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HÖRT MAL ALLE HER... Vom Ende der Kollektivappelle KEIN LERNEN OHNE REGELN Interview mit Professor Manfred Holodynski NR.14 SEP/2011

NR.14 SEP/2011 HÖRT MAL ALLE HER Vom Ende der ... · Berufl iche Schule: Wolfgang Rupp ... Die aktuelle Ausgabe der BILDUNG BEWEGT hat sich daher dieses Thema auf die Druckfahnen

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HessischesKultusministerium

Amt für Lehrerbildung

Stuttgarter Straû e 18-2460329 Frankfurt am Main

www.afl .hessen.de

HÖRT MAL ALLE HER...Vom Ende der Kollektivappelle

KEIN LERNEN OHNE REGELNInterview mit Professor Manfred Holodynski

NR.14 SEP/2011

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BILDUNG BEWEGT NR.14 SEP/2011 352 BILDUNG BEWEGT NR.14 SEP/2011

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ADRESSEN & ANSPRECHPARTNERAmt für LehrerbildungHauptsitz: Erwin-Stein-HausStuttgarter Straû e 18-24, 60329 Frankfurtwww.afl .hessen.depoststelle@afl .hessen.de Tel.: +49 (0) 69 38 989-00Fax: +49 (0) 69 38 989-607

Leitung des Amtes für LehrerbildungDirektor: Frank SauerlandTel. + 49 (0) 69 38 989-300Ständige Vertreterin des Direktors: Helga KennerknechtTel. + 49 (0) 69 38 989-310Ständiger Vertreter des Direktors: Joachim SchmidtTel. + 49 (0) 69 38 989-201

Erste StaatsprüfungenHartmut Hasenkamp Tel. + 49 (0) 6421 616 474

Bewerbungen für den VorbereitungsdienstManfred LückTel. + 49 (0) 561 80 78-197

Vorbereitungsdienst und Zweite StaatsprüfungenGrund-, Haupt-, Real- und Förderschule: Renate KummetatTel. + 49 (0) 69 38 989-302Gymnasium: Helga KennerknechtTel. + 49 (0) 69 38 989-310Berufl iche Schule: Wolfgang RuppTel. + 49 (0) 69 38 989-313

Fortbildung, Weiterbildung und FührungskräfteentwicklungFortbildung Unterrichtsentwicklung: Dr. Christian Kubina Tel. + 49 (0) 69 38 989-206Weiterbildung: Sibylle BuchtalekTel. + 49 (0) 641 48 00 36 23Führungskräfteentwicklung: Carmen KloftTel. + 49 (0) 6257 93 46-50

Public Relations und PublikationenSabine StahlTel. + 49 (0) 69 38 989-254Bestelladresse für Publikationen und DrucksachenE-Mail: ekom-afl @evim.de

DIE TAGUNGSEINRICHTUNGEN DES AMTES FÜR LEHRERBILDUNG

Rhein-Main-Gebiet / Erwin-Stein-HausStuttgarter Straû e 18-24, 60329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38 989-330

Nordhessen / Reinhardswaldschule Rothwestener Straû e 2-14, 34233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 810 10

Mittelhessen / WeilburgFrankfurter Straû e 20-22, 35781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 32 81 00

IMPRESSUMHerausgeber: Amt für Lehrerbildung

Gesamtverantwortung: Sabine Stahl

Redaktion: Justina Heinz, Sabine Stahl, Walter Zoubek

Lektorat: Rolf Engelke

Layout und Gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

Druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldatal

Mediadaten und Anzeigenannahme: Walter Zoubek

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Aufl age: 4000

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 27. Oktober 2011

Amt für LehrerbildungStuttgarter Straûe 18±2 460329 Frankfurt

bildungbewegt@afl .hessen.de

TERMINHINWEISE

Veranstaltungen im September 2011

20. MedienBildungsMesse 2011 Ob Podcasts, WEB 2.0, social Media oder

kompetenzorientiertes Unterrichten mit Internet und Multimedia, solche und viele weitere Themen bietet die MedienBildungs-Messe. Eingeladen sind Lehrerinnen und Lehrer und alle, die an der Frage interessiert sind, was es Neues gibt beim Einsatz Neuer Medien in Schule und Unterricht und wie Medien das Lehren und Lernen in der Zukunft verändern werden.

Ort: J. W. Goethe-Universität Frankfurt, Campus Westend

Nähere Informationen: www.afl .hessen.de

Veranstaltungen im Oktober 2011

12.-16. Frankfurter Buchmesse 2011 Ehrengast: Island Ort: Messe Frankfurt Nähere Informationen: www.buchmesse.de

14.-15. ¹ Lernen bewegtª ± Der Bildungskongress auf der Frankfurter Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse lädt Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher und lebenslang Lernende zu einem zweitägigen Fachkongress ein. Das Weiterbildungsange-bot richtet sich am 14.10. an Erzieherinnen und Erzieher mit Workshops rund um die Themen ¹ Bewegung und Spracheª , ¹ Musik- und Bewegungsideenª oder ¹ Anregungen zu einem bewegten Kennenlern-Elternabendª .

Der Buchmesse-Samstag (15.10.) richtet sich an Lehrkräfte aller Schulformen. Nach einer einführenden Diskussionsrunde zum Thema ¹ Besser lernen mit Bewegung. Aber wie?ª vertiefen Workshops das Thema und zeigen z.B., wie Bewegung im Ganztag funktioniert, wie Mathematiklernen durch Bewegung optimiert werden kann oder was Artistik-Projekte in der Schule bewirken.

Ort: Messe Frankfurt, Halle 4.2 Nähere Informationen:

www.buchmesse.de/bildungskongress

28. KUSS 2011 Preisverleihung des Förderpreises ¹ Kompe-

tenz in Universität, Seminar und Schuleª Ort: Lessing-Gymnasium, Frankfurt am Main Nähere Informationen: www.afl .hessen.de

Liebe Leserinnen und Leser,

Manchmal wird der Beruf des Lehrers auch mit dem des Piloten verglichen. Nicht nur deswegen, weil es auf einem Rollfeld ungefähr so laut ist wie in manch schlecht isolierter Turnhalle; nicht nur deswegen, weil in beiden Berufen hohe Sorgfalt erwartet wird, da beide mit der Verantwortung über Menschen verbunden sind ± wenngleich die Folgen mangelnder Sorgfalt beim Piloten schneller und dramatischer sichtbar werden; nicht nur deswegen, weil in beiden Berufen hochkomplexe Situationen auftreten können, sondern auch, weil häufi g sichere und richtige Entscheidungen blitzschnell getroffen werden müssen. Wie kann es also funktionieren, die Unvorhersagbarkeit von Ereignissen und die Komplexität von Geschehnissen in den Griff zu bekommen? Zumindest für den Unterricht im Klassenzimmer könnte es eine Antwort geben: effi ziente Klassenführung oder Classroom-Management.

Die aktuelle Ausgabe der BILDUNG BEWEGT hat sich daher dieses Thema auf die Druckfahnen geschrieben. Es schlieû t fast nahtlos an die Erkenntnisse aus ¹ Visible Learningª an (letzte Ausgabe der BILDUNG BEWEGT) und beleuchtet einen der bedeutsamsten unterrichtsrelevanten Erfolgsfaktoren aus verschiedenen Blickwinkeln.

Warum dies? Weil kognitiv anregender Unterricht in der Regel nur dort stattfi ndet, wo gute Klassen-führung praktiziert wird. Sie markiert eine wesentliche Gelingensbedingung für guten Unterricht (S.4). Umso erstaunlicher, dass diese zentrale Fähigkeit von Lehrkräften in der Aus- und Fortbildung bislang so wenig Beachtung fi ndet (S. 10). Dabei ist sie nicht nur für den Unterrichtserfolg sondern auch für das Klassenklima, die Gesundheit von Lehrkräften uvm. bedeutsam. Gut also, dass die theoretische Fundie-rung des Themas gleich auch mit praktischen Beispielen zur Klassenführung illustriert wird (S. 18).

Alle Ausführungen zum Leitthema bewegen sich dabei immer auch im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen von Individuum und Gruppe, zwischen der Balance aus Regeln und Freiheit, zwischen Führung und Management.

Ist es dabei gerecht, alle Schülerinnen und Schüler gleich zu behandeln ± oder was bedeuten Gleich-heit und Gerechtigkeit im System Schule? Dieser Gedankenführung kann ab Seite 29 gefolgt werden.

Darüber hinaus verwöhnt Sie diese Ausgabe mit Artikeln zur Inklusion, zu Bildungsreformen und Beratungskompetenz.

Die BILDUNG BEWEGT wünscht allgegenwärtige, herausfordernde und mobilisierende Leseaugenblicke.

Frank Sauerland Sabine StahlAmtsleiter Chefredakteurin

EDITORIAL

Frank Sauerland / Amtsleiter Sabine Stahl / Chefredakteurin

HÖRT MAL ALLE HER¼

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EDIToRIAL

Hört mal alle her¼ ................................................................ 2

LEITARTIKEL

Hört mal alle her... ................................................................. 4Aktivierender Unterricht braucht effi ziente Klassenführung und individualisierte Ansprache. Vom Ende der Kollektivappelle

NACHGEFRAGT

Kein Lernen ohne Regeln ................................................... 10Interview mit Professor Manfred Holodynski

BILDUNG IM BLICK

Inklusion und Heterogenität: Nur zwei Schlagworte? ...................................................... 14

Classroom-Management ± bevor kleine Konfl ikte groû werden ................................ 18

Stresstest für Bildungsreformen? ..................................... 22Unterricht zwischen Empirie, Hirnforschung und Reformpädagogik

Beratungskompetenz durch den Einsatz von Lehrvideos .............................................. 26Ein praxisorientierter Zugang durch die Analyse von Lehrvideos zur Beratung in Schulen

ERFoRSCHT UND ENTWICKELT

Gleich oder gerecht? ......................................................... 29Warum Bildungsgerechtigkeit weniger eine Klassenfrage als vielmehr eine Frage der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen im Klassenzimmer ist.

PINBoARD 32

ADRESSEN & ANSPRECHPARTNER 35IMPRESSUM

INHALT

Amt für Lehrerbildung

DVD

26 BERATUNGSKoMPETENZ DURCH DEN EINSATZ VoN LEHRVIDEoS

10 KEIN LERNEN oHNE REGELN Interview mit Professor

Manfred Holodynski

4 HöRT MAL ALLE HER... Vom Ende der Kollektivappelle

BILDUNG BEWEGT NR.14 SEP/2011 3

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LEITARTIKEL

Disziplinierung ¼ Allgegenwärtigkeit ¼ Reibungslosigkeit ¼ Gruppenmobi-lisierung ¼ Herausforderung ¼ Angesichts dieser Begriffl ichkeiten mag sich bei einigen Leserinnen und Lesern das fl aue Gefühl einschleichen, sie befi nden sich in den 70er Jahren. Und vor ihrem geistigen Auge erscheint ein in Würde ergrauter Pädagoge im beigefarbenen Karojacket, der vor rotwangigen Refe-rendaren zum Thema Disziplin im Klassenraum referiert. Wenn es Ihnen aber jetzt gelingt, das leicht Altbackene der Begriffe abzustreifen und sich auf deren Bedeutung einzulassen, dann befi nden sie sich urplötzlich wieder im 21. Jahr-hundert, mitten in der frisch aufbrandenden pädagogischen Diskussion um das Thema Klassenführung bzw. classroom-Management. Der Diskurs legitimiert sich aus empirischen Erkenntnissen, nach denen ohne effi ziente Klassenführung kein kognitiv anregender Unterricht möglich ist (vgl. BAUMERT/KLIEME).

HöRT MAL ALLE HERAktivierender Unterricht braucht effi ziente Klassenführung und individualisierte Ansprache. Vom Ende der Kollektivappelle.

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LEITARTIKEL

In deutschen Klassenzimmern ist der Alltag von simultanen Ge-schehnissen, Unvorhersagbarkeit,

hoher Handlungsdichte und Schnel-ligkeit geprägt. Die Komplexität und Parallelität der Ereignisse machen das Unterrichten häufi g so anspruchsvoll. Lehrkräfte müssen in einer Klasse oft innerhalb weniger Sekunden schnell, sicher und richtig entscheiden, damit der Unterricht reibungslos läuft und ein Maximum an möglicher Lernzeit bereitsteht.

Die Frage, wie sie diese Heraus-forderungen meistern können, trieb bereits in den siebziger Jahren den Unterrichtsforscher KOUNIN um. Er untersuchte Techniken effi zienter Klas-

senführung und defi nierte 1976 eben jene fünf groû en Merkmalsbereiche: Disziplinierung, Allgegenwärtigkeit, Reibungslosigkeit, Gruppenmobilisie-rung und Herausforderung.

Seine Erkenntnisse sind auch 35 Jahre später noch aktuell. Sie beschäf-tigen bedeutende Unterrichtsforscher auf der ganzen Welt und führen zu ei-

ner Art Renaissance des Themas. Jür-gen Baumert (Leiter von PISA I) sieht in effi zienter Klassenführung eine der drei wesentlichen Basisdimensionen guten Unterrichts. Olaf Köller (Leiter

des Leibnitz-Instituts) wirbt für die präventive Steuerung des Klassenge-schehens und der Neuseeländer Päda-goge und Autor John Hattie hebt das

HöRT MAL ALLE HERAktivierender Unterricht braucht effi ziente Klassenführung und individualisierte Ansprache. Vom Ende der Kollektivappelle.

Lehrkräfte müssen in einer Klasse oft innerhalb weniger Sekunden schnell, sicher und richtig entscheiden, damit der Unterricht reibungslos läuft.

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LEITARTIKEL

Classroom-Management gar in den Rang der zehn wirksamsten Lehrstra-tegien. (vgl. Bildung bewegt Nr. 13)

Überhaupt Neuseeland: Wäh-rend das Thema Klassenführung in Deutschland erst allmählich an Be-deutung gewinnt und nicht als eige-ne ¹ Disziplinª in der Lehrerbildung verankert ist, wird in dem Inselstaat das Classroom-Management angehen-den Lehrkräften bereits seit Jahren wie Muttermilch infiltriert. Die ¹ Kiwisª gehen sogar noch weiter. Bei Perso-nalentscheidungen an Schulen wird die Fähigkeit, eine Klasse erfolgreich zu managen, häufig als bedeutende-res Einstellungskriterium herange-zogen als das Kriterium Fachlichkeit. Ein hochaktuelles Thema also, das es verdient, in seinen Facetten beleuch-tet zu werden.

Diener oder Herrin Alleine die Begrifflichkeiten Klassen-führung oder Classroom-Management offenbaren zahlreiche Handlungsdi-mensionen. Unterrichtsgestaltung, Beziehungsarbeit, aber auch Verhal-tenskontrolle und Disziplinierung sind schnell genannt. Hinter den Begriffen von Führung und Management verber-gen sich je nach Kulturraum allerdings durchaus unterschiedliche Vorstellun-gen und Haltungen. Während bei ei-nem personenzentrierten Verständnis die Beziehung zwischen Lehrperson und Lernenden im Mittelpunkt steht (vgl. MAYR), fokussiert das klassische Classroom-Management stärker auf Regelsetzung und Überwachung.

Also Führung versus Manage-ment im Klassenraum? Mitnichten. Denn die Lehrkraft in ihrer Rolle als Berater, Moderator oder Lernbeglei-ter steht in keinem Widerspruch zu Disziplinierungsaktivitäten und Füh-rungshandeln. Vielmehr bedeutet Führungsverhalten im Unterricht, sich geschickt im Spannungsfeld von prä-ventivem, lernaktivierendem Verhal-ten und wirkungsvoller Intervention zu bewegen. Führung ¹ dient (schlieû -lich) dazu, Probleme erfolgreicher zu lösen. (¼ ) Andere Menschen an-zuleiten hat sich in der Geschichte

letztlich nur durch einen einzigen Grund legitimiert, nämlich um gemein-same Herausforderungen erfolgreicher

zu bewältigen als ohne Führung.ª (ALZENAUER). Max De Pree, Vorstands- vorsitzender eines groû en amerika- nischen Unternehmens, hat dieses Können so beschrieben: ¹ Die erste Aufgabe einer Führungskraft ist es, die Realität zu definieren, die letzte ist es, sich bei den Mitarbeitern für ihre Leistungen zu bedanken. Dazwi-schen ist der Leitende ein Diener.ª (DE PREE)

Klassenführung in diesem Sinne ist Haltung und Methode zugleich. Sie sorgt für Zielklarheit, wertschätzt Schülerleistung und -persönlichkeit. Dazwischen ist die führende Lehr-kraft Lernbegleiter. Sie schafft aktivie-rende Unterrichtsstrukturen, definiert Regeln im Klassenraum, sorgt für die fortgesetzte Auseinandersetzung mit Unterrichtsthemen und ± inhalten. Klassenführung hat daher weniger mit der Ausübung von Macht zu tun, als vielmehr mit dem positiven Um-gang klar definierter Abhängigkeiten. Sie spielt sich zwischen den Menschen und in der Kultur des Miteinanders, also auf dem Feld der sozialen Bezie-hungen im Klassenraum, ab.

Das ¹ Managenª von Unterricht ori-entiert sich stärker an Techniken, an der Prozessgestaltung, aber auch an Hier-archien. Wenn einzelne Aktivitäten ge-steuert, Anweisungen gegeben, inhaltli-che Übergänge und Methodenwechsel geplant werden, dann dominiert der operative Aspekt. Nun soll nicht der Eindruck entstehen, Führen wäre wert-voller als Managen. Denn ohne letzteres Können der Lehrkräfte liefe der Unter-richt Gefahr, im Chaos zu versinken. Allerdings würde eine zu starke Orien-

tierung am Lerngruppenmanagement auch dazu führen, Unterricht zu büro-kratisieren und zu überreglementieren; mit den bekannten Folgephänomenen wie Langeweile und Demotivation. An deren Ende steht dann häufig die Un-terrichtsstörung.

Es gilt also, eine ausgewogene Ba-lance zu finden und beide Fähigkeiten miteinander in Einklang zu bringen: die Führung der Klasse und das Managen.

Erfolgreich Handeln, aber wie? Lehrkräfte verfügen über einschlägiges Alltagswissen, sie nutzen eine beträcht-liche Vielfalt an pädagogischen Hand-lungsstrategien, und die Bandbreite ihres Unterrichtsverhaltens ist groû . Aber nicht jedes Handlungsmuster ist vom gleichen Erfolg gekrönt. Bei der einen Lehrkraft kommt es häufig zu Unterrichtstörungen, bei der anderen sind die Klassen fast immer konzen- triert dabei. Auch wenn es nicht das eine sinnvolle pädagogische Handeln gibt, zeichnen sich bei aller Vielschichtigkeit des Führungsverständnisses dennoch Handlungsmuster wirkungsvoller Klas-senführung ab.

Lehrkräfte mit solch erfolgreichen Mustern fördern soziale Beziehungen und wertschätzen ihre Schülerinnen und Schüler. Sie machen einen interessanten, gut strukturierten Unterricht, dessen In-halte für die Lernenden bedeutsam sind. Und sie sind extrem aufmerksam für alle Vorgänge im Klassenraum und formu-lierten klare Verhaltenserwartungen an die Lernenden. Diese Fähigkeiten lassen sich unter den Überbegriffen Beziehungs- förderung, Unterrichtsgestaltung und Ver- haltenkontrolle summieren (vgl. MAYR).

Es klingt banal und ist doch im-mens bedeutsam: Zwischen dem Füh-rungsverhalten der Lehrkraft und dem Störpotenzial in Klassen sowie der Mitarbeit der Schülerinnen und Schü-ler bestehen sehr enge Zusammen-hänge. Sie treten besonders bei den Faktoren Unterrichtsgestaltung und Beziehungsförderung hervor.

Neben dem Fachwissen und Kön-nen einer Lehrkraft, das Vorausset-zung für interessanten Unterricht ist, spielen soziale Prozesse eine wichti-

Also Führung versus Management im Klassenraum? Mitnich-ten. Denn die Lehrkraft in ihrer Rolle als Berater, Moderator oder Lernbegleiter steht in keinem Widerspruch zu Diszi-plinierungsaktivitäten und Führungshandeln.

Es klingt banal und ist doch immens bedeutsam: Zwischen dem Führungsverhalten der Lehrkraft und dem Störpotenzial in Klassen sowie der Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler bestehen sehr enge Zusammenhänge.

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LEITARTIKEL

ge Rolle. Jede Lehrkraft hat ihre ge-meinsame Geschichte mit einer Klas-se, mit Gruppen der Klasse und mit jedem einzelnen Kind. In diesen Be-ziehungsgeflechten treffen kongru-ente wie differierende Gruppen- und Einzelinteressen immer wieder neu aufeinander. Klassen gut zu führen bedeutet daher nicht nur, gemein-same Ziele im Auge zu behalten. Die Lehrkraft sorgt auch mit Hilfe ei-nes authentischen Verhaltens, durch Schülermitbestimmung und intensi-ve Kommunikation dafür, dass die Lerngruppe ihr die Unterstützung nicht entzieht. Denn ¹ eine Führungs-kraft muss sicherstellen, dass sie sich ihrer wichtigsten Machtquelle nicht beraubt: der Legitimation durch die Geführtenª . (ALZENAUER)

Es ist schlieû lich ein Ziel von Lehr-kräften, dass Schülerinnen und Schüler bestimmte erwünschte Verhaltenswei-sen zeigen. Dies setzt jedoch voraus, dass sie der ¹K lassen-Führendenª auch folgen (wollen). So werden im Erfolgs-fall dann Normen und Werte durch die Lehrkraft zwar vorgegeben, diese aber gemeinsam mit den Lernenden ausgehandelt (vgl. SEIDEL).

Irgendwo zwischen Anarchie und Hierarchie, zwischen Setzung und Aushandlungsprozess ist also jenes virtuose Moment angesiedelt, das zu dem gewünschten Ziel führt: einer Klasse, die in konzentrierter Arbeitsat-mosphäre, mit gegenseitiger Unter-stützung, groû er Selbstständigkeit und hoher Inhaltsorientierung denkt und lernt.

Mit Klarheit und Härte gegen StörungenNun sieht die Wirklichkeit gelegent-lich anders aus als das Wunschbild. Alle 1,7 Minuten waren noch in den 50er Jahren in der Grundschule erzie-herische und auch disziplinierende Handlungen notwendig, in der Se-kundarstufe I immerhin noch alle 3,4 Minuten (TAUSCH). Auch wenn Lehr-kräfte das Problem der Unterrichts-störung individuell unterschiedlich

wahrnehmen und sich die grundsätz-liche Frage stellt, welches Verhalten überhaupt als Unterrichtsstörung ge-wertet wird, treffen Lehrkräfte in einer durchschnittlichen Unterrichtswoche rund 5000 Entscheidungen und werden ca. 1900 mal erzieherisch oder disziplinierend tätig. Lautes Schwätzen, sachfremde Orientie-rung, umher fliegende Radiergum-mies oder vergessene Materialien zählen zu prominenten Kandidaten unerwünschter Verhaltensweisen. Es kommt demnach nicht von irgend-woher, dass beim Gedanken an Klas-senführung sehr schnell Disziplinie-rungsmaû nahmen ins Feld geführt werden. Disziplin, Regelklarheit und Struktur gelten folglich als Schlüssel für den produktiven Umgang mit Un-

terrichtsstörungen, wobei Kounin drei wichtige Dimensionen unterschieden hat: Klarheit, Festigkeit und Härte (KOUNIN).

Klarheit bedeutet, ein Fehlver-halten zu erkennen, es zu benennen und - noch besser - es durch konkrete Angabe des gewünschten Verhaltens zu unterbinden. Mit der Klarheit geht die Ernsthaftigkeit einher. Lehrende gehen dem Fehlverhalten sowie den Disziplinierungsmaû nahmen nach, bis das Fehlverhalten eingestellt ist, ent-wickeln gewissermaû en eine Terrier-mentalität. Und schlieû lich kommt noch die Härte hinzu. Hier verstanden als sichtbar ausgedrückter Ärger auf Seiten der Lehrkraft, dem konsequent die Strafandrohung und dann die tatsächliche Erteilung folgt. Optima- lerweise werden mit den Maû nahmen auch immer die tatsächlichen Urheber getroffen. Undifferenzierte, anonymi-sierte Anweisungen wie, ¹ Jetzt seid mal alle still!ª , sind zwar schnell gesagt, tragen aber auf Dauer nicht zur ge-wünschten Wirkung bei. Noch proble-matischer wirken sich Verhaltensweisen wie Ungeduld, Demütigung, uneinsich-tige Strafen oder das Ausspielen der Machtposition aus, die gewissermaû en wie ein Durchlauferhitzer auf dem Weg zur Eskalation wirken.

Gesucht: Vieläugig und multitaskingfähigZwischen der Fähigkeit, der Klasse zu zeigen, dass man über alle Situationen im Klassenraum Bescheid weiû , recht-zeitig eingreift und dabei die Richti-gen ¹e rwischtª , und der produktiven Aktivität der Lernenden gibt es einen systematischen Zusammenhang - die Anzahl an Unterrichtsstörungen sinkt und die Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler steigt. Allgegenwärtigkeit oder treffender with-it-ness wird diese präventive Steuerung des Klassenge-schehens genannt.

Da im Unterricht Ereignisse häu-fig gleichzeitig passieren, scheint ¹ die (¼) Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten zu könnenª (SEIDEL), also Parallelvor-gänge im Klassenraum zu steuern, er-folgversprechend. Allerdings gibt es dabei einen Haken. Das Problem liegt in Erkenntnissen zur Aufmerksamkeits-forschung. So haben Studien ergeben, dass die selektive Aufmerksamkeit zu einem gegebenen Zeitpunkt nur auf einen bestimmten Ort gerichtet sein kann. Sie ist also nicht teilbar. Hirnfor-scher Manfred Spitzer vergleicht die selektive Aufmerksamkeit daher mit einem Scheinwerfer, den man nicht gleichzeitig nach links und nach rechts richten kann (SPITZER). Schnelles hin und her springen ist zwar möglich, aber dennoch ist die Aufmerksamkeit zwischen diesen Sprüngen auf einen Ort gerichtet. Und: Es scheint so zu sein, dass nur eine bestimmte, be-grenzte Menge an Informationsverar-beitungskapazität zur Verfügung steht. Für eine Lehrkraft hieû e dies, ihre Auf-merksamkeit immer wieder unglaub-lich schnell auf neue Situationen zu fokussieren, von Schüler zu Schülerin zu springen.

Das Dilemma bleibt dennoch. Denn egal wie schnell die Lehrperson neu fokussiert, in exakt dem Moment der Konzentration auf einen Ort (hier: der zu ermahnende Schüler) kann sie zumindest nicht mit gleicher Aufmerk-samkeit beim Rest der Klasse sein und beispielsweise einen Sachverhalt erläutern. Es gilt also ein wenig, die Il-lusion der Allgegenwärtigkeit aufrecht zu halten. Zur Terriermentalität kommt also noch das Pokerface hinzu.

All diese Techniken sind Vehikel, um Rahmenbedingungen zu schaf-fen, damit die zur Verfügung ste-hende Zeit überhaupt für Lernakti-vitäten genutzt werden kann. Wenn Schülerinnen und Schüler zwischen schulischen Lerninhalten und eige-

Es kommt demnach nicht von irgendwoher, dass beim Gedanken an Klassenführung sehr schnell Disziplinierungs-maû nahmen ins Feld geführt werden. Disziplin, Regelklarheit und Struktur gelten folglich als Schlüssel für den produktiven Umgang mit Unterrichtsstörungen.

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LEITARTIKEL

nen Lebensinteressen allerdings dauerhaft keine Bezüge herstellen können, werden sie konsequent die Möglichkeit nutzen, sich mit inter-essanteren Dingen zu befassen. Sie wenden sich dann echten Interessen zu, in dem sie physiologische Grund-bedürfnisse befriedigen (Bsp. im Un-terricht essen), Aspekte sozialer Zu-gehörigkeit bearbeiten (schwätzen), der Langeweile entgegen wirken (stören) oder, oder, oder... Dabei ver- halten sie sich in ihrer Logik ver-mutlich sehr konsequent, weil sie derjenigen Tätigkeit nachgehen, die ihnen zumindest kurzfristig die gröû te Motivation bringt.

Es zeigt sich also, dass Disziplinie-rungsmaû nahmen zur Unterbindung von Störungen kein Allheilmittel sind, da sie nicht die Wurzel sondern nur das Symptom bekämpfen. Die Palette der Disziplinierungsmaû nahmen scheint daher auch nicht der entscheidende Faktor für effektive Klassenführung zu sein (SEIDEL). Problem und Lösung sit-zen tiefer, beispielsweise beim Thema Motivation.

Motivation und Aufmerksamkeit¹ Geht man den Gründen für die Fra-ge zur Motivationserzeugung nach, so stellt sich heraus, dass es letztlich um Probleme geht, die jemand da-mit hat, dass ein anderer nicht das tun will, was er selbst will, das es der andere tutª (SPITZER). Extrinsische Zielsetzungen, wie beispielsweise die Erreichung von Bildungsstandards, liegen zunächst sicher nicht ganz oben auf der primären Bedürfnis-skala der Schülerinnen und Schüler. Eine Lehrkraft sieht sich daher vor die Herausforderung gestellt, Ziele und Inhalte an ihre Schülerschaft heran- zutragen und ihren Unterricht dabei so zu gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler die Ziele in ihre eigenen Motivationslagen integrieren und in-ternalisieren können. Lernaktivitäten und Interessenlagen der Schulkinder

müssen demnach in die gewünschte Richtung gesteuert werden. Dabei sind zugegebenermaû en viele Wege möglich. Wenn der Unterricht attrak-tiv und spannend ist, ist die Klasse

wie gebannt und klebt förmlich an den Lippen der Lehrkraft. Handelt es sich um einen ausgesprochen humor-vollen Lehrer, kann auch ein zäher In-halt durchaus störungsarm über die

Bühne gehen. Kennt die Lehrperson die Voraussetzungen der Lernenden, hat Verständnis und geht individuell sie ein, danken es Schülerinnen und Schüler mit reichlich Aufmerksamkeit (DOLLASE). Man könnte es so um-schreiben: In den Lernenden lesen können, ihr Verhalten studieren, Un-terrichtssituationen mit deren Augen sehen und ihre individuellen Beweg-gründe kennen ± dies sind hilfreiche Wegbegleiter, um Lernende zu mo-tivieren und ihre Aufmerksamkeit zu binden.

Dabei helfen Motivationsmodelle, um zu Grunde liegende Mechanis-men zu verstehen, deuten zu lernen und für die Unterrichtsgestaltung und das Miteinander zu nutzen. Alle Mo-delle basieren auf der Annahme, dass Menschen zu Leistung motiviert sind, wenn Möglichkeiten und Anreize ent-sprechend passen. Es gilt also, das passende Werkzeug, den passenden Ton, die passende Motivationsstell-schraube für die vielen Individuen im Klassenraum zu finden.

Motivation hat dabei sehr grundle-gend mit Interesse, Einsichten, Beweg-gründen und Bedürfnissen zu tun. Wer Menschen motivieren möchte, tut sich ohne entsprechende Kenntnisse mitun-ter schwer. Der amerikanische Psycholo-ge Maslow hat bereits in den 80er und 90er Jahren seine Forschungsergebnis-se zur Motivation in einem Motivations-

modell beschrieben und dort elemen-tare menschliche Bedürfnisse in eine hierarchische Stufung gebracht. Die grundlegendste Stufe sind physiologi-sche Bedürfnisse (wie Hunger, Durst,

Schlaf), gefolgt von Sicherheitsbedürf-nissen (wie Geborgenheit, Versagens-ängste, Vertrauen), dem Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit (wie menschliche Zuwendung, Klassengemeinschaft), der

Wertschätzung (wie ¹ Ichª -Bedürfnisse, Prestige, Anerkennung von Leistung) und zuletzt der Selbstverwirklichung (wie Herausforderungen bewältigen, Prüfungen bestehen).

Physiologische Grundbedürfnisse sind dabei so elementar, dass sich ein Mensch nur schwer bis gar nicht auf höherrangige Bereiche konzentrieren kann, wenn elementare Motive nicht befriedigt sind. Mit anderen Worten: Wer morgens mit starkem Hunger oder völlig unausgeschlafen in die Schule kommt, für den wird sich die Frage nach der Befriedigung höher-stufiger Motive wie Anerkennung durch Schulleistungen gar nicht erst stellen. Oder: Wenn ein Kind in der Schule massiv Ausgrenzung und Ge-ringschätzung erfährt, dann sind sei-ne elementaren sozialen und Sicher-heitsbedürfnisse so ¹ gestörtª , dass es dem ± auf welchem Wege und mit welchem Verhalten auch immer - ent-gegensteuern wird. Allzu häufig zäh-len zu diesem Verhalten auch uner-wünschte Unterrichtsstörungen.

Es zeigt sich demnach, dass die Frage, wie viel Leistung Lernende abrufen können, von deren Motiva-tion und Aufmerksamkeit ± und zwar nicht nur von der augenblicklichen ± abhängt. Wenn Schülerinnen und Schüler unaufmerksam sind und schwätzen, dann räumen sie dem Be-dürfnis nach sozialer Zugehörigkeit in diesem Augenblick Vorrang vor dem aus schulischer Perspektive wichtige-ren Ziel ein, sich mit dem Inhalt eines Schulfaches gut auszukennen. Hier ergeben sich wichtige Ansatzpunkte für pädagogisches Handeln. Wo ste-hen Lernende? Was beschäftigt oder demotiviert sie gerade? Was ist ihnen wichtig, und wie können richtige An-reize gesetzt werden?

Kollektivansprache adéIn diesem Geschäft haben Lehrkräfte und Sporttrainer viel gemein. In bei-den Berufen ist es Ziel, Einzelne zu gu-

Die Palette der Disziplinierungsmaû nahmen scheint nicht der entscheidende Faktor für effektive Klassenführung zu sein. Problem und Lösung sitzen tiefer, beispielsweise beim Thema Motivation.

Es gilt also, das passende Werkzeug, den passenden Ton, die passende Motivationsstellschraube für die vielen Individuen im Klassenraum zu finden. Motivation hat dabei sehr grund-legend mit Motiven oder Bedürfnissen zu tun.

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ten Leistungen zu motivieren und sie in ihren Fähigkeiten und Kenntnissen optimal zu unterstützen. In beiden Be-rufen spielen neben der Kompetenz Einzelner auch Gruppenaspekte und Teamdynamik eine wichtige Rolle.

Zwischen Klassen- und Team-führung, zwischen Spitzenunterricht und Spitzensport gibt es erstaunli-che Parallelen. Der Fuû balltrainer Ralf Rangnick greift beispielsweise auf Teamprofile zurück, um seine Spie-ler individuell zu motivieren. Er ab-strahiert die Bedürfnisse der Spieler und setzt dann entsprechend koordi-nierte, individualisierte, passgenaue Appelle (SEIDELMANN). Auch die Erfolgtrainer Jürgen Klopp und Jür- gen Klinsmann sind Trainercharak-tere, die sehr genau wissen wollen, wie sie ihre Spieler gezielt motivie-ren können. Als Verfechter moderner

Trainingsmethoden zählen psycholo-gische Hilfsmittel, Evaluationsbögen zu zentralen Lebensmotiven und Ein-zelgespräche ebenso zum Repertoire wie das fuû ballerische Fachwissen. Was vor Jahren mit Leistungsdia-gnostik begann, gipfelt inzwischen in vielen Erfolgsvereinen in Persönlich-keitsdiagrammen zur Motivstruktur der Spieler.

Aber unabhängig davon, welche Berater oder Methoden im Detail zum Einsatz kommen, sie alle verfolgen ein Ziel: die verschiedenen Lebensentwür-fe der Spieler besser kennenzulernen, um aus dem allgemeinen Gewirr der Stimmen auch die Einzelne herauszu-hören und gezielt anzusprechen.

Denn auch wenn vermeintlich alle das gleiche Ziel haben, die Fuû -ballspieler wollen das nächste Spiel gewinnen, die Schülerinnen und Schüler die nächste Klassenarbeit gut schreiben, ist die zugrunde liegende Leistungsmotivation von Spieler zu Spieler, von Schüler zu Schüler sehr verschieden. Der Diplomsportlehrer Peter Boltersdorf, der Mainz 05 un-ter Trainer Klopp beraten hat, betont: ¹G leichbehandlung (¼) heiû t nicht gleich behandeln, sondern immer in-dividuellª . Und er führt weiter aus, dass ¹G emeinschafts-Appelle (¼) oft wenig zielführendª seien (MÜLLENDER).

Aktivität heiû t nicht allgemeine AktivitätDie intensive Auseinandersetzung mit dem einzelnen Spieler oder Lernen-den, ob nun auf dem Rasen oder im Klassenraum, macht demnach einen wichtigen qualitativen Unterschied aus. Aber: Kein Lehrer dieser Welt kann es seinen Schülerinnen und Schülern abnehmen, sich Wissen, Können und Kompetenzen schluss-endlich doch aktiv und selbst zu er-arbeiten. Allerdings kann er oder sie für unterstützende Lernumgebungen sorgen, zum vertieften Nachdenken über Gegenstände des Unterrichts anregen, strukturierte, individuelle Hil-festellungen geben, komplexe Sach-verhalte gliedern und damit besser be-greifbar machen. Und die Lehrkraft kann Lernaktivitäten abwechslungs-reich und anspruchsvoll gestalten,

in dem sie beispielsweise über Art, Schwere und Umfang von Aufgaben steuert, die Gruppengröû e und ±z u-sammensetzung variiert, Arbeitsmittel und -methoden abwechselt. Solche Unterrichtsmethoden erzeugen Auf-merksamkeit. Und Aufmerksamkeit ist Voraussetzung für Lernen. Auch mit relativ einfachen ¹ Technikenª lässt sich bereits Spannung erzeugen. Wenn eine Lehrperson, bevor sie Schülerin-nen und Schüler aufruft, kurz pausiert, den Blickkontakt mit möglichst vielen Kindern sucht und immer wieder un-terschiedliche aufruft, dann verhält sie sich nicht berechenbar und erzeugt so schon Spannung. Und wenn es ihr dann noch gelingt, den Unterrichts-verlauf flüssig zu gestalten, Über-gangsphasen so zu organisieren, dass am Thema dran geblieben wird, dann löst sie auch noch Kounin s Forderung nach Reibungslosigkeit ein.

Klassenführung ist also kein Pro-gramm und keine schnell gelernte Technik, sie ist vielmehr die komplexe Antwort auf ein komplexes Problem, nämlich das komplexe Unterrichts-geschehen. Wenn sie gelingt, schafft sie eine wesentliche Gelingensbe-dingung für kognitiv anregenden Unterricht. Und sie ermöglicht ein gewisses Maû an Freiraum für selbst-gesteuerte Interaktion, eigenstän-

diges Denken und selbstbestimmte kognitive Lernaktivitäten der Schüle-rinnen und Schüler.

Fast könnte man sagen: Je höher der Freiheitsgrad der Unterrichtsform, je gröû er die Selbstständigkeit der Lernenden, desto klarer und geregel-ter muss der Rahmen, desto effizienter die Klassenführung sein.

SABINE STAHL

LEITARTIKEL

Literatur

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Aber: Kein Lehrer dieser Welt kann es seinen Schülerinnen und Schülern abnehmen, sich Wissen, Können und Kompe-tenzen schlussendlich doch aktiv und selbst zu erarbeiten.

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NACHGEFRAGT

Ist der pädagogische Klassiker Jacob Kounin heute noch aktuell?

Holodynski: Gewiss. Sein groû es The-ma, die Klassenführung, hat nichts von ihrer Relevanz verloren. Denn seine Arbeit bezieht sich im Grunde auf jede Form von Unterricht. Eine der zentralen Fragen, die sich jede Lehrkraft zu stellen hat, lautet doch: Wie gelingt es mir, 20 bis 30 Schülerinnen und Schüler gleich-zeitig auf einen gewünschten Lernstoff hin zu orientieren? Vor dieser Aufgabe stehe ich, wenn ich unterrichten will.

Wir haben es heute mit einem deut-lichen Wandel dessen zu tun, was wir unter Lernen verstehen. Es geht nicht mehr einfach nur um die Übergabe und das Auswendiglernen von Wissen. Wir betonen immer stärker die kogni-tive Aktivierung der Lernenden, die in die Lage versetzt werden sollen, sich Lerninhalte und Fähigkeiten auch ei-genständig aneignen zu können. Die Schülerinnen und Schüler sollen Schritt für Schritt Formen des selbstständigen Lernens entwickeln, um für ein lebens-langes Lernen gerüstet zu sein. Das ist ein enormer Anspruch, nicht nur für die Lernenden. Es fordert vor allem auch die Lehrenden, die dafür die Verant-wortung tragen, dass die Schülerinnen und Schüler in einer Klasse geeignete Lernvoraussetzungen vorfinden.

Bei einer lehrerzentrierten Vermitt-lung ist es klar, wer in der Klasse was zu tun hat. Geben wir den Schülerinnen und Schülern jedoch mehr Raum, dann

füllen sie diesen Raum auch anders aus. Sie reagieren nicht unbedingt so, dass sie sagen, ¹ ja, Herr Lehrer, wir wissen, was Sie meinen und wir wissen, was wir zu tun haben.ª Nein, sie kommen auf ganz eigene Gedanken und Ideen. Das macht zugleich Fragen der Diszip-lin noch bedeutender, und noch mehr hängt davon ob, wie interessant die Kin-der ein Thema empfinden. Meine Auf-gabe als Lehrkraft wird dadurch nicht geringer. Wie gelingt mir mein Unter-richt mit 20 oder 30 Kindern, die alle in verschiedene Richtungen denken? Wie fokussiere ich sie, dass sie sich in die Richtung auf den Lernstoff bewegen?

Aus dem englischen ¹ Classroom-Managementª wird in Deutsch ¹ Klas-senführungª , da es kaum eine direkte passende Übersetzung gibt. Dieser Begriff hat sich inzwischen etabliert. Verbirgt sich dahinter mehr als ein Repertoire von Handwerkstechniken für die einzelne Lehrkraft?

Holodynski: Das meint natürlich viel mehr, auch wenn der Begriff ¹ Klas-senführungª die Betrachtungsweise zunächst verengt. Da steht jemand vorne, der eben führt.

Wir denken sofort an lehrerzentrier-ten Unterricht.

Holodynski: Genau. Und das zweite ist, dass von Techniken gesprochen wird. Das klingt so, als komme es nur

darauf an, bestimmte Tricks anzuwen-den. Und dann funktioniert das.

Techniken, das klingt im deutschspra-chigen Raum in Bezug auf Pädagogik eher negativ. Im angelsächsischen Sprachraum ist dies anders. Da geht es schlicht um Basisfähigkeiten einer Lehrperson.

Holodynski: In der pädagogischen Dis-kussion in Deutschland waren Begriffe wie ¹ Technikenª , ¹ Managementª , ¹ Füh-rungª eher negativ konnotiert. Begriffe wie ¹ ganzheitliches Lernenª , ¹ Selbst-ständigkeitª oder ¹ Schülerorientie-rungª sind eher akzeptiert. Das macht die Diskussion um das Thema ¹ Klassen-führungª bisweilen schwierig. Kounin beschreibt eine seiner zentralen Kate-gorien mit dem Begriff der Allgegen-wärtigkeit. Das bedeutet, eine Lehrkraft ist stets auf dem Laufenden über alles Relevante, was in einer Klasse vorgeht, und vermittelt das auch ihrer Klasse. Kounin hat das in klassischen Studien als ¹ rechtzeitig auf Störungen eingehenª operationalisiert. Das mag zu der Fehl-einschätzung geführt haben, es gehe in dem gesamten Ansatz nur um eine Form von Störungsprävention. Doch die Unterrichtsstörung ist nicht der Hauptfokus von Allgegenwärtigkeit. Ich soll als Lehrkraft nachvollziehen, was meine Schülerinnen und Schüler gerade denken, wo sie sich in ihrem Lernprozess gerade befinden. Haben sie vielleicht gerade ganz andere Ge-

KEIN LERNEN ohNE REGELNKLASSENFühRUNG BEDEUTET MEhR ALS PäDAGoGISchES KRISENMANAGEMENT BEI UNTERRIchTSSTöRUNGEN

Interview mit Professor Dr. phil. Manfred Holodynski

Professor Dr. phil. Manfred Holodynski ist Univer-sitätsprofessor für Entwicklung und Erziehung am Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung

der Universität Münster. Er hat Psychologie und Pädagogik studiert, und seine Forschungsschwer-

punkte sind Klassenführung im Unterricht, Bildung im Elementarbereich und Emotionsentwicklung.

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NACHGEFRAGT

danken im Kopf? Allgegenwärtigkeit ist demnach viel umfassender gemeint.

Es geht also nicht nur um Reaktionen auf Regelverstöû e und Störungen?

Holodynski: Es geht insgesamt um Unterrichtsplanung und ± durchfüh-rung. Natürlich konzentriert sich Kou-nin in seiner Arbeit sehr intensiv auf den Prozesscharakter von Unterricht. Die Lehrperson steht vor der Klasse. Wie handelt sie dann in den verschie-denen Situationen? Er definiert dies dann ja auch in Begriffen wie ¹A llge-genwärtigkeitª , ¹S trukturierungª oder ¹Schw ungª . All dies verweist auf proze-durale Mittel. Was ist zu tun, wenn ich mich im Unterricht befinde?

Wir verstehen unter ¹K lassenfüh-rungª heute viel mehr. Wir setzen schon bei der Unterrichtsvorbereitung und bei der Wahl geeigneter Unterrichts-formen an. Walter Doyle hat dies in den 80er Jahren sehr schön formuliert: Eine gute Klassenführung nennt er eine Or-chestrierung von Unterrichtsaktivitäten. Wie fokussiere ich 20 ± 30 Schülerinnen und Schüler auf einen Unterrichtsinhalt? Ich nutze dazu verschiedene Szenarien und Lernformen wie etwa Lehrervortrag oder Unterrichtsgespräch, Wochen-planarbeit oder Stationen-Lernen. Das sind alles regelgeleitete Aktivitäten. Sie funktionieren umso besser, je mehr die Schülerinnen und Schüler wissen, was von ihnen erwartet wird und je mehr sie bereit sind, die zu Grunde liegenden Regeln zu akzeptieren.

Effektive Klassenführung und Struk-turierung des Unterrichts wirken sich demnach unmittelbar auf den Lerner-folg aus?

Holodynski: Unser Ziel muss es sein, in einer Klasse eine gewisse Struktur von Aktivitäten so weit zu etablieren, dass sie von den Schülerinnen und Schülern nicht mehr in Frage gestellt wird, dass sie nicht mehr irritiert sind und sich stän-dig aufs Neue fragen, was zu tun sei.

Gewisse lernförderliche Abläufe und Regeln sollten so klar sein, dass sich die Kinder danach richten. Wenn das erreicht ist, fällt es ihnen und der Lehr-kraft umso leichter, sich auf das Lernen zu konzentrieren. Denn die formale Un-terrichtsstruktur ist schon bekannt und akzeptiert. Diese wechselseitige Akzep-tanz wird auch unter dem Stichwort, ein positives Arbeitsbündnis zwischen Lehr-kraft und Schülerinnen und Schülern zu etablieren, diskutiert. Die Lehrkraft über-legt bei der Auswahl der Aktivitäten, was ist mein Ziel? Was sollen meine Schüle-rinnen und Schüler dabei lernen? Wann führe ich dies ein? Wir können dies alles als Technik bezeichnen. An sich geht es darum, erst einmal die Voraussetzungen in der Klasse zu schaffen, die das Lernen möglich machen.

Lassen sich diese den Unterricht ge-staltende Techniken von der pädago-gischen Dimension des Unterrichts überhaupt trennen?

Holodynski: Natürlich müssen wir im-mer fragen, was ist der Gegenstand des Lernens? Wie bereiten wir ihn so auf, dass Schülerinnen und Schüler ihn nachvollziehen können? Darauf läuft doch der gesamte Unterricht hinaus. Viele Pädagogen sehen sich leider oft eher als Lehrkraft, die als Gegenüber ei-nen Schüler bzw. eine Schülerin hat. Die

Lehrkraft glaubt dann, die ganze Klasse sei so wie ein einzelner Schüler. Wenn dann eine bestimmte didaktische Idee für diesen einzelnen Schüler funktioniert, klappt es auch für die ganze Klasse. Der Klassenführungsaspekt verdeutlicht,

dass wir eben 20 oder 30 Schülerinnen und Schüler in der Klasse haben. Wenn ich beispielsweise ein Experiment mit einem passenden Unterrichtsgespräch vorbereite, kann ich nicht davon aus-gehen, dass dies alle Kinder erreicht. Womöglich erreiche ich damit nur jene, die sich gerne beteiligen, die eloquenten Schülerinnen und Schüler, diejenigen die sowieso mitdenken. Ich blende aber aus, dass vielleicht die Hälfte der Klasse nicht gerne spricht oder einfach den Faden verliert, sich langweilt ± und dann natürlich anfängt, sich mit unterrichts-fremden Dingen zu beschäftigen. Diese zweite Dimension, dass ich es mit vielen Schülerinnen und Schülern gleichzei-tig zu tun habe, führt mich dazu, meine Fachdidaktik immer noch einmal zu be-fragen, wie eine Aktivität im Unterricht tatsächlich wirkt, wenn ich sie nicht nur mit einem Schüler durchführe, sondern mit allen in meiner Klasse.

Verdrängen Konzepte zur Klassenfüh-rung offene Formen des Unterrichts?

Holodynski: Nein, im Gegenteil. Je offener die Unterrichtsformen sein sollen, umso besser, umso effektiver muss Klassenführung sein. Klieme und Baumert haben in ihrer TIMS-Studie den Zusammenhang zwischen kog-nitiver Aktivierung der Schülerinnen und Schüler und der Klassenführung

analysiert. In Klassen, in denen eine gute kognitive Aktivierung der Schü-lerinnen und Schüler festzustellen war, wurde stets auch eine gute Klassenfüh-rung praktiziert. Es gab keine Klassen mit guter kognitiver Aktivierung und

Unser Ziel muss es sein, in einer Klasse eine gewisse Struktur von Aktivitäten so weit zu etablieren, dass sie von den Schülerinnen und Schülern nicht mehr in Frage gestellt wird, dass sie nicht mehr irritiert sind und sich ständig aufs Neue fragen, was zu tun sei.

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schlechter Klassenführung. Natürlich gab es auch viele Klassen, die zwar eine gute Klassenführung hatten, aber keine gute kognitive Aktivierung. Das legt doch den Schluss nahe, dass eine gute Klassenführung Voraussetzung dafür ist, neue Lernformen erfolgreich einzuführen.

Gilt das auch für Kompetenzorientie-rung und stärkere Individualisierung?

Holodynski: Erst recht! Wenn wir uns Lehrkräfte mit einem überdurch-schnittlich guten schülerzentrierten Unterricht ansehen, stellen wir immer auch fest, dass sie sich zugleich durch eine hervorragende Klassenführung auszeichnen. Bei ihnen ist das Regel-bewusstsein der Schülerinnen und Schüler sehr groû . Sie wissen, was sie zu welcher Zeit zu tun haben. Es geht leise zu in diesen Klassen. Die Schüle-rinnen und Schüler verhalten sich sehr strukturiert, die Übergänge zwischen den verschiedenen Unterrichtsformen sind sichtbar und harmonisch. Die Lehrkräfte wissen, was sich gerade in der Klasse tut, sie sind also allgegen-wärtig und legen Wert darauf, dass der Unterricht strukturiert abläuft.

All diese Elemente finden wir in sol-chen Klassen. Das muss auch so sein. Denn je mehr wir individualisieren, desto mehr Wissen braucht die Lehr-kraft über den aktuellen Lernstand der Schülerinnen und Schüler. Umso stärker muss sie darauf achten, alle Schülerinnen und Schüler in einer Klasse zusammen-zuhalten. Sonst würden sich die Leis-tungsunterschiede so vergröû ern, dass die Klasse nicht mehr als Klasse unter-richtet werden könnte. Klassenführung

wird umso wichtiger, je offener und schülerzentrierter der Unterricht wird.

Sind wir in Deutschland in diesem Zu-sammenhang denn gut aufgestellt?

Holodynski: Wir sollten uns nicht auf Kounin und seine Arbeiten beschrän-ken. Wie ich anfangs ausführte, be-zieht er sich vor allem auf den Prozess-aspekt des Unterrichts, bei der eine Lehrkraft vor der Klasse steht und nun agieren will. Was wir unbedingt mit einbeziehen müssen, ist der Struk-turaspekt und damit die Etablierung von Regeln, von Routinen, die Vorbe-reitung des Unterrichts. Was kann ich als Lehrkraft bereits in der Planung für einen möglichst reibungslosen Verlauf des Unterrichts tun? Solche Aspekte sind heute auch in der Lehrerbildung vorhanden, aber oft noch zu sehr ver-engt auf fachdidaktische Aspekte. Die Lehrkraft fragt vor allem, wie verbinde ich das Fachliche mit einer sinnvollen Unterrichtsstruktur. Sie fragt jedoch kaum unter dem Aspekt, was muss ich beachten, wenn ich mein fachdidakti-sches Konzept mit einer ganzen Klas-se von 30 Kindern durchführen will. Da sehe ich auch noch Forschungsbe-

darf. In Deutschland wird das noch zu wenig aufgegriffen. Schauen wir uns beispielsweise das aktuell laufende Rahmenprogramm des Bundesminis-teriums für Bildung und Forschung an, das sich auf die Professionalisie-rung des pädagogischen Personals bezieht. Da stellen wir fest, dass es nur zwei Projekte gibt, die sich mit erwei-terten Aspekten der Klassenführung befassen. Das KODEK-Projekt an der Freien Universität Berlin mit den Kolle-

ginnen Felicitas Thiel und Diemut Ophardt. Das zweite Projekt führe ich an der Universität Münster zusammen mit meinen Kolleginnen Kornelia Möller aus der Didaktik des Sachunterrichts und Mirjam Steffensky vom IPN in Kiel durch. In unserem Projekt geht es darum, die Analysekompetenz von Lehrkräften zu erfassen: Wie nehmen Lehrkräfte und Lehramtsstudierende lern- und klassenführungsrelevante Unterrichtssituationen wahr und wie schätzen sie sie ein. Dazu nutzen wir Unterrichtsvideos. Geplant ist auch, ein internetbasiertes Videoportal auf-zubauen, in das wir kommentierte Un-terrichtsvideos einstellen. Die können dann in der Lehrerausbildung an den Universitäten und in der Lehrerfortbil-dung genutzt werden.

Besteht in der Lehrerausbildung und Fortbildung ein Nachholbedarf?

Holodynski: Das Thema ist bisher noch viel zu wenig präsent. Es gibt dazu an den Unis, aber auch im Vorbereitungsdienst oder in der Fortbildung nicht gerade viel. Kounin erscheint vielleicht als Klassiker einmal in einer Vorlesung. Hochschulse-minare und Veranstaltungen zum Thema Klassenführung, sind eher die Ausnah-me. Es gibt kaum Überlegungen, wie so etwas in der Ausbildung eingeübt wer-den kann, wie Lehrkräfte die Kompetenz entwickeln, klassenführungsrelevante Unterrichtssituationen bewusst wahrzu-nehmen und auch zu meistern.

Und Klippert?

Holodynski: Da ging es ja inhaltlich eher um Aspekte des ¹L ernenlernensª . Es ging nicht darum, was eine Lehr-kraft tun kann, eine ganze Klasse zu ¹manag enª . Ganz klar, es gibt einen deutlichen Nachholbedarf.

Da ist die pädagogische Psychologie ein Vorreiter. Sie scheint in Deutsch-land der eigentliche Träger des The-mas zu sein.

Was kann ich als Lehrkraft bereits in der Planung für einen möglichst reibungslosen Verlauf des Unterrichts tun? Solche Aspekte sind heute auch in der Lehrerbildung vorhanden, aber oft noch zu sehr verengt auf fachdidaktische Aspekte.

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Holodynski: Das würde ich bislang so einschätzen. Die SCHOLASTIK-Studie von Weinert und Helmke in den 1990er Jahren war hier sicherlich der Vorreiter. Ich kann nicht ganz ein-schätzen, woran es liegt, dass die Er-ziehungswissenschaft Classroom-Ma-nagement nicht schon längst als ein zentrales Thema entdeckt hat und auf-baut. Symptomatisch scheint mir die Situation an der Uni Münster zu sein, an der das Thema Klassenführung vornehmlich von der Psychologie und kaum von der Erziehungswissenschaft in die Lehre eingebracht wird.

Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass das Thema stärker in den Blick genommen werden sollte, nicht als bloû e Technik, sondern als Ansatz zur umfassenden Unterrichtsorganisation.

Weinert zum Beispiel definiert Klassen- führung als Schlüsselfunktion des Un-terrichts.

Holodynski: An sich geht es um eine grundlegende professionelle Kompe-tenz jeder Lehrkraft.

Verblüffend, dass das Thema dann so unterbelichtet ist.

Holodynski: Es gibt aber immer wieder auch Positives, an dem wir ansetzen sollten. Zum Beispiel zum Stichwort ¹ Kooperatives Lernenª . Das hat sich ja inzwischen als sehr erfolgreich erwie-sen, und es gibt einige Forschungspro-jekte dazu. Wenn wir das unter dem Aspekt der Klassenführung betrach-ten, stellen wir fest, kooperative Lern-formen wie die Gruppenrallye, das Gruppenpuzzle oder Gruppenturniere sind klar strukturierte und regelgelei-tete Unterrichtsaktivitäten. Es wird klar festgelegt, wie diese Aktivitäten mit einer Klasse praktiziert werden kön-nen. Dort werden bereits strukturelle Klassenführungsaspekte berücksich-tigt, und zwar in oft sehr exakten Hin-weisen: ¹ so müsst ihr den Unterricht organisieren, damit ihr mit eurem

Unterrichtsvorhaben erfolgreich sein könnt.ª Mit diesen Lernformen kommt die Klassenführung wieder zur Spra-che, ohne dass sie als Klassenführung ausdrücklich benannt wird.

In dem Zusammenhang ist der Titel des Hauptwerks von Kounin, das 2006 neu aufgelegt wurde, nicht ge-rade hilfreich. Denn es heiû t ¹ Techni-ken der Klassenführungª . Das stärkt doch eher die bisher vorherrschende Meinung dazu?

Holodynski: Wenn es um Aspekte der Klassenführung geht, schwingt auch immer so etwas wie Übung mit. An der Universität wird natürlich zu allererst Wissen vermittelt. Aber es geht doch auch um das Können. Psychologen beispielsweise sollen menschliches Verhalten nicht nur diagnostizieren, sondern auch Beratungsgespräche führen können. Dies beinhaltet auch eine gewisse instrumentelle, ja ¹ hand-werklicheª Seite.

Diesen Aspekt haben wir auch bei der Klassenführung. Wie diagnosti-ziere ich als Lehrkraft eine Klassen-situation? Und wie gehe ich mit der Situation und meinen Diagnoseer-gebnissen um? Reine Wissensvermitt-lung stöû t in diesem Kontext schnell an ihre Grenzen. Darum benötigen wir an der Universität auch so etwas wie Übungsseminare und entspre-chende Möglichkeiten zum Training. Aber Trainings durchzuführen sehen viele Lehrende nicht als ihre Aufgabe, vielleicht auch weil sie sich als Trainer nicht kompetent genug fühlen. Zudem gibt es auch noch wenig Videomaterial zur Veranschaulichung. Hier haben wir es insgesamt noch mit Defiziten in der Ausbildung selbst zu tun: wenig

Videomaterial, zu wenig Handlungs-kompetenz auf Seiten der Lehrenden selbst, gute Klassenführung vorzufüh-ren oder in Übungen zu vermitteln. Deshalb greifen wir dies in einem

unserer Projekte auf und möchten Videomaterial in einem Videoportal zur Verfügung stellen, das sich ange-hende Lehrkräfte anschauen können.

Und wie schätzen Sie den Qualifizie-rungsbedarf der Lehrkräfte zu diesem Thema ein?

Holodynski: Den schätze ich bei einer Reihe von Lehrkräften recht hoch ein, gerade bei solchen, die meinen, sie hät-ten eine rüpelige und unaufmerksame Klasse ± und früher wäre vieles besser gewesen. Da schiebt man aus meiner Sicht vorschnell der unaufmerksamen Klasse den schwarzen Peter zu, statt auch einmal sein eigenes Klassenfüh-rungsverhalten kritisch zu beleuchten. Dadurch, dass man als Lehrkraft immer nur seine Klasse vor Augen hat, sieht man nicht, dass sich die eigene Klasse bei anderen Lehrkräften durchaus auf-merksam verhalten kann ± wenn das Klassenführungsverhalten professionell ist. Wenn wir in der Universität zum The-ma Klassenführung Seminare anbieten, stoû en wir in der Regel auch schon bei den Studierenden auf groû es Interesse. Viele geben uns die Rückmeldung, dass es Ihnen weiter geholfen hat, wenn sie mit der Thematik in der Lehrerbildung konfrontiert wurden.

Das Interview für ¹ BILDUNG BEWEGTª führte WALTER ZoUBEK

Fotos: gestellt von Manfred Holodynski

Es gibt kaum überlegungen, wie Lehrkräfte die Kompetenz entwickeln, klassenführungsrelevante Unterrichtssituationen bewusst wahrzunehmen und auch zu meistern.

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In der pädagogischen Literatur ist häufi g davon die Rede, Hetero-genität als Chance zu begreifen.

Prof. Jürgen Baumert, Leiter von Pisa I, sieht in der Heterogenität sogar eine Chance für die Qualitätsentwicklung des gesamten Schulsystems: ¹ Ein weiterer Bereich, in dem ich ebenfalls einen dringenden Handlungsbedarf sehe, ist der Umgang mit Heterogeni-tät. (¼) In der Verbesserung des Um-gangs mit Differenz liegt vermutlich die eigentliche Herausforderung der Modernisierung des Systems.ª (2002, zitiert nach Wischer a.a.O.)

Aber: Sind Klassen nicht jetzt schon sehr heterogen in ihrer Lern- und Sozialentwicklung? Und: Wie ist diese schwierige Aufgabe zu bewäl-tigen, damit alle Schülerinnen und Schüler von der Inklusion profi tieren? Dies wird unter fachlichen und politi-schen Aspekten heftig und teilweise kontrovers diskutiert.

Die Sorge vor BenachteiligungDie Sorge, dass die Qualität der Förde-rung für das beeinträchtigte Kind auf der Strecke bleibt, dass Teilhabe vor Förderung steht, treibt Lehrkräfte und

Eltern um. Andere befürchten wiede-rum Nachteile für nicht gehandicapte Schülerinnen und Schüler, weil sie sich beispielsweise um das Leistungsni-veau inklusiver Klassen sorgen.

Dass heterogen zusammengesetz-te Klassen durchaus Vorteile für die Lernentwicklung aller Schülergrup-pen haben können, beschreibt die Autorin Annet Mängel: ¹ ¼auc h für die nicht behinderten Kinder ist der gemeinsame Unterricht zum einen eine wichtige Erfahrung im Umgang mit Menschen, die anders sind als die Mehrheit. Zudem profi tieren sie auch

Das Thema Inklusion bewegt zurzeit viele Schulen. In den Diskussionen taucht immer wieder die Frage auf, wie die Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention Schule und Unterricht verändern wird. Denn die gemeinsame Beschulung beeinträchtigter und nicht beeinträchtigter Kinder in allgemeinbildenden Schulen wird dazu führen, dass Lerngruppen in ihren Leistungs- und Verhaltens-dimensionen vielfältiger sein werden als bislang.

Nur zwei Schlagworte?

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intellektuell. Denn anstatt den Ausfüh-rungen des Lehrers nur zu lauschen und das Gelernte nach der nächsten Klausur wieder zu vergessen, erar-beiten sie sich in gemischten Klassen jeweils unterschiedliche Aufgaben, tragen die Ergebnisse anderen vor und unterstützen Schwächere. Das so angewandte Wissen prägt sich ihnen entsprechend besser ein.ª (MÄNGEL, S. 20-23).

Der Hannoveraner Professor für Pä-dagogik bei Lernbeeinträchtigungen, Rolf Werning, interpretiert Ergebnisse der Hattie±S tudie (vgl. BB Nr. 13) so, dass Leistungsdifferenzierung in Form einer Zusammenfassung von Schülern in Lerngruppen ähnlicher Leistungs-stände den Erwartungen einer opti-malen Förderung unterschiedlicher leistungsstarker und unterschiedlich befähigter Schüler nicht gerecht wird. (WERNING)

Hildeschmidt und Sander (1996) bilanzieren nach Durchsicht einer Vielzahl deutscher und internationa-ler Studien, dass bei sehr vorsichtiger Interpretation höchstens von einem Patt integrativer versus segregativer Beschulungsarten ausgegangen wer-den kann.

Der Förderort ist nicht entscheidend Damit rückt die Frage in den Fokus, wie Unterricht so verändert werden kann, dass auch in heterogenen Klas-sen Schülerinnen und Schüler un-terschiedlicher Befähigung optimal gefördert werden. Individuelle Lern-voraussetzungen und -angebote müs-sen zueinander passen, damit Lernen erfolgreich sein kann. Aus diesem An-spruch ergeben sich für Schulen und Lehrkräfte erweiterte und neue Hand-lungsfelder. Es muss beispielsweise gelingen, Settings für die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Sonderpädagogischem Förderbe-darf zu gestalten. Denn der Förder-ort selber wird künftig nicht mehr so entscheidend sein. Vielmehr wird im Vordergrund stehen, für das einzelne Kind optimale Förderbedingungen zu schaffen. Es gibt viele Schulen, die bereits jetzt inklusiv arbeiten. Die Sophie-Scholl-Schule in Gieû en wur-de 2009 für diese Leistung mit dem Jakob Muth Preis ausgezeichnet, der vom Bundesbeauftragten für die Be-lange behinderter Menschen, von der Bertelsmann Stiftung und der Deut-schen UNESCO-Kommission verge-ben wird. Mit dem Preis sollen Schu-len zum gemeinsamen Lernen aller Kinder ermutigt werden. Auch wenn

es keine Rezepte für eine inklusive Schule gibt, so lassen sich doch Ge-lingensbedingungen herausarbeiten. Dazu gehören:• weitgehender Konsens in der

Schulgemeinde über das Ziel der Schulentwicklung

• oft altersheterogene Lerngruppen• Projektarbeit• multiprofessionelle Teams (Son-

derpädagogen, Sozialpädagogen, Regellehrkräfte)

• veränderte Unterrichtsgestaltung• veränderter zeitlicher Ablauf des

Schultages• häufi g Ganztagsangebote• intensive Kooperation innerhalb

der Schule sowie mit auû erschuli-schen Partnern.

Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig. Für Schulen, die sich auf den Weg machen wollen, steht mit dem Inklusionsindex ein Instrument für die Schulentwicklung zur Verfügung, in dem Lernen, Leistung und Teilhabe verbunden sind. Der Index, der von Booth und Ainscow (Manchester) ent-wickelt und für deutsche Verhältnisse von Hinz und Boban (Luther-Universi-tät Halle-Wittenberg) 2003 übersetzt und adaptiert wurde, beinhaltet Mate-rialien, Aussagen und Fragen zu Quali-tätsaspekten inklusiver Bildungsein-richtungen. Und er gibt zahlreiche Hin-

weise für die systematische Entwick-lung von Schulen sowie Anregungen zur Refl exion und Selbstevaluation. Grundgedanke des Index ist es, vor-handene Vielfalt in Schule oder Kin-dertagesstätten wahrzunehmen und zuzulassen und als wertvoll und berei-chernd zu erfahren (Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft).

Die Mär der Homogenität Dass Heterogenität in Schulen Alltag und nicht die Ausnahme ist, erfahren insbesondere Grundschullehrkräfte alltäglich. Aber auch in anderen Schul-formen ist der Anspruch auf Homoge-nität von Lerngruppen ein Mythos. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich Schülerinnen und Schüler einer Klas-

se in ihren Lernvoraussetzungen und ihrer Lernentwicklung zum Teil erheb-lich unterscheiden. Die Dimensionen von Heterogenität sind dabei vielfäl-tig. Sie betreffen nicht nur die Leis-tungsfähigkeit, sondern auch Lernstil und -tempo, Geschlecht, Interessen, Sprachkompetenz, den sozialen, öko-nomischen, kulturellen Hintergrund usw. Heterogenitätsdimensionen sind so vielgestaltig und komplex, dass es unmöglich ist, alle gleichzeitig im Blick zu haben. ¹ Würde eine Lehrkraft immer alle möglichen und in der Lite-ratur auch empfohlenen Heterogeni-tätsdimensionen im Blick haben wol-len, hieû e dies eine Komplexität allein auf der Ebene der Wahrnehmung zu erzeugen, die im konkreten Alltags-geschäft kaum einlösbar ist und über-dies auch zu Verunsicherungen auf der Handlungsebene führen würde.ª (Prof. B. WISCHER; Umgang mit Heterogenität im Unterricht ± Das Handlungsfeld und seine Herausfor-derungen, Osnabrück, 2011; S. 3) Allerdings wäre der Umkehrschluss, nämlich alle Heterogenitätsdimen-sionen zu ignorieren oder allein auf die Leistungsfähigkeit zu begrenzen, ebenso problematisch.

Angesichts dieser Herausforderun-gen hilft die Suche nach vorrangigen Dimensionen, die für den eigenen Un-terricht eine besondere Rolle spielen,

da nicht jedes Heterogenitätsmerkmal für die Gestaltung von Lehr- und Lern-prozessen gleichermaû en relevant ist.

Schülerinnen und Schüler sind zwar verschieden, aber sie haben zu-gleich auch viele Gemeinsamkeiten. Alle müssen zur Schule gehen, haben Lern- und Entwicklungsherausforde-rungen zu meistern und haben den Wunsch nach Unterstützung und An-erkennung. Behinderte Kinder sind in erster Linie Kinder, wie alle anderen Schulkinder auch. Sie unterscheiden sich durch viele Persönlichkeitsmerk-male voneinander ± eines davon ist die Behinderung.

Der Blick auf Gemeinsamkeiten und Verbindendes führt weg von einer verengenden dichotomischen Sicht-

BILDUNG IM BLICK

Gleichheit und Verschiedenheit befi nden sich im schulischen Kontext in einem unaufl ösbaren Spannungsverhältnis. Beide in eine ausgewogene Balance zu bringen, bedeutet, Vielfalt als Ressource und Bereicherung zu nutzen. Dabei spielen Einstellungen und haltungen eine wichtige Rolle.

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BILDUNG IM BLICK

weise, die nach gut ± schlecht, stark ± schwach, behindert ± nicht behindert unterteilt. Gleichheit und Verschie-denheit befinden sich im schulischen Kontext in einem unauflösbaren Span-nungsverhältnis. Beide in eine ausge-wogene Balance zu bringen, bedeutet Vielfalt als Ressource und Bereicherung zu nutzen. Dabei spielen Einstellungen und Haltungen eine wichtige Rolle. Allerdings verändern sich diese nicht alleine durch das Lesen von Fachbü-chern oder Artikeln, sondern in erster Linie über Erfahrungen. Auch wenn die kognitive Auseinandersetzung sicher unverzichtbar ist, ist sie für sich alleine genommen aber nicht hinreichend. Fortbildungsangebote, die Lehrkräf-ten praktikable und realistische Hand-lungsmöglichkeiten aufzeigen und Hilfestellungen für die Umsetzung be-reitstellen, können in diesem Kontext einen wertvollen Beitrag leisten.

FörderdiagnostikIm Umgang mit Heterogenität spielen Förderdiagnostik und Lernprozessbe-gleitung eine zentrale Rolle. Um die Lernvoraussetzungen für den weiteren Lernprozess zu berücksichtigen, bedarf

es guter Diagnostik. Nun erzeugt der Begriff Diagnostik im pädagogischen Handlungsfeld häufig falsche Vorstel-lungen. Diagnostik (griech.: dia ± gnose = Durchforschung) ist ein Begriff, der vor allem der Medizin zugeordnet wird. Medizinische Diagnosen sind meist eindeutig, wie z.B. ein gebrochenes Bein. In der Pädagogik sind solch ein-fache Ursache - Wirkung - Aussagen

kaum möglich. Hier spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, die subjektiven Deutungen unterliegen und nicht alle fassbar sind.

Der Begriff Förderdiagnostik impli-ziert daher eine qualitative Lernstands-analyse, in der neben dem quantitati-ven Lernzuwachs vor allem das ¹ Wieª des Lernens eine Rolle spielt. Während

die Statusdiagnostik in erster Linie da-nach fragt, wo ein Kind in Relation zu einer bestimmten Vergleichsgruppe steht, legt die Förderdiagnostik den Fokus auf den Lernprozess. Sie hat stets die Förderung des Kindes mit im Auge und berücksichtigt die Individu-alität des Lernenden. Überprüfungen finden daher prozessorientiert und nicht nur punktuell statt.

Gute Lernprozessbegleitung setzt vor allem an dem an, was eine Schü-lerin oder ein Schüler bereits kann, schärft den Blick für die Ressourcen der Kinder und stellt dazu passende Lern-angebote bereit. Diagnostik in diesem Sinne gehört zum Kerngeschäft jeder Lehrerin, jeden Lehrers und findet im Unterrichtsalltag ständig statt.

ABB. 1 MERKMALE GUTER FöRDERDIAGoSTIK

Gute Förderdiagnostik

• ...berücksichtigtdieIndividualitätdesKindesundfragtinersterLinienachdem„Wie“derAufgabenlösung.Durch die Frage nach dem ¹ Wieª de r Aufgabenlösung bekommt man Informationen über die Lernmöglichkeiten und Strategien des Kindes. In einem zweiten Schritt wird gefragt, was das Kind kann und was es nicht kann. Erst in einem dritten Schritt geht es um den Vergleich mit der Lerngruppe.

• ...istprozessorientiert,keinepunktuelleÜberprüfung.Es geht um die Beurteilung und Beeinflussung langfristiger Prozesse, nicht um punktuelle Ereignisse. Eine längere Beobachtungsphase u. U. von mehreren Personen ist nötig.

• ...wendetBeobachtungsverfahrenundFehleranalysean.Fehleranalysen geben wertvolle Hinweise für die Unterrichts- gestaltung und auch für individuelle Fördermöglichkeiten. Sinnvoll kann u. U. auch die Verwendung standardisierter Beobachtungsverfahren sein. ¹F ehler sind Fenster in Kinderköpfen.ª

• ...isteingebettetindasrealeUmfelddesKindes.Diagnostische Daten sollten auch aus der pädagogischen Alltagssituation erhoben werden. Die Verwendung spezieller Testverfahren liefern zusätzliche und u. U. standardisierte Ergebnisse.

• ...berücksichtigtStärkenundSchwächen. Es geht hierbei nicht um Schönfärberei oder Positivismus, sondern um die Erweiterung des Blickwinkels, der die individuellen Möglichkeiten des Kindes für eine Förderung ebenso berücksichtigt wie die Lern- und Entwicklungsrückstände.

• verzahntDiagnoseundIntervention.Ein wesentliches Kriterium für ein sinnvolles förderdiagnostisches Instrument ist die Frage, ob sich aus dem Test- oder Überprüfungsverfahren Fördervorschläge ableiten lassen.

ABB. 2: MATHEMATISCHES BEISPIEL

Sarah kommt bei den folgenden Aufgaben zu diesen Ergebnissen:

Mit der gleichen ¹S trategieª ha t sie die Subtraktionsaufgaben gelöst. Sarah scheint im Zahlenraum bis 10 eine gute Zahlvorstellung zu haben und auch die additiven Operationen zu beherrschen. Allerdings hat sie das Prinzip des dekadischen Systems noch nicht verstanden. Sie weiû noch nicht, dass eine Ziffer je nach Position einen anderen Wert repräsentiert. Diesen Denkwegen der Kinder kommt man oft nur durch Nachfrage auf die Spur. Eine passgenaue Förderung müsste genau hier ansetzen und das Positionssystem in den Mittelpunkt der Vermittlung stellen.

Auf Nachfrage, wie sie das gerechnet habe, antwortet Sarah: ¹3 + 7 = 10; 1 + 7 = 8, das gibt zusammen zehn und achtª

31 + 7 = 108

89 ± 6 = 23

Der Begriff Förderdiagnostik impliziert eine qualitative Lernstandsanalyse, in der neben dem quantitativen Lernzuwachs vor allem das ¹ Wieª des Lernens eine Rolle spielt. Sie hat stets die Förderung des Kindes mit im Auge und berücksichtigt die Individualität des Lernenden.

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Fehler sind wie Fenster im KopfFehler geschehen in den selten-sten Fällen zufällig. Meist steckt eine ¹ Strategieª dahinter, in der das Kind sein Vorwissen systematisch anwen-det, um zu einer Lösung zu gelan-gen. Das Nachspüren des Lösungs-weges kann der Lehrkraft wichtige Hinweise auf die Denkprozesse und damit den Lernstand des Kindes ge-ben. Daraus können sinnvolle Hin-weise für die Unterrichtsplanung und Fördermöglichkeiten abgeleitet werden (siehe Abb.2)

Eigentexte bieten eine besonders gute Möglichkeit, um sprachliche und rechtschriftliche Kompetenzen zu be-urteilen (siehe Abb.3). Abgeschriebene Texte oder Diktate sind in diesem Kon-text weniger geeignet, weil dort andere Einfl ussfaktoren eine Rolle spielen. Feh-ler bauen meistens auf einer inneren Logik des Kindes auf. Dies gilt auch noch nach dem Grundschulalter.

Die Entwicklung einer sinnvollen, umfassenden Förderung braucht na-türlich noch umfassendere Informati-onen als in dem gezeigten Beispiel.

Beobachtung, Lernkontrollen, Klassenarbeiten, Arbeitsergebnisse der Schülerinnen und Schüler kön-nen Grundlage für förderdiagnos-tisches Handeln sein, wenn nicht die Beurteilung oder Leistungs-bewertung des Einzelnen das Ziel ist, sondern die Feststellung des Lernstandes, um daraus eine pass-genaue Förderung zu entwickeln. Neben den genannten Quellen zur Lernstandserfassung sind bewährte,

standardisierte Testverfahren wie bei-spielsweise die Hamburger Schreib-probe1 oder der ELFE Lesetest2 wei-tere wichtige Informationsquellen zur Lernstandserfassung.

Individuelle Förderung kann je-doch nicht bedeuten, die innere Dif-ferenzierung so weit zu treiben, dass jeder Schüler und jede Schülerin ei-nen individuellen Arbeitsauftrag mit eigenen Materialien bekommt. Dies wäre nicht nur eine Überforderung der Lehrkräfte, sondern auch der Schülerinnen und Schüler.

Offene Aufgabenstellungen, Hel-fersysteme in der Klasse (KLIPPERT/MÜLLER), individuelle Instruktionen, unterschiedliche Kompetenzniveaus, Arbeit mit Kompetenzrastern sind nur einige Stichworte in diesem Zusam-menhang.

Gelingende Förderdiagnostik er-fordert also primär eine andere Sicht-weise. Wenn Lernprozesse transpa-rent gemacht und daran anschlie-û end Fördermöglichkeiten erarbeitet werden, kann Lernen auf allen Kom-petenzstufen gelingen.

GRETEL HöLZER Amt für Lehrerbildung

Literatur

Boban, I./ Hinz, A.: Index für Inklusion, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2003

ELFE-Trainingsprogramm (ELFE-T), Förderung des Leseverständnisses für Schüler der 1. bis 6. Klasse

Hattie, J.A.C. (2002), Classroom composition and peer effects. In: International Journal of Educational Research, 37, 5, S. 449-481

Hildeschmidt, A./ Sander, A. (1996), Zur Effi -zienz der Beschulung sogenannter Lernbe-hinderter in Sonderschulen. In: Eberwein, H. (Hrsg.): Handbuch Lernen und Lern-Behin-derungen. Weinheim, Basel (siehe auch Prof. Werning http://www.vbe-nds.de/downloads/Leseforum/Prof_Werning.pdf; 4. 7. 2011)

Klemm, K.: Sonderweg Förderschulen, Hoher Einsatz, wenig Perspektiven, Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, 2010

Klippert, H./ Müller,F., Methodenlernen in der Grundschule; Weinheim 2004

May, P./ Vieluf, U. / Malitzky ,V.: HSP 1± 9; Die Hamburger Schreib-Probe

Mängel, A.: Endstation Sonderschule; ¹ Blät-ter für deutsche und internationale Politikª , 9/2009, S. 20-23

(Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft; http://www.montag-stiftungen.de/jugend-und-gesellschaft/jugend-gesellschaft-projekte/in-dex-fuer-inklusion/index-fuer-inklusion0.html).

Werning, R., Mehr Vielfalt für die Schule ± Wel-che Chancen bieten heterogene Lerngrup-pen?; (http://www.vbe-nds.de/downloads/Leseforum/Prof_Werning.pdf, 4. 7. 2011)

Wischer, B.: Universität Osnabrück; http://www.teachers-ipp.eu/handbuch.html/2.%20Umgang%20mit%20Heterogenitaet%20-%20DE.pdf (10.6.2011)

Wischer, B., Umgang mit Heterogenität im Unterricht ± Das Handlungsfeld und seine Her-ausforderungen (http://www.teachers-ipp.eu/handbuch.html/2.%20Umgang%20mit%20Heterogenitaet%20-%20DE.pdf, 4.7.2011)

Zeitschrift Bildung bewegt, Ausgabe Nr. 11 - Alle unter einem Hut? Frankfurt, Dezember 2010

Erläuterungen1 Peter May | Ulrich Vieluf | Volkmar Malitzky;

HSP 1± 9; Die Hamburger Schreib-Probe2 ELFE-Trainingsprogramm (ELFE-T): Förde-

rung des Leseverständnisses für Schüler der 1. bis 6. Klasse

ABB. 3: EIGENTEXTE ALS DIAGNoSTISCHE HILFE

Analyse:

• alphabetisches Schreiben gut entwickelt

• orthografi sche-morphematisch teilweise entfaltet

• Phonem-Graphem-Zuordnung gut

• erste Rechtschreibregeln

• Endungs -en teilweise vorhanden

• Gebrauch von ie

• Dopplung von Konsonanten nach kurzem Vokal vorhanden (auû er ¹hofe ntlichª , vielleicht von ¹H ofª abg eleitet?)

• Wortgrenzen eingehalten

• fehlende Groû schreibung am Satzanfang

• F ± V - Verwechslungen

• Übergeneralisierungen: hauch statt auch, viende statt fi nde

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CLASSRooM-MANAGEMENT ± bevor kleine Konflikte groû w erden

Viele Studien zur Lehrerbelas-tung weisen darauf hin, dass der stärkste Belastungsfaktor

für Lehrerinnen und Lehrer in Disziplin-schwierigkeiten zu suchen ist (SCHAAR-

SCHMIDT/KIESCHKE). Auch hier gilt, dass ein geordnetes Klassenzimmer eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Lehrkräfte gesund bleiben und die Freude am Beruf bewahren.

Ein anderer Aspekt effizienter Klassenführung weist über den Bezie-hungsaspekt zwischen Lehrkraft und Lernenden hinaus. Schwierigkeiten mit der Disziplin bleiben häufig nicht

Kein anderes Merkmal ist so eindeutig und konsistent mit dem Leistungsniveau und Leistungsfort-schritt von Schulklassen verknüpft wie das classroom-Management (hELMKE). Unter diesem Begriff werden all jene Maû nahmen verstanden, die Lehrkräfte präventiv ergreifen, damit es erst gar nicht zu Störungen im Unterricht kommt. classroom-Management basiert auf guten Beziehungen der Pädago-ginnen und Pädagogen zu ihren Schülerinnen und Schülern. Verbessertes Klima im Klassenzimmer und geringe Disziplinschwierigkeiten und Konflikte sind das Ergebnis erfolgreicher Arbeit im Klassen-raum. Die effiziente Führung einer Klasse optimiert zudem den zeitlichen und motivationalen Rahmen für den Unterricht, so helmke (2003); sie stellt also einen Qualitätsfaktor guten Unterrichts dar. Und sie hilft der Lehrkraft, im Berufsleben gesund zu bleiben.

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im Klassenzimmer, sondern sind Ge-sprächsstoff in der Familie. Schülerin-nen und Schüler verfügen zu Hause über ein Informationsmonopol: Ihre Eltern erfahren über das Geschehen in der Schule oft nur aus dem Mund ihrer Kinder, sie hören meist nicht die

Sicht der Pädagoginnen und Pädago-gen. Wenn Kinder und Jugendliche über Unruhe im Klassenzimmer be-richten, sind besorgte Eltern schnell in Opposition zu Lehrerinnen und Lehrern. Das erschwert nicht nur die Arbeit der Lehrkräfte und die Zusam-menarbeit in schulischen Gremien, sondern schädigt auch das Ansehen der Schule bei den Eltern und in der Öffentlichkeit.

Schwierigen Situationen entgegenwirken Neue Klasse, erster Schultag, erste Minute nach Unterrichtsbeginn. Die Schülerinnen und Schüler sind bereits im Klassenzimmer, als Frau Fuchs ein-tritt. Es herrscht Durcheinander. Frau Fuchs sieht gerade noch, wie Guido Markus auf den Rücken schlägt. Was jetzt? Auch wenn sich solche Szenen nie ganz vermeiden lassen, zielt Class-room-Management darauf ab, dass es gar nicht dazu kommt. Dabei bietet es eine ganze Reihe unterschiedlicher Optionen, die Lehrkräfte passgenau auf ihren Unterricht und ihre Klasse zuschneiden können.

Eigene Erwartungen und Ziele klärenJe mehr sich Lehrkräfte darüber im Klaren sind, was sie von ihren Schüle-rinnen und Schülern verlangen, desto besser gelingt es ihnen, dass Jugend-liche ihre Anforderungen und Erwar-tungen einhalten. Dazu ist es hilfreich, wenn sich die Pädagoginnen und Pä-dagogen vor Beginn des Schuljahres Antworten auf Fragen wie beispiel-weise die folgenden überlegen:• Wie ruhig soll es bei der Einzel-

arbeit sein?• Wie sollen meine Schüler von der

Kreisarbeit auf den Platz wechseln?

• Wie sollen Hefte eingesammelt werden?

• Welche Regeln will ich aufstellen und wie genau sollen die Schülerin-nen und Schüler diese einhalten?

• Wie ruhig muss es in der Klasse sein, wenn ich etwas erkläre?

Optimalerweise bestehen Lehre-rinnen und Lehrer darauf, dass ihre Vorgaben exakt erfüllt werden, denn wenn sie sich mit weniger als dem ¹ Eingefordertenª zufrieden geben, lernen Schülerinnen und Schüler, ¹ der oder die meint es nicht so ernst.ª War-um sollen sie dann in Zukunft das tun, was ihre Lehrkräfte von ihnen einfor-dern (WONG)?

Classroom-Management basiert auf einer guten Beziehung zu den LernendenSchülerinnen und Schüler sehnen sich in der Regel nach guten Bezie-hungen zur Lehrkraft. Diese stellen sich aber nur schwer ein, wenn es im Klassenzimmer drunter und drüber geht, wenn Lehrkräfte immer wieder ermahnen und zurechtweisen müs-sen. Ein geordnetes Klassenzimmer ist Voraussetzung dafür, dass positive Beziehungen zwischen Lehrkräften und Lernenden wachsen und gedei-hen können, dass sich Schülerinnen und Schüler von der Lehrperson als Mensch angenommen fühlen. Je bes-ser die Beziehung ist, umso eher sind diese bereit, ihr zu folgen. Kinder spü-ren vor allem an den non-verbalen

Gesten des Unterrichtenden intuitiv, wie dieser zu ihnen steht. Und sie ver-halten sich entsprechend. Unterricht ist nie allein Wissensvermittlung ± viel mehr ist er in erster Linie Beziehung (GLASSER).

Zu Beginn des Schuljahres steht daher der Beziehungsaufbau vor al-lem auch zu ¹unk ooperativª wirken-den Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt. Denn diese folgen ihrer Lehrkraft am ehesten auf Grundlage einer guten Beziehung. Spontan ma-chen aber viele Lehrkräfte genau das Gegenteil: Sie kümmern sich verstärkt um gute Beziehungen zu sozial kom-petenten Schülerinnen und Schülern, weil das einfacher ist und die Lehr-kraft mehr positive Rückmeldungen von diesen erhält.

Gerade bei ¹ schwierigenª Kin-dern und Jugendlichen müssen sich Pädagoginnen und Pädagogen oft auf eine Entdeckungsreise einlassen, um deren positive Seiten, Stärken und Kompetenzen, die sich auch oft in Hobbies zeigen, aufspüren zu kön-nen. Wichtig ist aber, gerade diesen Schülerinnen und Schülern positive Emotionen durch Kompetenzerleben zu ermöglichen und groû zügig von Wertschätzung getragene Rückmel-dungen zu geben.

Für Herrn Streibert ist es in jeder neuen Klasse wichtig, sich sofort um eine gute Beziehung zu seinen Schü-lerinnen und Schülern zu bemühen. Vor allem zu denen, die ihm als be-sonders ¹s chwierigª bekannt sind. So geht er vor:• Er stellt sich zu Beginn der ersten

Stunde seinen Schülerinnen und Schülern vor ± und berichtet dabei auch von sich als Mensch, von sei-nen Hobbys, seiner Familie, war-um er Lehrer geworden ist und was ihm an seinem Beruf gefällt.

• Die meisten Schülerinnen und Schüler sind ihm spontan sympa-thisch ± aber immer gibt es einige, zu denen er nicht so leicht einen guten Draht findet. Gerade bei diesen macht er sich ganz beson-ders auf die, wie er sagt, ¹ Entde-ckungsreise ihrer guten Seitenª . Dazu bespricht er sich mit deren

Vorlehrern, weil diese oft be-stimmte positive Seiten an diesen Schülern entdeckt haben, die ihm vielleicht entgehen würden.

• Er notiert die positiven Seiten und Stärken auf einer Extra-Karte.

Ein geordnetes Klassenzimmer ist Voraussetzung dafür, dass positive Beziehungen zwischen Lehrkräften und Lernenden wachsen und gedeihen können, dass sich Schülerinnen und Schüler von der Lehrperson als Mensch angenommen fühlen.

Viele Studien zur Lehrerbelastung weisen darauf hin, dass der stärkste Belastungsfaktor für Lehrerinnen und Lehrer in Disziplinschwierigkeiten zu suchen ist. Auch hier gilt, dass ein geordnetes Klassenzimmer eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Lehrkräfte gesund bleiben und die Freude am Beruf bewahren.

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• Er fragt beispielsweise den Schüler Paolo nach dessen Hobbys und trägt sie sich auf der Extra Karte ein.

• Dort notiert er auch Stärken des Schülers, die nichts mit der Schule zu tun haben, wie z.B. bei Paolo, der Meister im Witze Erzählen ist.

• Er spricht mit seinen Schülern immer wieder darüber, wenn sie etwas besonders gut geschafft ha-ben, ¹P aolo, wie hast du das so gut geschafft? Was hast du gemacht, dass das so gut geklappt hat? Du hast dich sicher ganz schön an-strengen müssen, wie ist dir das gelungen?ª Damit beabsichtigt er, dessen Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen zu för-dern. Wie wichtig das ist, zeigt eine Studie von Angela Duckworth und Martin Seligman (2005).

• Als Paolo am zweiten Schultag gut bei der Stillarbeit mitmacht, fer-tigt Herr Streibert schnell ein Foto von ihm an. Das sendet er, natür-lich nach Rücksprache mit Paolo, an dessen Eltern mit dem kurzen Text, ¹P aolo beim Lernen ± klasse ± Ihr Herr Streibertª . Sein Ziel ist es, eine gute Kooperationsbasis mit Paolos Eltern aufzubauen, bevor es erste ernstere Schwierigkeiten mit Paolo gibt, und Herr Streibert dann mit dessen Eltern Kontakt aufnehmen müsste. Dann würde der erste Kontakt unter einem ne-gativen Vorzeichen stehen. Wäre es unter solchen Voraussetzungen erstaunlich, wenn sich Paolos El-tern dann wenig kooperativ ver-halten würden? Welche Optionen hätte denn Herr Streibert noch, wenn Paolos Eltern dann sagen würden: ¹B ei ihrem Vorgänger gab es diese Probleme aber nichtª . Sollte er dann etwa Paolos Eltern beweisen, dass es bei seinem Vor-gänger auch schon erhebliche Probleme mit ihm gab?

• Herr Streibert achtet darauf, Auf-gaben so zu geben, dass vor allem seine schwachen Schülerinnen und Schüler etwa 80 Prozent davon erfolgreich lösen können. Denn Misserfolgserlebnisse frustrieren und zementieren deren negatives Selbstbild bezüglich des Lernens. Das wiederum erhöht das Risiko, dass sich diese Schülerinnen und Schüler weniger kooperativ ver-halten und eher stören. Hier will er frühzeitig gegensteuern.

• Er berücksichtigt auch Anerken-nung in schriftlicher Form. So hat er Lisa vor kurzem einen Brief über-

reicht. Die öffnete ihn gespannt, denn noch nie hat sie so etwas von einem ihren Lehrerinnen oder Lehrer erhalten. Dort konnte sie dann lesen: ¹ Hat mich sehr gefreut, Lisa, dass du gestern Fabienne so schön bei ihrem Vortrag geholfen hast. Damit hast du ihr eine groû e Freude bereitet. Prima!ª Lisa war überrascht und glücklich. Natürlich zeigte sie das Briefchen sofort ih-ren Eltern, als sie nach der Schule nach Hause kam. Mit positivem Ef-fekt auf ihre Eltern. Sie waren ein bisschen stolz auf ihre Tochter und fanden, dass Herr Streibert ein gu-ter Lehrer sei.

Mit abgestuften Konsequenzen reagierenKonsequenzen setzen ist der letzte Schritt im Classroom-Management ± nicht der erste. Aber natürlich kommt keine Lehrperson ohne sie aus. Ein aus-gefeiltes Konsequenzensystem ermög-licht der Lehrkraft, differenziert und an-gemessen zur Schwere auf die Störung zu reagieren. Das ist nicht einfach.

Eine Überreaktion der Lehrkraft wird von ihren Schülerinnen und Schülern schnell als ungerecht empfunden - und vergiftet die Beziehung zwischen den Beteiligten ± und oft sogar zwischen ganzen Gruppen innerhalb der Klasse und der Lehrperson. Von den Schü-lerinnen und Schülern als ungerecht empfundene Sanktionen der Lehrper-son gegenüber einem Klassenkamera-den können schnell Solidarisierungsef-fekte zwischen den Schülern auslösen. Auch ursprünglich unbeteiligte Schüle-rinnen und Schüler gehen dann auf kri-tische Distanz zur Lehrkraft. Umgekehrt verpufft eine zu schwache Reaktion der

Lehrkraft und führt zu keiner nachhalti-gen Verhaltensänderung beim betrof-fenen Schüler bzw. Schülerin.

Ganz besonders dann, wenn eine Lehrkraft Konsequenzen setzen muss, steht sie im Mittelpunkt, befindet sie sich auf einer Bühne. Dann ist häufig plötzlich die gesamte Klasse hellwach und beobachtet interessiert das Ge-

schehen. Es ist eine Testsituation. Die Frage, die die Schüler und Schülerin-nen jetzt brennend interessiert, ist, wie sich die Lehrperson nun verhalten wird. Meint sie es ernst und reagiert souverän? Oder zeigt sie Nerven, re-agiert unsicher, unentschlossen oder nervös. Kinder und Jugendliche ver-fügen über sensible Antennen, um diese Feinheiten zu erspüren. Wenn die Lehrperson beispielsweise ner-vös, gereizt oder abschätzig reagiert, legen viele dies als Schwäche aus. Das ermutigt sie dazu, Unterrichtende zu-künftig stärker durch unangemesse-nes Verhalten herauszufordern.

Eine andere Gefahr besteht für die Lehrperson darin, eine Störung selbst aufzublähen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie einen ¹ Unter-richtsstörerª vor der ganzen Klasse zu- recht weist und sich in langanhalten-de Diskussionen verwickeln lässt.

In Bezug auf Konsequenzen gilt deshalb, Störungen klein zu halten, diskret zu intervenieren und darauf zu achten, eine Schülerin bzw. einen Schüler nicht bloû zustellen. Und zu-nächst sollte überlegt und geprüft wer-den, ob eine Störung ignoriert werden kann. Manchmal hilft schon das.

Das Beispiel von Frau Kunz und der Schülerin Julia veranschaulicht abgestufte Konsequenzen:• Schülerin Julia schwätzt laut.• Frau Kunz nimmt Blickkontakt mit

der störenden Schülerin auf. Aber nicht nur für den Bruchteil einer Sekunde, sondern so, dass diese merkt, ¹ich hab dich jetzt im Blick. Wenn du nochmal störst, bin ich nicht bereit, das hinzunehmenª .

• Als das nicht hilft, geht die Lehrkraft in die Nähe der Schülerin. Und

zwar so unauffällig, dass der Rest der Klasse nichts davon bemerkt. Warum? Damit vermeidet sie, die Störung unnötig aufzublähen.

• Bei Julia angekommen flüstert ihr Frau Kunz zu: ¹ Julia, bitte bearbei-te die Aufgabe auf Seite 8ª . Statt zu sagen, ¹ sei jetzt endlich ruhigª oder ¹ hör endlich auf mit Störenª ,

Kinder und Jugendliche verfügen über sensible Antennen, um diese Feinheiten zu erspüren. Wenn die Lehrperson beispielsweise nervös, gereizt oder abschätzig reagiert, legen viele dies als Schwäche aus. Das ermutigt sie dazu, Unterrichtende zukünftig stärker durch unangemessenes Verhalten herauszufordern.

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ist es also hilfreicher, der Schüle-rin kurz, klar und höflich mitzutei-len, was sie tun soll. Und sie dabei anzuschauen. Damit signalisiert Frau Kunz Präsenz und gibt ihrer Forderung Nachdruck. Natürlich rechnet sie damit, dass Julia ver-suchen wird, sie in eine Diskussion zu verwickeln, indem sie z.B. sagt: ¹ Ich wollte ja gerade anfangenª oder ¹ ich muss nur noch schnell meinen Bleistift spitzenª . Eine gute Reaktion besteht darin, darauf gar nicht einzugehen, sondern einfach den Blickkontakt beizubehalten. Lange Erklärungen oder Debatten sind in dieser Situation kontrapro-duktiv, denn Schüler wissen in der Regel, was sie tun sollen, und die Lehrkraft läuft Gefahr, ihre For-derung zu verwässern und die bereits vorhandene Störung noch weiter aufzublähen.

• Damit ist es aber noch nicht ge-tan. Frau Kunz beobachtet jetzt sorgfältig, ob Julia auch wirklich ihrer Forderung nachkommt. Man- che Schüler tun nur so, als ob sie kooperieren würden, um ihren Lehrer schnell wieder los zu wer-den. Frau Kunz bleibt also solange dran, bis Julia auch wirklich zu arbeiten beginnt.

• Jetzt achtet sie genau auf Anzei-chen, die ihr vermitteln, dass Julia kooperiert und arbeitet, und sie reagiert sofort mit einer kurzen Anerkennung. In dem sie beispiel-weise freundlich sagt, ¹dank e, Ju-lia, schönª . Damit signalisiert sie, dass sie ihr verändertes Verhalten wahrgenommen hat und schätzt.

• Anerkennung, Lob und Kompli-mente sind zentraler Bestandteil je-des Konsequenzensystems. Denn damit wird nicht nur die Koopera-tionsbereitschaft der Lernenden gefördert, sondern auch die Be-ziehung erneuert, die ja durch die Zurechtweisung ein Stück weit be-einträchtigt worden ist. Frau Kunz könnte beispielweise am Ende der Unterrichtsstunde noch einmal kurz

auf Julia mit den Worten zugehen: ¹ Hat mich sehr gefreut, dass du vor-hin so gut mitgemacht hast, Juliaª .

• Nachdem Julia mit ihrer Arbeit begonnen hat, wirft Frau Kunz jetzt einen Blick auf die gesamte Klas-se, um zu sehen, ob auch wirklich alle anderen Klassenkameraden mit ihrer Aufgabe begonnen ha-ben. Möglicherweise ist schon erste Unruhe entstanden, weil die Klasse Frau Kunz in der Zeit, wäh-rend sie sich Julia zugewendet hat, nicht mehr richtig wahrge-nommen hat.

• Und wenn das alles nicht gehol-fen hat? Dann flüstert sie Julia zu: ¹I ch möchte dich nach der Stunde sprechenª . Auch das wieder so diskret wie möglich.

• Aber was, wenn Julia darauf im-mer noch nicht reagiert? Dann kann Frau Kunz z.B. eine Warn-karte auf ihren Tisch legen. Dort steht: ¹ Wenn du dich ab jetzt an die Regeln hältst, werde ich deine Eltern nicht anrufenª .

• Eskaliert die Situation weiter, ruft Frau Kunz sofort nach Unterrichts-schluss Julias Eltern an, und zwar bevor diese zu Hause ihre Sicht der Dinge darlegen kann.

Konflikte nicht groû werden lassenClassroom-Management bietet eine ganze Reihe unterschiedlicher Optio-nen, die Lehrkräfte passgenau auf ihren Unterricht und ihre Klasse zuschnei-den können. Einige konnten in diesem Beitrag näher ausgeführt werden. Hin-zu kommen weitere wichtige Faktoren

wie beispielsweise die unterrichtliche Klarheit. Guter Unterricht wird von ei-ner Vielzahl an Faktoren bestimmt und

er ist und bleibt extrem anspruchsvoll. Classroom-Management hilft, Prob-leme und Konflikte nach Möglichkeit nicht eskalieren zu lassen, um mög-lichst viel aktive Lernzeit im Unterricht bereitstellen zu können.

CHRISToPH EICHHoRNDer Autor ist Diplom-Psychologe und arbeitet an der Schul- und Erziehungsberatungsstelle Graubünden (Schweiz). Er ist Autor von: Class-room-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta (2008). 4. Aufl. und in der Lehrerfortbildung zu den Themen Classroom-Management und Leh-rergesundheit tätig.

Literatur

Duckworth, A., Seligman, M. (2005): Self-Dis-cipline Outdoes IQ in Predicting Academic Performance of Adolscents. In: Psychological Science, Vol., 16, S. 939-944.

Eichhorn, C. (2008): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unter-richt gestalten. Klett-Cotta.

Emmer E., Evertson, C., Clements, B., Worsham, M., (1984): Classroom Manage-ment for Secondary Teachers.

Evertson, C., Emmer E., Worsham, M., (1984): Classroom Management for Elementary Teachers.

Glasser, W. (1975): Reality Therapie: A New Approach to Psychiatry.

Helmke, A. (2003): Unterrichtsqualität: Erfas-sen, bewerten, verbessern. Kallmeyer

Schaarschmidt, U., Kieschke, U. (2007): Ge-rüstet für den Schulalltag. Psychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer.

Wong, H., Wong, R. (2004): The First Days Of School.

Guter Unterricht wird von einer Vielzahl an Faktoren bestimmt und er ist und bleibt extrem anspruchsvoll. classroom-Management hilft, Probleme und Konflikte nach Möglichkeit nicht eskalieren zu lassen, um möglichst viel aktive Lernzeit im Unterricht bereitstellen zu können.

INFoKASTEN

Lernende stören weniger, wenn

• dieLehrkraftsorgfältigüberprüft,objedeSchülerinundjederSchülerihreAnweisungenexakt verstanden hat und sie die Aufgabenausführung vor allem zu Beginn sorgfältig beobachtet,

• siedenUnterrichtrhythmisiert,

• sichSchülerinnenundSchülerregelmäßigangesprochenfühlen,

• dieLehrkraftErfolgserlebnisseermöglichtunddenUnterrichtsoaufbaut,dassjederinderKlasse einen Beitrag zu den angesprochenen Themen leisten kann.

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STRESSTEST FÜR BILDUNGSREFoRMEN?Unterricht zwischen Empirie, Hirnforschung und Reformpädagogik

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Wie Unterricht gestaltet wird, wie sich Schule verändert, hat viel damit zu tun, in welcher Weise Lehr- und Lernprobleme öffentlich wahrgenommen und diskutiert werden. offenbar haben sich in den letzten Jahren einige inhaltliche Akzente gerade auch im pädagogischen Diskurs verschoben. Ende Mai dieses Jahres hatte das AfL zu einer Fachtagung nach Frankfurt eingeladen. Im Mittel-punkt standen aktuelle Konzepte des kompetenzorientierten Unterrichts für Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fächer. Als hauptreferent trat der hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck auf. In seinem Vortrag präsentierte er ein unterhaltsames Feuerwerk aus hirnforschung, Empirie und Reformpädagogik und vermittelte sehr anschaulich, mit welchen Themen sich die Wissenschaft heute intensiv auseinandersetzt.

Über zwei Jahre hatten sich hessenweit mehr als 160 Schulen an einem AfL-Projekt

zur Entwicklung von Konzepten und Unterrichtsszenarien beteiligt, um je-nes Potenzial für die schulische Praxis nutzbar zu machen, das sich die Fach-welt von Bildungsstandards und Kern-curricula in Verbindung mit Formen

eines kompetenzorientierten Unter-richtens verspricht. Die Ergebnisse dieser Entwicklungsarbeit konnten sich sehen lassen! Viele teilnehmen-de Schulen informierten an Ständen über ihre konkreten neu entwickelten Lernkonzepte.

Es ist noch nicht lange her, da hatten kritische Stimmen davor ge-warnt, die Maû nahmen zur Verbes-serung der Schulqualität könnten als typische ¹ Top Down Reformª ohne groû e Wirkung bleiben. Es mangele am nötigen unterrichtspraktischen Bezug. ¹ Reformen im Bildungswesen werden gegenwärtig mechanisch, ge-gen den Sachverstand der Lehrer und Hochschullehrer unter unerhörtem Zeitdruck verordnetª , formulierte der Bildungsexperte Andreas Gruschka gemeinsam mit anderen Erziehungs-wissenschaftlern im Jahr 2005 in der so genannten Frankfurter Erklärung (GRUSCHKA et.al.)

In der Tat haben sich zwar alle 16 Bundesländer darauf verständigt, das gesamte Schulsystem über Bildungs-

standards und kompetenzorientier-te Lehrpläne auf Output-Steuerung umzustellen. Im Zusammenhang mit Konzepten zur Kompetenzorientie-rung stellt Hilbert Meyer jedoch la-pidar fest: ¹L ehrerinnen und Lehrer sollen ab sofort nach einer Didaktik unterrichten, die es noch gar nicht gibtª . (MEYER)

Hessen, eines der Vorreiter unter den Bundesländern, wenn es um den Einsatz des Output orientierten Reform- instrumentariums geht, räumt sei- nen Schulen daher für die Erstellung eines eigenen Schulcurriculums eine Übergangszeit ein. Das verschafft Luft und mildert das ¹didak tische Dilem-maª ein wenig ab. Outputorientierung ist schlieû lich kein Selbstzweck. Stets geht es darum, die Qualität der Schul-bildung zu erhöhen. Dies soll durch

einen Verzicht detaillierter Lehrpläne und Regularien und einer Verstän-digung auf ¹ Ergebnisseª schulischer

Bildungswege bzw. schulischer Ab-schlüsse erreicht werden, was den Schulen mehr Freiraum in der konkre-ten Ausgestaltung des Lernens und Lehrens eröffnet. In wie weit dies ge-lingt, hängt davon ab, ob die ¹ neuen Konzepteª zum festen Bestandteil des Handlungsrepertoirs der Lehrerinnen und Lehrer werden. Tagungen und Projekte wie das hier erwähnte des AfL setzen genau an dieser Stelle an und können dazu beitragen, die Lü-cke zwischen ¹ Theorieª und Schulall-tag zu schlieû en.

Pragmatiker auf dem VormarschKann aber eine solche ¹ Reform von obenª überhaupt funktionieren, noch dazu wenn sie im Kern auf die Verän-derung traditionell gewachsener Sys-teme und ¹R outinenª abzielt? Wenn die eingeleiteten ¹ Maû nahmenª auf die Situation in den Schulen und die jeweiligen Problemlagen passen, wäre gegen das Etikett ¹ von obenª nicht viel einzuwenden.

Werfen wir einen weiteren Blick auf die aktuellen Inhalte des pädago-gischen Diskurses. Wenn deutlicher wird, welche Problemsicht heute do-miniert, lassen sich auch die aktuellen ¹R eformbemühungenª besser einord-nen. Ohne Anspruch einer erschöp-fenden Behandlung dieses Zusam-menhangs, kann davon ausgegangen werden, dass wir es mit einem Per-spektivwechsel zu tun haben. Dieser

wird gerne mit der Formel von der empirischen Wende in der Pädagogik beschrieben. Gemeint ist weniger Bil-

Stets geht es darum, die Qualität der Schulbildung zu erhöhen. Dies soll durch einen Verzicht detaillierter Lehrpläne und Regularien und einer Verständigung auf ¹ Ergebnisseª s chu-lischer Bildungswege bzw. schulischer Abschlüsse erreicht werden, was den Schulen mehr Freiraum in der konkreten Ausgestaltung des Lernens und Lehrens eröffnet. In wie-weit dies gelingt, hängt davon ab, ob die ¹ne uen Konzepteª zum festen Bestandteil des handlungsrepertoirs der Lehrerinnen und Lehrer werden.

Es kann davon ausgegangen werden, dass wir es mit einem Perspektivwechsel zu tun haben. Dieser wird gerne mit der Formel von der empirischen Wende in der Pädagogik be-schrieben. Gemeint ist weniger Bildungstheorie, die eher philosophisch argumentativ vorgeht, dafür aber ein Mehr an Bildungsforschung, Empirie und Praxisstudien.

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dungstheorie, die eher philosophisch argumentativ vorgeht, dafür aber ein Mehr an Bildungsforschung, Empirie und Praxisstudien.

Fast scheint der Begriff Bildung hinter dem Begriff Kompetenzer-werb zu verschwinden. Der päda-gogische Himmel hat sich geleert. Die einstigen Götter wie Humboldt, Piaget, Pestalozzi oder Freinet haben sich resigniert zurückgezogen. An ihre Stelle sind Pragmatiker getreten, die vor allem an der Verwertbarkeit wissenschaftlicher Arbeit orientiert

sind. Der neue Senkrechtstarter John Hattie verkörpert dies wie kaum ein anderer! Für seine umfangreiche For-schungsarbeit formuliert er mit Ve-hemenz seine Leitfrage ¹ What works best?ª (Bildung bewegt, Nr. 13) Wobei Verwertbarkeit, wenn sie tatsächlich dazu beiträgt, die Schule im Kern zu verbessern, gar kein Vorwurf sein soll.

Eckart Klieme betont vor allem die positiven Aspekte der aktuellen Reform. ¹ Ich bin überzeugt, dass die Einführung von Bildungsstandards und Kerncurricula neue Impulse für den Unterricht geben kann und sich auch auf die professionelle Arbeit in den Schulen auswirken wird. Und zwar nicht nur, wenn es um Tests und Vergleichsarbeiten geht, sondern auch bei der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler oder bei der Kooperation im Kollegium. Aber ich bin auch der Auffassung, dass dies nicht die plötzliche Revo-lutionierung des Curriculums oder des Unterrichts bedeutet. (Bildung bewegt, Nr. 9)

Schule wird damit als ¹ Instanzª sichtbar, die Kompetenz und Fertig-keiten vermittelt, die ¹ lebenstüchtig machtª; weitergehende ¹s innstiftende Aussagenª t reten in den Hintergrund.

¹D er erste Lehrstuhlinhaber der Pädagogik war 1780 Ernst Christian Trapp in Halle. Er postulierte als ers-tes Erziehungsziel die ¹B ildung zur Glückseligkeitª . Diese Idee scheint aber lange nicht mehr aktuell zu sein. Stattdessen fokussieren wir uns mit ei-ner einseitigen Form der empirischen

Bildungsforschung auf das Messen und Vermessen von Leistung. Mit dieser Bewertung steht der Kasseler Pädagogikprofessor Olaf-Axel Burow wohl kaum allein. (BUROW)

Auf jeden Fall halten wir fest, dass Erziehungswissenschaft heute weni-ger philosophisch daher kommt und die Definition von Sinnzusammenhän-gen und Werten eher der Theologie überlässt. Die Fachtagung des AfL bot nun die Gelegenheit, mit Peter Struck einen bedeutenden Vertreter der er-ziehungswissenschaftlichen Zunft live

vor Publikum zu erleben, ausgestattet mit Mikrofon, Notebook und Power-point Präsentation.

In der Pädagogik gibt es kein Entweder-oderSchon bei seinen ersten Worten wird klar, dass hier jemand auftritt, der nicht doziert, sondern der es versteht, sein Expertenwissen mit Verve und hohem Unterhaltungswert vorzutragen. Dass er dabei einen Takt zu schnell spricht, verzeiht ihm das fasziniert lauschende Auditorium. Über eine Stunde Vor-trag, ohne eine Sekunde der Langwei-le, das gibt es auf Fachtagungen nicht oft. Kein Problem für Peter Struck, ob-wohl er erst einmal, nicht gerade ori-ginell, den PISA-Schock als Einstieg

wählt. ¹Se itdem aber, ª so fährt er fort ¹g eht es mit den deutschen Schulen schneller voran.ª

Von den 36.000 öffentlichen Schu-len seien inzwischen 2.500 in der Zukunft angekommen, stellt er fest. Seine Aussagen belegt er stets mit eindrucksvollen Schaubildern und Verweise auf entsprechende For-schungsergebnisse. Gute Schulen

gebe es in NRW, Bremen, in Baden, um den Bodensee und natürlich auch in Hessen. Er verzeichnet eine unideo-logische Konvergenz in der Schulent-wicklung. Wieder klingt hier die ein-gangs erwähnte Akzentverschiebung in der Wahrnehmung pädagogischer Fragestellungen an. Nach Struck tra-gen dazu Erkenntnisse der modernen Hirnforschung, aber auch internatio-nale Vergleichsstudien und positive Erfahrungen aus unterschiedlichen Reformschulen bei. ¹D ie öffentlichen Schulen bemühen sich, den privaten ähnlicher zu werden.ª Schlieû lich gebe es gerade in der Pädagogik kein ¹E ntweder oderª . ¹ Was für das Lernen wirkungsvoll ist, hängt mit der jewei-ligen Entwicklungsstufe eines Kindes zusammenª , ist Struck überzeugt.

Und er zitiert aus weiteren For-schungsstudien. Ein Kind lernt bis zum 11. Lebensjahr im Allgemeinen besser, wenn es sich bewegt, die Kör-perposition wechselt und nicht stän-dig still halten muss. Jugendliche ab 14 Jahren lernen jedoch besser, wenn sie auf einem Stuhl sitzen. Ebenso ler-nen Kinder bis zum 13. Lebensjahr messbar mehr, wenn sie keine Noten erhalten. Jugendliche ab 14 Jahren lernen dagegen mit Noten messbar besser. Kanada, stets in der PISA-Spit-zengruppe, untermauert mit seinen Schulen die These, dass Kinder von fachfremd unterrichtenden Lehrkräf-ten in der Regel mehr lernen als von den Fachlehrkräften. ¹ Das bietet uns eine Erklärungsmöglichkeit dafür, wa-rum unsere deutschen Grundschulen im internationalen Vergleich ziemlich gut abschneidenª , fügt Struck an. Im-mer wieder verbindet er in seinem

Vortrag Bekanntes mit weniger Be-kannten, lässt weitere Schaubilder und Grafiken folgen.

Dann greift er das Thema ¹ Medien-konsumª auf, geht auf die veränderte Sozialisation der Kinder ein. ¹ 30 Stun-den Medienkonsum allein von Freitag Mittag bis Sonntag Abend. Das ist für viele Kinder heute leider Alltag. Das Gehirn entwickelt sich anders, die

Auf jeden Fall halten wir fest, dass Erziehungswissenschaft heute weniger philosophisch daher kommt und die Definition von Sinnzusammenhängen und Werten eher der Theologie überlässt.

Die öffentlichen Schulen bemühen sich, den privaten ähnlicher zu werden. Schlieû lich gibt es gerade in der Pädagogik kein ¹ Entweder oderª . Was für das Lernen wirkungsvoll ist, hängt mit der jeweiligen Entwicklungs-stufe eines Kindes zusammen.

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BILDUNG IM BLICK

Vertaktungen verändern sich.ª Die Entwicklungspsychologie sagt uns, dass die Menschen heute emotio-nal früher entwickelt und reif seien, bereits mit 14 Jahren etwa. Jedoch erreiche die Vernunftzone im Gehirn ihre Reife mit ca. 30 Jahren deutlich später als in der Vergangenheit. Kin-der können sich heute weniger gut konzentrieren. Ein Unterricht mit vor-tragender Lehrkraft erreicht sie daher kaum noch. Was tun? Kinder lernen vor allem auch voneinander, am bes-ten, wenn mehrere Sinne gleichzeitig gefordert sind, nicht nur ¹Z uhörenª , und ¹Se henª . Theater, Rollenspielen, etwas Präsentieren, Ausprobieren und Fehlermachen können, dies alles ver-stärke Lerneffekte.

Von Belehrungsanstalten und UnterrichtsrhythmenAuch wenn sich Einiges in diese Rich-tung bewegt, seien deutsche Schulen im internationalen Vergleich weiterhin nur Mittelmaû , weil sie sich noch zu sehr als Belehrungsanstalten begrei-fen, in denen eine das Lernen eher behindernde Beschämungs- und Feh-lerkultur dominiere.

Bedenklich sei auch, dass die Jun-gen in deutschen Schulen scheinbar immer schlechter und die Mädchen immer besser würden. Dies kann in Dänemark oder Schweden nicht fest-gestellt werden. ¹Auch dafür bieten uns die Entwicklungspsychologen eine plausible Erklärung anª , meint Struck. Zwar gelte es ganz allgemein für alle Menschen, dass sie durch Aus-probieren, eigenes Handeln und Feh-lermachen besser lernen. Allerdings gibt es einen geschlechtsspezifischen Unterschied. 60 Prozent der Mädchen lernen am besten durch Ausprobie-ren und eigenes Handeln, während 40 Prozent von ihnen aber auch durch Zuhören, Sehen und Lesen lernen können. Dagegen liegt der Anteil der Jungen, die nur gut lernen kön-nen durch Ausprobieren und eigenes Handeln, bei 90 Prozent. Demnach bevorzugt eine Schule, die vorwie-gend auf die klassischen Lernformen setzt, tendenziell Mädchen.

Und schon wechselt Struck wieder von der Entwicklungspsychologie zu den internationalen Vergleichsstudi-en. Schweden und Norwegen, erklärt er, benoten die Leistungen ihrer Schü-lerinnen und Schüler erst ab der 9. Klasse. Auch der nach Fächern ausdif-ferenzierte Unterricht ist international eher auf dem Rückzug. Immer mehr

setzen sich so genannte Lernfelder durch wie z.B. Naturwissenschaften, Gesellschaftskunde, Fremdsprachen. Ein Schüler spricht in Deutschland in einer 45-minütigen Unterrichtsstun-de durchschnittlich eine Minute. In

Finnland finden dagegen weite Par- tien des Fremdsprachenunterrichts im Chor statt.

Peter Struck bezieht sich keines-wegs nur auf Forschungsstudien und Empirie. Per Video präsentiert er praktische Unterrichtsbeispiele be-sonders ¹ erfolgreicherª Schulen aus der Schweiz oder aus den USA. ¹K in-der lernen sehr gut voneinander. Sie lernen durch Ausprobieren, aus den eigenen Fehlern, wenn wir es ihnen ermöglichen.ª Sie lernen oft besser in altersübergreifenden Lerngrup-pen und in einer Ganztagsschule, die einem anderen Unterrichtsrhythmus folgt. Dazu gehört es auch, dass die Lehrkräfte stärker im Team arbeiten. Hätten wir in Deutschland z. B. mehr Lernen durch ¹F ehlermachenª , dann gäbe es kaum einen Unterschied zwi-schen Jungen und Mädchenª , ist er überzeugt.

Alles in allem ist es nach dem Ende des interessanten und sehr en-gagierten Vortrags nicht unbedingt einfacher geworden, den Erziehungs-wissenschaftler Peter Struck zu veror-ten. Ist er philosophischer Theoretiker oder doch eher pragmatisch auf den Nutzwert seiner pädagogischen Wis-senschaft ausgerichtet? Gewiss lag es an der Kürze der Zeit, dass er sich auf Problemanrisse beschränken musste. Auf jeden Fall ist es ihm gelungen, Im-pulse für weitere spannende Diskus-sionen zu liefern. Vielleicht werden manche der Anwesenden auch noch einmal selbst recherchieren oder ei-nes der angesprochenen Themen in einer der nächsten Projektgruppen aufgreifen. Es liegt nahe, dass Lehre-rinnen und Lehrer ¹E rgebnisseª aus Forschung und Wissenschaft zu ihren

eigenen alltäglichen Erfahrungen und ihren eigenen professionellen ¹R ollenª in Bezug setzen, ganz gleich ob diese entwicklungspsychologisch hergeleitet wurden, aus den Neuro-wissenschaften oder internationalen

Vergleichsstudien kommen, empi-risch gewonnen oder eher theore-tisch reflektierend deduziert wurden. Selbst wenn sich Bildungsreformen und neue Unterrichtskonzepte auf solche Forschungsergebnisse stüt-zen, hängt deren Wirksamkeit nicht zuletzt davon ab, ob sie den praxisna-hen ¹S tresstestª in den Kollegien der Schulen erfolgreich bestehen.

WALTER ZoUBEK

Literatur

BILDUNG BEWEGT: Zeitschrift Bildung be-wegt Nr. 13, Amt für Lehrerbildung, Frankfurt 2011 und Nr. 9, Amt für Lehrerbildung, Frank-furt 2010, S. 8

BUROW O. A.: Lernen nach dem Beatles-Modell, Interview mit Olaf-Axel Burow in der Frankfurter Rundschau vom 28.07.11

GRUSCHKA A. et al.: Das Bildungswesen ist kein Wirtschaftsbetrieb, Fünf Einsprüche von Andreas Gruschka, Ulrich Herrmann, Frank-Olaf Radtke, Udo Rauin, Jörg Ruhloff, Horst Rumpf, Michael Winkler, Frankfurter Rund-schau 10. Oktober 2005

MEYER H.: ¹K ompetenzorientierung allein macht noch keinen guten Unterrichtª , Vortrag an der Universität Potsdam, 2011, Internet: http://www.uni-potsdam.de/zfl/TdLB/2011/abstractmeyer.pdf

Peter Struck ist Dozent an der Universität Ham-burg und verfügt über langjährige Erfahrungen als Lehrer an Volks- und Realschulen. Studiert hat er neben Pädagogik auch noch Biologie und Kriminologie. Eines seiner Bücher, das 1994 erscheint, trägt den Titel ¹ Neue Lehrer braucht das Landª . Er veröffentlicht regelmä-û ig, darunter z. B. die Schriften ¹ Die Schule der Zukunftª (1996), ¹ Schule macht Spaû ª (2003) oder ¹ Lernen lernenª 2009.

Es liegt nahe, dass Lehrerinnen und Lehrer ¹E rgebnisseª aus Forschung und Wissenschaft zu ihren eigenen alltäglichen Er-fahrungen und ihren eigenen professionellen ¹ Rollenª in Be-zug setzen, ganz gleich ob diese entwicklungspsychologisch hergeleitet wurden, aus den Neurowissenschaften oder inter-nationalen Vergleichsstudien kommen, empirisch gewonnen oder eher theoretisch reflektierend deduziert wurden.

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Wie sieht nun der aktuel-le Bedarf an Beratung im schulischen Kontext aus?

¹D ie Schule steht zur Zeit vor groû en Entwicklungsaufgaben. Sie muss sich nicht nur auf neue Strukturen, sondern auch auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Schüler-persönlichkeiten einstellenª (GREWE). Um auf diesem Wandel angemessen zu antworten, sind hinreichende Fort-bildungsmaû nahmen zur Beratung unbedingt erforderlich. Dieses Thema wird jedoch in manchen Bundeslän-

dern in Anbetracht ungenügender Geldmittel kaum aufgegriffen. Eher werden das Problem und entspre-chende Lösungsstrategien verdrängt. Stellen von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, Kapazitäten von Beratungslehrkräften werden wegra-tionalisiert, wodurch sich der Zustand in der Schule sowie auch im Unterricht nicht verbessert. (GREWE)

In dieser Situation ist es wichtig, aufgrund des hohen Bedarfs den Zugang zu spezifischen Lehrangebo-ten in der Lehrerbildung so weit wie

möglich zu vereinfachen und auch das Erlangen zentraler Beratungs-kompetenzen so effektiv und effizient wie möglich zu gestalten.

Inhalte und Ablauf des eintägigen Kurztrainings mit LehrvideosIm Rahmen einer Abschlussarbeit an der Technischen Universität Darm-stadt wurde eine Trainingsstudie über ein eintägiges Kurztraining zur Bera-tungskompetenz mit 32 Studieren-den im Fach Psychologie durchge-führt. Dabei wurden Grundlagen der

Was ist gute Beratung und wofür wird diese im schulischen Alltag benötigt? Es gibt zahlreiche Ansätze der Beratung in der Schule. So führen SchWARZER und BUchWALD aus: ¹ Beratung [ist] eine kurzfristige soziale Interaktion zwischen Ratsuchenden und Beratenden, bei der dem Rat- suchenden Unterstützung zur Bewältigung seines Problems angeboten wird. Sowohl bei lebens- praktischen Fragen als auch in psychosozialen Krisen erarbeiten Ratsuchende und Beratende gemeinsam kognitive, emotionale und praktische Problemlösungen.ª

BERATUNGSKoMPETENZ DURCH DEN EINSATZ VoN LEHRVIDEoSEin praxisorientierter Zugang durch die Analyse von Lehrvideos zur Beratung in Schulen

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DVD

BILDUNG IM BLICK

Beratungskompetenz vermittelt und innerhalb von Rollenspielen praktisch angewendet. Um die Lerneffekte des Trainings zu erhöhen, wurden selbst-gedrehte exemplarische Lehrvideos eingesetzt, die eine Beratungssitu-ation zwischen einem Elternteil und einer Lehrkraft zeigten. Das Training wurde in Anlehnung an eine Arbeit von HERTEL, die sich mit Kompetenz-diagnostik, Kompetenzförderung und Kompetenzmodellierung in der Bera-tung beschäftigt, ausgerichtet.

Es begann mit der Erarbeitung der Grundlagen der Kommunikation nach SCHULZ von THUN (s. Kasten) und mit dem Thema: ¹ Was bedeutet gute Bera-tung?ª . Anschlieû end wurden Schlüs-selkompetenzen der Beratung anhand des Beratungssterns (HENNING/EHIN-GER) und die Gesprächsabschnitte einer Beratung vorgestellt. Zur Ver-deutlichung des theoretischen Inhalts wurden ein Positiv- und Negativmodell einer Beratungssituation zwischen El-ternteil und Lehrenden über Lernpro-blematiken des Kindes anhand eines Lehrvideos mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemeinsam analy-

siert. Im ersten Durchgang wurden durch sequenzielles Ansehen und be-darfsgerechter Wiederholung die Ab-schnitte der Beratung d.h. Aufwärm-phase, Gesprächskern und Abschied stufenweise herausgearbeitet.

Im Anschluss wurde das PELZ-Mo-dell (SICKINGER) als wichtiger Teil des Gesprächskerns vorgestellt. Dabei steht P für die Problemwahrnehmung und -definition, E für Erklärungsmo-delle des jeweiligen Problems, L für Lösungsversuche und Z für Ziele de-nen die Klienten nachgehen möch-ten. Für die Formulierung von Zielen wurde ergänzend das SMART-Modell vorgestellt (MONTADA/KALS). Dabei steht S für spezifisch, M für messbar, A für anspruchsvoll, R für realisierbar und T für terminierbar.

In einer darauffolgenden Grup-penarbeit befassten sich die Teilneh-merinnen und Teilnehmer mit ausge-wählten Berater-Skills. Dazu gehören das Paraphrasieren, aktives Zuhören und die empathische Anteilnahme. Beim Paraphrasieren wird die Aus-sage des Ratsuchenden durch den Beratenden mit eigenen Worten zu-

ABB. 1: ABLAUF DES 1-TäGIGEN KURZTRAININGS MIT LEHRVIDEoEINSATZ (IN ANLEHNUNG AN HERTEL)

Trainingsblöcke

Block 1

Block 2

Block 3

Block 4

Trainingsinhalte

- Grundlagen der Kommunikation- 4 Seiten einer Nachricht (Schulz und Thun)- Feedbackregeln- Was ist gute Beratung

- Grundlagen der Beratung- Beratungsstern- Beratungsabschnitte- PELZ-Modell- SMART-Modell

- Grundlagen der Gesprächsführung- aktives Zuhören- Paraphrasieren

- Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen

Methode

VortragVortragVortragZuruffrage

VortragVortrag+Instruktion+InstrauktionVortrag

KurzvortragInstruktionInstruktion

Zurruffrage

Medium

PPT 1

PPTFlipchartMetaplanwand

PPTPPTLehrvideo(-&+)2

Lehrvideo(+)3

PPT + Tafel

PPTLehrvideo(+)Lehrvideo(+)

PPT

1 PPT: Power-Point-Präsentation / 2 Lehrvideo Negativbeispiel und Positivbeispiel / 3 Lehrvideo Positivbeispiel

INFoKASTEN

Grundlagen der Kommunikation:

Bei jeder Art von Kommunikation gibt es einen Sender und Empfänger. Der Sender teilt die Nachricht dem Empfänger mit und der Empfänger nimmt diese Nachricht auf, reagiert wiederum und sendet etwas zurück. Beide Kommunikationspartner werden somit zum Sender und Empfänger und nehmen aufeinander Einfluss. Dieser Prozess ist auch als Interaktion zu bezeichnen. Eine Nachricht umfasst zusätzlich auch vier Seiten: die Selbstoffenbarung, den Appell, die Beziehung und der Sachinhalt (nach SCHULZ von THUN).

sammengefasst. Dazu ein Beispiel aus dem Lehrvideo: ¹ Verstehe ich Sie richtig, dass Pauls und ihr Alltag sehr durcheinander gekommen ist und dies möglicherweise mit seinen Schulproblemen in Zusammenhang steht?ª Aktives Zuhören dagegen be-zieht sich auf die emotionalen Anteile der Aussage des Ratsuchenden, wie ¹I ch sehe, dass sie sich groû e Sorgen machen.ª Die empathische Anteil-nahme zeigt sich in der Art, wie der Beratende dem Ratsuchenden Ver-ständnis und aufmerksames Zuhören signalisiert - wie z.B. in der Äuû erung ¹D as kann ich gut nachvollziehen.ª

Im Anschluss daran folgte der zwei-te Durchgang der Videoanalyse. Dieses Mal wurden Schritt für Schritt die vorher theoretisch erarbeiteten Berater-Skills anhand des schon bekannten positiven Videobeispiels analysiert. Dabei sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die zuvor behandelten Berater-Skills he- rausfinden und diese in Abgrenzung zu anderen Beratungskompetenzen erläu-tern. Am Ende des Trainings wurde zur Sicherung des Transfers der Umgang mit schwierigen Beratungssituationen behandelt. Hier wurden die Gründe für schwierige Situationen eruiert und Emotionen, die bei der beratenden Per- son und beim Ratsuchenden aufkom-men können, ergründet. Im Anschluss wurden Lösungsmöglichkeiten und konkrete Situationen aufgezeigt, aber auch der Umgang mit Aggressionen seitens des Ratsuchenden diskutiert.

Erfassung der Beratungskompetenz und Auswertung Das vorgestellte Kurztraining wurde in zwei Gruppen durchgeführt, wobei

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nur in einer Gruppe (Experimental-gruppe) Videos analysiert wurden, um dann den Erfolg der Trainings mitein-ander zu vergleichen und die Effekte der Videoanalyse prüfen zu können. Zur Erhebung der Beratungskompe-tenz in der Experimental- wie auch der Vergleichsgruppe (die keine Vide-os gezeigt bekamen), wurden vor und nach dem Training ein Wissenstest zu theoretischen Grundlagen und ein Fragebogen zur Selbst- und Fremd-beurteilung der Beratungskompe-tenz eingesetzt. Auû erdem führten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor und nach dem eigentlichen Trai-ning Beratungsgespräche anhand von Rollenspielen selbst durch, die

inhaltlich an der Situation des Lehr-videos ausgelegt waren. Diese wur-den per Tonband aufgenommen und anhand eines Kategoriensystems zur Kompetenzdiagnose (BRUDER 2006) ausgewertet. Das Kategoriensystem umfasst fünf Kompetenzdimensio-nen der Beratungskompetenz wie Berater-Skills, Lösungs- und Ressour-cenorientierung, Diagnostizieren/Pädagogisches Wissen, Kooperation und Bewältigung (BRUDER u.a. 2010). Anhand dieses Kategoriensystems konnten die Tonbandgespräche sys-tematisch nach den einzelnen Bera-tungsfacetten analysiert werden.

Ergebnisse der Studie Die Gesamtergebnisse der durchge-führten Trainings in beiden Gruppen zeigen, dass im Bereich der Berater-Skills, der Ressourcen-/Lösungsorien-tierung und der Kooperations- und Perspektivenübernahme messbar bedeutsame Kompetenzen erlangt werden konnten. Zu den Berater-Skills gehören unter anderem Kom-petenzen wie ¹L ehrer vermittelt durch verbale Äuû erungen, dass zugehört wirdª (empathische Anteilnahme), ¹L ehrer nimmt emotionale Anteile in Aussagen der Eltern wahr und spie-gelt sie in eigenen Worten widerª (aktives Zuhören). Zum Bereich der Ressourcen- und Lösungsorientie-rung gehören z.B. Kompetenzen wie ¹L ehrer erarbeitet und legt mit Eltern konkrete Ziele festª , ¹L ehrer themati-

siert die Ressourcen der Elternª . Die Kompetenz ¹L ehrer fragt Eltern nach ihrer Sicht des Problemsª gehört in den Bereich der Kooperations- und Perspektivenübernahme. Auch in der Abschiedsphase wurde ein deutlicher Zuwachs von Vereinbarungen für den weiteren Beratungsprozess getroffen.

Durch den Einsatz der Lehrvideos konnten - im Vergleich mit der Grup-pe ohne Lehrvideos - bedeutsam bes-sere Ergebnisse in den Aspekten der Berater-Skills, wozu Paraphrasieren, aktives Zuhören und empathische Anteilnahme gehört, erzielt werden. Genau diese Inhalte wurden verstärkt in der Gruppenarbeit zum Paraphra-sieren und aktiven Zuhören und im

zweiten Durchgang der Videoanaly-se aufgegriffen und explizit mit den Teilnehmenden analysiert. In der Ver-gleichsgruppe kam an dieser Stelle lediglich ein Quiz über die Berater-Skills zum Einsatz.

Das Ergebnis der Studie zeigt, dass schon ein eintägiges Kurztraining und der gezielte Einsatz von Lehrvi-deos zu einem messbar gesicherten Kompetenzzuwachs in bestimmten Bereichen der Beratung beitragen. Selbstverständlich reicht ein Kurztrai-ning nicht aus, um hinreichende Bera-tungskompetenzen zu beherrschen. Dies sollte in mehrere bzw. umfassen-dere Maû nahmen eingebettet sein.

Um auch die Nachhaltigkeit von erworbenen Beratungskompetenzen zu sichern, kann man sich auf die Er-gebnisse von STRASSER und GRUBER beziehen, die Erfahrung als eine wich-tige Basis für beraterisches Handeln hervorheben. Mit Hilfe der Studie konnte verdeutlicht werden, dass die intensive Analyse von Lehrvideos, die Gesprächssituationen aus dem Schulalltag abbilden, durchaus für den Einsatz in Beratungsfortbildun-gen empfehlenswert sind, um einen höheren Kompetenzgewinn bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu erzielen. Damit könnten derzeitige Fortbildungen innerhalb der Beratung effektiver und effi zienter gestaltetet werden. Auch der Kompetenzerwerb und Transfer des Gelernten in die Berufspraxis der Lehrkräfte würde

höchstwahrscheinlich erleichtert wer-den. Letztendlich könnte auf diese Weise die Qualität der Beratung inner-halb der Schule verbessert werden. Generelles Ziel bleibt gleichwohl, so-wohl die Beratungs- als auch die dia-gnostische Kompetenz schon in die erste Phase der Lehrerausbildung zu integrieren.

B.SC. PSYCH. VICToRIA MISCH

Literatur

Bruder, S., Klug, J., Hertel, S. & Schmitz, B. (2010). Modellierung der Beratungskompe-tenz von Lehrkräften. In: E. Klieme, D. Leutner & M. Kenk (Hrsg.), Kompetenzmodellierung. Zwischenbilanz des DFG- Schwerpunktpro-gramms und Perspektiven des Forschungsan-satzes. 56. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim, Basel: Beltz (273-284).

Bruder, S. (2006). Evaluation einer Lehrerfort-bildung: Kompetenzdiagnostik durch Beob-achtung und Überprüfung der Wirksamkeit von Beratungsgesprächen, (Unveröff. Diplom-arbeit), Technische Universität Darmstadt.

Grewe, N. (2005). Der Einsatz von Beratungs-lehrkräften und Entwicklungstendenzen in der schulischen Beratung. In: N. Grewe (Hrsg.), Pra-xishandbuch Beratung in der Schule. Grund-lagen, Aufgaben und Fallbeispiele. München, Neuwied: Luchterhand (5-12).

Hertel, S. (2009). Beratungskompetenz von Lehrern. Kompetenzdiagnostik, Kompetenz-förderung und Kompetenzmodellierung. Münster i.W.: Waxmann.

Henning, C., Ehinger, W. (2010). Das Elternge-spräch in der Schule. Donauwörth: Auer.

Misch, V. (2009). Trainingsstudie zur Verbes-serung der Beratungskompetenz durch den Einsatz von Lehrvideos zum Gesprächsaufbau und Gesprächsstrategien, (unveröff. Bachelor-arbeit), Technische Universität Darmstadt.

Montada, L., Kals, E. (2007). Mediation ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage. Weinheim, Basel: Beltz (274).

Schwarzer, C., Buchwald, P. (2006). Beratung in Familie, Schule und Beruf. In: B. Wiedenmann & A. Krapp (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Weinheim, Basel: Beltz (575-612).

Schulz von Thun, F. (2008). Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psy-chologie der Kommunikation. Reinbek: Ro-wohlt Taschenbuch Verlag.

Sickinger, G. (2006). Vom Erstkontakt zum Ar-beitskontrakt. In: M. Vogt-Hillmann & W. Burr (Hrsg.), Kinderleichte Lösungen. Lösungsori-entierte Kreative Kindertherapie. Dortmund: Borgmann (189-200).

Strasser, J., Gruber, H. (2003). Kompetenzer-werb in der Beratung: Eine kritische Analyse des Forschungsstandes. In: Erziehung und Un-terricht: 50 (381-399).

In Kooperation mit dem Deutschen Institut für internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt werden Fortbildungsange-bote für Lehrer in diesem Bereich angeboten (http://www.idea-frankfurt.eu/kinder/projekte/projekt-elbe

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Generelles Ziel bleibt gleichwohl, sowohl die Beratungs- als auch die diagnostische Kompetenz schon in die erste Phase der Lehrerausbildung zu integrieren.

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GLEICH oDER GERECHT? Warum Bildungsgerechtigkeit weniger eine Klassenfrage als vielmehr eine Frage der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen im Klassenzimmer ist.

Wo über Ungleichheiten im Bildungswesen ± also über die ungleiche Bildungsbeteiligung und die ungleichen Bildungsergebnisse der Geschlechter, sozialen Schichten oder Ethnien ± berichtet und über den Anteil von Schule und Unterricht an ihrem Zustandekommen spekuliert wird, liegen meist Vorstellungen von anteilsmäû iger Gleichheit und chancengleichheit nicht fern. Dabei führt das Gleichheitsprinzip nicht weiter, wenn es um den angemessenen schulischen und unterrichtlichen Umgang mit solchen Ungleichheiten geht. Weil doch die Ausdifferenzierung und nicht das Nivellie-ren von Ungleichheiten zu den Kernaufgaben von Schule und Unterricht gehört.

In immer kürzeren Abständen prä-sentieren Stiftungen (vor allem Bertelsmann), Konsortien (vor al-

lem PISA) und andere Agenten der Bildungsberichterstattung alarmie-rende Befunde zu Ungleichheiten der Bildungsbeteiligung und bei den Bil-dungsergebnissen: 14 % der Jugend-lichen ohne Migrationshintergrund kommen über die unterste Stufe der Lesekompetenz nicht hinaus, aber 35 % der Zugewanderten. Etwa 5 % der Mädchen ohne Migrationshintergrund haben 2008 die Schule ohne Haupt-schulabschluss als Mindestqualifi ka-tion verlassen, aber 18 % der Jungen aus Zuwanderungsfamilien. Mehr als

80 % der Kinder aus den höheren so-zialen Schichten erhalten eine Gymna-sialempfehlung, bei Kindern aus den niedrigeren Sozialschichten sind es weniger als 20 Prozent. Und die Wahr-scheinlichkeiten, eine Klasse wieder-holen zu müssen oder eine Diagnose sonderpädagogischen Förderbedarfs zu erhalten, sind für männliche Kinder und Jugendliche, für solche aus nied-rigeren sozialen Schichten sowie aus Zuwanderungsfamilien deutlich höher als in den jeweiligen Referenzgrup-pen. Auch das relative Lebensalter der Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung, ob sie also zu den vergleichsweise jüngeren oder älteren ihres Jahrgangs

zählen, zieht offenbar Ungleichheiten nach sich: Für die Jüngeren einer Jahr-gangsklasse ist die Wahrscheinlichkeit einer Gymnasialempfehlung um 8 % geringer ± dagegen ist es um bis zu 30 % wahrscheinlicher, dass sie später die Diagnose einer Lern- oder Verhaltens-störung erhalten.

Die Zahlen sind problematisch, weil es zu viele Kinder und Jugendliche sind, die Mindeststandards verfehlen und eine Mindestqualifi kation nicht erwerben. Weil die Bildungsarmut so deutlich mit dem Geschlecht, der sozialen und der nationalen Herkunft zusammenhängt, wird sie zudem als ungerecht empfunden. Ungerecht er-

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ERFoRSCHT UND ENTWICKELT

scheint uns das statistische Ungleich-gewicht, wo doch eine Ungerechtig-keit im Sinne formeller Restriktionen gar nicht mehr besteht. Denn der Zu-gang zu Bildung und zum Bildungser-folg steht in gleicher Weise allen offen ± ungeachtet ihrer Geschlechtszuge-hörigkeit und Konfession, der sozialen und der ethnischen Herkunft.

Ursachen von UngleichheitenWie kommen die Ungleichheiten zu-stande? Bedingungsfaktoren sind vor allem auf drei Ebenen zu suchen: bei

den ungleichen individuellen Lernvor-aussetzungen, bei den ungleichen Un-terstützungsqualitäten der häuslichen Lernumgebungen sowie in den Bedin-gungen von Schule und Unterricht.

Dass ungleiche individuelle Lernvor-aussetzungen ungleiche Lernergebnis-se nach sich ziehen, darf nicht überra-schen. Weil sie wichtige Einflussgröû en des Lernens sind, ist es nur folgerichtig, dass die Lernvoraussetzungen auch mit Unterschieden in der Lern- und Leis-tungsentwicklung einhergehen. Ein wichtiger Mechanismus dabei ist, dass die anfänglich günstigeren Lernvoraus-setzungen von Beginn an für eine vor-teilhaftere Lernentwicklung sorgen. Und dass die kumulativ erworbenen Kennt-nisse und Fertigkeiten ihrerseits erneut zu wichtigen individuellen Lernvoraus-setzungen werden.

Auch dass Eltern ihr kulturelles Kapital gezielt einsetzen, um die Lern-voraussetzungen und Lernfortschritte ihrer Kinder zu befördern und so ihren Bildungsweg zu erleichtern, ist nahe-liegend. Das kulturelle Kapital bemisst sich an der familiären Verfügbarkeit von Bildungsgütern und an der Zu-gänglichkeit zu Bildung. Ob sprachli-che und schriftsprachliche Anregun-gen (wie Vorlesen, Gespräche, Bücher und Zeitungen) sowie musische und künstlerische Anreize (wie Musikin- strumente und -unterricht, Besuche in Museen oder Ausstellungen und im Theater) zur Verfügung stehen und genutzt werden, ist eine Frage des kulturellen Kapitals. Durch seine fa-miliäre Sozialisation erwirbt ein Kind in diesem Sinne von Beginn an sein Bildungskapital, aber auch habituelle

Lerngewohnheiten und eine Wert-schätzung von Lernen und Bildung insgesamt. All dies ist schul- und damit ungleichheitsrelevant.

Die Beziehungen sind allerdings vielschichtiger und komplexer als es die Bildungssoziologie gemeinhin modelliert, denn individuelle Bildung resultiert nicht automatisch aus den kulturellen Ressourcen einer Fami-lie, sondern muss durch individuelle Lernaktivitäten erworben werden. Wo häusliche Unterstützung dringend notwendig wäre, aber ausbleibt, wird

die schulische Lernentwicklung hinter dem Möglichen zurückbleiben. Man mag die Frage stellen, wieweit es Auf-gabe der Schule oder vorschulischer Einrichtungen ist, die Reproduktion der familiär bedingten Ungleichheiten zu durchbrechen. Eine ganz andere Frage ist, ob sie über die dazu not-wendigen Instrumentarien überhaupt verfügt.

Soziale Disparitäten können auch durch die Struktur eines Bildungswe-sens und durch unterrichtliche Praktiken begünstigt oder akzentuiert werden. Strukturelle Einflüsse manifestieren sich vor allem an den Übergängen, also bei der Einschulung und beim Übertritt in das Sekundarschulwesen.

Der Unterricht selbst kann un-gleichheitsrelevant werden, wenn in unterschiedlichen Schulklassen und in Schulen unterschiedlicher Schulfor-men ¸ unterschiedlich gut` unterrich-

tet wird und wenn das unterrichtliche Vorgehen auf unterschiedliche Lern-voraussetzungen zu wenig Rücksicht nimmt. Dass Bildungsgerechtigkeit auch mit der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen im Klassenzimmer und damit mit der Unterrichtsqualität zu

tun hat, wird häufig durch die Struktur-diskussion überlagert. Dem entspricht ein Missverhältnis zwischen den von der Bildungspolitik auf der System-ebene gestellten (einfachen) Fragen und den von der Bildungsforschung auf der Prozessebene gegebenen (komplexen) Antworten. Jürgen Bau-mert und Kollegen haben eben nicht nur auf die primären und sekundären Effekte der sozialen Herkunft bei den Übergangsentscheidungen und auf die Effekte einer längeren gemein-samen Unterrichtung hingewiesen, sondern auch auf die unterschiedlich guten Lern- und Entwicklungsmilieus unterschiedlicher Schulformen und darauf, dass Lehrer der unterschiedli-chen Schulformen durch die Art ihrer Ausbildung offenbar unterschiedlich gut auf ihre Aufgaben vorbereitet wer-den. Ungleichheitsrelevant wird das deshalb, weil Schüler unterschiedli-cher Herkunft disproportional an die-sen Schulformen vertreten sind.

Es gibt Hinweise darauf, dass zu-mindest die Leistungsentwicklung im Fach Mathematik bei gleichen Lern-voraussetzungen in den Gymnasien (wo die Kinder aus höheren Sozial-schichten häufiger vertreten sind) ei-nen günstigeren Verlauf nimmt als in den anderen Schulformen. Im Zuge der Bildungsexpansion hat sich die soziale Selektivität des Gymnasiums in den vergangenen Jahren zwar deut-lich verringert. Um so mehr ist aber zugleich die soziale und fähigkeitsbe-zogene Entmischung der Hauptschule zutage getreten, die ihr Fortbestehen als eigenständige Schulform ernsthaft in Frage stellt.

Vorschläge zur Verringerung von Ungleichheiten eint die Zielsetzung, den Einfluss der Familie auf die Lern- und Leistungsentwicklung zu verrin-

gern und primäre sowie sekundäre Effekte der sozialen Herkunft möglichst klein zu halten. Unbeantwortet bleibt dabei die pädagogisch-didaktische Frage: Wie gehen wir mit den unter-schiedlichen Leistungspozentialen der Schülerinnen und Schüler am besten

Individuelle Bildung resultiert nicht automatisch aus den kulturellen Ressourcen einer Familie, sondern muss durch individuelle Lernaktivitäten erworben werden.

Wo häusliche Unterstützung dringend notwendig wäre, aber ausbleibt, wird die schulische Lernentwicklung hinter dem Möglichen zurückbleiben. Man mag die Frage stellen, wieweit es Aufgabe der Schule oder vorschulischer Einrichtungen ist, die Reproduktion der familiär bedingten Ungleichheiten zu durchbrechen.

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um? Denn nicht wo, sondern wie und was unterrichtet wird, ist entscheidend.

Umgang mit UngleichheitenWie kann Unterricht zu mehr Bildungs-gerechtigkeit beitragen? Zunächst gilt es das Missverständnis zu beseitigen, Schule und Unterricht sollten mehr Gleichheit erzeugen. Erziehungswis-senschaftler wie Heinz-Elmar Ten-orth oder Hartmut Ditton haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit orientierte bestmögliche Förderung jedes einzelnen Schülers vorhandene Ungleichheiten nicht kleiner sondern gröû er machen wird. Aus dem Blick-winkel der Bildungsgerechtigkeit ist das durchaus akzeptabel, weil nur so jeder Einzelne an sein persönliches Optimum herangeführt wird.

Zum Bildungsauftrag von Schule gehört, möglichst alle Lerner möglichst optimal zu unterstützen. Was die Ho-mogenisierungstendenzen betrifft, die, mit der Einschulung bzw. Rückstellung beginnend, über die Maû nahmen der Klassenwiederholungen und der Ex-klusion von Problemschülern sowie der selektiven Zuweisungen im Se-kundarbereich das deutsche Schulwe-sen charakterisieren, lohnt es sich, auf Zwischentöne und Differenzierungen hinzuweisen: Ein leistungshomogener Vorwissensstand ist vor allem für fron-talunterrichtliche Methoden und für das darbietende Lehren von Vorteil. Für kooperative und entdeckenlassende Lehrformen gilt das nicht unbedingt. Kooperative Lehr-Lernformen haben sich gerade in leistungsheterogenen Lerngruppen gut bewährt. Allerdings ist mit der Einrichtung heterogener Lerngruppen und mit der Inklusion allein noch nichts gewonnen. Das pä-dagogische Vorgehen muss sich auch konsequent an den individuellen Lern-ständen orientieren.

Wo Unterricht bedarfsgerecht den heterogenen Lernvoraussetzungen Rechnung trägt, bezeichnet man ihn auch als adaptiv. Je nachdem, wie heterogen eine Lerngruppe ist, wird man dabei methoden-, zeit- oder ziel-adaptiv vorgehen. Lernzieladaptiv ist ein Unterricht, der das Erreichen unterschiedlicher Kompetenzstufen als legitimen Zielzustand von Lehr-Lernprozessen akzeptiert. Die Anpas-sung der Lernzeit und der Methode an die individuellen Lernvoraussetzun-gen soll sicherstellen, dass auch die schwächeren Lerner durch individuell fördernde Maû nahmen ein Mindest-niveau erreichen können. Kinder mit

ungünstigeren Lernvoraussetzungen brauchen mehr Zeit, zusätzliche Hil-fen und häufigere Wiederholungen als andere Kinder. Ungerecht wäre es, wenn Unterricht in gleicher Weise ± mit gleicher Methodik, mit den glei-chen Aufgabenanforderungen und bei gleichen Zeitvorgaben ± auf Unter-schiedliches reagiert.

Adaptiver Unterricht ist also nicht gleich, sondern ungleich. Denn im Un-terricht geht es nicht um das Verteilen von Bildung sondern um die Herstel-lung von Lerngelegenheiten und um die Unterstützung individueller Lern-prozesse. Dabei kann ± wiewohl die Lehrerinnen und Lehrer in formaler wie in prozeduraler Hinsicht auch dem Gleichheits- und dem Leistungsprin-zip verpflichtet sind ± pädagogisch ei-gentlich nur das Bedarfsprinzip hand-lungsleitend sein.

In heterogenen Lerngruppen wer-den je nach Leistungsniveau unter-schiedlich viele und unterschiedlich

schwierige Hausaufgaben gegeben, erhalten leistungsfähigere Schüler im Unterricht Zusatzaufgaben höherer Komplexität und die schwächeren Ler-ner zusätzliche Unterstützung bei der Bearbeitung von Aufgaben, die sie noch nicht lösen konnten. Für beson-ders langsame Lerner werden indivi-duelle Förderpläne erstellt.

Im Ergebnis führt das zu einer Indi-vidualisierung des Unterrichts, die mit einer individuellen Lernstands- und Lernvoraussetzungsdiagnostik beginnt, über differenziert darauf bezogene, ko-gnitiv-aktivierende Lernangebote und unterstützende Fördermaû nahmen fort-geführt wird und systematische Formen der kontinuierlichen Lernfortschritts-messung beinhaltet. Die Erfassung der individuellen Lernentwicklungen ermöglicht Leistungsrückmeldungen an die Schülerinnen und Schüler selbst, aber auch Rückmeldungen an die Lehr-personen über die Wirksamkeit ihres Vorgehens. All das setzt ein hohes Maû an professionellem Wissen und Können voraus ± die jüngsten Studien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung

unterstreichen das. Dass die Lehrerin-nen und Lehrer für die pädagogische Arbeit in leistungsheterogenen Lern-gruppen oftmals zusätzlicher Unterstüt-zung bedürfen, ist seit langem bekannt. Auch dass es Veränderungen in der Lehreraus- und -weiterbildung geben muss, damit adaptive Lehrkompeten-zen gestärkt werden.

Bildungsgerechter Unterricht ist also ungleich. Aber auch ausgleichend bis zu einem gewissen Punkt. Heinz Heck-hausen hat vor bald 40 Jahren die For-derung eines Sockelniveaus an Bildung für alle , erhoben, heute spricht man von Basis- und Mindestqualifikationen oder, wie Peter Brenner, von einem ¸ elemen-taren Minimum' . Es ist ein Gebot der Bildungsgerechtigkeit, möglichst alle Kinder und Jugendlichen bis zum Errei-chen einer Mindestausstattung an Bil-dung zu unterstützen ± koste es was es wolle! Darüber hinaus dürfen Ungleich-heiten fortbestehen ± guter Unterricht sollte sie eher vergröû ern. Denn auch

die leistungsfähigeren Kinder haben ein Anrecht auf optimale Förderung. Die jüngste PISA-Studie hat gezeigt, dass im Spitzenbereich noch hinreichend ¸ Luft nach oben ist. Das ist übrigens kein anderes Thema, sondern lediglich die andere Seite der gleichen Medaille.

PRoF. DR. ANDREAS GoLDDer Autor ist Professor für Pädagogische Psycholo-gie an der Goethe-Universität Frankfurt und stv. wis-senschaftlicher Leiter des LOEWE-Forschungszent-rums IDeA (Individual Development and Adaptive Education of Children at Risk).

Erweiterte Fassung des Beitrags ¹ Gleich oder ge-recht?ª aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14.04.2011, Nr. 88, S.8.

Literatur

Baumert, J., Maaz, K. & Trautwein (Hrsg.). (2010). Bildungsentscheidungen (Sonderheft 12 der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft).

Brenner, P. (2010). Bildungsgerechtigkeit. Stutt-gart: Kohlhammer.

Gold, A. (2011). Lernschwierigkeiten. Stuttgart: Kohlhammer.

Es ist ein Gebot der Bildungsgerechtigkeit, möglichst alle Kinder und Jugendlichen bis zum Erreichen einer Mindestaus-stattung an Bildung zu unterstützen ± koste es was es wolle! Darüber hinaus dürfen Ungleichheiten fortbestehen ± guter Unterricht sollte sie eher vergröû ern. Denn auch die leistungs-fähigeren Kinder haben ein Anrecht auf optimale Förderung.

ERFoRSCHT UND ENTWICKELT

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Die Initiative ¹ Wissenschaftsjahrª des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist an Schulen und bei Leh-rerinnen und Lehrern seit längerem bekannt. Die ¹ Forschungsbörseª , die in diesem Zusammenhang ebenfalls angeboten wird, stöû t ebenfalls auf ein wachsendes Interesse. Das Ministeri-um will damit die Kontakte zwischen Schule und Forschung fördern. 240 Wissenschaftlerinnen und Forscher ma-chen schon jetzt bei der Forschungs-börse des Wissenschaftsjahres 2011 ± Forschung für unsere Gesundheit mit. Die Expertinnen und Experten aus der Gesundheits- und Energieforschung warten darauf, von Lehrenden in den Unterricht eingeladen zu werden.

Friedel Fiedler, Lehrer für Ma-thematik und Physik am Johanneum Gymnasium in Herborn, war sofort von der Idee begeistert. Der Kontakt über die Forschungsbörse zu einem Experten war schnell hergestellt. Gil-liam Queisser, Professor an der Goe-the-Universität in Frankfurt mit dem Forschungsschwerpunkt Neurobio-logie, erklärte sich dazu bereit, Schü-lerinnen und Schülern der Leistungs-kurse Biologie und Mathematik den aktuellen Forschungsstand in seinem Fachgebiet zu vermitteln.

Der Frankfurter Forscher unterstützt die Idee der Forschungsbörse aus Überzeugung. ¹ Wir sind doch in der Forschung darauf angewiesen, dass der geeignete Nachwuchs an die Hoch-schulen kommt. Kontakte zwischen Schulen und Wissenschaft sind daher in unserem ureigenstem Interesse.ª

Friedel Fiedler nahm das Angebot gerne an. Der Lehrer mit langjähriger Berufserfahrung und stets engagiert in der didaktischen und methodischen Weiterentwicklung des Lehrens und Ler-nens, ist an seiner Schule Fachbereichs-leiter für Mathematik und Naturwissen-schaften. ¹ Das sind nicht unsere ersten Kontakte in die Forschungª , bemerkt er. ¹ Auch wenn wir in Herborn keine Hoch-schule um die Ecke haben. Über die For-schungsbörse konnten wir gezielt mit Forscherinnen und Forschern Kontakt aufnehmen, die schon ihre Bereitschaft erklärt hatten, in die Schulen zu gehen.ª

Das Johanneum aus Herborn, üb-rigens eines der gröû ten Gymnasi-en Hessens, wie Friedel Fiedler nicht ohne Stolz feststellt, ist nicht die einzi-ge Schule, die das Angebot nutzt. Die Forschungsbörse (www.forschungsbo-erse.de) wächst stetig: Seit Start des Wissenschaftsjahres Gesundheitsfor-

schung (www.forschung-fuer-unsere-gesundheit.de) haben sich bereits 120 Forscherinnen und Forscher neu ange-meldet. Die bundesweite Online-Platt-form, eine Initiative des Bundesministe-riums für Bildung und Forschung, ging im Wissenschaftsjahr 2010 mit über 100 Energieexperten online und zeigt neue Wege der Wissensvermittlung: Wählbar nach Thema und Region kön-nen sich Schulklassen ihre Spezialisten in den Unterricht einladen.

Die Experten der Forschungsbörse sind bereits erfolgreich dabei, Kindern und Jugendlichen in Schulen und au-

û erschulischen Lernorten neue Ent-wicklungen in naturwissenschaftlichen Themen nachvollziehbar zu erklären: Mit den bundesweiten Schulkinowo-chen (www.schulkinowochen.de) der Wissenschaftsjahre gehen die ersten Forscher auch ins Kino und erläutern anhand von Filmen wie ¹ Vincent will Meerª , wie sich neuronale Erkrankun-gen bei Jugendlichen auswirken. Ne-ben Neurologen und Psychiatern ist die Forschungsbörse gut bestückt mit Genforschern, Onkologen, Ernährungs-wissenschaftlern oder Psychiatern.

Gilliam Queisser kam am 14. Juni nach Herborn. Zunächst hielt er in ganz klassischer Weise einen Vortrag über sein Fachgebiet, den er mit entspre-chender Power Point Präsentation, mit Texten, Schaubildern, Rechenmodellen und Videosequenzen unterstützte. Sein Thema lautete: ¹ So fi ligran und kom-plex ± von der Struktur zur Funktion ein-zelner Nervenzellen.ª Danach nutzte er die Gelegenheit, mit einzelnen Schüle-rinnen und Schülern, die mehr über sei-ne Forschungsarbeit wissen wollten, zu sprechen und beriet sie auch darüber, welche Chancen und Möglichkeiten einer Berufslaufbahn die Tätigkeit an einer Hochschule bietet. ¹ Wenn ich bei einigen der Schülerinnen und Schüler das Interesse an Forschung ganz allge-mein oder sogar an meinem Fachge-biet der Neurobiologie geweckt haben sollte, hat sich der Aufwand bereits gewohnt. Ich kann mich noch gut an meine eigene Schulzeit erinnern. Wenn jemand z.B. Mathematik studieren will, ist es doch gar nicht so einfach, sich als

Schüler vorzustellen, was ich mit einem solchen Studium später einmal beruf-lich anfangen kann. Das gilt sicher für die meisten Studiengänge.ª

Friedel Fiedler hat in der Forschungs-börse für den Herbst bereits den nächs-ten Besuch angebahnt. Er muss natür-lich angesichts der zu bewältigenden Stofffülle in den Leistungskursen einer gymnasialen Oberstufe genau abwä-gen, wie viel Zeit für solche besonderen Ereignisse investiert werden kann. Ver-zichten möchte er aber darauf auch in Zukunft nicht. ¹ Es kommt darauf an, dass das Verhältnis von Aufwand und Ertrag

stimmt, und beide Seiten, sowohl die Schule als auch die Universität, etwas davon habenª , hebt er hervor.

Ob für Projekttage, Berufsorien-tierungsveranstaltungen oder aber ergänzend zum Unterrichtsstoff: Leh-rende mit ihren Schulkassen sollten das Angebot nutzen, die Forscherin-nen und Forscher in den Unterricht einzuladen. Es funktioniert ganz ein-fach: Auf www.forschungsboerse.de können Klassen die Fachkräfte aus Wissenschaft, Forschung und Praxis online buchen ± und zwar passgenau nach Fachgebiet und Region. Termine werden über die Website vermittelt.

WALTER ZoUBEK

MEHR KoNTAKT ZWISCHEN SCHULE UND FoRSCHUNG

PINBoARD

Es kommt darauf an, dass das Verhältnis von Aufwand und Ertrag stimmt und beide Seiten, sowohl die Schule als auch die Universität, etwas davon haben.

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Immer mehr rechtsextreme Gruppie-rungen nutzen das Internet, um junge Menschen durch ein jugendaffines Erscheinungsbild und jugendgemäû e Angebote zu ködern. Die Zahl rassis-tischer und demokratiefeindlicher In-halte im Internet wächst rasant. Hass-botschaften werden in Videoclips verpackt, die wiederum rechtsextre-me und antidemokratische Einstellun-gen unter Jugendlichen verbreiten und verfestigen.

Pädagogische Gegenstrategien sind notwendig. Über das Bundespro-gramm ¹X ENOS - Integration und Viel-faltª werden Projekte unterstützt, in denen Toleranz oder demokratisches Bewusstsein bei Jugendlichen, die vor dem Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem stehen, geför-dert werden. Im Rahmen dieses Pro-gramms kooperiert das Amt für Leh-rerbildung mit dem Wetterau-Kreis. In Frankfurt fand nun eine Grundsatzta-gung mit über 50 Ausbilderinnen und Ausbildern und Schulleitungen statt, in deren Mittelpunkt die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften stand.

Die Bedeutung der Veranstaltung wurde besonders auch durch die An-wesenheit des XENOS-Programmko-ordinators im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Thomas Becker, unterstrichen. Er benannte wesent-liche Programmschwerpunkte von XENOS und wies ausdrücklich auch auf das Buch ¹ Schule mit Courage - Rechtsextremismus als pädagogische Herausforderungª (AfL 2010) hin. Frank Sauerland (Direktor des AfL) und Renate Kummetat (Abteilungs-leiterin im AfL) konkretisierten bei der Begrüû ung der Tagungsteilnehmer weitere Arbeitsschwerpunkte und ± ziele des Projektes.

Demokratie erfahren ± Selbstkompetenzen entwickelnAus didaktischer Sicht sehr vielver-sprechend wurde das dreischrittige Konzept in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wahrge-nommen, das von Christa Kaletsch und Stefan Rech vorgestellt wurde:

Schritt 1: Bevor konkrete Maû nah-men zur Prävention bzw. Interventi-on in einer Lerngruppe eingesetzt werden können, ist es essentiell, dass diese sich einen Bezugsrahmen schafft. Es sollte eine Selbstverortung für Demokratie und Menschenrech-te stattfinden. Auf partizipative Art und Weise können Schülerinnen und

Schüler bzw. Lehrkräfte im Vorberei-tungsdienst Leitfragen beantworten wie: ¹ Was brauchst du, um dich wohl zu fühlen bzw. gut leben zu können?ª oder ¹ Wie sieht ein menschenfreund-liches Gemeinwesen aus?ª In unter-schiedlichen Sozialformen können Ideen der Schülerinnen und Schüler weiterentwickelt und Eindrücke über deren Vorstellungen gewonnen wer-den. In der Regel lassen sich aus den individuellen Erfahrungen allgemei-ne, die Gruppe betreffende Bedürf-

nisse und Werte ableiten. Sie lassen sich mit allgemeinen Schutzrechten, Freiheitsrechten und Gleichheitsrech-ten verknüpfen.

Schritt 2: In einer darauffolgenden Analysephase identifiziert die Grup-pe rechtsextremes Gedankengut und setzt sich mit diesem auseinander. Eine Leitfrage könnte sein: Was den-ken und fühlen Rechtsextreme? Ziel ist es, zu verdeutlichen, dass Rechtsex-treme gegen bestehende Rechte, z.B. Gleichheitsrechte, bewusst verstoû en. Dieser Schritt ermöglicht Jugendli-chen, rechtsextremes Gedankengut in Liedern, Texten oder auch Gesprä-chen überhaupt zu identifizieren.

Schritt 3: Im letzten Baustein kön-nen dann gemeinsam konstruktive Handlungsoptionen entwickelt wer-den, um gegen ¹R echtsª zu reagieren. Beispielhaft können sich Jugendliche auf einer imaginären am Boden ver-laufenden Linie zuordnen. Das eine Ende repräsentiert einen Standpunkt, das andere Ende den dazu konträren Standpunkt. Dazwischen sind gradu-

elle Abstufungen der Standpunkte denkbar. Anschlieû end können sich die Lernenden über ihre Lösungsmög-lichkeiten austauschen und auch zu ei-ner gemeinsamen Lösung kommen.

Dieses dreischrittige Vorgehen ist häufig in der Praxis erprobt worden. Es unterstützt Jugendliche dabei, auf der Grundlage von Kenntnissen, die sie aktiv miteinander verknüpfen, eine demokratisch geprägte Grund-haltung zu entwickeln und zu reflek-tieren. Dieser Kompetenzzuwachs

erleichtert ihnen, eigenständig mit dem Thema umzugehen und auf ein Repertoire von Möglichkeiten zurück-greifen zu können.

Diese Herangehensweise kann Richtung weisend für mehrere AfL- XENOS-Projekte sein. Motiviert durch die Veranstaltung wurden noch weite-re Projektideen entwickelt.

Insgesamt liegen aktuell über 20 Projektanträge mit unterschiedlichen Akzenten und auch Zielgruppen vor. Der berufliche Bereich bietet für Lehr-kräfte im Vorbereitungsdienst bei-spielsweise zum Thema: ¹ Eigen- und Fremdwahrnehmungª Ausbildungs-veranstaltungen an, die darauf ab-zielen, Wahrnehmungsmöglichkeiten und sich daraus ergebende Urteils- und auch Vorurteilsbildungen zu un-tersuchen. In diesem Zusammenhang werden auch Feedbackmethoden als Basis erfolgreicher Reflexionsarbeit analysiert und erprobt. Erwähnens-wert ist, dass dieses Angebot gemein-sam mit LiV aus dem GHRF-Bereich durchgeführt wird.

XENoS ± LEHRERBILDUNG FÜR VIELFALT UND ToLERANZ

Thomas Becker lobte die innovativen Ansätze bei den Inhalten und der Umsetzung des Projektes. Vlnr: Frank Sauerland (AfL), Thomas Becker (Bundesministerium für Arbeit und Soziales), Martina Holl (Studienseminar Darmstadt); Foto: Dan Löwenbein

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GESAMTVERZEICHNIS DER AFL-PUBLIKATIoNEN JETZT oNLINE ERHäLTLICH

Von ¹B lockfl öten und Bildungsstandardsª , vom ¹E xperimentieren in den Natur-wissenschaftenª , von ¹P rofessioneller Projektarbeitª und von der ¹F ührungsauf-gabe Unterrichtsentwicklungª ± das Amt für Lehrerbildung bietet eine Fülle von Veröffentlichungen an, die in aktuelle Entwicklungsprozesse der Bildungsland-schaft intervenieren und Sie in Ihrer Unterrichtsgestaltung unterstützen. Dies gilt in besonderer Weise für die beiden in den letzten Jahren im AfL entwickel-te Publikationsreihen ¹ Unterrichtsentwicklungª und ¹F ührungskräfteentwick-lungª . Sie fi nden dort Unterrichtsmaterialien, praxiserprobte Unterrichtsein-heiten und vieles mehr.

Das aktualisierte Gesamtverzeichnis aller AfL-Veröffentlichungen liegt nun vor ± und kann online auf der Website des Amts für Lehrerbildung (www.afl .hessen.de) eingesehen und heruntergeladen werden.

Die dort angebotenen kostenpfl ichtigen Publikationen können Sie unter folgender Adresse schriftlich bestellen:EKOM Bestellservice AfLSchulstr. 48, 65795 HattersheimFax: 06190 8927-20Mail: ekom-afl @evim.de

Kostenfreie Publikationen können Sie hier per Mail bestellen: publikationen@afl .hessen.de

Viel Spaû beim Lesen!

NEUE VERöFFENTLICHUNG

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PINBoARD

¹Int egration und Vielfalt ± Umgang mit Konfl ikten und Heterogenität in der Schuleª ist ein viertägiges Quali-fi zierungsangebot, das das HKM-Pro-jekt ¹G ewaltprävention und Demokra-tielernen (GuD)ª gemeinsam mit dem AfL ab September durchführt. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Sensibilisierung der Ausbilderin-nen und Ausbilder, der Lehrkräfte im

Vorbereitungsdienst, Schulleitungs-mitglieder bzw. Mentorinnen und Mentoren im Umgang mit kultureller und sozialer Heterogenität im Klas-senraum.

Das Amt für Lehrerbildung führt im September 2011 eine Auftaktver-anstaltung für das Teilprojekt ¹D emo-kratielernen und Partizipation: Iden-titätsentwicklung von Jugendlichen in der medialen Gesellschaftª durch.

Dazu sind die Ausbilderinnen und Ausbilder aller Lehrämter eingeladen. Aufbauend auf den Ergebnissen die-ser Tagung, die auf Initiative der Abtei-lung II, Studienseminare GHRF, zurück-geht, fi nden Ende 2011 bzw. Anfang 2012 vier weitere Fortbildungstage hessenweit statt. Dabei wird die päda-gogische Auseinandersetzung und konkrete Umsetzung des Themas ¹M e-

dienerziehungª in der Ausbildung von Lehrkräften vertieft. Expertinnen und Experten aus Universität, Jugend- und Sozialamt sowie medienpädagogi-schen Einrichtungen konnten als wich-tige Inputgeber gewonnen werden.

Digitale Medien spielen bei der Identitätsarbeit und -entwicklung Ju-gendlicher eine immer gröû ere Rolle. Die geplanten Fortbildungsangebote berücksichtigen dies entsprechend.

Medienerziehung - im Sinne von Per-sönlichkeitsbildung und Gesellschafts-fähigkeit ± muss integraler und fest verankerter Bestandteil schulischer Bildung und damit auch der Lehrkräf-teausbildung sein. Dementsprechend werden die Ergebnisse in die Ausbil-dungsveranstaltungen für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst an hessischen Studienseminaren einfl ieû en.

Für das Projekt mit einem Finan-zierungsvolumen von 250.000€ ist eine Laufzeit von mehreren Jahren vorgesehen. ¹D urch die Kooperation mit XENOS sind die Möglichkeiten, für spezifi sche Themenstellungen Refe-renten zu engagieren und hessenweit Fortbildungen anzubieten, in beträcht-licher Weise gestiegen. Dies wird sich nachhaltig positiv auf die Qualität der hessischen Lehrerbildung auswirken. Es ist wirklich bemerkenswert, mit wel-chem Engagement die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter des AfL in kurzer Zeit zahlreiche innovative Projektideen dazu entwickelt habenª , so das Resü-mee von Frank Sauerland.

FRANK ERNEMANN

Durch die Kooperation mit XENoS sind die Möglichkeiten, für spezifi sche Themenstellungen Referenten zu engagieren und hessenweit Fortbildungen anzubieten, in beträchtlicher Weise gestiegen.

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BILDUNG BEWEGT NR.14 SEP/2011 352 BILDUNG BEWEGT NR.14 SEP/2011

PINBOARD

ADRESSEN & ANSPRECHPARTNERAmt für LehrerbildungHauptsitz: Erwin-Stein-HausStuttgarter Straû e 18-24, 60329 Frankfurtwww.afl .hessen.depoststelle@afl .hessen.de Tel.: +49 (0) 69 38 989-00Fax: +49 (0) 69 38 989-607

Leitung des Amtes für LehrerbildungDirektor: Frank SauerlandTel. + 49 (0) 69 38 989-300Ständige Vertreterin des Direktors: Helga KennerknechtTel. + 49 (0) 69 38 989-310Ständiger Vertreter des Direktors: Joachim SchmidtTel. + 49 (0) 69 38 989-201

Erste StaatsprüfungenHartmut Hasenkamp Tel. + 49 (0) 6421 616 474

Bewerbungen für den VorbereitungsdienstManfred LückTel. + 49 (0) 561 80 78-197

Vorbereitungsdienst und Zweite StaatsprüfungenGrund-, Haupt-, Real- und Förderschule: Renate KummetatTel. + 49 (0) 69 38 989-302Gymnasium: Helga KennerknechtTel. + 49 (0) 69 38 989-310Berufl iche Schule: Wolfgang RuppTel. + 49 (0) 69 38 989-313

Fortbildung, Weiterbildung und FührungskräfteentwicklungFortbildung Unterrichtsentwicklung: Dr. Christian Kubina Tel. + 49 (0) 69 38 989-206Weiterbildung: Sibylle BuchtalekTel. + 49 (0) 641 48 00 36 23Führungskräfteentwicklung: Carmen KloftTel. + 49 (0) 6257 93 46-50

Public Relations und PublikationenSabine StahlTel. + 49 (0) 69 38 989-254Bestelladresse für Publikationen und DrucksachenE-Mail: ekom-afl @evim.de

DIE TAGUNGSEINRICHTUNGEN DES AMTES FÜR LEHRERBILDUNG

Rhein-Main-Gebiet / Erwin-Stein-HausStuttgarter Straû e 18-24, 60329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38 989-330

Nordhessen / Reinhardswaldschule Rothwestener Straû e 2-14, 34233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 810 10

Mittelhessen / WeilburgFrankfurter Straû e 20-22, 35781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 32 81 00

IMPRESSUMHerausgeber: Amt für Lehrerbildung

Gesamtverantwortung: Sabine Stahl

Redaktion: Justina Heinz, Sabine Stahl, Walter Zoubek

Lektorat: Rolf Engelke

Layout und Gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

Druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldatal

Mediadaten und Anzeigenannahme: Walter Zoubek

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Aufl age: 4000

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 27. Oktober 2011

Amt für LehrerbildungStuttgarter Straûe 18±2 460329 Frankfurt

bildungbewegt@afl .hessen.de

TERMINHINWEISE

Veranstaltungen im September 2011

20. MedienBildungsMesse 2011 Ob Podcasts, WEB 2.0, social Media oder

kompetenzorientiertes Unterrichten mit Internet und Multimedia, solche und viele weitere Themen bietet die MedienBildungs-Messe. Eingeladen sind Lehrerinnen und Lehrer und alle, die an der Frage interessiert sind, was es Neues gibt beim Einsatz Neuer Medien in Schule und Unterricht und wie Medien das Lehren und Lernen in der Zukunft verändern werden.

Ort: J. W. Goethe-Universität Frankfurt, Campus Westend

Nähere Informationen: www.afl .hessen.de

Veranstaltungen im Oktober 2011

12.-16. Frankfurter Buchmesse 2011 Ehrengast: Island Ort: Messe Frankfurt Nähere Informationen: www.buchmesse.de

14.-15. ¹ Lernen bewegtª ± Der Bildungskongress auf der Frankfurter Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse lädt Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher und lebenslang Lernende zu einem zweitägigen Fachkongress ein. Das Weiterbildungsange-bot richtet sich am 14.10. an Erzieherinnen und Erzieher mit Workshops rund um die Themen ¹ Bewegung und Spracheª , ¹ Musik- und Bewegungsideenª oder ¹ Anregungen zu einem bewegten Kennenlern-Elternabendª .

Der Buchmesse-Samstag (15.10.) richtet sich an Lehrkräfte aller Schulformen. Nach einer einführenden Diskussionsrunde zum Thema ¹ Besser lernen mit Bewegung. Aber wie?ª vertiefen Workshops das Thema und zeigen z.B., wie Bewegung im Ganztag funktioniert, wie Mathematiklernen durch Bewegung optimiert werden kann oder was Artistik-Projekte in der Schule bewirken.

Ort: Messe Frankfurt, Halle 4.2 Nähere Informationen:

www.buchmesse.de/bildungskongress

28. KUSS 2011 Preisverleihung des Förderpreises ¹ Kompe-

tenz in Universität, Seminar und Schuleª Ort: Lessing-Gymnasium, Frankfurt am Main Nähere Informationen: www.afl .hessen.de

Liebe Leserinnen und Leser,

Manchmal wird der Beruf des Lehrers auch mit dem des Piloten verglichen. Nicht nur deswegen, weil es auf einem Rollfeld ungefähr so laut ist wie in manch schlecht isolierter Turnhalle; nicht nur deswegen, weil in beiden Berufen hohe Sorgfalt erwartet wird, da beide mit der Verantwortung über Menschen verbunden sind ± wenngleich die Folgen mangelnder Sorgfalt beim Piloten schneller und dramatischer sichtbar werden; nicht nur deswegen, weil in beiden Berufen hochkomplexe Situationen auftreten können, sondern auch, weil häufi g sichere und richtige Entscheidungen blitzschnell getroffen werden müssen. Wie kann es also funktionieren, die Unvorhersagbarkeit von Ereignissen und die Komplexität von Geschehnissen in den Griff zu bekommen? Zumindest für den Unterricht im Klassenzimmer könnte es eine Antwort geben: effi ziente Klassenführung oder Classroom-Management.

Die aktuelle Ausgabe der BILDUNG BEWEGT hat sich daher dieses Thema auf die Druckfahnen geschrieben. Es schlieû t fast nahtlos an die Erkenntnisse aus ¹ Visible Learningª an (letzte Ausgabe der BILDUNG BEWEGT) und beleuchtet einen der bedeutsamsten unterrichtsrelevanten Erfolgsfaktoren aus verschiedenen Blickwinkeln.

Warum dies? Weil kognitiv anregender Unterricht in der Regel nur dort stattfi ndet, wo gute Klassen-führung praktiziert wird. Sie markiert eine wesentliche Gelingensbedingung für guten Unterricht (S.4). Umso erstaunlicher, dass diese zentrale Fähigkeit von Lehrkräften in der Aus- und Fortbildung bislang so wenig Beachtung fi ndet (S. 10). Dabei ist sie nicht nur für den Unterrichtserfolg sondern auch für das Klassenklima, die Gesundheit von Lehrkräften uvm. bedeutsam. Gut also, dass die theoretische Fundie-rung des Themas gleich auch mit praktischen Beispielen zur Klassenführung illustriert wird (S. 18).

Alle Ausführungen zum Leitthema bewegen sich dabei immer auch im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen von Individuum und Gruppe, zwischen der Balance aus Regeln und Freiheit, zwischen Führung und Management.

Ist es dabei gerecht, alle Schülerinnen und Schüler gleich zu behandeln ± oder was bedeuten Gleich-heit und Gerechtigkeit im System Schule? Dieser Gedankenführung kann ab Seite 29 gefolgt werden.

Darüber hinaus verwöhnt Sie diese Ausgabe mit Artikeln zur Inklusion, zu Bildungsreformen und Beratungskompetenz.

Die BILDUNG BEWEGT wünscht allgegenwärtige, herausfordernde und mobilisierende Leseaugenblicke.

Frank Sauerland Sabine StahlAmtsleiter Chefredakteurin

EDITORIAL

Frank Sauerland / Amtsleiter Sabine Stahl / Chefredakteurin

HÖRT MAL ALLE HER¼

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HessischesKultusministerium

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HÖRT MAL ALLE HER...Vom Ende der Kollektivappelle

KEIN LERNEN OHNE REGELNInterview mit Professor Manfred Holodynski

NR.14 SEP/2011

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