Ntl Briefe

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    Adolf van den Bergh van Eysinga:

    Die ltesten Christlichen Schriften

    Den Haag 1946

    III. Briefe (94-151)

    Au s dem Niederlndis chen bersetzt von Frans-Joris Fabr i, Berlin 2003

    Ein groer Teil der frhchristlichen Literatur besteht aus Briefen, die unterden Namen von Aposteln oder deren Schlern an bestimmte Gemeinden oder

    Einzelpersonen gerichtet sind. Der bliche antike Brief hatte eine andere Artder Adressierung. Danach sollte man als Briefanfang etwa Folgendes erwar-ten: Paulus an die Rmer, seid gegrt! (vgl. Apg. 15: 23; 23: 26; Jak. l : 1).Im Paulusbrief jedoch ist der Name des Autors mit allerlei Attributen verse-hen, und bereits die Anschrift gibt Hinweise auf den Inhalt des Briefes; au-erdem wird der Autor gegen Verkennung seiner Person verteidigt (vgl. Rm.l : l ff.; l Kor. l : 3 ; II Kor. l : l f.; Gal 1:1). Deissmannn unterschied zwischendem echten Brief, der an eine bestimmte Gruppe oder Person gerichtet ist undan diese zugestellt werden muss, und der Epistel, einem literarischen Produkt,welches sich nur zum Schein an die Adressaten richtet, in Wirklichkeit aberfr das groe Publikum bestimmt ist. Roller hat dann noch aufgezeigt, dassder Rmerbrief, der in Manuskriptform einen Umfang von 27 bis 30 Papyrus-

    seiten gehabt haben muss, dass bliche Ma eines Briefes, ja fast eines Bu-ches berschreitet. Paulus 1. Brief an die Korinther kann gar als Foliant be-zeichnet werden. Roller sagt, diese Briefe seien die lngsten Produkte grie-chischer privater Korrespondenz. Nur die brigens fr unecht gehaltenenBriefe Platos oder Thucydides kommen in deren Nhe. Die Antike sah sichdann auch gerade wegen der Lnge von Platos Briefen zu der Aussage veran-lasst, es seien keine Briefe, sondern vielmehr Bcher, mit einer vorangestell-ten Begrung versehen.Eine echte Korrespondenz liefert in der Regel gewissermaen ein Bild so-wohl vom Autor als auch von den Lesern; sie lsst die Eigenart des Autorsmehr oder weniger durchscheinen, whrend dieser wiederum sich versetzt indie Gedanken- und Gefhlswelt der Angesprochenen.Seit dem Ende des 1. Jahrhunderts v.u.Z. wurde das Briefschreiben in derRmischen Welt als lite-[95]rarisches Genre betrieben, manchmal auch alsStilbung. Vor allem bei den Stoikern geschah das mit der Absicht sittlicherBelehrung. Ein berhmtes Beispiel dafr sind Senecas Briefe an Lucilius.Auch der frhchristliche Brief gehrt einem bestimmten Genre an; er folgteinem konventionellen Sprachmuster. So heit es im Brief an die Rmer, dieganze Welt habe Kenntnis ihres (berragenden) Glaubens. Mit derselbenLobpreisung werden aber auch die Korinther und die Thessalonicher in denan sie adressierten Briefen bedacht. Regelmig geht einem Tadel ein Lobvoraus, und einer Ermahnung folgen als Pflsterchen auf die Wunde oderaber zur Ermutigung die Worte: wie ihr es ja auch tut. Die Angesproche-nen geben also keinerlei Anlass fr die ihnen berreichlich zugeteilten Er-mahnungen, es handelt sich hier vielmehr um den Stil der offiziellen bischf-

    lichen Verlautbarung, welche all ihre Warnungen an die als ideal gedachte

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    Gemeinden richtet. Auch Paulus eigene gleichzeitige Selbsterhhung und -erniedrigung in regelmigem Wechsel passen gut im Munde eines Kirchen-frsten. Diesen Briefen fehlt eine genaue Adressierung, obwohl nur eine sol-che die Zustellung ermglichen wrde. An die Gemeinde Gottes, die in Ko-rinth ist, ... samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn JesusChristus anrufen (l Kor. 1:2); samt allen Heiligen, die in ganz Achaia sind (IIKor. 1:1); den Gemeinden von Galatien (Gal. 1:2). All diese den Briefenvorangestellte Texte verweisen nicht im mindesten auf genau festgelegteAdressaten, was fr einen wirklichen, zustellbaren Brief doch Voraussetzungist. Um diese eigenartige Tatsache zu erklren, wird darauf verwiesen, dassein Brief dieser Art zirkulieren musste. Als ob es hier um unsere modernenLesezirkel ginge! Aber auch diese brauchen eine Liste mit den Namen derTeilnehmer in der Reihenfolge der Zustellung. Weder vom Autor, noch vomAdressaten, noch von deren Beziehung zu einander knnen wir uns aus die-sen Briefen ein deutliches Bild machen. Mal haben sie einen, mal mehrereAutoren. Darin, sagt Roller, sind sie Briefen hnlich jenen, die von ffentli-chen Krperschaften ausgingen, Mandaten und Edikten also von Stdten, Ge-

    nossenschaften oder irgendwelchen Gruppierungen. [96] Mal sind sie an ei-nen bestimmten Kreis gerichtet, mal an die gesamte Christenheit. Ein Anlasszum Schreiben speziell dieser Briefe an speziell diese Gemeinden lsst sichnicht finden. Zeigen sie jeder fr sich genommen eine gewisse Einheit, so of-fenbaren sie bei nherer Betrachtung einen kompilierten Charakter und denEinfluss von Lektre. All dies passt schlecht zu einem echten Brief, der ja dieMitteilung von Gedanken von Person zu Person oder Kreis bezweckt. Ver-stndlich ist das aber beim offenen Brief, einem fr das groe Publikum be-stimmten Schreiben, das in den ffentlichen Zusammenknften der Christenvorgelesen werden sollte (I Thess. 5 : 27). Der Brief an die Kolosser ist sowenig persnlich gemeint, dass der Autor ihn auch von den Laodicenern ge-lesen haben mchte (Kol. 4 : 16). Ein eigenartiges Licht wirft Ignatius ber

    den Paulusbrief, wo er den Ephesern (12) schreibt: Paulus, der in jedemBrief Euer in Christus Jesus gedenkt Jeder Paulusbrief also, und nicht nurder an die Epheser oder deren Vorsteher Timotheus, sondern auch diejenigenan die Rmer, Korinther, Galater usw., ist Ignatius zufolge im Hinblick aufdie Epheser geschrieben. Im gleichen Sinne schreibt Polykarp an die Philip-per (3 : 12): als er abwesend war, hat Paulus euch Briefe geschrieben. Unsist aber nur einer bekannt. Die hier gemeinten Briefe sind die kompletteSammlung, wobei jeder einzelne der Form halber zwar an eine bestimmteGemeinde gerichtet ist, aber dennoch genauso fr die Philipper im gleichenSinne, wie es sich oben fr die Epheser herausstellte, bestimmt ist. Beim lite-rarischen Charakter der Briefe waren Formfehler nicht sonderlich wichtig: ei-ne offengelassene Adresse in einem von Paulus an die Epheser gesandtenBrief; das Fehlen eines richtigen Anfangs (Hebr.); eines passenden Schlusses

    (Jak.); des Anfangs und des Schlusses (1 Joh.). Es gab anfnglich ja keinenZweifel an der Herkunft. Der Tbinger Gelehrte F. C. Baur hob von den 13Paulusbriefen 4 hervor, die er als Hauptbriefe bezeichnete (Rm., l & II Kor.,Gal.). Fr ihn war die Echtheit dieser 4 ein Axiom im Sinne von von Pau-lus selber geschrieben, weil gegen sie niemals auch [97] nur der geringsteVerdacht der Unechtheit aufgekommen sei, und sie den Charakter der Ur-sprnglichkeit so unwidersprchlich zeigten, dass kritische Zweifel nichtsdagegenstellen konnten. Indessen hat aber schon Bruno Bauer die Echtheitauch der Hauptbriefe bezweifelt (1850-52). Allard Pierson und weitere Nie-derlndische Radikalen (Loman, van Manen, van Loon u.a.) und der Schweit-zer Rudolf Steck folgten. Albert Schweitzer hat rundheraus erklrt, dass hin-sichtlich Loman, Steek und van Manen nie etwas verffentlicht wurde, dass

    auch nur ein wenig der Bedeutung ihrer Werke entsprach, und dass sie in

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    Fortsetzung der Tbinger Kritik weiterhin Fragen aufwarfen, als andereTheologen das Fragen verlernt hatten. Johannes Weiss hat erkannt, dass wirvon Paulus keine andern Briefe besitzen als solche, die von spterer Hand re-digiert wurden, so dass wir versuchen mssen, die Originale zu rekonstruie-ren und stets vor der Frage stehen, ob ein Brief aus einem Guss geschriebenoder aus Einzelstckchen kompiliert wurde was dann wohl eine sonderbareArt von Brief zu nennen wre! Briefe werden nun einmal geschrieben undnicht aus verschiedenartigen Einzelteilen von Ermahnungen, Lehrvortrgen,Prophezeiungen, Abhandlungen usw. zusammengestellt. Ist z.B. der Brief desPaulus an die Rmer, wie wir ihn haben, das Werk eines Redaktors, der ihnaus verschiedenen Teilen zusammengesetzt hat, dann mgen diese Teile, alleoder zum Teil, echte Briefe des Apostels sein, ihre Zusammenfgung zu ei-nem Ganzen ergibt gewiss keinen authentischen Brief, der umstndehalber zueinem bestimmten Zeitpunkt an die Rmische Gemeinde geschrieben wurde.Jedes Berufung auf das Verhltnis eigener Art, das zwischen Korrespondie-renden zu bestehen pflegt und vieles erklren muss, was uns, den Spteren,per se unverstndlich bleiben muss, ist dann nicht mehr am Platze. Und was

    schwerer wiegt: mit dieser Art der Betrachtung wurde die traditionelle imPrinzip bereits aufgegeben.Dies sind Abhandlungen, Bchlein, die wohl zum Verkauf angeboten, auf je-den Fall aber in Umlauf gebracht wurden in der Absicht, das groe Publikumzu erbauen und zu belehren. Aus dem Altertum [98] sind uns 14 in einer Kol-lektion berliefert. Aber von einer Sammlung hren wir erstmalig beim Hre-tiker Markion, der nur 10 davon besa (die Pastoralbriefe hatte er nicht), undzwar in einer Lesart, die von der unsrigen abweicht. Das Schweigen bis etwaein Jahrhundert nach der traditionell angenommenen Abfassungszeit derBriefe ergibt ein merkwrdiges Problem. Wie erklrt man, dass die gleichenFragen, die darin an der Tagesordnung waren und somit im 1. Jahrhundert ge-lst wurden, im 2. die Gemter noch einmal in Wallung bringen? Ich denke

    an die Fragen ber den Wert von Gesetz und Beschneidung, die Legitimittdes Paulus als Apostel, den Vorrang Israels ber die Heidenwelt, was dasmessianische Heil betrifft. Erstaunlich ist auch, dass, wenn die Briefe zwi-schen 40 und 60 von Paulus geschrieben wurden, darin weder vom Tempelnoch vom Tempeldienst die Rede ist und das Judentum ganz in Gesetzeser-fllung aufzugehen scheint.Die Dialektik in den Briefen wurde als rabbinisch empfunden und somit alspassend zu Paulus, dem Schler des Pharisers Gamaliel (Apg. 22 : 3). Wirfinden dies aber auch bei Justin Martyr, der nicht jdischer Herkunft war.Auch er bekmpft seine Gegner mit deren eigenen Waffen in seinem Dialogmit dem Juden Trypho. In einem Gesprch mit dem christlichen GelehrtenRamsay machten einige jdische Gelehrte die Bemerkung, dass die Paulus-briefe vieles enthielten, was kein Jude schreiben knne. Ramsay entgegnete:

    Ihr als Juden habt einen geschrften Blick fr das unjdische Element; einChrist wiederum fr das Jdische. Das ist nun doch eine armselige und ganzund gar nicht berzeugende Antwort! Die Autoren der Paulina benutzen dasA.T., das macht aber aus ihnen noch lange keine Juden, genau so wenig wieein Puritaner des 17. Jahrhunderts ein Jude ist, weil er fr das A.T. viel brighat. Das rabbinische Judentum hatte einen ganz andern Charakter und be-schrnkte sich keineswegs auf die Kenntnis der griechischen Bibelberset-zung. Vom Standpunkt des Historikers bleibt es ein Ding der Unmglichkeit,dass der Jude Paulus seinem Zeitgenossen Jesus die Attributen des Ewigengegeben htte.

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    [99] LITERATUR

    Lomans Nachlass, herausg. durch van Manen-Meyboom I, Gron. 1899. Meine Inleiding tot de Oudchristelijke Letterkunde, Amst. 1927: 77-83;

    vgl. N.T.T. 1935: 341 ff. - Otto Roller, Das Formular der paulinischen Brie-fe, Stuttg. 1933. - W. B. Smith, Der vorchristliche Jesus, Giessen 1906: 137ff.. - J. A. Bruins, in T.T. 1910: 26ff.. 99

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    [100]1. Der B rief d es Paul us an d ie Rmer.

    Dieser Brief sollte eher bezeichnet werden als Abhandlung zum Thema

    [das Evangelium ist] doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohldem Juden zuerst als auch dem Griechen .... Denn Gottes Gerechtigkeit wirddarin offenbart aus Glauben zu Glauben (1 : 16 f.). Dies besagt: diejenigeGerechtigkeit, die Gott im Menschen bewirkt, entspringt dem Glauben alsQuelle und fhrt wiederum zum Glauben als Ziel. Die relative Einheit desGanzen schliet eine Zusammensetzung aus vorhandenen Schriften nicht aus.hnliche Textstcke werden in einen bestimmten Rahmen zusammengefgt:ber die Allgemeinheit der Snde (l : 183 : 20); Abraham und der Glaube(4); die Frucht der Rechtfertigung, wobei 3 Einwnde gegen den Paulinismuswiderlegt werden (5 7); die Herrlichkeit des neuen Lebens (8); die Verwer-fung der Juden (9 11); die Pflichten des Christen (12 15). Das letzte Kapitel(16) macht zu Unrecht bei vielen den Eindruck einer Hinzufgung von ande-

    rer Hand.Bereits die Anrede verrt den Autor als Ersteller eines Lehrschreibens undnicht eines Briefes (1 : 2 6). Markion hatte diese Verse nicht. Die werdendeKirche hat sich bei ihrem Kampf gegen den Hretiker die Paulusbriefe ange-eignet, nicht ohne das ihrer Meinung nach Bedenkliche darin zu entfernenund orthodoxe Dogmen hinzuzufgen. Gerade diese Verse sind ein typischesBeispiel dafr. Wie in Klammern werden hier bereits in der Anrede funda-mentale Lehren der Kirche vorgetragen: die Kontinuitt von A.T. und N.T.,die zusammen die Offenbarung eines und desselben Gottes darstellen; dieVerbindung des Messias - Sohn Davids mit dem Christus des Paulinismus;Jesus zum Christus geworden aufgrund seiner Auferstehung und also nicht alssolcher gesandt, wie wir es anderswo lesen (8 : 3, 32). Whrend bei Paulusdie Berufung von Gott ausgeht (4 : 17; 8 : 30; 9 : 11 f., 24; 11 : 29), heit eshier, Paulus sei durch die Gnade Christi berufen. Steht das Subjekt sonst re-gelmig im Singular (l : l und [101] l : 8 ff.), so lesen wir in 1 : 5 :Durchihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen. Zahn erklrte dieses wirals Paulus und die Zwlf und sah in ihnen historische Personen; wir aberwollen diese lieber als Vertreter der Katholischen Kirche ansehen. Wo esvom Apostelamt heit, es diene dazu, die Menschen zum Gehorsam zu fh-ren, nicht Gott oder Christus, sondern dem Glauben gegenber (1 : 5), istnicht Glauben im ursprnglichen paulinischen Sinne gemeint sondern kirch-liche Glubigkeit. In dieser Weise konnte der sich auf der Grenze zur Hre-sie bewegende Paulus (Barth) doch fr die Kirche in Anspruch genommenwerden.Der dogmatische Inhalt als solcher spricht bereits gegen den Charakter eines

    echten Briefes. Weshalb sollten diese Ausfhrungen ber die Lehre und diesittlichen Ermahnungen speziell angebracht worden sein fr die Gemeinde inRom? An keiner Stelle wird etwas sichtbar von einer persnlichen Bezie-hung zwischen dem Autor und die von ihm Angesprochenen; man kann sichvon ihrem Verhltnis keine befriedigende Vorstellung machen, nicht weil diedazu ntigen Daten fehlen, sondern weil allerlei Daten im Brief sich gegen-seitig widersprechen. Abwechselnd entsteht der Eindruck, die Leser seien Ju-denchristen oder Heidenchristen. Eine Gruppe von Schwachen, die wegen ih-rer jdischen Vergangenheit keine vom Gesetz verbotene Speisen essen oderkeinen Wein trinken wollen und bestimmte Tage als heilig begehen, knntein einem mit an sie gerichteten Schreiben schwerlich so in Schutz genommenund in vterlichem Ton besprochen werden, wie es hier geschieht (14). Siehtten sich beleidigt und in ihren heiligsten berzeugungen gekrnkt gefhlt.

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    Der Mann, der da sagt: Ich aber lebte einst ohne Gesetz (7 : 9), ist nicht dernach der Tradition ursprnglich streng jdische Paulus, sondern eine dogma-tische Gre, ja der Reprsentant der gesamten Menschheit. Er spricht Grie-chisch und denkt Griechisch. Er wei sich in der Schuld von Griechen undBarbaren. Kann ein geborener Jude so reden? Er erweckt durchweg den Ein-druck, selber auerhalb des Judentums zu stehen. Auch sein ausschlielicherGebrauch der griechischen bersetzung des A.T. [102] anstelle des Urtextesweist auf eine nichtjdische Herkunft hin. Unter seinen Quellen ist das alex-andrinische Buch der Weisheit Salomos(vgl. l : 18-32 mit Weish. 13 ; 9 : 19,22 mit Weish. 12 : 12; 15 : 7) und er schreibt im Stil der griechischen philo-sophischen Lebensweisheit jener Zeit. Unmglich kann man sich die Leserdieses Briefes vorstellen als Menschen, die ber den paulinischen Glaubenerst noch informiert werden mssen; der ist ihnen offensichtlich vollkommengewrtig und ihre Glaubensberzeugung ist berall in der Welt bekannt (15 :4 f.; l : 8). Ihre Bekehrung ist schon ziemlich lange her (13 : 11) und sie er-leiden Verfolgung (12 : 12, 14 ; 5 : 3-5 ; 8 : 17 ff.). Weder Paulus noch einervon dessen Reisebegleitern hat die Gemeinde von Rom gegrndet; oft hatte

    er den Vorsatz, sie zu besuchen, er wurde aber daran gehindert (1 : 13); jetztaber ist es bald soweit (15 : 22). Wozu dann aber diesen langen Brief vor die-sem bevorstehenden Kommen? Falls er aber notwendig war, warum wurde erdann so lange aufgeschoben? Das Erstaunlichste ist jedoch, dass diese Rmi-sche Gemeinde den paulinischen Glauben ohne das Predigen des Paulus er-worben hat (l : 8, 11 f.). Denn was der Paulinist in die Wrter Gnade, Glau-ben, Gerechtigkeit, Offenbarung, Geist hineinlegte, hatte noch nie ein Grie-che oder Jude aus ihnen herausgehrt. Wie konnten dann die Rmer dieseDinge in diesem Brief berhaupt verstehen? Die Angesprochenen, obwohlgebildete und weltberhmte paulinische Christen, mssen erst noch als beru-fene Heiden zum Gehorsam dem Glauben gegenber gebracht werden (1 : 5f.). Zwar will Paulus nicht auf einen von andern gelegten Grund bauen und

    verrichtet seine Sendungsarbeit nur dort, wo der Name Christi noch nicht be-kannt ist (15 : 20), durch das Schreiben dieses Briefes gert er jedoch in tota-lem Gegensatz zu diesem Prinzip.W. B. Smith und Harnack nach ihm haben nun eine abweichende Lesartvon 1 : 7, in der die Worte in Rom fehlen, vorgezogen. Es ist schwer ein-zusehen, dass diese Worte bei mehr als einem Textzeugen weggelassen, eher,dass sie hinzugefgt wurden. Dann wrde die ber[103]setzung des Versesso lauten: Allen Seienden, Geliebten Gottes, berufenen Heiligen. Mit die-sen Seienden werden dann im mystischen Sinne die Christen bezeichnet alsTeilhaber am Seienden = Gott der Vater. Dies ein Sprachgebrauch, der vonOrigenes her bekannt ist. An anderer Stelle (Eph. 1 : 1) werden wir dasselbenoch einmal vorfinden.Trotz der katholisierenden berarbeitung zeigt die Schrift noch Spuren eines

    gnostischen Hintergrundes. Wo es heit, Gott habe seinen Sohn aus demHimmel gesandt in Gleichgestalt des Fleisches der Snde (8 : 3), sein Leibist nicht der bliche, der aus sndigem Fleisch besteht , haben wir eine do-ketische Aussage. Gott hat ihn fr uns ausgeliefert, nmlich den niedrigerenin dieser Welt herrschenden Mchten (8 : 32), um uns von ihnen freizukau-fen. Die Mchte sehen in ihm einen Menschen und erkennen in seinerScheingestalt den Herrn der Herrlichkeit nicht; sie tten ihn und verlieren da-durch ihr Anrecht auf ihn und die seinen (vgl. l Kor. 2 : 8; Himmelfahrt Jesa-jas 11 : 16). Gott entreit ihn ja wieder durch Auferweckung, und nunmehrendgltig, dem Tode und dadurch der Herrschaft der kosmischen Mchte (4 :24; 8 : 11; 6 : 4, 9; 7: 4). Diejenigen, die dieses Evangelium annehmen, wer-den sich unter Fhrung des hl. Geistes ihrer Gottessohnschaft bewusst (8 : 14

    ff.). Bald werden sie als solche erkannt werden (8 : 19 ff.); die Schpfung

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    liegt mit den Christen in den Wehen und hofft, wenigstens in der Lesart desGnostikers Basilides (in Hippol. 25 und 27), bald von ihnen erlst zu werden;sie passen nmlich nicht zu ihrem Bereich und deshalb stt sie sie gerne ab.Ihr Seufzen bezweckt, dass alle Menschen von dort aus hochsteigen sollen.Die Natur selber wird also nicht erlst das insinuiert der katholische Text ; sondern sie fllt zurck in ihren alten Zustand als Werk des Welten-schpfers, mit dem die Shne des einzigen wahren Gottes nichts gemein ha-ben. Gott ist nicht lnger der Unbekannte, sondern Abba, Vater (8 : 15). So-mit wird hier neben dem Gott, den Paulus mein Gott nennt und der Vaterist (l : 7; 8 : 15), ein anderer vorausgesetzt.Der Absolutheitscharakter der Gnade wird hier gegen die Bedenken der An-hnger des Jdischen Gesetzes verteidigt. In Mar[104]kions Brief gab es denTraktat ber Israel (9 11) nicht, das durch eigene Schuld verworfen wurde,whrend aber dennoch die ihm gegebenen Verheiungen weiterhin gelten.Der Fall Israels wurde das Mittel, die Heiden zum Heil zu fhren; sobald die-ses Ziel erreicht ist, wird Israel dem nacheifern und schlielich als Ganzesgerettet werden. Der Brief drfte in ursprnglicherer Form aus der markioni-

    tischen Ecke in Rom stammen und dort dann im katholischen Sinne redigiertworden sein.Aus Gesetzeswerken, belehrt unser Autor, wird vor dem gttlichen Richterkein Fleisch gerechtfertigt, denn das Gesetz fhrt nur zur Kenntnis der Snde,nimmt sie aber nicht weg (3 : 20). Die neue Offenbarung der GerechtigkeitGottes verluft ohne das Gesetz; sie wird durch den Glauben an Christus alsGnadengabe empfangen. Jude und Heide werden gratis gerechtfertigt auf-grund des Freikaufs in Christus Jesus, den Gott zum Shnemittel gemachthat, um auf diese Weise seinen Zorn ber die Snde der Menschen zu beruhi-gen (3 : 21 ff.). Die Ergebnisse von Christi Tod eignet man sich durch denGlauben an (5 : 8 f.; 6 : l ff.; vgl. II Kor. 5 : 18 ff.). Die Opfertheorie lsst dieHand des Redaktors vermuten, der durch jdische Beimischung und viele alt-

    testamentliche Beweisstellen den Paulinismus akzeptabel machen wollte. Derursprngliche Paulinismus lie ja durch Christi Opfer den Menschen freikau-fen von den kosmischen Mchten, namentlich vom Weltschpfer und seinenKumpanen.Wo die Gnade so als das ein und alles betrachtet wird, kommen einige mitLeichtigkeit zur Konsequenz, dass man nur in der Snde bleiben msse, da-mit die Gnade reichlicher strme (6 : 1, 15). Dieser einseitige Libertinismuswird von unserm Autor zurckgewiesen. Durch die Taufe stehen die Christenin mystischer Gemeinschaft mit Christus; sie haben Anteil an seinem Tod undAuferstehung, so dass sie nunmehr der Snde gestorben sind und Gott leben(6 : 1 ff.). Der Kern der paulinischen Religion: das Sterben und Begraben-werden mit Christus, um mit ihm zu leben, wird uns erst klar, wenn wir an diehellenistischen Mysterien denken. Das Schicksal, dass die Gottheit einst erlit-

    ten hat, wird in bestimmten Kulthand[105]ungen dargestellt und wiederholtsich im Glubigen. Gleichermaen durchlebt auch der in das Christusmyste-rium Eingeweihte in der Gemeinschaft mit Christus alles, was dieser erlebthat (5 : 6-12; 6 : 1-11 ; 7 : 5-25 ; 8 : 1-14). Taufe und Abendmahl sind Initia-tionsriten von sakramental-realistischer Kraft; sie bewirken den bergangvom Status der Snde in den der Gnade. Gott steht in allen Dingen denjeni-gen, die Ihn lieben, zum Guten hin bei (8 : 28). Gott hat sie im voraus ausge-whlt, dann gerufen, gerechtfertigt und vergttlicht (8 : 30); exakt die vierStufen, die den Heilsprozess der Mysterien kennzeichnen. Durch AdamsFehltritt ist die Snde in die Welt gekommen und durch sie der Tod; durchChristi gerechte Tat kommt die Rechtfertigung von Gott her, welche zum Le-ben gehrt (5 : 18). Wer Christi Tod in der Taufe zum eigenen Tod gemacht

    hat, dient Gott im Neuem des Geistes und nicht im Alten des Buchstabens (7 :

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    6). Sklavische Furcht gibt es dann nicht mehr; kindliches Vertrauen kommtan ihrer Stelle. Auch in den Mandischen Schriften ist der Erlser immer inder Gemeinde gegenwrtig, wie auch das Wort und das Sakrament; gleichzei-tig ist er ein immer noch Kommender und wird er gepriesen als derjenige, dergekommen ist und kommt, whrend man sein Kommen im Sakrament und inder Predigt erlebt. Dass das Einwohnen des Geistes Gottes identisch ist mitdem Einwohnen Christi (8 : 9 11) und dass Gott selber im Christen betet, (8 :15) sind rein mystische Gedanken.Christologie, die Lehre vom himmlischen und irdischen Menschen, vom Todals Folge der Snde, von der Vernichtung des Todes durch den Tod Christi,dies alles sind im ethischen Sinne abgenderte, alte mythologische Vorstel-lungen, wie wir sie auch bei Attis und Osiris vorfinden. Loisy hat darauf hin-gewiesen, dass Mithras so wie Christus sein Heilswerk freiwillig verrichtetund sich als sittlicher Held erweist.

    LITERATUR

    Bruno Bauer, Kritik der paulinischen Briefe, Berl. 1852. - W. C. van Manen,Paulus H, Leiden 1891. - Grafe in: Theol. Abhandlungen C. f. Weizsackergewidmet, 1892: 270ff-. - Alfred Loisy, Les mystres pa ens et Ie mystrechrtien, Par. 1930. - R. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen3, Lpz. 1927. - L. Gordon Rylands, A critical analysis of the four chief Pauli-ne epistles, Lo, 1929; id., in N.T.T, 1928 p.HSvf.. - W. B. Smith, in: Journalof Biblical Literature 1901. - A. Harnack, in: Zeitschrift fr die N.T.licheWisschenschaft, 1902 : 8; ff. Mein Essay in Aldus Indiaas Cultuur, Erlan-gen, 1927 p. 74 ff.

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    [107]2. Der ers te Br ie f des Paulu s an d ie Kor in ther .

    Dieser mit einem eigenhndigen Gru des Apostels endende Brief (16 : 21)

    stammt laut Einleitung nicht von ihm allein, sondern auch von Sosthenes.Nur in fnf Briefen (Rm., Eph., l & 2 Tim., Tit.) tritt Paulus als alleinigerAutor auf; an anderer Stelle (II Kor., Phil., Kol., Philem.) finden wir nebenihm Timotheus oder gar Timotheus und Silvanus (l & II Thess.); ja einmalschreibt er sogar einen Brief zusammen mit allen Brdern, die mit ihm sind(Gal.). Diese Tatsache allein lsst schon fingierte Briefe vermuten. Zur Aus-schmckung gehrt dann auch die Vorspiegelung einer regelmigen Korre-spondenz zwischen dem Autor und seinen Lesern (5 : 9; 7 : 1). oft, wenn wirunklaren Stellen begegnen, bekommt dieser Brief Klrung durch den an dieRmer, was nicht nur auf eine sptere Abfassung hinweist, sondern auch aufdie Annahme desselben Leserkreises. Die Worte Der Stachel des Todes aberist die Snde, die Kraft der Snde aber das Gesetz (15 : 56) klingen unver-stndlich, werden aber klar, wenn man sich aus frherer Lektre (Rm. 7 : 8)daran erinnert, dass die Snde durch die Gebote aktiviert wird, dass ohne Ge-setz die Snde nichts vermag, da diese nur lebendig wird mit dem Kommender Gebote. Viele Fragen, die mit dem Gemeindeleben in Beziehung stehen,werden angesprochen: Parteiungen (l : 10 ff.; 3 : l ff.); Unsittlichkeit (5 : 1ff.); sein Recht bei Unglubigen suchen (6 : 1 ff.); die Ehe (7); Unreinheit desOpferfleisches (8 : 1 ff.); der Rechtsanspruch des Apostels, vom Evangeliumzu leben (9); die Abendmahlsfeier (11 : 17 ff.); die Glossolalie (14). Dazwi-schen finden wir dann die berhmten Perikopen ber gttliche und menschli-che Weisheit(1: 18 2: 16), den an Livius erinnernden Vergleich der viel-frmigen Christenheit mit dem einen Leib, der viele Glieder hat (12 : 12 ff.)und das Hohe Lied der Liebe (13). Daraus kann man bereits schlieen, dassdieser Schreiber mehr Interesse hat am Leben als an der Lehre. Nur was er

    [108] ber die Auferstehung schreibt, ist eine dogmatische Darlegung. Imallgemeinen fehlt der ruhig belehrende Ton des Schreibers an die Rmer; un-ser Brief trgt lebendiger und lebhafter vor. Wer da schreiben kann: Und ichbin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne (9 : 20)und : Seht auf das Israel nach dem Fleisch!, kann kein Jude sein. DieserPaulus gehrt mit den andern Aposteln der Vergangenheit an (3 : 4 ff.; 4 : 9).Er ist ein nachzueiferndes Ideal und sagt: Ich wnsche aber, alle Menschenwren wie ich (7 : 7). Er droht zu kommen, um zu strafen (4 : 18, 21) undfragt: Was wollt ihr? Soll ich mit der Rute zu euch kommen oder in Liebeund im Geist der Sanftmut? (4 : 21). Er beruft Versammlungen ein, wobeisein Geist als fhrender Faktor anwesend ist (5 : 4) und tritt auf als Vermittlerzwischen Christus und den gewhnlichen Christen (11 : 1). Zurckblickend

    auf sein Werk kann er dessen Umfang mit dem der Arbeit der andern Apo-steln vergleichen; sein Werk ist somit abgeschlossen (15 : 8 ff.). So wie sonstdie Leser im Gebet Gottes Liebe anempfohlen werden, schreibt dieser Pau-lus: Meine Liebe sei mit euch allen in Christus Jesus (16 : 24). Er ist derLehrer aller Gemeinden im Katholischen Verstndnis (4:17;7:17;11:16). Esbesteht bereits ein geordnetes Gemeindeleben mit verschiedenen Kategorienvon Amtstrgern (12 : 28 ff.); wir hren vom groen und vom kleinen Bannals Zuchtmittel (5 : 5, 9 13). In rein katholischem Geist wird Einheit der Be-kenntnisformel empfohlen: alle mssen eines Sinnes sein, ohne Uneinigkeitvereinigt im selben Empfinden und in der selben berzeugung (1 : 10). DieKehrseite dieser Forderung ist die Polemik gegen die Paulinisten von der ex-tremen Linken, Hyperpaulinisten, die sich selbst als Weisen sehen und sicherheben (3 : 18; 4 : 613), alte jdische Sitten verachten und ihr Vertrauen

    ausschlielich in die Gnosis setzen, ohne die Liebe gelten zu lassen (5 : l f.; 8

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    : 3, 9-13). Dass die hier aufgestellten Gemeinderegeln nicht durch konkreteBedrfnisse der Gemeinde zu Korinth veranlasst wurden, zeigen dieSchismatiker bzw. Parteileute, die sich nicht nur nach Paulus, Apollos undKephas, sondern auch nach Christus benennen [109] (1 : 10). Man mchtemeinen, dass letzteres keinen Tadel verdiene, und an anderer Stelle wird espositiv gesehen (II Kor. 10 : 7). Im Textverlauf wird die Christuspartei dannnicht mehr erwhnt (3 : 21). Clemens Romanus (Kor. I 47 : 3) kennt sie auchnicht, wo er auf unsern Brief anspielt. Nicht als historisch fundiertes Faktum,sondern nur als Redeweise wird hier von Parteiungen gesprochen. Dieinhaltliche Identitt der apostolischen Verkndigung wird betont (15). DerAutor stellt der Weisheit dieser Welt bzw. der Menschen die sich imVerlauf der Geschichte als ungeeignet zur Erkenntnis Gottes erwiesen hat (1 :20 24) die gttliche Weisheit gegenber, welche sich in Geist und Kraftoffenbart (2 : 4 f.). Die Angesprochenen sind noch nicht reif dafr; man mussdazu vollkommen sein, ausgerstet mit dem Geiste (2 : 6 ff.). Die Herrscherdieses Zeitalters kennen sie genau so wenig (2 : 8). Wir werden dabei an denAusspruch des Justin (Apol. 154 ff.) erinnert, dass die Dmonen das

    Geheimnis der Erlsung ersphen wollen, durch Unverstand aber nurlcherliche heidnische Mythen entstehen lassen. Nur der Geist des Menschenkann das Wesen des Menschen kennen und gleichermaen kann niemand dasWesen der Gottheit erkennen als der Geist Gottes (2 : 11 f.). Erkanntwerdendurch Gott, welches nahezu Auserwhlung durch Gott bedeutet, gehrt zurTerminologie der Gnosis (13 : 12 ; vgl. Gal. 4:9; Phil. 3 : 12; Hermetica l :31; Philo, Kains Nachkommenschaft 13). Die Lsung des Problems der Ehe:heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser, klingt katholisch. Sowohl einbertriebener Spiritualismus, der dem geistigen Menschen (dem geistigen!)Askese auferlegt, als auch ein nchterner Realismus, der fr den Fortbestandder Kirche auf Erden sorgt, finden hier Anerkennung (7 : 1 9). Als Argumentfr den Zlibat wird hier benutzt, was auch der Stoiker Epiktet lehrt: der

    Verheiratete gert in die Verstrickung weltlicher Sorgen; der Unverheiratetekann seine Sorge ausschlielich auf den Herrn richten (7 : 32 ff.)Das Verbot fr Frauen, an Gemeindeversammlungen unverschleiert teilzu-nehmen, wird be-[109]grndet mit der Gefahr, dass Engel, die dort offen-sichtlich anwesend sind, sich in sie verlieben knnten (11 : 10). ZahlreicheKrankheiten und Sterbeflle in der Gemeinde werden als Strafe fr ein unan-gemessenes Benehmen beim Mahl des Herren betrachtet (11 : 30). Das Mittelzur Unsterblichkeit wird bei unwrdigem Gebrauch gefhrlich, ja tdlich. Ex-statisches Zungenreden, d.h. das Ausstoen unverstndlicher, unartikulierterLaute, mag ntzlich sein zur Erbauung des Einzelnen, unser Autor sieht frdie Gemeinde darin nur dann etwas Wertvolles, wenn die Erklrung damiteinhergeht (14 : 3 f.); Prophetisches schtzt er hher ein (14 : 5 ff.). Er findetes unpassend, wenn eine Frau in der Versammlung redet (14 : 3 f.). Zwischenden Regeln fr den Gebrauch der geistigen Gaben (12 und 14) steht ohne Ein-bindung das Hohelied der Liebe (13), dem eine stoische Quelle zugrunde zuliegen scheint, aus der auch wohl der stoisch ausgerichtete Platoniker Maxi-mus von Tyrus im 2. Jht. geschpft hat. Den vielen andern Gaben (12 : 4 ff.)stehen nur drei Gnadengaben gegenber: Glaube, Hoffnung und Liebe; diese,von denen die Liebe die grte ist, sind ewig, whrend die andern zeitlichsind. An die Stelle von Enthusiasmus und Ekstase tritt hier die kirchlich-katholische Moral, in Bestform!Die Abhandlung des letzten groen Themas des Briefes, der Auferstehung(15), macht einen selbstndigen Eindruck im Vergleich zum Vorausgehen-den. Dieses Kapitel erweist sich aber als ein in sich selbst zusammengesetztesoder berarbeitetes Ganzes. Es fngt an mit einem spten katholischen Zu-

    satz, der seine Entstehung nicht historischem Nachforschen sondern der

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    Dogmatik verdankt (15 : 1 11); darauf folgt eine Abhandlung ber Unsterb-lichkeit, geschrieben zu einem Zeitpunkt, da der gnostische Glaube an diegeistige Auferstehung zur Bannware wurde und das anti-doketische Empfin-den der werdenden Kirche Jesus mit einem Leib von Fleisch und Blut aufer-stehen lie. Zwar ist der Auferstehungsleib anders als der irdische einverherrlichter; schon auf Erden gibt es ja vielerlei Leiber und das Fleisch le-bender Wesen ist sehr unterschiedlich; Himmelskrper haben gar eine Licht-substanz. Wie der Samenkern sterben muss [111], um aufs Neue eingekleidetzu werden, so lsst eine Seele im Tode ihr altes Kleid in der Erde und wirdmit einem himmlischen Leibe bekleidet (15 : 35 ff.). Eine Vorstellung, wel-che die Mitte hlt zwischen der geistigen Auferstehung der Gnostiker und derfleischlichen der Juden.Ohne es in irgendeiner Form zu kritisieren erwhnt der Autor den Brauch,sich stellvertretend fr ungetaufte Verstorbene taufen zu lassen, um so derenAuferstehung zu sichern (15 : 29). Offensichtlich betrachtet man die Taufeals ein Sakrament mit magischer Wirkkraft. Genau so wie das Kultmahl derHeiden real die Verbindung mit den Dmonen bewirkt, bewirkt das christli-

    che Abendmahl die Verbindung mit Christus (10 : 1 ff.). Vom Tisch desHerrn wird in derselben Weise gesprochen wie vom Tisch des Herrn Serapisoder des Herakles.Obwohl es nur einen Gott gibt (8 : 4), anerkennt der Schreiber doch die An-wesenheit vieler Wesen im Himmel und auf Erden, die Gtter genannt wer-den und tatschlich auch Gtter sind, aber, sagt er so ist doch fr uns einGott, der Vater, von dem alle Dinge sind und wir auf ihn hin, und ein Herr,Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn. (8 : 5 f.). Dasist nicht wirklich monotheistisch formuliert sondern monolatristisch (die Ver-ehrung eines einzigen Gottes trotz Anerkennung mehrerer (vgl. II Kor. 4:4).Der Autor stellt die Vereinigung des Glubigen mit Christus dar im Bilde dersexuellen Vereinigung (6 : 17, vgl. 16). Christus, Gottes Kraft und Gottes

    Weisheit (1 : 24), ist eine alexandrinische Vorstellung, die personifizierte pla-tonische Idee oder der Erstgeborene des Vaters, der bei Philo (de confusionelinguarum 28) der vorbildliche Mensch heit.

    LITERATUR

    W. C. van Manen, Paulus Hl, Leiden 1896. E. Mosiman, Das Zungenreden,Tb. 1911. - Richard Reitzenstein, Historia Monachorum und Historia Lau-siaca, Gtt. 1916, 100 ff., 242 ff.. - E. Lehmann und A. Friedrichsen in Th.St. Kr. 1922, p. 55 ff..

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    [112] 3. Der zwei te B r ie f des Paulu s an d ie K or in ther .

    Obwohl dieser Brief von zwei Autoren, Paulus und Timotheus, stammen soll,

    steht das Subjekt oft im Singular. Eigenartig ist der Wechsel in einem Verswie diesem: Denn wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest oderauch erkennt; ich hoffe aber, dass ihr bis ans Ende erkennen werdet, wie ihrauch uns zum Teil erkannt habt, dass wir euer Ruhm sind, so wie auch ihr derunsrige seid am Tag unseres Herrn Jesus. (1 : 13 f.). Den weiten Kreis derAdressaten und die nicht speziell fr Korinth bestimmte Ermahnung besprachich schon vorher (l : l f.; 9 : 2 ; 11 : 10). Vielerlei Spuren von Hinzufgungund berarbeitung verraten auch hier den kompilatorischen Charakter desSchriftstckes. Offensichtlich hat der Autor verstreute Textstcke zu einemGanzen verarbeitet, um Paulus zu verherrlichen durch Schilderung seinesVerhltnisses zu den Glubigen, um ihn gegen seine Gegner zu verteidigenund gegenseitigen Liebeserweis zu empfehlen dies alles zur Belehrungund Erbauung aller Christen. Hat Paulus, wie es die kirchliche berlieferungbehauptet, die Gemeinde zu Korinth gegrndet, und zwar etwa 5 Jahre bevorer diesen Brief schrieb, so erhebt sich die Frage: wie konnten die Korinther sobald anfangen, Pauli Apostelamt anzuzweifeln? Er hofft, sie bald wieder be-suchen (12 : 14, 20) zu knnen, da ist doch wohl dieses ausfhrliche Schrei-ben berflssig. Aber erinnern wir uns: das gehrt zur Ausstaffierung derPaulusbriefe, wie auch das Wechselspiel von Freundlichkeit und Strenge desTons. Whrend im ersten Teil (1 9) es den Anschein hat, der Apostel unddie Gemeinde htten sich nach problematischen Vorkommnissen vershnt er trstet und ermutigt sie , so steht er in den folgenden vier Kapiteln noch inheftigem Konflikt mit ihr und muss sein Anrecht auf das Apostelamt vertei-digen; seine Gegner nennt er Lgenapostel und Satansdiener (11 : 3, 18ff.;vgl. 7 : 11). In Hinblick darauf hat man vom Vierkapitelbrief (10 13) ge-

    sprochen, der ge-[112]sondert existiert habe und vor den ersten neun Kapitelgeschrieben worden sei. Man geht dabei aus von der uns unhaltbar scheinen-den Voraussetzung, dass uns hier ein persnlicher Austausch von Gedankenvorliegt. Im Genre des Frhchristlichen Briefes kommen solche Unebenhei-ten laufend vor und wir brauchen uns dann auch nicht zu wundern.Wie im ersten Brief sind die Gegner auch hier die Links-Paulinisten. Paulustritt auf als Autoritt, der Mittelpunkt der glubigen Gemeinde, als einer, deraus seinem Leiden Trost gewinnt (l : 3 - 11; 4 : 15); als Mrtyrer leidet erstellvertretend zugunsten der Glubigen und ist Mittler der Heilswerke Christi(1 : 57). Sein Kommen ist ein Gnadenerweis und ber ihn wird gesprochenwie ber eine Erscheinung aus der gttlichen Welt (1 : 15), ja, wie ber einenzweiten Christus. Die Kraft Christi steigt auf ihn herab und mit seinem gan-

    zen Geiste wohnt Christus in ihm.Das Leben aus dem Geiste, der Paulinismus, wird dem Leben aus dem Buch-staben, dem Gesetz des Moses, gegenbergestellt (3 : 12ff.).Von einem da-zwischenliegenden Predigen Jesu oder dessen Lehrlingen, wie man sie alsgrundlegend fr die Entstehung des Christentums zu denken pflegt, ist hiernicht die Rede. Der Herr ist der Geist, und wo der Geist des Herrn ist, istFreiheit, und die spirituellen Glubigen spiegeln sich in der Herrlichkeit desHerren, nachdem die Abdeckung weggenommen wurde, die seinerzeit aufdem Antlitz des Moses die freie Sicht auf die Herrlichkeit sowie auch dieWirkung dieser Herrlichkeit auf die Menschen verhinderte. Dann werden sienach dem Bilde dieser gttlichen Herrlichkeit verwandelt, von der einenHerrlichkeit zur andern (3 : 8). Hier haben wir die aus den Mysterien bekann-te Vergttlichungsmystik. Wie Lucius im Roman Die Metamorphosen des

    Apuleius, nachdem er bei seiner Initiation in die Isismysterien in strahlendem

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    Licht den Sonnengott und die Gtter der oberen und der Unterwelt geschauthat, sogar eine Inkarnation des Sonnengottes wird (XI 23 f.), wie es auch inden hermetischen Schriften gelehrt wird ((das Bild Gottes musst du mit den[114] Augen des Herzens betrachten und dadurch den Weg zur hheren Weltfinden (4 : 11) und wenn das gttliche deinen Geist und deine Seele er-leuchtet, verwandelt es diese zur gttlichen Substanz (10 : 6))), so bezeugtunser Autor, dass Gott, der einst das Licht erschuf, auch in ihm ein Licht auf-gehen lie, die Gnosis, die Herrlichkeit Gottes auf Christi Antlitz (4 : 6).Merkwrdig ist die Vorstellung, dass die Seienden, d.h. die geistigen Wesen,die wahren Christen, sich im Leibe, dieser irdischen Zeltwohnung, beschwertfhlen und seufzen, weil sie nicht entkleidet, sondern neu bekleidet werdenwollen (5 : 4); es geht ihnen nicht darum zu sterben, sondern vom Sterblichenerlst zu werden dadurch, dass sie Anteil bekommen am Leben; in lebendemLeibe wollen sie das himmlische Kleid, das in seinem Wesen Leben ist, an-ziehen, damit das sterbliche Kleid durch das Leben aufgesaugt oder ver-schlungen werde. In Christus ist man ein neues Geschpf. Alles in diesemBrief atmet Christusmystik. Mit Christus gestorben hat man im neuen Leben

    nicht lnger die Verfgung ber sich selbst, sondern man wird beherrschtvom Prinzip der Christusliebe (5 : 14).In Paulus spricht und wirkt Christus(13 : 3); er ist Organ Christi und seine Worte sind Christusworte. Jedoch, oh-ne das Leiden Christi wre dies alles nicht mglich. Wie dieser aus Schwach-heit gekreuzigt wurde und dennoch aus Gottes Kraft lebt, so ist Paulusschwach in Christus; wird aber mit ihm leben zugunsten der Glubigen undzwar aus der Kraft Gottes (13 : 4). Trgt er denn Jesu Sterben in sich, nichtweniger wird Jesu Leben in ihm offenbar (4 : 10). Das Leiden des Pauluskommt den Glubigen zu Gute (6 : 4ff.); Christus lebt in ihnen und sie sindmit dem Herrn mystisch verbunden (13 : 5) Daher, wenn jemand in Christusist, so ist er eine neue Schpfung (5 : 17). Das Sichtbare ist zeitlich, das Un-sichtbare ewig (4 : 18). Das hat auch Plato gelehrt, der allein das Geistige als

    das Reale sah: Gott ist, die Welt wird und vergeht (Phaedo 100f.)

    LITERATUR

    W. C. van Manen, Paulus, Leiden 1896. - H. Windisch, Der zweite Korin-therbrief, Gtt. 1924; id., Paulus und Christus, Leipzig, 1934.

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    [115]4. Der Br ief des Paulu s an d ie Galater .

    Auch hier finden wir die schon bekannte Eigenart des Paulusbriefes, da Pau-

    lus sowohl als alleiniger Autor als auch mit einem Stab von Brdern schreibt(l : 2, 8 f.). In der Absicht, den Inhalt dieses Briefes mit den Berichten berdie Paulusreisen in Apg. in bereinstimmung zu bringen, hat man angenom-men, das Galatien der Adressierung sei die rmische Provinz dieses Namens,welche ein viel greres Gebiet umfasste als Galatien im engeren Sinne, sodass Paulus sich in diesem Schreiben an Gemeinden in Lystra, Derbe usw.gerichtet htte. Zu Recht hat Schrer diese Hypothese als eine wunderlicheVerirrung der Kritik bezeichnet und die Galater des Briefes im eigentlichenGalatien, der zentralen Hochebene Kleinasiens, dem alten Keltenland, demGebiet des Flusses Halys, gesucht. Nirgends gibt es nmlich einen Hinweis,da die Bewohner Pisidiens und Lykaoniens je Galater genannt wurden. Wiesollte ein Brief mit dieser Adressierung ausgerechnet die eigentlichen Galaterausschlieen wollen? Dann aber erhebt sich das groe Problem, dass Paulus,der Grnder der Galatischen Gemeinden sein soll (1 : 69), Apg. zufolgeniemals in diesem Bergland war. Ferner wundert uns die Vorstellung, dassdiese Leute mit der paulinischen Predigt etwas anfangen konnten und alsGemeinden als sehr hochstehend bezeichnet wurden (3 : 15), ja, auch nur,dass sie diesen Brief berhaupt htten verstehen knnen, was man von einemunzivilisierten Bergvolk nicht erwarten kann. Loman verglich diesen Brief andiese Leser dann auch mit Hegel fr Atchinesen. Angenommen aber, siewren vor kurzer Zeit im Stande gewesen, das tiefsinnige paulinische Evan-gelium zu verstehen und zu akzeptieren, wie knnen sie denn nun pltzlichabfallen und wie knnen diese spirituelle Christen nicht ein einzelner son-dern alle jemandem oder einigen, die fr die Beschneidung eintreten (l: 6 f.; 3 : 1; 4 :8-11; 6 : 12 f.) zur Beute werden? Wie knnen sie in dieser

    Weise Pauli ganze Sendungsarbeit an ihnen vereiteln? Solange er bei ihnenwar, ging alles gut (4 : 18), aber kaum ist er fort, so wollen all diese ber-zeugt paulinischen Christen in all diesen [116] Galatischen Gemeinden sichpltzlich beschneiden lassen. Im Widerspruch zum uns von anderer Stelle be-kannten duldsamen Geist, der Paulus allen alles werden lsst, um alle fr dasEvangelium zu gewinnen (I Kor. 9 : 19), enthlt dieser Brief eine Menge hef-tiger Worte. Gleich zu Anfang eine Verfluchung, und das dann noch mitWiederholung (1 : 9); die Anrede unverstndige Galater (3 : l, 3); die Wor-te: ... Christus euch nichts ntzen wird, wenn ihr euch beschneiden lasst. (5: 2); Ihr seid von Christus abgetrennt, die ihr im Gesetz gerechtfertigt wer-den wollt; ihr seid aus der Gnade gefallen (5 : 4). Am allerschrfsten klingtwohl: Meinetwegen knnen sie, die euch beunruhigen, sich auch verschnei-

    den lassen (5 : 12), (verschneiden = kastrieren; Calvin fand das zu krass undbersetzte untergehen). Alles, was ber diesen Abfall gesagt wird, ist nungenau so vage, dass es fr viele Orte gelten knnte. Wo dann mal auf einenkonkreten Umstand angespielt wird, wird die Situation nicht deutlicher.Paulus hatte nicht in Galatien bleiben wollen, Krankheit zwang ihn dazu:wegen [nicht trotz] Krankheit habe ich euch gepredigt (4 : 13). Es be-darf doch gewiss einer auergewhnlichen Kraftanstrengung nach Krperund Geist, um ein fremdes Volk zu christianisieren, in einem weiten Landmit vielen Stdten ohne festes Zentrum. Ist das nur so zufllig und dannnoch wegen Krankheit mglich? Man hat danach geraten, welcheKrankheit dies war und an Epilepsie, Malaria, Lepra gedacht; auch an eineAugenkrankheit als Folge der Steinigung in Lystra (Apg. 14 : 19). Krank-heit oder Schwche sind aber die blichen Erscheinungen, die den Gaben

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    des Gottesmannes begleiten, auf dass er sich nicht berhebe (vgl. II Kor.12 : 7 ff.)Wo der Autor die Anteilnahme der Galater an Pauls Leiden beschreiben will,bertreibt er gewaltig: wie einen Engel Gottes, wie Christus Jesus selbst ha-ben sie ihn aufgenommen (4 : 14). Wie kamen diese heidnisch denkendenund empfindenden Menschen auf dieses nun doch nicht so auf der Hand lie-gende Bild? Wo es dann heit, sie htten sich die Augen ausgegraben undihm geschenkt, falls dies mglich gewesen wre (nur ntig ergbe hierSinn), [117] scheint doch zu einem kleinen Kreis intimer Freunde gesprochenzu werden. Man mge sich aber daran erinnern, dass Paulus dies an die Ge-meinden von Galatien schreibt! Ein deutlicher Beweis fr das knstlich er-stellte Ganze. Die Bekehrung Galatiens wird als ein Wunder Gottes und derApostel als ein bernatrliches Wesen dargestellt.Der historische Teil des Briefes (1:6-2:21) umfasst eine Verteidigung derSelbstndigkeit des Paulus, das Ganze aber ist ein heftiges Pldoyer frdie Lehre der Rechtfertigung aus dem Glauben statt aus Gesetzeswerken.Aber jedes Mal wird von den schrfsten uerungen etwas zurckge-

    nommen. Wenn Paulus 17 Jahre nach seiner Bekehrung nach Jerusalemgeht, dann geschieht dies durch Fhrung von oben (2 : 2), jedoch ebensoaus Furcht vor den Bedenken einiger (2 : 110). Gegen die dortigen Apo-stel wird er in Bitternis ausfllig; er hlt sich selbst fr berlegen und willkeine Gemeinschaft (2 : 6). Dennoch legt er ihnen sein Evangelium zurBeurteilung vor und sie zwingen ihn zu nichts, reichen ihm sogar dieFreundeshand (2 : 9). Als Paulus durch eine Offenbarung Christi bekehrtwurde, bat er keinen von denen, die vor ihm Christen waren, um Rat (1 :17). Allard Pierson machte auf das Unwahrscheinliche dieser Mitteilungmittels folgender Parallele aufmerksam: ein jngerer Zeitgenosse Platos,geboren in Sditalien, der als fanatischer Sophist sich ber den Tod desSokrates gefreut hat, einige Jahre spter aber zu andern Ansichten kommt,

    sieht nunmehr ein, dass zu denken, fhlen, lernen, leben, sich ganz und garmit Sokrates zu identifizieren das einzig Notwendige ist. Was macht erjetzt? Schnell nach Athen reisen, wo Plato und Alkibiades noch leben, dieSokrates gesehen, ihm zugehrt und ihn gekannt haben? Nichts davon. Erreist nach gypten, hlt sich dort drei Jahre auf, schreibt und spricht vonda an sein Leben lang ber Sokrates und wird von einer leichtglubigenWelt als glaubwrdigster Zeuge ber diesen Weisen angesehen, als ver-trauenswrdigster Interpret von dessen Lehre und Absichten!Das Werk eines leidenschaftlichen Paulinisten im Geiste Markions wurde indiesem Schreiben von einem besonnen katholisierenden Paulinisten gem-[118]igt. Diese doppelte Herkunft zeigt sich in dem doppelten Namen desFelsenmannes, der abwechselnd Kephas und Petrus heit; wie auch von derjdischen Hauptstadt, die Hierousalem und Hierosolyma genannt wird.Abrahams Nachkommenschaft an der einen Stelle (3 : 7, 29) als Bezeich-nung fr die Glubigen benutzt, an der andern fr Christus (3 : 16). Es gibtnur ein Evangelium, das paulinische so der ursprngliche, unvershnlicheAutor (1 : 6) , es gibt ein zwiefaches Evangelium, denn auch das mehr j-disch gefrbte wird anerkannt, so der katholische Redaktor, der jedem gibt,was er will. Neben dem scharfen Agitieren gegen die Beschneidung stehtGleichgltigkeit dieser Praxis gegenber (5 : 6; 6 : 15). Obwohl den Galaternunmittelbar das paulinische Evangelium gelehrt wurde, wird vorausgesetzt,dass sie das A.T. und namentlich das Gesetz grndlich kennen.Gnosis (Markion) und werdende Grokirche (Justin) sind die zwei Faktoren,die wir jeweils beim Entstehen der kanonischen Pauluskollektion vorausset-zen drfen. Van Manen hat versucht, den krzeren Brief, wie Markion ihn

    besa, zu rekonstruieren und er zeigte, dass die Annahme, dieser sei der ur-

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    sprnglichere, begrndet ist. Tertullian bezeichnet Markion gegenber Paulusals deinen Apostel. Nicht Tradition oder Schrift, sondern Offenbarung stehtim ursprnglichen Paulinismus an erster Stelle (1 : 16). Christen sind spiritu-elle Menschen, Jdisches ist fleischlich; wie Gott im Gegensatz steht zurWelt, so auch zum Gesetz, das nicht im Stande ist, die Menschen zu erhaltenund sie sogar unter einen Fluch bringt (3 : 3, 10). Der Geist, die Freiheit, dasEvangelium ersetzen es. Mystische Frmmigkeit spricht aus den Worten:und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir (2 : 20). Das Gesetzwurde von Engeln erlassen (3 : 19), den Abraham gegebenen Verheiungenhinzugefgt, und zwar der bertretungen wegen; was man zu erklren ver-sucht hat als zur Eindmmung der bertretungen; Augustin und Calvin je-doch hrten da heraus um die Zahl der bertretungen zu mehren. Nur imLicht des Rmerbriefes (4 : 15; 5 : 13, 20; 7 :11 ff.) findet man Klarheit. brigens werden zahlreiche, in sich selbst unver-stnd-[119]liche, Stellen in diesem Brief erhellt durch Dinge, an die wir unsaus den vorher besprochenen erinnern. Heit es: Christus hat uns losgekauftvon dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch fr uns geworden ist (3 :

    13), dann fragen wir wohl: wieso ist das Gesetz ein Fluch? und Rm. 12 gibtdie Antwort. Man muss den ganzen dort entwickelten Ideenkomplex kennen,um diese rtselhafte Aussage zu begreifen. So muss man Rm. 4 gelesen ha-ben, um den unvorbereiteten Satz zu verstehen: wie Abraham Gott glaubteund es ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wurde. (3 : 6). ihr alle, die ihr aufChristus getauft worden seid, ihr habt Christus angezogen (3 : 27) ist eineKombination aus Rm. 6 : 3 und 13 : 4. Man denkt dabei an die Mysterien,wo das Anziehen des Kleides Gottes vergttlicht. Werden diejenigen, dieChristus gehren, Samen Abrahams genannt, gem Verheiung Erben (3 :29), dann mssen wir uns daran erinnern, wie Rm. 9 : 6 ff. Nachkommen-schaft dem Fleische und der Verheiung nach unterscheidet. Die Unmglich-keit, ein Mann komme auf die Vorstellung, aufs Neue in Geburtswehen zu

    sein mit Kindern, die er auerdem schon einmal zur Welt gebracht hat (4 :19), wird erst verstndlich, wenn man sich an I Kor. 4 : 14f. erinnert, wo Pau-lus als Vater der Gemeinde auftritt, der ihr das geistige Leben geschenkt hat.Der Imitator dieser Bildsprache machte Ungereimtes daraus. Der Autor be-hauptet, zuvor bereits gesagt zu haben, dass Leute, die sich allerlei Sndenschuldig machen, keine Erben des Reiches Gottes sein werden (5 : 21). DieseAussage finden wir aber nicht weiter vorne in unserm Brief, wohl aber in IKor. 6 : 9f.Der Inhalt dieses Schreibens kann als kurze Zusammenfassung der These, dieder Autor des Rmerbriefes entwickelt hat, aufgefasst werden. Das widerlegtdann bereits das Empfinden der Tbinger Schule, als sei dieser Brief alsschrfste und unvershnlichste uerung von Paulus anti-gesetzlichem Gei-ste sein erster gewesen, wonach er dann in 1 & II Kor. und in Rm. in ruhige-

    rem Ton geschrieben habe. Bruno Bauer, Steck, Van Manen kamen zurckauf die alte, berlieferte Reihenfolge dieser Briefe. [120] Derjenige, der sie inihre heutige Form brachte, hat sie anscheinend zu Stcken eines einzigen Bu-ches zusammengefgt.Erst nach dem Fall Jerusalems im Jahr 70, als die Priesterschaft verstreutwar, konnte die Erzhlung entstehen, Christus sei bereits vor einer gewis-sen Zeit erschienen und habe eine neue Gemeinde gegrndet. Das Chri-stentum als Weltreligion mit Autoritt beansprucht, legaler Erbe der jdi-schen Hierarchie zu sein. Jerusalem erscheint in diesem Brief bereits inder Dienerrolle (4 : 25), das Judentum als geschlossenes Ganzes und in to-talem Gegensatz zum Christentum.Parallel zu dieser Erscheinung in den Gemeinden der Mysterienreligionen

    sehen wir, wie die Unterschiede in Herkunft, sozialem Stand und Ge-

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    schlecht wegfallen. Diejenigen, die sich dem Erlser anvertrauen, sindeins (3 : 28; vgl. Rm. 10)

    LITERATUR

    Allard Pierson, de Bergrede e.a. Synoptische fragmenten, Amst. 1878: 98-112 - Loman's Nalatenschap I, Gron. 1899. - Rudolf Steck, Der Galaterbrief,Berl. 1888. - Mein: Pro domo in N.T.T. 1923, p. 186ff.. - Heinrich Schlier,Der Galater-Brief, Gtt. 1941. - W. C. van Manen in T.T. 1887, p. 382 ff.;451 ff..

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    [121]5. Der Br ie f des Paulus an d ie Epheser .

    Er gehrt zur gleichen Kollektion wie die der von den Tbingern einseitig

    vorgezogenen Hauptbriefen. Neben Verwandtschaft von Denkmustern, Form,Inhalt, Sprache und Stil findet man auch Abweichungen und Unterschiede.Das ist aber bei den Hauptbriefen unter einander auch so. Es ist undenkbar,dass Paulus zwischen 55 und 59 vier Briefe schrieb, und dass dann etwa 80Jahre spter davon eine Nachahmung erscheint, die im Geist und in derHauptsache, in Sprache und Stil so viel bereinstimmung aufweist. Ander-seits ist der Unterschied wiederum so gro, dass wir diesen Brief nicht dem-selben Autor, wie z.B. dem des Rmerbriefes, zuschreiben knnten. Die L-sung des Problems bietet die weiter oben verfochtene Betrachtung der Briefeals Erzeugnisse verschiedener Autoren aus einem und demselben Kreis. Pau-lus empfanden wir als Sammelname wie im A.T. Moses, David und Salomo.Die Unterschiede ergeben sich zum Teil aus dem hier zur Sprache kommen-den Thema, zum Teil daraus, dass hier ein anderer Schreiber das Wort hat. Er

    behandelt hier die Kirche; I Kor. aber hat das Wort Kirche 22 mal, whrendes in Rm. 115 berhaupt nicht vorkommt und Rm. 16 es 5 mal hat. Nie-mand wird aufgrund dessen behaupten wollen, I Kor. msse Jahrzehnte nachRm. geschrieben worden sein. Die Vorstellung der Kirche als Einheit vielerKirchengemeinden, als Leib Christi, finden wir auch in den Hauptbriefen(Rm. 12 : 5 ; l Kor. 10 :16 f.; 12 : 12 ff.). Auch da standen mehrere Themenim Vordergrund: Rm. 18 die Rechtfertigung; I Kor. 1214 die geistigenGaben; Gal. die Beschneidung. Wie Johannes in Offenbarung (2 f.) hat auchPaulus an 7 Gemeinden geschrieben. Diese Zahl bezeichnet Vollkommenheit,Perfekt-Sein. Und wie die Briefe in der Offenbarung des Joh., wie wir sptersehen werden, eigentlich ein einziges Ganzes sind, welches an die ganzeChristenheit gerichtet ist, sind die paulinischen das auch. Unser Brief zeigt

    das im berma, wo er alle [121] Gemeinden in ihrer Sonderexistenz auflstin die Gemeinde bzw. Kirche. Ein feierlicher, kirchlich-liturgischer Tonklingt uns aus diesem Brief entgegen (5 : 14). Beim Lesen bekommt man denEindruck, dass hier nicht die Rede ist von einem apokalyptischen Gottesreich,sondern davon, dass die Kirche auf Erden lange fortbestehen wird (3 : 20).Wegen ihrer Auserwhlung zu Heiligkeit und Untadeligkeit waren die wah-ren Christen bereits im Himmel gesegnet im prexistenten Christus (1 : 3)und zur Sohnschaft vorbestimmt (1 : 5). Die wahren Christen entpuppen sichals Paulus und die seinigen, die Apostel, der Klerus, die ideelle Gemeinde.Daneben werden die Propheten erwhnt (2 :20) Propheten des A.T., dennin Markions Text sind sie nicht da , als Grundlagen der Kirche nehmen sieneben den Aposteln den zweiten Platz ein. Die wahren Christen besitzen dieErlsung, die in der Offenbarung des Geheimnisses besteht (1 : 710). Siehaben das Erbe bekommen; die anderen bekommen den Geist als Pfand, alserste Rate des Erbes (1 : 11). Wo es heit: die wir vorher schon auf denChristus gehofft haben" (1 : 12) frher nmlich als die Leser , spricht ausdiesen Amtstrgern die Kirche, die unabhngig von ihren Mitgliedern exi-stiert, der Klerus, der auch als das wahre Israel bezeichnet werden darf. DieKirche ist eine neue Schpfung Gottes, in welcher die himmlischen Krftebereits am Werke sind. Die Ungetauften hingegen sind Eigentum das Frstendieser Welt, des Demiurgen. Die Erlsung, die in Gottes Eigentum berfhrt,findet statt in der Taufe (l : 14; 4 : 30). Trotzdem geht der Kampf weiter, solange das irdische Leben andauert; der Kampf gegen Gewalten, Mchte,Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die geistigen Mchte der Bosheit inder Himmelswelt, d.h. in den niederen himmlischen Sphren (6 : 12). Bereits

    zur Sprache kam der himmlische Mensch, der nach seinem Fall und Zerstreu-

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    ung in der Welt zu sich zurckfindet und identisch ist mit der Gesamtzahl derErlsten in der gnostischen Vorstellungswelt. Nach vollbrachter Erlsungwird dann der individuelle gefallene Mensch mit seinem besseren Ich imHimmel vereinigt. In unserm Brief nun wird das Verhltnis von Christus undKirche als ein solches von Haupt und Leib gedacht (l : 22 f.; 2 : 15 f.; [123] 3: 6; 4 : 3 f., 12, 15, 25; 5 : 23, 29 f.). Christus ist Haupt des Leibes, aber auchHaupt und Leib zugleich, allumfassend, insofern die Kirche betrachtet wirdals Erfllung, Vervollkommnung dessen, der alles in allen erfllt (1 : 23), desvollkommenen Mannes (4 : 13). Durch die Kirche ist Christus auf Erden kr-perlich gegenwrtig; durch Christus, ihr Haupt im Himmel, ist sie selbst be-reits in den Himmel berfhrt worden. Der irdische Erlser ist eins mit demhimmlischen Menschen, der sich in der Lichtwelt aufhlt, aber auch mit derTotalitt der Glubigen, die er hinauffhrt zum vollkommenen Menschen,welcher er selber ist. Fr die Erlsung haben hier Hinabstieg und Himmel-fahrt grere Bedeutung als die Kreuzigung Der in den Himmel fahrende Er-lser besiegt unterwegs im Reich der Mitte bzw. der Luft und der niederenHerrscher diese Mchte (4 : 8f.) und durchbricht die Mauer, die die Welt vom

    Gttlichen scheidet (2 : 14ff.). Die Valentinianer kennen Horos, die Grenze,der das Kreuz als Zeichen hat. Christus schleift auch die Trennungsmauerzwischen Heiden und Bundesvolk, indem er durch seinen Tod im FleischeGesetz, Gebote und Institutionen auer Kraft setzt.(2 : 15; vgl. R. 3 : 21; 10 : 4). In seinem einen Leibe erschafft er nun aus zweiTeilen, Juden und Heiden, den einen neuen Menschen. Als dieser Leib Christihat die Kirche ihr Lebensprinzip allein in ihm als Haupt, wchst auf ihn zuund festigt sich (4 : 15f.). Der himmlische Mensch baut seinen Leib auf zumhimmlischen Gebude seiner Kirche (2 : 19ff.), in der die Weisheit Gottes of-fenbar wird (3 : 10f.). Der Heiland liebt seine Kirche, hegt, reinigt und erhltsie; sie ist seine Frau, er ihr Mann; in Gehorsam und Liebe sind sie verbun-den, so zu sagen zu einer gnostischen Syzugie oder onenehepaar. Hinter

    dieser Vorstellung steht nmlich der gnostische Mythos der heiligen Ehe; Va-lentin nennt Christus sowohl Brutigam als auch Erhalter der Weisheit. Wobei unserem Autor Christus Haupt der Kirche, das den Leib erhlt, genanntwird, wird er offensichtlich als der Geist gedacht, der ja dem Leib bzw. demFleisch gegenber genau diese Aufgabe [124] hat (5 : 23). Somit ergibt sichganz klar: Christi Fleischwerdung ist Kirchewerdung; Christus ist der Geist,die Kirche das Fleisch, wenn auch durch den Geist geheiligtes Fleisch.Im Gegensatz zur hretischen, Uneinigkeit gebrenden, Gnosis lehrt dieserBrief die Einheit der auf apostolischem Fundament erbauten Kirche. Seinewahre Form hat Christus nicht im Christus der Gnosis, sondern in Jesus (4 :20). Die Gnosis lehrt, dass der Erlser, der himmlische Mensch, den Leib, dasFleisch annimmt, nicht seinen Leib und sein Fleisch, so dass das Wo undWann der Menschwerdung unerheblich sind; die Kirche dagegen, dass diese

    zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stattfindet. Wh-rend die Gnostik die Menschwerdung als kosmologisches Geschehen auf-fasst, sieht die Kirche sie eher anthropologisch.Markion las diesen Brief in einer krzeren Version und als an die Laodicenergerichtet. brigens stehen ursprnglich die Worte zu Ephesus auch nichtin unserm kanonischen Text (1 : 1). Weshalb wren sie in alten Manuskrip-ten weggefallen? Leichter zu verstehen ist, weshalb sie eingefgt wurden,nmlich um den vorgeblichen Bestimmungsort anzugeben zu einer Zeit, daman in dergleichen Literatur persnliche Korrespondenz des Apostels Pauluszu sehen begann. Der Brief enthlt brigens nichts Persnliches und lsst kei-nerlei Anlass zu seiner Abfassung erkennen. Tertullian sagt dazu: DemMarkion jedoch war es sehr wichtig, diese Neuerung (die Adressierung an

    die Laodicener) einzufgen, um den Eindruck zu erwecken, er nehme es mit

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    dem Nachforschen eines solchen Details uerst genau. Aber was fr eineBedeutung haben die Adressierungen denn schon, da der Apostel, wo er doch,indem er an irgendeine Kirchengemeinde schrieb, in Wahrheit sich an allerichtete? (Ad Marcionem V 17). Hieraus spricht deutlich die Einsicht, dassder Apostel sich an die gesamte Christenheit richtet und nicht an den einenoder andern speziellen Kreis. Tertullian hat offensichtlich in den Briefennichts von all dem als wichtig angesehen, womit die neuere Kritik ins Feldzieht: das Partikulare, rtliche, Persnliche, das besondere Verhltnis vonAutor und Lesern. Der Autor zeigt wieder seine Abhngigkeit von frherenSchreiben. Wo die dem Paulus geschenkte Gna-[125]de erwhnt wird, dass erdurch Offenbarung Kenntnis vom Mysterium bekam, lesen wir: wie ich esoben kurz geschrieben habe (3 : 3). Im vorausgehenden Teil des Briefeswird man diese Stelle aber vergeblich suchen; Gal. 1 : 1216 aber gibt unsklare Auskunft. Es ist wie ein kurzer Kommentar, der lehren will, wie desPaulus Auffassung vom Christusmysterium verstanden werden muss.Der Inhalt der ersten drei Kapitel ist theoretischer, der der letzten drei prakti-scher Natur. Hier finden wir den Weckruf, der die in der Nacht der Snde

    schlafende Seele aufwecken soll (5 : 14) ein aus der Gnostik wohlbekanntesBild. Gegen die gottfeindlichen Mchte muss der Mensch geschtzt werdenmit der Waffenrstung Gottes. Das Bild des Kriegsdienstes Christi hat seineParallele im Isiskult (Apuleius XI15).Paulus mag erklren, er sei der geringste aller Heiligen bzw. Glubigen (3 :8), in ihm erkennen wir ... die kirchliche Autoritt, die sich spter aus demMunde von Papst Gregor dem Groen und dies nicht nur aus Bescheiden-heit Diener der Diener Gottes nennen sollte.

    LITERATUR

    Edgar J. Goodspeed, New Solutions of N.T. Problems, Chicago 1927; - id., in

    A. Th. R. 1930; 189 sqq. - id., The meaning of Ephesians, Chicago 1933 - H.Schlier, Christus und die Kirche im Epheserbrief, Tub. 1930 - Clayton R.Bowen in A.Th.R. 1933, IV, 279sqq.. - Henri Delafosse, Les crits de SaintPaul in, Par. 1927: . rzs suif..

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    [126] 6. Der B r ie f des Paulu s an d ie Phi l ip per .

    Obwohl die Autoren dieses Briefes Paulus und Timotheus heien (1:1; vgl. II

    Kor. l : 1), schreibt Paulus im Folgenden allein und berichtet von seiner Ab-sicht, seinen Koautor nach Philippi zu schicken (2 : 19, 23). Er selber trittabwechselnd als Gefangener und als freier Mann auf (l : 7, 13 f., 17 gegen-ber 2 : 25; 4 : 10 ff.). Als Adressaten treten auf: allen Heiligen in ChristusJesus, die in Philippi sind, samt den Aufsehern und Dienern. Jedoch keinsvon den Details, die uns in Apg. (16 : 1240) ber Paulus Grndung diesermakedonischen Gemeinde mitgeteilt werden, wird erwhnt, nicht einmal dieGrndung selbst. So bleibt der historische Hintergrund dieses Schreibens imDunkeln; ber Timotheus, Epaphroditus, die Umgebung des Paulus und dieLeser wird wirr und verwirrend gesprochen. Die Fesseln des Paulus habengroe Bedeutung fr das Christentum, indem sie andere zum Durchhalten beiihrer Sendungsaufgabe ermuntern (l : 1214). Obwohl er gerne aus diesem

    Leben aufbrechen wrde, zieht er es doch vor im Fleische zu bleiben, da diesum der Angesprochenen willen ntig ist (1 : 23ff.). An seinem Leib wirdChristus gro gemacht werden, sei es durch Leben oder durch Tod (1 : 20).Des Paulus Kommen und Gehen sind wichtige Ereignisse fr das Leben derChristen (l : 30; 2 : 17); er ist ein Vorbild zur Nachfolge; sein Leiden undSterben sind ein Opfer zugunsten der Glubigen (2 : 17), ein heilbringenderTod nach Art desjenigen Christi. Er nennt sich eingeweiht in jedes und alles(4 : 12) und meint damit, dass er gegen alle Umstnde des Lebens gewappnetist, so wie auch die Eingeweihten in die Mysterien hhere Kraft empfangen.Man bekommt den Eindruck, die Leser seien hervorragende paulinische Chri-sten, die vom ersten Tage an bis heute sich in bereinstimmung mit PaulusEvangelium befinden (l : 3-8, 29); sie waren stets gehorsam (2 : 12); deshalbwerden sie seine Freude und seine Krone genannt (4 : 1). Demgegenber ste-hen je-[127]doch Aussagen, in denen gegen falsche Elemente heftig losgelegtwird; sie werden als Hunde, bse Arbeiter, Zerschneidung bezeichnet (3 :2); viele heien Feinde des Kreuzes Christi, deren Ende Verderben, derenGott der Bauch und deren Ehre in ihrer Schande ist, die auf das Irdische sin-nen (3 : 18 f.). So stehen die Philipper nach der blichen Weise in den Pau-lusbriefen wieder fr alle Christen. Beim Lesen fllt uns immer wieder Be-kanntes aus den Hauptbriefen auf, denen der Autor anscheinend einen mehrins Praktische gehenden Brief hat hinzufgen wollen. Er pldiert fr Einigkeitunter den Glubigen (l : 27 ; 2 : l ff. ; 4 : 2 ff., 8 ff.). Nirgends wird so oft zurFreude ermuntert wie in diesem Brief. (2: 18; 3: 1; 4: 4; vgl. II Kor. 13: 11).In einem rhythmischen Hymnus (2 : 611) beschreibt der Autor ChristiSelbsterniedrigung in einer Art und Weise, die erinnert an die gnostische

    Vorstellung der himmlischen Weisheit (Sophia), vom Allerhchsten stam-mend, Ihm jedoch nicht gleich, welche dann aber auf Gottes Gre erpichtversucht hat, ihrer habhaft zu werden. Wie anders handelte Christus! Er warin Gottesgestalt (theos ohne Artikel bedeutet abgeleitete Gttlichkeit, mit Ar-tikel Gott Vater, vgl. Vers 9 und Joh. 1 : 1). Als gttliches Wesen war er be-rechtigt, in gttlicher Gestalt zu sein. Er wollte diese aber nicht als Geschenkdes Schicksals oder als Privileg annehmen; durch Selbsterniedrigung wollteer sich ihrer wrdig machen. Er entuerte sich selbst, ekenosen; das Worterinnert uns an das kenoma der Gnostik, den Gegensatz zum Pleroma, derVollheit der Gottheit, der onen oder ewigen Ideen. Dafr bekommt er dannals Belohnung vom Vater mehr als nur die Gleichheit mit einem gttlichenWesen: er wird in ganz besonderem Mae erhoben, nicht nur ber diemenschliche Gestalt, zu der er sich freiwillig erniedrigt hatte, sondern auch

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    ber seinen ursprnglichen gttlichen Status hinaus, ber alle andern Gtter(vgl. I Kor. 8 : 5). War er whrend seines himmlischen Prexistenz ein gttli-ches Wesen neben vielen andern, so ist er durch die sittliche Tat seinerMenschwerdung zum allen und alles ber-[128]steigenden Herrn gewor-den. Als gttliches Wesen war er nicht im Machtbereich der Naturmchte,denen die Menschen unterworfen sind (Gal. 4 : 3); durch seinen Herabstiegmachte er sich ihnen freiwillig zum Sklaven, um so den Frsten der Welt unddessen Handlangern in die Irre zu fhren (vgl. I Kor. 2 : 68). Anders gesagt,er hat sein Schicksal zur eigenen Tat gemacht, sein Erbe zu selbst Erworbe-nem, um es so erst recht zu besitzen. Couchoud denkt, der Name Jesus sei derEhrenname, den er nach seiner Kreuzigung verliehen bekommt und hlt diesdann berechtigterweise fr fatal in Hinblick auf die Historizitt Jesu. Ich haltees aber fr wahrscheinlicher, dass hier (2 : 9f.) der mystische Name hjh, derGottesname aus Ex. 3 : 14 gemeint ist, der in der griechischen bersetzungder Siebzig mit der Seiende wiedergegeben wird.

    LITERATUR

    Ernst Lohmeyer, Der Brief an die Philipper Gtt. 1928; - id., Kyrios Jesus,Heidelb. 1928. - Mein Artikel in N.T.T. 1928, p.250 ff.. - P. L. Couchoud inHibbert Journal, Jan. 1939: 193 sqq..

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    [129] 7. Der Br ie f des Paulus Br ie f an d ie Kolo sser

    Man hat den Kolosser- und den Epheserbrief ein Brderpaar genannt im Hin-

    blick auf ihre groe bereinstimmung nicht nur in bezug auf den gedankli-chen Inhalt sondern auch auf den Wortgebrauch. Von den 1600 Wrtern un-seres Briefes sind 400 identisch mit denen in Eph., und manchmal ist sogardie Reihenfolge in Serien von 10 exakt die gleiche. Die Abhngigkeit scheintbei unserm Autor zu sein. Wo er vom Mysterium spricht, dass den onen undGeschlechtern verborgen blieb, nunmehr jedoch Gottes Heiligen offenbartwurde, denen Er bekannt machen wollte, was Reichtum und Herrlichkeit die-ses Mysteriums unter den Heiden seien (1 : 26f.), kommt unwillkrlich dieFrage auf: wer sind diese Heiligen? Es knnten die Glubigen im allgemeinensein, aber so ist es anscheinend nicht gemeint, denn die Einschrnkung de-nen Gott bekannt geben wollte, was obengenannter Reichtum sei, zielt aufeine Elite, die durch Offenbarung bekommt, was die groe Menge durch Pre-digt empfngt. Schauen wir uns nun Eph. 3 : 5 an, dann sehen wir, dass dieHeiligen als Apostel und Propheten umschrieben werden. Erst dadurchwird unser Text klar. Ebenso braucht das allzu abrupte die ihr einst entfrem-det wart (1 : 21) Klrung aus dem eindeutigen entfremdet dem Leben Got-tes (Eph. 4 : 18).Weiter oben sahen wir bereits, dass Markion den Brief an die Epheser alsBrief an die Laodicener kannte. Tertullian hat dem Hretiker wegen diesernderung einen Vorwurf gemacht. Unser Autor aber gibt Anlass, die Ansichtdes Markion in Betracht zu ziehen (2 : 1; 4 : 16).Dieser erbauliche dogmatische Aufsatz soll in Gemeindeversammlungen vor-gelesen werden (4 : 16). Die hier bekmpften Irrlehren sind als die extremeLinke des Paulinismus zu identifizieren, eine Richtung, die man in katholischwerdenden Kreisen als hretisch zu empfinden [130] begann. Unter anderem

    protestiert der Autor gegen Engelenverehrung: Um den Kampfpreis (nl. dasHeil) soll euch niemand bringen, der seinen eigenen Willen tut in scheinbarerDemut und Anbetung der Engel, der auf das eingeht, was er in Visionen ge-sehen hat, grundlos aufgeblasen von der Gesinnung seines Fleisches (2 : 18,vgl. Offenb. 22 : 8f.). Das in diesem Kontext schwer verstndliche WortDemut erklrt Theodoret so: die Hretiker sagten, der Gott des Kosmos seiunerreichbar und unbegreiflich, deshalb msse man versuchen, durch Ver-mittlung der Engel die gttliche Gnade zu erwerben. Eine Art Frbitte alsoder Engel bei der Gottheit. Mir scheint wahrscheinlicher, dass die Demut hiereine kultische Bedeutung hat (an anderer Stelle wird das Wort fr fastenverwendet (vgl. Herder, Ges Schr. 10, 6; Gel. V 3, 7). Es handelt sich um dieVerehrung von Gewalten und Mchten, die von Christus entwaffnet und f-

    fentlich angeprangert wurden bei seinem Siegeszug am Kreuz (2 : 15); dieserSatz wird aus dem Kontext erst klar, wenn man Eph. 2 : 16 nachgeschlagenhat. Diese Weltelemente schreiben asketische Bestimmungen vor: Berhrenicht, koste nicht, betaste nicht! (2 : 21). Der Autor bezeichnet das alsselbstgemachten Gottesdienst, als eine eigenwillige, von der Grokirche ge-trennte, Gottesverehrung; und in solcher Demut und Hrte gegen den Leibohne jede Wertschtzung desselben, wodurch das Fleisch gesttigt werdenknnte, sieht er nichts als Pseudoweisheit (2 : 23).Christus muss als Objekt der Verehrung an die Stelle der Weltelementen bzw.-faktoren treten: Seht zu, dass niemand euch einfange durch die Philosophieund leeren Betrug nach der berlieferung der Menschen, nach den Elementender Welt und nicht Christus gem! (2 : 8). Dies ist die einzige Stelle im NT,wo das Wort Philosophie vorkommt und es hat hier einen negativen Klang.

    Christus als Bild des unsichtbaren Gottes und Erstgeborener aller Schpfung

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    (1 : 15) erinnert an den Logos bei Philo, der den an sich verborgenen Gott of-fenbart, als Mittler zwischen diesem und der Welt auftritt und Erstgeboreneroder ltester Sohn heit. [131] Christus als Grund und Begrndung der Welt(1 : 16) gehrt der gleichen philonischen Gedankenwelt an.Heit es nun in unserm Brief, dass die Gliedmaen, die auf der Erde sind, ge-ttet werden mssen, so macht die nhere Bestimmung dieser dsteren Wortesie noch undurchsichtiger: Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, bse Begierdeund Habsucht (3 : 5f.), Zorn, Wut, Bosheit, Lsterung, schndliches Redenund Lge (3 : 8). Klrung kommt aus den Hermetischen Schriften, wo dieGlieder des Zeltes, d.h. der krperlichen Hlle, gettet werden mssen; diezwlf Dmonen, die im Menschen wohnen und als Gliedmaen seines irdi-schen Wesens angesehen werden, mssen ausgetrieben werden durch diezehn Gotteskrfte bzw. Tugenden, welche jene dann als Gliedmaen desMenschen ersetzen. (Poimandus 13); das bedeutet die Zusammenfgung desneuen gttlichen Wesens im Menschen (synarthrosis tou logou).Whrend im alten Paulinismus die Schpfung auerhalb Gottes steht und dasErlsungswerk Christi eben Erlsung von der Schpfung ist, trifft uns hier die

    Vorstellung, dass in Christus, Bild des unsichtbaren Gottes (vgl. II Kor. 4 : 9),dem Erstgeborenen aller Schpfung, alles in den Himmeln und auf der Erdegeschaffen wurde: das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oderHerrschaften oder Gewalten oder Mchte: alles ist durch ihn und zu ihm hingeschaffen; und er ist vor allem, und alles besteht durch ihn (l : 1517). DieseVerse hat Markion nicht gelesen, sie stammen vom katholischen berarbei-ter. Der Gnosis zufolge waren im gttlichen Pleroma ein Riss und ein Zwie-spalt gekommen, deren Folgen auch fr die Erde nicht ausblieben, und dieErlsung der Menschen durch den Heiland konnte nur dann erfolgen, wenngleichzeitig die kosmische Harmonie wiederhergestellt wurde. So auch in die-sem Brief: alles, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist, wird durchihn und zu ihm vershnt (l : 20 ; vgl. 2 : 14 f.).

    Wie in Eph., Phil., und Philem. erscheint auch hier der Apostel als Gefange-ner (die sog. Gefangenschaftsbriefe; 4 : 10, 18) aber auch als Leidender umdes Evangeliums willen (l : 24, 29; 2 : 1). ber sein Verhltnis zu den Ange-sprochenen lesen wir [132] widersprchliche Aussagen (l : 3, 24; 2:1,5 ge-genber l : 4, 8). Ohne seine Quelle zu erwhnen zitiert der Autor das A.T.(3:1; vgl. Ps. 110 : 1; 3 : 10; vgl. Gen. l : 27). In gleicher Weise reproduzierter paulinische Texte; er arbeitet mit Bildern und Anklngen, die ihm aus de-ren Lektre in Erinnerung geblieben sind; so sind gleich die Anfangswortedes Briefes buchstbliche Nachahmung (vgl. l : l mit II Kor. 1:1).Paulus wird hier wie eine Art Christus gesehen, der, allen Christen be-kannt, mit seinem Leiden erfllt, was nach Christus noch stellvertretendfr die Gemeinde erlitten werden muss. Um so eigenartiger ist diese Auf-fassung, da das Hauptthema des Briefes Die vollkommene Ausreichen

    Christi genannt werden knnte. Fr die Kolosser, die er nie gesehen hat,leidet Paulus und freut sich darber. Mit Christus und der Kirche bildet ereine Trias (1 : 24) und ist Christi Stellvertreter auf Erden.

    LITERATUR

    M. Dibelius, An die Kolosser u.s.w. 2, Tb. 1927.

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    [133] 8. Die be iden Br ie fe des Paulus an d ie Thess a lon i -cher.

    Beide Briefe tragen neben dem Namen des Paulus auch die des Silvanus unddes Timotheus als Autoren (I l : 1., II l : 1). Neben der wiederholt verwende-ten Mehrzahl erscheint aber auch immer wieder der Singular und schreibtPaulus anscheinend allein (I 2:18;4:9;5:27 ; II 2 : 5 ; 3 : 17). Dass diese Briefeausschlielich an die Gemeinde der mazedonischen Stadt gerichtet wren,wird zweifelhaft, wo wir lesen: Ich beschwre euch bei dem Herrn, dass derBrief allen Brdern vorgelesen werde (I 5 : 27). In einem an alle Brder zuThessalonika gerichteten Schreiben wre diese Aufforderung berflssig. Lobund Tadel fr die Leser gibt es wieder im Wechsel mit Lob (vgl. 11:1 ff.;2:8,13,19f.;3:6ff. ; 4 : 9 f.; 5 : 5 mit 4 : 3 ff., 11 ff.; 5 : 6, 12, 15; vgl. auch II l: 3 f.; 2 : 13; 3 : 4 mit3 : 6, 11). Der Tadel lsst sich schwerlich in berein-stimmung bringen mit den Lobpreisungen, mit denen die Leser berschttet

    werden, genau so wenig die Verteidigung des Paulus (12:3 ff.) mit derenpositiver Einstellung ihm gegenber (I l : 5 f.; 3 : 7).Abhngigkeit von frheren Paulusbriefen ist offensichtlich: die KombinationPaulus-Silvanus-Timotheus fanden wir in II Kor. 1 : 19; dessen, dass das pau-linische Evangelium nicht nur in Worten sondern auch in Kraft gekommensei (I 1 5), erinnern wir uns aus I Kor. 4 : 20; die Erwartung des Sohnes Got-tes aus den Himmeln, welchen Gott von den Toten auferweckt hat, Jesus, deruns vor dem zuknftigen Zorn bewahrt (I 1 : 10), hat ihre Antezedenten inRm. 2 : 5; 5 : 9; Eph. 5 : 6; Kol. 3 : 6; der Autor des zweiten Briefes ver-wendet vor allem den ersten als Vorlage. Am klarsten zeigt sich das, wo dasWirken des Apostels in der Gemeinde (II 3 : 8) mit fast den gleichen Wortenbeschrieben wird wie im ersten Brief (12 : 9): wir haben mit Mhe und Be-

    schwerde Nacht und Tag gearbeitet, um keinem von euch beschwerlich zufallen. So etwas muss entlehnt sein, denn in solcher Weise schreibt mannicht von sich selber ab. Es gibt brigens, wenn man absieht von der PerikopeII Th. 2 : 2-9 und [134] 11 f., nur 9 Verse in II Th., die nicht ihre Parallelehaben in I Th., so dass man risikolos sagen kann : II Th. beabsichtigt, dassWerk seines Vorgngers zu ergnzen, weil er nachteilige Folgen befrchtetvon der Art und Weise wie dieser das unmittelbare Bevorstehen des Tagesdes Herrn predigte. Nur in dieser Ergnzung zeigt er einige Originalitt.Im ersten Brief nmlich ist das Kommen (Parusie) unseres Herrn Jesus Chri-stus ein hochwichtiges Thema (I 3 : 13). Was mit den dann bereits Entschla-fenen geschehen wird, findet das volle Interesse des Autors: sie werden nichthinter denen, die dann noch leben, zurckstehen (I 4 : 13-15). Und 4 : 16f.:Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels

    und bei dem Schall der Posaune Gottes, herabkommen vom Himmel, und dieToten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Leben-den, die brigbleiben, zugleich mit ihnen entrckt werden in Wolken demHerrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein. MitBezug darauf erhebt der Autor des zweiten Briefes seine warnende Stimme:man solle nicht meinen, dies stehe unmittelbar bevor, es werde noch vielesvorher geschehen mssen. Jener Tag des Herren komme erst, wenn vorherder Abfall komme und der Mensch der Ungerechtigkeit offenbart werde, derSohn des Verderbens, der sich gegen Gott und ber Ihn stelle. Vorlufig wer-de er noch aufgehalten, auch wenn er im Verborgenen wirke; so bald er f-fentlich auftrete, werde Jesus ihn mit dem Atem seines Mundes vernichten (II2 : 112). Die Leser werden dazu ermahnt, bei der ihnen berlieferten Lehre

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    zu bleiben, so wie diese mndlich oder schriftlich von Paulus zu ihnen ge-kommen sei (II 2 : 15), und ordentlich und fleiig zu sein (II 3 : 6-12).Diese Schriften sind in etwa demselben Kreis und derselben Zeit zugehrigwie die vorausgehenden Paulusbriefe. Wer, wie es viele tun, I Thess. fr denltesten Brief des Apostels berhaupt hlt, bekommt Probleme mit der Erkl-rung von Zgen, die auf eine sptere Zeit hinweisen, als da sind die Verfol-gungen (I l : 6; 2 : 14; 3 : 3f.; auch II l : 4 f., 6 f.) und die Vorschriften bezg-lich der einzunehmenden Haltung [135] Gemeindeleitern gegenber (I 5 : 12f.). Im zweiten Brief kommt noch der Rckblick auf berlieferungen desPaulus (II 2 : 15; 3 : 6) und die Institution des Kirchenbannes hinzu (3 : 14).

    LITERATUR

    E. von Dobschtz, Die Thessalonicher-Briefe, Gttingen, 1909 - M. Dibeli-us, An die Thessalonicher I-II3. Tbingen, 1937.

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    [136] 9. Der Br ie f des Paulu s an Phi l emo n.

    Tertullian zufolge entkam dieser Brief nur seiner Krze wegen der schndli-

    chen Zensur des Markion. Fr moderne Gelehrte war dieselbe Krze einEchtheitsargument! Der Tbinger F. C. Baur stellte jedoch einen Bezug herzum literarischen Genre der romantischen Recognitien - Wiedererkennun-gen. Dies ist nmlich die Situation: Philemons Sklave Onesimus ist wegge-laufen. Bei Paulus angekommen wird er von diesem bekehrt und zu seinemHerrn zurckgeschickt. Letzterer wird nun zu einem christlichen Umgang mitihm aufgefordert (820). Vorausgesetzt wird hier eine reale Lebensgemein-schaft aller Christen, so dass der eine im andern sein eigenes Selbst wiederer-kennt, sich auf ewig mit ihm eins wei. Der bekehrte Sklave wird zum gelieb-ten Bruder, dem alles Unrecht und alle Schuld vergeben worden sind. Nichtgenug, dass der Apostel, der ihn bekehrte, sein geistiger Vater ist, der Herrdes Sklaven nimmt in der Person des Konvertiten auch dessen geistigen Vaterbei sich auf (12, 17). Der Sklave knnte beim gefangenen Paulus die Stelleseines christlichen Herrn einnehmen (13); durch das gleiche Band der Einheitwird er auch Mittler zwischen seinem geistigen Vater und seinem christlichenHerrn, der nun in seinem Sklaven Paulus erkennen muss. In dieser Weise hebtdas Christentum alle trennende Unterschiede auf. Der Apostel brgt fr undbernimmt die Schulden des bekehrten Sklaven bei dessen Herrn; der Herrsteht als Christ auch in der Schuld des Apostels (19). So wie der christlicheSklave erst jetzt ein seines Namens entsprechender Onesimus (= der Ntzli-che) ist, muss jetzt Philemon des Paulus Onesimus sein im Herrn (20)Dass dieses Schriftchen nur scheinbar ein Brief ist, geht bereits daraus her-vor, dass Paulus schreibt, aber auch Paulus zusammen mit Timotheus (1) unddass der Adressat Philemon heit, der Autor sich aber immer wieder an meh-rere Personen, an eine Gemeinde wendet (2). Durchwegs entlehnt er in freier

    Form aus paulinischen Briefen, insbesondere aus Eph. und Kol.. Der NameOnesimus stammt von Kol. 4 : 9, [139], wo aber nichts auf einen Sklavenhinweist, Timotheus von Kol. 1 : 1.Couchoud hat den Stil dieses Kunstproduktes genau studiert und darin eineKomposition aus acht Strophen von je acht Zeilen erkannt, welche an die Re-geln semitischer Poesie erinnert. Dieses neue Genre hlt die Mitte zwischendem Stil des Jeremia und dem des Dio Chrysostomus von Prusa ( 100 n. C.);rhythmische Schemata der Bibel werden hier mit glnzendem griechisch-rhetorischem Inhalt gefllt. Es handle sich dabei um ein absichtlich als sol-ches intendiertes griechisches Gegenstck zu den alten inspirierten HeiligenSchriften.Nichts weist auf einen engen Kontakt zwischen dem Autor und dem Adressa-ten hin; vielmehr herrscht zwischen beiden eine persnliche und sachlicheDistanz. Alle in Vers 2 genannten Namen befremden in einem fr Philemonbestimmten Brief. Das Genre Paulusbrief wendet sich nun einmal an mehrerePersonen (vgl. l Kor. l : 2 ; II Kor. l :1); die Hausgemeinde, an dieser Stellenicht zu verstehen, stammt aus Kol. 4 : 15 (vgl. Rm. 16 : 5; I Kor. 16 : 29).Weshalb setzt der Autor gewissermaen auf Autoritt mit den Worten Ich,Paulus (19)? Wird diese ihm etwa abgesprochen? Nein, er imitiert nur, waser an anderer Stelle las (das feierliche Gal. 5 : 2 und Eph. 3 : 1). Das Vorbilddes Schreibens mit eigener Hand findet man I Kor. 16 : 21; Gal. 6 : 11; Kol. 4: 18. Von Vers zu Vers kann man zeigen, dass der Brief ein knstlicher Flik-kenteppich ist von Dingen aus anderen Lesestoffen und somit keine durch be-sondere Umstnde veranlasste private Korrespondenz. In der Schwebe bleibtdie Figur des Onesimus, romantisch ist die des Philemon. Paulus selbst tritt

    nicht auf als Mensch aus Fleisch und Blut, sondern als dogmatische Gre. In

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    Fesseln schreibt er nicht nur Briefe (1), sondern in dieser Lage erweckt er so-gar geistige Kinder (10) und trotz seiner Gefangenschaft spricht er denWunsch aus, Onesimus mge bei ihm bleiben um ihm zu dienen. Als Onesi-mus bei ihm Zuflucht sucht und Paulus fr dessen Schulden brgt und ihmUnterhalt besorgt, ist letzterer doch anscheinend auf freiem Fu. GefangenerJesu Christi entpuppt sich als Ehrentitel eines Mrtyrer-Heiligen, eines kirch-lichen Amtstrgers allerhchsten Ranges. In ihm [138] gehen Demut und Ho-heit Hand in Hand, und nur an seiner priesterlichen Hand darf die Gemeindesich Gott nhern. Gefangener Christi ist genau so wenig buchstblich auf-zufassen wie Sklave Christi. Der Kirchenfrst hat das Recht, von Philemonden Onesimus zu seinem Dienst anzufordern, er zieht es aber vor, den Phile-mon durch freundliche Anmahnung dazu zu bringen (8, 10). Die Kraft deschristlichen Glaubens zeigt sich im rechten Verstndnis von allem, was unterChristen bezeichnet werden darf als das Gute, welches zu Christus, d.h. inden Himmel fhrt (6). Paulus vertraut auf Philemons Gehorsam und wei,dass dieser sogar noch mehr tun wird als das, was ausdrcklich von ihm erbe-ten wird (21). Er wird Onesimus dem Paulus zur Verfgung stellen, um die-

    sem in seinem Martyriu