtete Anomalie symptomatisch für eine Klasse von zentra-len Anwendungen ist und die Theorie beispielsweise nur durch Veränderungen derKernannahmen zu halten wäre, dann erst wäre im Sinne von Lakatos auf Erfolg ver-sprechende theoretische Alternativen zu setzen.9

7 Das strukturalistische Verständnis von Theorien eröffnet Lösungen für zentrale Probleme desklassischen Theorienverständnisses, die durch die kritische Auseinandersetzung mit dem lo-gischen Empirismus und dem Falsifikationismus entdeckt wurden. Ein Problem des Ver-gleichs von Theorien stellt beispielsweise die theoretische Qualität (T-Theoretizität) von Be-grifflichkeiten dar. Auf diese Eigenschaft von Begriffen stützt Kuhn seine Inkommensura-bilitätsthese. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Wissenschaft weiterhin als rationaler Pro-zess verstanden werden kann, ohne dass zentrale epistemologische Probleme wie dasBasissatzproblem negiert werden. Zur Einführung in den wissenschaftstheoretischen Struk-turalismus siehe Stegmüller (1980; 1986a; 1986b; 1987a), Balzer (1993) und Bartelborth(1996).

8 Idealerweise rekonstruiert man Theorien aus strukturalistischer Perspektive durch ein men-gentheoretisch bestimmtes Prädikat. Für die kommenden Ausführungen reicht jedoch einenormalsprachliche Rekonstruktion der behandelten Theorien aus. Schließlich sind auch dieuntersuchten Theorien nicht formalisiert, sondern in normalsprachlicher Form zugänglich(vgl. dazu auch Balzer 1993).

9 Lakatos (1974) unterscheidet daran anknüpfend zwischen progressiven und degenerativenProblemverschiebungen (Schurz 2006: 196-208). Auf diese Unterscheidung wird jedoch hiernicht zurückgegriffen, da es zunächst darum geht, überhaupt ein Forschungsprogramm zuidentifizieren.

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Auf der Grundlage dieser begrifflichen Klärung lässt sich nun präzisieren, unterwelchen Bedingungen Theorien Teil eines Forschungsprogramms sind und wann sieverschiedenen Forschungsprogrammen zugeordnet werden müssen: Theorien sollengenau dann zu einem Forschungsprogramm gerechnet werden, wenn sie sich in denKernannahmen gleichen und nur in Zusatzannahmen (Schutzgürtel) differieren. DasZiel der Rekonstruktion besteht im Folgenden in der Reformulierung der IB-Theorienals Theoriemodell eines Forschungsprogramms. Dies ist möglich, wenn die Theorienunter expliziter Nennung der gleichen Kernannahmen rekonstruiert werden können.

Für die Untersuchung gilt es nun genauer zu bestimmen, worin die Kernannahmeneiner Theorie bestehen. Hier wird davon ausgegangen, dass die gesuchten Gesetz-mäßigkeiten in großen Teilen der Sozialwissenschaften handlungstheoretischer Artsind. So werden soziale Strukturen als das Ergebnis menschlicher Verhaltensweisenaufgefasst.10 Dieser methodologische Individualismus bedeutet jedoch nicht, dass derEinfluss sozialer Strukturen unberücksichtigt bleiben muss. Gerade die Effekte so-zialer Strukturen auf das Verhalten einzelner Akteure sind für die Analyse sozialerProzesse häufig aufschlussreich. Zur Rekonstruktion der Theorien der InternationalenBeziehungen wird im Folgenden daher auf die Überlegungen von James Colemanzurückgegriffen. Dieser verfolgt in den Grundlagen der Sozialtheorie (1995) einähnliches Forschungsinteresse. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht erstens derVersuch, Struktur und Akteur mit Hilfe eines handlungstheoretischen Zugangs zu-sammenzubringen. Sein zweites Anliegen besteht in der Systematisierung und Inte-gration verschiedener sozialwissenschaftlicher Theorien. Dazu entwickelte er mitdem struktur-individualistischen Erklärungsmodell ein metatheoretisches Instrumen-tarium, das im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. Da bei der Rekonstruktion einerTheorie mit Hilfe dieses metatheoretischen Instruments zwischen Kernannahmen undsonstigen Bestandteilen differenziert wird, lässt sich auf dieser Basis die Einordnungder untersuchten Theorien in ein Forschungsprogramm begründen.

Das struktur-individualistische Erklärungsmodell als metatheoretischer Rahmen

Nach James Coleman besteht jede sozialwissenschaftliche Erklärung aus drei Ele-menten. Diese werden häufig nur implizit berücksichtigt. Sie sind aber ein notwen-diger Bestandteil sozialwissenschaftlicher Theoriebildung:

3.

10 Eine Ausnahme stellen hier Systemtheorien dar. Ihr Erklärungspotential ist jedoch in denSozialwissenschaften umstritten (Müller 1996).

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Abbildung 1: Struktur-individualistisches Erklärungsmodell

Makro-ebene

Mikro-ebene

Soziale Situation

Akteur Handlung

Explanandum

Definition der Situation

Logik der Selektion

Logik der Aggregation

Erstens ist für eine sozialwissenschaftliche Erklärung die auf der Makroebene lie-gende Struktur einer Handlungssituation zu berücksichtigen. Aus der speziellen so-zialen Situation, der die Akteure ausgesetzt sind, lassen sich die strukturellen Faktorenableiten, die die Handlungsmöglichkeiten der Akteure bedingen. Dieses erste Elementwird von Coleman mit Definition der Situation umschrieben. Hier werden über Brü-ckenhypothesen Strukturmerkmale der sozialen Handlungssituation mit den Erwar-tungen und Bewertungen des Akteurs verbunden. Folgendes einfaches Beispiel ver-anschaulicht diesen Gedanken: Die Metapher des Schattens der Zukunft bei Axelrodkann so beispielsweise als ein Strukturmerkmal verstanden werden, das sich auf dieErwartung weiterer Interaktionen auswirkt (Axelrod 2000: 11-12). Die Rede von ei-nem großen Schatten der Zukunft lässt sich daher handlungstheoretisch umformulie-ren: Eine Handlung mit einem anderen Akteur ist in einen dichten sozialen Kontexteingebettet, der eine hohe Wahrscheinlichkeit des Wiederaufeinandertreffens ver-spricht. Weil die Beziehung zwischen Struktur und Akteur häufig vernachlässigt wird,erscheinen zahlreiche Handlungen als irrational (Coleman 1995: 22). In diesen Fällenist es dem Wissenschaftler oder der Wissenschaftlerin nicht gelungen, den Einflussder sozialen Struktur auf den Akteur adäquat zu rekonstruieren.

Als zweites Element bedarf eine sozialwissenschaftliche Erklärung eines Auswahl-mechanismus auf der Mikroebene in Form einer Handlungstheorie. Dieser ist not-wendig, um aus der Vielzahl der durch die Struktur der Situation ermöglichten Hand-lungen eine auszuwählen. Dieser Schritt wird auch die Logik der Selektion genannt(Esser 1999a: 94; 1999b: 66). Neben einer konsequentialistischen Handlungslogikkönnen hier auch alternative Selektionsregeln verwendet werden. In diesem Elementverbirgt sich das nomologische Element der sozialwissenschaftlichen Erklärung, ohnedas nicht von einer Erklärung gesprochen werden kann.

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Später soll untersucht werden, ob sich die ausgewählten Theorien der Internatio-nalen Beziehungen in der Terminologie des ökonomischen Forschungsprogrammsrekonstruieren lassen.11 Daher ist es notwendig, die Selektionsregel weiter inhaltlichauszuführen. Coleman greift auf einen Begriff der Rationalität zurück, »der dem ra-tionalen Akteur in der ökonomischen Theorie zugrunde liegt« (Coleman 1995: 17).Es ist die Vorstellung, dass ein Akteur die Handlungsalternative wählen wird, dieseinen Nettonutzen maximiert. Gleichzeitig knüpft er mit seinen Überlegungen an diealltägliche Vorstellung von Handeln an. Wenn man eine Handlung verstehen möchte,dann gilt es nach Coleman, die »›Gründe‹ [zu] verstehen, warum die Person auf einebestimmte Weise gehandelt hat« (Coleman 1995: 17). Eine Handlung zu verstehen,impliziert damit die Behauptung, »daß wir das beabsichtigte Ziel verstehen und auch,wie der Akteur die Handlungen und deren Beitrag zur Zielerreichung einschätzt«(Coleman 1995: 17). Im Einzelnen spielen dabei insbesondere die individuellen Zielesowie die wahrgenommenen Handlungsbeschränkungen eine Rolle.

Für das ökonomische Forschungsprogramm lassen sich damit drei Kernannahmenherausstellen, deren Vorliegen als Kriterien der Zugehörigkeit zum ökonomischenForschungsprogramm zu werten sind: Erstens sind die Präferenzen von Akteuren eineBedingung für ihr Handeln, d.h. Handeln ist zielgerichtet. Zweitens unterliegen dieHandelnden Beschränkungen. Auch die wahrgenommenen Restriktionen sind damiteine Bedingung für das Handeln. Und drittens führen Individuen genau diejenigenHandlungen aus, die ihre Ziele im höchsten Maße realisieren (Opp 1993: 209). Dasbedeutet: Theorien können genau dann dem ökonomischen Forschungsprogrammzugerechnet werden, wenn sie diese drei Kernannahmen teilen.

Im dritten Element einer sozialwissenschaftlichen Erklärung wird die Verbindungvon der Individualebene zur Ebene der sozialen Struktur wieder hergestellt. Die Logikder Aggregation beschreibt, wie die Handlungen Einzelner in ihrer Interaktion das zuerklärende Phänomen bewirken. Als einfaches Beispiel lassen sich hier Rüstungs-wettläufe nennen, die auf den ersten Blick paradox und irrational erscheinen. Kom-pliziertere Prozesse sind das Entstehen von Massenbewegungen (Opp 2009) sowiedie Herausbildung gesellschaftlicher Ordnungsmuster (Hedström 2008). In der Kom-plexität dieser Prozesse mag der Grund dafür liegen, dass manche soziale Effektevorschnell als emergent verstanden werden.

Im Folgenden wird es darum gehen, die impliziten Brückenhypothesen, die Selek-tionsregel sowie, falls vorhanden, die Aggregationsannahmen der ausgewählten IB-Theorien herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Identifikation dertheoretischen Kernannahmen, ist ihr Vorhandensein doch die notwendige Bedingungfür die Zugehörigkeit zum ökonomischen Forschungsprogramm.

11 Diese Vorgehensweise ist auch vor dem Hintergrund der Arbeiten der analytischen Her-meneutik interessant. Dort findet sich das Argument, dass eine Rationalitätsunterstellungeine notwendige Bedingung zur Interpretation jedweder kommunikativer Handlungen dar-stellt (Davidson 1995; 2006; Scholz 2001).

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Der Neorealismus als ökonomisches Theoriemodell

Als zentrales Problem behandelt der Neorealismus die Frage, unter welchen Um-ständen Akteure miteinander kooperieren und wann sie Kooperation verweigern.Diesen Gedanken stellt Waltz (1979) in seinem Werk Theory of International Poli-tics in den Mittelpunkt und entwickelt eine Theorie der internationalen Beziehungen,in der die Struktur des internationalen Systems als zentrale erklärende Variable fun-giert (vgl. auch Grieco 1988; Herz 1974; Mearsheimer 1995). Waltz formuliert da-rüber hinaus den Anspruch, sich an der ökonomischen Mikrotheorie orientieren zuwollen (Waltz 1979: 89-93). Eine Rekonstruktion des Neorealismus als ökonomi-sches Theoriemodell kann damit gerechtfertigt werden, da die Selektionsregel derökonomischen Mikrotheorie dem Kern des ökonomischen Forschungsprogrammsentspricht. Waltz konzentriert sich auf die Analyse des Einflusses, den die Strukturdes internationalen Systems auf das Handeln der einzelnen Staaten hat. Dabei könnenunterschiedliche Strukturen des internationalen Systems entweder friedensstiftendeMachtkonstellationen darstellen oder konfliktinduzierende Wirkungen entfalten.Konkret interessiert ihn die Frage, warum bei bestimmten Strukturen des internatio-nalen Systems vermehrt Kriege auftreten, während andere Strukturen Frieden be-günstigen.

Die Effekte der Struktur des internationalen Systems lassen sich im Hinblick aufdrei Punkte näher bestimmen: Aus der fehlenden supranationalen Steuerungsfähigkeitergibt sich für Staaten erstens die Notwendigkeit, sich selbst um ihre Sicherheit zukümmern (Waltz 1979: 79-101). Zweitens sind die Staaten die zentralen Einheitendes internationalen Systems. Sie gleichen sich in der Notwendigkeit, ihr Überlebensichern zu müssen. Drittens unterscheiden sich Staaten im Hinblick auf die dafürnotwendige Fähigkeit Sicherheit zu maximieren. »States are differently placed bytheir power« (Waltz 1979: 97). Deshalb geht es bei der Bestimmung von Macht auchnicht um absolute Werte, sondern um relative Machtverschiebungen gegenüber denNachbarn (Grieco 1988; Waltz 1979: 105-107). Andere Attribute der Staaten, wie dieArt des politischen Systems, ihre Tradition oder weitere nationale Interessen, sind fürdie Analyse im Sinne von Waltz nicht von Belang (Vogt 1999: 47). Daran anknüpfendargumentiert Waltz, dass das internationale System die Eigenschaft der Selbststabi-lisierung aufweist und zu einem Mächtegleichgewicht tendiert (Walt 1985; Waltz1979: 121). Allen Staaten kann man aufgrund der anarchischen Struktur der interna-tionalen Beziehungen eine realpolitische Orientierung unterstellen. Machtungleich-gewichte stellen eine entscheidende Einschränkung staatlicher Handlungsoptionendar und müssen schon im Ansatz verhindert werden. Staaten verfolgen deshalb einePolitik des Machtausgleichs (balancing) und schließen sich nicht einer hegemonialenMacht an (bandwagoning). Intern konzentriert sich staatliches Handeln auf den Aus-bau der ökonomischen und militärischen Macht. Extern bemühen sich Staaten um dieBildung stabiler Bündnisse.

Wenn man den Neorealismus in die Terminologie des ökonomischen Forschungs-programms übersetzt, gilt es zunächst, die vom Neorealismus unterstellte internatio-nale Struktur mittels der Formulierung von Brückenhypothesen zu erfassen. Die

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Aufsätze

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Staaten interpretieren die anarchische Struktur des internationalen Systems als be-drohlich für ihre Existenz. Aufgrund der wahrgenommenen Bedrohung streben dieStaaten nach dem Gut Sicherheit. Am Beispiel des unipolaren Systems12 lässt sichdie implizit verwendete Brückenhypothese exemplarisch formulieren: Wenn diegrundsätzliche Bedingung der Anarchie und die besondere Struktur eines unipolarenSystems gegeben ist, dann antizipieren nicht-hegemoniale Staaten die Handlungsal-ternative Eingehen von Bündnissen mit anderen nicht hegemonialen Staaten als at-traktivste Handlungsalternative zur Sicherung ihres Überlebens. Der unterstellte Ag-gregationsmechanismus führt dann dazu, dass sich auf Systemebene ein Gleichge-wicht der Mächte ergibt. Dies wird nicht von den Akteuren als Primärziel intendiert,sondern ist Ergebnis der Aggregation des nutzenmaximierenden Verhaltens staatli-cher Akteure. Reformuliert im struktur-individualistischen Erklärungsmodell stellensich Waltz’ Überlegungen folgendermaßen dar:

Abbildung 2: Der Neorealismus als ökonomisches Theoriemodell

Makro-ebene

Mikro-ebene

Anarchie und uni-, bi-oder multipolare

Struktur

Akteur A Machterhalt oder Machtausbau

Gleichgewicht der

Maximierung von

Sicherheit

Logik der Aggregation

Sicherheit wird als attraktivste

Handlungsalternative antizipiert

Mächte

Die Analyse des Neorealismus vor dem Hintergrund der Struktur einer Mehrebe-nenerklärung zeigt, dass der harte Kern des ökonomischen Programms, die Rationa-litätsunterstellung, bei der Rekonstruktion des Neorealismus im metatheoretischenBezugsrahmen erhalten werden kann. Die Argumentation des Neorealismus basiertauf spezifischen inhaltsreichen Zusatzannahmen. So unterstellt man die Brückenhy-pothese, dass aufgrund des anarchischen Staatensystems alle Staaten das Gut Sicher-heit maximieren. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Annahmen des Neorealis-mus nach Kern- und Zusatzannahmen trennen. Anarchie und Sicherheitsstreben sindzusätzliche Annahmen, mit denen der Kern des ökonomischen Forschungsprogram-

12 Waltz differenziert darüber hinaus zwischen uni-, bi- und multipolaren Staatensystemen(1979: 168).

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mes empirisch angereichert wird. Die folgende Grafik veranschaulicht die innereStruktur der Theorie:

Abbildung 3: Kern- und Zusatzannahmen des Neorealismus

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen Handeln unter der objektiven Bedingung der AnarchieSicherheitsstreben als einziges Handlungsmotiv

ist als Restriktion relevantZentrale Akteure sind Staaten

Nur die militärische Stärke

•••

Die Rekonstruktion legt nahe, dass sich die Kritik im Forschungsstand primär gegendie starken Zusatzannahmen über die Struktur des internationalen Systems und derenWirkung richtet und weniger gegen den harten Kern. Aus den ausgeführten wissen-schaftstheoretischen Überlegungen heraus sind einzig die Annahmen des hartenKerns vor Falsifikationen dauerhaft geschützt. Alle sonstigen Zusatzannahmen habenden Status von Hypothesen, die sich der Konfrontation mit der Empirie stellen müs-sen. Bewähren sich die Zusatzannahmen, können sie als zuverlässig gelten und bei-behalten werden. Bewähren sie sich nicht, sollten sie modifiziert werden. Dies giltauch für die Annahme, dass nur staatliche Akteure in den Blick genommen werdensollen. Solche Modifikationen sind wissenschaftstheoretisch durchaus wünschens-wert und im normalwissenschaftlichen Prozess an der Tagesordnung. Sie stellen keineFalsifikation der Theorie dar. Eine Ausnahme stellt lediglich die Kritik aus sozialkon-struktivistischer Perspektive dar, die die Rationalitätsunterstellung in Frage stellt.Diese Kritik wurde beispielsweise im Rahmen der ZIB-Debatte schon in den erstenBeiträgen von Müller (1994; 1995) deutlich, der ökonomischen Theorien wie Neo-realismus und Neoinstitutionalismus das Potential zur Erklärung kooperativer Hand-lungen absprach. Alternativ schlägt Müller vor, die Theorie kommunikativen Han-delns von Habermas zu verwenden. In der Folge entspannte sich eine intensive Aus-einandersetzung um die Frage, inwieweit die Annahme der Nutzenmaximierung hin-

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mes empirisch angereichert wird. Die folgende Grafik veranschaulicht die innereStruktur der Theorie:

Abbildung 3: Kern- und Zusatzannahmen des Neorealismus

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen Handeln unter der objektiven Bedingung der AnarchieSicherheitsstreben als einziges Handlungsmotiv

ist als Restriktion relevantZentrale Akteure sind Staaten

Nur die militärische Stärke

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Die Rekonstruktion legt nahe, dass sich die Kritik im Forschungsstand primär gegendie starken Zusatzannahmen über die Struktur des internationalen Systems und derenWirkung richtet und weniger gegen den harten Kern. Aus den ausgeführten wissen-schaftstheoretischen Überlegungen heraus sind einzig die Annahmen des hartenKerns vor Falsifikationen dauerhaft geschützt. Alle sonstigen Zusatzannahmen habenden Status von Hypothesen, die sich der Konfrontation mit der Empirie stellen müs-sen. Bewähren sich die Zusatzannahmen, können sie als zuverlässig gelten und bei-behalten werden. Bewähren sie sich nicht, sollten sie modifiziert werden. Dies giltauch für die Annahme, dass nur staatliche Akteure in den Blick genommen werdensollen. Solche Modifikationen sind wissenschaftstheoretisch durchaus wünschens-wert und im normalwissenschaftlichen Prozess an der Tagesordnung. Sie stellen keineFalsifikation der Theorie dar. Eine Ausnahme stellt lediglich die Kritik aus sozialkon-struktivistischer Perspektive dar, die die Rationalitätsunterstellung in Frage stellt.Diese Kritik wurde beispielsweise im Rahmen der ZIB-Debatte schon in den erstenBeiträgen von Müller (1994; 1995) deutlich, der ökonomischen Theorien wie Neo-realismus und Neoinstitutionalismus das Potential zur Erklärung kooperativer Hand-lungen absprach. Alternativ schlägt Müller vor, die Theorie kommunikativen Han-delns von Habermas zu verwenden. In der Folge entspannte sich eine intensive Aus-einandersetzung um die Frage, inwieweit die Annahme der Nutzenmaximierung hin-

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reichend und notwendig ist, verständigungsorientierte Handlungen und Kooperationzu erklären (überblicksartig Holzinger 2001; Risse-Kappen 1995; Risse 2003).13

Die liberale Theorie der internationalen Politik als ökonomisches Theoriemodell

Die liberale Theorie der internationalen Politik betont den Stellenwert innenpoliti-scher Faktoren für die internationalen Beziehungen. Dafür knüpft Moravcsik mit sei-ner Theorie an Überlegungen von Keohane und Nye an (1977). So könne der Neo-realismus nicht erklären, welche Präferenzen ein Staat in seiner Außenpolitik verfolgt(Moravcsik 1997). Zu behaupten, dass diese aufgrund der anarchischen Struktur desinternationalen Systems auf die Maximierung des Gutes Sicherheit festgelegt seien,werde den komplexen innerstaatlichen Präferenzbildungsprozessen nicht gerecht.Nicht die anarchische Struktur des internationalen Systems bestimme das staatlicheHandeln, sondern die Interessen der innerstaatlichen Individuen und Gruppen seiendas bestimmende Element der internationalen Politik. Die inneren politischen Wil-lensbildungsprozesse werden daher herangezogen, um die außenpolitischen Präfe-renzen des Staates zu bestimmen (Putnam 1988). Das Ziel von Moravcsik bleibt dieErklärung des intergouvernementalen Verhaltens von Staaten. Dafür greift er explizitauf das Vokabular ökonomischer Erklärungsansätze zurück, wenn er von Präferenzenund Interessen spricht. Vor diesem Hintergrund scheint auch die Rekonstruktion derliberalen Theorie als ökonomisches Theoriemodell rechtfertigbar. Dabei lässt sich dieliberale Theorie nach Moravcsik anhand von drei zentralen Prämissen charakterisie-ren:– die bestimmenden Akteure in den internationalen Beziehungen sind nicht Staa-

ten, sondern soziale Akteure und innergesellschaftliche Gruppen (Moravcsik1997: 516);

– die Interessen der einzelnen Gruppen stehen in einem Konkurrenzverhältnis zu-einander;

– wie der innerstaatliche Wettbewerb um Einfluss verläuft, ist abhängig von derpolitischen Struktur des jeweiligen Systems.

Das außenpolitische Handeln eines Staates folgt lediglich den gesellschaftlichen Inte-ressen, die sich im innerstaatlichen Politikprozess durchgesetzt haben (Moravcsik1997: 518-520). Damit rücken die institutionellen Rahmenbedingungen innerhalb ei-

5.

13 Ausgangspunkt der ZIB-Debatte ist ein Aufsatz von Müller (1994), der rationalistischenAnsätzen das Vermögen abspricht, Kooperation zu erklären. Noch im selben Jahr erscheinteine kurze Replik von Schneider (1994). In eine ähnliche Stoßrichtung aber ausführlicherund detaillierter liest sich dann Keck (1995). In der Folge verschärfen u.a. Risse-Kappen(1995), Schmalz-Bruns (1995) und erneut Müller (1995) die Kritik am Rational Choice-Ansatz, während Keck (1997) und später Holzinger (2001) noch einmal die rationalistischePosition stärken. Daneben existiert eine Reihe von Beiträgen, beispielsweise von Zangl/Zürn (1996) und Schimmelfennig (1997), die eine moderierende Position zu begründenversuchen. Die Diskussion verlief insofern problematisch, als dass keine Verständigungdarüber erfolgte, was mit Rationalismus eigentlich bezeichnet wird. Nach dem hier prä-sentierten Vorschlag besteht der Kern des ökonomischen Programms lediglich aus den dreioben genannten Bestandteilen und nicht aus einer Festlegung auf bestimmte Präferenzen.

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nes politischen Systems in den Fokus (Milner 1997). Demokratische, autoritäre oderdiktatorische Strukturen haben unterschiedliche Effekte auf die Möglichkeit von In-teressengruppen, sich in den Interessenwettbewerb einzubringen. Dies spiegelt sichdann in den außenpolitischen Zielvorstellungen der Staaten wider.

Am Beispiel der kommerziellen Variante der liberalen Theorie soll der Aufbau derTheorie verdeutlicht werden. Diese stellt die ökonomischen Interessen der gesell-schaftlichen Akteure in den Mittelpunkt. Das außenpolitische Verhalten des Staateswird von den Gewinnen und Verlusten der relevanten gesellschaftlichen Akteure be-stimmt. Sie versuchen, ihre Interessen im innerstaatlichen Präferenzbildungsprozessdurchzusetzen. Ein gewaltsamer Konflikt, der die transnationalen Handelsbeziehun-gen zwischen den Staaten beenden würde, wäre nicht im Interesse der von grenz-überschreitenden Austauschbeziehungen profitierenden gesellschaftlichen Akteure.Aus dieser Perspektive haben am Handel orientierte Gesellschaften einen Anreiz,gewaltsame Konflikte zu vermeiden (Zangl/Zürn 2003: 67). Vertreterinnen und Ver-treter des kommerziellen Liberalismus argumentieren, dass Veränderungen der in-ternationalen ökonomischen Strukturen die Nutzenfunktionen der transnational agie-renden Akteure verändern (Moravcsik 1997: 528).

Inwieweit Kooperation oder Konflikt die internationalen Beziehungen prägen,hängt davon ab, inwieweit die durch den Staat repräsentierten gesellschaftlichen Prä-ferenzen mit denen anderer Staaten harmonieren oder kollidieren (Moravcsik 1997:520-521). Zwar sind die außenpolitischen Zielsetzungen des Staates ein Produkt desinnergesellschaftlichen Interessenwettbewerbs. Die Handlungsmuster der internatio-nalen Politik sind aber auch von den zwischenstaatlichen Interessenkonstellationen(policy interdependence) abhängig (Moravcsik 1997: 520). Moravcsik unterscheidetdrei mögliche Szenarien, wie Interessen verschiedener Staaten zueinander stehenkönnen: Die Interessen von Staaten können erstens konvergieren, wodurch die Wahr-scheinlichkeit internationaler Kooperation steigt (Moravcsik 1997: 521). Zweitenskönnen die staatlichen Interessen auch divergieren. Dann hat die Interaktionssituationden Konfliktcharakter einer Nullsummenkonstellation, in der die Gewinne des einenAkteurs zugleich die Verluste des anderen darstellen. Schließlich können sie sichdrittens auch komplementär zueinander verhalten. Dann besteht ein großer Anreiz fürdie betroffenen Staaten, über Politikkoordination Gewinne zu realisieren.

Für die handlungstheoretische Rekonstruktion soll hier vereinfachend davon aus-gegangen werden, dass die Regierung stellvertretend für den Staat agiert. Die Inte-ressen der ökonomischen Akteure wirken deshalb als Restriktionen auf das Entschei-dungskalkül der Regierung ein. Im Rahmen dieses Konzepts unterstellt man deshalbeine Brückenhypothese, die einen Zusammenhang zwischen den ökonomischen Inte-ressen mächtiger Interessengruppen und der Definition der Situation seitens der Re-gierung herstellt: Aufgrund der interdependenten Struktur der internationalen Bezie-hungen und den starken Wohlfahrtsinteressen gesellschaftlicher Gruppen interpre-tieren Regierungen den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen als attraktivste Hand-lungsalternative.

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Abbildung 4: Die kommerzielle Variante der liberalen Theorie der Politik als öko-nomisches Theoriemodell

Makro-ebene

Mikro-ebene

Interdependenz, Wohlfahrtsinteressen der gesellschaftlichen

Gruppen

StaatWirtschaftliche

Kooperation mit anderen Staaten

Ausbau der Handelsbeziehungen

als attraktivste Handlungsalternative

Wohlfahrts-maximierung

Logik der Aggregation

»Maximierung vonWohlfahrt« erscheint

In der Brückenhypothese wird als Reaktion auf die innerstaatlichen Präferenzensowie die interdependente Struktur der internationalen Beziehungen eine außenpoli-tische Orientierung an Wirtschaftsfragen formuliert. Es wird argumentiert, dass damitdie Maximierung von Wohlfahrt als die wichtigste Handlungsalternative eingestuftwird. Moravcsik betont, dass die Ausprägung der Interessenskonstellation zwischenden Staaten die erklärende Variable für die Entstehung von internationaler Koopera-tion oder internationalen Konflikten darstellt. Die Aggregation der wohlfahrtsförder-lichen Handlungen der einzelnen Akteure führt langfristig dazu, dass Handelsbezie-hungen ausgebaut, Handelsbündnisse abgeschlossen und Handelshemmnisse zurück-gehen werden. Insgesamt lassen sich die Kern- und Zusatzannahmen folgendermaßenzusammenfassen:

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Abbildung 5: Kern- und Zusatzannahmen der liberalen Theorie der internationalenPolitik

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen Handeln unter der strukturellen Bedingung der Interdependenz

innerstaatlichen

Zentrale Akteure sind auf internationaler Ebene Staaten

Bestimmung der

eines Staates sind gesellschaftliche Gruppen

Präferenzen und Restriktionensind primär bestimmt durch

Präferenzbildungswettbewerb

Zentrale Akteure für die

außenpolitischen Präferenzen

•••

Aus handlungstheoretischer Perspektive fällt auf, dass das ökonomische Theorie-modell liberale Theorie der internationalen Politik starke Annahmen hinsichtlich derRandbedingungen in das Theoriegebäude integriert hat. So mag die Dominanz wirt-schaftlicher Interessen für manche gesellschaftliche Gruppen auf der Hand liegen, sieist jedoch nicht naturgegeben. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der letzten Jahrelässt sich feststellen, dass insbesondere die Bedeutung von Nichtregierungsorgani-sationen (NROs) gewachsen ist, die postmaterialistische Bedürfnisse ansprechen.Deshalb muss an dieser Stelle auf die Qualität der Zusatzannahmen verwiesen wer-den. Sie sind nach Lakatos nicht vor Falsifikationen geschützt, sondern der andau-ernden empirischen Bewährung und Überprüfung ausgesetzt. Sie gelten damit alsempirische Hypothesen, die bei Bedarf korrigiert werden müssen.

Der Neoinstitutionalismus als ökonomisches Theoriemodell

Der Neoinstitutionalismus ist eine Theoriefamilie, die sich mit der zunehmendenVerflechtung der internationalen Beziehungen auseinandersetzt (Krasner 1995; Stein1983). Exemplarisch lässt sich die Argumentation an Robert O. Keohane festmachen.In seinem Werk After Hegemony (1984) entwickelt er eine Erklärung für das Zustan-dekommen internationaler Regime. Er argumentiert, dass man mit den Grundannah-men des Neorealismus im Hinblick auf die Rationalität der Akteure auch zu einemanderen Ergebnis kommen kann. Dafür verändert er lediglich die Randbedingungendes neorealistischen Bezugspunktes. Er verneint die Existenz von Hegemonialstaaten,

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Abbildung 5: Kern- und Zusatzannahmen der liberalen Theorie der internationalenPolitik

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen Handeln unter der strukturellen Bedingung der Interdependenz

innerstaatlichen

Zentrale Akteure sind auf internationaler Ebene Staaten

Bestimmung der

eines Staates sind gesellschaftliche Gruppen

Präferenzen und Restriktionensind primär bestimmt durch

Präferenzbildungswettbewerb

Zentrale Akteure für die

außenpolitischen Präferenzen

•••

Aus handlungstheoretischer Perspektive fällt auf, dass das ökonomische Theorie-modell liberale Theorie der internationalen Politik starke Annahmen hinsichtlich derRandbedingungen in das Theoriegebäude integriert hat. So mag die Dominanz wirt-schaftlicher Interessen für manche gesellschaftliche Gruppen auf der Hand liegen, sieist jedoch nicht naturgegeben. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der letzten Jahrelässt sich feststellen, dass insbesondere die Bedeutung von Nichtregierungsorgani-sationen (NROs) gewachsen ist, die postmaterialistische Bedürfnisse ansprechen.Deshalb muss an dieser Stelle auf die Qualität der Zusatzannahmen verwiesen wer-den. Sie sind nach Lakatos nicht vor Falsifikationen geschützt, sondern der andau-ernden empirischen Bewährung und Überprüfung ausgesetzt. Sie gelten damit alsempirische Hypothesen, die bei Bedarf korrigiert werden müssen.

Der Neoinstitutionalismus als ökonomisches Theoriemodell

Der Neoinstitutionalismus ist eine Theoriefamilie, die sich mit der zunehmendenVerflechtung der internationalen Beziehungen auseinandersetzt (Krasner 1995; Stein1983). Exemplarisch lässt sich die Argumentation an Robert O. Keohane festmachen.In seinem Werk After Hegemony (1984) entwickelt er eine Erklärung für das Zustan-dekommen internationaler Regime. Er argumentiert, dass man mit den Grundannah-men des Neorealismus im Hinblick auf die Rationalität der Akteure auch zu einemanderen Ergebnis kommen kann. Dafür verändert er lediglich die Randbedingungendes neorealistischen Bezugspunktes. Er verneint die Existenz von Hegemonialstaaten,

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wodurch sich die Situation für die Akteure ändert (Keohane 1984: 67). Die grund-sätzliche theoretische Orientierung, dass Staaten nutzenmaximierende Akteure sindund in einer gegebenen Struktur nationalstaatliche Ziele verfolgen, bleibt in seinerArgumentation erhalten. So referiert Keohane (1984: 65-87) beispielsweise explizitÜberlegungen von Rational Choice-Theoretikern wie Olson und Axelrod und ver-wendet damit die Selektionsregel des ökonomischen Forschungsprogramms.

Ähnlich wie der Neorealismus sieht auch Keohane im Fehlen einer regierungsähn-lichen Steuerungsinstanz das zentrale Merkmal des internationalen Systems. Er stelltdie Frage, wie es unter solchen Bedingungen zu kooperativen Regelungen in kon-fliktträchtigen interdependenten Politikfeldern kommt. Kooperation resultiert im in-ternationalen Kontext nicht aus gezielter Steuerung, sondern basiert auf den Mecha-nismen der Selbstorganisation (Keohane 1984: 183). Diese wiederum können aus demeigennutzorientierten Verhalten der beteiligten Akteure erklärt werden. Im Mittel-punkt staatlichen Strebens steht die Maximierung von Sicherheits- und Wohlfahrts-interessen. Als Ergebnis dieser Selbstorganisationsprozesse können Regime entste-hen, die helfen Kooperationszusammenhänge zwischen Staaten zu stabilisieren undneue Kooperationsformen zu ermöglichen. Regime definiert Keohane als »instituti-ons with explicit rules, agreed upon by governments, that pertain to particular sets ofissues in international relations« (Keohane 1989b: 4).

Keohane argumentiert somit, dass trotz ähnlicher Prämissen wie im NeorealismusKooperation möglich ist. Erstens kooperieren Staaten bei der Errichtung von Regi-men. Zweitens helfen Regime dabei, Kooperation zwischen Staaten zu erzeugen, zuerhalten oder auszubauen. Im ersten Fall untersucht man internationale Regime alsabhängige Variable und fragt nach ihren Entstehungsbedingungen. Im zweiten Fallstellen Regime die unabhängige Variable dar und man untersucht ihre Wirkung.

Keohane führt die Bildung von Regimen auf zugrunde liegende gemeinsame Inte-ressen der relevanten Akteure zurück. Die Akteure versprechen sich durch die Grün-dung eines Regimes einen Nutzenzuwachs. Schließlich gibt es die Erwartung, dassRegime Transaktionskosten reduzieren (Keohane 1984: 89-93). Dabei stellt die In-terdependenzdichte in den relevanten Politikfeldern einen zentralen Bestimmungs-faktor für die Entstehung von Kooperation dar (Keohane 1984: 79). Ebenfalls vonBedeutung ist die Zahl der Akteure, die sich an der Produktion des Kollektivgutesbeteiligen. Je mehr Staaten beteiligt sind, desto schwieriger ist es, Kooperation de-zentral durchzusetzen und dauerhaft durch Sanktionen zu sichern (Oye 1986).

Einmal etablierte Regime begünstigen das kooperative Verhalten der zusammen-geschlossenen Staaten. Regime stellen Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung undreduzieren die Transaktionskosten in risikobehafteten Interaktionssituationen (Keo-hane 1984: 89-93).

Die Rekonstruktion des Neoinstitutionalismus soll exemplarisch an der Frage derRegimeentstehung diskutiert werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen, warumStaaten ihr Handeln freiwillig an Normen ausrichten und welche Strukturmerkmaleder internationalen Beziehungen diese riskante Kooperationsentscheidung ermögli-chen. Institutionentheoretisch gesprochen geht es dabei um die Frage, unter welchen

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Umständen Staaten bereitwillig auf Kontrollrechte an ihren eigenen Handlungen ver-zichten.

Nach Keohane wirkt sich die Stabilität des Interaktionszusammenhangs positiv aufdie Kooperationswahrscheinlichkeit aus. Im Falle einer wiederholten Begegnung derAkteure verändert sich deren Bewertung der Handlungsalternativen. Wie sieht nunhier der Zusammenhang zwischen Struktur- und Akteursebene aus? Die Akteure er-kennen, dass sie die attraktiven Kooperationsgewinne dauerhaft leichter oder in grö-ßerem Umfang erwirtschaften können, wenn sie die Interaktionsbeziehung ausbauenund sich in ihrem Handeln an ein Regime binden. Sie sind deshalb bereit, Kontroll-rechte über ihr außenpolitisches Verhalten in einem Politikfeld abzugeben. Wenn sichdazu mehrere Akteure gleichzeitig bereit erklären, wird als Folge des Aggregations-prozesses der einzelnen Handlungen ein Regime entstehen. Demnach gilt folgendeBrückenannahme: Wenn die Stabilität des Interaktionszusammenhangs in einer in-terdependenten Handlungsstruktur von den Akteuren als hoch eingeschätzt wird undweitere Interaktionen zu erwarten sind, dann wird ein Ausbau der Kooperationsbe-ziehungen als beste Handlungsalternative eingestuft. Dabei besteht der problemati-sche Aspekt von Kooperation in der glaubwürdigen Abtretung von Kontrollrechtenan den eigenen Handlungen. Schließlich bedeutet die Errichtung eines Regimes, dassman sich in Bezug auf ein bestimmtes Politikfeld an gewisse Handlungsstandardsbindet und auf kurzfristige Defektionsgewinne verzichtet.

Abbildung 6: Der Neoinstitutionalismus als ökonomisches Theoriemodell, Regime-entstehung

Makro-ebene

Mikro-ebene

Starke Interdependenz, bestehende Interaktionsbeziehung,

gemeinsames Interesse an Regelung eines Politikfeldes

StaatKooperation, d.h.

Abtretung von Kontrollrechten

Existenz eines Regime

erwarteter stabiler Austauschbeziehungen als

attraktivste Handlungsalternative

Logik der Aggregation

»Kooperation« erscheint aufgrund

Aufbauend auf dieser Beschreibung der Anfangsbedingungen und der Situations-wahrnehmung der Akteure kann nun in einem nächsten Schritt die Logik der Selektionbetrachtet werden. Hier wählen die betroffenen Akteure – dem Maximierungsprinzip

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folgend – die Handlungsalternative Kooperation aus, da sie den größten Nutzen ver-spricht. Die Akteure haben erkannt, dass sie die attraktiven Kooperationsgewinnedauerhaft leichter oder in größerem Umfang erwirtschaften können, wenn sie die In-teraktionsbeziehung ausbauen und sich in ihrem Handeln an ein Regime binden. Siesind deshalb bereit, Kontrollrechte über ihr außenpolitisches Verhalten in einem Po-litikfeld abzugeben. Schließlich gilt es in einem dritten Schritt die Logik der Aggre-gation herauszuarbeiten, soweit dies auf der Grundlage der zur Verfügung stehendenInformationen möglich ist. Im angenommenen Fall bedeutet dies, dass nur unter derBedingung wechselseitiger Kooperation ein Regime als Produkt des Aggregations-prozesses entsteht.

Auch der Neoinstitutionalismus lässt sich vor dem Hintergrund der Unterscheidungvon Kern- und Zusatzannahmen systematisch darstellen:

Abbildung 7: Kern- und Zusatzannahmen des Neoinstitutionalismus

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen

Strukturen der Interdependenz und unter Unsicherheit

Restriktionen sind prinzipiell offen, implizit aber auf Maximierung von Sicherheits-und Wohlfahrtsinteressen

Konflikte in den int. Bez. entsprechen der Struktur eines Gefangenendilemmas Akteure sind Staaten oder Gruppen; implizit meistens

Handeln unter »materiellen«

Staatl. Präferenzen und

beschränkt

auf Staaten beschränkt

•••

Gleichzeitig bietet die schematische Darstellung wiederum die Möglichkeit, diekritische Auseinandersetzung mit dem Neoinstitutionalismus zu systematisieren. Sodreht sich die Auseinandersetzung zwischen Neorealisten (Grieco 1988), Neoinsti-tutionalisten (Keohane 1984; 1989a) und Vertretern der liberalen Theorie (Moravcsik1997) letztlich um die Frage der empirischen Angemessenheit der Zusatzannahmen,während aus konstruktivistischer Perspektive sowohl Zusatzannahmen wie die Fi-xierung auf materielle Interessen in Frage gestellt werden (Hollis/Smith 1990; Hollis1991) als auch der Kern des Forschungsprogramms abgelehnt wird (Onuf 2001; Zeh-fuß 2002).

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folgend – die Handlungsalternative Kooperation aus, da sie den größten Nutzen ver-spricht. Die Akteure haben erkannt, dass sie die attraktiven Kooperationsgewinnedauerhaft leichter oder in größerem Umfang erwirtschaften können, wenn sie die In-teraktionsbeziehung ausbauen und sich in ihrem Handeln an ein Regime binden. Siesind deshalb bereit, Kontrollrechte über ihr außenpolitisches Verhalten in einem Po-litikfeld abzugeben. Schließlich gilt es in einem dritten Schritt die Logik der Aggre-gation herauszuarbeiten, soweit dies auf der Grundlage der zur Verfügung stehendenInformationen möglich ist. Im angenommenen Fall bedeutet dies, dass nur unter derBedingung wechselseitiger Kooperation ein Regime als Produkt des Aggregations-prozesses entsteht.

Auch der Neoinstitutionalismus lässt sich vor dem Hintergrund der Unterscheidungvon Kern- und Zusatzannahmen systematisch darstellen:

Abbildung 7: Kern- und Zusatzannahmen des Neoinstitutionalismus

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen

Strukturen der Interdependenz und unter Unsicherheit

Restriktionen sind prinzipiell offen, implizit aber auf Maximierung von Sicherheits-und Wohlfahrtsinteressen

Konflikte in den int. Bez. entsprechen der Struktur eines Gefangenendilemmas Akteure sind Staaten oder Gruppen; implizit meistens

Handeln unter »materiellen«

Staatl. Präferenzen und

beschränkt

auf Staaten beschränkt

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Gleichzeitig bietet die schematische Darstellung wiederum die Möglichkeit, diekritische Auseinandersetzung mit dem Neoinstitutionalismus zu systematisieren. Sodreht sich die Auseinandersetzung zwischen Neorealisten (Grieco 1988), Neoinsti-tutionalisten (Keohane 1984; 1989a) und Vertretern der liberalen Theorie (Moravcsik1997) letztlich um die Frage der empirischen Angemessenheit der Zusatzannahmen,während aus konstruktivistischer Perspektive sowohl Zusatzannahmen wie die Fi-xierung auf materielle Interessen in Frage gestellt werden (Hollis/Smith 1990; Hollis1991) als auch der Kern des Forschungsprogramms abgelehnt wird (Onuf 2001; Zeh-fuß 2002).

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Der Sozialkonstruktivismus als ökonomisches Theoriemodell

Etwas schwieriger gestaltet sich die Rekonstruktion des Sozialkonstruktivismus.Auch hier soll von der nicht unproblematischen These ausgegangen werden, dass sichder Sozialkonstruktivismus im Rahmen des ökonomischen Forschungsprogrammsrekonstruieren lässt. Jedoch eignen sich nicht alle sozialkonstruktivistischen Positio-nen für einen Rekonstruktionsversuch. Aufgrund des gewählten metatheoretischenInstrumentariums können nur solche Theorien als Untersuchungsobjekte herangezo-gen werden, die den Maßstab der Konfrontation mit einer erfahrungsunabhängigenNatur akzeptieren. Konstruktivistische Positionen, die einen epistemologischen Rea-lismus ablehnen, indem sie die Welt als soziales Konstrukt verstehen, werden die Ideeder »Realität« als regulativen Maßstab der Theorieentwicklung ablehnen. Damit er-scheinen zwei Aspekte bei der Rekonstruktion der sozialkonstruktivistischen Positionproblematisch: Erstens die epistemologische Auffassung und zweitens die Rationa-litätsunterstellung.

Zentrale konstruktivistische Positionen, wie beispielsweise der von einigen Ver-tretern und Vertreterinnen geteilte fundamentale epistemologische Antirealismus(Guzzini 2001; Kratochwil 2000; Zehfuß 2002), können im Rahmen der hier gewähl-ten Vorgehensweise nicht berücksichtigt werden.14 Am plausibelsten erscheint des-wegen ein Rekonstruktionsversuch von Wendts moderatem Sozialkonstruktivismus,da er sich auf epistemologischer Ebene am wenigsten von den bisher vorgestelltenTheorien unterscheidet (Zangl/Zürn 1996: 342). Die Rekonstruktion zeigt, welcheElemente konstruktivistischer Überlegungen im Kontext des ökonomischen For-schungsprogramms berücksichtigt werden können. Aus diesen Gründen ist die hierpräsentierte light-Version des Sozialkonstruktivismus sicher nicht kompatibel mitdem Selbstverständnis vieler konstruktivistisch arbeitender Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler. Dennoch scheint ein Rekonstruktionsversuch lohnend: Die Re-konstruktion ermöglicht, die kompatiblen Annahmen des Sozialkonstruktivismus fürein ökonomisch orientiertes Forschungsprogramm nutzbar zu machen und schärftdamit den Blick für die Anschlussmöglichkeiten und Differenzen zwischen kon-struktivistischen und rationalistischen Ansätzen.

Wie sieht es mit der Rationalitätsunterstellung im Rahmen sozialkonstruktivisti-scher Ansätze aus? An manchen Stellen benutzt Wendt selbst das Vokabular desökonomischen Forschungsprogramms und spricht beispielsweise von Handlungs-wahlen (1992: 419). Es lässt sich darüber hinaus auch bei ihm die Vorstellung finden,dass Präferenzen und (zumindest kulturelle) Restriktionen eine Bedingung für dasHandeln sind. Allerdings sind Präferenzen bei ihm nicht exogen gegeben, sondernresultieren aus einem spezifischen kulturellen Umfeld (Wendt 1999: 233-237). Dazentrale Merkmale des ökonomischen Forschungsprogramms auch bei Wendt iden-

7.

14 Das bedeutet jedoch keine Bewertung dieser erkenntnistheoretischen Position. Eine solcheDiskussion lässt sich mit dem gewählten metatheoretischen Rahmen schlichtweg nichtführen. Ich selbst vertrete in dieser Frage jedoch einen externen Realismus, wie ihn bei-spielsweise Searle begründet (1997).

Aufsätze

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tifiziert werden können, kann ein Rekonstruktionsversuch gerechtfertigt werden. DasErgebnis dieses Übersetzungsversuches ist jedoch nicht mehr die Position von Wendt,sondern entspricht dem, was an sozialkonstruktivistischen Ideen im Rahmen des öko-nomischen Forschungsprogramms verwendet werden kann.

Akzeptiert man diese Startschwierigkeiten, lässt sich der Sozialkonstruktivismusanhand folgender Thesen zusammenfassen: Erst die subjektiv erschlossene Wirk-lichkeit ist handlungsrelevant. Die Interpretation von Wirklichkeit ist abhängig vonden Erfahrungen eines Akteurs, die sich in seiner Identität widerspiegeln. Die Identitäteines Akteurs ist das Resultat eines sozialen Lernprozesses. Soziales Lernen bedeutet,dass die kollektiv definierten Rollenbilder, die sich in sozialen Strukturen ausdrücken,mittels eines Internalisierungsprozesses Eingang in die Akteursidentität finden. Diesozialen Strukturen resultieren ihrerseits aus vorausgegangenen sozialen Interaktio-nen. Es liegt eine kontinuierliche Wechselbeziehung zwischen Struktur und Handlungvor. Trotz aller kulturellen Prägung soll das Verhalten der Akteure immer noch alsrationales Handeln verstanden werden. Jedoch sind die Handlungsziele kulturell ver-mittelt.

Theoretisch verortet Wendt den Prozess der Situationsdeutung zwischen der Ma-kroebene und der Mikroebene. Strukturen wirken nicht direkt auf das menschlicheHandeln. Sie sind jedoch ein zentraler Bestimmungsfaktor. Wendt betont den Vorrangsozialer Strukturen, ohne ihnen jedoch exklusive Wirkungsmacht zuzuschreiben. AlsBrückenhypothese lassen sich seine Überlegungen folgendermaßen formulieren: Ak-teure interpretieren vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen die Strukturder Handlungssituation. Konkret interpretieren Akteure bei Vorliegen einer Kantia-nischen Struktur15 in den internationalen Beziehungen Kooperation als attraktivsteHandlungsalternative und handeln entsprechend. Nach Wendt ist diese Interpretationder Situation nicht beliebig. Die subjektive Situationsdeutung seitens der Akteure isteng mit ihrer Geschichte und Kultur verbunden. Aus den individuellen Handlungenergibt sich in diesem Fall als Resultat des Aggregationsprozesses eine Verdichtungder freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten auf der Makroebene.

15 Wendt identifiziert drei typische soziale Strukturen in den internationalen Beziehungen(Hobbessche, Lockesche und Kantianische Struktur), die sich durch unterschiedliche nor-mative Anforderungen an das Akteursverhalten auszeichnen (1999: 246-312).

Johannes Marx: Is There a Hard Core of IR?

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Abbildung 8: Der Sozialkonstruktivismus als ökonomisches Theoriemodell

Makro-ebene

Mikro-ebene

Anarchie und soziale Norm eines freundschaftlichen

Staaten (KantianischeStruktur)

Staat Kooperation

Freundschaftliche Beziehungen

attraktivste HandlungsalternativeLogik der

Aggregation

Verhältnisses zwischen

kulturellen Prägung der Akteure als»Kooperation« erscheint aufgrund der

Die Rekonstruktion kulturell geprägten Handelns als ökonomisches Theoriemodellist unproblematisch, wenn man sich auf die Überlegung einlässt, dass jegliches Han-deln nur als in einem schwachen Sinne rationales Handeln interpretierbar ist.16 Indiesem Sinn kann auch der Sozialkonstruktivismus als ökonomisches Theoriemodellmit Kern- und Zusatzannahmen beschrieben werden:

16 Schwache Rationalität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Begriff der Rationa-lität nicht inhaltlich konkretisiert und klar vom Begriff der Präferenz getrennt wird. Damitsind auch soziale Motive Elemente der Klasse potentieller Präferenzen und können zurErklärung sozialer Handlungen herangezogen werden.

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Abbildung 9: Kern- und Zusatzannahmen des Sozialkonstruktivismus

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen

inhaltlich definiert durch die materiellen und kulturellen Strukturen.Materielle Strukturen wirken

erst subjektiv erschlossen werden.Staatliches Handeln ist motiviert durch die Verfolgung kulturell definierter Zielvorstellungen staatlichen Handelns.Zentrale Akteure sind in der Regel Staaten.

Handlungsspielräume sind

nicht direkt, sondern müssen

•••

Mit dieser Reformulierung kulturell geprägten Handelns konnte jedoch nur ein Teildes sozialkonstruktivistischen Erkenntnisinteresses in das ökonomische Forschungs-programm integriert werden. Komplizierter stellt sich der Fall sozialen Lernens dar,da hier Präferenzwandel im Rahmen des ökonomischen Forschungsprogramms zu-gelassen werden muss.

Soziales Lernen im ökonomischen Forschungsprogramm

Wendt sieht soziales Lernen als zentralen Einwand gegen die Verwendung rein öko-nomischer Methoden (Wendt 1992). Um soziales Lernen im Kontext des ökonomi-schen Theoriemodells überhaupt diskutieren zu können, muss zunächst die gängigeThese zurückgewiesen werden, dass im ökonomischen Forschungsprogramm dieEntstehung und der Wandel von Präferenzen nicht behandelt werden können. Dieslässt sich schon bei Hobbes zeigen, der von Wendt häufig herangezogen wird, um diemangelnde Kooperationsfähigkeit rationaler Akteure zu belegen. Hobbes beschreibtim 17. Kapitel seines Leviathan einen dreistufigen Lernprozess, in dem die Akteureihre Präferenzen ändern und damit kooperatives Handeln lernen (Hobbes 2005:141-156). Schließlich gelingt es den Akteuren in Hobbes’ Modell, sich aus freiemWillen von ihren umfassenden Rechten zu trennen und den Naturzustand zu verlassen(Kersting 1994; Koller 1987).

Auch die Spieltheorie beschäftigt sich mit dem Phänomen des Präferenzwandels.Man untersucht z.B. das Verhalten von Akteuren in stabilen Interaktionsbeziehungenmit der Konsequenz, dass dort Präferenzen endogenisiert werden. Präferenzen können

8.

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Abbildung 9: Kern- und Zusatzannahmen des Sozialkonstruktivismus

KernannahmenMotivationsannahmeRestriktionsannahmeMaximierungsannahme

Zusatzannahmen

inhaltlich definiert durch die materiellen und kulturellen Strukturen.Materielle Strukturen wirken

erst subjektiv erschlossen werden.Staatliches Handeln ist motiviert durch die Verfolgung kulturell definierter Zielvorstellungen staatlichen Handelns.Zentrale Akteure sind in der Regel Staaten.

Handlungsspielräume sind

nicht direkt, sondern müssen

•••

Mit dieser Reformulierung kulturell geprägten Handelns konnte jedoch nur ein Teildes sozialkonstruktivistischen Erkenntnisinteresses in das ökonomische Forschungs-programm integriert werden. Komplizierter stellt sich der Fall sozialen Lernens dar,da hier Präferenzwandel im Rahmen des ökonomischen Forschungsprogramms zu-gelassen werden muss.

Soziales Lernen im ökonomischen Forschungsprogramm

Wendt sieht soziales Lernen als zentralen Einwand gegen die Verwendung rein öko-nomischer Methoden (Wendt 1992). Um soziales Lernen im Kontext des ökonomi-schen Theoriemodells überhaupt diskutieren zu können, muss zunächst die gängigeThese zurückgewiesen werden, dass im ökonomischen Forschungsprogramm dieEntstehung und der Wandel von Präferenzen nicht behandelt werden können. Dieslässt sich schon bei Hobbes zeigen, der von Wendt häufig herangezogen wird, um diemangelnde Kooperationsfähigkeit rationaler Akteure zu belegen. Hobbes beschreibtim 17. Kapitel seines Leviathan einen dreistufigen Lernprozess, in dem die Akteureihre Präferenzen ändern und damit kooperatives Handeln lernen (Hobbes 2005:141-156). Schließlich gelingt es den Akteuren in Hobbes’ Modell, sich aus freiemWillen von ihren umfassenden Rechten zu trennen und den Naturzustand zu verlassen(Kersting 1994; Koller 1987).

Auch die Spieltheorie beschäftigt sich mit dem Phänomen des Präferenzwandels.Man untersucht z.B. das Verhalten von Akteuren in stabilen Interaktionsbeziehungenmit der Konsequenz, dass dort Präferenzen endogenisiert werden. Präferenzen können

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sich im Prozess einer Interaktionsbeziehung wandeln und dieser Präferenzwandelselbst wird Untersuchungsgegenstand in Rational Choice-Arbeiten. Die Präferenzensind in diesen Fällen nicht mehr exogen gegeben, sondern variieren in Abhängigkeitvon strukturellen Merkmalen der Situation.17

Wendts Einwand lässt sich demnach nicht aufrechterhalten. Man kann den Wandelvon Präferenzen in Abhängigkeit vom Wandel sich ändernder relativer Preise the-matisieren. Präferenzwandel äußert sich hier im Erlernen neuer Handlungsalternati-ven oder neuer Bewertungen von Handlungsalternativen. Dies ist ein Aspekt, dernormalerweise als Lernen bezeichnet wird. Einfaches Lernen ist damit ein Anwen-dungsfeld für Modelle des ökonomischen Forschungsprogramms.

Mit den Mitteln des Homo oeconomicus lassen sich jedoch zentrale Phänomenemenschlichen Verhaltens nur schwer modellieren. Beispielsweise erscheinen vor demHintergrund eines analytisch orientierten Homo oeconomicus die innere Bindung anNormen, das freiwillige Eingehen von Verpflichtungen gegenüber anderen Akteurenohne Sanktionsgewalt etc. als irrationale Handlungen. Dieses einfache analytischeTheoriemodell kennt keine Moral, keine Gefühle und keine moralischen Selbstbin-dungen. Kooperation ist eine riskante Wahlmöglichkeit und wird letztlich aufgrundgünstiger sozialer Strukturen gewählt. Ändern sich diese, haben die Akteure keineninneren Grund, ihr Handeln beizubehalten. Es gilt daher zu fragen, ob auch komplexesLernen im Rahmen des ökonomischen Forschungsprogramms thematisiert werdenkann.

Diese Aspekte wurden in den Internationalen Beziehungen im Rahmen der ZIB-Debatte diskutiert. Konkret ging es dabei um die Frage, inwieweit das Erlernen vonWerten im Rahmen des ökonomischen Forschungsprogramms untersucht werdenkann. Kritisch sahen dies beispielsweise Müller (1994; 1995) und Schmalz-Bruns(1995). Aber auch Schimmelfennig (1997; 2003), Risse-Kappen (1995; Risse 2003)und Zangl/Zürn (1996) argumentierten, dass der Wandel von Werten bei Akteuren(und damit von Identitäten) nicht mit der Theorie rationalen Handelns erklärt werdenkönne. Schließlich kann es »schwerlich als Ziel eines rationalen Akteurs gedeutetwerden, wenn die eigenen normativen Überzeugungen und damit die eigene Identitätzur Disposition gestellt wird« (Zangl/Zürn 1996: 355).

Eine Integrationsmöglichkeit von Moral, Gefühlen und Verpflichtungen bieten je-doch einige Theoriemodelle des ökonomischen Forschungsprogramms, so z.B. dasKonzept der sozialen Produktionsfunktionen und die Framing-Theorie (Lindenberg1989; 1993). Auch komplexe Lerneffekte werden hier zu einem zentralen Bestandteilsozialer Erklärungen. In diesem Kontext definiert Hartmut Esser »Lernen« als dieVeränderung von bestehenden Erwartungen und Bewertungen (Esser 2001: 372-373).Da dies die zentralen Variablen der Handlungstheorie sind, können Verhaltensände-rungen eben auch über die Veränderung von beiden Variablen – Erwartungen undBewertungen – erklärt werden.

Die folgenden Überlegungen stellen eine mögliche Reformulierung zentraler Po-sitionen von Wendt in der Sprache des ökonomischen Forschungsprogramms dar. Für

17 Ben-Ner/Putterman (2000); Bowles (1998); Güth et al. (2000); Vogt (2000).

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die Rekonstruktion wird im Folgenden auf Überlegungen von Siegwart Lindenbergzurückgegriffen. Sein Konzept der sozialen Produktionsfunktionen postuliert gewissemenschliche Grundbedürfnisse, die je nach Ausprägung der gesellschaftlichen Struk-turen auf unterschiedlichen Wegen befriedigt werden. Überträgt man dieses Konzeptauf staatliche Akteure, eröffnen sich Möglichkeiten für eine Erweiterung des ökono-mischen Theoriemodells in den Internationalen Beziehungen. Dazu ist es notwendignäher auszuführen, worin die Ähnlichkeit zwischen dem Konzept der sozialen Pro-duktionsfunktionen und dem Sozialkonstruktivismus besteht, um einen Wissens-transfer von Erkenntnissen aus dem ökonomischen Forschungsprogramm in dieTheorien der Internationalen Beziehungen zu rechtfertigen.

Wendt unterstellt staatlichen Akteuren Kernmotive (1999: 233-245). Hierin gleichter Lindenberg, der menschlichen Akteuren das Streben nach Primärgütern zuschreibt.Die daraus folgende Argumentation ist in beiden Fällen gleich. Menschliche wiestaatliche Akteure versuchen ihren Nutzen zu maximieren, indem sie Eigenschaften,Objekte, Ressourcen, Güter oder Leistungen produzieren, die im Hinblick auf dieProduktion der Primärgüter von Nutzen sind (Esser 1999b: 97-102). Diese Güterwerden bei Lindenberg Zwischengüter genannt, da sie zwischen den Bedingungender sozialen Struktur und der Produktion der letzten Güter stehen (Lindenberg 1989).Dabei ist die Funktionsfähigkeit eines Zwischengutes im Hinblick auf die Produktionder letzten Güter nicht in allen Situationen gleich (Esser 1999b: 101-108). Das gleicheZwischengut kann in verschiedenen Situationen zur Produktion von sozialer Aner-kennung oder sozialer Verachtung führen. Es ist daher für die Akteure wichtig, diesozialen Regeln gut zu kennen und die Situation mit all ihren normativen Anforde-rungen richtig zu deuten. Nur wenn man eine den normativen Erwartungen und densituativen Gegebenheiten adäquate Definition der Situation vornimmt, wird das ei-gene Handeln von den anderen als angemessen interpretiert. Sprache, Symbole undweitere Formen der Kommunikation sind die zentralen Bedeutungsträger der sinn-haften Ordnung der Welt.

Mit der Definition der Zwischengüter werden auch die Wege vorgegeben, wie diesezu erwirtschaften sind (Esser 1999a: 102; Lindenberg 1993). Die sozialen Produkti-onsfunktionen erfüllen demnach eine Entlastungsfunktion. Sie strukturieren eine ansich unübersichtliche Welt mit nahezu unendlichen Handlungsoptionen vor und de-finieren typische Handlungsweisen in Form von Situationsmodellen (Kunz 1997a:246). Diese Modelle, die für fast alle wichtigen Bereiche des sozialen Lebens vorlie-gen, werden von den Akteuren erlernt. Die kognitive Repräsentation dieser Modellewird Frame genannt.

Frames vereinfachen den Entscheidungsprozess der individuellen Akteure. Ist eineangemessene Interpretation der Situation vorgenommen, werden zahlreiche Hand-lungen nahezu automatisch folgen. Ein aufwändiger und kostenintensiver Informati-ons- und Abwägungsprozess ist dann nicht notwendig (Kunz 1997b: 246; Lindenberg1993: 11-49). Die sozialen Produktionsfunktionen sind Ausdruck des kulturellen Be-zugsrahmens, innerhalb dessen die Akteure ihren Nutzen maximieren. Meistens istes nicht möglich, die primären Zwischengüter direkt zu produzieren. Auch hier kön-

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nen wieder die verschiedensten Güter zur Produktion der Zwischengüter herangezo-gen werden (Esser 1999b: 102-108).

Konkret bedeutet dies für die Rekonstruktion des Sozialkonstruktivismus, dass manzunächst die Kernmotive staatlichen Handelns erfassen muss. Wendt unterstellt denstaatlichen Akteuren folgende Ziele: das physische Überleben, ein gewisses Maß anAutonomie, wirtschaftliche Wohlfahrt und ein kollektives Selbstwertgefühl (Wendt1999: 233-238). Für die Maximierung dieser Primärgüter müssen die Akteure etwasinvestieren. Sie setzen Ressourcen ein, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.Jedoch lassen sich die Grundbedürfnisse nicht direkt, sondern nur über die Produktionvon Zwischengütern realisieren. Zentral ist nun die Überlegung, dass die vorgegebe-nen Zwischengüter in Abhängigkeit von sozialen Strukturen differieren. Sie sind da-mit nicht für alle Akteure in allen Situationen gleich, sondern variieren kulturell.Damit werden die Zwischengüter von der Struktur der internationalen Beziehungen,den dort geltenden sozialen Regeln und den Erwartungen der anderen Staaten be-stimmt. Teilweise lassen sich die Primärgüter nur über eine mehrstufige Kette vonProduktionsfunktionen befriedigen, in denen die unterschiedlichsten Zwischengüterproduziert werden müssen. Da die Zwischengüter kulturell definiert sind, verändernsie sich auch in Abhängigkeit von sich wandelnden sozialen Strukturen (Lindenberg1989; 1990).

Aus dieser Perspektive stellen z.B. das Bemühen Deutschlands um friedliche Be-ziehungen zu Frankreich sowie die transatlantische Freundschaft Zwischengüter dar,die zur Maximierung der Primärgüter wirtschaftliche Wohlfahrt und kollektivesSelbstwertgefühl beitragen. Der soziale Kontext, vor dem diese Zwischengüter ihrenSinn bekommen, umfasst die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, die sozialen Er-wartungen Frankreichs und des internationalen Umfeldes. Deutschland versuchtedurch sein kooperatives Verhalten gegenüber den Nachbarstaaten diesen Erwartun-gen zu entsprechen (Schuker 2000; Uterwedde 1998). Die Zwischengüter sind des-halb als Reaktion auf die sozialen Strukturen zu sehen, denen Deutschland nach demZweiten Weltkrieg ausgesetzt war.

Aber auch diese Zwischengüter werden nicht unmittelbar produziert. Damit lassensich z.B. die Entwicklung eines Schüleraustauschprogramms zwischen Deutschlandund Frankreich oder den USA, die Einrichtung von Kulturhäusern in anderen Län-dern, der Ausbau von kulturellen transnationalen Veranstaltungsreihen, regelmäßigeoffizielle und inoffizielle Treffen von Regierungsvertretern/-innen auf den verschie-densten Ebenen usw. als indirekte Zwischengüter interpretieren, die zur Produktiondes primären Zwischengutes friedliche Beziehungen zu den Staaten der westlichenWelt beitragen. Dieses Zwischengut wiederum ist nur zu verstehen vor dem Hinter-grund der sozialen Struktur nach dem Ende des Kalten Krieges und den Primärgüternphysisches Überleben, gewisses Maß an Autonomie, wirtschaftliche Wohlfahrt undkollektives Selbstwertgefühl.

Die hier skizzierten Ideen können nun zur Konstruktion von Brückenhypothesenherangezogen werden. Es sollen typische, von der Struktur der internationalen Be-ziehungen vordefinierte Produktionswege für Primärziele aufgezeigt werden, um soeine theoriegestützte Konstruktion der Definition der Situation für typische Hand-

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lungssituationen in den internationalen Beziehungen herzuleiten. »Soziale Produkti-onsfunktionen lassen sich damit als eine Art positive Heuristik für die Generierungbedeutsamer Nutzenargumente interpretieren« (Kunz 2004: 115). Das bedeutet, dassan eine spezifische Situationsdeutung seitens eines Akteurs zugleich ein Handlungs-programm gekoppelt ist, das von den sozialen Bezugsgruppen als sinnvoll für solcheSituationen angesehen wird.

Überträgt man diese Argumentation nun auf die drei sozialen Strukturen in deninternationalen Beziehungen, auf die Wendt selbst in seinem Werk Bezug nimmt, solässt sich für jede dieser Strukturen eine eigene Brückenhypothese formulieren. DieHobbessche Struktur legt eine Definition der Situation nahe, in der Staaten sich alsFeinde betrachten müssen und Kooperation zwischen Staaten nicht möglich ist. Inder Lockeschen Struktur sehen sich Staaten als Rivalen und kooperieren, wenn siedabei einen materiellen Nutzengewinn haben. Im Rahmen der Kantianischen Strukturregulieren Staaten ihre Konflikte friedlich, bauen ihre Handelsbeziehungen aus undbemühen sich um kooperative Beziehungen zu den anderen Staaten (Wendt 1999:297-312).

Abbildung 10: Der Sozialkonstruktivismus und das Konzept der sozialen Produkti-onsfunktionen

Makro-ebene

Mikro-ebene

Anarchie und Kantianische

Struktur

Staat Ein Programm kooperativer

Freundschaftliche Beziehungen

Kantianischer Struktur und des Wunsches nach Maximierung der Kernmotive als

attraktivste Handlungsalternative

(Zwischengüter) erscheint aufgrund»Programm kooperativer Handlungen«

Handlungszüge

Soziales Lernen bedeutet in diesem Fall die kulturell definierten Produktionswegefür die Produktion der Primärgüter zu erlernen und sich diese als Automatismen an-zueignen, um möglichst ohne große Such- und Informationskosten den eigenen Nut-zen zu maximieren. Das Konzept sozialer Produktionsfunktionen erlaubt es, dieseFragen in der Terminologie des ökonomischen Forschungsprogramms zu themati-sieren.

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Ein integratives Theoriemodell der Internationalen Beziehungen?

Durch die Rekonstruktion der Theorien im Rahmen des struktur-individualistischenErklärungsmodells wurden die Theorien der Internationalen Beziehungen in eineeinheitliche Theoriesprache übersetzt. Dabei ist es in der Forschung strittig, welcheMetasprache für einen Integrationsversuch verwendet werden sollte. Beispielsweiseunternimmt Risse einen Integrationsversuch, indem er auf der Metaebene den Me-chanismus des soziologischen Forschungsprogramms verwendet (Risse 2003: 123).Notwendig wird damit die Identifikation solcher Situationen, in denen strategisch-instrumentelles Handeln normativ gefordert ist. Andere Autoren sehen die Theorienstärker in einem Komplementärverhältnis und begreifen die jeweils andere Theorie-gruppe als Anschlusstheorien, die die offenen Fragen der eigenen Theorien beant-worten hilft (vgl. exemplarisch Jupille et al. 2003: 19-28).18 Problematisch erscheintan diesen Integrationsversuchen, dass eine Integration eine Übersetzungsleistung ineine Metasprache verlangt, die in diesen Fällen höchstens angedeutet, jedoch nichtsystematisch durchgeführt wurde. Diese Übersetzung steht jedoch im Mittelpunktdieses Aufsatzes.

Durch die Reformulierung der ausgewählten Theorien in der Sprache des ökono-mischen Forschungsprogramms konnten die spezifischen Kern- und Zusatzannahmender Theorien aufgezeigt werden. Auf dieser Grundlage lässt sich nun beurteilen, inwelchem Verhältnis die Theorien zueinander stehen: Die untersuchten Theorien teilenden Kern des ökonomischen Forschungsprogramms. Somit finden bei Handlungs-wahlen der Akteure sowohl die Wünsche und Motive als auch Restriktionen Berück-sichtigung. Jede der Theorien fügt dem Kern des ökonomischen Forschungspro-gramms eine Reihe weiterer Annahmen hinzu. Die Theorien stellen damit jeweilseigene Theoriemodelle des ökonomischen Forschungsprogramms dar. Auf den erstenBlick unterscheiden sie sich hinsichtlich der Frage, wer die relevanten Akteure sindund was das Handeln der Akteure erklärt. Häufig liegen die Ursachen für die unter-schiedlichen Handlungsorientierungen der Akteure in den verschiedenen Theorie-modellen in unterschiedlichen Annahmen hinsichtlich der Struktur der internationa-len Beziehungen begründet. Aus diesen werden mögliche Motive oder Restriktionenabgeleitet, die im Rahmen der jeweiligen Theorie als relevant erachtet werden. Sosoll z.B. die anarchische Struktur der internationalen Beziehungen zu einer Fokus-sierung auf Macht- und Sicherheitsaspekte führen oder die interdependente Strukturwird als Anreiz für die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der internationalen Ebeneinterpretiert. Aber diese Zusatzannahmen sind keineswegs ein notwendiger Bestand-teil des ökonomischen Forschungsprogramms, sondern stellen empirische Hypothe-sen über Merkmale und Strukturwirkungen der internationalen Staatenwelt dar. Er-gänzt man den theoretischen Kern mit diesen weiteren theoretischen Zusatzannahmenerhält man Modellspezifikationen für typische Handlungssituationen der internatio-nalen Beziehungen.

9.

18 Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit alternativen Integrationsversuchen vgl.Marx (2006: 224-237).

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Nimmt man diese Perspektive auf die Theorien der Internationalen Beziehungenein, hat das Konsequenzen für den Umgang mit den besprochenen Theorien: Bei-spielsweise kann der Neorealismus nicht falsifiziert werden, indem man zeigt, dassdie Struktur der internationalen Beziehungen nicht anarchisch ist oder die Akteurekeine Machtinteressen verfolgen. Stattdessen bedeutet eine solche Feststellung le-diglich, dass die vorliegende empirische Situation nicht erlaubt, den Neorealismusanzuwenden. Schließlich ist der zu untersuchende Fall kein Element der Menge derintendierten Anwendungen des Neorealismus. Alternativ sollte ein anderes Theorie-modell des ökonomischen Forschungsprogramms zur Anwendung kommen oderkonstruiert werden. Hier gilt es, sorgfältig die empirischen Randbedingungen zu er-heben, um nicht vorschnell fehlerhafte Annahmen über die relevanten Akteure (Staa-ten, Internationale Organisationen, nicht-staatliche Akteure etc.), die internationaleStruktur (anarchisch, interdependent etc.) oder staatliche Handlungsmotive (Wohl-fahrt, Macht etc.) zu unterstellen. Die theoretische Auseinandersetzung in den Inter-nationalen Beziehungen sollte sich zukünftig verstärkt darum bemühen, die Bedin-gungen herauszuarbeiten, unter denen ausgewählte Zusatzannahmen sinnvollerweisezur Anwendung kommen sollten (vgl. etwa Hasenclever et al. 2000; 2002).

Auf dieser Grundlage kann nun zur Ausgangsfrage zurückgegangen werden. ImMittelpunkt stand die Frage nach dem Verhältnis der Theorien zueinander und nachden Anwendungsbedingungen derselben. Durch die Übersetzung der Theorien in dasstruktur-individualistische Erklärungsmodell konnten die theoretischen Basisannah-men der Internationalen Beziehungen herausgearbeitet werden. Diese lassen sichdurch den Kern des ökonomischen Forschungsprogramms zusammenfassen. Die An-nahmen können je nach Bedarf durch spezielle Zusatzannahmen situationsgerechtangereichert werden. Die etablierten Theorien der Internationalen Beziehungen stel-len dafür ein Reservoir an bewährten Zusatzannahmen zur Verfügung, auf das für dieAnalyse internationaler Problemkonstellationen zurückgegriffen werden kann. Jenach empirisch zu unterstellender sozialer Situation greift man auf das eine oder an-dere Theoriemodell der Internationalen Beziehungen zurück. Die Grafik veranschau-licht abstrakt die grundsätzliche Idee des wechselseitigen Verhältnisses von Theo-riemodellen und intendierten Anwendungen. Auch wenn hier im Einzelnen keineZuweisung einzelner Kooperations- und Konfliktfälle zu Theorien vorgenommen,sondern dies hier nur illustriert wird, sollte genau diese Zuweisung Gegenstand eineskonstruktiven Dialogs zwischen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicherTheorien der Internationalen Beziehungen sein.

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Abbildung 11: Der theoretische Werkzeugkasten

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NRZA-

LTh

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NIZA-

SK

ZA-LTh : Zusatzannahmen Liberale Theorie; ZA-NI: Zusatzannahmen Neoinstitutionalismus; ZA-NR: Zusatzannahmen Neorealismus; ZA-SK: Zusatzannahmen Sozialkonstruktivismus

Kern

FPökon.

Im Einzelnen kann es dabei durchaus möglich sein, in einer Metatheorie Geltungs-bedingungen von Brückenhypothesen zu formulieren (vgl. etwa Hasenclever et al.2002). Häufig werden sich diese Fragen jedoch nicht theoretisch, sondern nur empi-risch klären lassen (Opp 1986b). Auch beschreiben die gängigen Theorien nicht alleempirisch möglichen Situationskonstellationen. Sie stellen jedoch im Forschungs-kontext bewährte Strukturannahmen und Brückenhypothesen dar, auf die zunächstaus forschungspragmatischen Gründen zurückgegriffen werden sollte. Trotzdem giltes bei der Anwendung der Theorien sorgfältig zu prüfen, welche Veränderungen anden Zusatzannahmen notwendig sind. Insbesondere die Frage, welche Akteure mitwelchen Handlungsmotiven bei der Untersuchung zu berücksichtigen sind, kann si-cherlich nicht ohne empirisches Wissen über das zu untersuchende Politikfeld beant-wortet werden. Insbesondere die restriktiven Annahmen hinsichtlich der Qualitätnicht-staatlicher Akteure erscheinen hier äußerst problematisch. Vor diesem Hinter-grund erscheint es notwendig, den Status von Zusatzannahmen in Erinnerung zu ru-fen. Diese sind so zu modifizieren, dass eine Anwendung des ökonomischen Theo-riemodells auf den zu untersuchenden Sachverhalt ermöglicht wird. Diese Verände-rungen sind notwendig und methodologisch zu begrüßen. Sie stellen keinen Immu-nisierungsversuch dar. Sie sollten auch nicht als degenerative Problemverschiebungim Sinne von Lakatos interpretiert werden, solange durch Veränderung der Zusatz-annahmen neue Sachverhalte erklärt werden können.

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Abbildung 11: Der theoretische Werkzeugkasten

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ZA-LTh : Zusatzannahmen Liberale Theorie; ZA-NI: Zusatzannahmen Neoinstitutionalismus; ZA-NR: Zusatzannahmen Neorealismus; ZA-SK: Zusatzannahmen Sozialkonstruktivismus

Kern

FPökon.

Im Einzelnen kann es dabei durchaus möglich sein, in einer Metatheorie Geltungs-bedingungen von Brückenhypothesen zu formulieren (vgl. etwa Hasenclever et al.2002). Häufig werden sich diese Fragen jedoch nicht theoretisch, sondern nur empi-risch klären lassen (Opp 1986b). Auch beschreiben die gängigen Theorien nicht alleempirisch möglichen Situationskonstellationen. Sie stellen jedoch im Forschungs-kontext bewährte Strukturannahmen und Brückenhypothesen dar, auf die zunächstaus forschungspragmatischen Gründen zurückgegriffen werden sollte. Trotzdem giltes bei der Anwendung der Theorien sorgfältig zu prüfen, welche Veränderungen anden Zusatzannahmen notwendig sind. Insbesondere die Frage, welche Akteure mitwelchen Handlungsmotiven bei der Untersuchung zu berücksichtigen sind, kann si-cherlich nicht ohne empirisches Wissen über das zu untersuchende Politikfeld beant-wortet werden. Insbesondere die restriktiven Annahmen hinsichtlich der Qualitätnicht-staatlicher Akteure erscheinen hier äußerst problematisch. Vor diesem Hinter-grund erscheint es notwendig, den Status von Zusatzannahmen in Erinnerung zu ru-fen. Diese sind so zu modifizieren, dass eine Anwendung des ökonomischen Theo-riemodells auf den zu untersuchenden Sachverhalt ermöglicht wird. Diese Verände-rungen sind notwendig und methodologisch zu begrüßen. Sie stellen keinen Immu-nisierungsversuch dar. Sie sollten auch nicht als degenerative Problemverschiebungim Sinne von Lakatos interpretiert werden, solange durch Veränderung der Zusatz-annahmen neue Sachverhalte erklärt werden können.

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Schlussbemerkung

Für ausgewählte Theorien der Internationalen Beziehungen wurden Rekonstruktio-nen in der Terminologie des ökonomischen Forschungsprogramms vorgeschlagen.Diese Übersetzungen waren möglich, da die Theorien implizit auf zentrale Annahmendes ökonomischen Forschungsprogramms zurückgreifen. Diese theoretischen An-nahmen, die sich in den untersuchten Theorien wiederfinden, sind die drei Kernan-nahmen des ökonomischen Forschungsprogramms. Die Zugehörigkeit zu einem ge-meinsamen Forschungsprogramm ist aus methodologischer Perspektive eine Vor-aussetzung für gelingende Kommunikation zwischen Wissenschaftlern/-innen unter-schiedlicher Theorien.

Trotzdem ist der hier präsentierte Rekonstruktionsvorschlag problematisch: Nebenden durchgeführten ökonomischen Rekonstruktionen der Theorien sind alternativeÜbersetzungen möglich. Ein endgültiges Kriterium zur Bestimmung der Frage, wel-che Rekonstruktion (bzw. Übersetzung) angemessen ist, existiert nicht (Quine 1998:135-147).19 Daher muss man der These nicht folgen, dass der Sozialkonstruktivismusnach Wendt als ökonomisches Theoriemodell zu verstehen ist. Die Frage der ange-messenen Übersetzung ist eine pragmatische Entscheidung. Daher ist es im Sinneeiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung notwendig, die Entscheidungskriterienfür die Wahl einer spezifischen Übersetzung offen zu legen.

Im Mittelpunkt der durchgeführten Untersuchung steht der Versuch, eine prakti-kable Umgangsweise mit der Theorienvielfalt der Internationalen Beziehungen zufinden und metatheoretisch zu fundieren. Theorienvielfalt ist in methodologischerPerspektive unproblematisch, wenn die Theorien den gleichen Kern teilen. In diesemFall ist Kommunikation zwischen Vertretern und Vertreterinnen unterschiedlicherTheorien problemlos möglich. Die vorgeschlagenen Rekonstruktionen sind vor die-sem Hintergrund zu bewerten. Die hier präsentierten Rekonstruktionen sollen einenproduktiven Umgang mit der Vielfalt der Theorien der Internationalen Beziehungenermöglichen und legitimieren. Gleichzeitig legen sie die Grenzen offen, die einemkonstruktiven Dialog entgegenstehen.

Folgt man den vorgeschlagenen Rekonstruktionen nicht, bieten sich zwei Strategienan, um die angebotene Argumentation zu entkräften: Erstens könnte man bestreiten,dass die Vielfalt der Theorien der Internationalen Beziehungen ein Problem darstellt.Man könnte argumentieren, dass die Vielfalt der Theorien eine angemessene theore-tische Reaktion auf die tatsächliche Vielfalt der internationalen Beziehungen darstellt.Letztlich müsste ein Vertreter oder eine Vertreterin einer solchen Position Kriterienofferieren, an denen man die Vielfalt der Internationalen Beziehungen als angemes-sene oder unangemessene Reaktion auf die Vielfältigkeit der Welt festmachen könnte.Solche Kriterien sind bisher nicht bekannt bzw. haben sich im Forschungsprozessnicht durchgesetzt. Eine solche Position verkennt auch den Anspruch dieses Aufsat-

10.

19 Quine diskutiert die Frage der Verstehbarkeit fremder Sprachen am Gavagai-Beispiel.Letztlich kommt er zu dem Schluss, dass verschiedene Übersetzungsvorschläge qualitativununterscheidbar nebeneinander stehen.

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zes. Der Integrationsvorschlag sollte nicht als Versuch einer Nivellierung der Unter-schiede der untersuchten Theorien verstanden werden. Die durchgeführten Rekon-struktionen in eine einheitliche theoretische Sprache zeigen vielmehr die jeweiligetheoretische Erklärungskraft und verdeutlichen die unterschiedlichen theoretischenSchwerpunktsetzungen. Erst auf dieser gemeinsamen sprachlichen Grundlage tretendie theoretischen Übereinstimmungen und Unterschiede klar heraus.

Zweitens könnte man bestreiten, dass die vorgeschlagenen Rekonstruktionen an-gemessen sind. Es mag andere Rekonstruktionen der Theorien der InternationalenBeziehungen und damit auch konkurrierende Integrationsvorschläge geben. Diesekönnten sich beispielsweise durch eine alternative Bestimmung des Kerns des öko-nomischen Forschungsprogramms auszeichnen. Letztlich kann auch bei solchen Fra-gen nur auf methodologische Argumente zurückgegriffen werden. Beispielsweisekann hier das Kriterium der Menge der intendierten Anwendungen angeführt werden.Wenn man sich durch einen inhaltsreicheren Kern a priori auf bestimmte Präferenz-klassen (z.B. Macht und Wohlfahrt) einschränkt, dann verkleinert sich damit dieMenge der intendierten Anwendungen des ökonomischen Forschungsprogramms. Alldiejenigen Handlungen sind dann kein Anwendungsfall des Forschungsprogrammsmehr, die aus anderen Präferenzen ausgeübt wurden. Da die Größe des Anwendungs-bereichs einer Theorie ein gängiges Qualitätsmerkmal für empirische Theorien dar-stellt, stellt eine solche alternative Bestimmung des Kerns eine qualitative Ver-schlechterung zur vorgeschlagenen Kerndefinition dar.

Folgt man dem angebotenen Integrationsvorschlag, gewinnt man die Möglichkeitdes produktiven Umgangs mit der Theorienvielfalt der Internationalen Beziehungen.Durch die Öffnung des Präferenzbegriffs und die Beschränkung des Kerns auf diedrei Kernannahmen ist gewährleistet, dass die Menge der intendierten Anwendungenmöglichst groß ist. Aus den genannten Gründen scheint mir die vorgestellte Rekon-struktion und Integration daher ein geeigneter Ausgangspunkt für eine systematischeBestimmung der Anwendungskriterien und des Leistungsvermögens der Theorien derInternationalen Beziehungen zu sein. Die zentralen Theorien entsprechen aus dieserPerspektive einem Werkzeugkasten, aus dem man bewährte Werkzeuge wie z.B.Brückenhypothesen herausnehmen kann. Diese können dann zur Konstruktion neuerTheoriemodelle herangezogen werden. Insbesondere die Fixierung auf staatliche Ak-teure ist den Standardtheorien der Internationalen Beziehungen oft zum Vorwurf ge-macht worden. Die Rekonstruktion hat jedoch gezeigt, dass diese Annahme keines-wegs zu den geschützten Kernannahmen zu rechnen ist und im Bedarfsfall modifiziertwerden kann. Dies gilt auch für die weiteren Zusatzannahmen. Diese Vorgehensweiseentspricht auch einer gängigen Praxis in den Internationalen Beziehungen. Zuweilenwird diese Manier des theoriegeleiteten Arbeitens mit dem Vorwurf des Eklektizis-mus konfrontiert. Dies ist jedoch ungerechtfertigt, solange beispielsweise die Ver-wendung von Brückenhypothesen empirisch rechtfertigbar ist. Bleibt der Kern desökonomischen Forschungsprogramms bei den Theoriespezifikationen unangetastetund werden lediglich die Zusatzannahmen modifiziert, so lässt sich diese Praxis me-thodologisch rechtfertigen.

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Karsten Lehmann

Interdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften undinternationaler Politik*

Religionswissenschaftliche Anmerkungen zu politikwissenschaftlichenReligionskonzeptionen

Der Aufsatz beschäftigt sich mit den Religionskonzeptionen, die aktuellen politikwis-senschaftlichen Debatten um die Rolle von Religionen in den internationalen Bezie-hungen zugrunde liegen. Aus der Perspektive einer kulturwissenschaftlichen Religi-onswissenschaft werden dabei vor allem zwei Punkte hervorgehoben: (a) In den po-litikwissenschaftlichen Debatten werden zwei Religionskonzeptionen weitgehendparallel zueinander genutzt. (b) Konkrete Religionsgemeinschaften werden häufigwie black boxes behandelt. Dem wird vom Autor ein Konzept von Religion gegen-übergestellt, welches stärker auf die Interdependenzen zwischen Religionsgemein-schaften und politischen settings fokussiert. Anhand einer Fallstudie zu den Men-schenrechtsdebatten innerhalb des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) sprichter sich für zunehmende interdisziplinäre Kooperationen aus: Zum einen gelte es imRahmen der akademischen Religionswissenschaft, vermehrt die politikwissenschaft-lichen Impulse aufzunehmen und sich mit der Rolle von Religionen in den interna-tionalen Beziehungen auseinanderzusetzen. Zum anderen solle die politikwissen-schaftliche Debatte das Augenmerk stärker auf die Interdependenzen zwischen Reli-gionsgemeinschaften und politischen Kontexten lenken, wie sie im Rahmen der Reli-gionswissenschaft diskutiert werden.

Zwei wissenschaftliche Zugänge zur Debatte um Religion und Politik

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Religionen und internationaler Politik ist inden vergangenen Jahren auf der Agenda der internationalen Forschung neu verankertworden (Minkenberg/Willems 2003; Madeley 2003; Gabriel 2003; Bruce 2003). EinProzess, der inzwischen so weit fortgeschritten ist, dass die ersten Lehrbücher zumThema veröffentlicht wurden: Religion and Politics in the International System To-day (Hanson 2006) und Introduction to International Relations and Religion (Haynes2007). Gemeinsam spiegeln sie den aktuellen Stand einer differenzierten Debatte, diesich vor allem mit der polity- und policy-Entwicklung einzelner Regionen (wie Ost-

1.

* An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Kollegin Dr. Monika Schrimpf (UniversitätBayreuth) und meinem Kollegen Dr. Darius Zifonun (Kulturwissenschaftliches InstitutEssen) bedanken, die frühere Fassungen dieses Aufsatzes konstruktiv-kritisch gegengelesenhaben und mir wertvolle Hinweise geben konnten.

Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 75 – 99

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asien, dem Nahen Osten oder Afrika) sowie mit den spezifischen Machtgrundlagenreligiöser Akteure in der internationalen Politik (politics) auseinandersetzt.1

Mit dem folgenden Beitrag soll das Augenmerk vor allem auf zwei Aspekte dieserDebatte gelenkt werden: Zum einen soll darauf hingewiesen werden, dass die Dis-kussionen bislang weitgehend entlang disziplinärer Grenzen verlaufen und interdis-ziplinäre Herangehensweisen noch weiter ausgebaut werden könnten.2 Zum anderensoll gezeigt werden, dass die Debatte von politikwissenschaftlichen Zugängen domi-niert wird, welche die Entwicklung politischen Handelns und den Einfluss religiöserVariablen auf dieses Handeln in den Mittelpunkt rücken. ReligionswissenschaftlicheArbeiten, die sich primär mit Religionsgemeinschaften sowie deren Bemühungen umEtablierung in politischen settings beschäftigen, werden dagegen kaum wahrgenom-men.

Der vorliegende Aufsatz möchte zur Überwindung dieses zweifachen bias beitra-gen, indem er die religionswissenschaftliche Perspektive stark macht und so An-knüpfungspunkte für interdisziplinäre Zusammenarbeiten aufzeigt. Dabei sollen diefolgenden drei Thesen die Diskussion strukturieren:(1) Die politikwissenschaftlichen Debatten um Religionen in den internationalen

Beziehungen lassen sich im Rekurs auf zwei Religionskonzeptionen3 rekonstru-ieren.

(2) Beide Konzeptionen vernachlässigen die Interdependenzen4 zwischen Religi-onsgemeinschaften und der Sphäre der internationalen Politik.

(3) Der Fokus auf diese Interdependenzen erfordert eine vermehrte Kooperationzwischen Religionswissenschaft und Politikwissenschaft.

Die Auseinandersetzung mit diesen Thesen legt ein dreistufiges Vorgehen nahe: (1)In einem ersten Abschnitt wird rekonstruiert, welche Religionskonzeptionen den ak-tuellen politikwissenschaftlichen Debatten um Religionen in den internationalen Be-ziehungen zugrunde liegen. (2) Im zweiten Abschnitt wird ein Konzept von Religionvorgestellt, welches dem so genannten kulturwissenschaftlichen Ansatz innerhalb der

1 An diesem Punkt darf nicht vernachlässigt werden, dass sich auch die Klassiker der westlichenPolitikwissenschaft unter dem label »Kirche und Staat« immer wieder mit religiösen Phäno-menen beschäftigt haben. Diese Diskussionen können im vorliegenden Text nicht berück-sichtigt werden. Vgl. zusammenfassend: Fuchs (1966) und Raab (1966).

2 Zu nennen sind hier zunächst individuelle Forscher wie David Martin, Peter L. Berger oderMark Juergensmeyer, die als Personen für ein interdisziplinäres Arbeiten stehen und auf derenErgebnisse im Weiteren wiederholt verwiesen wird. Darüber hinaus sind die Publikationender Culture and Religion in International Relations-Reihe hervorzuheben, die seit 2002 vonYosef Lapid und Friedrich Kratochwil bei Palgrave Macmillan herausgegeben wird. DenAutorinnen und Autoren dieser Reihe geht es darum, die Grenzen zwischen Politikwissen-schaft und Theologie aufzubrechen (Petito/Hatzopoulos 2003; Pettman 2004; Thomas 2005).

3 Die Grundsatzdiskussion um die Vor- oder Nachteile substantieller bzw. funktionaler Reli-gionsdefinitionen soll dabei weitgehend ausgeblendet werden. Die überwiegende Mehrheitder im folgenden genannten Arbeiten greift auf eine substantielle Religionsdefinition zurück,welche sich an den Selbstbezeichnungen derer orientiert, die sich an einem bestimmten Ortund zu einer bestimmten Zeit selbst als religiös bezeichnen. Vgl. zur Valenz dieser Opera-tionalisierung Huber (2003).

4 Der Begriff der Interdependenz wird aus der deutschsprachigen Diskussion des Feld-Begriffsgegen Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre entlehnt (Wössner 1969).

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Religionswissenschaft verbunden ist. Die Potentiale dieses Konzepts sollen dann amBeispiel des Ökumenischen Rates der Kirchen illustriert und konkretisiert werden.(3) In den abschließenden Passagen werden diese beiden Stränge zueinander in Be-ziehung gesetzt.

Politikwissenschaftlicher Analysestrang: Internationale Beziehungen undReligion

Der politikwissenschaftliche Analysestrang zum Thema Religionen und internatio-nale Beziehungen ist für einen Religionswissenschaftler nur schwer dechiffrierbar.Von außen betrachtet scheinen dem zunehmenden politikwissenschaftlichen Interesseam Einfluss von Religionen auf die internationale Politik mindestens drei unter-schiedliche Trends mit je eigenen Schwerpunkten zugrunde zu liegen:

(1) Am deutlichsten ist der Trend zu einem ansteigenden Interesse an Ereignissender internationalen Politik, die im expliziten Rekurs auf religiöse Vorstellungen le-gitimiert werden. Die Konflikte im Nahen Osten (Fröhlich/Rother 2006) und Nord-Irland (Bruce 1992; 2007) sowie die Konfrontation mit der Revolution im Iran (Antes1991) oder den Attentaten vom 11. September 2001 (Schluchter 2003; Lincoln 2003)haben dazu geführt, dass die Beschäftigung mit der Rolle von Religionsgemeinschaf-ten in der Politik nicht mehr auf kleine Zirkel von Expertinnen und Experten be-schränkt bleibt, sondern inzwischen auf weites Interesse trifft.5

(2) Parallel dazu lässt sich eine vermehrte Distanz zum traditionellen Säkularismusder Politikwissenschaft beobachten. Eine zunehmende Zahl von Politikwissenschaft-lerinnen und Politikwissenschaftlern kritisiert, dass das Ideal einer wall of separati-on zwischen Religion und Politik (Brocker/Behr/Hildebrandt 2003; Prätorius 2003;Brocker 2005) nicht nur die internationalen politischen Akteure, sondern auch diewissenschaftliche Auseinandersetzung mit politischen Prozessen präge. Dies habedazu beigetragen, dass die Politikwissenschaft eine bedeutsame Grundlage für dasVerständnis politischer Prozesse systematisch aus ihren Analysen ausgeschlossenhabe (Bärsch/Berghoff/Sonnenschmidt 2005; Maier 2007; Böckenförde 2007; Haus2003).6

(3) Schließlich spielt das Erstarken konstruktivistischer Ansätze eine maßgeblicheRolle. Autorinnen und Autoren wie Alexander Wendt (1999), Friedrich Kratochwil(1989), Nicholas G. Onuf (1989), John W. Meyer (2005) oder Vendulka Kubálkováet al. (1998) haben mit ihrer Kritik am (neo-)realistischen und (neo-)liberalen main-stream der Politikwissenschaft eine Analyseperspektive eröffnet, welche den Blicku.a. auf die konkrete, lebensweltliche Signifikanz religiöser Phänomene für politi-sches Handeln lenkt. Ihre konstruktivistischen Zugänge haben dazu geführt, dass sichpolitikwissenschaftliche Analysen vermehrt für die empirische Bedeutung von Reli-

2.

5 So entstand eine Vielzahl von allgemeinbildenden und akademischen Einzelstudien, derenenglischsprachiger Strang in Storey/ Utter (2002) zusammengestellt und kommentiert wurde.

6 Eine These, die innerhalb der Religionswissenschaft und der Religionssoziologie inzwischenvielfältige Parallelen findet: Berger (1999); Casanova (1994).

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gionen geöffnet haben (Hurd 2008; Ulbert/Weller 2005; Kratochwil 2005; Lapid/Kratochwil 1996).

Vor diesem Hintergrund soll nun – im Anschluss an die erste der eingangs genann-ten Thesen – deutlich gemacht werden, dass die politikwissenschaftliche Debatte aufweitgehenden (aber keineswegs notwendigen) Vorentscheidungen über die verwen-deten Religionskonzeptionen basiert. Als Ausgangspunkt kann hierbei zunächst eineformale Unterscheidung von makro- und mikro-perspektivischen Zugängen dienen.

Makro-Ebene: Einfluss »der Religionen« auf internationale politische Konflikte

Religion als abstrakter Zivilisationsmarker

Der makro-perspektivischen Ebene können dabei vor allem solche Arbeiten zuge-rechnet werden, die an Samuel Huntington und seine These vom Clash of Civilizati-ons anschließen (Huntington 1996; Harrison/Huntington 2000). Dieser führte Reli-gion in seinem Foreign Affairs-Aufsatz von 1993 als hoch abstrakten Zivilisations-marker ein, der ihm zur Erklärung aktueller und zukünftiger Konfliktpotentiale diente:

»It is my hypothesis that the fundamental source of conflict in this new world will not beprimarily ideological or primarily economic. The great divisions among humankind andthe domination source of conflict will be cultural. Nation states will remain the mostpowerful actors in world affairs, but the principle conflicts of global politics will occurbetween nations and groups of different civilizations. […] These include Western, Con-fucian, Japanese, Islamic, Hindu, Slavic-Orthodox, Latin American and possibly Africancivilization« (Huntington 1993: 22, 25).

Huntingtons Reihung »Western, Confucian, Japanese, Islamic, Hindu etc.« legtzum einen nahe, dass sich Religionen für ihn kaum von geographischen Kategorienunterscheiden lassen. Zum anderen suggeriert Huntington mit dieser Kategorisierungeine weitgehende Homogenität religiös-zivilisatorischer Bereiche, die einander kon-flikt-generierend gegenüberstehen.

Weite Verbreitung

Seit den frühen 1990er Jahren scheint Huntingtons Religionskonzeption eine so weiteVerbreitung gefunden, dass selbst seine Kritikerinnen und Kritiker bei makro-per-spektivischen Analysen häufig auf vergleichbare Konzepte zurückgreifen. Um nurzwei prominente Beispiele zu nennen:

Pippa Norris und Ronald Inglehart fassen Religion in ihrer jüngsten Studie überden Rekurs auf verdeckt wirksame Werte, die sie als die Grundlage kultureller Tra-ditionen beschreiben. Politisches Handeln wird so auf ein sehr abstraktes Religions-

2.1.

2.1.1.

2.1.2.

Aufsätze

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konzept zurückgeführt, welches im internationalen Vergleich für die Erklärung poli-tischer Unterschiede genutzt wird:

»Distinctive worldviews that were originally linked with religious traditions have shapedthe culture of each nation in an enduring fashion; today, these distinctive values are trans-mitted to citizens even if they never set foot in a church, temple, or mosque« (Norris/Inglehart 2004: 17).

Mark Juergensmeyer formuliert in den allgemein-zeitdiagnostischen Passagen sei-ner Studie über den religiösen Nationalismus zunächst die These vom grundlegendenEinfluss »der Religionen« auf internationale politische Konflikte, indem er ein welt-weites »longing for an indigenous form of religious politics free from the taint ofWestern culture« (Juergensmeyer 1993: 1) als Grundlage einer neuen Weltordnungdiagnostiziert. Erst in seinen konkreten Analysen trennt sich Juergensmeyer von die-sem abstrakten Konzept und verleiht seiner Religionskonzeption eine höhere empi-rische Dichte (Juergensmeyer 1996).

Hoch abstrakte Religionskonzeptionen haben inzwischen eine so weite Verbreitunggefunden, dass selbst komparative Arbeiten, welche das Verhältnis zwischen Religionund Politik in unterschiedlichen Ländern analysieren, auf sie zurückgreifen. Die Au-torinnen und Autoren des Sammelbandes von Ted G. Jelen und Clyde Wilcox fokus-sieren beispielsweise auf einen allgemeinen »style of interaction (or noninteraction)between the sacred and the secular public sphere« (Jelen/Wilcox 2002: 7) und sehendarin die Grundlage für den weltweiten Bedeutungszuwachs religiöser Deutungeninternationaler politischer Konflikte. Auch den Arbeiten von Jeff Haynes (1998) so-wie Patricia M. Goff und Kevin C. Dunn (2004) liegt eine sehr abstrakte Religions-konzeption zugrunde, sobald sie von einer internationalen Politisierung der Religio-nen sprechen.

Alle diese Beispiele machen deutlich, dass die Spezifik sowie die Heterogenitätreligiöser Phänomene in den makro-perspektivischen Studien häufig unberücksichtigtbleiben (Antes 2006; Elsas 2002). Die Autorinnen und Autoren tendieren vielmehrzur Rede von einer allgemeinen Wiederkehr der Religion und nutzen diesen Toposzur Analyse von Konfliktpotentialen, wobei interessanterweise zumeist das kon-fliktgenerierende Potential von Religionen hervorgehoben wird. Ein Argumentati-onsmuster, das bislang am nachhaltigsten von Seiten der Friedens- und Konfliktfor-schung kritisiert worden ist. Autoren wie Andreas Hasenclever (Hasenclever/Ritt-berger 2003; Hasenclever/De Juan 2007) oder David Little (2007) folgen Scott App-leby (2000), indem sie die Ambivalenz religiöser Legitimationen betonen und somitauf die friedensstiftenden Potentiale religiös motivierten, individuellen Handelns ver-weisen (Philpott 2007). Damit lösen sie sich nicht nur von der einseitigen Fokussie-rung auf Konfliktszenarien, sondern schlagen darüber hinaus eine Brücke zu stärkermikro-perspektivischen Ansätzen.

Karsten Lehmann: Interdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und internationaler Politik

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Mikro-Ebene: Einfluss religiöser Akteure auf die internationalen Beziehungen

Stärkerer Akteursbezug

Im Bezug auf die zugrunde liegenden Religionskonzeptionen sind auf der Mikro-Ebene zunächst die inzwischen klassischen Sammelbände von Susanne H. Rudolphund James Piscatori (1997) sowie Douglas Johnston und Cynthia Sampson (1994)von Interesse. Der Schwerpunkt der dort zusammengeführten Analysen liegt auf denpolitischen Zielen von Religionsgemeinschaften sowie den Formen und Folgen ihrerUmsetzung in konkreten (nationalen) politischen settings.

»In today’s post-modern era, religious communities have become vigorous creators of anemergent transnational civil society. […] Their existence has transformed how we under-stand and explain ›international relations‹, that is, relations among sovereign states in an-archic space« (Rudolph/Piscatori 1997: 1-2).

Als weiteres Beispiel können die jüngsten Arbeiten von Jeff Haynes genannt wer-den, der seine Position anhand der römisch-katholischen Kirche paradigmatisch zu-sammengefasst hat:

»In sum, globalization facilitates the growth of transnational networks of religious actorsthat, feeding off each other’s ideas and aiding each other with funds, form bodies whosemain priority is the well-being and advance of their transnational religious communities«(Haynes 2003: 323).

Religionen werden von Haynes als vielgestaltige religiöse Akteure aufgefasst, diepolitisches Handeln in unterschiedlichem Maße (und mit unterschiedlichem Erfolg)zu prägen versuchen und sich dabei auch gegenseitig beeinflussen.

Zwei Schwerpunkte

Auf der Basis dieser stärker akteursbezogenen Religionskonzeptionen lassen sich inden mikro-perspektivischen Arbeiten zwei Schwerpunkte einander gegenüberstellen.Der erste Schwerpunkt besteht aus Arbeiten, die sich mit den Formen religiöser Ein-flussnahme auf die Entscheidungen internationaler politischer Akteure beschäftigenund das Augenmerk zumeist auf die US-amerikanische Außenpolitik mit ihren viel-fältigen religiösen Bezügen richten. Andrew J. Rotter (2000) analysiert etwa die ame-rikanische Politik in Süd-Asien und führt deren Scheitern nach dem Zweiten Welt-krieg weitgehend auf Stereotype zurück, die durch religiöse Gruppierungen trans-portiert wurden:

»Analyzing the U.S. relationship with South Asia from 1947 to 1964 from the standpointof religion yields the conclusion that U.S.-Indian / Christian-Hindu relations were uneasy,while U.S.-Pakistan / Christian-Muslim relations were friendly. Americans loathed thealleged depravity of Hinduism, mistrusted polytheists, and suspected Hindus generally ofbizarre spiritual practices that left them passive and besotted in the face of a serious threatfrom international communism. On the other hand, Americans regarded Pakistan’s Mus-lims as fellow monotheists who rejected relativism and neutrality in favour of a singlereceived truth and an ardent commitment to defend it« (Rotter 2000: 613).

2.2.

2.2.1.

2.2.2.

Aufsätze

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Ein Argumentationsmuster, das in den Sammelbänden von Elliott Abrams (2001),Peter Katzenstein und Takashi Shiraishi (2006) sowie Robert S. Seipel und DennisR. Hoover (2004) bis in die Gegenwart weitergeführt worden ist. Heather A. Warren(1997) geht in dieser Richtung noch einen Schritt weiter, indem sie den konkretenhistorischen Einfluss christlicher Theologen um Reinhold Niebuhr auf die US-ame-rikanische Außenpolitik der 1920er bis 1940er Jahre herausarbeitet und so unter an-derem versucht, direkte Formen der Einflussnahme von religiösen Akteuren auf na-tionale Außenpolitik nachzuzeichnen.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf der – zumeist unpersönlich formulierten – Frage,wie sich nationale religiöse Konflikte international ausbreiten. In diesem Zusam-menhang ist bislang vor allem die Typologie von Jonathan Fox und Shmuel Sandler(2004) zu nennen, welche zum einen auf dem so genannten Minorities at Risk-In-dex (MAR) und zum anderen auf Fallanalysen zu konkreten Konflikten (etwa imNahen Osten) basiert. Vor diesem Hintergrund unterscheiden die beiden Autoren vierFormen der Einflussnahme und betonen die religiösen Prozesse, die ihnen zugrundeliegen:

»There are several such basic influences [of religion on politics, K.L.]. First, it can influ-ence people’s worldviews, which in turn influences how they think and behave. Second,it is an aspect of identity. Third, it is a source of legitimacy, including political legitimacy.Fourth, it is associated with formal institutions that can influence political processes« (Fox/Sandler 2004: 2).

Beide Schwerpunkte werden somit von Religionskonzeptionen geprägt, die dasAugenmerk auf die Bedeutung von konkreten Religionsgemeinschaften für das po-litische Handeln in den internationalen Beziehungen lenken. Sie schlagen damit eineRichtung ein, die als eine Öffnung gegenüber eher religionswissenschaftlichen Zu-gängen angesehen werden kann.

Explikation der Religionskonzepte

Bevor der religionswissenschaftliche Forschungsstrang nun weiter vorgestellt wird,sollen die Konsequenzen der beiden Religionskonzeptionen des politikwissenschaft-lichen Analysestrangs noch weiter expliziert werden.

Zum einen sollte deutlich geworden sein, dass innerhalb der Politikwissenschaftzwei Religionskonzeptionen weitgehend parallel zueinander genutzt werden: Auf derMakro-Ebene wird die aktuelle Debatte von Arbeiten geprägt, welche »die Religion«als eine hoch abstrakte unabhängige Variable konzipieren, die sich anhand von hi-storischen Studien bzw. repräsentativ erhobenen surveys erfassen lässt und dann überKorrelationen zur Analyse politischer Phänomene herangezogen wird. Die Arbeitenauf der Mikro-Ebene bevorzugen dagegen eine Religionskonzeption, welche stärkerauf konkrete religiöse Akteure fokussiert und sich auf deren politische Einflussnahmekonzentriert. Die Beziehungen, die zwischen diesen beiden Ebenen bestehen und fürdas Verständnis des religiösen Handelns bedeutsam sind, werden dabei bislang nurwenig reflektiert. Ausnahmen von dieser Regel stellen einerseits konkrete Fallanaly-

2.3.

Karsten Lehmann: Interdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und internationaler Politik

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sen dar, wie sie etwa im Anschluss an Juergensmeyer oder in der Friedens- und Kon-fliktforschung vorgelegt wurden. In eine ähnliche Richtung weisen andererseits dieArbeiten im Umfeld von Haynes oder Fox/Sandler, die das Augenmerk auf die Be-ziehungen zwischen nationalem, regionalem und internationalem Handeln lenken.

Zum anderen werden die konkreten Religionsgemeinschaften in beiden Diskussi-onszusammenhängen weitgehend wie black boxes behandelt, deren interne Strukturenkaum untersucht werden. Besonders deutlich wird diese Tendenz bei den Analysenvon Makro-Phänomenen, wie sie im Gefolge von Huntington vorgelegt worden sind.Interessanterweise sind aber auch die stärker mikro-perspektivischen Untersuchun-gen vor allem an konkreten politischen Handlungen interessiert. Weitergehende Ana-lysen der Deutungen, die diesem Handeln zugrunde liegen, stehen dagegen eher imHintergrund. Ein besonders plastisches Beispiel für diese Tendenz liefert die Dis-kussion um den religiös legitimierten Terrorismus. Auch wenn die damit zusammen-hängende Literatur inzwischen kaum mehr zu überblicken ist, scheint doch überwie-gend Konsens darüber zu bestehen, die beteiligten Individuen, Netzwerke oder Grup-pen weitgehend als unverstehbar aufzufassen (Hoffman 2001; Sofsky 1996). Dieverbreitete Zurückhaltung, die Attentäter des 11. Septembers als religiös motiviert zubetrachten und ihr Handeln vor diesem Hintergrund zu interpretieren, hängt dabeinicht nur mit politischen oder religiösen Überzeugungen zusammen, sondern auchmit den Religionskonzepten, welche den Studien zugrunde liegen. Ein Zugang, der –wie im abschließenden Teil dieses Aufsatzes gezeigt werden soll – zentrale Analy-seoptionen ausblendet.7

Vor diesem Hintergrund kommt nun die zweite These dieses Aufsatzes in den Blick.Dabei wird die Auffassung vertreten, dass die bislang skizzierten Konzeptionen vonReligion nicht ausreichen, um den Interdependenzen zwischen Religionsgemein-schaften und der Sphäre der internationalen Beziehungen gerecht zu werden. Reli-gionen sind – so das Argument – komplexe, kollektive Akteure mit eigener Agenda,die in manchen Fällen zu einer Etablierung in politischen settings führen kann, vondiesen settings aber häufig auch wiederum beeinflusst wird. An diesem Punkt ist eshilfreich, auf religionswissenschaftliche Arbeiten zurückzugreifen.

Religionswissenschaftlicher Analysestrang: Religionsgemeinschaften undinternationale Beziehungen

Um die Grenzen und Potentiale eines religionswissenschaftlichen Zugangs deutlichzu machen, soll zunächst auf eine grundsätzliche Parallele zwischen Politik- und Re-ligionswissenschaft verwiesen werden: Beide Disziplinen können als akademischeAkteure auf sozialen Feldern beschrieben werden, die von einer Vielzahl unter-schiedlicher Akteure (wie professionellen Politikern, Wählern, Priestern, Laien etc.)

3.

7 In den vergangenen Jahren ist eine Reihe von Arbeiten erschienen, welche diese Herange-hensweise mit Fallbeispielen zu konkreten Konfliktsituationen durchbrechen: Croft (2007);Mirbaghari (2004); Haynes (2008).

Aufsätze

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geprägt werden. Im Anschluss an Pierre Bourdieu (2000; 2001) sind es dabei geradedie Interaktionen zwischen diesen Akteuren, die Auseinandersetzungen um die Gren-zen der Felder sowie die Zugriffsmöglichkeiten auf soziales, kulturelles oder ökono-misches Kapital, welche die Strukturen der einzelnen Felder ausmachen (Reuter 2009;van der Aa Kühle 2008).

Folgt man dieser Einschätzung, so wird deutlich, dass weder die Politikwissenschaftnoch die Religionswissenschaft für sich einen exklusiven Zugriff auf ihren jeweiligenGegenstandsbereich in Anspruch nehmen kann. Im Fall des politischen Feldes for-mulieren neben der Politikwissenschaft etwa die Politische Soziologie, die Politik-geschichte oder politische Stiftungen akademische Aussagen über »Politik«. Ähnlichvielfältig sind die Zugänge zum Thema Religion und Religionen. Auch hier ist dieReligionswissenschaft von einem exklusiven Zugriff weit entfernt. Mit Verweis aufden Schweizer Theologen und Religionswissenschaftler Fritz Stolz kann idealtypischzwischen Zugängen von innen und von außen unterschieden werden, die beide ver-suchen, Religionen zu analysieren (Stolz 1988: 34-44).

Der Zugang »von innen« (d.h. mit dem Ziel, Glauben nachzudenken) ist im An-schluss an Stolz (1988) weitgehend von den christlichen Theologien geprägt: Tradi-tionellerweise liegt ihr Schwerpunkt auf dem Entstehungszusammenhang sowie derEntwicklung des Christentums. Im Gefolge unterschiedlicher Formen des Religions-kontakts (wie etwa Mission, interreligiösem Dialog oder einer Theologie der Reli-gionen) haben Theologinnen und Theologen aber zunehmend damit begonnen, sichmit anderen Religionen auseinander zu setzen und so zum Kanon der einschlägigenPublikationen beizutragen (Bochinger 2008). Zugänge »von außen« versuchen sichdagegen ihren Gegenständen mit einer größtmöglichen methodischen Distanz zu nä-hern. Neben der Religionswissenschaft sind hier besonders Disziplinen wie die So-ziologie, Ethnologie oder Psychologie zu nennen, die hochgradig differenzierte Zu-gänge zu religiösen Phänomenen mit je unterschiedlichen Forschungsfragen, -me-thoden und teilweise auch -methodologien entwickelt haben. Während sich die Re-ligionssoziologie oder -psychologie dabei primär an den Fragestellungen undTheoriedebatten ihrer Referenzdisziplinen orientieren, strebt die Religionswissen-schaft einen umfassenderen Zugriff auf ihren Gegenstandsbereich an.8

Traditionell legten beide Zugänge den Schwerpunkt zunächst auf das nationaleVerhältnis zwischen Kirche und Staat, so dass inter- oder transnationale Fragen langevernachlässigt wurden.9 So kam es zu einer Engführung, die inzwischen vor allem

8 Seit ihrer kulturwissenschaftlichen Wende arbeitet die Religionswissenschaft an einer Inte-gration dieser unterschiedlichen Zugänge. Die Beziehungen zwischen den Zugängen sindaber bis in die Gegenwart Gegenstand von anhaltenden Debatten. Gegenwärtig lassen sich inder Religionswissenschaft drei konkurrierende Modelle unterscheiden, die sich alle der kul-turwissenschaftlichen Tradition verbunden fühlen: (1) Ein enges Fachverständnis, das dieReligionswissenschaft als klar umrissene Disziplin versteht, (2) ein weites Fachverständnis,das in der Religionswissenschaft eine Dachdisziplin sieht und (3) ein integrierendes Fach-verständnis, welches die Religionswissenschaft als einen interdisziplinären Diskussionskon-text konzipiert (vgl. Kippenberg 1997; Krech 2006).

9 Ausnahmen stellen hier bspw. Arbeiten im Anschluss an Max Weber (1988b) oder SigmundFreud (1975) dar. Interessanterweise verfolgten diese beiden Klassiker bereits frühzeitig dasProgramm einer dezidiert vergleichenden Religionsforschung.

Karsten Lehmann: Interdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und internationaler Politik

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durch zwei Debatten überwunden worden ist: Einerseits sind hier sozialwissenschaft-lich orientierte Studien zu nennen, die sich anhand von Fallanalysen kritisch mit derModernisierungstheorie auseinandergesetzt haben und in diesem Zusammenhang un-ter anderem den modernen Ort von Religionen in der Politik untersuchen.10 Ande-rerseits sind stärker philologisch-historisch orientierte Studien entstanden, die sichvergleichend mit dem Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Politik beschäf-tigt haben und den Analysen zu historischer Tiefe verhelfen.11

Vor dem Hintergrund dieses Forschungspanoramas soll das Augenmerk nun primärauf die Disziplin des Autors – die Religionswissenschaft – und die Frage nach derReligionskonzeption gelenkt werden. Die folgenden Ausführungen werden sich zu-nächst auf systematische Arbeiten konzentrieren, die sich mit dem Verhältnis zwi-schen Religionen und Politik beschäftigen. Ihre Aussagen sollen dann anhand einesFallbeispiels konkretisiert werden, das sich explizit mit den internationalen Bezie-hungen befasst.

Interdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und politischen Kontexten

Ein religionswissenschaftlicher Religionsbegriff

Die Auseinandersetzung um Religionsdefinitionen und -konzeptionen gehört zu denzentralen Debatten der akademischen Religionswissenschaft.12 Dabei lassen sich imAnschluss an den Religionswissenschaftler und -soziologen Günter Kehrer (1988)zwei Dimensionen unterscheiden, entlang derer die Debatte verläuft:

»Die Diskussion um eine adäquate Definition von Religion verlief und verläuft an zweiHauptproblemen, die sich gelegentlich ineinander und übereinander verschieben. Das eineHauptproblem ist vielleicht am einfachsten […] als ›fideistische vs. wissenschaftliche De-finition‹ zu bezeichnen, das zweite Hauptproblem läuft in der Literatur unter der Nomen-klatur ›substantielle vs. funktionale Definition‹« (Kehrer 1988: 15).

Seit der so genannten kulturwissenschaftlichen Wende haben sich in der Religi-onswissenschaft zunehmend nicht-fideistische Konzeptionen durchgesetzt. Von zen-traler Bedeutung waren hierbei – neben dem britischen Ethnologen Clifford Geertz(1995) und dem italienischen Religionswissenschaftler Dario Sabbatucci (1988) – diedeutschen Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg (1997) und Burkhard Gla-

3.1.

3.1.1.

10 Vgl. Smith (1974); Merkl/Smart (1983); Hadden/Shupe (1984); Shupe/Hadden (1988).Gegenwärtig sind hier zum Beispiel die neuen Arbeiten von Martin (2005) und Jenkins(2007) zur Säkularisierungstheorie zu nennen.

11 Vgl. Bechert (1966; 1967); Nagel (1981a); (1981b). Der Schwerpunkt liegt auf der dis-kursiven Bedeutung Islam-bezogener Themen: Tibi (1990). Die Auseinandersetzung mitkonkretem muslimischem Engagement bleibt dagegen weitgehend eine Ausnahme. Diefolgenden drei Studien zu diesem Thema verfolgen weitgehend einen politikwissenschaft-lichen Zugang: Karam (2004); Husain (2003); Mortimer (1981).

12 Einen guten Überblick liefert Hock (2002). Jüngst ist außerdem der Sammelband Hilde-brandt/Brocker (2008) erschienen, der dezidiert eine interdisziplinäre Perspektive einzu-nehmen versucht.

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digow (2005).13 Sie haben dazu beigetragen, dass Religionen in der Religionswis-senschaft zunehmend als kulturelle Phänomene aufgefasst werden, welche mit ande-ren kulturellen Phänomenen (etwa aus dem Bereich der Wirtschaft, der Wissenschaftoder eben der Politik) nicht nur analytisch vergleichbar sind, sondern auch empirischim ständigen Austausch stehen. Im Gefolge dieses Zugangs können bei jedem reli-giösen Tatbestand zwei grundsätzliche Ebenen analytisch unterschieden werden:

Auf der inhaltlichen Ebene (mit der Ebene der policy vergleichbar) werden Reli-gionen als Symbolsysteme beschrieben, die sich dadurch auszeichnen, dass sie vonihren Trägern »auf unbezweifelbare, kollektiv verbindliche und autoritativ vorgege-bene Prinzipien zurückgeführt« (Gladigow 1988: 34-35) werden; wobei gerade derWandel von Symbolsystemen und das Vermischen einzelner Elemente den histori-schen Normalfall darstellen. Strukturell gesehen (und damit in Bezug auf die Ebeneder polity) lassen sich Religionen als spezifische Vergemeinschaftungen fassen, diereligiöse Symbolsysteme repräsentieren und tradieren. In diesem Sinne kann von Re-ligionsgemeinschaften gesprochen werden, die eine Vielzahl sozialer Formen (vonKleingruppen vor Ort bis zu weltumspannenden Organisationen, von Kultgemein-schaften bis zu Wohlfahrtsverbänden) annehmen können (Krüggeler et al. 1999).

Interdependenzen zwischen Religionen und Politik

Die Konsequenzen dieser Religionskonzeption für die Analyse des Verhältnisseszwischen Religionen und Politik wurden zunächst von Burkhard Gladigow (1977)skizziert. Als Ausgangspunkt diente ihm die Beobachtung, dass die Herausbildungstaatlicher Herrschaftsstrukturen bereits in der europäischen Antike zu Transforma-tionen von Gottesvorstellungen geführt hat. Götter nahmen quasi an der politischenKarriere ihrer Verehrer teil und lieferten gleichzeitig den Hintergrund, vor dem diepolitischen Ansprüche der Herrscher publiziert und theoretisch gefasst wurden. Ineinem zweiten Schritt macht Gladigow deutlich, wie das so entstandene Gottesver-ständnis wiederum spezifische Formen politischen Handelns geprägt hat, indem pre-kär gewordene Herrschaftsansprüche durch spezifische Gottesvorstellungen legiti-miert wurden:

»Die Legitimitätskrise der Diadochen läßt die Typologie des sakral reformulierten Herr-schertums wieder aufleben; zugleich und in einem dialektischen Verhältnis zum Strebennach Legitimierung stehend, bedeutet diese Krise, daß die faktisch ausgeübte Macht mehrbedeutet und weiter reicht als traditionelle Herrschaft« (Gladigow 1981: 22).

Mit diesen Überlegungen wird ein Zugang skizziert, welcher das Augenmerk aufdie Interdependenzen zwischen Religionen und Politik lenkt. Im Anschluss an Gla-digow gilt, dass (a) politische settings Religionsgemeinschaften prägen und dass (b)

3.1.2.

13 Als weitere Protagonisten dieser Wende sind im deutschsprachigen Bereich Flasche (1982)und Rudolph (1992) zu nennen.

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diese wiederum versuchen, diese settings zu beeinflussen14, so dass man von einerDialektik zwischen Religion und Politik sprechen kann.

So ist ein Forschungsprogramm formuliert worden, das inzwischen durch eine zu-nehmende Zahl an historischen und gegenwartsbezogenen Fallanalysen weiter aus-gearbeitet worden ist. Um nur einige Beispiele zu nennen: Jörg Rüpke (1990) undChristoph Auffarth (1999) analysieren die religiöse Legitimation von Kriegen in An-tike und Mittelalter. Günter Kehrer (1981) und Hubert Seiwert (2003) tragen zur in-ternationalen Analyse der politischen Kontroversen um »Neue Religiöse Bewegun-gen« bei. Samuel Behloul (2005) und Martin Baumann (2003) schließlich setzen sichmit der öffentlichen Verortung von Migrantengemeinden auseinander. In jedem Fallbetonen die Autoren die engen Beziehungen zwischen Religionen und Politik sowiedie Einflüsse, die zwischen diesen Feldern bestehen.

Religionsgemeinschaften in den internationalen Beziehungen

Für Analysen auf der Ebene der internationalen Beziehungen sind vor diesem Hin-tergrund besonders die Arbeiten von Hans G. Kippenberg von Interesse. Dieser hatin den vergangenen Jahren damit begonnen, die Implikationen von Gladigows Zugangfür die Analyse der internationalen Beziehungen herauszuarbeiten (Kippenberg2008). Im Mittelpunkt steht dabei die These, dass zivilgesellschaftlichem Engage-ment innerhalb religiöser Traditionen eine immer größere Bedeutung zukommt, sodass sich damit die Beziehungen zwischen religiösem und politischem Feld neu ge-stalten:

»Wenn der staatliche Souverän sich zum Sachverwalter wirtschaftlicher Interessen macht,kann die Brüderlichkeitsethik religiöser Gemeinschaften ein öffentliches Gut werden. Ausdieser Perspektive gesehen, begünstigt eine Globalisierung der Märkte einen Machtzu-wachs religiöser Gemeinschaften. […] Am Ende der Entgrenzung der Märkte muss nichtunbedingt eine neue öffentliche Religion stehen [...], deren Arena die Zivilgesellschaft istund die allein dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Es können auch der Zivilgesellschaftfeindliche, geschlossene religiöse Gemeinschaften sein, die der bestehenden Ordnung dengewaltsamen Kampf ansagen« (Kippenberg 2006: 267-268).

Die Konsequenzen dieser Überlegungen sollen nun an einem Beispiel illustriertwerden, welches für die internationalen Beziehungen von besonderer Bedeutung ist:dem Ökumenischen Rat der Kirchen und seinem Engagement im Kontext der Ver-einten Nationen.15

3.1.3.

14 In jüngster Zeit sind im englischsprachigen Bereich Arbeiten vorgelegt worden, welchedie Differenzierung von Religion und Politik grundlegend in Frage stellen: McCutcheon(2001); Peterson/Walhof (2002); Fitzgerald, (2003).

15 Dieser Abschnitt basiert maßgeblich auf Archivstudien, die der Autor im Rahmen einesProjekts des Instituts zur Erforschung der religiösen Gegenwartskultur (IrG) durchgeführthat (Vgl. Institut für Gegenwartskultur 2010).

Aufsätze

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Fallbeispiel: der Ökumenische Rat der Kirchen im Kontext der VereintenNationen

Entstehungskontext des ÖRK

Um die Stellung des ÖRK in den internationalen Beziehungen und seine Verbindun-gen zu den Vereinten Nationen verstehen zu können, muss man in die Gründungs-phase der beiden Organisationen zurückgehen. Während die Vereinten Nationen dieTradition des Völkerbundes fortsetzten und 1945 vor allem auf Betreiben der US-Regierung gegründet wurden (Rittberger et al. 1997; Krasno 2004), geht die Entste-hung des ÖRK auf Beschlüsse zurück, die 1937 am Rande der Weltkonferenz fürGlauben und Kirchenverfassung in Edinburgh gefasst wurden (Fitzgerald 2004; Fey1970; Briggs et al. 2004). Im Abschlusskommunikee dieses Treffens ökumenischinteressierter Theologen und Laien aus den protestantischen Kirchen Europas undNordamerikas wurde unter anderem festgehalten:

»Die zweite Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, die im August 1937 inEdinburgh abgehalten wurde, vereinigte 414 Abgesandte von 122 christlichen Kirchen aus43 verschiedenen Ländern. Die Delegierten kamen zusammen, um die Ursachen zu erör-tern, die die christlichen Kirchen voneinander trennen, und die Punkte, in denen sie inchristlicher Gemeinschaft vereint sind. […] Es ist unsere Überzeugung, daß die Einheit,die wir in Gesinnung und Ziel besitzen, in einer Weise Gestalt gewinnen muß, durch diesie auch der Welt kund wird; wir wissen aber freilich noch nicht genau, was für eine äußereGestalt sie annehmen soll« (Böhme 1948: 80-81).

Dieser allgemeinen Willensbekundung folgte die Bildung einer ersten, kleinen Ar-beitsgruppe (unter Leitung des späteren ÖRK-Generalsekretärs Willem A. Visser’tHooft) mit Sitz in Genf, welche die Gründung des Rates vorbereiten sollte. Eine Auf-gabenstellung, die durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zunächst in den Hin-tergrund rückte und erst elf Jahre später – auf der ersten Vollversammlung in Ams-terdam 1948 – erfüllt werden konnte (Visser’t Hooft 1983). Seitdem haben sich immermehr Entscheidungsgremien christlicher Kirchen zu einer Mitgliedschaft im ÖRKentschlossen. In seiner aktuellen Selbstdarstellung heißt es somit zu Recht, der ÖRKsei

»unter den zahlreichen Organisationen der modernen ökumenischen Bewegung, deren Zieldie Einheit der Christen ist, die umfassendste und repräsentativste. Die Mitgliedschaft desÖRK umfasst mehr als 560 Millionen Christen in 349 Kirchen, Denominationen undkirchlichen Gemeinschaften aus über 110 Ländern: zu ihnen zählen die Mehrzahl der or-thodoxen Kirchen, zahlreiche Kirchen aus den historischen Traditionen der protestanti-schen Reformation wie Anglikaner, Baptisten, Lutheraner, Methodisten und Reformierte,sowie viele vereinigte und unabhängige Kirchen« (Ökumenischer Rat der Kirchen 2010).

Mit Blick auf die Beziehungen zu den Vereinten Nationen sind nun zwei Punktevon Bedeutung. Zum einen stellte der ÖRK einen weltweit aktiven Zusammenschlusseinzelner christlicher Kirchen dar, der von Anfang an im Rahmen der Vereinten Na-tionen präsent war und so sein Interesse für die internationale Politik verdeutlich-

3.2.

3.2.1.

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te.16 Zum anderen wurde der ÖRK von Seiten der Vereinten Nationen als ein Ge-sprächspartner wahrgenommen, welcher »das Christentum« bzw. »die Kirchen« aufder internationalen Ebene repräsentiert. Beide Punkte führten dazu, dass sich in den1940er und 1950er Jahren eine enge institutionelle und inhaltliche Zusammenarbeitzwischen ÖRK und Vereinten Nationen entwickelte.

Auf der institutionellen Ebene ist hier vor allem die Commission of the Churchesfor International Affairs (CCIA) zu nennen, die 1946 (und das heißt bereits zwei Jahrevor der offiziellen Gründung des ÖRK) etabliert und 1948 auf der Basis von Art. 71der Charta der Vereinten Nationen als Nicht-Regierungsorganisation beim Wirt-schafts- und Sozialrat (ECOSOC) als non-governmental organization (NGO) akkre-ditiert wurde. Auf der inhaltlichen Ebene ist darüber hinaus auf die vielfältigen Kom-mentare zu verweisen, welche die Entscheidungsgremien und Repräsentanten desÖRK (wie Generalversammlung oder Exekutivkomitee) auf unterschiedlichen We-gen (etwa in offiziellen Resolutionen oder Briefen) zur Friedens- und Abrüstungs-politik, zur Entwicklungs- oder zur Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationenveröffentlicht haben.17

Die daraus resultierenden Interdependenzen können am konkreten Engagement desÖRK im Rahmen der Menschenrechtsdebatte illustriert werden. Damit wird ein For-schungsfeld betreten, welches bislang weder in den Studien zur Geschichte des ÖRKnoch zur Entwicklung der Menschenrechte im Rahmen der Vereinten Nationen großeBeachtung gefunden hat (Normand/Zaidi 2008; Glendon 2001). Erst um die Wendevom 20. zum 21. Jahrhundert sind erste Analysen entstanden, welche diese Aspekteverstärkt thematisieren (Willetts 1996; Korey 1998). Der Höhepunkt dieser Entwick-lung wurde bisher mit der Publikation For All Peoples and All Nations von JohnNurser (2005) erreicht, welche die frühe Geschichte des ökumenischen Engagementsbei den Vereinten Nationen anhand von Archivmaterialien rekonstruiert.

Formen der Einflussnahme durch den ÖRK

Nurser beginnt seine Ausführungen beim Konzept des Christendom, mit dem christ-liche Theologen in England und den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts den welt-weiten Anspruch des Christentums formulierten. Vor diesem Hintergrund lenkt er dasAugenmerk auf zwei Punkte: Zunächst betont Nurser die lang anhaltenden Debatten,die im Rahmen des anglo-amerikanischen Protestantismus zu einem zunehmendenEngagement im Bereich der Menschenrechte geführt hatten.18 Außerdem rekapitulierter, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CCIA (und besonders ihr langjährigerDirektor Otto Frederick Nolde) aktiv in die Menschenrechtsdebatten der Vereinten

3.2.2.

16 Dieser Anspruch wird bereits in der Namensgebung World Council of Churches (WCC)deutlich, die sich im anglo-amerikanischen Bereich durchgesetzt hat.

17 Einen Überblick über diese Beiträge des ÖRK liefern vier Bände, die von der CCIA zwi-schen 1992 und 2007 unter dem Titel The Churches in International Affairs herausgegebenwurden. Einen weiteren Überblick vermittelt van der Bent (1986).

18 Der klassische zeitgenössische Text dieser Debatte: Bates (1945).

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Nationen eingriffen und sowohl die Formulierung der Präambel zur Charta der Ver-einten Nationen sowie die Inhalte der Universellen Erklärung der Menschenrechteprägten (Nolde 1970). Vor diesem Hintergrund scheint es nicht nur Höflichkeit zusein, wenn Charles Habib Malik resümierte:

»[Working on the Universal Declaration on Human Rights; K.L.] I was particularly con-cerned to consult them [the NGOs; K.L.] on many points. The religious organizationsamong them, Jewish, Protestant, and Catholic, showed most sustained interest. Dr. Nolde’saccount conveys some notion of the atmosphere of those days. He himself played a leadingrole, and he soon acquired such a reputation for fairness and objectivity that when the non-governmental organizations sought someone to represent them as a group, almost alwaysthey asked him to speak in their name. Article 18 of the Declaration on the freedom ofreligion was principally his fashioning« (Malik 1968: 10).

Das damit begonnene Engagement des ÖRK hält bis in die Gegenwart an und hatsich seit den 1960er Jahren maßgeblich gewandelt. Die Grundlagen dieser Wand-lungsprozesse bilden dabei nicht nur strukturelle und inhaltliche Entwicklungen in-nerhalb des ÖRK, sondern ebenso Veränderungen, welche die Vereinten Nationendurchlaufen haben (Hudson 1969; 1977).

Formen der Einflussnahme auf den ÖRK

Die detailliertere Beschäftigung mit den Formen der Einflussnahme, die durch dieVerankerung des ÖRK im Kontext der Vereinten Nationen angestoßen wurden, lässtzwei Trends sichtbar werden:

(1) Es wurde spätestens gegen Ende der 1960er Jahre deutlich, dass die zunächstso erfolgreichen Formen der Einflussnahme durch die CCIA-Mitarbeiterinnen undMitarbeiter (die primär auf persönlichen Kontakten basierten) zunehmend an Bedeu-tung eingebüßt hatten. Die politischen Partner, auf welche die CCIA in den 1950erJahren zurückgreifen konnte, verloren an Einfluss und damit wurde die spezifischeStellung des ÖRK im Kontext der Vereinten Nationen zunehmend geschwächt (Kos-hy 1994). Es folgte eine Suche nach neuen Wegen der Zusammenarbeit, die auf derstrukturellen Ebene dazu führte, dass sich die CCIA zunehmend in die so genanntenNGO-Community integrierte. Im Bereich der Menschenrechte hatte dies zum eineneine immer intensivere Kooperation mit anderen religiösen und säkularen NGOs (wieetwa Pax Romana oder Amnesty International) zur Folge. Zum anderen verringertediese Neuorientierung den Stellenwert der konkreten Kooperationen mit den Vertre-terinnen und Vertretern der Vereinten Nationen (Martens 2005).

(2) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CCIA versuchten, die im Rahmen derVereinten Nationen erarbeiteten Formulierungen der Menschenrechte innerhalb desÖRK und seiner Mitgliedskirchen zu verankern. Diese Bemühungen trafen bereits imRahmen der ÖRK-Zentrale nicht immer auf volle Zustimmung und führten zur Eta-blierung immer neuer Arbeitskreise und –gruppen, die sich mit diesem Thema be-

3.2.3.

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fassten.19 In den einzelnen Mitgliedskirchen war die Menschenrechtsidee teilweisenoch schwerer zu vermitteln, da Menschenrechte häufig als westlich-säkulare Wertewahrgenommen wurden. Aus dieser Situation entwickelte die CCIA eine ganz eigeneargumentative Strategie: Sie stellte das Menschenrecht auf Religionsfreiheit in denMittelpunkt ihrer Bemühungen, um daraus die Signifikanz der anderen Menschen-rechte abzuleiten und so wiederum ihre Akzeptanz innerhalb der Mitgliedskirchen zufördern (World Council of Churches 1954). Diese Strategie änderte sich erst im Laufeder 1970er und 1980er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt gewannen nicht nur die KirchenAfrikas und Lateinamerikas im Rahmen des ÖRK zunehmend an Einfluss, sondernsie entdeckten auch die »Sprache der Menschenrechte« als eine Möglichkeit, ihreInteressen durchzusetzen. Der Bezug auf die Menschenrechte prägt seitdem weiteBereiche des ÖRK sowie seiner Mitgliedskirchen und hat vor allem nach dem Endedes Kalten Krieges noch weiter an Bedeutung gewonnen.

Interdependenzen zwischen ÖRK und UNO

Der vorliegende Aufsatz ist nun nicht der Ort, diese Punkte im Einzelnen weiter aus-zuführen. Die kurze Skizze sollte aber drei Charakteristika des ÖRK-Engagementsbei den Vereinten Nationen herausgestellt haben, die für das hier vorgestellte Argu-ment von Bedeutung sind:

(1) Zunächst ist der ÖRK als eigenständiger Akteur in den internationalen Bezie-hungen aufgetreten und hat unter anderem die Menschenrechtspolitik der UNO nach-drücklich beeinflusst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CCIA haben diesesEngagement in den 1940er Jahren bis in die 1960er Jahre maßgeblich geprägt, tratendann aber zunehmend in den Hintergrund. Inzwischen dominieren menschenrechts-bezogene NGO-Netzwerke den Bereich der Menschenrechte. Der ÖRK engagiert sichin diesen Netzwerken, ohne in ihnen die zentrale Rolle inne zu haben, die ihm in derAnfangszeit der Vereinten Nationen zukam.

(2) Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, in welchem Umfang das Engagementim Rahmen der Vereinten Nationen den ÖRK selbst beeinflusst hat. Das Eintreten fürdie Gesamtheit der Menschenrechte (wie sie in der Menschenrechtserklärung derVereinten Nationen formuliert wurde) etablierte in den offiziellen Texten des ÖRKbereits frühzeitig eine Semantik, auf welche dann in den 1970er Jahren zurückge-griffen werden konnte. Es verortete den ÖRK aber auch im Rahmen der anderenNGOs und bildete so die Basis für Kooperationen, die säkulare Partner ebenso ein-beziehen können, wie Partner aus anderen religiösen Traditionen.

(3) Vor diesem Hintergrund muss der Ökumenische Rat als ein christlicher Dach-verband wahrgenommen werden, der vielfältige ökumenische Interessen bündelt undvertritt. Sein Engagement für die Menschenrechte steht einerseits für ein zivilgesell-schaftliches Engagement seiner Mitgliedskirchen. Andererseits wird dieses Engage-

3.2.4.

19 Vgl. hierzu die Boxen des ÖRK-Archivs in Genf: 428.3.01 – 428.3.06 (Religious Liberty)und 428.3.23 – 428.3.25 (Human Rights).

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ment nur dann verständlich, wenn man etwa die frühe (personelle und finanzielle)Dominanz der anglo-amerikanischen Kirchen, den zunehmenden Einfluss der Kir-chen aus Afrika und Lateinamerika und die Interessen der unterschiedlichen ÖRK-Gremien in die Untersuchung einfließen lässt.

Damit kommen Entwicklungen in den Blick, die bei anderen Religionsgemein-schaften in durchaus vergleichbarem Umfang stattgefunden haben (Juergensmeyer2005). Bereits eine der ersten Publikationen des World Jewish Congress setzt sichbeispielsweise detailliert mit den Vereinten Nationen auseinander und beschreibt sieals zentrales Arbeitsfeld des neu gegründeten Verbandes (World Jewish Congress1948). In Selbstdarstellungen der Religious Society of Friends/Quaker (Barbour/Frost1988) oder der Baha’i (Towfigh/Enayati 2005) werden die Vereinten Nationen re-gelmäßig als zentrales Betätigungsfeld genannt. Auch der Heilige Stuhl hat umfang-reiche Editionen der Redebeiträge seiner Repräsentanten im Rahmen der VereintenNationen publiziert, um seine Positionen in der internationalen Politik publik zu ma-chen (Dupuy 2003; 2004).

Verknüpft man diese Analyseergebnisse nun mit der Debatte um wissenschaftlicheReligionskonzepte, so gewinnt der mögliche Beitrag religionswissenschaftlicherAnalysen zur aktuellen Debatte um Religionen in den internationalen Beziehungenan Kontur. Im folgenden Abschnitt soll deshalb – in Anschluss an die dritte Thesedieses Beitrags – für eine intensivere Kooperation geworben werden.

Anknüpfungspunkte zwischen den Strängen

Um diesen letzten Argumentationsschritt vorzubereiten, wird der Stand des vorge-stellten Arguments nochmals in drei Schritten zusammengefasst:

(1) Zunächst gilt es festzuhalten, dass es ganz besonders politikwissenschaftlichenStudien zu verdanken ist, dass das Verhältnis zwischen Religion und Politik erneutin das Zentrum des akademischen Interesses gerückt ist. Basierend auf den inzwischenklassischen Arbeiten von Huntington und Juergensmeyer sowie den Sammelbändenvon Rudolph/Piscatori und Johnston/Sampson hat sich ein vielschichtiger politikwis-senschaftlicher Analysestrang entwickelt, der über weite Strecken durch zwei Cha-rakteristika geprägt ist. Zum einen stehen zwei Religionskonzeptionen weitgehendparallel nebeneinander: Auf der Makro-Ebene dominieren Studien, die Religion pri-mär als eine abstrakte Variable auffassen. Auf der Mikro-Ebene überwiegen Analy-sen, die das Augenmerk auf konkrete religiöse Akteure lenken. Zum anderen werdenReligionsgemeinschaften in diesem Analysestrang häufig als black boxes behandelt.Der Fokus liegt auf der Einflussnahme der Religionsgemeinschaften auf politischesHandeln, wobei ihre internen Strukturen weitgehend unberücksichtigt bleiben.

(2) Aus der Perspektive einer kulturwissenschaftlich orientierten Religionswissen-schaft muss deshalb kritisiert werden, dass die genannten Religionskonzeptionen Re-ligionsgemeinschaften bislang häufig zu statisch und isoliert fassen und so den Zugriffauf ihre Rolle im Kontext der internationalen Beziehungen erschweren. Im Anschlussan Gladigow liegt dagegen eine Religionskonzeption nahe, die stärker auf die Inter-

4.

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dependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und dem setting der internationalenBeziehungen fokussiert. Auf dieser Basis wird deutlich, dass das aktive Engagementin einem politischen setting Religionsgemeinschaften ebenso beeinflussen kann, wiereligiöse Akteure wiederum versuchen können, politische Entscheidungen in ihremSinne zu prägen. Konkrete Religionsgemeinschaften können so (a) als vielschichtigeund wandelbare Akteure begriffen werden, die auf unterschiedlichen Ebenen aktivwerden. Gleichzeitig sind sie (b) in die Auseinandersetzung mit politischen Prozesseneinbezogen, welche auf die Religionsgemeinschaften zurückwirken.

(3) Die damit angedeutete Perspektive wurde am Einzelfall des Ökumenischen Ra-tes der Kirchen weiter konkretisiert. Das frühe Engagement des ÖRK in den Men-schenrechtsdebatten der Vereinten Nationen liefert ein anschauliches Beispiel für dasgestalterische politische Potential dieses globalen christlichen Dachverbandes. Seinweiteres Engagement unterstreicht darüber hinaus aber auch den Einfluss der Kon-textbedingungen auf den ÖRK. Dabei ist die Verankerung (a) der jeweiligen Religi-onsgemeinschaft in ihrem religionshistorischen Kontext sowie (b) der handelndenPersonen und Gruppierungen innerhalb der Religionsgemeinschaften für das Ver-ständnis ihres politischen Handelns von zentraler Bedeutung. Auf der Basis diesesGedankengangs stehen die Aktivitäten des ÖRK (und besonders der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der CCIA) einerseits für das spezifisch zivilgesellschaftliche Enga-gement einer Organisation, welche das politische setting der Vereinten Nationen (unddarüber hinaus der internationalen Beziehungen) durch die Betonung universellerMenschenrechte durchaus nachdrücklich beeinflusst hat. Andererseits hat die Ver-ankerung der Menschenrechte in der internationalen Politik wiederum den ÖRK ge-prägt, so dass sein konkretes politisches Handeln letztlich nur im Rückgriff auf dieseInterdependenzen verständlich wird.

Diese Überlegungen weisen über den hier vorgestellten Einzelfall hinaus, indemsie – durch den Rekurs auf religionswissenschaftliche Debatten – die implizite Tren-nung zwischen mikro- und makro-perspektivischen Zugängen aufbrechen. Religio-nen als Makro-Phänomene sind nur dann verstehbar, wenn man auch die Vielzahlganz konkreter Religionsgemeinschaften auf der Mikro-Ebene berücksichtigt. EineReligionskonzeption, welche die Bedeutung von Interdependenzen unterstreicht,weist so letztlich den Weg zu stärker interdisziplinären Forschungsdesigns, in denensich Politikwissenschaft und Religionswissenschaft gegenseitig ergänzen. Religions-wissenschaftliche Studien können ohne die politikwissenschaftlichen Erkenntnisseüber die Strukturen politischer settings und die inhaltlichen Debatten in diesen set-tings die Entwicklung ihrer eigenen Gegenstände nur unzureichend analysieren. Po-litikwissenschaftliche Arbeiten sollten die so entstandenen Ergebnisse in Zukunftvermehrt in ihre eigenen Analysen berücksichtigen, um so der Komplexität politischerEntscheidungsprozesse gerecht zu werden.

Dies kann an einem Makro-Phänomen wie dem »Fundamentalismus« oder dem»religiös legitimierten Terrorismus« illustriert werden. Auch hier gilt es einerseits,die strukturellen und inhaltlichen Beziehungen zu religiösen Gruppierungen (bzw.Netzwerken) und Symbolsystemen herauszuarbeiten, um politisches Handeln ad-äquat analysieren zu können. Andererseits muss man die Vielfalt der politischen

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settings im Blick behalten, auf welchen die Gruppierungen und Individuen aktiv sindund welche ihr Handeln maßgeblich prägen. In Bezug auf die Terroristen des11. Septembers konnten Autoren wie Hans G. Kippenberg und Tilmann Seidensticker(2004) so bspw. nicht nur herausarbeiten, in welchem Maße die Terroristen auf Dis-kussionslinien innerhalb des Islam zurückgreifen, sondern auch deutlich machen, wienachdrücklich sie innerhalb moderner muslimischer Debatten marginalisiert sind.Bruce Lincoln (2003) betont darüber hinaus die erstaunlichen Parallelen zwischenreligiöser und politischer Rhetorik, die den Attentaten zugrunde lag.

Die Debatte der Religionskonzeptionen im vorliegenden Aufsatz mündet somit ineinem doppelten Plädoyer:

(1) Zum einen gilt es, im Rahmen der akademischen Religionswissenschaft, diepolitikwissenschaftlichen Impulse stärker aufzunehmen und sich mit der Rolle vonReligionen in den internationalen Beziehungen auseinanderzusetzen.

(2) Zum anderen sollte die politikwissenschaftliche Debatte vermehrt das Augen-merk auf die Interdependenzen zwischen Religionsgemeinschaften und politischenKontexten lenken, wie sie im Rahmen der Religionswissenschaft diskutiert werden.

So können nicht nur disziplinäre Grenzen konstruktiv überschritten werden. Viel-mehr wird auch den Strukturen eines Feldes Rechnung getragen, dem sich beide Dis-ziplinen in der Gegenwart vermutlich immer intensiver nähern werden.20

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20 Darüber hinaus bestehen Anknüpfungspunkte zu weiteren Debatten der Politik- und Re-ligionsforschung, die über die Frage der Religionskonzeption hinausweisen und im Rah-men dieses Aufsatzes nicht weiter thematisiert werden konnten. Hier sind bspw. die Dis-kussionen um die Bedeutung von Globalisierungs- oder Säkularisierungsdebatten zu nen-nen. Darüber hinaus gilt es, auf theologische Debatten einzugehen, die innerhalb der Re-ligionsgemeinschaften geführt werden.

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Claudia Baumgart-Ochse

Religiöse Akteure und die Opportunitätsstruktur derinternationalen BeziehungenEine Replik auf Karsten Lehmann

Dieser Forumsbeitrag setzt sich kritisch mit Karsten Lehmanns Rezeption der Debatteüber Religion in den Internationalen Beziehungen auseinander. Im Gegensatz zuLehmann wird argumentiert, dass die IB noch immer eine weitgehend säkularistischeDiszplin sind. Seine Identifikation von mikro- und makroperspektivischen Religions-konzeptionen bleibt zudem zu vage, um seiner Forderung nach einer Fokussierungauf die Interdependenz von Religion und Politik analytischen Mehrwert zu verleihen.Alternativ könnte sein empirisches Beispiel – die Menschenrechtsarbeit des Ökume-nischen Rates der Kirchen in den Vereinten Nationen – als ein erster Baustein einesbreiteren Forschungsprogramms zu transnationalen religiösen Akteuren in den IBgelesen werden. Zu untersuchen wäre einerseits, wie religiöse Akteure kollektiveHandlungsrahmen konstruieren und Ressourcen mobilisieren, um die Opportunitäts-struktur von global governance für ihre religiös begründeten öffentlichen Anliegenzu nutzen; und andererseits, wie sich dieser neue religiöse Aktivismus inhaltlich aus-wirkt.

Einleitung

Die fruchtbare Irritation, die sich aus einem kritischen Blick von außen auf eine in-nerdisziplinäre Debatte ergeben kann, ist eher selten, aber äußerst gewinnbringend.Zumal, wenn es sich bei dem Beobachter – in diesem Fall Karsten Lehmann (in diesemHeft) – um den Vertreter einer benachbarten Wissenschaft handelt, die sich zwar ausanderer theoretischer Perspektive, mit anderen Fragen und Methoden, aber dochdemselben Gegenstandsbereich zuwendet: der Rolle und Bedeutung von Religion undreligiösen Gemeinschaften und Organisationen in der internationalen Politik.

Was also sieht der Religionswissenschaftler Lehmann, wenn er auf die Debatte überdie Rolle von Religion in der politikwissenschaftlichen Disziplin der InternationalenBeziehungen (IB) schaut? Er benennt Gründe für das gestiegene Interesse der Diszi-plin an der Religion, identifiziert zwei in der IB-Forschungsliteratur vorrangig ver-wendete, aber seines Erachtens unzulängliche Religionskonzeptionen, beklagt dieweitgehende Ignoranz gegenüber religionswissenschaftlichen Arbeiten, und formu-liert eine alternative Perspektive zum besseren Verständnis der dialektischen Bezie-hung zwischen Religion und Politik. Ich möchte diese Beobachtungen und kritischenEinwände im Folgenden aufgreifen und diskutieren, um dann in einem zweiten Schritt

1.

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einige konzeptionelle Überlegungen anzustellen, wie der von Lehmann empirischuntersuchte Fall – die Rolle des Ökumenischen Rates der Kirchen in den VereintenNationen – als ein erster Baustein für ein breiteres Forschungsprogramm zur Bedeu-tung transnationaler religiöser Akteure in der global governance gelesen werdenkönnte.

Internationale Beziehungen und Religion: Geschichte einer Annäherung?

Zunächst zu den Gründen, die laut Lehmann dazu geführt haben, dass sich die For-schung in den IB in zunehmendem Maße mit Religion beschäftigt, namentlich: dieZunahme religiös konnotierter Gewalt in der internationalen Politik, eine wachsendeSkepsis gegenüber dem Säkularismus in der Politikwissenschaft sowie die konstruk-tivistische Wende in den Theorien der IB.

Religiös konnotierte Konflikte und konstruktivistische Theorie

In der Tat konnten in einer Disziplin, die nicht zuletzt die Bedingungen und Ursachenfür Krieg und Frieden im internationalen System erforscht, die immer häufiger zuTage tretenden religiösen Rahmungen von Konfliktsituationen durch nicht-staatlicheund staatliche Akteure nicht mehr dauerhaft ignoriert werden. Diese Beobachtungwidersprach den über Jahrhunderte tradierten Prämissen des westfälischen Staaten-systems – und damit der Grundlegung der modernen internationalen Beziehungenüberhaupt. Demnach war die Religion als Ursache für Konflikte und Kriege seit demWestfälischen Frieden von 1648 für immer aus dem internationalen System souve-räner Staaten verbannt worden: »Nach außen stellt die im Westfälischen Frieden in-augurierte Ordnung das erste internationale politische System dar, welches auf derunbedingten Territorialhoheit des jeweiligen Souveräns beruht« (Kallscheuer 1996:20). Und diese Souveränität definierte sich vorrangig über das Prinzip der Nicht-Intervention in innere Angelegenheiten, genauer: Angelegenheiten der Religionszu-gehörigkeit (Thomas 2005: 54-55; Philpott 2000: 213).

Doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde das westfälische System zunehmendherausgefordert. In den IB war zum einen die Rede von der Entgrenzung der Staa-tenwelt (Brock/Albert 1995) und der Denationalisierung im Zuge von Globalisie-rungsprozessen (Zürn 1998). Zugleich ließ sich ein Prozess der Fragmentierung be-obachten: Spätestens mit dem Ende des Ost-West-Konflikts traten die lange Zeit vomglobalen Systemgegensatz überdeckten ethnischen und religiösen Identitäten, Be-gründungsmuster und Verwerfungen deutlicher zu Tage (Gurr 1993).1 Erfahrene Un-

2.

2.1.

1 Eines der Standardwerke zu ethnopolitischen Konflikten erschien beispielsweise schon Mitteder 1980er Jahre, siehe Horowitz (1985). Schon seit den 1970er Jahren war die Politikwis-senschaft insgesamt aufmerksam geworden auf religiöse Akteure, die mit politischen Ambi-tionen auftraten – wie die islamischen Revolutionäre von 1979 im Iran oder die neue christ-liche Rechte in den Vereinigten Staaten in den 1980er Jahren.

Forum

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gerechtigkeiten und politische Ansprüche wurden zunehmend auch in religiöser Spra-che ausgedrückt. An die Stelle des Kommunismus und seiner utopischen Vision tratnun insbesondere der politische Islam als größte ideologische Herausforderung desWestens (Barbato/Kratochwil 2009: 325).

Aus den ersten politikwissenschaftlichen Studien, die auf diese als »religiöse Re-surgenz« bezeichnete Entwicklung reagierten, klang noch deutlich das Bedrohungs-gefühl angesichts einer wieder erstarkten Religion, die vom »Kampf der Kulturen«(Huntington 1998), dem »Krieg der Zivilisationen« (Tibi 1995), einem »neuen KaltenKrieg« (Juergensmeyer 1993) oder gar der »Rache Gottes« (Kepel 1994) kündete. Inden alten Denkschulen der IB verhaftet, zeugen diese Arbeiten aus den frühen 1990erJahren vom Versuch, die Kategorien von Macht, Selbsthilfe und Sicherheitsdilemmaauf eine Welt zu übertragen, in der Akteure nun plötzlich das Attribut »religiös« imNamen trugen.

Doch das Ende des Ost-West-Konflikts ließ auch die Theoriebildung in den IB nichtunberührt. Dass der Kalte Krieg überhaupt geendet hatte, noch dazu in weitgehendgewaltloser Art und Weise, konnte mit den überkommenen Kategorien von Realismusund Liberalismus kaum angemessen erklärt werden; dazu bedurfte es einer neuentheoretischen Perspektive, welche einerseits die Wirkmächtigkeit von Überzeugun-gen und Ideen erfassen konnte und andererseits die Durchlässigkeit der Grenze zwi-schen Innen- und Außenpolitik analytisch einbezog. Die konstruktivistische Wendein den IB seit den 1980er Jahren, die Impulse aus den Kulturwissenschaften und derSoziologie aufnahm, vermochte mit ihrem Fokus auf Identitäten, Normen und Ide-en2 auch der Erforschung religiöser Akteure und religiöser Traditionen entscheidendeImpulse zu geben.3 Finnemore/Sikkink (2001: 391-392) beschreiben den Konstruk-tivismus im Kern als einen Ansatz, der annimmt, dass jede menschliche Interaktionin der Hauptsache von ideellen Faktoren geprägt wird. Intersubjektive Überzeugun-gen, die von einer Vielzahl von Menschen geteilt werden, konstruieren die Interessenund Identitäten von Akteuren ebenso wie ihr Handeln. Der im Englischen verwendeteBegriff für geteilte Überzeugungen – shared beliefs – lässt noch deutlicher erkennen,dass der Konstruktivismus eine breite Brücke hin zur Religion schlägt. Die Mythen,Rituale, Erzählungen und Gebote, die in religiösen Traditionen aufgehoben sind, bie-ten einen reichen Fundus, aus dem sich Identitäten und normative Überzeugungenvon Individuen und Gruppen speisen. Sie beeinflussen, wie Akteure die Welt deuten,Situationen definieren, und sie stellen Handlungsskripte bereit.4

2 Überblicke u.a. in Checkel (1998) und Adler (2002); mit besonderem Augenmerk für Kultursiehe Jetschke/Liese (1998).

3 Siehe vor allem Hasenclever/Rittberger (2003); Laustsen/Waever (2003).4 Zum Begriff des Handlungsskriptes siehe Kippenberg (2008: 26).

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Säkularismus in den IB

Während ich diesen beiden Erklärungen für das gestiegene Interesse am Thema weit-gehend zustimme, sehe ich die von Lehmann konstatierte wachsende Distanz gegen-über dem »Säkularismus der Politikwissenschaft« deutlich skeptischer – und zwarinsbesondere mit Blick auf die Teildisziplin der IB. Die Säkularisierungstheorie, vonCasanova (1994) als eines der wenigen großen Paradigmen der Sozialwissenschaftenbezeichnet, ist insbesondere den Theorien internationaler Beziehungen tief einge-schrieben. Der schon erwähnte westfälische Mythos beschreibt die historische Genesedes internationalen Systems ja gerade als einen Prozess der Säkularisierung, als einErgebnis der Ausdifferenzierung der Sphären Religion und Politik und der Privati-sierung des Glaubens; und die über Jahrzehnte dominierenden Theorien der IB grün-den auf der kaum hinterfragten normativen Überzeugung,5 dass der Religion keinRaum im Politischen zukommt, ja dass eine säkulare Begründung und Gestaltunginternationaler Politik die überlegenere ist, weil sie vermeintlich rational und ver-nünftig sei, während Religion häufig als irrational, absolut und gefährlich eingeschätztwird.6 Die in den 1990er Jahren florierende Fundamentalismus-Forschung, angeführtvom groß angelegten Fundamentalism Project der American Academy of Arts andSciences, hat diese Perzeption der »gefährlichen Religion« noch verstärkt.7

Peter Bergers Bemerkung, dass die Welt am Ende des 20. Jahrhunderts noch immerso leidenschaftlich religiös sei, wie sie es schon immer war (Berger 1999: 2), ist inden IB nur zaghaft rezipiert worden. Zwar gibt es eine Debatte über die Rolle vonReligion in den IB und in der Friedens- und Konfliktforschung, und sie hat in denvergangenen Jahren an Intensität und Tiefe gewonnen (Bellin 2008: 338-344) – dochnach wie vor spielt sie sich eher am Rande der Disziplin ab. Das Unbehagen, das viele(westliche) Forscherinnen und Forscher angesichts der offensichtlicher werdendenBedeutung von Religion und religiösen Akteuren beschleicht, zeugt vom Behar-rungsvermögen einmal internalisierter Analyseperspektiven und normativer Orien-tierungen.

Selbst die konstruktivistisch angeleitete Forschung hat kaum empirische Studienzu diesem Feld hervorgebracht, was daran liegen mag, dass normativer Wandel inden internationalen Beziehungen bevorzugt am Beispiel liberaler, kosmopolitischorientierter Akteure untersucht wird, die als unabhängig, rational und individualis-tisch charakterisiert werden (Adamson 2005: 547-548; vgl. Hopgood 2000). Sicher

2. 2.

5 Willems (2001: 216-220) nennt diese Hintergrundüberzeugung, die er der Politikwissenschaftinsgesamt attestiert, den religionspolitischen common sense: eine Haltung, die sich mit ver-schiedenen normativen und analytischen Instrumenten gegen die Einbeziehung religiöserFaktoren immunisiert. Für eine spezifische Betrachtung dieses religionspolitischen commonsense in den IB vgl. Hatzopoulos/Petito (2003: 1) und Laustsen/Waever (2003: 706).

6 Dass Theorien der IB, die zum liberalen Kernbestand der westlichen Tradition gehören, nichtminder ambivalent und gefährlich sein können, zeigt die jüngere Forschung zum Demokra-tischen Frieden und seinen Schattenseiten (Geis et al. 2007; Brock et al. 2006).

7 In fünf Bänden versammelten die Herausgeber Martin Marty und R. Scott Appleby Studienzu konservativ-fundamentalistischen religiösen Gruppen und Bewegungen aus einer Vielzahlreligiöser Traditionen weltweit, beispielsweise im Blick auf ihr Verhältnis zum Staat (Marty/Appleby 1993).

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würden die meisten IB-Forscherinnen und -Forscher religiösen Faktoren dennochhohe Relevanz zuerkennen, nicht zuletzt seit den Anschlägen vom 11. September2001, welche das Thema in das Bewusstsein der Disziplin katapultierten, wenn aucherneut mit einem Fokus auf die unterstellte Gewaltneigung religiöser Akteure (Phil-pott 2002). Doch diese Relevanz theoretisch zu fassen und analytisch umzusetzen, istein Schritt, den nur wenige gehen. Und noch immer lesen sich die Einleitungen derwichtigsten Bücher und Aufsätze, als müsse die Auseinandersetzung mit diesemsperrigen Phänomen in besonderer Weise gerechtfertigt werden. Autorinnen und Au-toren wie Fox (2009), Haynes (2007), Thomas (2005), Kratochwil (2005), Barbato/Kratochwil (2009), Hallward (2008) oder Hurd (2008) wenden einiges an intellektu-eller Energie auf, um zunächst einmal die soziale Konstruiertheit jener so unhinter-fragt hingenommenen Grenzziehung zwischen Religion und Politik sichtbar zu ma-chen – und auf diese Weise den Säkularismus selbst als historisch bedingte, politischeIdeologie zu exponieren und seine Universalität in Frage zu stellen.

Religionskonzeptionen: Mikro, makro oder interdependent?

Wenn der Schritt zur theoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit Religionin den IB gegangen wird, dann strukturieren nach Lehmanns Beobachtung zwei ver-schiedene Religionskonzeptionen die Forschung. Die von ihm als Makroperspekti-ve bezeichnete Konzeption verstehe Religion als einen abstrakten Zivilisationsmar-ker. Sie finden sich vor allem in Ansätzen à la Huntington (1998), die nach dem Endedes ideologischen Systemgegensatzes ein Zeitalter von Kultur- und Religionskon-flikten heraufziehen sahen. Lehmann fasst unter die Makroperspektive jedoch auchArbeiten wie die von Norris/Inglehart (2004), die auf der Grundlage von Umfrage-daten – in diesem Fall das World Value Survey – Rückschlüsse über Säkularisierungs-und Desäkularisierungsprozesse im weltweiten Vergleich ziehen und Konfliktpoten-ziale identifizieren. Lehmann beurteilt diese globale Perspektive, die verschiedeneReligionen unter einer bestimmten Fragestellung vergleichend analysiert, äußerstkritisch, weil in ihr Religion lediglich abstrakt und statisch dargestellt würde; dieVielgestaltigkeit und Dynamik innerhalb der religiösen Traditionen und die Beson-derheit jeder einzelnen religiösen Gruppierung oder Organisation blieben unberück-sichtigt. Dies führe, so Lehmann, zu einer Konzentration auf die konfliktförderndenPotenziale von Religion, während die friedensstiftenden Qualitäten außen vor blie-ben.

Letzteren Aspekt sieht er dagegen in denjenigen Studien aufgenommen, die eineMikroperspektive einnehmen und einzelne Akteure in den Blick nehmen: sowohl inden qualitativen Arbeiten aus der Friedens- und Konfliktforschung, die seit geraumerZeit von einer grundlegenden Ambivalenz religiöser Einflussnahme auf Konflikte

2.3.

Claudia Baumgart-Ochse: Religiöse Akteure und die Opportunitätsstruktur der internationalen Beziehungen

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ausgehen und somit friedens- und konfliktfördernde Potenziale im Blick haben,8 alsauch in Studien, die sich mit dem Einfluss innergesellschaftlicher religiöser Akteureauf die Formulierung der Außenpolitik von Staaten beschäftigen.9

Beide Religionskonzeptionen, so lautet Lehmanns zentraler Kritikpunkt an der IB-Forschung, behandelten jedoch die religiösen Akteure weitgehend als black boxes.Das Erkenntnisinteresse richte sich auf die Auswirkungen des politischen Handelnsreligiöser Gruppen auf politische Entscheidungsprozesse und Institutionen; die um-gekehrte Richtung, nämlich der Wandel religiöser Akteure, der durch ihr Engagementim politischen Raum ausgelöst wird, werde nicht thematisiert.

Als Alternative zu diesen defizitären Religionskonzeptionen schlägt Lehmann (indiesem Heft, S. 75) einen Ansatz vor, der in der kulturwissenschaftlich orientiertenReligionswissenschaft beheimatet ist. Demnach sind Religionen kulturelle Phäno-mene, »welche mit anderen kulturellen Phänomenen […] nicht nur analytisch ver-gleichbar sind, sondern auch empirisch im ständigen Austausch stehen«. Dieses Ver-ständnis von Religion impliziere einen analytischen Fokus auf die Interdependenzenzwischen Religion und Politik. Erst dieser, von Religionswissenschaftlern wie Burk-hard Gladigow begründete Forschungsansatz, ermögliche eine aussagekräftige Ana-lyse des dialektischen Verhältnisses von internationalen Beziehungen und Religion.

Religionskonzeptionen und IB-Forschung: Kritik der Kritik

Lehmanns Unterteilung in makro- und mikroperspektivische Religionskonzeptionenist aus verschiedenen Gründen problematisch. Unklar bleibt, was eigentlich genaudamit bezeichnet wird: So verweisen die Begriffe Makro- und Mikroperspektive aufverschiedene Analyseebenen, beispielsweise Zivilgesellschaft und internationalesSystem; zugleich scheint die klassische Akteurs-Struktur-Problematik mit dieser Be-grifflichkeit angesprochen zu sein, indem Unterscheidungen aus der Religionswis-senschaft und -soziologie zwischen religiösen Traditionen als Symbolsystemen undkonkreten religiösen Akteuren einfließen. Gegen Ende schleicht sich auch noch dieUnterscheidung der Sphären Religion und Politik in die dichotome Kategorisierungein.

Zusätzlich zu dieser diffusen Begrifflichkeit nimmt Lehmann eine deutliche Be-wertung dieser Religionskonzeptionen vor: Die Makroperspektive sei zu abstrakt undstatisch und führe zu einer Überbetonung der Konfliktpotenziale von Religion. MitBlick auf Huntingtons Kulturkampfthese scheint diese Kritik durchaus berechtigt.Diese Debatte ist in den IB mit Verve ausgefochten worden, und nicht wenige Autorenhaben Huntingtons allzu simpel gestricktes Bedrohungsszenario äußerst kritisch be-urteilt (Müller 1998; Senghaas 1998; Fox/Sandler 2004). Doch die Mängel des Hun-

2.3.1.

8 Siehe vor allem Appleby (2000); Philpott (2007); Hasenclever/De Juan (2007); Basedau(2009); Weingardt (2007) sowie die Aufsätze in Hildebrandt/Brocker (2005) und Brocker/Hildebrandt (2008).

9 Einen Überblick gibt Haynes (2009); für einzelne Studien siehe u.a. Akbari (2004); Croft(2007); Baumgart-Ochse (2008).

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tingtonschen Ansatzes dürfen nicht zu dem Fehlschluss führen, dass vergleichendeStudien mit einer globalen Perspektive unzulässig seien. Insbesondere die Religions-soziologie hat in der jüngeren Säkularisierungsdebatte aufschlussreiche Studien her-vorgebracht, die Auswirkungen der Globalisierung auf Religion und religiöse Akteureim globalen Maßstab thematisieren und die Ungleichzeitigkeit von Säkularisierungs-und Desäkularisierungsprozessen komparativ untersuchen – mit hoch interessantenEinsichten.10

Die Lehmannsche Skepsis trifft auch jene Studien in der Friedens- und Konflikt-forschung, die mit Hilfe von large n-Datensätzen die Rolle von Religion in Bürger-kriegen und zwischenstaatlichen Konflikten komparativ untersuchen.11 Bei aller Not-wendigkeit, die Ergebnisse quantitativer Forschung durch qualitative Studien zu er-gänzen, erbringen large n-Untersuchungen doch höchst relevantes Wissen, welchesbestimmte Auffälligkeiten und erklärungsbedürftige Muster überhaupt erst sichtbarmacht und so qualitative Fallstudien anregt. Gerade diese quantitativen empirischenUntersuchungen jüngeren Datums widerlegen auch das Argument, dass eine abstrak-te, hoch aggregierte Religionskonzeption die konfliktfördernden Potenziale von Re-ligionen überbetone. Vielmehr widerlegen viele dieser Arbeiten die von Huntingtonund anderen in die Welt gesetzte These und deuten, ähnlich wie die von Lehmanngenannten qualitativen Einzelfallstudien, auf die Ambivalenz religiöser Orientierun-gen hin. Die Perzeption einer generellen Konflikthaftigkeit rührt vielmehr vom nochimmer dominanten Säkularismus in den IB her.

Auch wenn Lehmann für die politikwissenschaftliche Mikroperspektive, die stärkereinzelfall- und akteursbezogen arbeitet, mehr Sympathien übrig hat, so behandelt sieaus seiner Sicht religiöse Akteure ebenfalls als black boxes. In diese Lücke stößt nunder Lehmannsche Ansatz der Interdependenz, der Religion als kulturelles Phänomenversteht und die Dialektik wechselseitiger Bedingtheit von Religion und Politik inden Mittelpunkt rückt.

Religiöse Praxis statt heiligem Mysterium: der Gegenstandsbereich vonReligionsforschung

Die Einführung eines Religionsverständnisses, das sich aus der aktuellen Theoriede-batte in den Religions- und Kulturwissenschaften sowie der Religionssoziologiespeist, ist zunächst einmal sehr zu begrüßen. Denn gerade in den IB und der Friedens-und Konfliktforschung besteht die Neigung, höchst selektiv Referenzautoren zu zi-tieren, um das Phänomen Religion begrifflich zu fassen – doch dabei handelt es sichhäufig um Autoren, deren theoretische Ansätze in der aktuellen Religionswissen-schaft und -soziologie zum Teil sehr kritisch diskutiert werden. Das Paradebeispielist der deutsche Religionsphilosoph Rudolf Otto, dessen Buch »Das Heilige« (1979)

2.3.2.

10 Vgl. beispielsweise Casanova (2007); Beyer (2007); Beckford (2000); Berger (2005).11 Einen guten Überblick bieten Hasenclever/De Juan (2007); vgl. auch Gartzke/Gleditsch

(2006); Fox (2004a); Fearon/Laitin (2003); Svensson (2007); Ellingsen (2005).

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1917 erstmals publiziert wurde.12 Seine religionsphänomenologische Definition desHeiligen als mysterium tremendum et fascinans, als transzendentes Geheimnis, dasuns erschauern und erschrecken lässt und zugleich fasziniert und begeistert, wird inden IB zitiert, um die Ambivalenz religiöser Orientierungen in der internationalenPolitik und insbesondere in Kriegen und Konflikten zu begründen: Die Beobachtung,dass religiöse Akteure sowohl Friedensstifter als auch Kriegstreiber sein können, wirdnicht aus dem sozialen Handeln und den geteilten Überzeugungen rekonstruiert, son-dern vielmehr auf die Eigenschaften des Heiligen als einer Kategorie sui generiszurückgeführt (Appleby 2000: 28-29; Kratochwil 2005: 119). Dass Otto diejenigenLeser und Leserinnen, die sich nicht »auf einen Moment starker und möglichst ein-seitiger religiöser Erregtheit« besinnen können,13 auffordert, die Lektüre seines Bu-ches lieber bleiben zu lassen, wird anscheinend überlesen.

Neuere Ansätze, die an einer allgemeinen Religionstheorie festhalten,14 bestreitennicht die empirische Entrücktheit der religiösen Erfahrung – aber sie bestimmen diekulturell, sozial und historisch konkreten Praktiken und Glaubensvorstellungen alsden primären Gegenstandsbereich von Religionsforschung (Riesebrodt 2007: Kap.2). Für die Forschung könne es sich immer nur um »menschliche Religion« handeln,also um Religion »wie sie von Menschen ausgedrückt und beschrieben, gedacht undgelebt, geglaubt und betrieben worden ist und wird« (Waardenburg 1986: 17-18). DieFrage, ob es eine transzendente Realität gibt, wird methodisch ausgeklammert.15

Leider gewährt uns Lehmann keinen näheren Einblick in diese hochinteressantenDebatten, die in seiner und benachbarten Disziplinen geführt werden und die für diepolitikwissenschaftliche Analyse instruktiv wären, sondern beschränkt sich auf seineKernidee der Interdependenz. Von dieser Warte blickt er auf seinen empirischen Ge-genstand, das Verhältnis zwischen einer religiösen Nichtregierungsorganisation

12 Andere Beispiele sind Referenzautoren wie der Literaturwissenschaftler René Girard(1994, zitiert in Fox 2004b: 20; Thomas 2005: Kap.5; Juergensmeyer 1992; kritisch dazuAppleby 2000: 78-80), oder der Philosoph Sören Kierkegaard (zitiert in Laustsen/Waever2003). Deren kulturphilosophische Arbeiten sollen hier keineswegs gering geschätzt wer-den; vielmehr erstaunt, dass die aktuelle religionswissenschaftliche und -soziologischeTheoriedebatte zum Religionsverständnis, die auch analytische und methodische Angebotemacht, weitgehend ignoriert wird. Siehe u.a. Riesebrodt (2007); Kippenberg/von Stuckrad(2003); McCutcheon (2001).

13 Sondern nur auf »Pubertäts-gefühle Verdauungs-stockungen oder auch Sozial-gefühle[sic!]« (Otto 1979: 8).

14 Im Gegensatz zu postmodernen und postkolonialen Diskurstheorien, die die Möglichkeiteines universalen Religionsbegriffs bestreiten, wie dies besonders prominent Asad (1993)getan hat.

15 Dieses methodische Ausklammern ist weitgehend unproblematisch, solange der Fokus derAnalyse auf die sozialen Aspekte von Religion gerichtet ist. Mit Blick auf die religiöseErfahrung selbst gibt Porpora (2006) jedoch zu bedenken, dass der von Peter Berger be-gründete methodologische Atheismus eine transzendente Realität als explanans auch fürdie Erfahrung des Religiösen rigoros ausschließt. Er schlägt dagegen einen methodologi-schen Agnostizismus vor, der im Gegensatz zum radikalen soziologischen Konstruktio-nismus zumindest die Möglichkeit offen lässt, dass eine transzendente Wirklichkeit diereligiöse Erfahrung erklärt. Ähnlich unterscheidet Waardenburg (1986: 23) zwischen der»Wirklichkeit der Religion«, die er jedoch als empirisch nicht zugänglich ansieht, und der»religiösen Wirklichkeit«, die Gegenstand der Forschung sein kann.

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(NRO) und einer Internationalen Organisation und fragt danach, wie sich religiöserAkteur und politische Struktur wechselseitig beeinflussen. Mit dieser Fragestellungtrifft er in der Tat auf ein wenig untersuchtes Feld, das jedoch nicht allein die religiösennichtstaatlichen Akteure in den internationalen Beziehungen umfasst. Risse (2002:260-262) hat in einem Überblick über die Forschung zu transnationalen Akteuren alsDesiderat herausgestellt, dass das Gros der Studien sich damit beschäftigt, wie Nicht-regierungsorganisationen, Unternehmen und soziale Bewegungen auf die Politik ein-wirken und das internationale System verändern16 – nicht aber mit der Frage, wie sichdiese Akteure selbst im Zuge der Interaktion wandeln. Die Einzelfallstudie, die Leh-mann präsentiert, weist somit auf eine interessante Forschungslücke hin.17 Die Her-ausforderung besteht darin, diese Interdependenz theoretisch und methodisch zu kon-zeptionalisieren.

Religiöse Akteure und global governance: Motivation, Ressourcen undOpportunitätsstrukturen

Wie könnte man also dieses Wechselverhältnis zwischen religiösen nicht-staatlichenAkteuren und politischen settings auf der Analyseebene inter- oder transnationalerBeziehungen erschließen? Ein breiter angelegtes Forschungsprogramm müsste aufzwei Ebenen operieren. Erstens bedarf es eines analytischen Instrumentariums, umdas zunehmende politische Engagement religiöser Akteure systematisch zu erfassen.Bisherige Studien haben sich in der Hauptsache auf erste quantitative Bestandsauf-nahmen dieser spezifischen Untergruppe internationaler NRO beschränkt.18 Für diequalitative Untersuchung religiöser NRO bietet sich als methodisches Handwerks-zeug die Heuristik der Forschung zu Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) an, die vorallem im nationalstaatlichen Rahmen für die Analyse der Rolle von Religion undreligiösen Akteuren vorgeschlagen und genutzt wurde, aber auch bereits für die in-ternationalen Beziehungen adaptiert worden ist. Die zweite Ebene ist eher theoreti-scher Natur und weitaus komplizierter, denn sie fragt danach, wann und unter welchenBedingungen religiöse Akteure bestimmte Handlungsoptionen wählen, also bei-spielsweise, ob sie sich für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit engagierenoder vielmehr partikularistische, auf exklusiven Identitäten basierende Interessenverfolgen. Diese Frage schließt an die Forschung zur Ambivalenz politischen Han-delns religiöser Akteure an, die sich jedoch bislang hauptsächlich auf die innerstaat-liche Analyseebene konzentriert.

3.

16 Risse/Ropp/Sikkink (1999); Florini (2000); Keck/Sikkink (1998).17 Für Nichtregierungsorganisationen allgemein vgl. jedoch Martens (2005).18 Siehe Berger (2003); Boli (2007); Bush (2007).

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NSB-Forschung und religiöse Akteure

Die Heuristik der NSB-Forschung, die vor allem am Beispiel progressiver säkularerBewegungen für sozialen Wandel entwickelt wurde, hat sich auch für die Analysereligiöser Einflussgruppen als sehr geeignet erwiesen. Autoren haben die Konzepteund Methoden genutzt, um beispielsweise die Entwicklungsdynamik der (neuen)christlichen Rechten in den USA zu untersuchen (Brocker 2004), islamischen Akti-vismus als soziale Bewegung zu verstehen (Wiktorowicz 2004), die Varianz kirchli-chen sozialen Engagements zu erklären (Wood 1999) oder die Rolle von religiösenAkteuren in Bürgerkriegen zu analysieren (De Juan/Hasenclever 2009). Wald/Sil-verman/Fridy (2005) empfehlen das Handwerkszeug der NSB-Forschung, um gene-rell die verschiedensten Formen religionsbasierten politischen Handelns zu unter-suchen. Um das Verhältnis von Religion und Politik zu verstehen, müsse der Blickauf »motives, means, and opportunities« (Wald/Silverman/Fridy 2005: 124) gerichtetwerden: auf die Motive, die religiöse Akteure zu politischem Handeln veranlassen;auf die Ressourcen, die ihnen eine wirkungsvolle Teilnahme an politischen Diskursenund Entscheidungsprozessen ermöglichen; und schließlich auf die externen Oppor-tunitätsstrukturen, die ihnen den Eintritt in die Politik erleichtern oder erschweren.

Religiöse Akteure und kollektive Handlungsrahmen

Die ersten beiden Dimensionen beziehen sich auf den religiösen Akteur. Die Motivereligiösen Handelns lassen sich demnach nicht direkt aus den überlieferten Doktrinenund Narrativen ableiten, sondern es bedarf kollektiver Handlungsrahmen (collectiveaction frames), die in der Regel von religiösen oder politischen Eliten unter Bezugauf die religiöse Tradition konstruiert werden. Religiöse Handlungsrahmen werdengenutzt, um konkrete Situationen wie politische Konflikte oder erlebte Missständeund Ungerechtigkeiten zu diagnostizieren, angemessene Reaktionsformen zu formu-lieren und die Menschen zum Handeln zu motivieren. Zentral ist dabei die Rolle vonEliten, die das religiöse framing nutzen, um bestimmte politische Ziele zu erreichen(De Juan/Hasenclever 2009: 183; Wald/Silverman 2005: 128-131). Neben den ide-ellen Motiven bedarf es jedoch auch der organisatorischen Ressourcen, die den reli-giösen Akteuren ein effektives politisches Handeln überhaupt erst ermöglichen. Dazuzählen die identitätsstiftende Kraft der religiösen Gemeinschaft und Kultur, die Qua-lität der politisch-religiösen Führung, die materiellen Ressourcen, das Ausmaß derkommunikativen Netzwerke und ein vom Staat unterscheidbarer Raum, der ein Ortfür normative Kritik sein kann (Wald/Silverman 2005: 131-136).

Diese analytische Perspektive eröffnet ein weites Feld für interdisziplinäre Zusam-menarbeit, ganz so, wie Lehmann sie einfordert. Religionswissenschaft und Religi-onssoziologie haben der Politikwissenschaft einiges voraus, wenn es darum geht, dieMotive und Bedeutungen religiösen Handelns zu verstehen. Die Auswahl, Exegeseund Interpretation religiöser Texte, das Verrichten religiöser Rituale, die Rolle reli-giöser Spezialisten, die Formen religiöser Vergemeinschaftung – all diese Elemente

3.1.

3.2.

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religiöser Praxis, die »auf einem Glauben an übermenschliche Mächte beruhen, dieHeil und Unheil bringen oder abwenden können« (Riesebrodt 2007: 39), bilden dieGrundlage, auf der religiöse Handlungsrahmen für das politische Engagement reli-giöser Akteure konstruiert werden. Die institutionelle Gestalt religiöser Organisatio-nen, die Wege der Kommunikation oder der Grad der religiösen Bildung der einfachenGläubigen bilden organisatorische Ressourcen, die über Einflussmöglichkeiten undInhalte politischer Aktion mit entscheiden.

Mit Blick auf das von Lehmann untersuchte Beispiel des Ökumenischen Rates derKirchen (ÖRK) wäre also zu fragen, wie diese kirchliche Nichtregierungsorganisationden notwendigen religiösen kollektiven Handlungsrahmen für das Engagement in derMenschenrechtspolitik konstruiert hat: Welche Teile der überlieferten religiösen Tra-dition wurden ausgewählt, interpretiert und adaptiert, um die politische Situation zudiagnostizieren, Handlungsoptionen zu entwerfen und schließlich die Gläubigen zumHandeln zu motivieren? Wie war es um die Qualität der politischen Führung und diemateriellen Ressourcen bestellt, auf die der ÖRK bauen konnte? Wie gut war der ÖRKkommunikativ mit seinen Mitgliedkirchen vernetzt, wie konnte er eine gewisse Ei-genständigkeit gegenüber den normativen Anforderungen des säkularen Umfelds derVereinen Nationen bewahren?

Global governance als Opportunitätsstruktur für religiöse Akteure

Die externe Dimension betrifft die Opportunitätsstrukturen, auf die religiöse Akteuretreffen. Politische Mobilisierung, so lehrt es die innerstaatlich orientierte NSB-For-schung, ist beispielsweise dann zu erwarten, wenn sich das institutionelle Gefüge fürgesellschaftliche Partizipation öffnet oder wenn sich die Landschaft gesellschaftlicherund politischer Allianzen wandelt (Wald/Silverman/Fridy 2005: 136-140). Entwick-lungen dieser Art sind auf internationaler Ebene in den vergangenen Jahrzehnten un-übersehbar gewesen, ja sie bilden den Kern der Debatte über governance in den IB.Der Begriff governance wird »zur Bezeichnung einer nicht rein hierarchischen, ko-operativen Form des Regierens benutzt, bei der private korporative Akteure an derFormulierung und Implementation von Politik mitwirken« (Mayntz 2008: 45). Dasinternationale System, einst ausschließlich die Domäne der Regierungen souveränerNationalstaaten, hat sich angesichts grenzüberschreitender Probleme wie dem Kli-mawandel, der Proliferation von Massenvernichtungswaffen oder humanitärer Kata-strophen zunehmend für diese neue Formen von Steuerung und Kooperation geöffnet,in denen neben den Internationalen Organisationen auch nicht-staatliche Akteure wieNichtregierungsorganisationen eine bedeutende Rolle spielen (Risse 2002; Wolf2006). Die einst für das westfälische Staatensystem konstitutive Trennung von privatund öffentlich, die ihre historischen Wurzeln nicht zuletzt in der Säkularisierung derzwischenstaatlichen Beziehungen hat, ist durchlässiger geworden. Zugleich ist jedochauch eine Situation des Wettbewerbs nicht-staatlicher Akteure um Ressourcen undEinfluss entstanden: eine Vielzahl von NRO konkurriert um die Aufmerksamkeit von

3.3.

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Staaten, internationalen Organisationen und den großen, gut etablierten NRO, die alsTorwächter die Zugangsmöglichkeiten regulieren (Bob 2005).

Aus diesen Entwicklungen ergibt sich eine Opportunitätsstruktur (Tarrow 2005:8-9), die gerade auch für religiöse Akteure veränderte Chancen der Intervention unddes Mitgestaltens bietet. So haben sich die Vereinten Nationen in den vergangenenJahren verstärkt für die Mitwirkung und Beratung durch religiöse Akteure geöffnet(Religion Counts 2002). Und diese Möglichkeiten werden in zunehmendem Maßegenutzt. Organisationen, die sich selbst als religiös, spirituell oder glaubensbasiert(faith-based) bezeichnen, bilden einen wachsenden und sehr vitalen Teil der interna-tionalen NRO-Szene. Ein Großteil dieser Organisationen engagiert sich in Politik-feldern, die außerhalb der traditionell religiösen Aufgaben und Ziele liegen – undzwar insbesondere auf den Gebieten Menschenrechte, Umweltschutz, humanitäreHilfe, Entwicklung und Frieden (Berger 2003).

Von Seiten der Weltkultur-Theorie wird daher unterstellt, dass ihre institutionelleForm als moderne Organisation sowie ihr Engagement für »weltliche«, rational be-gründete Ziele bereits das Ergebnis einer tiefgreifenden Säkularisierung von Religionin der globalen Zivilgesellschaft sind (Boli/Brewington 2007: 219-221). Dagegensteht jedoch die Einsicht, dass religiöse Akteure ihre Wurzeln immer in besonderenTraditionen, Orten und Gemeinschaften haben: »[…] the emerging global circum-stance may call for a universalistic form of religious expression, but the availableresources are irremediably particularistic« (Beckford 2000: 181).

Religiöse Ambivalenz oder säkulare Sozialisation: Religiöse NRO alsNormunternehmer

Damit kommt die zweite Ebene ins Spiele, die für Erforschung transnationaler reli-giöser Akteure von Bedeutung ist: die Frage nach den Bedingungen und der Richtungihres politischen Handelns. Passen sich religiöse NRO in gleicher Weise dem insti-tutionellen Umfeld internationaler Organisationen an, wie dies nicht-religiöse NROtun (Martens 2005), und sind sie daher selbst ein kaum unterscheidbarer Teil einerkosmopolitischen, westlich-liberalen Kultur? Oder nutzen sie lediglich die sich ihnenbietenden Opportunitätsstrukturen, ohne dabei ihren spezifischen religiösen Charak-ter zu verlieren (Bush 2007; Casanova 2007)? Wenn Letzteres zutrifft, dann ist davonauszugehen, dass religiöse Akteure auch in den Arenen von governance ihre grund-legende Ambivalenz gegenüber der Politik nicht vollständig ablegen. Sie haben ei-nerseits das Potenzial, sich sowohl normativ als auch praktisch assoziativ in Diskurse,Entscheidungsprozesse und Handlungsabläufe einzubringen. Die überwiegendeMehrheit der religiösen NRO, die sich als Ideengeber, Anwälte, praktische Helferoder spirituelle Ratgeber in den internationalen Beziehungen engagieren (Thomas2005: 99-102), wird als Quelle moralischer und ethischer Normen und Werte wahr-genommen, die jenseits des entzauberten politischen Alltagsgeschäft ihren Ursprunghaben und somit eine kritische, moralische Instanz gegenüber der häufig macht- und

3.4.

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interessengeleiteten internationalen Politik sein können (Lechner 2005). Der ÖRKfällt ganz augenscheinlich in diese Kategorie religiöser NRO.

Aber religiöse Akteure können sich auch dissoziativ auswirken, wenn sie beste-hende Konflikte durch den Bezug auf religiöse partikulare Ideen und Identitäten ver-grundsätzlichen. Die ungewöhnliche Allianz von konservativen muslimischen Grup-pen und katholischer Kirche, die sich während der Weltkonferenz der Frauen in Pe-king gegen die Ausweitung von Frauenrechten und Abtreibung formierte (Buss 1998),wirft ein Licht auf diese potenziell dissoziativen Potenziale. Ein anderes Beispielbetrifft das relativ neue Engagement konservativer evangelikaler Gruppen in den USAfür eine weltweite Durchsetzung von Menschenrechten, und zwar insbesondere fürdie Religionsfreiheit. Dieser Trend zeigt einerseits eine Neuorientierung innerhalbder evangelikalen Bewegung an, die sich auf neue, progressive Themenfelder einlässtund Allianzen mit diversen Akteuren anderer religiöser Traditionen schmiedet (Hert-zke 2004); jedoch wird kritisch angemerkt, dass Religionsfreiheit zum Teil auch des-halb gefordert wird, um die Arbeit christlich-evangelikaler Missionare insbesondereim globalen Süden zu ermöglichen (Hoeber Rudolph 2003). Eine theoretische Kon-zeptionalisierung wird sowohl Fragen nach der politischen Theologie dieser Akteurestellen müssen als auch nach ihrer Anbindung an bestimmte (mächtige) Staaten, ihrerRolle in internationalen Organisationen oder ihrer Funktion als verlängerter Arm eth-nopolitischer Konfliktparteien.19

Das noch wenig erforschte Gebiet nicht-staatlicher religiöser Akteure in den inter-nationalen Beziehungen, das Karsten Lehmann in seinem Aufsatz betreten hat, hältalso noch viele unbeantwortete Fragen und theoretische Herausforderungen bereit.Es weiter zu untersuchen, könnte interessante Einsichten über den Wandel des inter-nationalen Systems in einer post-westfälischen Phase bescheren, die womöglich we-niger säkular sein wird, als wir bisher dachten.

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19 Philpott (2007) unterscheidet auf innerstaatlicher Ebene zwei Variablen, die das Verhaltenreligiöser Akteure im Hinblick auf politische Gewalt auf der einen und Unterstützung fürDemokratisierungsprozesse auf der anderen Seite erklären. Dabei handelt es sich, erstens,um den Grad der wechselseitig gewährten Autonomie, die Staat und Religion genießen;und, zweitens, um politische Theologie, verstanden als geteilte Überzeugungen, wie poli-tische Herrschaft legitimiert und gestaltet werden soll. Je nachdem, welche Ausprägungdiese beiden Variablen aufweisen und in welcher zeitlichen Abfolge sie aufeinander ein-wirken, neigen religiöse Akteure eher zur Unterstützung von Demokratie oder zur Legiti-mation und Anwendung politischer Gewalt. Ein Transfer dieser Konzeption auf die trans-nationale Ebene steht aus, wäre aber sicher reizvoll.

Claudia Baumgart-Ochse: Religiöse Akteure und die Opportunitätsstruktur der internationalen Beziehungen

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Mariano Barbato

Postsäkulare Internationale BeziehungenEine Replik auf Karsten Lehmann

Karsten Lehmanns religionswissenschaftlicher Beitrag zur Interdependenz von Re-ligion und Politik und sein Aufruf zu einem interdisziplinären Gespräch spricht wich-tige Punkte an. Wenn man jedoch von der Oberfläche der politikwissenschaftlichenDebatte weiter in die Tiefe geht, kann man die erfreuliche Entdeckung machen, dassin den von Lehmann leider nur kurz erwähnten konstruktivistischen Beiträgen eindifferenzierteres Religionsverständnis vorhanden ist, als Lehmann für die Interna-tionalen Beziehungen insgesamt annimmt. Mein Kommentar versucht deshalb in denersten beiden Abschnitten mit Blick auf diese Beiträge, die interdisziplinäre Debatteim Rahmen der Internationalen Beziehungen auf eine stabilere Grundlage zu stellen.Der dritte Abschnitt eröffnet auf dieser Basis mit dem Blick auf Jürgen Habermaseinen alternativen Weg für ein interdisziplinäres Gespräch. Aus analytischem wienormativem Interesse heraus wird in den weiteren Abschnitten versucht, säkularis-tische Engführungen im Sinne von Habermas in Richtung »Postsäkularer Interna-tionaler Beziehungen« zu überwinden.

Einleitung1

Als in den Revolutionen und Transformationen von 1989/1990 der Marxismus seineweltpolitische Rolle als Widerpart des Liberalismus verlor, ergab sich auch für dieTheorie der Internationalen Beziehungen (IB) die Notwendigkeit der Neuorientie-rung. Da deutlich geworden war, dass Ideen und Identitäten die IB prägen (Kratochwil1993), musste diese Lücke mit weltanschaulich orientierten Konzepten geschlossenwerden. Huntingtons kulturorientierter Realismus (1996) stellte sich so neben dembis dahin gängigen Neorealismus. Mit dieser unterkomplexen Ergänzung wurde je-doch eine Chance vertan. Statt im Sinne eines kulturorientierten Konstruktivismus(Lapid/Kratochwil 1996) zu differenzieren, wurde Religion als konfliktträchtige Va-riable etabliert. Wer hier nicht mit Francis Fukuyama (1992) ebenso unterkomplexwidersprechen oder mit Mark Juergensmeyers (1993) New Cold War-Argumentationetwas differenzierter zustimmen wollte, konnte fast nur mit Scott Appleby (2000) dieAmbivalenz der Religion anerkennen und zu Detailstudien übergehen.

Bei oberflächlicher Betrachtung bietet sich dem Religionswissenschaftler KarstenLehmann so ein einfach gestricktes Bild der politikwissenschaftlichen Bemühungenum die Religion in den IB. Lehmann unterscheidet für seine Analyse dieser Bemü-

1.

1 Bedanken möchte ich mich bei den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern, der ZIB-Redaktion, Katherina Hölscher und Birgit Altmann für Durchsicht und Kommentare sowieSaskia Scholz für Literaturhinweise zum Heiligen Stuhl als Akteur bei UN-Konferenzen.

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hungen zwischen Beiträgen auf der Makro- und der Mikroebene. Während er ersteremit Blick auf Huntington als oberflächlich und ohne begriffliche Sensibilität für Re-ligion abtut, erkennt er auf der Mikroebene Gesprächspartner, bei denen er seineFallstudie eines religiösen Akteurs ansiedelt. Er möchte aber nicht bei einer einfachenFallstudie verharren. In Anlehnung an kulturwissenschaftliche Konzepte der Religi-onswissenschaft versucht er, das grundsätzliche Argument herauszudestillieren, dassReligion und Politik – »Religionsgemeinschaften und politische settings« – mitein-ander verflochten sind und sich in einer gemeinsamen Praxis gegenseitig bedingen.

Damit hat Lehmann ganz recht. Ganz so neu, wie es scheint, ist diese Erkenntnisjedoch in der Disziplin der IB sowohl grundlegend für das Verhältnis von Akteur undStruktur wie für die konkrete Interdependenz von Politik und Religion nicht. Lehmannzollt auch denjenigen Tribut, die für diese Erkenntnis verantwortlich sind: den »kon-struktivistischen Ansätzen«. Da er sich mit ihnen aber nicht weiter beschäftigt, ent-gehen ihm deren relevante Beiträge. Stattdessen geht Lehmann weiter davon aus, dassdie Politikwissenschaft Religion schlicht als Variable mit Effekt auf politische Struk-turen betrachtet. Demgegenüber stellt er Religionswissenschaft als eine Disziplin vor,die primär Religionsgemeinschaften in politischen settings untersucht. Ein interdis-ziplinäres Gespräch stellt er sich so als fruchtbare Zusammenführung der Analysepolitischer Akteure unter Einfluss religiöser Strukturen und religiöser Akteure unterEinfluss politischer Strukturen vor.

Diese zusammenführende Analyse findet aber bereits als durchaus disziplinüber-greifendes informiertes Unternehmen statt. Zu diesem Unternehmen haben verschie-dene Teildisziplinen der Politikwissenschaft von der Politischen Theorie bis zurKomparatistik schon Beachtliches beigetragen. Ich beleuchte hier jedoch ausschließ-lich den konstruktivistischen Beitrag in den IB. In dieser Perspektive lässt sich sagen,dass seit den späten 1980er Jahren der damals im Entstehen begriffene Konstrukti-vismus um die konzeptionelle Erfassung des Agent-Structure-Problems ringt (Wendt1987). Um die strikte Separierung von Struktur und Interaktion der Akteure und diedaraus erfolgten Engführungen des Strukturalismus für die Makroebene zu überwin-den, wird auf die für Akteur wie Struktur konstitutive Praxis fokussiert, in der dieRegelstruktur den Akteuren Orientierung gibt und durch das so geleitete Handeln dieIdentität der Akteure prägt. Jedoch wird den Akteuren über ihr intersubjektiv verwo-benes Handeln wiederum die Möglichkeit eingeräumt, die Regelstruktur zu verän-dern. Auf diese Praxis scheint es auch Lehmann anzukommen. Eine Auseinander-setzung mit dem Konstruktivismus wäre deswegen unerlässlich gewesen. Das möchteich hier zunächst einleitend nachholen, um das interdisziplinäre Gespräch auf einersolideren Grundlage fortzusetzen.

Der Konstruktivismus fällt in zwei Lager, die Karin Fierke etwas polemisch aberzutreffend mit »conventional« und »consistent constructivism« charakterisiert (Fier-ke 2006: 183-190). Alexander Wendt hat sich als conventional constructivist mit demScientific Realism nicht nur epistemologisch nah am Positivismus angesiedelt (Wendt1999: 39-40, für die Debatte dazu vgl. die Beiträge in Guzzini/Leander 2006) unddamit die ursprüngliche Schlüsselerkenntnis des Konstruktivismus in der Unverein-barkeit einer offenen Praxis politischen Handelns und einer geschlossen Epistemo-

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logie kausaler Variablen aufgegeben (Kratochwil/Ruggie 1986), er hat dabei auch dieHegelianische Selbstgewissheit des Liberalismus internalisiert und glaubt an denheraufziehenden liberalen Weltstaat (Wendt 2003: 491, 525-530). Das mangelndeInteresse für Religion ist so epistemologisch wie ontologisch zementiert.

Ein breit verstandener consistent constructivism, der von der Englischen Schule biszu postmodernen Ansätzen reicht, ist anders aufgestellt. Er birgt nicht nur den vonLehmann geforderten Fokus auf das Wechselspiel von Religion und Politik und einedifferenzierte Debatte um den Religionsbegriff, sondern daraus hervorgehend aucheine Kritik am säkularistischen Paradigma der IB. Carsten Bagge Laustsen und OleWæver möchten den »package deal« (Bagge Laustsen/Wæver 2000: 739) aus Posi-tivismus und Staatensystem überwinden, der Religion vor allem als Bedrohung wahr-nimmt. Realismus und Liberalismus als die beiden klassischen Paradigmen der IBhaben mit Thomas Hobbes nicht nur den gleichen Ahnherrn, sondern auch den ge-meinsamen Ursprung in den konfessionellen Bürgerkriegen Europas. Sie hängendementsprechend am Mythos des säkularen westfälischen Systems, der mit seinemWunsch nach Verbannung der Religion wenig zu ihrer Analyse beitragen kann. Eli-zabeth Shakman Hurd hat die Problematik säkularistischer Engführung der Theorieder IB aufgearbeitet und für die Praxis der Disziplin die Vielfalt der Säkularismendargestellt, die in ihren verschiedenen Schattierungen mitunter mit dem Selbstver-ständnis des befriedenden Vermittlers auftreten, jedoch Konfliktpartei sind (Hurd2008).

Um dieser säkularistischen Engführung zu entkommen, plädiert Scott Thomas füreine »post-secular era« (Thomas 2000: 817). Habermas hat den Begriff der postsä-kularen Gesellschaft in der letzten Dekade populär gemacht (erstmalig Habermas2001: 12; für einen aktuellen Debattenüberblick vgl. Wenzel/Schmidt 2009; Reder/Schmidt 2008; Langthaler/Nagl-Docekal 2007). Mit Habermas lässt sich zusätzlichdas normative Potential religiöser Semantiken erschließen. Damit schließt sich derKreis zur eingangs erwähnten Ablösung des Marxismus. Der Marxismus war nichtnur Bedrohung, sondern auch kritisches Potential gegenüber den Blindstellen desLiberalismus. Habermas sieht die Möglichkeit, dass die reflexiv gewordenen Welt-religionen auch diese Aufgabe übernehmen können (Habermas 2001: 27-29), was nahan dem von Lehmann aufgeführten Krippenbergzitat liegt. Analytisch wie normativmöchte ich deswegen von den »Postsäkularen Internationalen Beziehungen« spre-chen. Mit diesem Begriffsvorschlag soll klargestellt werden, dass es nicht darum geht,lediglich dem Phänomen »Religion« mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Vielmehrbedarf es einer Neujustierung der politikwissenschaftlichen Konzeptionen, um dieInteraktion von normativen Theorien und politischer Praxis, die nicht entlang derVorhersagen der Säkularisierungstheorie verlief, erfassen und bearbeiten zu können.

Entlang dieser Linien gibt der erste Abschnitt einen historisch-konzeptionellenÜberblick über das Wechselspiel von Politik und Religion aus konstruktivistischerPerspektive. In einem zweiten Abschnitt stelle ich drei der von Lehmann zwar zitier-ten, aber dann nicht behandelten Ansätze mit Blick auf das konzeptionelle Wechsel-spiel von Politik und Religion und deren differenzierten Religionsbegriff vor. Aufdieser Grundlage leitet die kurze Einführung des dritten Abschnitts in die postsäkulare

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Position von Habermas in eine alternative Variante eines interdisziplinären Gesprächsein. Im Sinne des normativen wie konzeptionellen Mehrwerts des Beitrags von Ha-bermas weist der vierte Abschnitt die entstehende Weltöffentlichkeit als eine postsä-kulare aus; der fünfte eruiert tentativ am Beispiel der Integrationsforschung das Po-tential religiöser Semantiken für politikwissenschaftliche Fragestellungen.

Politik und Religion im Wechselspiel

Einführend scheint eine kleine korrigierende historische Heuristik zur Rückkehr derReligion angebracht. Genauso wenig wie der Kommunismus erst mit den Revolutio-nen von 1989 seine Anziehungskraft verlor, kehrten die Religionen erst vor zwanzigJahren in die politische Sphäre zurück. Gerade weil religiöse Diskurse und ihre Trägerauch vorher politisch gewirkt hatten, konnten religiös informierte Diskurse die mar-xistische Lücke schließen. Spätestens seit den 1970er Jahren traten religiöse Diskursean die Stelle der und neben die marxistische Kritik am Liberalismus. Eine heterogeneMischung religiös informierter Diskurse reichte von der lateinamerikanischen Be-freiungstheologie und der moral majority in den USA über die Wahl des polnischenPapstes und den nordirischen Konflikt bis zur Iranischen Revolution und der Islami-sierung ehedem säkular-sozialistisch informierter Konflikte um Palästina oder Kasch-mir. Gilles Kepel hat versucht, diesen Prozess mit dem Begriff der »Rache Gottes«auf den Punkt und in den Buchtitel zu bringen (Kepel 1991; für eine nuancierte Aus-einandersetzung mit dieser Entwicklung vgl. u.a. Casanova 1994). Peter Bergerspricht von der Desäkularisierung der Welt und nimmt die von ihm mitentwickelteSäkularisierungstheorie zurück: Entgegen der Annahme eines globalen Gleichschrittsvon Modernisierung und Säkularisierung setzt sich diese europäische Erfahrung nichtglobal durch. Die Welt modernisiert sich, bleibt aber »as furiously religious as it everwas, and in some places more so than ever« (Berger 1999: 2). Als der Kalte Krieg zuEnde ging, reklamierten neben Fukuyama auch Papst Johannes Paul II. und die Mud-schahedin Afghanistans den Sieg für sich. Aber selbst während des Kalten Kriegs undauch während der zweiten großen Entwicklungslinie der zweiten Hälfte des 20. Jahr-hunderts, der Entkolonialisierung, war Religion präsent. Bei der Kubakrise spielteJohannes XXIII. eine Vermittlerrolle. Der indische Subkontinent wurde gleich nachseiner Unabhängigkeit von muslimisch-hinduistischer Gegnerschaft in Pakistan (spä-ter Pakistan und Bangladesch) und Indien zerrissen. Selbst in seiner säkularen Phasewar der Nahostkonflikt nicht ohne den religiös informierten Hintergrund der Kon-trahenten zu verstehen.

Religion war in der Praxis der IB immer präsent. Die überragende Bedeutung derOst-West-Konfrontation hatte ihre Rolle für die Theoriebildung der Disziplin der IBjedoch marginalisiert. Hinzu kommt die mit der säkularen Ausrichtung der Wissen-schaft einhergehende Blindheit für religiöse Diskurse. Peter Berger berichtet von ei-nem diesbezüglichen Aha-Erlebnis. Ihm wurde klar, dass in globaler Perspektive nichtso genannte Fundamentalisten das rätselhafte Phänomen darstellen, sondern die sä-kularen amerikanischen Universitätsprofessoren (Berger 1999: 2).

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Der Begriff des Säkularismus muss dabei als essentially contested concept (Con-nolly 1974: 9-44) aufgefasst werden. Die gängige Unterscheidung zwischen »gemä-ßigtem« Säkularismus und »striktem« Laizismus hat zwar durchaus ihren heuristi-schen Wert und wird in diesem Sinne hier auch verwendet, den Varianzen wird sieaber nicht gerecht. Ohne eine Definition anbieten zu wollen, steht Säkularismus hierdeswegen lediglich als Oberbegriff für eine normative Konzeption, die an die Säku-larisierungstheorie glaubt und deswegen von einer eindimensionalen Entwicklunghinsichtlich trennender Ausdifferenzierung von Politik und Religion wie dem Ver-schwinden der Religion aus der Öffentlichkeit und dem Rückgang privater Religio-sität ausgeht (vgl. Casanova 1994).

Wenn nun die Säkularisierungstheorie nicht hält, was sie verspricht, und die säku-laren Universitätsprofessoren deswegen eine neue Brille brauchen, um die a-säkula-ren IB erfassen zu können, möchte ich im oben ausgeführten Sinne in Anlehnung anHabermas und Thomas von Postsäkularen IB sprechen. Dazu muss zunächst das obenbereits erwähnte Problem des säkularen Mythos des Westfälischen Friedens dekon-struiert werden. Anders als der Mythos des Westfälischen Friedens von 1648 sugge-riert, der den Säkularismus als Friedensstifter in weltanschaulichen Konflikten ver-steht, war der Säkularismus spätere Partei in einer Auseinandersetzung und nichtVermittler zwischen zwei religiösen Lagern. Das von daher rührende Selbstmissver-ständnis der IB lässt sich auflösen: Der Westfälische Frieden war kein säkularer Frie-den, sondern ein Religionsfrieden auf konfessioneller Basis mit lediglich indirektsäkularisierender Wirkung. Zunächst entstand auf der Basis der Formel des Augs-burger Religionsfriedens nur der souveräne Konfessions- und Territorialstaat imchristlichen Europa (Casanova 2009: 8-12). Mit der langsamen Etablierung der sou-veränen Ordnung entstand insofern indirekt auch eine säkulare internationale Ord-nung, als weltanschauliche Konflikte nicht mehr in den prästaatlichen Aufgabenbe-reich von Papst und Kaiser fielen, sondern Sache des Landesherrn wurden und damitden neu entstehenden zwischenstaatlichen Bereich weniger mit weltanschaulich strit-tigen Fragen konfrontierten. Scott Thomas stellt zutreffend fest, dass mit dem Fehlender weltanschaulichen Fragen in diesem Bereich das Fehlen der Möglichkeit zur Ge-meinschaftsstiftung einhergeht (Thomas 2000: 819-824, 829-835). Um genau diesenRückbau von Gemeinschaft ging es aber in der westfälischen Ordnung. Die mittel-alterliche Einheit war in den Konfessionskriegen untergegangen und musste um desFriedens Willen zurückgenommen und in eine staatlich-territoriale separierte Ord-nung neuer Gemeinschaften überführt werden. Mit der Globalisierung endet diesestaatlich-territoriale Lösung. Für den neuen weltanschaulichen Konflikt um Einheitspielt der Säkularismus, der beim Westfälischen Frieden noch gar nicht präsent war,jedoch eine zentrale Rolle.

Mit der Aufklärung zog der Säkularismus als neue politische Religion in diversenVarianten herauf, die mit der Französischen Revolution und Napoleon für die IBgeschichtswirksam wurde, sich primär gegen das Christentum richtete, aber schonvon Napoleon und Kléber bis nach Ägypten getragen wurde. Diese Auseinander-setzung zwischen säkularer Revolution und Heiliger Allianz – so das Selbstverständ-nis Preußens, Österreichs und Russlands im 19. Jahrhundert – erfuhr viele Front-

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wechsel, Variationen und Neujustierungen. Mit dem Aufstieg und Untergang der to-talitär-säkularen Religionen des 20. Jahrhunderts steht sich nun wieder mutatismutandis die ursprüngliche Konstellation gegenüber (vgl. Burleigh 2008).

Diese Auseinandersetzung war auf der säkularen Seite von dem Willen getragen,die Welt zu einer neuen kosmopolitischen Einheit zu führen. Fukuyamas Fantasienvom Ende der Geschichte und Wendtsche Vorstellungen vom liberalen Weltstaatstehen in dieser Tradition. Gegen diese liberalen Weltbeglückungsphantasien predigtHuntington seinen Rückzug auf eine kulturbestimmte multipolare Weltordnung, umden clash zu vermeiden. Wendt hat gegenüber Huntington jedoch insofern recht, alsdass dieser Rückzug nicht möglich ist. Die Welt ist nicht nur von den Glasfasern desInternets zusammengezurrt, sie muss sich auch gemeinsamen Problemen vom Kli-mawandel bis zur Ressourcenverknappung stellen. Ein Bemühen um Einheit ist des-wegen unabdingbar. Sie entsteht jedoch nicht automatisch nach Hegelscher Blau-pause; sie muss vielmehr ausgehandelt werden. Die entstehende Weltöffentlichkeitwird so kaum eine kosmopolitisch-säkulare sein, sondern eher eine kommunitär-postsäkulare, wozu der Liberalismus am meisten in seiner pluralistischen Ausrichtungund mit der Aufgabe laizistischer Homogenitätsvorstellungen beitragen könnte, um,in der Formulierung von Scott Thomas, mit »›communitarian‹ means […] ›cosmo-politan‹ ends« zu erreichen (Thomas 2000: 840). Charles Taylor (2009) und TineStein (2007) haben dazu neben Habermas Beiträge geliefert, die auch von der Theorieder IB gewinnbringend aufgegriffen werden könnten. Eine solche Agenda muss je-doch nicht bei Null anfangen, sondern kann auf der Arbeit konstruktivistischer Bei-träge aufbauen.

Konstruktivistische Beiträge

Lehmann kritisiert, dass in der Politikwissenschaft kein ausreichend geschärfter Re-ligionsbegriff vorliegt und dabei das Wechselspiel von Religion und Politik nichthinreichend analysiert werden kann. Er schlägt deswegen vor, das interdisziplinäreGespräch zwischen Politikwissenschaft und Religionswissenschaft über diesen Punktzu führen. Anders als Lehmann glaubt, hat neben anderen politikwissenschaftlichenTeildisziplinen auch die Theorie der IB – wie gezeigt – das Wechselspiel von Politikund Religion durchaus begriffen, auch wenn sich diese Ansätze noch nicht durchset-zen konnten. Ein solcher interdisziplinärer Anstoß sollte deswegen zunächst dazugenutzt werden, die bereits vorhandenen relevanten Beiträge der eigenen Teildisziplinzu würdigen. Um im Gespräch mit Lehmann zu bleiben, beschränke ich mich dabeiauf drei Beiträge, die Lehmann aufführt, sich mit ihnen aber nicht auseinandersetzt.

Vendulka Kubálková (2000) hat mit ihrem Entwurf einer International PoliticalTheory bereits vor zehn Jahren den Versuch unternommen, analog zu der Internatio-nalen Politischen Ökonomie ein Feld zu etablieren, das sich auf den Einfluss religiöserDiskurse unter Einschluss säkularer Diskurse auf die Sinnstiftung internationaler Po-litik konzentriert. Im Anschluss an Robert Gilpins Diktum, dass sich die IB nicht nurum Macht drehen, sondern auch um die Frage des Wohlstands, die dementsprechend

3.

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eigens zu thematisieren wäre, fordert Kubálková eine Öffnung der Forschungsagendafür religiös informierte Diskurse, die jedoch säkular informierte Diskurse der Sinn-stiftung explizit mit einschließen (Kubálková 2000: 675-676). Die zunehmende Be-deutung von »values and the meaning of the very human existence« (Kubálková 2000:704) für die IB begründet sie mit der globalen Ausrichtung politischen Agierens, dienicht mehr eine territorial-staatliche Einhegung weltanschaulicher Fragen zulässt, wiesie das westfälische System mit seiner weltweiten Verbreitung der Formel des Augs-burger Religionsfriedens cuius regio eius religio ermöglicht hatte. Eine entstehendeglobale Öffentlichkeit und das zunehmende Bemühen um eine normativ informiertePolitische Theorie der IB geben Kubálková recht, auch wenn sich ihre Terminologiegenauso wenig durchsetzen konnte wie die Überbetonung religiös informierter Dis-kurse gegenüber säkularen.

Kubálková steht für die explizite Problematisierung des bereits erwähnten packagedeals aus positivistischer Forschungsausrichtung und der Hegemonie säkularer Dis-kurse in der internationalen Politik. Auf der Basis eines explizit an Nicholas Onuforientierten Konstruktivismus, in klarer Abgrenzung zu einem conventional oder inihrer Terminologie soft constructivism und in Nähe zu postmodernen Ansätzen(Kubálková 2000: 677-682), stellt sie eine Definition von Religion vor, die sich ers-tens auf einen konstruktivistischen Regelbegriff stützt und zweitens für eine Weitungdes Rationalitätsbegriffs auf Glaubensaussagen wirbt. Im Gegensatz zu einer Agenda,wie sie Lehmann zu vertreten scheint, geht es Kubálková explizit darum, Religionnicht auf religiöse Akteure zu reduzieren, sondern auf der Makroebene zunächst zuklären, wie sich religiös informierte Diskurse von säkular informierten Diskursenunterscheiden. Gegen eine vorschnelle Reduktion auf das Mikrolevel unterscheidetsie Religionen von Religion (Kubálková 2000: 682). Die Ontologie der Religion, diealle Religionen teilen, ist die Unterscheidung zwischen einer normalen (ordinary) undeiner transzendenten Realität, wobei beide miteinander verbunden sind, jedoch fürtranszendente Realität eine normalsprachliche Beschreibung gemeinhin ausgeschlos-sen wird (Kubálková 2000: 682-685). Dennoch wird über die Transzendenz und ihreVerwobenheit mit der sichtbaren Welt kommuniziert:

»The meaning ascribed to the reality of God is fixed nonetheless by social conventionsand can be expressed in everyday language. This rendition is imperfect and requires re-flection, interpretation, illumination, repetition, metaphor, and ritualisation. Thus Chris-tianity, Islam, and Judaism derive divine meaning from stories (sacred texts), which areconstantly read and reread and subjected to exegesis« (Kubálková 2000: 684).

Aus diesem Religionsverständnis leitet sich das Wechselspiel einer religiös-poli-tisch durchdrungenen Praxis ab. Dieses Unternehmen und seine in der globalen Öf-fentlichkeit signifikante Zahl an Teilnehmern gilt es genauso als vernünftig zu ver-stehen wie säkular informierte Diskurse. Sobald das geschehen ist, können säkularund religiös informierte Diskurse im Sinne einer politischen Theorie der IB gemein-sam als konstitutiv für das Handeln der Akteure auf der Mikroebene analysiert wer-den.

Laustsen und Wæver setzen ebenfalls bei einer grundsätzlichen Verabschiedungeiner positivistisch-säkularen Forschungsagenda an: »Freedom of thought is imperi-

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led both by religious and secular dogmatism; those who seek a viable political ethicmust follow truth wherever it leads them« (Bagge Laustsen/Wæver 2000: 738). Auchihre Definition der Religion ähnelt der von Kubálková:

»We claim that all three levels of religion, faith as the principle of discursivation, thedistintion between transcendent and immanent as the principle of primary coding, andmediation as the principle of secondary coding will be found in all religions« (BaggeLaustsen/Wæver 2000: 716).

Ebenso streben sie eine Überwindung der Reduktion von Religion auf einen Faktorder Gemeinschaftsstiftung an und stellen damit auf die akteursbezogene Mikroebeneab. Aufbauend auf der securitization theory der Kopenhagener Schule, für die Wæverselbst einsteht, zeigen sie den Konflikt zwischen säkular und religiös informiertenDiskursen, mit jeweils weltanschaulichen Referenzobjekten, wobei es ihnen daraufankommt, dass sowohl säkulare wie religiöse Akteure diesen securitization movevornehmen (Bagge Laustsen/Wæver 2000: 707-709, 718-724). Auf der Makroebenebetonen sie aber den Gegensatz von Religion und Ideologie. Während Religion fürdie offene Reinterpretation der Füllungen des Seins steht und nur dieses sinnvolleSein als solches konstituiert, stehen politische Religionen als Ideologien für den Ver-such, diese Bedeutungszuschreibung an das Sein als feste Identität zu fixieren:

»Religion constitutes being, constitutes the naked subject who essentially is as a being infront of a transcendental realm. In contrast, ideology constitutes identity. It dresses thesubject in national socialist clothes, Serbian clothes, etc. These identities are presented asa matter of being, as existential. The subject of religion and the subject of ideology aredifferent. The case is however that ideology aims at fooling us on that point. Ideologiescreate an illusion of a fullness of being while religion stresses that there is always a higherbeing barring the subject« (Bagge Laustsen/Wæver 2000: 728).

Dem normativen Ziel der desecuritization verpflichtet geht es ihnen darum, diesensecuritization move zu vermeiden bzw. zurückzudrehen. Dazu soll das Freilegen derReligion als Glaube vor ihrem Eintreten in einen gemeinschaftsorientierten Diskursund nicht zuletzt die Selbstreflexion des weltanschaulich informierten Charakters derTheorie der IB in ihrem säkularisierten Wurzelgeflecht von christlich informiertemRealismus und Englischer Schule beitragen (Bagge Laustsen/Wæver 2000: 733-739).Wæver (2008) hat seine Kritik am Säkularismus fortgesetzt.

Friedrich Kratochwil leistet in seinem Beitrag exakt die Differenzierung, die Leh-mann erst in die Disziplin der IB einbringen möchte. Lehmann stellt es zu Recht alswichtige Leistung dar, religiöse Akteure differenziert innerhalb ihrer religiös infor-mierten Diskurse einzuordnen. Eingebettet in eine Kritik an der positivistischen Re-duktion der Religion auf ein Faktorenbündel, bei dem man nicht genau weiß, ob eszu Gewalt oder Frieden führt (Kratochwil 2005: 114-115), leistet Kratochwil genaudiese differenzierte Analyse von Glaubensgemeinschaften, ihren Regeln und ihrerPraxis mit entsprechend orthodoxen und heterodoxen Interpretationen von Schrift undÜberlieferung. Zentral ist für ihn dabei, dass selbst ein konstitutives Verständnis derReligion für die Bildung politischer Gemeinschaften nicht ausreicht, wenn dabei Re-ligionen auf ihre Glaubensaussagen reduziert werden. Von zentraler Bedeutung istdie Glaubensgemeinschaft als Interpretationsgemeinschaft, die immer wieder neueInterpretationsleistungen erbringt und deswegen einen analytischen Einstieg in diese

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Praxis notwendig macht (Kratochwil 2005: 117). Diese Interpretationen stehen inihren jeweiligen politischen Kontexten und wirken sich auf diese aus – je nachdem,wie die Interpretationen von den Kontexten beeinflusst werden. So zeigt Kratochwil,wie sich diverse Fundamentalismen als häretische Meinung gegen die eigene Religi-onsgemeinschaft etablieren und zunächst diese und die von ihr geprägte Gesellschaftzum Gegner ausrufen (Kratochwil 2005: 128-134). In einer nuancierten Annäherungzeigt er davor, wie Religion im Unterschied zur Magie eine politische Gemeinschaftdurch die Veränderung des Selbst konstituiert (Kratochwil 2005: 121-128). Krato-chwil hat diese Agenda jüngst fortgesetzt (Barabato/Kratochwil 2009).

Auf der gemeinsamen Basis eines breit verstandenen consistent constructivism tei-len die hier skizzierten Ansätze einen gemeinsamen Fokus auf das Wechselspiel vonPolitik und Religion, der es in seiner Tiefenschärfe mit den von Lehmann vorge-schlagenen religionswissenschaftlichen Beiträgen durchaus aufnehmen kann. Den-noch ist der interdisziplinäre Anstoß von großer Bedeutung. Gegen die immer nochstarke Hegemonie eines positivistischen Diskurses mit seiner gleichzeitigen Allergiegegen post-positivistische Epistemologien wie gegen Religion, lässt sich diese For-schungsagenda nur mit Mühe durchsetzen. Im Zusammenhang mit der Debatte umden europäischen Verfassungsvertrag hat Joseph Weiler von »Christophobie« ge-sprochen (Weiler 2004: 76), was vielleicht etwas überspitzt ist, gelegentlich aber dochim Sinne der dargestellten allergischen Unverträglichkeit Symptome zeigt. Die an-erkannte Notwendigkeit einer Politischen Theorie für die Globalisierung und die Per-sistenz religiös informierter Diskurse lassen aber die nächste Dekade nicht ohneHoffnung beginnen.

Ein alternatives interdisziplinäres Gespräch

Habermas ist für die Theorien der IB im Allgemeinen (Niesen/Herborth 2007) undfür die ZIB im Besonderen kein Unbekannter. Sein Ansatz des kommunikativenHandelns hat die seit den frühen 1990er Jahren immer wieder aufflackernde ZIB-Debatte um bargaining und deliberation geprägt.2 Seit bald einer Dekade wird in derPhilosophie und angrenzenden Geistes- und Sozialwissenschaften sein Vorschlag ei-ner postsäkularen Gesellschaft debattiert, der in den IB kaum aufgegriffen wurde.

In der Kürze des gegebenen Textumfangs lässt sich der Kern der postsäkularenArgumentation folgendermaßen zusammenfassen: Habermas nimmt zunächst diePersistenz der Religionsgemeinschaften auch unter der Bedingung fortschreitenderSäkularisierung wahr. Anders als die religionssoziologische Säkularisierungstheorieannahm, verschwindet Religion nicht von der Weltbühne. Den Fundamentalismussieht Habermas als soziale Pathologie einer entgleisenden Modernisierung. Doch diereflexiv gewordenen Weltreligionen gelten ihm als Hort moralischen Handelns, diesich gegen naturalistische und marktradikale Pathologien der Modernisierung als de-liberationsfähige Gemeinschaften behaupten. Diese Qualität möchte Habermas in den

4.

2 Vgl. für einen aktuellen Überblick Hanrieder (2008).

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politischen Raum der Öffentlichkeit bringen. Er ruft deswegen dazu auf, die politischeSphäre als Ort des gemeinsamen Gesprächs säkularer und religiöser Bürger zu be-greifen, die in gegenseitiger Lernbereitschaft aufeinander hören sollen. Dazu soll diereligiöse Bürgerin von der proviso befreit werden, ihren religiös informierten Beitragin säkulare Sprache zu übersetzen. Diese Übersetzungsleistung ist dann gemeinsameAufgabe aller Bürger. Habermas ruft dazu gerade die säkularen Bürger auf, denn inreligiösen Semantiken sind Potentiale verborgen, die auch für sie Relevanz haben.Diese Haltung der Lernbereitschaft zeichnet die postsäkulare Gesellschaft gegenüberder säkularen Gesellschaft dahingehend aus, dass die säkularen Bürger die Religionnicht als einseitig zu durchforstendes Gebiet wahrnehmen, um selbst zu entscheiden,was noch gebraucht wird, sondern diesen Prozess der Übersetzung als offenes Ge-spräch mit religiösen Gemeinschaften verstehen. Diese Offenheit findet eine kontro-vers debattierte Grenze an den staatlichen Institutionen der Politik. Im Gegensatz zurzivilgesellschaftlichen Freiheit religiöser Argumentation darf innerhalb der Institu-tionen nur ein säkulares Idiom benutzt werden.3

Für eine Übertragung auf die IB soll hier zum einen überprüft werden, unter wel-chen Bedingungen sich die globale postsäkulare Gesellschaft konstituiert und zumanderen soll im Anschluss an Weiler, der für die Integrationstheorie einen ähnlichenVorschlag wie Habermas vorgelegt hat, ein Übersetzungsversuch unternommen wer-den, der mittels religiöser Semantiken säkulare Fragen der Integrationstheorie exem-plarisch und tentativ zu erhellen versucht.

Die postsäkulare Weltgesellschaft

Die entstehende Weltgesellschaft (Albert 2002; Brunkhorst 2009) hat im Gegensatzzu den verschiedenen mehr oder wenig säkular orientierten Arrangements innerstaat-licher Gesellschaften in keiner Form ein säkulares proviso eingeführt. Dass dies nochgeschehen wird, ist eher unwahrscheinlich. Zwar haben sich von den USA bis nachIndien innergesellschaftlich unterschiedliche säkulare Arrangements ausgebildet, so-dass durchaus von einer globalen Verbreitung des säkularen Staates gesprochen wer-den kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass selbst die erklärten laizistischenRepubliken Frankreich und Türkei das Mehrheitsbekenntnis – den Katholizismusbzw. den Sunnismus –, gegen das sie etabliert wurden, privilegiert einbinden. Dochtrotz dieser innergesellschaftlichen Befriedungsstrategien bleibt der Säkularismusseinem antireligiösen Image verhaftet, weswegen die säkulare Überschrift selbst füreine weltgesellschaftliche Variante nach den Mustern erklärt religionsfreundlicher

5.

3 Für eine gute Einführung in die inzwischen weitverzweigte Debatte verhilft die grundlegendeBuchpreisrede Glauben und Wissen (Habermas 2001) wie die in der Debatte mit JosephRatzinger (Habermas/Ratzinger 2005) vertretene Position. Für die problematische Trennungder zivilgesellschaftlichen von der institutionellen Sphäre ist der Beitrag zur Religion in derÖffentlichkeit (Habermas 2006) zentral; zu Implikationen für die IB vgl. Barbato/Kratochwil(2009). Vgl. auch Diez/Barbato (2008: 26-28); Barbato (2008a: 109-123); Barbato (2008b:124-126); Barbato (2008c: 255-260).

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Arrangements wie dem bundesrepublikanischen, englischen oder skandinavischenModell weltpolitisch eher nicht zur Verfügung steht.4 Dagegen spricht nicht nur derempirische Sachverhalt einer erdrückend großen, religiös orientierten Mehrheit, da-gegen spricht vor allem der säkular-religiöse Konflikt, den Pippa Norris und RonaldInglehart mit sacred vs. secular etwas holzschnittartig, aber doch erhellend auf denPunkt gebracht haben (Norris/Ingelhart 2004). Wenn der Kampf der Kulturen realitergar nicht zwischen religiösen Glaubensgemeinschaften nach dem europäischen Vor-bild der Konfessionskriege ausgetragen wird, sondern entlang des cleavage sacredvs. secular, dann kann sich unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen der säkulareDiskurs weder durchsetzen, noch sich von einer Konfliktpartei in einen neutralenVermittler verwandeln. Eine liberale und plurale Weltöffentlichkeit wird sich des-wegen als postsäkulare Gesellschaft konstituieren müssen, in der alle weltanschauli-chen Diskurse im Sinne von Connollys deep pluralism zugelassen sind (Connolly1999: 184-187).

Eine postsäkulare Perspektive auf die Weltgesellschaft ist aber auch von analyti-schem Vorteil, räumt sie doch in der Praxis relevanten religiösen Akteuren auch kon-zeptionell eine größere Aufmerksamkeit ein. Lehmanns Auseinandersetzung mit demÖkumenischen Rat der Kirchen im Zusammenspiel mit UN-Strukturen zeigt das Po-tential eines empirischen Mehrwerts dieser Konzeption an, die aber als politikwis-senschaftliche Forschung auch nicht erst etabliert zu werden braucht.5

Exemplarisch soll hier auf eine nützliche Ausweitung der Forschung auf den Hei-ligen Stuhl verwiesen werden. Obwohl gern als Global Player apostrophiert, da mitvölkerrechtlich besonderem Status ausgestattet und mit dem Papst als Oberhaupt voneiner Milliarde Gläubigen, wird dem Heiligen Stuhl politikwissenschaftlich kaumAufmerksamkeit zuteil (Ausnahmen sind Rotte 2007; Gillis 2006).

Im Anschluss an Lehmanns Beispiel zu religiösen Akteuren innerhalb von UN-Strukturen und zu Norris und Ingleharts These sacred vs. secular fällt beispielsweiseauf, dass der einschlägig religiös-säkulare Konflikt der UN-Konferenz von Kairowenig erforscht ist. Hier brachte eine Koalition aus katholischen und islamischenLändern, inklusive aktiver Nichtregierungsorganisationen und unter vehementemEinsatz des Heiligen Stuhls, die säkulare und als neokolonial verstandene Agenda zurreproduktiven Gesundheit, inklusive einer Festschreibung der Möglichkeit der Ab-treibung als Menschenrecht, zu Fall bzw. modifizierte sie erheblich.6 Eine Analysedes Heiligen Stuhls wäre aber nicht nur auf der Mikroebene lohnend. An diesemkonstanten Akteur der Weltpolitik ließe sich auf der Makroebene auch der Wandelvon der mittelalterlichen Konzeption über das moderne westfälische Staatensystembis zur entstehenden postsäkularen Weltöffentlichkeit studieren. Auch auf der nor-mativen Ebene ist der Heilige Stuhl ein strittiger und streitbarer Impulsgeber in derWeltgesellschaft. Die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. nimmt hier einen

4 Vgl. hierzu auch Hurd (2008).5 Für eine Einführung vgl. Haynes (2007).6 Vgl. für einen politikwissenschaftlichen Einstieg Thomas (2000: 818); ausführlich und kri-

tisch in völkerrechtlicher Perspektive Abdullah (1996), umfassend aus interner Sicht desHeiligen Stuhls Marucci (1997).

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wichtigen Platz ein (Benedikt XVI et al. 2008). Seine Enzyklika zur Globalisierungbaut diese Position aus (Benedikt XVI 2009).

Europäische Pilgerschaft

Weiler gehört unstrittig zu den wichtigsten Vertretern der Integrationstheorie. SeinVorschlag, der ähnlich wie Habermas dafür plädiert, religiöse Semantiken einzubrin-gen (Weiler 2004: 21), wurde aber wenig aufgegriffen (Haltern 2006: 415). Sachlichgesehen könnte dies umso mehr verwundern, als er bereits in seiner Betrachtung dereuropäischen Vertragskonzeption die Analogie zum mosaischen Bundesschluss er-hellend bemüht (Weiler 1999: 3-9). Im Sinne der von Habermas und Weiler gefor-derten Übersetzung soll hier die Konzeption der Pilgerschaft als ein analytischesLeitbild zur europäischen Integrationstheorie nach Lissabon skizziert werden. Zieldabei ist es, tentativ zu erhellen, welchen Mehrwert die von Weiler und Habermasgeforderte Aneignung religiöser Semantiken für politikwissenschaftliche Fragenbringen könnte. Das integrationstheoretische Beispiel wird zum einen gewählt, weilhier Weiler bereits eine Forschungsagenda entwickelt hat, zum anderen weil geradeim Bereich der Integrationstheorie Begrifflichkeiten zur Erfassung neuer Phänomeneund Entwicklungen jenseits von Staatenbund und Bundesstaat relativ unstrittig fehlenund der Bedarf entsprechend hoch ist.

In aller Kürze lässt sich das Konzept Pilgerschaft so umreißen: Pilgern ist als Wan-derschaft immer ein Prozess. Die abstrakte Pilgerschaft der Wanderschaft durchs Le-ben verbindet sich dabei mit Wallfahrten zu konkreten Zielen. Während das großeZiel der Lebenspilgerschaft, der Himmel, erst im Jenseits erreicht wird und darüberhinaus höchst vage bleibt, können die kleinen Ziele der konkreten Wallfahrten jetztund hier erreicht werden. Das große, wenn auch vage Ziel gibt den Antrieb, in pre-kären Situationen durchzuhalten und erfolgreich konkrete Ziele der Wallfahrtsortejetzt anzustreben. Das Motiv der Pilgerschaft beinhaltet Ruhe und Rast, doch es gibtkein stabiles Einrichten. Pilgerschaft bleibt ständiges Unterwegssein.

In Analogie zum Integrationsprozess ließe sich zweierlei verdeutlichen: Wie dieLebenspilgerreise hat der europäische Integrationsprozess ein offenes, jetzt nicht er-reichbares Ziel. Die Europäer nennen es »in Vielfalt geeint«. In der Zeit steuern dieEuropäer wie die Pilgergemeinschaft aus der Perspektive ihres Ideals heraus konkreteZiele an. Bei den Pilgern heißen die Wallfahrtsziele Jerusalem, Rom, Fatima oderauch Mekka. Bei den Europäern heißen sie Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit, En-ergiesicherheit oder auch Gemeinsame Außenpolitik.

In dieser Analogie zur Pilgergemeinschaft ließe sich der Prozesscharakter der EUin einer Form erschließen, wie es die Analogie zum Staat nicht erlaubt. Dieser Pro-zesscharakter lässt sich im Hinblick auf Vertiefung und Erweiterung mittels der Pil-geranalogie noch spezifizieren.

Vertiefung bedeutet für den Pilger die Vertiefung in Gebet und Gemeinschaft. Dereinzelne Pilger wächst in die Gemeinschaft jedoch nicht hinein, um in einer homo-genen Masse aufzugehen, sondern um in Besonderheit und Bindungen die gemein-

6.

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same Handlungsfähigkeit entlang der Wallfahrtswege zu stärken. Die Pilgergemein-schaft lädt dabei Außenstehende ein, sich ihrem Zug anzuschließen. Dabei werdenReibungen in der etablierten Pilgergemeinschaft durch die Neupilger zwar verstärkt,ihren Anspruch, alle aufzunehmen, die sich anschließen möchten und dabei gewisseGrundregeln erfüllen, würde die Pilgergemeinschaft aber deswegen nicht aufgeben.Ihr Selbstverständnis als Pilger hängt an dieser Bereitschaft zur Aufnahme neuerMitpilger.

Ähnlich ergeht es den Europäern. Wie die Pilger streben sie getreu dem Ideal »inVielfalt geeint« nach einer immer engeren Bindung untereinander, ohne ihre natio-nalen Besonderheiten aufzugeben. Vertiefung zielt nicht auf den homogenen Super-staat, sondern auf gemeinsame Handlungsfähigkeit. Wie die Pilgergemeinschaft sindauch die Europäer bestrebt, jeden aufzunehmen, der sich ihnen anschließen möchte,wenn er den Glauben an das große Ziel teilt und dabei ein paar Grundregeln – dereuropäische Katechismus heißt Kopenhagener Kriterien – beherzigen möchte. Wiedie Pilger möchten die Europäer gelegentlich lieber unter sich bleiben, können abervon ihrem Selbstverständnis her einem Neuen, der die Bedingungen erfüllt, nicht dieAufnahme verweigern.

Nach der mühsamen Ratifizierung des Vertrags von Lissabon ist die EU weit voneiner Staatswerdung entfernt, bleibt aber doch auf handlungsfähigem Kurs zwischenVertiefung und Erweiterung. Das Leitbild einer Pilgergemeinschaft könnte nach Sub-sidiarität und Beichtstuhlverfahren die europäische Begrifflichkeit ebenfalls berei-chern. Der Mehrwert läge hier in einem neuen metaphorischen Leitbild, das den Pro-zesscharakter der EU zwischen Erweiterung und Vertiefung nicht als prekäre und inFinalitätsdebatten zu überwindende Besonderheit wahrnimmt, sondern als möglicheKonzeption einer tragfähigen politischen Gemeinschaft, die konkrete Probleme undProjekte gemeinsam angeht.

Schluss

Karsten Lehman gebührt für seinen Anstoß ebenso Dank wie der ZIB für das Auf-greifen dieses Debattenanstoßes in einem Forum. Mein Kommentar lässt sich mit demPlädoyer zusammenfassen, die bereits vorhandenen konstruktivistischen Beiträge, dieohne säkularistische Scheuklappen das Wechselspiel von Religion und Politik diffe-renziert analysieren, zur Kenntnis zu nehmen. Auf dieser Basis lässt sich dann eineinterdisziplinäre Forschungsagenda fortsetzen, die religiöse Akteure und Interpreta-tionsmöglichkeiten ihrer semantischen Potentiale in der Praxis politischer Prozessenicht nur analytisch erfassen kann, sondern auch im Sinne einer Politischen Theorieder IB zu nutzen versteht. Ein Beispiel dafür sei an den Schluss gestellt: Das aufge-klärte Eigeninteresse säkularer Akteure, die nur eine Welt zu Verfügung haben, kannmittelfristig zu Maßnahmen gegen den Klimawandel führen. Es gibt aber keinenGrund, auf dieser Basis aufgeklärten Eigennutzes Maßnahmen zu ergreifen, die bei-spielsweise die Rettung der bedrohten Inselstaaten einschließt. Dazu wird es vielleichtstärkerer Vorstellungen einer anvertrauten Schöpfung an die gemeinsame Mensch-

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heitsfamilie bedürfen, als sie der kosmopolitische Säkularismus bereithält. Wenn dietechnische Heilsverheißung diesseitigen Konsums für alle gar an den Grenzen desmateriellen Wachstums scheitern sollte, müsste vielleicht sogar die alte Vertröstungauf das Jenseits zur Unterstützung der allfälligen Verzichtspredigen reaktiviert wer-den – ob aus rein funktionalen Gründen oder weil man daran glaubt, muss politik-wissenschaftlich nicht entschieden werden.

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Elizabeth Shakman Hurd

Debates within a Single Church: Secularism and IR Theory

»How does religion relate to International Relations Theory?« is a question circu-lating in International Relations. This essay considers the possibility that there is nouniversal definition of religion. This means that, in an important sense, the precedingquestion makes no sense. If the categories of religion and politics are the products ofcomplex cultural, historical, religious and political negotiations, then what we needto ask is how do these categories become authoritative in particular times and places,and with what political consequences? To define the secular and the religious is aproject with political implications. Religion participates with political authority inever-changing formations that fail to align neatly with secular modernist assumpti-ons. This essay takes a closer look at these assumptions.

»How does religion relate to International Relations Theory?« is a question circulatingin International Relations (IR). Let us consider for a moment the possibility that thereis no universal definition of religion. This means that, in an important sense, thisquestion makes no sense. If the categories of religion and politics are the products ofcomplex cultural, historical, religious and political negotiations, then what we needto ask is how do these categories become authoritative in particular times and places,and with what consequences? To define the secular and the religious is a project withpolitical implications. As it turns out, religion participates with political authority inever-changing formations that fail to align neatly with secular modernist assumptions.This essay takes a closer look at these assumptions. The most powerful among them,evidenced by how the question of religion and IR is framed, is that the Euro-Americandefinition of religion and its separation from politics is a natural and neutral startingpoint for social scientific inquiry. When Christine Sylvester wrote more than a decadeago that IR »smacks of debates within the hierarchy of one church,« she was right inmore ways than one (Sylvester 1994: 9). It is, so to speak, a secular church.

I argue for a different starting point. Secularism refers to a matrix of discourses andpractices that involves defining, managing, and often remaking religion in publicspace. There are many forms of secularism. This essay discusses the internationalpolitical consequences of two of them.1 The first is laicism, from the French laïcité,in which religion is portrayed as an impediment to modernization. Laicism attemptsto distil a particular understanding of religion and ban it from politics. The secularspheres are emancipated, as José Casanova argues, »at the expense of a much-dimi-nished and confined religious sphere« (Casanova 2006: 23). The second is »Judeo-Christian« secularism (JCS), in which religion is portrayed as a source of unity andidentity within societies and civilizations, and conflict between them. Variations upon

1 Parts of this essay draw on Hurd (2008) and are reprinted with the permission of PrincetonUniversity Press.

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these two ideal-types of secularism have been influential within and between countriesthat inherited, borrowed, or had imposed upon them the secular and religious tradi-tions of historical Latin Christendom, including Europe and its settler colonies (UnitedStates, Canada, Australia), Turkey, Iran, and India. These two »invented traditions«of secularism are neither mutually exclusive nor are they the only ones in exis-tence.2 There is no strong or necessary line between them; an individual may orienthim or herself using resources from both traditions simultaneously. Like nationalism,secularisms are disciplined into individuals and collectivities, embedded in historicalcontexts and expressed through social, legal and political practice. Practitioners,theorists, and ordinary people organize their responses to religion and politics, inclu-ding international politics, through these discourses. In the language of IR, they areproductive modalities of power that work »through diffuse constitutive relations« tocontribute to the »situated social capacities of actors« (Barnett/Duvall 2005: 48) andvehicles through which shared interests and identities involving religion and politicsdeveloped at the domestic, regional and transnational levels become influential at theglobal level. Secularisms are not reducible to material power but play a constitutiverole in creating agents that respond to the world in particular ways and in contributingto the normative structures in which these agents interact. Reflecting shared interests,identities, and understandings about religion and politics, they constitute part of thecultural foundations of IR.

Charting different forms of secularism challenges the clash of civilizations narrativein which religion serves as a source of communal unity and identity within civiliza-tions and a source of conflict between them. Tracing the history and politics of secu-larism reveals that identifying something called »religion« and assigning it a fixedrole in politics is itself a political move. Elements of religion escape attempts to defineand confine it to particular roles, spaces or moments in politics. It is impossible tostabilize the category and lock in its relationship to politics.

Second, secularisms contribute to inclusionary and exclusionary group boundarieslocally, nationally, and globally. These boundaries assume political significance ascertain religious actors are brought in as fit for political participation while others aredemonized and excluded. As such secularisms may be understood as cultural-nationalprojects of normalizing various religions and particular religious actors as either fitor unfit to participate in politics. This approach moves away from the »good religion«versus »bad religion« framework that emerged from within the old story of the »uni-versal secular,« which ended up privileging particular Protestant or European formsof Christianity while denigrating other religious forms.3

Third, the historical particularities of various forms of secularism suggest that rea-list, liberal and constructivist theories of IR that consign religion to a fixed »private«sphere need to be reassessed. According to most accounts religion was privatized in1648 at the Peace of Westphalia as a solution to sectarian violence. Yet Westphaliawas an attempt to manage and moderate sectarianism in European history, and modern

2 On other forms of secularism see Cady/Hurd (2010).3 Thanks to Courtney Bender for her input on this point.

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forms of secular authority emerged out of a Christian-dominated Westphalian order.This makes it difficult to subsume the current international order into realist and liberalframeworks that assume that religion was privatized. Modern forms of secularismparticipate in a practice of sovereignty that claims to be universal in part by definingthe limits of state-centered politics with religion on the outside. Yet to define religionas a private counterpart to politics is an ongoing political project. Different varietiesof secularism, operating just below the threshold of public discourse, perpetuate thisclaim differently. This essay describes two such trajectories of secularism. There aremany others.

The International Politics of Laicism

In The Secular City, Harvey Cox suggested that, »it will do no good to cling to ourreligions and metaphysical versions of Christianity in the hope that one day religionor metaphysics will once again be back. They are disappearing forever [...]« (Cox1965: 4). In Empire, Michael Hardt and Antonio Negri observe that »every meta-physical tradition is now completely worn out« (Hardt/Negri 2000: 150). John L.Esposito notes that »the degree of one’s intellectual sophistication and objectivity inacademia was often equated with a secular liberalism and relativism that seemedantithetical to religion [...]. Neither development theory nor international relationsconsidered religion a significant variable for political analysis« (Esposito 1992: 200).Laicism is a tradition of the secular city, world »empire,« and Western academy thatpresumes that metaphysical traditions have been transcended. It is one of the foundingprinciples of modern politics and one of the pillars of the separation of church andstate, influential in France, the former Soviet Union, Turkey, and China. Derived fromthe Jacobin tradition of laïcisme, it is associated with what Partha Chatterjee describesas

»a coercive process in which the legal powers of the state, the disciplinary powers of familyand school, and the persuasive powers of government and media have been used to producethe secular citizen who agrees to keep religion in the private domain« (Chatterjee 2006:60).

Most of the literature on religion, the Protestant reformation, and the Westphaliansettlement charts the decline of religion in European public life. Quentin Skinnerobserves that after Luther »the idea of the Pope and Emperor as parallel and universalpowers disappears, and the independent jurisdictions of the sacerdotium are handedover to the secular authorities« (Skinner 1978: 353, original emphasis). AlessandroPizzorno refers to this transition as the »Gregorian moment,« describing it as the mostemblematic episode of what he calls »absolute politics« in Western history, which

»lies at the root of the transfer, as it were, of the collective responsibility for ultimate endsfrom a collectivity having the boundaries of Christianity, and including all believers tiedby this particular bond of faith, to separate collectivities defined by the territorial boun-daries of one state and including all the individuals identified by their living within thoseboundaries« (Pizzorno 1987: 34).

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Daniel Philpott emphasizes the significance of the Protestant Reformation and pro-cesses of secularization that emerged out of it to challenge the temporal powers anddecrease the public role of the church, while contributing to the emergence of a proto-sovereign states system (Philpott 2001). Stephen D. Krasner suggests that, »the ideaof sovereignty was used to legitimate the right of the sovereign to collect taxes, andthereby strengthen the position of the state, and to deny such right to the church, andthereby weaken the position of the papacy« (Krasner 2001: 238). For Krasner, West-phalia »delegitimized the already waning transnational role of the Catholic Churchand validated the idea that international relations should be driven by balance-of-power considerations rather than the ideals of Christendom« (Krasner 2001: 21).

Westphalian republicanism was indeed organized on a modern conception of socialand political order in which individual subjects assembled a society under a singlesovereign authority. By challenging the arbitrary rights of kings in the name of thecommon good (Calhoun 1997: 70), the new republicanism transformed pre-existinghierarchic forms of order as conventional accounts have it. Yet the new republicanismalso reinforced a particular distinction between natural and supernatural order thatcame out of, and remained indebted to, a broader Christian framework. To say this isnot to ignore the deep divisions between Christians (and others) in Europe at the time,however. As Daniel Nexon argues, »when we view Europeanization as a long histo-rical process, we inevitably confront the creation of Europe as a community through,the extrusion of religious difference and, second, the management of religious schismwithin a broader Latin Christian community« (Nexon 2006: 260). Yet early republicanorder was characterized by a strong idea of providence and a pervasive sense that menwere enacting a master plan that was providentially preordained. The idea of moralorder underlying this arrangement would in fact, according to Charles Taylor, beunrecognizable to non-Westerners due to its emphasis on a providential plan to berealized by humans (Taylor 2003; 2007). That early republicanism was situated withinthis broader Christian context fits with Krasner’s argument that in the Treaty of Os-nabrück (one of two treaties that made up the Peace of Westphalia alongside the Treatyof Münster) religious toleration was limited to Lutherans, Calvinists, and Catholics(Krasner 1999: 81, citing Treaty of Osnabrück 1648, 240, 241, Article VII). West-phalia led not to privatization but to the territorialization of religion – the »formationof polities in which territory, state, and confession were closely linked« (Nexon 2006:277).

Laicism emerged gradually and fitfully, and not without rivals, out of this Christian-influenced Westphalian moral and political order. Though presenting itself as a uni-versalizable discourse and a solution to the wars of religion, William Connolly’s de-scription of it as »a specific fashioning of spiritual life […] carved out of Christen-dom« (Connolly 1999: 23) comes closer to the mark. Joshua Mitchell has argued thateven »the idea of the sovereign self, the autonomous consenting self, emerged out ofChristianity [...] paying attention to the religious roots of consent in the West alert usto the fact, that it is in fact a provincial development, not necessarily universalizable«(Mitchell 2003). The influence of Christianity upon the original Westphalian settle-ment makes it difficult to subsume modern international order into realist and liberal

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frameworks that operate on the assumption that religion has been privatized. Parti-cular – not universal – forms of secularism contributed to the constitution of modernforms of state sovereignty that claim their universality by defining the limits of state-centered politics with »religion« on the outside.

Most realist and liberal approaches to IR operate on the laicist assumption thatreligion has been confined to the private sphere or has disappeared. This assumptionsupports structuralist and materialist approaches to IR in which religion is seen asepiphenomenal. Neo-realism proceeds on the assumption that states have fixed inte-rests and that state behavior is constrained by an international structure defined byfactors such as the distribution of power, technology and geography. Historical ma-terialism dismisses religion as »a mode of consciousness which is other than con-sciousness of reality, external to the relations of production, producing no knowledge,but expressing at once the anguish of the oppressed and a spurious consolation« (Asad1993: 46). Materialist approaches neglect the productive role of norms and »tend toview rules and norms as being contingent upon, and thus reducible to, material con-figurations of power or resources« (Bukovansky 2002: 19). Yet secularism cannot bereduced to material power but is a complex collection of practices that plays a role increating agents and contributing to the structures in which they interact.

The problem for IR of the attempt to expel religion from politics or assume that ithas been privatized within the state is that it demands »not only the sharing of the(independent political) ethic but also of its foundation – in this case, one supposedlyindependent of religion« (Taylor 1998: 38). Laicism defines religion by designatingthat which is not religious: the secular. As Talal Asad (2003: 192) has argued, »in thediscourse of modernity ›the secular‹ presents itself as the ground from which theolo-gical discourse was generated […]« This is a form of politics that, as Pizzorno argueswith reference to absolute politics, »set(s) the boundaries between itself and otheractivities. To define what is within or without the scope of politics, one needs laws,or abolition of laws, hence political decisions, political activities, and discourse«(Pizzorno 1987: 28). Laicism sets the terms for what constitutes legitimate politicsand legitimate religion. In modern religiously diverse societies, attempts to managethe terms through which a particular understanding of »religion« is defined (and con-fined) lead to conflict between laicists, policing the boundary of what they define asthe public sphere, and their rivals, who see this policing as an extension of religionin the name of a rival (laicist) set of metaphysical assumptions (Taylor 1998: 36). AsTaylor points out:

»What to one side is a more strict and consistent application of the principles of neutralityis seen by the other side as partisanship. What this other side sees as legitimate publicexpressions of religious belonging will often be castigated by the first as the exaltation ofsome peoples’ beliefs over others. This problem is compounded when society diversifiesto contain substantial numbers of non-Judaeo-Christian religions. If even some Christiansfind the ›post-Christian‹ independent ethic partisan, how much harder will Muslims findit to swallow it« (Taylor 1998: 36-37).

By holding fast to a definition of religion and excluding it from politics, laicismmarks out the domain of the secular and associates it with public authority, common

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sense, rational argument, justice, tolerance and the public interest (Connolly 1999:21). It reserves the religious as that which it is not, and associates religion with apersonal God and beliefs about that God. Laicism, then, is not simply the absence ofreligious or theological discourse. More complex than an oppositional laicism-reli-gion binary, it enacts a particular kind of theological discourse in its own right. It»theologizes« the religions that it oversees, by which I mean that it discourses andreasons theologically, it speculates in theology (Oxford English Dictionary 2009).

Laicism is most powerful when it is invisible or unseen, representing itself as thenatural order that emerges when there is no ideology present (McAlister 2001: 232).Laicism posits itself as public, neutral and value-free, while positing religion, reli-gious actors, and institutions as private, affective and value-laden. Religion is deno-minated as violent, irrational, undemocratic and »other«. This explains why accordingto William T. Cavanaugh, »liberal theorists [...] assume that public faith has a dan-gerous tendency to violence,« (Cavanaugh 1995: 409) and accounts for Scott R. App-leby’s reference to the »conventional wisdom that religious fervor – unrestrainedreligious commitment – inevitably expresses itself in violence and intolerance« (App-leby 2000: 5). Laicism is the conventional wisdom adopted by Cavanaugh’s liberaltheorists. The secular public sphere is the domain of reason, objectivity, deliberationand justice, and the religious private sphere as the domain of subjectivity, transcen-dence, effeminacy and affect.

The International Politics of Judeo-Christian Secularism

Judeo-Christian secularism is a discursive tradition developed in the mid-20th centuryprimarily though not exclusively in the United States. It is distinguished on the onehand by the partial displacement of the dominant narrative of Protestant hegemony,and, on the other, by the representation of certain moral and political values as heldin common by Christianity and Judaism and connected to Western traditions of lawand governance. While laicism seeks to confine religion to the private sphere, thissecond tradition of secularism connects contemporary Euro-American secular for-mations to a strong historical legacy of Western Christian, and beginning in themid-20th century, and then only selectively, »Judeo-Christian« cultural and religiousbeliefs, historical practices, legal traditions, governing institutions and forms of iden-tification. The common denominator of all varieties of JCS is that Western politicalorder is grounded in a set of values with their origins in either Christian or Judeo-Christian tradition that cannot (should not?) be diluted or denied.

Let me be clear. In referring to »Judeo-Christian« tradition I am not suggesting thatthere is consensus between or within any variation of Jewish or Christian traditionabout what this term means or even whether it should be used at all. There isn’t. Butthe term has played a leading role in an extraordinarily powerful cultural productionthat relies upon the conviction that there is such a thing as a »Judeo-Christian« reli-gious and moral tradition that serves as the fount and foundation of certain modernpolitical values such as liberty, equality, democracy and secularism. Many individu-

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als, though I would not include myself in this collective, have been disciplined intothis worldview and rely upon it to organize their approach to religion and politics.This JCS narrative connects a broad and diverse (even conflicting) set of religioustraditions to Western models of secular governance, and has been particularly influ-ential in the American political imagination. My intention is to come to terms aca-demically with its global political influence.

So I am not suggesting that Christian or Judeo-Christian values actually form thebasis of Western institutions or styles of governance, but rather that the convictionamong adherents to this narrative that they do is in itself powerful enough to warrantcritical scrutiny. I am also not suggesting that the concept of »Judeo-Christian« iseither valid or invalid; this is not for me to decide.4 What I am arguing is that a specificvariety of civic republican tradition emphasizing the connections between moral va-lues allegedly held in common by Judaism and Christianity (Old Testament, TenCommandments, etc.) and particular reference points for modern governance such asliberty, equality, and the separation of church and state has become powerful andtherefore merits scholarly attention. This tradition is real because it is imagined; I amnot asserting that it is imagined because it is real. To make the latter kind of claim, asU.S. President Barack Obama has said in reference to the debate over abortion rights,would be above my pay grade.

Take as an example the religious populism of Richard John Neuhaus. Neuhausargues that Catholic moral arguments should »re-clothe the naked public square« asthe basis of American identity and foreign policy. Americans for Neuhaus are aChristian people, and Catholic natural law theorizing should serve as the moral-reli-gious foundation for American public life.5 Catholicism in this narrative is not theenemy of liberalism but »its true source and indispensable foundation« (Linker 2006).For Neuhaus and others who offer different riffs on this narrative, religion (understoodas Catholicism, Christianity, and/or »Judeo-Christianity«) is the defining feature ofWestern civilization. Ted Jelen gets at this idea using Peter L. Berger’s concept of asacred canopy:

»in the United States, a ›Judeo-Christian‹ tradition is thought to provide a moral basis forpolitical life – what some analysts have described as a ›sacred canopy‹ beneath whichpolitical affairs can be conducted. Religion is thought to perform a ›priestly‹ function oflegitimating political authority« (Jelen 2000: 11).6

Christian- and/or Judeo-Christian-derived forms of secular order, in this view, areamong the core values of Western civilization and the common ground upon whichWestern democracy rests. Religion plays a constitutive role not outside but withinsecular politics (note the contrast with laicism), serving as »the basis of an ethicalconsensus without which popular government could not operate« (Jelen 2000: 34).

4 For a discussion of »secular witnesses belonging to the Judeo-Christian tradition« and theattempt to come to terms with their response to suicide bombing that is suggestive of one wayin which this categorization may be helpful see Asad (2007: 91).

5 On Neuhaus’s philosophy see Neuhaus (1984; 1990; 2006). For two very different critiquessee Linker (2006) and Cavanaugh (1995: 410-412).

6 On the sacred canopy see Berger (1967).

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In the laicist narrative, the Christian identity of the West has been superseded, ra-dically transformed and essentially rendered irrelevant. A modern, rational West wasreinvented and rejuvenated by democratic tendencies inherited from its Greek andRoman predecessors. The »Judeo-Christian« secularist story does not share this as-sumption that after the Protestant Reformation and the Enlightenment linkages bet-ween Western politics and public forms of Christianity were definitively severed.Working out of a different set of assumptions about the relationship between (Judeo)-Christianity and modern politics, it draws upon earlier European arrangements inwhich church and state were unified, each representing a different aspect of the samedivine authority (Gedicks 1991: 116).

It is worth recalling that the perception of a larger Christian context within whichboth church and state were embedded sets the terms of American public discourseuntil quite recently, and in some places still does. Following the influx of immigrantsto the United States in the late nineteenth and early twentieth centuries, however, inmost places it became politically expedient to operate in increasingly non-sectarianterms. While Protestant discourse took a back seat to a more generic civic religion, ade facto Protestant establishment continued to set the ground rules (Gedicks (1991:122). The civic republican imagination of the Protestant majority informed the rela-tion between religion and democratic politics in early America. Its influence was (is?)palpable in Legislative prayer, state acknowledgment of Easter, Christmas, Thanks-giving and the Christian Sabbath, and the outlawing of blasphemy and punishment ofatheism (Gedicks 1991: 123). As Frederick Mark Gedicks explains, Protestants

»opposed a particular Protestant denomination to Protestantism in general, which later theydid not equate with an establishment. The notion of prayer and worship based on the Bibleaccepted by all Protestants did not amount to a general establishment, but constituted anessential foundation of civilization« (see Thomas Curry, The First Freedoms, pp. 123-4,in Gedicks 1991: 123, note 30).

To be secular in this line of reasoning meant not to privilege one Protestant deno-mination over another. The »common ground« of Protestant civilization was takenfor granted, though of course dissenting Christians and others were excluded from it.A similar situation prevailed contemporaneously in England. In a study of nineteenth-century debates between British evangelicals and their utilitarian rivals, Peter van derVeer notes that despite their differences all agreed that, »civil society and the formsof knowledge on which it was based were ultimately part and parcel of Christiancivilization« (van der Veer 1999: 28).

The Protestant claim to a »common ground,« though slowly eroded by increasingreligious diversification and eventually (though often at glacial speed and not withoutcontestation) modified to incorporate both some Catholic and, after World War II,some Jewish influences, nonetheless retains a cultural foothold in the United States.It is out of a celebratory reading and ongoing amendment of this cultural inheritancethat the JCS narrative emerged and continues to shape modern dispositions towardthe secular and the place of religion within it. A narrative of Protestant hegemony wastransformed into a slightly more liberalized pluralism, drawing on a deep well oftradition in which first Protestant Christianity, then Christianity more broadly, then

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Judaism were (selectively and not without dissent) linked to the possibility of civi-lization and cited as the source of first principles for governing ideas and institutions.

While Alexandre de Tocqueville long ago described this famously in reference tothe United States (Tocqueville 1969: 292), more recently Robert Bellah, Connolly,Mark Juergensmeyer, Taylor, van der Veer, James Morone and Pizzorno have chro-nicled how religion resonates in and through modern liberalism and secularism. Mo-rone paints a lively portrait of American history in which the nation develops »notfrom religious to secular but from revival to revival« (Morone 2003: 3). Connollypoints to liberal thinkers such as J.S. Mill who extol Judeo-Christian tradition as themoral basis of civilizational unity and identity, and for whom it is »through Jewishand Christian culture above all that a territorial people acquires the civilizational con-ditions of possibility for representative government« (Connolly 1999:78). Van derVeer charts a long tradition of combining liberalism and evangelical moralism inAnglo-American political thought, describing British Liberal leader Gladstone’s(1809-98) writings as invoking a »liberal view of progress [...] but added to this is thenotion that progress is the Christian improvement of society and that in such progresswe see the hand of God« (van der Veer 1999: 24). Taylor describes a »commonground« mode of secularism, in which members of a political community agree uponan ethic of peaceful coexistence and political order based on doctrines common to allChristian sects, or even to all theists. Historically, he suggests, this represented asuccessful compromise in Europe for warring sects because »political injunctions thatflowed from this common core trumped the demands of a particular confessionalallegiance« (Taylor: 1998:33). The objective was not to expel religion from politicsin the name of an independent ethic, as in laicism, but to prevent the state from backingone (Christian) confession over another by appealing to that which all held in com-mon. This even-handedness between (Christian) religious traditions was the basis ofthe original American separation of church and state (Taylor 1998: 35).

Unlike laicism, JCS does not claim to exclude religion (as long as the latter isunderstood as Christianity or, perhaps »Judeo-Christianity«) from modern spheres ofpower and authority. It diverges from laicism regarding the role of religious traditionin the maintenance of the secularist »separation« of church and state. While laicismassumes that religion has receded out of modern spheres of authority or diminishedaltogether, JCS is a form of religious »accommodationism« in which »religion (sin-gular) is ultimately good for democratic politics, because a shared adherence to acommon religious tradition provides a set of publicly accessible assumptions withinwhich democratic politics can be conducted« (Jelen 2000: 90). In this political ima-ginary the separation of church and state is a unique Western achievement that emer-ged from adherence to common European religious and cultural traditions. You can’thave one without the other.

In international relations the influence of Judeo-Christian secularist assumptions ispalpable in arguments in which religious traditions are portrayed as the source ofparticular styles and institutions of governance, forms of civilizational identity, andviolent clashes between so-called civilizations. Christianity, in many versions of thisnarrative, »Judeo-Christianity« in others, has culminated in the uniquely Western

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achievement of the separation of church and state and the development of liberaldemocracy (Huntington 2001: 60). As Samuel Huntington argues, »Western Chris-tianity, first Catholicism and then Protestantism, is historically the single most im-portant characteristic of Western civilization« (Huntington 1996: 70). This prevailingdualism between »God and Caesar, church and state, spiritual and temporal authority[...] contributed immeasurably to the development of freedom in the West« and formspart of »the factors which enabled the West to take the lead in modernizing itself andthe world« (Huntington 1996: 70, 72). Religion is the bedrock of this cultural inheri-tance, responsible for differentiating between civilizations and between individuals:»in the modern world, religion is a central, perhaps the central, force that motivatesand mobilizes people« (Huntington 1996: 63, original emphasis).

Huntington’s framework divides the world into two hierarchical categories: thosewho share the Christian or Judeo-Christian common ground and those who do not.This echoes divisions proposed in the 14th-century by Italian jurist Bartolus de Sas-soferato, who divided the world into five classes: the »populus Romanus« or »almostall those who obey the Holy Mother Church«, and four classes of »populus extranei«:the Turks, the Jews, the Greeks and the Saracens (Pagden 1995: 28). Bartolus’s sche-me parallels Huntington’s seven (or eight) major civilizations: Western, Confucian,Japanese, Islamic, Hindu, Slavic-Orthodox, Latin American and »possibly African«.Anthony Pagden describes the effects of these divisions:

»The effect of Bartolus’s ethnic division is once again to limit ›the world‹ to a distinctcultural, political, and in this case religious, community. And again it places boundariesbetween what may be counted as the domain of the fully human world, and those others –which because of their rejection of the hegemony of the Western Church now also includedthe Greeks – who have no place within the civitas, and so no certain claim upon the moralconsiderations of those who do« (Pagden 1995: 28).

The dangerous assumption that a »Judeo-Christian« secular common ground endsabruptly at the edge of Western civilization leads to calls to defend this ground againstinternal and external enemies, resulting in what Connolly has described as »civiliza-tional wars of aggressive defense of Western uniqueness« (Connolly 1999: 4). Thesewars can become aggressive as the common ground is challenged and reconfiguredunder the stress of a pluralistic West made up of Christians, Jews, Muslims, Hindus,Buddhists, atheists, and agnostics, among others. At this point either the commonground is renegotiated or an aggressive defense of it is set in motion. Neuhaus supportsthe latter, arguing that the godless are incapable of a »morally convincing account«of the nation and concluding that, »those who believe in the God of Abraham, Isaac,Jacob, and Jesus turn out to be the best citizens« (Neuhaus in Linker 2006).

This religio-secular triumphalism finds expression in International Relations in theidea that Western powers have a monopoly over the proper relationship between re-ligion and politics. As John Keane argues,

»[t]he principle of secularism, which ›represents a realisation of crucial motifs of Chris-tianity itself‹ (Bonhoffer), is arguably founded upon a sublimated version of the Christianbelief that Christianity is »the religion of religions« (Schleiermacher), and that Christianityis entitled to decided for non-Christian others what they can think or say—or even whetherthey are capable of thinking and saying anything at all« (Keane 2000: 14).

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This reasoning normalizes particular religions and religious actors and marginalizesnon-Western and non-»Judeo-Christian« perspectives on religion and politics. If thedualism between spiritual and temporary authority is accepted as uniquely Westernand (Judeo)-Christian, then non-Westerners who want to democratize have no alter-native but to adopt Western forms of secularism. In this scenario, non-Westernerswho do not support Western (Christian) forms of secularism are portrayed as childrenwho refuse to acknowledge that they are sick and need to stay in. Yet those who doadvocate such forms are charged with advancing pale imitations of a robust Westernsecular ideal, thereby departing from (and potentially betraying) indigenous tradition.This has the effect of de-legitimizing indigenous negotiations and forms of secularismas they are associated with selling out to Western power and/or betraying local tra-dition. An example is the oppositional relationship that has developed between Euro-American secular politics and many forms of political Islam, a dynamic that I havediscussed elsewhere (Hurd 2007) such that any variation of the latter is assumed tobe a threat to any variation of the former.

Any attempt to fix the meaning of »religion« and define its relationship either in orout of politics—any attempt to displace the politics of secularism—is inherently po-litical. From the perspective of democratic pluralism, claims to universality groundedeither in the claim to have overcome religio-cultural particularities (laicism), or tohave located successful moral and political order in any particular religio-culturalheritage (»Judeo-Christian« or any other), are equally problematic.

Conclusion

Bonnie Honig writes of two conflicting political impulses: the desire to decide un-decidabilities, and the will to contest established institutions and identities (Honig1993: 201). She criticizes theorists who limit their definition of politics to the former,which she describes as »juridical, administrative or regulative tasks of stabilizingmoral and political subjects, building consensus, maintaining agreements, or conso-lidating communities and identities« (Honig 1993: 2) Rather than theorizing politics,she argues, they displace it (Honig 1993: 2). Like their counterparts in political theory,scholars of IR also yearn for closure, consensus, and the displacement of secularistpolitics. As Michael Barnett points out, »actors struggle over the power and the rightto impose a legitimate vision of the world because doing so helps to construct socialreality as much as it expresses it« (Williams 1996 quoted in Barnett 1998: 25). Formost this is a secular vision of the world, and a secular social reality. Most, perhapsunconsciously, perhaps less so, think, work, struggle against and live within variationsof the two forms of secularism described in this essay. These laws, institutions, andsensibilities do not merely reflect social reality but construct it by providing »a set ofparameters, focal points, or even points of contention around which political discourserevolves« (Bukovansky 2002: 25). They facilitate closure and agreement around re-ceived settlements of the relation between religion and politics. Secularism, it turnsout, is a powerful »pattern of political rule« (Asad 2006: 219).

3.

Elizabeth Shakman Hurd: Debates within a Single Church: Secularism and IR Theory

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Secularist settlements have only recently become subject to analysis by politicalscientists, in part because they tend to fall just beyond the peripheral vision of con-ventional empiricist and rational-choice methods that serve as the default approachesin mainstream political science. These settlements are sustained by a variety of as-sumptions: secularization as the most recent step in the worldly realization of Chris-tian or »Judeo-Christian« morality, secularization as the natural evolution toward auniversal morality that transcends the need for metaphysical moorings, secularizationas a commendable side-effect of democratization and modernization, secularizationas the result of the globalization of a modern state system in which religion has beenprivatized once and for all, among others. Though jostling with each other for supre-macy, and sometimes colliding head-on, these powerful secularist narratives and pro-jects strive to manage religious diversity, imbue state interest and identity with mea-ning, secure an image of contemporary international order as modern, secular anddemocratic, and normalize particular religions and religious actors as either fit or unfitfor participation in politics. These entanglements between secularist formations andreligious traditions, real or imagined, and real because they are imagined, confirmBarnett’s intuition (forthcoming) that secular and religious elements in internationalorder are not as cleanly segregated as IR theorists may have once assumed.

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Jonathan Fox/Nukhet A. Sandal

Toward Integrating Religion into International RelationsTheory

This study discusses the multiple potential influences of religion on international re-lations. These include religious legitimacy, religious worldviews, non-state religiousactors including religious institutions, local religious issues crossing borders, trans-national religious movements, religious terror, and international issues which over-lap with religion such as human rights, the status of women, proselytizing, familyplanning and stem-cell research. We then begin the process of integrating an under-standing of these issues into a major international relations theory: Classical Rea-lism. We find that Classical Realism has room for religion in its role as an explanatorytheory, but is not as accepting of religion in its policy prescription role.

Beginning with the new millennium, it has been popular to lament that InternationalRelations (IR) theory ignored religion for much of the 20th century and to focus muchof the discussion on why this occurred (see, for example, Philpott 2002; Petito/Hatzo-poulos 2003). A limited number of studies, in addition to this, have taken some stepsto integrate religion into IR theory by suggesting ways of mutual understanding bet-ween theories of IR and issues of faith (Sandal/James 2010) or discussing what mustbe integrated into IR theory without performing the integration (Fox/Sandler 2004).Other studies discuss some avenues for looking at religion in an IR-related contextbut do not integrate religion into major IR theories such as Classical Realism (Hurd2004; Thomas 2005; Hassner 2009). In this essay, we propose to briefly discuss whataspects of religion that any major IR theory must take into account and begin a sys-tematical discussion on how they can be integrated into one such theory: ClassicalRealism.

The Multiple Influences of Religion

Religion is a complex multifaceted phenomenon that has multiple and crosscuttinginfluences on international relations. Accordingly, in this section we seek to brieflycatalogue the many potential interrelated and overlapping avenues through whichreligion can potentially shape IR.

Legitimacy

Legitimacy can be defined as »the normative belief by an actor that a rule or institutionought to be obeyed« (Hurd 1999: 381) and can be a powerful tool in IR. Few would

1.

1.1.

Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 149 – 159

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dispute that religion is a potential source of legitimacy in the domestic context (see,for example, Geertz 1977: 267-268; Juergensmeyer 2008: 10-33) and it can easily beapplied to understand the international context. In particular, it can be a powerful toolof persuasion used by policy-makers to convince others, including their own consti-tuents, policy-makers in other countries, and the constituents of those policy-makers.To convince another that your policy preference is legitimate is an important step inconvincing them they should support this policy. It is perhaps for this reason that mostAmerican presidents have relied on religious imagery to prepare the nation for war.For instance, George W. Bush repeatedly used religious imagery in his justificationfor the war in Iraq and the war on terrorism (Kengor 2004).

However, as a tool of persuasion religion has at least three limitations. First, thispersuasion is often limited by cultural and religious boundaries. For example, invo-king Jesus is more likely to sway Christians than Muslims or Jews, much less Hindusor Buddhists. While there are religious themes and concepts that can cross religiousborders, they are nevertheless less potent bases for persuasion than a dialogue withina religious tradition. Second, religious persuasion is limited by the religious beliefsof the intended audience. Simply put, those who are more religious are more likelythan those who are less religious to be persuaded by religious arguments. Finally,religious persuasion is to a great extent dependent on the credentials of the one usingit. That is, in order to most effectively invoke religious legitimacy, one must be seenas actually believing in and observing the tenets of the religious theological frame-work in question.

Worldviews

Treating religious legitimacy as an instrument of persuasion depicts religion as a toolused cynically by policymakers to advance their goals. This certainly occurs, butreligion can also act as an independent motivating force. The argument that religiousbeliefs influence people’s worldviews and identities and that religious motivationsinfluence behavior is not in dispute and is well grounded in the social sciences lite-rature (see for example, Seul 1999: 558-562; Fox 2002: 106-110; Juergensmeyer2008: 19-22). Even classically anti-religious thinkers such as Karl Marx acknowledgeits power, in this example as a »false consciousness« and the »opiate of the masses«but nevertheless a potentially potent influence on behavior.

This can influence international relations in two ways. First, religion can influencethe belief system or worldview of a policy maker. To the extent that this is true,religion has the potential to influence that policy maker’s decisions. In cases of reli-gious belief, this can lead to extreme and intractable policies because »religion dealswith the constitution of being as such. Hence, one cannot be pragmatic on concernschallenging this being« (Laustsen/Wæver 2000: 719). Ron E. Hassner (2009: 38-50)similarly argues that religious conflicts are intractable because they are »indivisible«.This means that the object of a conflict cannot be replaced or divided without signi-

1.2.

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ficantly diminishing its value. In these cases there is no solution that can satisfy bothsides.

A policy maker’s worldview does not need to be completely religious for religionto have an influence. Most individuals have complex worldviews influenced by mul-tiple factors. As long as religion is one among the many influences on one’s world-view, it can still influence decisions. Even ideologically secular worldviews are si-milarly influenced by religion in that they involve the negation of religion. Only thosewho are wholly apathetic to the issue of religion can be said to have worldviews thatare religion-free. In fact, it is likely that the most significant influence of religiousbeliefs on the decisions of policymakers is not in the more blatant examples like Iranand Al Qaeda, but rather in the cumulative influence of the religious elements whichare to varying degrees part of many policy makers’ worldviews.

That being said, the number of states which embrace religion as their national ideo-logy or at least an element of their national ideology is larger than many would expect.Jonathan Fox (2008) in a study of 175 states between 1990 and 2002 demonstratesthat nearly half of them support a single religion. 46 states (26.2%) have officialreligions and an additional 36 (20.6%) while not declaring an official religion supportone religion more than others. Of course, official religions mean different things todifferent states. For example, while the UK and Saudi Arabia both have official reli-gions, few would claim that the impact of religion on domestic policy in these twostates is the same. Yet based on an analysis of the Religion and State dataset used inFox’s (2008) study, the 82 states which officially or unofficially support a singlereligious ideology legislate about two-and-a-half times as much religious legislationas do other states.This influence of religious ideologies in the domestic arena impliesa potential influence in the international arena. In extreme cases foreign policy agen-das can include exporting a state’s religious ideology.

Second, widely held religious beliefs among a policy maker’s constituents can placeconstraints on policy options. It can be unwise even for policymakers in autocraticregimes to take an action that runs directly counter to some belief, moral, or valuethat is widely held by their constituents. To do so could easily undermine the legiti-macy of a regime and its rulers. For example, in the Arab-Israeli conflict, both sidesneed to weigh how their populations will react to any agreement. This is particularlytrue of agreements dealing with the disposition of holy sites like the city of Jerusalem,which are widely considered indivisible issues.

Institutions and Other Non-State Religious Actors

There is a growing literature arguing that religious institutions can play a significantrole in domestic politics. For one, any existing institution, including religious insti-tutions, can be used as potent agents of political mobilization. This mobilization stra-tegy is particularly effective because religious institutions generally have most of theorganizational resources necessary for political mobilization. This includes meetingplaces in which people regularly congregate, communication networks, members with

1.3.

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organizational and leadership skills, economic assets, and good access to the media.In some cases they are part of international networks (Johnston/Figa 1988; Wald et.al. 2005: 131-136). For instance, organizing a pro-Israel demonstration in the US isfar easier if accomplished by contacting as many Synagogues as possible and askingthem to help mobilize their congregants than building the organizational structure tomobilize demonstrators from scratch. This is exactly what happened to mobilize over100,000 people for a pro-Israel demonstration in Washington DC in April 2002.

Religious institutions are also not unrelated to religious worldviews. One of thepurposes of religious institutions is to safeguard and propagate the religious world-view and belief system upon which the institution was founded. Political activitiesintended to accomplish this are not uncommon. Also, as important arbiters of religiouslegitimacy, religious institutions have the potential to influence the use of legitimacyin support or opposition of foreign policies.

While this literature focuses on the pursuit of goals in the domestic arena, it is clearthat religious organizations often pursue political objectives in the international arena.For example, the World Council of Churches played a key role in supporting thevarious international divestment and actions which led to the fall of the Apartheidregime in South Africa (Warr 1999). Also, religious non-governmental organizationsare active throughout the world engaging in humanitarian and missionary work aswell as supporting political causes (Thomas 2005: 98-115).

Local Religious Issues and Phenomena Cross-Borders

While most treatments of the concept of interdependence focus on economic inter-dependence, the general concept that what happens locally can have an internationalimpact is more broadly applicable in general and applicable to religion specifically.Perhaps, this is most obvious with regard to religious conflicts. While there are fewinternational wars which are overtly religious, local conflicts with religious overtonesare common.1 These conflicts can influence the international arena in a number ofways including the prevalence of humanitarian intervention and the flow of refugeesacross borders. In addition, the conflicting parties can seek to internationalize a con-flict through the use of international forums. For example, Arab and Islamic statesoften use the UN and UN-sponsored conferences as forums to demonize Israel. TheUN-sponsored World Conference Against Racism, Radical Discrimination, Xeno-phobia, and Related Intolerance held in Durban, South Africa in 2001 is one exampleof such an endeavor (Fox/Sandler 2004: 77-79).

Israel also provides a good example of a more recent form of internationalizationof conflict. There is an increasing belief in some elements of the world communitythat some crimes transcend borders and international courts such as the InternationalCourt of Justice must punish the worst war criminals and offenders of human rightsnorms. A number of European countries have passed laws that allow their courts to

1.4.

1 For an enumeration of local religious conflicts see Fox (2004: 239-267).

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hear such cases, claiming a form of universal jurisdiction over these types of crimes.These courts also provide potential forums for the sides of religious conflicts. Pa-lestinian organizations have been active in pursuing prosecutions of Israeli soldiersand officials in these forums, claiming that they are responsible for crimes which fallunder this universal jurisdiction.

Of course, all of these avenues for the spread of conflict across borders also applyto non-religious conflicts. However this does not take away from the fact that it hap-pens with local religious conflicts and that because of this, these conflicts influenceIR. Also, since the late 1970s, religious conflicts have been becoming a greater pro-portion of all conflict and, by one accounting, as of 2002, became a majority of alldomestic violent conflict (Fox 2007: 405).

Transnational Religious Movements

In practice, the dividing line between local religious issues and phenomena crossingborders and transnational2 religious issues and phenomena is blurred. Transnationalreligious movements include any religious ideology or phenomenon that operates inmultiple states and pursues an agenda on a transnational level. From this perspectiveviolent movements seeking to impose their religious ideology on others such as AlQaeda are similar to international religious hierarchies such as the Catholic Churchor pacifist religious movements such as that headed by the Dalai Lama. All of thesemovements seek to significantly shape political agendas and do not confine themsel-ves to a geographical location, though clearly their specific agendas and tactics differsignificantly.

Religious fundamentalism is, perhaps, the most prominent transnational religiousphenomenon. Fundamentalists seek to protect their religious identities and traditionsfrom modernity and secularism by, among other things, creating a society whichstrictly follows their religious ideals. Some, though not all, fundamentalists seek toalso impose their ideology and preferred sociopolitical structure on others. Ultimatelymany fundamentalist movements hope to create a world-wide religious society thatknows no borders. Thus, their goal is clearly a transnational one (Appleby 2000:87-94). This is facilitated by the fact that most fundamentalist and non-fundamentalistreligious movements consider their beliefs to be universal truths which do not reco-gnize international borders.

The international aspect of this agenda is accomplished through a number of stra-tegies. First, many movements seek to influence or take control of state and localgovernments. This has international implications because when they manage to gaincontrol of a state, their agenda does not stop at enforcing their religious ideals locally.They also use the state to spread the revolution worldwide. Afghanistan under the

1.5.

2 It is important to note that in this context the term »transnational« does not refer in particularto the transnationalism school of thought that emerged in IR theory during the 1970s. SeeKeohane/Nye (1977).

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Taliban regime and post-revolutionary regime in Iran are prime examples of this.Second, fundamentalists try to take over religious institutions and become the solearbiters of religious legitimacy and authority. When successful, they can use thismonopoly of religious legitimacy and authority to portray their goals as correct andmoral and to paint any who oppose them as evil and subversive. Third, these move-ments form transnational linkages with other like-minded movements worldwide.Fourth, they make use of the media and international communications to both co-ordinate activities and spread their message worldwide.

Religious fundamentalism has been linked to religious terrorism. Religion has beena justification for terrorism for millennia (Rapoport 1984: 659), and it is becomingthe most common motivation for terrorism in the world today (Weinberg/Eubank1998; Rapoport 2002). Despite recent prominence of Islam in religious terrorism, itis important to emphasize that both currently and historically religious terrorism hasbeen perpetrated by the extremists of almost every religion. While this manifestationof religion is sensational, it can primarily be seen as one tactic among many used bytransnational religious movements. It is a convenient tactic because these movementsoften do not command enough influence to achieve their goals peacefully and do nothave the military power to engage in conventional wars against powerful, and evennot so powerful, states.

Be that as it may, it is clear that religious terror is becoming a significant factor inIR. It has contributed to the formation or realignment of international alliances bet-ween states in order to fight it. It has facilitated recognition that non-state actors canbe a potent force which undermines the traditional state monopoly on the use of vio-lence. It has also influenced the foreign policies of many states and will likely continueto do so for the foreseeable future.

There are a number of additional transnational trends, issues and phenomena whichoverlap with religion that are worthy of note, though space does not allow their de-tailed discussion here. First, the issue of religious and human rights, including reli-gious rights, is becoming an increasingly international issue. It is becoming an im-portant element of the foreign policies of many Western states and has been includedin a number of international documents and treaties. Second, the issue of women’srights is becoming an increasing source of tension between the West and non-West.Many non-Western states place significant restrictions on women that are incongruentwith Western ideas of equality for women. Religion is often used to justify many ofthese restrictions. Third, proselytizing constitutes a significant potential source ofinternational tension. Numerous religious groups, most prominently Muslim andChristian groups, send missionaries to states across the world. In 2002, 77 states,including several in Western Europe, placed some form of restrictions on proselyti-zing. Many of these restrictions were specifically aimed at foreign missionaries (Fox2008: 359). Finally, biological-scientific issues such as family planning and stem-cellresearch have resulted in tensions, primarily across the secular-religious divide ratherthan across different religious identities.

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Toward Integrating Religion into Classical Realism

It is important to realize that enumerating which religious factors can potentially in-fluence IR is only a first step toward understanding the role of religion in InternationalRelations. Religion is clearly not the only factor which influences international poli-tics. Thus, this understanding of religion’s role must be combined with our existingknowledge of the workings of the discipline. This can potentially be accomplishedby either integrating religion into existing IR theories or by constructing new theorieswhich can account for religion as well as other factors. It is our belief that discardingdecades, and in some cases centuries, of work by IR scholars should be a last resort,and, accordingly, the best route is to find ways to integrate an understanding of religioninto existing theories of international politics. We further believe that this is possibleand, in this section, discuss briefly how religion can be integrated into a single IRtheory: Classical Realism. While this discussion does not achieve a fully integratedtheory, it does demonstrate the possibility of combining an understanding of religionwith the insights of classical realism and the likely avenues toward full integration.

While we acknowledge that Classical Realism is not a monolithic school of thought,space limitations require that our discussion treat it in a more general context. Clas-sical Realism focuses on states as actors in an anarchic international system with nooverarching authority. In this context, states seek power in a competitive environmentand are rational in the sense that they have consistent, ordered preferences and theypick the utility-maximizing choice. Although Realism allows for a number of inde-pendent variables ranging from »human nature« to »distribution of capabilities«, ma-ny scholars who have written on IR theory have expressed their pessimism about theintegration of culture and identity in general, and this pessimism certainly extends tothe integration of religion (Schweller 1988: 20; Lapid 1996; Zakaria 1999: 32-35;Hobden 2001: 42-59).

Unlike some other theories of IR, Classical Realism has deep historical roots in thatThucydides (400 B.C.E), Niccolò Machiavelli and Thomas Hobbes are consideredamong the »fathers« of the Realist paradigm. Each of these thinkers recognized on apractical level that religion is an engine of power in the society that can be significantin legitimating governments and their actions (Machiavelli 1984 [1513]: 144; Hobbes1985 [1651]:168; Jordan 1986). Thus, the roots of Classical Realism do not excludereligion.

If one examines the writings of central 20th century realist thinkers, the acknow-ledgement of religion’s power remains within their paradigm. For example, Hans J.Morgenthau argues that

»carrying their idols before them, the nationalistic masses of our time meet in the inter-national arena, each group convinced that it executes the mandate of history,…and that itfulfills, a sacred mission ordained by providence, however defined. Little do they knowthat they meet under an empty sky from which the gods have departed« (Morgenthau 1956:234).

Others address the issue more indirectly alluding to human nature which can beirrational. For instance, Reinhold Niebuhr (1932: xx) asserted that »the easy subser-

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vience of reasons to prejudice and passion, and the consequent persistence of irrationalegoism, particularly in group behavior, make social conflict an inevitability in humanhistory, probably to its very end«. Similarly, George F. Kennan (1967: 319), theAmerican diplomat who introduced the concept of »containment«, lamented that »Iwish I could believe that the human impulses which give rise to the nightmares oftotalitarianism were ones which Providence had allocated only to other peoples andto which the American people had graciously been left immune«.

The importance of this trend among classical realists is a general acknowledgementthat while religious motivations make for bad foreign policy and, therefore, »oughtnot« influence decision making, in practice this influence does exist. This means thatintegrating religious worldviews into Classical Realism is to accept that religion,along with other non-material factors, can still be assigned value by decision makersand, accordingly be included in cost-benefit calculations. This does not preclude thepursuit of an agenda, even one influenced by »non-rational« factors such as religion,through traditional classical realist means.

Our central argument with regard to religious legitimacy is that religious legitimacy,like any form of legitimacy, is a potent tool of persuasion which can be applied toforeign policy goals. We argue that this concept is compatible with Classical Realism,and in fact, can be considered a form of power or influence. Although Classical Rea-lism emphasizes material power and interest, these concepts are used flexibly enoughto permit integration of less tangible forms of power such as legitimacy and persua-sion. For example, Morgenthau argues that power’s

»content and the manner of its use are determined by the political and cultural environment.Power may comprise anything that establishes and maintains the control of man over man.Thus, power covers all social relationships which serve that end, from physical violenceto the most subtle psychological ties by which one mind controls another« (Morgenthau1956: 8-9).

Niebuhr (1996: 260) also argues that man can »create an endless variety of typesand combinations of power, from that of pure reason to that of pure physical force«.Thus, if religious legitimacy is a tool that can persuade others to do as you wish, itcan be considered a form of power that is compatible with the classical realist frame-work.

As Classical Realism focuses on states as actors, the integration of an understandingof religious institutions, transnational religious movements and other non-state reli-gious actors is likely best left to other IR theoretical traditions such as Neoliberalismor the Solidarist branch of the English School which do not take the state as theircentral referent point. Nevertheless, it is not impossible to find several avenues forintegrating these factors into Classical Realism.

First, if one accepts that Classical Realism allows for foreign policy decisions to beinfluenced by »non-rational« factors such as religion, it is not difficult to argue thatthe religious institutions, which to a great extent control and propagate religious ideo-logy can have an influence on both the content and application of religious ideologieswhich in this manner influence beliefs and policy preferences of policy makers. Si-milarly, if one accepts that religious legitimacy is a source of power through persua-

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sion, it is simple to accept that religious institutions and other religious actors caninfluence what a religion can and cannot legitimate. The next logical step in this lineof reasoning would be that religious institutions and actors could pursue an agendaof influencing decision makers to follow a particular policy and independently usereligious legitimacy to support or oppose specific policies. Thus, the primary actorsin this framework remain states, but it allows for the behavior of these states to beinfluenced by religious institutions and actors.

Second, the Classical Realist concept of the security dilemma can be linked toreligion. Men, groups or leaders are »concerned about their security from being at-tacked, subjected and annihilated by other groups or individuals« and their attemptsto gain more power for their security »renders the others more insecure and compelsthem to prepare for the worst« (Herz 1950: 157). This concept can be applied toreligious groupings as well as states.

Third, non-state religious actors can influence the power balance by creating analternative to the existing state identity. Religious minorities, by rebellion or by re-sisting the prevalent doctrines (religious or secular) in the public sphere, might threa-ten the organization of a state, and there is a strong likelihood that the religion com-ponent will be used to justify this stance (Lincoln 1985: 276-279). Religious institu-tions can oppose the policies of the state and withdraw their support (if there was any)in the event of state policies not coinciding with the interests of the religious elite(Fox 1999: 134). Similarly, transnational movements, such as Al Qaeda, can createalliances among like-minded individuals which seek to take over existing states orcarve out new states which function based on religious ideologies.

Fourth, transnational religious movements, as well as religious identity in general,can be seen as a basis for alliances between states. Just as political ideologies werethe basis for alliances during the Cold War, religious ideologies and identity serve asthe basis for alliances. Huntington (1993; 1996) essentially made this argument butperhaps overreached in stating that these religious groupings would be the primarybasis for world alliances and conflict, rather than one influence among many.

All of these avenues for a classical realist understanding of non-state religious actorsare linked to the state, as are the avenues for understanding religious worldviews andlegitimacy. This arguably results in an incomplete integration of this aspect of religioninto classical realist theory which does not fully account for the full spectrum of theinfluence of non-state religious actors on IR. However, this inability of ClassicalRealism to fully account for non-state actors and the impact of domestic politics onforeign policy is a generally acknowledged limitation of Classical Realism. Despitethis limitation, Classical Realism has been a potent tool for understanding IR. Eachof the major theories of IR has similar limitations in that they focus on explainingsome aspects of IR at the expense of other aspects.

Within this context, we have demonstrated that most of the potential influences ofreligion on IR can be integrated into classical realist thought. Though, to be clear ourargument is that Classical Realism has room to accept that such influences exist butwould classify any policy based on these influences as a poorly designed foreignpolicy. Thus, Classical Realism has room for religion in its role as an explanatory

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theory, but is not as accepting of religion in its policy prescription role. Nevertheless,this is significant because it bodes well for the prospects of allowing religion to in-fluence our understanding of IR without discarding the insights that have provensuccessful in the past to understand other influences. It also bodes well for the potentialto integrate an understanding of religion into other major IR theoretical traditions.

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Jonathan Fox/Nukhet A. Sandal: Toward Integrating Religion into International Relations Theory

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Mitteilungen der Sektion

Umzug der Sektionswebseite

Zum März 2010 ist die Webseite der Sektion umgezogen und aktualisiert worden. Sieist nun unter www.unibw.de/ib-sektion zu finden. Auf der alten Seite (www.soz.uni-frankfurt.de/hellmann/sektion/) ist bis auf weiteres eine automatische Weiterleitungeingerichtet. Der Sektionsvorstand bittet die Mitglieder bei dieser Gelegenheit, ihreKontaktdaten auf der Webseite zu überprüfen und Änderungswünsche an Frank Sauer([email protected]) zu schicken.

Kontaktdaten des Vorstands der Sektion

Prof. Dr. Nicole DeitelhoffGoethe-Universität Frankfurt am MainExzellenzcluster »Herausbildung normativer Ordnungen«Senckenberganlage 3160325 Frankfurt am [email protected](Geschäftsführung 2009/2010) Prof. Dr. Bernhard ZanglLudwig-Maximilians-Universität MünchenGeschwister-Scholl-Institut für PolitikwissenschaftOettingenstr. 6780538 Mü[email protected](Geschäftsführung 2010/2011) Prof. Dr. Mathias AlbertFakultät für SoziologieUniversität BielefeldPostfach 100 13133501 [email protected](Geschäftsführung 2011/2012)

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Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 161

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Abstracts

Uwe Wagschal/Aurel Croissant/Thomas Metz/Christoph Trinn/Nicolas SchwankCultural Conflicts from Intra- and Interstate PerspectivesZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 7-39

The connection between culture (measured as linguistic, religious and cultural frac-tionalization) and both domestic and international conflict is scrutinized for a fullsample of countries between 1950 and 2005. Drawing a theoretical divide between aconflict’s cause and its issue we ask (a) when does culture foster conflict and (b) whendoes culture itself, in the form of the protagonists’ identity, become the issue in aconflict. Regarding the first question, results indicate a nonlinear effect: a mediumdegree of linguistic fractionalization raises the conflict probability. A similar patterncan be observed for religious fractionalization, but it is less robust. Regarding thesecond question, a subsample of conflicts is considered, in which language, religionor historically derived identities play an important role giving the conflict a culturalcast (cultural conflicts). Although these conflicts clearly show an increased level ofviolence, statistical analysis yields little indications for a differing causal structure.

Johannes MarxIs There a Hard Core of IR?A Philosophy of Science Perspective on IR-TheoryZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 41-74

Usually, in textbooks written for students, a variety of theories explaining the func-tioning of international relations can be found. However, the same books neither showhow these theories are related to one another nor which one is to be applied in whatkind of situation. This article seeks to show that the relationship between at least someof the different theories is not competitive. They do not exclude each other. Instead,it will be argued that the different theories can be understood as varieties of the sameresearch program. The author suggests that these varieties only differ from each otherwith regard to their assumptions about the structure of international relations and theeffects caused by this structure while sharing the same hard core. Therefore, thesetheories of international relations can be considered as contextualized specificationsof a general model of international relations.

Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 163 – 166

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Karsten LehmannInterdependence between Religious Communities and International PoliticsRemarks from a Religious Studies Perspective on Concepts of Religion in PoliticalScienceZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 75-99

This paper deals with different concepts of religion occurring in political sciencedebates about religion in international relations. From a cultural studies perspectiveon religion, the paper highlights the following two aspects of this debate in particular:(a) Two distinct concepts of religion are used more or less in parallel. (b) Furthermore,the paper argues that specific religious groups are frequently treated like black boxes.In contrast to these notions of religion and religious communities, the author intro-duces a concept of religion that draws attention to multidirectional interdependencesbetween religious groups and political settings. On the basis of a case study on thehuman rights debate in the World Council of Churches (WCC), the author argues infavor of an interdisciplinary approach: On the one hand, religious studies scholarsshould increase their cooperation with political scientists in order to analyze the roleof religion in international relations. On the other hand, political scientists shouldincorporate the findings and basic concepts of religious studies in their research oninterdependences between religion and politics.

Claudia Baumgart-OchseFaith-Based Civil Society Actors and the Opportunity Structure of InternationalRelationsA Reply to Karsten LehmannZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 101-117

The article critically reviews Karsten Lehmann’s reading of the debate on religion’srole in International Relations. Contrary to Lehman, it is argued that IR by and largeremains a secularist discipline. Moreover, his distinction between micro- and macro-perspectives of religion in IR scholarship lacks the analytical clarity needed to con-ceptualize the interdependence of religion and politics. Alternatively, his empiricalexample of human rights advocacy by the World Council of Churches could serve asan example for a broader research endeavour on transnational religious activism.Borrowing from social movement theory, research should focus on how and to whateffect a rapidly growing population of faith-based actors constructs collective actionframes, mobilizes resources and uses the opportunity structure of global governance.

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Mariano BarbatoPost-Secular International RelationsA Reply to Karsten LehmannZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 119-134

Karsten Lehmann’s contribution to the interdependence between religion and politicsfor an interdisciplinary discourse addresses important issues from the perspective ofreligious studies. When looking deeper into the political science debate, one can,however, observe that in the constructivist writings – only briefly mentioned by Leh-mann – a far more differentiated understanding of religion exists than the one Leh-mann postulates for International Relations in general. Therefore, by focussing onthese contributions, the first two sections of my response are trying to put the inter-disciplinary debate within IR on a more solid foundation. On this basis, and by dra-wing on Jürgen Habermas, the third section points towards an alternative approachfor interdisciplinary discourse. Motivated by analytical and normative interests alike,the remaining sections of my reply attempt to correct secularist shortcomings in theHabermasian sense into the direction of post-secular International Relations.

Elizabeth Shakman HurdDebates within a Single Church: Secularism and IR TheoryZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 135-148

»How does religion relate to international relations theory?« is a question circulatingin International Relations. This essay considers the possibility that there is no uni-versal definition of religion. This means that, in an important sense, the precedingquestion makes no sense. If the categories of religion and politics are the products ofcomplex cultural, historical, religious and political negotiations, then what we needto ask is how do these categories become authoritative in particular times and places,and with what political consequences? To define the secular and the religious is aproject with political implications. Religion participates with political authority inever-changing formations that fail to align neatly with secular modernist assumptions.This essay takes a closer look at these assumptions.

Jonathan Fox/Nukhet A. SandalToward Integrating Religion into International Relations TheoryZIB, Vol. 17, No. 1, pp. 149-159

This study discusses the multiple potential influences of religion on international re-lations. These include religious legitimacy, religious worldviews, non-state religiousactors including religious institutions, local religious issues crossing borders, trans-national religious movements, religious terror, and international issues which overlapwith religion such as human rights, the status of women, proselytizing, family plan-

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ning and stem-cell research. We then begin the process of integrating an understandingof these issues into a major international relations theory: Classical Realism. We findthat Classical Realism has room for religion in its role as an explanatory theory, butis not as accepting of religion in its policy prescription role.

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Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Mariano Barbato Dr., Professor für Internationale Politik an der UniversitätPassau, Leopoldstraße 4, 94032 Passau,E-Mail: [email protected]

Claudia Baumgart-Ochse Dr., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hessischen Stif-tung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Baseler Stra-ße 27-31, 60329 Frankfurt a. M.,E-Mail: [email protected]

Aurel Croissant Dr., Professor am Institut für Politische Wissenschaft derRuprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bergheimer Straße58, 69115 Heidelberg,E-Mail: [email protected]

Jonathan Fox Ph.D., Associate Professor at the Department of Political Stu-dies at Bar-Ilan University, Ramat-Gan 52900, Israel,E-Mail: [email protected]

Karsten Lehmann Dr., Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Religions-wissenschaft 2 der Universität Bayreuth, Universitätsstr. 30,GW II, 95447 Bayreuth,E-Mail: [email protected]

Johannes Marx Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politik-wissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Co-lonel-Kleinmann-Weg 2, 55099 Mainz,E-Mail: [email protected]

Thomas Metz M.A., Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft derRuprecht-Karls-Universität Heidelberg und Stipendiat HGSMathComp, Im Neuenheimer Feld 368, 69120 Heidelberg,E-Mail: [email protected]

Nukhet A. Sandal B.A., Ph.D. candidate at the School of International Relationsat University of Southern California, 3518 Trousdale Park-way, 330 Von Kleinsmid Center, Los Angeles, CA90089-0043, USA,E-Mail: [email protected]

Nicolas Schwank Dr., Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaftder Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bergheimer Stra-ße 58, 69115 Heidelberg,E-Mail: [email protected]

Zeitschrift für Internationale Beziehungen17. Jg. (2010) Heft 1, S. 167 – 168

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Elizabeth Shakman Hurd Ph.D., Assistant Professor at the Department of PoliticalScience at Northwestern University, 601 University Place,Evanston, IL 60208, USA,E-Mail: [email protected]

Christoph Trinn M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politi-sche Wissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidel-berg, Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg,E-Mail: [email protected]

Uwe Wagschal Dr., Professor für Vergleichende Regierungslehre am Semi-nar für Wissenschaftliche Politik der Albert-Ludwigs-Uni-versität Freiburg, Werthmannstraße 12, 79085 Freiburg,E-Mail: [email protected]

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