Upload
others
View
10
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
INTERKULTURALITÄT IM DAF-UNTERRICHT1
MARINA FOSCHI ALBERT
Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, grundlegende Zielsetzungen
und Methoden der interkulturell ausgerichteten DaF-Didaktik im
Rahmen der deutschsprachigen sprachwissenschaftlichen Studien zu
bestimmen, um die Möglichkeiten ihrer praktischen Anwendung vor
allem auch im italienischen DaF-Bereich aufzuschlüsseln. Es sollen
dabei folgende Punkte berücksichtigt werden:
(1)
Interkulturalität als Gegenstand der Hochschuldidaktik und
Forschung;
(2)
die begrifflichen Implikationen innerhalb des
wissenschaftlichen Diskurses zwischen Interkulturalität und
Kultur einerseits;
(3)
Kultur und Sprache andererseits;
(4)
mögliche Anwendung einer kulturwissenschaftlichen und
interkulturellen Perspektive in der DaF-Praxis.
(1) Im Mai 1998 hielt die Literaturwissenschaftlerin Hiltrud
Häntzschel zur Eröffnung der Akademie für interkulturelle Studien an
der Ludwig-Maximilians-Universität München einen Vortrag unter 1 Für wertvolle Kommentare und Anregungen danke ich Horst Sitta und Enrico De Angelis.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
70
dem Titel Interkulturalität muss intellektuelle Grundausstattung
werden. Dabei wurden Motivationen und Zwecke einer
Interkulturalitäts-Didaktik umrissen:
Um wissenschaftliche Weiterbildung geht es. Daß sie unverzichtbar ist,
steht in jedem bildungspolitischen Statement. [...] Die Halbwertzeit des
Wissens sinkt ständig – es reicht bei weitem nicht mehr für die ganze
Strecke des Berufslebens. Das ist der zeitliche Aspekt von Weiterbildung.
Die räumliche Dimension des Begriffs wurde mit Globalisierungs-
Schlagwörtern vernebelt und sollte doch ganz konkret verstanden werden.
Die Kommune in der Ukraine, die einen deutschen Betrieb ansiedeln
möchte, der Unternehmer, der nach Rußland, nach China expandieren
will, sie müssen ihren kulturellen Horizont erweitern, müssen sich
verstehen lernen, Umgangsformen, Gepflogenheiten, Höflichkeitsformen,
die Eßkultur. Die eurozentrierten Belehrungsgesellschaften haben
ausgedient, wir sind zu einer weltweiten Lerngemeinschaft geworden.
Und interkulturelle Kompetenz wird sich auszahlen (http://www.daf.uni-
muenchen.de/DAF/DIESDAF/DD199701/ AKADEMIE.HTM. März06).
Häntzschels Hauptargument lautet: Für unsere Weltgesellschaft hat
das bewusste Umgehen mit unterschiedlichen Kulturen – was
pauschal unter "Interkulturalität" zu verstehen ist – zentrale
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
71
Bedeutung gewonnen. Gegenseitiges Verstehen und
Übereinstimmung, in unserer "Welt der offenen Grenzen" zur
Notwendigkeit geworden, können schlichte Fremdsprachenkenntnisse
nicht garantieren. Im Gegenteil reichen sie nicht mehr aus, wenn bei
internationalen Kontakten Konflikte, sogenannte "critical incidents"
auftauchen. Da die Realisierung von Sprechhandlungen – wie Juliane
House erklärt – von oft stark voneinander abweichenden
Konventionen (Indirektheit, Höflichkeit usw.) abhängt (1998: 75),
kommt in der Interaktion zwischen Partnern aus unterschiedlichen
kulturellen Hintergründen falsches Interpretieren und Inferieren relativ
häufig vor.2 Um derartige "Störfaktoren" zu beseitigen und zu
vermeiden, werden spezielle Kenntnisse über kulturbedingte
Verhaltensregeln benötigt. Das Institut für Interkulturelle
Kommunikation der Ludwig-Maximilians-Universität München
beschreibt z.B. als seinen Gegenstand:
2 Wie Liisa Tiittula hervorhebt, reichen die Phänomene, die eventuelle Störquellen der Interaktion verursachen, von verschiedenen sprachlichen Ebenen bis zum nonverbalen Verhalten; kulturbedingte Unterschiede wurden u.a. auf folgenden Ebenen festgestellt: in der Art der "Verpackung" von Informationen; in der Realisierung von Sprechhandlungen; in den Regeln für Nähe und Distanz beim Ausdrücken von Höflichkeit; in der Behandlung von Nichtübereinstimmung; in der Organisation der Interaktion, wie im Sprecherwechsel, im Hörerverhalten und im Blickkontakt; in den Diskursmustern (1995: 198).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
72
das kommunikative interaktive Handeln von Menschen aus
verschiedenen Kulturen und die aus der kulturellen Differenz
entstehenden möglichen Kommunikationsprobleme in unterschiedlichen
alltäglichen und institutionellen Zusammenhängen
(http://www.ikk.lmu.de/allginfo.htm. März 06).
Akademisch geförderte "interkulturelle Kompetenz" – alias:
"interkulturelle Kommunikationsfähigkeit" bzw. "cultural awareness"
(Altmayer 2005: 156) – soll dazu dienen, ein entsprechendes
"interkulturelles Verstehen" aufzubauen.3 Zu diesem Zweck wurden
auch an deutschsprachigen Universitäten nach nordamerikanischem
Vorbild vor allem in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts
Lehrstühle und Programme für Interkulturelle Studien etabliert.4 Aus
differenzierter Perspektive können unter den erzieherischen und
3 Das Lernziel des interkulturellen Verstehens wurde von Lothar Bredella so formuliert: "Intercultural unterstanding [...] implies that we become aware of the underlying value system of the foreign culture and learn to understand why people in the foreign culture act as they do. This further implies that we resist the tendency to perceive and interpret the opinions and behaviour of other people by using our own cultural frame of reference. We must learn to practise suspension of our own beliefs and to reconstruct the value system of the foreign culture" (1986: 5). 4 Altmayer weist darauf hin, dass unter den im deutschsprachigen Raum eingerichteten Lehrstühlen für Deutsch als Fremdsprache die kulturwissenschaftliche Ausrichtung hingegen eine noch unbedeutende Rolle spielt (2005: 160).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
73
beruflichen Konsequenzen einer Ausbildung im Rahmen der
Interkulturalität die folgenden betrachtet werden:
- Förderung der internationalen Kommunikation durch Verstehen
der eigenen und der fremden Kulturen.
- Hervorbringen von Toleranz und Meinungsflexibilität bei den
Einwohnern des "universalen Dorfs".
- Erfindung von Strategien zum Erhalt kultureller Vielfalt in der
globalen Welt.
- Ausbau einer europäischen Dimension in der Bildung und
Entwicklung einer europäischen kulturellen Identität (aus
spezieller EU-Perspektive).5
Pauschal betrachtet, scheint die Hauptaufgabe der
Interkulturalitätsstudien darin zu liegen, Kultur zu vergegenwärtigen.
Die Tatsache, dass an den Universitäten Kultur zum Gegenstand einer
akademischen Ausbildung gemacht wird, kann tautologisch wirken,
wenn es sich nicht um ein revidiertes Kulturkonzept handelte. Im
Programm des Lehrstuhls für Interkulturalität der Brandenburgischen
Technischen Universität Cottbus steht z.B. als Voraussetzung für das
5 "Eurokulturalität als Richtziel" nach der Formulierung von Franz Joseph Meissner, welcher u.a. die Tatsache betont, dass Europa "die einzige Demokratie der Geschichte ist, in der die meisten Bürger die Sprache der meisten Mitbürger nicht versteht." (1996: 51).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
74
Verständnis von Interkulturalität eine Definition von Kultur als "die
Gesamtheit der Lebensausdrücke einer Gruppe von Menschen in einer
gegebenen Zeit und innerhalb eines Raums": Dementsprechend lebt
Kultur "aus dem Zusammenwirken ihrer Teile" (http://www.ik.tu-
cottbus.de/ zentrale.htm. März06). Wie aus diesem Beispiel
hervorgeht, entspricht Kultur in den akademischen Kreisen einem weit
gefassten Prinzip, das als Studiengegenstand sehr unterschiedlicher
Fachbereiche dienen kann. Demgemäß sind universitäre Curricula für
Interkulturelle Studien typischerweise interdisziplinär ausgerichtet.6
Die unterschiedlichen Perspektiven der interkulturellen Bildung
werden im Programm der Universität Köln wie folgt dargelegt:
Bis in die 90er Jahre konnte man drei Akzentsetzungen unterscheiden:
erstens interkulturelle Erziehung als soziales Lernen mit Zielen wie
Empathiefähigkeit, Kooperations- und Konfliktfähigkeit, Toleranz,
Freiheit von Vorurteilen. Von anderen Autor/inn/en wurde interkulturelle
Erziehung oder Bildung stärker als eine Aufgabe politischer Bildung
bestimmt. Diese zweite Version zielte unter anderem ab auf die Einsicht 6 Der interkulturelle Studiengang der Universität München wird z.B. von drei Instituten verantwortet, nämlich dem Institut für deutsche und vergleichende Volkskunde; dem Institut für Deutsch als Fremdsprache und dem Institut für Völkerkunde. Im Rahmen des Studienschwerpunkts "Interkulturelle Kommunikation und Bildung" der pädagogischen Fakultät der Universität Köln werden außer den pädagogischen auch sozial- und sprachwissenschaftliche Problemaspekte behandelt.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
75
in Migrationsursachen, in die Benachteiligung von Ausländern, aber auch
auf die Reflexion gesellschaftlicher Stereotypen. Drittens wurde
interkulturelle Bildung als multiperspektivische Bildung definiert mit der
Intention, vor allem in den sozial- und geisteswissenschaftlichen
Unterrichtsfächern verschiedene kulturelle Perspektiven zu
berücksichtigen und so den Horizont der Lernenden zu erweitern. Der
starke Bezug auf Schule und bestenfalls noch auf den Kindergarten ist in
diesen Ansätzen unübersehbar. Die Beiträge zu einer interkulturellen
Jugendarbeit und Erwachsenenbildung sind, weil seltener, anfangs
weniger systematisch berücksichtigt worden, sind aber in letzter Zeit mit
ihren stärker beziehungsorientierten Zugängen auch von der Schule
aufgegriffen worden. (http://www.uni-koeln.de/ew-
fak/paedagogik/interkulturelle/ zip/studiengang.html. Febr.06).
Im Allgemeinen scheinen – in den genannten wie auch in weiteren
Universitätsprogrammen für Interkulturelle Studien – die vorwiegend
didaktischen Zwecke der Interkulturalität, und zwar vom Kindergarten
bis zur Universität, von den akademischen Kulturwissenschaften klar
umrissen zu werden. Die begriffliche Basis des akademischen
Diskurses über Interkulturalität,7 das Kulturprinzip, wird von einem
7 Der entsprechende Begriff wird in der "freien Enzyklopädie" Wikipedia wie folgt definiert: "Interkulturalität bedeutet nicht nur, dass in einer Situation verschiedene Teilnehmer aus verschiedenen Kulturen agieren, sondern dass sich eine
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
76
übergreifenden Standpunkt aus als ein unter sozialen und historischen
Perspektiven jeweils unterschiedliches "Etwas" definiert, das sich in
jedem Bereich der menschlichen Existenz entfalten kann, mit anderen
Worten: ein zur immerwährenden Debatte offener Begriff.8
(2) Die Vielfalt der bestehenden Möglichkeiten, den Kulturbegriff zu
bestimmen,9 kann die Tatsache erklären – und kann wiederum durch
die Tatsache selbst verdeutlicht werden – dass er Forschungs- und
Interessengegenstand vieler Disziplinen ist, was mit Blick auf seine
Geschichte nachvollzogen werden kann. Wie Konrad Ehlich darstellt
(1996: 920 ff.), verdankt sich das Kulturkonzept der lateinischen
Tradition, in welcher Cicero von "cultura animi" spricht. Dabei wird
das Bild der 'Bearbeitung', das im Wort cultura enthalten ist -
ursprünglich im Sinne der cultura agri bzw. cultura agrorum, d.h.
Eigendynamik entwickelt, die über die Addition der Merkmale der beteiligten Kulturen hinaus geht". (http://de.wikipedia.org/wiki/Interkulturalit%C3%A4t. März06). 8 Ein Beweis dafür, dass die Debatte über den Kulturbegriff in vollem Gang ist: Bei der Nachsuche in Google.de ergaben sich vor kurzer Zeit (im Juni 2005) unter dem Stichwort Kulturbegriff 33.400 Einträge, unter Kultur hingegen 16.600.000. Beim erneuten Versuch am 09.02.2006 ergaben sich 139.000 bzw. zirka 197 Millionen Einträge (Google hat allerdings in dieser Zeit seine Suchroutine geändert. Das kann auch damit zu tun haben). 9 Schon im Jahre 1952 trugen Alfred Kroeber und Clyde Kluckhohn eine Liste von über 200 verschiedenen Definitionen des Kulturbegriffs in ihrem Werk Culture: A Critical Review of Concepts and Definitions zusammen (Otten 2004: 2.2.).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
77
'Pflege und Bebauung der Felder' aufgefasst (Bollenbeck 1996: 38) -
als Metapher für die Pflege des Geistes benutzt. Der Begriff von
Kultur als "Kultivierung des Geistes" wird über den Humanismus und
die Aufklärung als Denkkategorie nach Europa übertragen. Im späten
18. Jahrhundert wird der traditionell auf die individuelle Entwicklung
bezogene Kulturbegriff durch einen "kollektivistischen" ersetzt:
Kultur bezeichnet dabei etwas, das nicht nur mit dem Individuum,
sondern mit ganzen Völkern und Nationen zu tun hat (Fabietti 2003:
139). Ein "erweiterter" Kulturbegriff breitet sich aus, der alle
Lebensbereiche (Sitten und Moral, Ökonomie, Kunst, Wissenschaft
usw.) umfasst und sich vor allem in Deutschland als Gegenpol einer
zentralen Debatte entfaltet.10 Dem "Zivilisations"-Begriff
entgegengesetzt,11 reduziert sich "Kultur" im Laufe des 19.-20.
10 Kant benutzte das Wort Kultur im universalistischen Sinn. Kurz vor ihm hatte Johann G. Herder hingegen eine "ethnische" Definition von Kultur gegeben, als etwas, das sich je nach Volk auf eigenartige Weise gestaltet. Darauf stützten sich diejenigen Linguisten, die nach Wilhelm von Humboldt Sprache als Erzeugnis des "Volksgeists" betrachten (Fabietti 2003: 139). 11 Die produktive Polarisierung von Zivilisation und Kultur, aus welcher ein Begriff von Kultur als "Fortschritt" entsteht, wurde u.a. von Humboldt theoretisiert, man vergleiche folgende Textstelle: "Die Civilisation ist die Vermenschlichung der Völker in ihren äusseren Einrichtungen und Gebräuchen und der darauf Bezug habenden inneren Gesinnung. Die Cultur fügt dieser Veredlung des gesellschaftlichen Zustands Wissenschaft und Kunst hinzu." (W.v.Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. (1836). In: W.v.H. 2002: 401). Die
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
78
Jahrhunderts auf einen "Inbegriff des Wahren, Schönen und Guten“,
der von den „Niederungen des Alltags, der Arbeit und Technik, der
Ökonomie, der Gesellschaft und der Politik getrennt in höheren
Sphären angesiedelt" ist (Altmayer 1997: 3). Unter dem Motto
"Deutschland als Kulturnation" wird dabei Kultur als explizite
Eigenschaft Deutschlands und als Mittel zur Bestimmung seiner
Nationalidentität aufgefasst. Das patriotisch gefärbte Prinzip der
"Kultur des Geistes" wurde im Kontext des Faschismus assimiliert
und insofern nach dem zweiten Weltkrieg für die intellektuellen
Kreise politisch verdächtig und unbrauchbar. Neue Ansporne kamen
in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts aus den USA, wo
sich ein relativiertes Kulturverständnis als Begriff von "Kulturen" im
Rahmen der Cultural Anthropology (von Bronislaw Kaspar
Malinowski u.a.) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
herausgebildet hatte,12 die wiederum für den neuen Trend der Cultural
Studies Inspirationsquelle waren. Dabei wird Kultur nicht mehr als der
Prozess einer (literarischen, künstlerischen, wissenschaftlichen)
Bedeutung des deutschen Begriffs Kultur unterscheidet sich in den Texten des 18. Jahrhunderts auf nur unbeträchtliche Weise von jener des englischen civilisation bzw. des französischen civilization (Altmayer 1997: 2). 12 Der "wertneutrale" Kulturbegriff, der sich in Ethnologie, Geschichtswissenschaft und Volkskunde etablierte, wurde erstmals im 19. Jahrhundert, etwa von Jacob Burckhardt, verwendet (Altmayer 1997: 5).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
79
Ausbildung und damit als "hohe, geistige Kultur" angesehen: Aus
anthropologisch-ethnologischer Sicht bedeutet Kultur die Gesamtheit
der Werte, Traditionen, Sitten, Gebräuche, Handwerke usw., die das
gemeinschaftliche Leben eines Volkes produziert und charakterisiert.
Die Etablierung der Kulturwissenschaften in den nordamerikanischen
und europäischen akademischen Kreisen unserer Zeit erfolgt nach
einer nicht allzu geradlinigen Entwicklung. Diesbezüglich erkennt
Mark M. Anderson zwei Phasen: eine erste Phase des Aufkommens
der Cultural Studies, die an britischen Randuniversitäten wie Leeds
und Birmingham in den 60er Jahren ablief, und eine zweite der
Verbreitung, die in den USA stattfand, um von dort anscheinend
wieder nach Europa zurückgeführt zu werden. (2004: 1 f.). "Was" sich
"wo" verbreitete, entspricht wiederum einer vielförmigen Realität. Die
Kulturwissenschaften haben in erster Linie an humanistischen
Fakultäten, und zwar als methodischer Approach im allgemeinen
Bereich der Kritik, Bedeutung gewonnen. Die kulturwissenschaftliche
Methode schöpft aus unterschiedlichen Quellen, u.a. aus dem bereits
genannten Cultural Materialism von Raymond Williams und Terry
Eagleton, der seinerseits als eine "marxistisch orientierte Variante" der
amerikanischen Cultural Poetics von Stephan Greenblatt bezeichnet
wird (Wechsel 1999: 457): Vom ersten Modell kommt die Aufgabe
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
80
für die Kritik, den marginalisierten Stimmen einer Gesellschaft Gehör
zu verschaffen, "um deutlich zu machen, daß der Prozeß der
Einbindung in die Machtstruktur keine Notwendigkeit darstellt"
(Wechsel 1999: 458). Greenblatts kulturelle Sichtweise wird von
seiner Textanalyse determiniert: Sein ursprünglich so genannter "New
Historicism" resultierte aus einer Kritik gegen die an den
amerikanischen Universitäten herrschende Praxis der textimmanenten
Interpretation. Zum Zweck der Textinterpretation wird die historische
Situation betrachtet, in der literarische Texte, mit anderen kulturellen
Äußerungen und Ereignissen synergetisch vernetzt, als
"Stimmenvielfalt" oder "Polyphonie" gelten. Das Ziel der Cultural
Poetics ist, "Grenzen, Hierarchien und [die] Polarisierung von
Eigenem und Anderem" aufzuheben (Wechsel 1999: 456).13 Jenseits
der jeweiligen Differenzierung, die innerhalb des komplexen
Panoramas der heutigen Kulturwissenschaften vorzunehmen wäre –
13 Weitere Anregungen für die kulturorientierte Kritik und Sinnproduktion kommen von Bachtins Dialogizitätsprinzip, Kristevas Intertextualitätsbegriff sowie vom Begriff des kulturellen Gedächtnisses von Jan Assmann (Martinez 1999: 445) her, Anregungen, die auch für bestimmte Ausrichtungen der Sprachwissenschaft (u.a. Diskursanalyse, Intertextualitätsforschung) Relevanz haben. Eine osmotische Beziehung mit den Kulturwissenschaften hat auch die Übersetzungsforschung, indem sie Übersetzung als Medium der Fremderfahrung und Schnittstelle von Kontakt- und Transferprozessen zwischen den Kulturen, mit den Worten von Horst Turk als "bedeutenden Zweig der Kulturwissenschaft" betrachtet (Lorenz 1999: 569).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
81
mit besonderem Augenmerk auf die jeweiligen Einflüsse aus den
zahlreichen Theorieansätzen der Sozialwissenschaften14 –, ist bei
ihren programmatischen Schlüsselbegriffen (u.a. Fremderfahrung,
Polyphonie, Aufhebung der Hierarchien usw.) die Erbschaft der
anthropologisch ausgerichteten Kulturauffassung deutlich spürbar.
Aufgrund der breiten Palette von Aspekten, die zu einem
ethnologisch-anthropologischen Kulturkonzept zurückgeführt werden
können, ist die Vielfalt der Forschungsbereiche verständlich, die an
den heutigen Kulturwissenschaften beteiligt sind.15 Dieser
Kulturbegriff subsumiert nach Ehlich viele Aspekte der jeweiligen
Lebenswelten: "Sprache und Gebräuche, Produkte und Produzenten,
Gesellschaften und Institutionen, Ritualien und Formeln,
Verhaltensweisen und Gesittungen, Einstellungen und Anstalten,
14 Als die "klassischen" Theorieansätze, die aufgefordert sind, die Fragen der Sozialwissenschaften in Bezug auf die Kulturcharakterisierung zu beantworten, nennt Matthias Otten die Religionssoziologie von Max Weber, die Zivilisationstheorie von Norbert Elias und die Entwicklungspsychologie von Jean Piaget (Otten 2004: 2.3.). 15 Als Beispiel dafür kann die Mailingliste von cultnet.linz gelten, einem Netzwerk von Wissenschaftlern, die im Gegenstandsbereich "Interkulturelle und soziale Kompetenz" tätig sind (gefördert von der Universität für Künstlerische und Industrielle Gestaltung Linz sowie der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz), dessen Mitglieder zu einer Vielfalt wissenschaftlicher Forschungsbereiche gehören: Kulturwissenschaft, Philosophie, Theologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Soziologie, Pädagogik, Sprachwissenschaft, Medienforschung, Management, Ingenieurwesen, Architektur, Sicherheitspolitik (http://www.checkpoint-elearning.de/article/1488. html).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
82
Normen und 'Werte'", daher "möglichst viele der soziologisch,
ethnologisch, völkerkundlich, linguistisch und so weiter untersuchten
menschlichen Handlungsstrukturen und -resultate", so dass er
"vergleichsweise beliebig in einzelnen Aspekten bestimmt" und "zum
jeweiligen Organisationsmittelpunkt für ganz unterschiedliche
theoretische Interessen gemacht wird" (1999: 921-922).
Aus der Tradition der ethnologischen Studien entsteht nicht nur die
Vielfalt der Perspektiven auf "Kultur", sondern auch die Gewohnheit,
von unterschiedlichen Kulturen zu reden, was eine unentbehrliche
Prämisse für den Interkulturalitätsdiskurs repräsentiert: Hätte die
Menschheit nur eine einzige, einheitliche Kultur produziert, so könnte
der Interkulturalitätsbegriff kein Existenzrecht beanspruchen.
Zusammenfassend hängt die Auffassung der Interkulturalität von
einem Kulturbegriff ab, der sich einheitlich nur aus anthropologischer
Perspektive und daher nur sehr allgemein formulieren lässt, und zwar
als etwas, das in praktisch jedem Bereich der menschlichen Existenz
festgelegt werden kann. Da interkulturelle Beziehungen in jedem
dieser Bereiche eine Rolle spielen, sobald unterschiedliche Kulturen
in Kontakt miteinander treten, kann man verallgemeinernd sagen, dass
es bei der Interkulturalitätsforschung und -didaktik grundsätzlich um
menschliche Interaktion und Kommunikation geht. Aus diesem Grund
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
83
sind Sprachwissenschaft und -didaktik in die Interkulturalitätsfrage
notwendigerweise involviert. Wie Claudia Finkbeiner betont, realisiert
sich ein großer Teil der menschlichen Kommunikation über Sprache:
"Je weiter die Kommunikationsteilnehmer voneinander getrennt sind
(lokal, zeitlich, kulturell, nach Alter, Interessen, Vorwissen, Sprache
etc.), umso schwieriger kann der Austausch werden und umso höher
ist die Verstehensleistung auf Seiten der Rezipienten." (1996: 93).
Wenn es um das gegenseitige Verstehen zwischen Angehörigen
verschiedener Kulturen geht, können Fremdsprachenkompetenzen
nicht genügen: Die Idee ist nämlich, dass sprachliche Handlungen
kulturspezifischen Verhaltensformen entsprechen, die als solche
vermittelt und erlernt werden müssen. Die besondere Rolle des
Fremdsprachenunterrichts in diesem Zusammenhang wird von Franz-
Joseph Meissner hervorgehoben, wenn er sagt, dass "nur er die
Begegnung mit dem Fremden im sprachlichen Medium des Fremden
selbst erlaubt." (1996: 52).
(3) Das Prinzip der Kulturgebundenheit der linguistischen Produktion,
in Humboldts Schriften als ein Postulat über den "Nationalcharakter"
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
84
der Sprachen bereits vorzufinden,16 wird von der heutigen
Sprachwissenschaft weitgehend anerkannt.17 Auf der Grundlage
dieses Kulturprinzips wird Interkulturalität für die Sprachwissenschaft
vor allem als "Problem" empfunden, indem die jeweilige Spezifik der
sprachlichen Kommunikation festlegen lässt, dass das Treffen von
Angehörigen zweier unterschiedlichen Kulturen zum Auftreten von
Fehlinterpretation und Störungen der Interaktion führt.18 Dies sei, wie
Tiittula bemerkt, vor allem in der schriftlichen Kommunikation
wahrscheinlich, wegen des Fehlens der unmittelbaren Interaktion. Um
solche Fehlleistungen in der schriftlichen Kommunikation zu
vermeiden (es ist z.B. leicht zu verstehen, dass ein Geschäftsbrief, der
den Konventionen des Empfängers nicht entspricht, die beabsichtigte
Funktion nicht erfüllen kann) (Tiittula 1995: 210), beschäftigt sich die
16 Vgl. beispielsweise: "In den Sprachen also sind, da dieselben immer eine nationelle Form haben, die Nationen, als solche, eigentlich und unmittelbar schöpferisch." (W.v.Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. (1836). In: W.v.H. 2002: 410). 17 Das Netzwerk von Verhältnissen, die zwischen Sprache als pragmatischer Handlung, Kommunikationssituation, Interagenten, Referenten, Realia und Kulturkontext entstehen, hat Hartwig Kalverkämper schematisch dargestellt, mit Einbezug folgender Elemente: Kultur, Gegenstände, Sachverhalte, Handlungszusammenhänge, Sprachsystem, Sender, Text, Empfänger (2004: 27). 18 Das aus den interkulturellen Beziehungen entstehende Problem in der kommunikativen Interaktion scheint - wie man gesehen hat - auch Hauptanliegen der Interkulturalitäts-Didaktik zu sein.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
85
Sprachwissenschaft mit Schreib- und Textsortenstilen (Fix et al.
2001): Ausschlaggebende Idee ist dabei, dass Texte je nach kultureller
Herkunft sowohl verfasst als auch gelesen werden. Aus diesem Grund
wird das Schreiben von "kulturell korrekten" Texten und Textsorten
als ein fruchtbarer Bereich für die Herstellung von "Inter-Kultur"
angesehen. Kulturvergleichende Studien wurden schon in der
Pionierzeit der kulturorientierten Sprachwissenschaft produziert. Die
in den sechziger Jahren von Robert B. Kaplan propagierte These über
das Kulturspezifische der sprachlichen Produktion gab Anlass zu
mehreren Analysen, in denen gezeigt wurde, inwiefern der Stil
wissenschaftlichen Schreibens von kultur- und nationalspezifischen
Normen abhängig ist. Im Jahr 1985 beschrieb z.B. Johann Galtung
vier "intellektuelle Stile", aus welchen entsprechende "Denkfiguren"
resultieren; ein Beispiel dafür seien die unterschiedlichen Reaktionen
der jeweiligen Angehörigen einer Nationalgruppe, wenn sie mit einer
These konfrontiert werden (1985: 174):
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
86
sachsonischer Stil teutonischer
Stil
gallischer Stil nipponischer
Stil
How do you
document it? [Wie läßt sich das
belegen?]
Wie können Sie
das ableiten?
Peut-on dire cela
en bon français?
[Kann man das auch
auf gut Französisch
sagen?]
Donatano
monka
desuka? [Wer ist Ihr
Meister?]
Beschreibungen dieser Art entziehen sich nicht leicht der Kritik, wenn
sie auf Faktoren gründen, die nicht allzu empirisch erforscht werden.
Gegen die traditionelle Tendenz, "kulturelle Denkmuster" oder
"intellektuelle Stile" hervorzuheben, werden z.B. folgende, gut
nachvollziehbare Einwände erhoben: mangelnde empirische Validität,
Ethnozentrik, Reproduktion kultureller Stereotype (Adamzik 2001:
174).19
19 Ich selber z.B. habe mich gefragt, in bezug auf meinen "intellektuellen Stil", ob mein Definitionsdrang "typisch italienisch bzw. lateinisch" ist. Die Antwort (= nein) ist nur im Sinne einer clichéartigen Verallgemeinerung möglich, die zur Stereotypisierung führt: Italiener sind salopp und schlampig, Deutsche hingegen präzis und pedantisch. Bin ich also keine Italienerin? Haben mich die neun Jahre, die ich in den USA verbracht habe, zur "Amerikanerin" bzw. meine - seit ein paar Jahrzehnten - regelmäßigen Kontakte mit der deutschen Kultur zur "Deutschen" gemacht? Wo liegen für den Individualfall die Grenzen einer Nationalspezifizität? Wo liegen sie für eine Kulturnation bzw. eine Nationalkultur? Ein Problem steckt z.B. hinter der Frage der "deutschsprachigen Gemeinschaft", weil sie auf eine "Sprachnation" anspielt, die keine politische Entsprechung hat, wobei
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
87
Gemäß den neueren Tendenzen der Zeit hat die heutige
Sprachwissenschaft einerseits großes Interesse für Ausdrucksvielfalt,
Minderheiten, Ablehnung des hierarchischen Denkens, sowohl aus
systemischer als auch aus pragmatischer Sicht (Symptome dafür sind
z.B. die Tatsache, dass nicht mehr von "Korrektheit", sondern eher
von "Konformität" udgl. des sprachlichen Ausdrucks die Rede ist,
sowie das Interesse der Forschung für die nationalen, sozialen usw.
Varietäten). Andererseits scheint die Linguistik ihre Ansprüche als
exakte Wissenschaft auch in den neuen "pragmatischen" Zeiten nicht
verloren zu haben. Um die Gefahren der clichéartigen
Verallgemeinerungen und der fehlenden Objektivität zu lösen, werden
heute Untersuchungen der Schreibstile auf empirische Elemente der
Textkonstitution gegründet. Z.B. beschäftigt sich Susanne Sachtleber
mit den unterschiedlichen Stilkonventionen der deutschen und
französischen Wissenschaftssprachen, indem sie Charakteristika der
unterschiedlichen Sprachkulturen untersucht, z.B. Anzahl und Art von
Überschriften, Absätze, Parenthesen, Fußnoten, Anmerkungen. Auf
der Grundlage von Ergebnissen ihrer auf linguistische Korpora
gestützten Analyse bezeichnet Sachtleber die wissenschaftlichen Stile
Kulturunterschiede zuweilen auch zwischen Deutschen und Österreichern, Österreichern und Schweizerdeutschen usw. festzustellen sind. Sicherlich ist das Terrain der kulturellen Charakterisierung ein unfestes.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
88
Deutschlands und Frankreichs differenzierend als "linear" bzw.
"digressiv". Derartige Differenzen stellen Epiphänomene der
sprachlichen Produktion dar, die – wie sie erklärt – aus
"unterschiedlichen Traditionen und Konventionen innerhalb von
Gemeinschaften" resultieren (1990: 105). Auf analoge Weise
verfahren die neuen Ausrichtungen der sprachwissenschaftlichen
Kulturforschung, indem sie darauf zielen, sprachliche
Kulturdifferenzen empirisch hervorzuheben. Was sprachliche
Differenzen sind, kann mit Bezug auf den Kulturembegriff erläutert
werden.
Das Fachwort Kulturem hat 1988 Els Oksaar aus dem
Kulturbegriff hergeleitet. Ihre Kulturemtheorie besagt, dass, ähnlich
wie verschiedene Sprachen den gleichen Gedanken auf verschiedene
Weise ausdrücken, so auch verschiedene Kulturen gleiche
Kommunikationsformen auf verschiedene Weise ausdrücken, und
zwar als Kultureme. Oksaar versteht Kultureme als isolierbare
kommunikative Verhaltensweisen (Danken, Grüssen,
Zustimmung/Ablehnung udgl.), d.h. als abstrakte Einheiten, die in
verschiedenen kommunikativen Akten unterschiedlich realisiert
werden, bedingt u.a. durch generations-, geschlechts- und
beziehungsspezifische Aspekte. Ihre Realisierung geschieht durch
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
89
"Behavioreme", die verbal, parasprachlich, nonverbal und extraverbal
sein können und in erster Linie eine Antwort auf die Frage wie? durch
welche Mittel? ermöglichen. Aufgrund ihrer Theorie erklärt Oksaar,
dass kommunikative Korrektheit und kommunikative Adäquatheit
nicht immer gleichläufig sind: Ein Händedruck, der in einer
Begrüßungssituation in Deutschland aus der Sicht der
kommunikativen Korrektheit obligatorisch ist, kann nicht als
angemessen gelten, wenn er z.B. den anderen in seiner Tätigkeit
behindern würde. Da Adäquatheit immer in Bezug auf etwas oder für
jemanden gesehen werden muss, ist es wichtig zu fragen: adäquat für
wen? wann? wo? wozu? bei welchem Thema? (1988: 27 f.)20. Oksaars
abschließende These lautet:
für das Funktionieren der Sprache in Interaktionssituationen [sind]
lexikalische Mittel, eine normgerechte Aussprache und Grammatik
keineswegs immer die einzigen oder gar primären Faktoren [...]. Richtige
Grammatik mit falschen Behavioremen kann für den Sprecher
schlimmere Folgen haben als falsche Grammatik mit richtigen
Behavioremen. [...] Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird
20 Das hat allerdings auch Quintilian im Zusammenhang mit dem Begriff des aptum schon gewusst.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
90
deutlich, daß die vieldiskutierten Sprachbarrieren häufig auch
Kulturbarrieren sind. Es gilt, sie als solche zu erkennen. (1998: 69).
Die Hervorhebung der Kultureme, die zur Charakterisierung der
jeweiligen Sprachkulturen dient, scheint unvermeidliche Prämisse
einer kulturorientierten Fremdsprachendidaktik zu sein: Denn nur was
erkannt wird, kann vermittelt werden.
(4) Sprachliche Kultureme werden – wie alle Kultureme – im
interkulturellen Vergleich deutlich erkannt. Aus einzelsprachlicher
Sicht sind sie "nur" linguistische Elemente. Die Vorstellung, dass
linguistische Elemente immer kulturbedingt sind, hat zur Konsequenz,
dass das aus linguistischer Sicht "typisch Deutsche" nur
verhältnismäßig als solches gilt. Sprachliche Kultureme werden nur
dann hervorgehoben, wenn die entsprechende Sprachkultur (das
"Eigene") in Kontakt mit einer anderen (das "Fremde") kommt
(Wierlacher 1999). Für Liisa Tiittula impliziert die Typisierung der
Stile zum einen Stilvergleich, zum anderen das Hervortreten
bestimmter Stilzüge, die in interkulturellen Kontakten
Fremdheitserlebnisse hervorrufen und somit für den interkulturellen
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
91
Vergleich als relevant angesehen werden können. Nach ihrem Modell
werden Kulturspezifika auf Textebene untersucht (1995: 210):
wie wird was von wem unter
welchen
Umständen
zu welchem
Zweck
ausgedrückt
↕ ↕ ↕ ↕ ↕
sprachlicher
Stil
Textbau-
steine
TextverfasserIn
bzw.
Verfassungs-
instanz
Medium;
Situation
kommunikative
Funktion
Dabei kann man eigentlich nicht vom Interkulturellen reden:
Sprachliche Kultureme können zwar nach den vorhandenen Modellen
festgelegt, nicht aber verabsolutiert werden. D.h.: sie werden als
schlichte linguistische Phänomene beschrieben, die erst einmal im
Vergleich mit äquivalenten Merkmalen äquivalenter Texte aus
anderen Kulturen als "einzelkulturell" bezeichnet werden können.
Im Fall des Fremdsprachenunterrichts ist das Doppelprinzip des
Fremden und des Eigenen oft buchstäblich zu interpretieren, etwa als
Gegensatzpaar für (muttersprachige) LehrerInnen und
(fremdsprachige) LernerInnen; jedenfalls bedeutet Interkulturalität im
Kontext des Fremdsprachenunterrichts, eine (Sprach)Kultur aus der
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
92
Sicht der anderen zu interpretieren. Im Spezifischen bedeutet
interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht nach Barbara
Schmenk:
das Aufgeben des Glaubens an die eigene Souveranität und Autonomie.
[...] Wenn ich mich auf eine andere Sprache einlasse und im Rahmen des
Sprachenlernens Menschen begegne, die in unterschiedlichen kulturellen
und sozialen Räumen aufgewachsen sind, dann impliziert das die
Möglichkeit der leibhaftigen Erfahrung, dass das, was ich für
unverrückbar und wahr, für "eigen" gehalten habe, keineswegs universell
ist, sondern aufgrund spezifischer Zusammenhänge so geworden ist –
und sich stets wiederum verändern kann. (2004: 81).
Zum Zweck der Vermittlung von "kulturadäquaten"
Sprachkenntnissen scheint die Fremdsprachendidaktik zwei
Hauptmöglichkeiten zu haben:
a) Kultureme zum getrennten, autonomen Gegenstand der
Fremdsprachendidaktik zu machen;
b) Kultureme in den Sprachunterricht zu integrieren.
Die erste Möglichkeit (a) entspricht einem praktikablen Weg, der aber
nicht allzu neu ist und vor allem einem bis heute noch nicht
präzisierten Kulturbegriff entspricht: Ich beziehe mich dabei auf die
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
93
seit langem etablierte Praxis, Landeskunde als Teildisziplin des DaF-
Unterrichts zu betrachten. Selbstverständlich können Kenntnisse im
Bereich der deutschen (bzw. österreichischen, schweizerischen)
Landeskunde, d.h. Wissen u.a. über Politik, Geschichte und
Gesellschaft der deutschsprachigen Länder, die Fähigkeit der
Lernenden fördern, das "Andere", d.h. die Fremdkultur zu verstehen.
Wenn man davon ausgeht, dass alles Kultur ist und fördert, können
Landeskundekenntnisse jeder Art die allgemeinen Kompetenzen und
das allgemeine Wissen der DaF-Studierenden erweitern. Nun sollten
aber je nach verfügbarer Unterrichtszeit und Zielrichtungen Prioritäten
gesetzt werden. Im DaF-Bereich wird Interkulturalität im engeren
Sinn betrachtet, d.h. als ausgesprochen linguistische Interkulturalität.
Im Bereich der universitären DaF-Didaktik geht es in Italien
vorwiegend um den Erwerb von kommunikativen
Fremdsprachenkompetenzen (zum guten Teil von "Nullanfängern"),
fast immer mit dem Hauptziel des Sprachbewusstseins. In dieser
Hinsicht sind didaktische Strategien des Typs (b) vorzuziehen. Um
sprachliche Kultureme zum zielgerichteten Gegenstand des
Sprachunterrichts zu machen, müssen sie zuerst einmal erkannt
werden. Kultur soll vorzugsweise als das Eigenartige einer
Sprachkultur sichtbar gemacht und vermittelt werden. Aus konkreter
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
94
Perspektive soll sich die Fremdsprachendidaktik bemühen, diejenigen
linguistischen Kultureme zu vermitteln, die aus kultureller Perspektive
eine glatte, unproblematische Kommunikation ermöglichen. Nun ist
eben die Frage, welche Sprachkultureme als "typisch deutsch"
anzusehen sind, und zwar:
I. wie derartige Kultureme aus dem Vergleich mit der
Sprachkultur Italiens hervorzuheben sind;
II. wie sie im DaF-Unterricht zum Sprachbewusstsein der
Lernenden beitragen können.
Als konkrete Möglichkeiten für die ersten beiden Punkte sind meiner
Einschätzung nach folgende didaktische Verfahren verwendbar:
1) die vergleichende Analyse von sprachlichen Kulturemen, von den
kleineren Spracherscheinungen (z.B. Grußformeln) bis hin zu
spezifischen Diskursen (z.B. wie das soziohistorische Phänomen
"Faschismus" in Deutschland und Italien thematisiert wird);
2) die Suche nach und das Verstehen von "Idiokulturemen" im
(deutschen) Text, d.h. von sprachlichen Einheiten (z.B. Lexemen
und Phraseologismen), die keine begriffliche bzw. ideologische
Entsprechung in der italienischen Kultur haben.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
95
Ein Beispiel der letztgenannten Möglichkeit stellt die Analyse des für
die italienische Kultur nicht unmittelbar verständlichen Begriffs
heimlich dar (Grossklaus 1985). Als Beispiel einer vergleichenden
Analyse von Sprachbehaviorismen können Situationsbeispiele gelten,
d.h. ein didaktisches Modell, nach dem Studierende nicht nur
aufgefordert werden, bereits vorhandene Sprachproduktion
interkulturell zu evaluieren, sondern an der Produktion pragmatischer
Beispiele von kommunikativen Präferenzen im deutsch-italienischen
Kulturvergleich aktiv teilzunehmen (nach House 1998: 72) (für jede
Situation wird nachgefragt, was würde ein/e Deutsche(r) bzw. ein(e)
Italiener(in) sagen, und zwar im Vergleich der Doppelperspektive:
native speaker vs. Fremdsprachler):
(1) Situation: Eine Arbeitskollegin hat eine andere beleidigt.
(2) Situation: Studentin klopft an die Bürotür einer Professorin.
(3) Situation: Im Zugabteil.
(4) Situation: Studentin möchte, dass ihre Freundin die gemeinsame Küche
aufräumt.
(5) Situation: Professor beginnt, einer Studentin eine Sachlage zu erklären.
(6) Small Talk und Eröffungs-/Beendigungsphasen in unterschiedlichen
Situationen, die eventuell im Klassenzimmer differenziert werden
können.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
96
(7) Situation: Im Bus. Ein Fahrgast tritt einem anderen auf den Fuß.
Als Beispielsmuster des ersten didaktischen Verfahrens, d.h. der Art
und Weise der Analyse von interkulturellen Sprachgebräuchen, gelten
am besten kontrastive Analysen auf Textebene, weil derartige
Analysen eines jeweiligen Einzeltexts als Exemplar einer bestimmten
Textsorte es ermöglichen, von der Makrostruktur ausgehend, alle
Ebenen der Sprachbeschreibung sowohl aus grammatischer als auch
aus pragmatischer Sicht mit zu berücksichtigen.21
Nun ist die Frage, ob kulturdidaktisch-orientierte Verfahren dieser
(und anderer) Art im DaF-Unterricht nützlich bzw. unverzichtbar sind.
Denn: Wenn Sprache an sich Trägerin von Kultur ist, sollte dann nicht
Fremdsprachenunterricht an sich dazu fähig sein, implizit Kultur zu
vermitteln? Mit anderen Worten, ist es nötig, Interkulturalität zum
bewussten Gegenstand der DaF-Didaktik zu machen? Wenn es sich
beim interkulturellen Lernen immer um ein solches Verhältnis, das
"zum Eigenen zurück geht" handelt (Edelhoff 1996: 43), dann ist die
21 Ein konkretes Beispiel der interkulturell ausgerichteten DaF-Praxis wird in diesem Heft im Beitrag von Marianne Hepp – mit der ich sämtliche didaktische "Kultur"-Fragen, die in der vorliegenden Arbeit behandelt werden, auf bereichernde Weise diskutieren konnte – dargestellt.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
97
Fremdsprachendidaktik sozusagen ‚per se’ interkulturell angelegt.
Meiner Meinung nach geht es dabei vor allem um die Prioritäten, die
unter sehr unterschiedlichen didaktischen Umständen und
Bedingungen unvermeidlich zu setzen sind. Wenn eine nur begrenzte
Anzahl von Unterrichtsstunden (bzw. Kreditpunkten) verfügbar ist,
sind in erster Linie Hauptstrategien des Kommunizierens, auch durch
Sprachreflexion, zu vermitteln, die sich z.T. in der Praxis der
interkulturellen sprachlichen Interaktion als "kulturell inadäquat"
erweisen werden. Jedenfalls sind kulturvergleichende Reflexionen
keine einseitige Angelegenheit, sondern wirken wechselseitig. In der
Norm wird von "Ausländern" nicht erwartet, dass sie Sprache, Sitten
und Gebräuche einer anderen Kultur perfekt kennen und beherrschen.
Im Durchschnitt erwarten z.B. Deutsche von Italienern nicht, dass sie
sich stets sowohl der Duden-Grammatik gemäß als auch der Situation
und kulturellen Norm konform auf Deutsch ausdrücken. Die meisten
erwarten nicht einmal, dass Italiener, die gar nicht in Deutschland
wohnen, sich überhaupt mit der deutschen Sprache beschäftigen und
sind in der Regel positiv beeindruckt, wenn sie erfahren, dass man
über – egal wie karge und mangelnde – Kenntnisse ihrer
Muttersprache verfügt. Der nahe Kontakt mit Vertretern einer fremden
Kultur ist an und für sich ein Medium des gegenseitigen
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
98
Kennenlernens und der interkulturellen Toleranz. Er ist an und für
sich das privilegierte Medium, bei dem eventuelle Lücken im
kulturellen Sprachbewußtsein schnell aufgeholt werden können.
Wobei die Rede von Durchschnittsfällen und -situationen ist (die
"Deutschen", die "nicht in Deutschland wohnenden Italiener", der
"Erwerb" der "deutschen Sprache" usw.): Die Wirklichkeit der Kultur,
der Sprachkulturen, der interkulturellen Interaktion ist enorm
vielfältig.
Ausblick
Angesichts der angesprochenen Ziele einer universitären Ausbildung
unter der Parole der Interkulturalität wird hier der potenzielle Nutzen
einer fremdsprachlichen Ausbildung aus entsprechender Perspektive
nicht in Frage gestellt. Dabei sollen Inhalte und didaktische
Lehrwerke gut überlegt und nicht von einem allzu allgemein,
undeutlich definierten Kulturprinzip hergeleitet werden, um einerseits
ein didaktisches "everything goes" zu vermeiden, ohne – andererseits
– den heute herrschenden "offenen" Kulturbegriff durch einen "new-
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
99
con"-normativen ersetzen zu wollen.22 Um die Hauptziele der
kulturwissenschaftlich orientierten Didaktik zu verfolgen –
Beseitigung der Störfaktoren bei der interkulturellen Interaktion,
Aufbau an Toleranz für "fremde" Ausdrucksweisen, kurz:
"perspektivisches Denken, d.h. die Wahrnehmung und mindestens
teilweise Übernahme der jeweils fremden Perspektive" (Altmayer
1997: 9) – soll die DaF-Didaktik ihre Prioritäten, ihre spezifischen
Zielrichtungen und Motivationen im Auge halten. Diesbezüglich
folgende Schlussbemerkungen:
I. Bei der DaF-Didaktik geht es in erster Linie um die
Vermittlung von Sprachbewusstsein und kommunikative
Fremdsprachenkompetenzen. Die intra- und interkulturellen
Komponenten von Sprache und Kommunikation werden beim
DaF-Unterricht unter Umständen implizit – d.h. ohne explizite
22 Mit explizitem Bezug auf den Kulturbegriff im DaF-Bereich sagt Claus Altmayer: "Der inhaltlichen Präzision allerdings scheint die inflationär gewordene Rede von 'Kultur' weniger förderlich zu sein. Tatsächlich herrscht in den meisten einschlägigen Publikationen ein eher alltagssprachlicher, unreflektierter und unwissenschaftlicher Begriff von 'Kultur', 'Kulturen' oder 'Kulturkreisen' vor, der eine Gemeinverständlichkeit eher unterstellt als tatsächlich einlöst und der - schlimmer noch - in vielen Fällen zweifelhafte inhaltliche Implikationen wie die Vorstellung einer einheitlichen und abgeschlossenen 'Nationalkultur' transportiert. Von einem wissenschaftlichen Terminus ist der Kulturbegriff des Faches bislang jedenfalls weit entfernt, eine Tatsache, die zu seiner oben behaupteten Funktion als Kernbegriff des Faches in einem in einem problematischen Spannungsverhältnis steht." (Altmayer 1997: 1).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
100
Selektion von ausgeprägten "kulturellen" Lehrgehalten –
vermittelt. Das Umgekehrte lässt sich auch begründen: Für die
allgemeine Förderung von Sprachbewusstsein und
kommunikative Kompetenzen können sicherlich auch
didaktische Inhalte, Verfahren und Materialien ausgewählt
werden, die nicht nur Sprachbewusstsein und -fertigkeiten,
sondern zugleich auch interkulturelles Bewusstsein und
interkulturelle Kompetenzen aufbauen.
II. Zu letztgenanntem Zweck soll die DaF-Didaktik vorzugsweise
kein – wie Altmayer es formuliert – "abstraktes" Wissen
vermitteln, d.h. kein Wissen, das aus anderen Fachbereichen
importiert wird und als "Selbstzweck" gilt (2005: 158) – wie es
in der traditionellen Vermittlung der Landeskunde allzu oft der
Fall ist.
III. Zum Gegenstand der interkulturell orientierten
Fremdsprachendidaktik sollen Kulturspezifika der
Fremdsprache im Vergleich mit Äquivalenten der eigenen
Sprachkultur gemacht werden – nützlich ist vor allem der
Vergleich auf Text- und Textsortenebene.
IV. Wenn es darum geht, sprachliche Kultureme als Sprachstile zu
typisieren, um sie im Fremdsprachunterricht konkret
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
101
anzuwenden, haben die sprachwissenschaftliche Forschung
sowie die DaF-Theorie einen vergleichbaren, keineswegs
einfachen Auftrag. Folgende Probleme sind dabei zu
berücksichtigen:
a) Bei der Betrachtung kommunikativer Stile und Präferenzen in
unterschiedlichen Kulturen darf einerseits nicht vergessen werden,
dass – wie Juliane House hervorhebt – "Sprach- und
Kulturgemeinschaften nie monolithische Einheiten sind, sondern
in vielfältiger Weise intrakulturell variieren" (1998: 72).23
b) Es kann andererseits nach der Lehre der Sozialwissenschaften
angenommen werden, dass es in den unterschiedlichen Sprach-
und Kulturgemeinschaften Wahrnehmungs-, Denk- und
Handlungsmuster gibt, die von den Individuen unbewusst
assimiliert und als Habitus, u.a. auch als "sprachlicher Habitus",
widergespiegelt werden (Bourdieu 1974: 125 ff.).24
23 Schon Anfang der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts bestritt Clifford Geertz den heuristischen Wert eines Kulturbegriffs, der Kultur als eine Instanz betrachtet, die fest umkreist, lokalisiert, in seinen einzelnen Bestandteilen bestimmt werden kann (Fabietti 2003: 144). 24 Über die Bedeutung des "sozialen Habitus" von Norbert Elias für den Kulturbegriff des DaF-Gebiets s. Altmayer 1997: 13 ff.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
102
c) Die Typisierung eines einzelsprachlichen sozialen Habitus kann
aus einer Festlegung der Kultureme resultieren, die die
entsprechende Sprachkultur charakterisieren.
d) Die Festlegung resultiert ihrerseits aus einer Untersuchung von
Texten, die durch nachprüfbare, textlinguistische Kriterien auf der
Grundlage eines einschlägigen Textkorpus vorgenommen wird.
Auf einen solchen – die wissenschaftliche Forschung prägenden –
Anspruch auf Objektivität kann die DaF-Theorie und -Praxis auf
keinen Fall verzichten, weil die Gefahr immer präsent ist, statt
linguistischer Kultureme Clichés zu vermitteln.
e) Eine damit zusammenhängende Frage ist, ob in dieser Hinsicht
linguistische Kulturspezifika – wenn auch in einem
sprachvergleichenden Kontext – immer nur hic et nunc
herausgestellt werden können oder ob es hingegen nötig wäre, sie
diachronisch hervorheben, d.h. im weiteren Kontext der
"Einzelbiographien" und als Ergebnis von einzelnen Traditionen
gemeinschaftlichen Denkens und Handelns.25
Marina Foschi Albert
25 Ein mustergültiges Beispiel eines derartigen methodischen Ansatzes ist die Abhandlung Götzes (2006).
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
103
Università di Pisa
Dipartimento di Linguistica
Zitierte Literatur
Adamzik, Kirsten (2001). Kontrastive Textologie. Untersuchungen zur
deutschen und französischen Sprach- und
Literaturwissenschaft. Tübingen.
Altmayer, Claus (2005). Kulturwissenschaftliche Forschung in
Deutsch als Fremdsprache. Acht Thesen zu ihrer Konzeption
und zukünftigen Entwicklung. "Deutsch als Fremdsprache" 42,
3.3: 154-160.
Altmayer, Claus (1997). Zum Kulturbegriff des Faches Deutsch als
Fremdsprache. "Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht" [Online] 2, 2: 1-23.
Anderson, Mark M. (2004). Culture a confronto: Cultural Studies nel
contesto anglosassone e italiano. "Osservatorio Critico della
germanistica" VII-21: 1-10.
Bollenbeck, Georg (1996). Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines
deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a.M.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
104
Bourdieu, Pierre (1974). Der Habitus als Vermittlung zwischen
Struktur und Praxis. In: P.B. Soziologie der symbolischen
Formen. Frankfurt a.M: 125-159.
Bredella, Lothar (1986). Intercultural Understanding - a threatening
of liberating experience. In: Michael Legutke (Hg.). American
Studies in the Language Classroom. Intercultural Learning and
Taskbased Approaches. Fuldata/Kassel.
Edelhoff, Christoph (1996). Kommunikative Grundlagen des
Englischunterrichts. In: Herbert Christ/Michael K. Legutke
(Hg.). Fremde Texte verstehen. Festschrift für Lothar Bredella
zum 60. Geburtstag. Tübingen: 40-49.
Ehlich, Konrad (1996). Interkulturelle Kommunikation. In: Hans
Goebl/Peter H. Nelde/Zdenĕk Starý/ Wolfgang Wölck.
Kontaktlinguistik. Contact Linguistics. Linguistique de contact.
Berlin/New York: 920-931.
Fabietti, Ugo (20036). Antropologia culturale. L'esperienza e
l'interpretazione. Roma/Bari.
Finkbeiner, Claudia (1996). Determinanten bedeutungs-
konstituierender Konstrukte. In: Wolfgang Börner/Klaus Vogel
(Hg.). Texte im Fremdsprachenerwerb. Verstehen und
Produzieren. Tübingen: 91-110.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
105
Fix, Ulla/Habscheid, Stephan/Klein, Josef (2001). Zur Kulturspezifik
von Textsorten. Tübingen.
Galtung, Johann (1985). Struktur, Kultur und intellektueller Stil. In:
Alois Wierlacher (Hg.). Das Fremde und das Eigene. München:
151-193.
Götze, Lutz (2006). Über die Gegenwart. In: Lutz Götze/Salifou
Traoré: Prolegomena zu einer Kulturkontrastiven Grammatik.
Frankfurt a.M. (in Druck).
Grossklaus, Götz (1985). Kultursemiotischer Versuch zum
Fremdsprechen. In: Alois Wierlacher (Hg.). Das Fremde und
das Eigene. Prolegomena zu einer interlulturellen Germanistik.
München: 391-412.
House, Juliana (1998). Kontrastive Pragmatik und interkulturelle
Kompetenz im Fremdsprachen-unterricht. In: Klaus-Dieter
Baumann/ Hartwig Kalverkämper (Hg.). Kontrast und
Äquivalenz. Beiträge zu Sprachvergleich und Übersetzung.
Tübingen: 63-88.
Humboldt, Wilhelm von (Neuausgabe 2002). Werke in fünf Bänden.
Flitner, Andreas/Giel, Klaus (Hg.). Darmstadt 1961-1980.
Kalverkämper, Hartwig (2004). Die Fachkommunikations-forschung
auf dem Weg der Pluralität. In: Klaus-Dieter Baumann/ Hartwig
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
106
Kalverkämper (Hg.). Pluralität in der Fachsprachenforschung.
Tübingen: 11-49.
Kaplan, Robert B. (1996). Cultural Thought Patterns in Intercultural
Education. In: "Language Learning" 16: 1-20.
Lorenz, Sabine (1999). Übersetzungstheorie, Übersetzungs-
wissenschaft, Übersetzungsforschung. In: Heinz Ludwig Arnold/
Heinrich Detering. Grundzüge der Literaturwissenschaft.
München: 555-569.
Martinez, Matias (1999). Dialogizität, Intertextualität, Gedächtnis. In:
Heinz Ludwig Arnold/ Heinrich Detering. Grundzüge der
Literaturwissenschaft. München: 430-445.
Meissner, Franz-Joseph (1996). Multikulturalität, Eurokulturalität -
Orientierungen für einen europäischen Fremsprachenunterricht.
In: Herbert Christ/Michael K. Legutke (Hg.). Fremde Texte
verstehen. Festschrift für Lothar Bredella zum 60. Geburtstag.
Tübingen: 50-61.
Oksaar, Els (1988). Kulturemtheorie. Ein Beitrag zur
Sprachverwendungsforschung. Hamburg.
Otten, Matthias (2004). Kulturbegriff und kultureller Wandel.
http://www.uni-landau.de/instbild/IKU/lehre/Leittext
Kultur%20und%20Kulturbegriff.pdf. 2004: 2-16.
Studi Linguistici e Filologici Online 4.1 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa
www.humnet.unipi.it/slifo
107
Sachtleber, Susanne (1990). Linearität vs. Digressivität
wissenschaftliche Texte im zweisprachigen Vergleich. "Folia
Linguistica." XXIV/1-2: 105-122.
Schmenk, Barbara (2004). Interkulturelles Lernen versus Autonomie?
In: Wolfgang Börner/Klaus Vogel (Hg.). Emotion und
Kognition im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: 66-86.
Tiittula, Liisa (1995). Stile im interkulturellen Begegnungen. In:
Gerhard Stickel (Hg.). Stilfragen. Berlin/New York: 198-224.
Wechsel, Kirsten (1999). Sozialgeschichtliche Zugänge. In: Heinz
Ludwig Arnold/ Heinrich Detering. Grundzüge der
Literaturwissenschaft. München: 446-462.
Wierlacher, Alois (Hg.) (1985). Das Fremde und das Eigene.
Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik. München.