10
Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel Nummer 1 . 2008 GDI IMPULS Mit Robert B. Reich, Frank Sieren, Douglas Rushkoff, David Gelernter, Peter A. Gloor, Christian Scheier, Nico Stehr, Christopher Peterka und vielen Geschenken, die sind, was sie scheinen. Die Misstrauensfalle Weil die Wirtschaft lieber trojanische Pferde als authentische Waren anbietet, wittern die Konsumenten überall Betrug. GDI Impuls 75 / 2008 . ISSN 1422-0482 Schweiz CHF 35 . Deutschland EUR 22 Österreich EUR 22

Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

62

Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, HandelNummer 1 . 2008

GDI IMPULS

Mit Robert B. Reich, Frank Sieren, Douglas Rushkoff, David Gelernter, Peter A. Gloor, Christian Scheier, Nico Stehr, Christopher Peterka und vielen Geschenken, die sind, was sie scheinen.

Die MisstrauensfalleWeil die Wirtschaft lieber trojanische Pferde als authentische Waren anbietet, wittern die Konsumenten überall Betrug.

GDI Impuls 75 / 2008 . ISSN 1422-0482

Schweiz CHF 35 . Deutschland EUR 22

Österreich EUR 22

Page 2: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

thema: die Misstrauensfalle

AutorEn

SuMMAriES

Gdi-StudiEn

Gdi-vErAnStAltunGEn

GottliEb duttWEilEr inStitut

Gdi-AGEndA 2008

iMPrESSuM

4

114

116

117

118

120

120

> Trend

Stefan Kaiser . Christopher Peterka

diE EroSion dES vErtrAuEnS

Die Wirtschaft präsentiert vorwiegend trojanische

Pferde: Kein Produkt ist mehr, was es zu sein vorgibt.

Verunsicherte Konsumen ten spielen nicht mehr mit.

> Marketing

Gespräch mit Douglas Rushkoff

«dEr intErAKtivE rAuM iSt hEutE EbEnSo vErSChMutzt

WiE diE ShoPPinG-MAll.»

Noch nie redeten so viele Menschen über Produkte wie

im Internet­Zeitalter. Doch statt sich offen an ihrem

Gespräch zu beteiligen, setzen die Marken alles daran,

die Kon sumenten aus dem Netz zu vertreiben.

> Marketing

Werner Warmbier

MittEn iM SinnESWAndEl

Das Marketing entdeckt die «niederen» Sinne. Wer sie

anspricht, kann das Verhalten der Konsumenten steuern.

Damit wird es Zeit, Nerven zu zeigen.

8

18

24

> Die grosse Grafik

trojAnEr lüGEn niCht – SiE SChEnKEn nur

Wege in die Misstrauensfalle. Und Auswege.

> Marketing

Christian Scheier

WiSSEn SiE WirKliCh, WAS Wir tun?

Die Neuropsychologie, so glauben viele, macht die

Kon sumenten gläsern. Ganz so schlimm ist es nicht. Wir

lassen uns nur manipulieren, wenn wir es auch wollen.

> Management

Frank E. P. Dievernich

dEr MitArbEitEr AlS trojAniSChES PfErd

Online­Partnervermittlungen und die Rekrutierungs­

praxis in Unternehmen setzen auf die gleiche Strategie

der Täuschung. Verloren hat, wer daran glaubt.

> Forschung

Gerd Folkers

ziEhEn Wir in dEn KriEG?

Was trojanische Pferde, Viren, Immunsysteme und

künstliche Intelligenz verbindet. Wieweit trägt die Paral­

lele von Informationstechnologie und Biologie?

> Foto­Essay

Paul Graves

dAS SPiEl dEr täuSChunG

Wenn die Dinge nicht sind, was sie scheinen, aber trotz­

dem Wirkung haben.

30

32

38

44

50

Page 3: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

ideen Workshop

> Gesellschaft

Robert B. Reich

«Wir MüSSEn dEn SuPEr KAPitAliSMuS dArAn hindErn,

diE dEMoKrAtiE zu zErStörEn.»

Der Arbeitsminister der Clinton­Regierung untersucht

die Folgen der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung:

Als Konsumenten und Anleger werden wir alle zu

Komplizen eines Systems, das unsere Demokratie und

unsere Arbeitsplätze gefährdet.

> Globalisierung

Gespräch mit Frank Sieren

«dEr WEStEn bEStiMMt niCht MEhr diE SPiEl rEGEln

dEr WElt.»

China sichert sich in den Entwicklungsländern Boden­

schätze, politischen Einfluss und gute Geschäfte. Damit

beginnt eine neue Form der globalen Zusammenarbeit:

Der Westen hat immer weniger zu sagen.

> Trendforschung

Peter A. Gloor

«CoolhuntinG durCh SChWArMKrEAtivität.»

Was haben iPod, Facebook und YouTube gemeinsam?

Sie sind innovativ, frisch und cool. Um solcheTrends

vorherzusagen, wurde in den letzten fünfzehn Jahren am

MIT die Coolhunting­Technologie entwickelt.

> Zwischenruf

Nico Stehr . Marian Adolf

«unSErE idEE voM MArKt StAMMt AuS EinEr völliG

vErAltEtEn WElt.»

Zwischen unserer Vorstellung der Marktteilnehmer

und der gesellschaftlichen Realität liegt ein tiefer Graben.

Wer ihn überwinden will, muss sich der Moralisierung

der Märkte stellen.

62

76

86

94

> Jahr der Informatik

Gespräch mit David Gelernter

«diE CoMPutEr-nutzEr SolltEn EndliCh EinMAl

ProtEStiErEn …»

Software und Betriebssysteme sind schlecht, in ihrer

Logik veraltet und eine ewige Quelle des Ärgers. Der visi­

onäre Yale­Forscher David Gelernter arbeitet an einer

besseren Zukunft von Computer und Internet.

> Beyond

Max Celko

dEr drAht inS GEhirn

Hirn­Computer­Schnittstellen wurden oft verheissungs­

voll angekündigt, aber nie erreicht. Trotz aller Visionen

wollte sich das radikal neue Mensch­Computer­Zeitalter

in der Realität nicht einstellen. Bis jetzt.

102

109

Page 4: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

38

Rubrik . Titel . Frank E. P. Dievernich

Frank E. P. Dievernich

Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd

Page 5: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

39

GDI Impuls . Frühling 2008

«Die Realität imitiert den Porno», schreibt der spanische

Regisseur Pedro Almodóvar in seiner Erzählung «Patty Di-

phusa» (dt. 2008). Ebenso gut könnte diese Beschreibung für

Phänomene gelten, die derzeit in Unternehmen zu beobachten

sind, wenn es darum geht, neue Mitarbeiter anzuheuern, von

denen man erwartet, dass sie das Unternehmen verändern.

Der Fokus dieser Veränderung liegt vor allem darauf, gesell-

schaftliche Trends ins Unternehmen einzuspielen – das Neue,

von dem das Unternehmen nicht weiss, was es ist, aber ahnt,

dass es vorhanden ist. Es ist das dumpfe Gefühl auf der Chef-

etage, dass man etwas verpassen könnte.

EntschäRftE GEschEnkE Frischer Wind, so die Vorstellung,

kommt durch neue Personen ins Unternehmen. Für was aber

der Wind von Nutzen sein kann, bleibt unklar. Zwar besteht

Einigkeit darüber, dass der neue Blick dem Unternehmen gut-

tut und Betriebsblindheit verhindern kann, aber angesichts

konkreter Neueinstellungen erscheint es als durchaus frag-

würdig, inwiefern die Unternehmen tatsächlich von frischem

Wind profitieren. Mitarbeiter, so die Hypothese, sind die

trojanischen Pferde unserer Zeit: Es geht den Unternehmen

darum, sie schnellstmöglich zu identifizieren und zu ent-

schärfen. Dabei wollen sie selbst doch nur schenken. Aber was

sie anzubieten haben, das will man entweder nicht oder ist

unfähig, damit umzugehen.

Diese Unfähigkeit ist strukturell bedingt, also in der

Natur der Organisation angelegt. Eine Organisation fragt nie

Was haben Online-Partnervermittlungen und die Rekrutierungspraxis von Unternehmen

gemeinsam? Die Akteure bieten nur das an, von dem sie meinen, dass der andere sich danach

sehnt. Verloren hat, wer wirklich daran glaubt.

«einfach so» nach dem Neuen. Sie beobachtet den Markt

nicht, wie er wirklich ist, sondern stets nur das, was ihre

Struktur zu beobachten vorgibt. Das Neue ist aus dieser Per-

spektive nicht heilbringend, sondern ein Angriff auf die

Organisation, weil es schonungslos die Unflexibilität und

Trägheit der Organisation aufzeigt, auf Neues einzugehen.

Vor einer solchen Blossstellung müssen Organisationen sich

schützen, um ihr Gesicht vor sich selbst zu wahren.

Das REkRutiERunGssPiEl In Perfektion führt diesen Mecha-

nismus die Unternehmensberatung Boston Consulting Group

(BCG) bei der Rekrutierung von Nachwuchs vor. BCG sucht

seit 2005 explizit «Querdenker», die das Neue, das kreative

Moment in die Organisation tragen sollen. Gesucht werden

junge Talente, die sich in ihrer Vielfalt angesprochen fühlen

und denen suggeriert wird, dass es für sie einen Platz in der

auf Effizienz ausgerichteten Ökonomie gibt. Der Witz dabei

ist, dass von der Organisation letztlich nicht das Andere, das

Querdenkertum ausgewählt wird, sondern durch die Aus-

schreibung Personen angesprochen werden sollen, die über

beste Lebensläufe – sprich: Noten und besuchte Bildungs-

institutionen – verfügen und noch «soziales Engagement»

belegen. Ein «Querdenker» ist für BCG also jener Kandidat,

der sich mit den Insignien eines klassischen Lebenslaufes aus

einem der Wirtschaft fachfremden Bereich bewirbt.

Die Neugierde von Absolventen der Natur- oder Geistes-

wissenschaften, das Feld der Ökonomie als Spielwiese zu

Page 6: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

40

Management . Der Mitarbeiter als Trojaner . Frank E. P. Dievernich

betreten, kann schon ausreichen, um als Querdenker wahrge-

nommen zu werden. Ihre Lebensläufe zeigen aber keineswegs

Querdenkertum, sondern belegen vielmehr eine hohe An-

schlussfähigkeit an das bestehende ökonomische System,

welches bei den zu besetzenden Positionen auf Rationalität,

Effizienz, Schnelligkeit und persönliche Intelligenz setzt. Ob

sich die tatsächlichen Querdenker und echten trojanischen

Pferde je auf eine solche Stelle bewerben, ist mehr als fraglich,

weil sie längst das System hinter diesem Rekrutierungs system

und dessen Sprachspiel erkannt haben.

VoM BalzEn, WERBEn unD fanGEn Woher stammt die Per-

fektionierung der «trojanischen» Beobachtung? Hierzu bietet

sich ein Blick in die florierende Branche der Online-Partner-

vermittlungen an. Sie bilden ein Trainingscamp für trojani-

sches Agieren, denn die Akteure bieten nur das an, von dem

sie meinen, dass der andere sich danach sehnt. Verloren hat

das Spiel, wer wirklich daran glaubt. Darin unterscheiden sich

Online-Paarungsmärkte in nichts von der Rekrutierungs-

praxis in Unternehmen.

Bei Online-Agenturen wie Parship.de lernen wir nicht

nur trojanisches Handeln, sondern leben es auch gleichzeitig.

Der in vierzehn Ländern anzutreffende Partnervermittler ist

mit einem jährlichen Umsatz von über 25 Millionen Euro

Branchenführer. Zugang und Teilnahme an seinem Paa-

rungsmarkt findet vom Wohnzimmer oder vom Café aus

statt, überall dort, wo es einen Internet-Zugang gibt. Der neu

geschaffene Markt heisst Anbahnung.

Interessant ist dabei der Abgleich mit der Realität. Aus

den Beschreibungen der paarungswilligen Teilnehmer wird

klar, dass jeder mit den Sehnsüchten des anderen kalkuliert.

Man braucht gar nicht die Internet-Plattform Second Life zu

besuchen, um fremde Identitäten anzunehmen: Parship bie-

tet sie en masse. Mann und Frau verkaufen sich, gestalten

sich interessant in geistiger Vorwegnahme ihrer Anschluss-

fähigkeit. Das ist nicht neu und nicht überraschend, interes-

sant aber ist, dass alle wissen, dass sie eigentlich «trojanisch»

handeln, weil das Echte nur bei direkter Berührung mit dem

Gegenüber entsteht, wobei diese Berührung dann die Nagel-

probe für mehr ist.

Alle wissen also voneinander, dass sie Trojaner sind, die

sich erst dann als Pferd zeigen, wenn Realität entsteht. Und

trotzdem geht es darum, dieses Spiel der Täuschung zu spie-

len. Dabei wissen alle, oder sollten es wissen, dass nicht der

Ehrliche gewinnt, der als langweilig erscheinen muss, son-

dern derjenige, der das Spiel am besten beherrscht.

Ein Trojaner zu sein, ist somit die erste Hürde zur Realität.

Wo man bei BCG das Sprachspiel des Querdenkers über sich

ergehen lassen muss und sich entsprechend tarnt, muss man

bei Parship zuerst auf interessante, charmante oder intelli-

gente Kommunikation umstellen, bis ein direkter Kontakt

zustande kommt. In beiden Fällen findet die Einstiegs-

prüfung in der Währung einer anderen Realität statt als mit

der, die später zur Zahlung akzeptiert wird. Wir lernen: Tro-

janisches Handeln wird belohnt. Dabei sagt die Belohnung

nichts über einen echten Kern aus, sondern lediglich über

unsere Fähigkeit, mit dem Artifiziellen umzugehen. Das hat

sie gemeinsam mit Notensystemen, die weniger die konkre-

ten Leistungen bewerten als vielmehr, wie gut jemand mit

der Logik eines Systems umgeht.

WERBE-koMMunikation Ein weiteres gesellschaftliches Feld

zur Erlernung trojanischen Agierens finden wir in der Wer-

bung, die dieses Prinzip ins Extreme treibt. Die Werbung ist

dafür verantwortlich, dass der Trojaner trotz seiner exorbi-

tanten Präsenz als Begriff zunehmend verschwindet, da er

sich gegenüber anderen nicht mehr abgrenzen kann. Denn

heute hat jede Form werblicher Kommunikation trojanische

Züge. So weisen unzählige Werbungen darauf hin, dass man

als Konsument «spart», wenn man bestimmte Produkte kauft

– eine Grundparadoxie, die jedoch von der Botschaft abprallt.

Unzählige Produkte verweisen auf Vorteile beim Konsumie-

ren, ohne auf die Folgen und Kosten hinzuweisen. Spannend

wird es, wenn etwa in fetten Lettern «0 % Fett!» angepriesen

wird, um am Gesundheitstrend anzudocken, während der

im Produkt enthaltene Zucker und andere künstliche Zu-

satzstoffe im Windschatten dieser «gesunden» Botschaft in

den Körper gelangen. Wenn das Produkt dann auch noch

«Jogger Gums» heisst, ist das trojanische Pferd so gut wie

fertig gezimmert.

alle wissen, dass nicht der Ehr- liche gewinnt, sondern wer das spiel am besten beherrscht.

Page 7: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

41

GDI Impuls . Frühling 2008

Die Kunst bei solchen Waren und ihrer Kommunikation

liegt nicht darin, den Trojaner zu tarnen, sondern ihn in

Abhängigkeit des Gesellschafts- und Bildungsmilieus so

deutlich wie möglich zutage treten zu lassen. Wer ihn nicht

durchschaut, soll auf die Botschaft reinfallen und kaufen,

und wer die Nonsens-Aussage decodieren kann, soll durch

einen attraktiven Werbe-Trojaner und/oder das Produkt

überzeugt werden. Kunden, denen die Jogger-Gummis gut

schmecken, schmunzeln über die Andeutung, dass deren

Konsum etwas Gesundes haben soll. In diesem Schmunzeln

verbündet sich der Konsument mit den Schöpfern der Werbe-

Trojaner. Auch hier wird eine Kaufhandlung ausgelöst – der

Dank für die gelungene Kommunikation.

ästhEtik DEs PotEnziEllEn Entscheidend ist, dass heute kein

ökonomisches Handeln mehr ohne Elemente einer trojani-

schen Kommunikation denkbar ist und dass die Konsumen-

ten sehr genau wissen, dass trojanische Pferde überall lauern.

Unsere Situation hat paradoxe Züge: Wir zimmern die trojani-

schen Pferde und sind gleichzeitig ihre Opfer. Zudem fordern

wir stets neue Formen und Spielarten von Trojanern, da mitt-

lerweile sie für seriöses ökonomisches Agieren stehen und

nicht die echten Pferde.

Für jene, die die Logiken der Werbeindustrie durchschaut

haben, geht es also nicht mehr darum, Trojanern aus dem

Weg zu gehen, sondern sie zu erkennen und aus ästhetischen

Gründen zu schätzen. Man geht den Holzpferden bewusst

auf den Leim, weil man sie schön, spannend, interessant und

aussergewöhnlich findet. Honoriert wird dann etwa der Ein-

fallsreichtum der Verpackung, wenn sie suggeriert, dass das,

was sie verspricht, auch tatsächlich der Inhalt sein könnte,

obwohl niemand diesen Inhalt erwartet. Es geht vorder-

gründig um die Ästhetik des Potenziellen.

Aufgrund der hohen Trojanerdichte hat sich in Gesell-

schaft und Wirtschaft eine «abgeklärte» Haltung ausgebildet.

Weil wir mittlerweile überall trojanische Pferde erwarten,

reis sen wir ihnen nicht mehr in aufklärerischer Mission die

Masken herunter, sondern schaffen lieber die Bühnenbedin-

gungen, damit der Schein in Form des werblich ökonomi-

schen Handelns sich befriedigend inszenieren kann: Es geht

darum, ein dem Gefühl der Realität entsprechendes Outfit

für die trojanischen Pferde zu schnitzen. Für Unternehmen

bedeutet dies, dass sie im Rahmen von Rekrutierungsprozes-

sen bereits die Bedingungen des Eintritts ins Unternehmen

als trojanisches Spektakel konzipieren müssen. Wie es BCG

vormacht, geht es nicht mehr darum, Trojaner zu vermeiden,

sondern sie explizit einzuladen.

DER «GanzE» MitaRBEitER Doch was heute passiert, ist genau

das Gegenteil. Je deutlicher der querdenkende «Trojaner»

angesprochen beziehungsweise zur trojanischen Kommuni-

kation eingeladen wird, desto weniger wird der wirkliche

Trojaner ersichtlich. Die trojanische Kommunikation ist

bereits derart zur Normalität geworden, dass der Aufruf an

die Querdenker verpufft. Tatsächlich kalkulieren wir bereits

von vornherein mit der Täuschung in unseren Reihen: Un-

ternehmen, die bei ihrer Talentsuche explizit den Wert des

Trojaners ansprechen, wissen, dass sie nur zu Durchgangs-

stationen für falsche Pferde geworden sind.

Die Probleme mit den Mitarbeitern tauchen dann auf,

wenn sie im Unternehmen plötzlich Eigenschaften und

Wünsche zeigen, die dem Unternehmen entgegenlaufen. So

gesehen haben Mitarbeiter von jeher etwas «Trojanisches»,

weil sie sich einerseits im Rahmen eines Bewerbungsverfah-

rens naturgemäss von der besten Seite zeigen und anderer-

seits immer über mehr persönliche Seiten, Kompetenzen

und Ansichten verfügen, als es die funktionale Seite ihrer

Stelle innerhalb der Organisation einfordert. Der Unterschied

besteht darin, dass die Unternehmen kommunizieren, sie

bräuchten den «ganzen Mitarbeiter», um das Neue in die

Organisation einzuführen, aber gleichzeitig nicht über die

Strukturen verfügen, die diese Vielfalt kanalisieren.

In einer Ökonomie, die auf dem Prinzip der Schnelligkeit

basiert, ist es vonnöten, auf verschiedenste Wahrnehmungen

von Umwelt zugreifen zu können, um rasch und proaktiv

zu reagieren. Ein solches Reagieren setzt voraus, dass eine

Organisation ihre Kompetenzen schnell rekombinieren

kann, um eine veränderte Leistungserstellung und Markt-

belieferung zu garantieren. Auf der anderen Seite ist es aber

mindestens ebenso relevant, dass es echte Querdenker gibt –

unsere situation ist paradox: Wir zimmern trojani sche Pferde und sind gleichzeitig ihre opfer.

Page 8: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

42

Management . Der Mitarbeiter als Trojaner . Frank E. P. Dievernich

eher müsste man sagen: «Gegendenker» –, die diese Logik

der Effizienzsteigerung hinterfragen und Blockaden und

Verzögerungen einbauen, um die Überhitzung des Systems

zu vermeiden.

ÜBERRaschunG unD EnttäuschunG Der tatsächliche Um-

gang mit Trojanern ist ein anderer: Überraschung und Ent-

täuschung. Und zwar darüber, dass der über Parship vermit-

telte neue Traumpartner noch über andere Seiten verfügt als

geschrieben («Du hast gesagt, du seist ein Stadtmensch – jetzt

willst du jedes Wochenende in den Wald») und der neue

Mit arbeiter andere Töne anschlägt als zum Zeitpunkt seiner

Bewerbung («Das war doch klar, dass ich hier nicht länger als

zwei Jahre bleibe, da es für den nächsten Karriereschritt

keinen Sinn macht»). Weil aber auch diese Enttäuschung im

Zeitalter der Abklärung bereits antizipiert ist, schauen die

Unternehmen nicht darauf, welche Mechanismen sie entwi-

ckeln können, um mit solchen Differenzen umzugehen, son-

dern bauen im Sinne einer auf Schnelligkeit ausgerichteten

Ökonomie Instrumente auf, die vordergründig «Trojaner»

abhalten sollen – während sie tatsächlich zur weiteren Ver-

besserung ihrer Tarnung beitragen.

Damit sind die Grenzen des derzeit schicken «Diversity»-

Managements und seiner suggerierten Realität in der Phase

der Anbahnung ausgeleuchtet. Zwar gibt es durchaus ausge-

feiltere Instrumente der Partner vermittlung – bei Elitepart-

ner.de werden Anmeldungen persönlich bearbeitet, um eine

höhere Erfolgswahrscheinlichkeit zu erzielen; ebenso werden

in Unternehmen im Rahmen von Rekrutierungsprozessen

aufwändige Assessment-Verfahren konzipiert, um den rich-

tigen Mitarbeiter mit der richtigen Persönlichkeit und Kom-

petenz ausfindig zu machen (und um seine wahren Motive

zu erfahren); aber dennoch ist dem wirklichen Trojaner nicht

auf die Schliche zu kommen.

Was derart professionalisiert wurde, ist einzig der Aus-

wahlprozess – und zwar losgelöst von der späteren Realität.

Diese Aufwendung von Energie zu Beginn der Partnerschaft

führt dazu, dass die Kapazität und Kompetenz im Unter-

nehmen nicht mehr vorhanden ist, um sich mit der Realität

auseinanderzusetzen, die sich beim Wirksamwerden eines

echten trojanischen Pferdes ergibt. Unsere Kultur der Ab ge-

klärtheit hat dazu geführt, dass die entscheidenden Investi-

tionen verpasst werden.

Das EnDE VoM PoRno Als tatsächlich neu und relevant erschei-

nen dagegen jene Anzeichen eines Gegentrends, die in welt-

weit agierenden Juristenkanzleien zu beobachten sind. Cleary

Gottlieb zum Beispiel akzeptiert, dass der Mitarbeiter immer

ein Trojaner ist. Hier werden gerade für Top-Absolventen

aufwändige Einstellungsverfahren als Zumutung angesehen.

Solche Bewerber will man sich nicht durch unangenehme

Fragen vergraulen, sondern vertraut auf den Lebenslauf und

die Bildungsinstitutionen, welche die Noten dokumentieren.

Ein Einstellungsgespräch findet nur mehr unter vier Augen

statt und ist nach einer halben Stunde beendet. Das muss

reichen. Diese neue Form der Wertschätzung und Bindung

von potenziellen Mitarbeitern im Rekrutierungsprozess

könnte angesichts der demografischen Entwicklung und der

Knappheit von qualifizierten Arbeitskräften zunehmend zur

Normalität werden. Dann hätten wir gleichzeitig auch das

Ende jener Realität erreicht, die den Porno imitiert.

Die Individuen imitieren den Unternehmensporno, der

vorgibt, den wahren Menschen zu erkennen, ohne doch

wirklich auf ihn eingehen zu wollen. Sie haben das Spiel mit-

gespielt und wurden zu trojanischen Pferden, von denen alle

wissen, dass niemanden interessiert, was sie anzubieten und

zu verschenken haben. Gerade deshalb gilt: Unsere Welt

schreit danach, wirklich wahrgenommen zu werden, damit

sich endlich ein Handeln einstellt. <

Einstellungsgespräche finden nur unter vier augen statt und sind nach einer halben stunde beendet.

Mitarbeiter verfügen immer über mehr kompetenzen, als die organisation einfordert.

Page 9: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

Die Migros Bank deckt das ganze Angebot für Firmenkunden ab, vom Zahlungsverkehr über Betriebs-kredite bis zu Spezialfinanzierungen, Nachfolgeregelungen und Anlagemöglichkeiten. Dabei legen wir Wert auf ein transparentes Rating bei der Kreditvergabe, langjährige Kundenbeziehungen und einenunbürokratischen Umgang. Mehr unter www.migrosbank.ch oder Service Line 0848 845 400.

Wie werden Sie von IhrerBank begrüsst? Wir heissen alle Firmenherzlich willkommen.

GDI Impuls / Firmenkunden / Hand / DU: 12.3.07 / ET: 28.3.07

Page 10: Nummer 1 . 2008 Die Misstrauensfalledievernich.com/upload/files/Der Mitarbeiter als trojanisches Pferd.pdf · > Marketing Werner Warmbier MittEn iM SinnESWAndEl Das Marketing entdeckt

GDI ImpulsWissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel

IHR ABONNEMENT AUF DAS RELEVANTE NEUESichern Sie sich den Zugriff auf ein einzigartiges Informa­tionsnetz für innovative Ideen. In GDI Impuls präsentieren Ihnen renommierte Autoren alle drei Monate die wichtigs­ten Trends und Entwicklungen in Wirtschaft, Gesell schaft, Marketing, Konsum und Management – un ver dünnte Infor­mationen zum Wandel der Märkte.

Unser Wissensmagazin richtet sich an Vordenker und Ent­scheider in Unternehmen, an Menschen die sich beruflich mit der Entwicklung der Konsum gesellschaft beschäf tigen. Sie erhalten ein kompetentes Update über das relevante Neue sowie Denkanstösse am Puls der Zeit.

Das Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon / Zürich ist ein unabhängiger, weltweit vernetzter Thinktank und eine wichtige Plattform für zukunfts orientiertes Denken.

AUTORENLISTE (AUSZUG)Ulrich Beck: Die Weltrisikogesellschaft . Norbert Bolz: Der Na­me der Marke . Steven Brown: Retromarketing­Revolution . Georg Franck: Aufmerksamkeitsökonomie . Neil Ger shen feld: Dinge, die denken . Malcolm Gladwell: Der Tipping­Point . Daniel Goleman: Emotionales Management . Peter Gross: Abschied von der monogamen Arbeit . Gary Hamel: Das revolutionäre Unternehmen . Nao mi Klein: No Logo . Philip Kotler: Global Bio­Branding . Christopher Meyer: Adaptive Ökonomie . Christian Mikunda: Einkaufsdramaturgie . Henry Mintzberg: Jenseits des Egoismus . Kjell Nordström: Karaoke­Kapitalismus . Joseph Pine: Die Erlebnisökonomie . Jeffrey Rayport: Servolution . Florian Rötzer: Superwaffe Panik . Doc Searls: Das Cluetrain Manifesto . Robert Shiller: Die neue Finanzordnung . Don Tapscott: Net Kids . Paco Underhill: Alterskonsum . Peter Wippermann: Silver Sex

FAX-ANTWORTSummaries aller Artikel finden Sie unter www.gdi­impuls.ch. Über das Archiv (www.gdi.ch/impuls­archiv) können ein­zelne Beiträge online bezogen werden. Unseren Leserservice erreichen Sie unter Tel +41 71 272 73 70 (oder E­Mail: [email protected]) – oder faxen Sie uns einfach diesen Talon an: Fax +41 71 272 75 86

Leserservice GDI ImpulsZollikofer AGFürstenlandstrasse 122CH – 9001 St. Gallen

JAHRES-ABONNEMENT

Ich bestelle GDI Impuls (4 Ausgaben pro

Jahr) zum Preis von CHF 120.– / EUR 75.–

(inkl. MwSt.; exkl. Versandspesen)

KOLLEKTIV-JAHRES-ABONNEMENT

Ich bestelle … Exemplare GDI Impuls.

Jedes weitere Abonnement an die gleiche

Adresse kostet CHF 50.–/ EUR 31.–

(inkl. MwSt.; exkl. Versandspesen)

SENDEN SIE UNS BITTE:

ein Schnupper­Abonnement (2 Ausgaben)

CHF 45.–/ EUR 28.– (inkl. MwSt.; exkl. Versand)

Einzelausgabe Nr. …… CHF 35.–/ EUR 22.–

(inkl. MwSt.; exkl. Versandspesen)

den GDI_Newsletter*

NAME/VORNAME

PLZ/ORT/LAND

STRASSE/NR.

FIRMA

E­MAIL*

DATUM/UNTERSCHRIFT

TELEFON