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22 Feature Hitler und Ostasien, 1904 bis 1933. Die Entwicklung von Hitlers Japan- und Chinabild vom Russisch-Japanischen Krieg bis zur „Machtergreifung“. Stefan Hübner Einleitung Interessiert man sich für die nationalsozialistische Ostasienpolitik, kommt man recht schnell auf den Antikominternpakt (1936), den Dreimächtepakt (1940) oder auch die wenig produktive Kriegsallianz mit Japan zu sprechen. 1 Unter- suchungen zu den politisch-diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem „Dritten Reich“ und Japan begannen schließlich schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In den letzten Jahren gewann zusätzlich aber auch die kulturelle Dimension stetig an Bedeutung und damit die Frage nach gegenseitiger Darstellung und Wahrnehmung, bisher vor allem mit Fokus auf das mit Stereotypen durchsetzte Japanbild der NS- Propaganda. 2 Offen bleibt jedoch, wie zum Beispiel Hitlers eigenes Japanbild, auch im Vergleich zu seinem Chinabild, aussah. Das Problem der Wahrnehmung des Anderen wird hier also auf eine Person, Hitler vor der „Machtergreifung“, beschränkt, und es stellt sich die Frage, inwieweit sein politisches Handeln durch sein Ostasienbild und die in diesem enthaltenen Stereotypen beeinflusst wurde. Von Interesse ist hierfür zunächst, welche Stereotypen Hitlers Ostasienbild 1904 bis 1933 überhaupt besaß, und welches relative Gewicht diesen jeweils zukam. Maßgebliche Ereignisse für die Entwicklung von Hitlers Ostasienbild sollen hierzu, soweit heute noch möglich, ebenfalls rekonstruiert werden. Auf diesem Wege kann darüber hinaus noch analysiert werden, in 1 Ich möchte Sven Saaler und Gerhard Krebs für Hilfe und Ratschläge danken. Die Verantwortung für den Inhalt bleibt aber natürlich bei mir. 2 Siehe hierzu z.B. Orbach, Japan. Dort auf S. 13 sind zudem einige der wichtigsten Forschungsarbeiten ge- nannt, anschließend gängige, für die hiesige Fragestellung jedoch nur nach starker Modifikation herangezogene Theorien der Stereotypenbildung. OAG NOTIZEN

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Feature

Hitler und Ostasien, 1904 bis 1933. Die Entwicklung von Hitlers Japan- und Chinabild

vom Russisch-Japanischen Krieg bis zur „Machtergreifung“.

Stefan Hübner

Einleitung

Interessiert man sich für die nationalsozialistische Ostasienpolitik, kommt man recht schnell auf den Antikominternpakt (1936), den Dreimächtepakt (1940) oder auch die wenig produktive Kriegsallianz mit Japan zu sprechen.1 Unter-suchungen zu den politisch-diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem „Dritten Reich“ und Japan begannen schließlich schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In den letzten Jahren gewann zusätzlich aber auch die kulturelle Dimension stetig an Bedeutung und damit die Frage nach gegenseitiger Darstellung und Wahrnehmung, bisher vor allem mit Fokus auf das mit Stereotypen durchsetzte Japanbild der NS-Propaganda.2 Offen bleibt jedoch, wie zum Beispiel Hitlers eigenes Japanbild, auch im Vergleich zu seinem Chinabild, aussah. Das Problem der Wahrnehmung des Anderen wird hier also auf eine Person, Hitler vor der „Machtergreifung“, beschränkt, und es stellt sich die Frage, inwieweit sein politisches Handeln durch sein Ostasienbild und die in diesem enthaltenen Stereotypen beeinflusst wurde. Von Interesse ist hierfür zunächst, welche Stereotypen Hitlers Ostasienbild 1904 bis 1933 überhaupt besaß, und welches relative Gewicht diesen jeweils zukam. Maßgebliche Ereignisse für die Entwicklung von Hitlers Ostasienbild sollen hierzu, soweit heute noch möglich, ebenfalls rekonstruiert werden. Auf diesem Wege kann darüber hinaus noch analysiert werden, in

1 Ich möchte Sven Saaler und Gerhard Krebs für Hilfe und Ratschläge danken. Die Verantwortung für den Inhalt bleibt aber natürlich bei mir.2 Siehe hierzu z.B. Orbach, Japan. Dort auf S. 13 sind zudem einige der wichtigsten Forschungsarbeiten ge-nannt, anschließend gängige, für die hiesige Fragestellung jedoch nur nach starker Modifikation herangezogene Theorien der Stereotypenbildung.

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welchem Grade Hitlers damaliges Ostasienbild einen embryonalen Charakter für seine politischen Ansichten und Handlungen ab 1933 hatte.Man stößt allerdings sehr schnell darauf, dass zum Beispiel in „Mein Kampf“ Japaner lediglich als „kulturtragende“ Rasse betrachtet werden. Da nur weiße „Arier“ fähig seien, Kultur zu schaffen, würden Japaner etc. sich diese zwar aneignen, nicht aber selbstständig weiterentwickeln können.3 Hitler hatte Japan jedoch nie besucht, und Interaktionen mit Japanern waren vor der Macht-ergreifung äußerst selten gewesen. Es ist daher als theoretischer Hintergrund anzunehmen, dass es sich bei Hitlers hier zu untersuchenden Ostasien-Stereotypen durchgehend um solche handelte, die ohne Reaktion des Objekts entstanden waren. Hitlers Ostasienbild konstruierte sich aus dem Pool der ihm zugekommenen deutschen bzw. „westlichen“ Ostasieninformationen, die in seine schon bestehenden ideologischen Ansichten eingepasst wurden. Was nicht konform war, konnte gegebenenfalls ignoriert und Randphänomene, die als solche nicht unbedingt erkannt wurden, teilweise überbewertet werden, da die Konfrontation mit der Realität ausblieb. Quellen zum Thema sind für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg extrem rar. Während der Weimarer Republik konnte Hitler jedoch frei sprechen, was er auch, wie sich zeigen wird, tat. Seine nach 1933 privat geäußerten Ansichten sind ebenso als prinzipiell vertrauenswürdig und damit unproblematisch anzusehen. Bei an die breite Öffentlichkeit gerichteten Reden etc. droht jedoch die Gefahr eines Zirkelschlusses, da die Legitimierung einer politischen Handlung (wie z.B. der Zusammenarbeit mit Japan) ein positives Bild des Anderen de facto zeichnen musste und negative Stereotypen nicht enthalten durfte. An die Öffentlichkeit gerichtete Aussagen Hitlers nach 1933 müssen daher gegebenenfalls kurz problematisiert werden.

1. Der Russisch-Japanische Krieg: Das „Urerlebnis“ des Hitler’schen Japanbildes

In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1904 attackierte Japan die sich in Port Arthur befindende russische Flotte und erklärte am 10. Februar dem Zarenreich den Krieg. Im Januar 1905 nahm die japanische Armee Port Arthur ein, im März Mukden. Im Mai wurde die russische Ostseeflotte in der Straße von Tsushima vernichtend geschlagen. Der Friedensschluss erfolgte am 5. September 1905. Japan hatte eine europäische Großmacht besiegt.

Der am 20. April 1889 geborene Hitler besuchte während des Krieges die Real-schulen in Linz (1903/04) und in Steyr (1904/05). Nach eigenen Angaben war seine Haltung zum Russisch-Japanischen Krieg eindeutig: „Ich hatte dort bereits 3 Hitler, Mein Kampf, S. 318-319. Für den NS-Rassismus gegenüber Japan allgemein siehe auch: Furuya, Nazi Racism.

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aus mehr nationalen Gründen Partei ergriffen und mich damals beim Austrag unserer Meinungen sofort auf die Seite der Japaner gestellt. Ich sah in der Niederlage der Russen auch eine Niederlage des österreichischen Slawentums.“4

Unglaubwürdig ist dies kaum, auch nicht, dass nach dem japanischen Sieg die „deutschen“ Schüler (inklusive Hitler) gejubelt, die „tschechischen“ dagegen geweint hätten.5 Seine spätere Behauptung, dass er ab diesem Zeitpunkt ein Bündnis mit Japan angestrebt habe6, ist schon daher, dass der damals sechzehnjährige Österreicher eigentlich Künstler werden wollte, gegenstandslos. Sie zeigt allerdings die Bedeutsamkeit des Krieges für Hitlers Japanbild. Der unerwartete Sieg über die europäische Großmacht Russland nötigte ihm eine beträchtliche Bewunderung für Japan ab, das „auf verhältnismäßig billige Weise dabei den Ruhm einer Weltmacht“ gewonnen hätte.7 Was Hitler in der Folgezeit in stereotyper Art mit dem Krieg verband, war das Bild eines militärisch disziplinierten und kampfstarken Japans. Eine gewisse Achtung vor der japanischen Flotte lässt sich nicht nur in den 1920er und 1930er Jahren feststellen, sondern tauchte auch nach den japanischen Kriegserfolgen von Ende 1941 bis Frühsommer 1942 wieder auf und lässt sich noch im Juni 1943 erkennen: „Die Japaner, ja die haben heute das stärkste Schlachtschiff-geschwader der Welt.“8 Ebenso entstand der Stereotyp des „dem Russen“ in einem erneuten Konflikt ohne Frage überlegenen japanischen Soldaten. Nicht nur in den 1930er Jahren stellte dies Hitlers Standpunkt dar. Selbst noch im März 1943, nach der Niederlage von Stalingrad, hielt Hitler es für durchaus möglich, dass die extrem geheimhaltungsfreudigen Japaner für einen völlig überraschenden Entlastungsangriff in Ostasien rüsteten und kam zu dem Schluss: „Normalerweise hat der Japaner den Russen immer noch geschlagen, und bei annähernd gleicher Waffenausrüstung wird es auch wieder so sein.“9 Ein letzter, für Hitlers Ostasienbild relevanter Punkt war die diplomatische Alltagsweisheit, dass für Deutschland ein Sieg über das Zarenreich 1905 in einem Bündnis mit England besser gewesen wäre als die Niederlage im Ersten Weltkrieg. Die Rolle, die Japan in diesem Falle gespielt hätte, wurde nicht thematisiert. Dessen Beteiligung wurde also nicht als nötig erachtet, jedoch auch nicht generell abgelehnt.10 Die britisch-japanische Allianz von 1902 bis 1921/23 wiederum erkannte er jedoch, obwohl er sie „rassisch gedacht, vielleicht unver-antwortlich“ einschätzte, als staatspolitisch notwendig und daher akzeptabel an.

4 Hitler, Mein Kampf, S. 173.5 Hitler, Monologe, S. 64; Hitler, Herbst 1941, S. 37; Hamann, Hitlers Wien, S. 27-32.6 Hillgruber, Japan, Dok. 1. 7 Hitler, Hitlers zweites Buch, S. 172 (Zitat); Dietrich, Zwölf Jahre, S. 84; ADAP D, Bd. XII,1, Dok. 230.8 Hitler, Monologe, S. 177 und 402 (Zitat); Hitler, Mein Kampf, S. 300; Hitler, Reden, Bd. 4,3, S. 97.9 Hitler, Hitlers Lagebesprechungen, S. 176 (Zitat); Dietrich, Zwölf Jahre, S. 84; Hitler, Monologe, S. 269; Goebbels, Die Tagebücher, I, Bd. 3,2, S. 102; Bd. 6, S. 49; Speer, Erinnerungen, S. 135.10 Hitler, Mein Kampf, S. 155; Hitler, Hitlers zweites Buch, S. 172.

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Dieser rassistische Aspekt seines Ostasienbildes lässt sich jedoch erst ab seiner Haft in Landsberg (1924) sicher nachweisen. Vorher konstatierte er lediglich, dass aufgrund des auch in Japan auffindbaren Hakenkreuzsymbols „Arier“ die japanische Kultur begründet hätten. Dies wiederum mag auf die Lektüre von Schriften des völkischen Autors und Begründers der „Ariosophie“, Guido von List (1848-1919), während Hitlers Zeit in Wien zurückgehen. Zurück blieb dann allerdings das Bild eines kampfstarken Japans, das zuerst von England „benutzt“ worden war und das daher auch von Deutschland prinzipiell, wenn staatspolitisch notwendig, „benutzt“ werden durfte. Ebendies stellte für ihn später auch immer wieder die Rechtfertigung für sein Handeln dar.11

2. Zwischen I. Weltkrieg und Festungshaft in Landsberg (1918 bis 1924): Zweifelhaftes Lob für Japan bei allgemeinem Desinteresse

Abgesehen von der bereits genannten gewissen Bewunderung für die japanische Flotte und der zwiespältig betrachteten britisch-japanischen Allianz lassen sich keine relevanten Äußerungen zum Ersten Weltkrieg finden. Einen allzu großen Einschnitt stellte dieser für Hitlers Ostasienbild also nicht dar. Die erste bekannte Rede nach dem Weltkrieg, in der Hitler auch Japan erwähnte, fand im Dezember 1919 auf einer Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP, Vorläufer der NSDAP) statt. Hitler versuchte hier klar zu machen, dass Recht immer Macht unterliegen würde. Eines seiner Beispiele demonstriert jedoch, dass sein Allgemeinwissen bezüglich ostasiatischer Geschichte des 19. Jahrhunderts durchaus als rudimentär bezeichnet werden kann: „1834 ist der chinesische Handelsvertrag erloschen, 1840 benützt die Regierung schon die Gelegenheit, die Einfuhr von Opium zu verbieten. Japan bekriegte China deswegen, und Opium, das so gefährliche Gift, durfte wieder eingeführt werden.“12 Verzichtet man auf Kritik an der Datierung, dann bleibt immer noch das Problem, dass Hitler entgangen war, dass der Konflikt nicht zwischen China und dem damals noch abgeschlossenen Japan stattfand, sondern zwischen China und Großbritannien. Relevanter für Hitler war jedoch zu dieser Zeit, mit welchen Mächten Deutschland im Verlauf des Ersten Weltkrieges einen Konflikt hätte vermeiden können, und mit welchen nicht. Hier konstatierte er wiederholt, dass die Auseinandersetzung mit Japan (sowie Rumänien, Serbien, Russland, USA etc.) politisch vermeidbar gewesen wäre. Erwähnung fanden auch die diplomatischen Spannungen, die zwischen den USA und Japan bestanden hätten und immer noch bestünden, und die ein weiterer Verweis wären, wie gut es die Außenpolitik des Deutschen Kaiserreiches verstanden hätte, sich zwei eigentlich verfeindete 11 Hitler, Mein Kampf, S. 722 (Zitat); Speer, Erinnerungen, S. 135; Hitler, Hitlers Tischgespräche, S. 310; Hitler, Sämtliche Aufzeichnungen, S. 186; Hamann, Hitlers Wien, S. 300-301.12 Hitler, Sämtliche Aufzeichnungen, S. 96.

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Mächte beide zu Gegnern zu machen.13 Prinzipielle Interessenkonflikte mit Japan sah Hitler nirgendwo. Die Idee der zwei einander in ihren Interessen-gebieten nicht überschneidenden Länder wurde dann auch zu einem dauerhaften Faktor in Hitlers politischem Handeln. Hitler sprach nicht nur oft von diesem Vorteil in den deutsch-japanischen Beziehungen, sondern zeigte auch kein ernst gemeintes Interesse an einem Rückerwerb der deutschen Kolonien in Ostasien und der Südsee. Der Dreimächtepakt (1940) teilte die Welt in Einflusszonen ein und ein Anspruch auf ganz Russland war daher ebenfalls nicht vorgesehen.14

Auch Hitlers zunehmender Antisemitismus beeinflusste sein Japanbild. Im Rahmen der Washingtoner Konferenz (1921/22) hatte Japan unter anderem einer Begrenzung seiner Flotte auf etwa drei Fünftel der Royal Navy bzw. US-Navy zugestimmt. Hitler schloss daraus, dass das „Weltjudentum“, nachdem Deutschland besiegt worden sei, nun vorhabe, den „noch verbliebenen unabhängigen Nationalstaat Japan zu erdrosseln“. Anfang der 1920er Jahre begann Hitler daher mit der Einstufung der Japaner im Vergleich zu „Ariern“ und Juden, die schlussendlich in der eingangs erwähnten Einschätzung ersterer als „kulturtragend“ endete. „Ariern“ zwar unterlegen, würden sie aber auch keine „Kulturzerstörer“ oder „Bolschewisten“ darstellen. Aus diesem Grund rühre die Feindschaft der Juden.15 Die Einteilung war zwar nicht schmeichel-haft, andererseits jedoch, im Sinne von Hitlers Antisemitismus, ein gewisses Lob Japans. Dass Hitler allerdings Anfang der 1920er Jahre ein tiefer gehendes Interesse an Ostasien besessen oder gar ein Bündnis mit Japan propagiert hätte, lässt sich nicht feststellen.

3. In Landsberg und im Münchner Café Heck: Hitler zwischen Hanfstaengl, Haushofer und Hess

Am 9. November 1923 endete der bereits am Vorabend aus den Fugen geratene Putschversuch der NSDAP im Feuer der bayerischen Bereitschaftspolizei. Hitler, Rudolf Hess (damals Student in München und späterer „Stellvertreter des Führers“) sowie einige andere Rädelsführer wurden zu Festungshaft verurteilt. Politische Agitation war nun zwar nicht möglich, dafür aber ausgiebige Buchlektüre. Wohl angeregt durch Hess beschäftigten sich Hitler, und wohl auch die anderen Häftlinge, mit Japan-Literatur und geopolitischen Konzepten (z.B. „Lebensraum“) von Hess’ Professor in München und väterlichem Freund, dem japanophilen Geopolitiker und Befürworter einer deutsch-russisch-japanischen Allianz, Generalmajor a.D. Karl Haushofer (1869-1946).16

13 Hitler, Sämtliche Aufzeichnungen, S. 97, 135, 333, 857, 882-883, 885 und 968.14 Goebbels, Die Tagebücher, I, Bd. 9, S. 359; ADAP D Bd. XI,1, Dok. 118; Hitler, Monologe, S. 240 und 269-270; Hitler, Hitlers Tischgespräche, S. 156 und 293; Hitler, Staatsmänner, Bd. 1, S. 59; Bd. 2, S. 549.15 Hitler, Sämtliche Aufzeichnungen, S. 528 (Zitat) und 1025; Hitler, Mein Kampf, v.a. S. 317-320 und 358.16 Hess, Briefe, S. 328 und 345; Spang, Karl Haushofer, S. 144.

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Folge war wohl ein mehrmonatiger Vermischungsprozess von Haushofer’schen Japan-Weisheiten zu Religion, soldatischer Tugend, Raumnot etc. mit Hitlers bisherigem Japanbild, dessen Ergebnis sich dann in „Mein Kampf“, mit dessen Verfassen Hitler in Landsberg begann, niederschlug. Sowohl Hitlers längere Äußerungen zur japanischen Kampfkraft und zur britisch-japanischen Allianz, wie auch die im Rahmen seines Antisemitismus durchaus positive Rassen-einstufung Japans, passen hierzu. Zunächst ist bezüglich Hitlers Japanbild aber noch zu bedenken, dass er für Völker wie Inder und Ägypter, die er ebenfalls nicht als kulturschaffende ‚Arier‘ betrachtete, nur Verachtung aufbrachte.17 Im Falle Japans wird das Bild der nur „kulturtragenden“ Rasse jedoch mit dem des „Judenopfers“ (seit der Washingtoner Konferenz bestehend) nun unmittelbar vermengt und enthielt „Judenresistenz“ als integralen Bestandteil: „Nun weiß der Jude zu genau, daß er in seiner tausendjährigen Anpassung wohl europäische Völker zu unterhöhlen (…) vermag, allein einem asiatischen Nationalstaat von der Art Japans dieses Schicksal kaum zuzufügen in der Lage wäre.“ Zum „gelben Asiaten“ würden ihm „die Brücken“ fehlen. So lange aber noch ein freier Staat bestünde, hielt Hitler ein „jüdisches Weltsatrapenreich“ für nicht möglich. Die Agitation der britisch-jüdischen Presse würde zudem in britischen Politikerkreisen, die an einer neuen Allianz mit Japan interessiert seien, für Verärgerung sorgen und England zur Besinnung bringen.18 Hitler bescheinigte Japan auf diesem Weg nicht nur eine bedeutsame Rolle im Kampf gegen „den Juden“, der Japan zudem nicht von innen manipulieren könne, sondern er stellte die japanische Situation auch mit der deutschen gleich. Ein national gesinntes England wird als weiterer Partner und (über dessen zu verlängernde Allianz mit Japan) als Bindeglied zu letzterem gesehen. Hinzu kommt noch, dass Hitler die USA als den wirklichen Hauptfeind des britischen Empire einschätzte.19 Die japanisch-amerikanischen Spannungen würden so als Stütze einer neuen Allianz wirken.20 Eine deutsch-englische Allianz (die mit Italien noch ergänzt werden könnte) wäre damit für Hitler auch mindestens eine indirekte Allianz mit Japan.Verwunderlich ist darum kaum, wenn Ernst „Putzi“ Hanfstaengl (damals enger Vertrauter Hitlers, 1931 Auslands-Pressechef, 1937 ins Ausland geflohen) berichtete, Hitler habe ihm gegenüber Ende 1924, kurz nach der Haftentlassung, eine Allianz mit Japan gefordert: „Allein im Bündnis mit dem fleißigen, soldatisch empfindenden und rassisch unverdorbenen Volk der Japaner, das ebenso wie das deutsche Volk ‚ohne Raum’ und mithin unser natürlicher Partner 17 Hitler, Mein Kampf, S. 746-747.18 Hitler, Mein Kampf, S. 723-724 (Zitate: 723); Hitler, Reden, Bd. 1, S. 291-293.19 Hitler, Mein Kampf, S. 722.20 Die Annahme eines auf Dauer „unvermeidlichen“ Krieges zwischen den USA und Japan war zu dieser Zeit in Deutschland nichts Ungewöhnliches: Sprotte, Between Admiration, S. 47-48. Freundlicher Hinweis von eben-diesem.

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im Kampf mit dem bolschewistischen Moskowitertum ist, können wir Deutsch-land in eine neue Zukunft führen.“ Frankreich sei schließlich der Erzfeind, die USA dekadent und die UdSSR als Bündnispartner unmöglich. Nicht erwähnt, und damit bündniskompatibel, waren England und Italien. Hanfstaengl, mit den USA und Japan besser vertraut als Hitler, habe allerdings immer wieder versucht Hitlers Japan-Stereotypen zu revidieren. Die damit verbundene Geringschätzung der USA hielt er für hochgefährlich. Er habe Hitler daher in der Folgezeit bei zahlreichen Gesprächen im Café Heck in München zu einer Reise unter anderem in die Vereinigen Staaten geraten, um Hitlers Horizont zu erweitern. Hitler sei jedoch völlig desinteressiert gewesen, habe aber kundgegeben, sehr gerne Japan besuchen zu wollen. Gründe seien wieder der soldatische Geist und der ihm sympathische Idealismus gewesen. Hanfstaengl habe jeweils mit ökonomischen Faktoren wie Ideenklau und Konkurrenz auf dem Weltmarkt gekontert. Hitler sei von „materialistischen“ Argumenten allerdings nicht wirklich beeindruckt gewesen: „Dabei kommt es in der Weltpolitik darauf an, daß man Verbündete hat, mit denen man weltanschaulich an einem Strange zieht. Wir Deutschen sind nun einmal dazu verurteilt, soldatisch zu denken, und sollten deshalb froh sein, unsere Anschauungen in Japan wiederzufinden.“ Eine Reise nach Japan oder auch England habe Hitler schlussendlich aus Zeitgründen abgelehnt. Hanf-staengl gab den Kampf jedoch offenbar nicht auf. In der Folgezeit bemühte er sich durch Gespräche und auch durch das Einladen von Deutschen, die einige Zeit in Ostasien verbracht hatten, Hitlers durch Hess, Haushofer und verschie-dene Haushofer-Anhänger beeinflusstes Japanbild zu relativieren.21

In der Öffentlichkeit forderte Hitler auch zunächst keine Allianz mit Japan. Man kann daher annehmen, dass Hanfstaengl gewisse Erfolge erzielt hatte und Hitler noch zwischen Hanfstaengl auf der einen Seite und Hess sowie Haushofer auf der anderen schwankte. Das öffentliche Propagieren einer Allianz mit Japan machte schlussendlich geographisch aber auch nur dann Sinn, wenn zudem eine Allianz mit Russland vorgesehen war, um die Verbindung zu garantieren. Hauptfeinde einer solchen, von Haushofer befürworteten, für Hitler aber uninter-essanten Konstellation wären die angelsächsischen Mächte. Der Alternative, einer Allianz gegen die Sowjetunion, mangelte es eklatant an geographischen Voraussetzungen. Lässt man die Seeschlachten, die die japanischen Truppen- und Versorgungstransporte absicherten, außer Acht, war der Russisch-Japanische Krieg ein Landkrieg im Grenzbereich der japanischen Einflusszone (Korea) und der russischen Einflusszone (Mandschurei). Während der 1920er Jahre existierte jedoch keine lange Landgrenze zwischen Japan und Russland. Japan war damit als Faktor gegen die UdSSR und zur Entlastung Deutschlands relativ uninter-21 Hanfstaengl, Zwischen Weißem und Braunem Haus, S. 92-93, 168 (1. Zitat), 176-178 (2. Zitat: 177) und 211-212; Hanfstaengl, Hitler, S. 73-74, 121, 124, 133-135 und 153. Hanfstaengls Japan-Äußerungen sind oft sehr detailliert und werden stellenweise durch andere Quellen bestätigt, weshalb sie als glaubwürdig eingestuft werden können.

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essant. Für beide Allianzideen ist darüber hinaus noch zu bedenken, dass zwischen Deutschland und der Sowjetunion Polen lag. Es kann jedoch angenommen werden, dass sich Hitlers Japanbild trotz Hanf-staengls Einwirken insgesamt verbesserte und sich die Stereotypen von militärischer Schlagkraft und Idealismus, aber auch „rassisch“ bedingter „Juden-resistenz“, verhärtet hatten. Hitler konstatierte zum Beispiel noch im April 1945, es stehe fest, „daß Deutschland seine zuverlässigsten Freunde immer unter den Völkern gewinnen wird, die gegen das jüdische Gift aus ihrer Wesensart heraus gefeit sind. Ich bin überzeugt, daß die Japaner, die Chinesen und die islamischen Völker uns immer näher stehen werden als etwa Frankreich, und das trotz der zwischen uns bestehenden Blutsverwandtschaft.“22 Ebendiese beiden Japan-Stereotypen stellten auch einige derjenigen dar, derer sich die NS-Propaganda gern bediente.23

Hanfstaengl hielt es zudem für möglich, dass Hitlers Beschäftigung mit Japan dazu führte, dass er bei schweren Verfehlungen seiner Untergebenen von diesen eine Art von „harakiri“ (genau genommen seppuku), also rituellen Selbstmord, erwartet habe. Betroffene Personen seien Hitlers Nichte Geli Raubal (Promiskuität, 1931), Gregor Strasser (Versuch der Partizipation im Kabinett Schleicher als Vizekanzler mit möglicher Parteispaltung, 1932) und Ernst Röhm (Homosexualität und angeblicher Putschversuch, 1934) gewesen. Mindestens letzterem wurde ein Revolver zur Verfügung gestellt, um sich damit selbst zu richten. Hitler stand zwar „harakiri“ bei befleckter Ehre 1942 nicht unauf-geschlossen gegenüber und hatte die Stellen in der Haushofer’scher Japan-literatur möglicherweise schon während der Festungshaft gelesen. Ob dies dann aber der Grund, oder nicht eher nur ein beitragender Faktor war (wobei im Fall von Geli Raubal auch unklar ist, ob Hitler ihren Tod überhaupt wünschte), bleibt mangels Quellen offen.24

4. Die zweite Hälfte der 1920er:Antipathie für China bei gewisser Sympathie für Japan

Während China in „Mein Kampf“ quasi keine Rolle spielte, lässt sich ab 1927 ein sehr negatives Chinabild feststellen. Sprach Hitler von dem Unterschied zwischen „Ariern“ und nur „kulturtragenden Rassen“, was er relativ oft tat, nannte er als Beispiel fast jedes Mal Chinesen (oder Schwarze, die allerdings noch negativer eingestuft wurden), Japaner dagegen nur in einigen seltenen Fällen: „Die ganze Weltkultur ist restlos durch Arier geschaffen. Japan nimmt 22 Hitler, Hitlers politisches Testament, S. 123 (Zitat); Hitler, Monologe, S. 280; Hitler, Hitlers Tischgespräche,S. 107, 184 und 210; Hitler, Hitlers zweites Buch, S. 132. Siehe auch Fußnote 8.23 Siehe u.a. Orbach, Japan; Maltarich, Samurai; Friese, Das deutsche Japanbild.24 Hanfstaengl, Hitler, S. 168 (Zitat); Hitler, Hitlers Tischgespräche, S. 397; Haushofer, Dai Nihon, S. 29 und 36-39. Zu den drei Fällen: Kershaw, Hitler, Bd. 1, 444-447, 491-500 und 646-650.

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heute die Kultur auf, aber japanisch; es hat sie nicht geschaffen. Man kann nicht sagen, die Japaner haben die Dampfmaschinen und Schiffe geschaffen. Man kann deshalb nicht sagen, die Menschen seien gleich.“ Betont wurde damit auch, dass die „arische“ Kultur jeweils in eine eigene, ostasiatische Form abgewandelt würde. Moderne ostasiatische Kunst lehnte er dementsprechend ab. Die frühere chinesische Kunst und Kultur sei dagegen die von eingedrungenen „Ariern“ gewesen, welche langsam in der indigenen, „kulturtragenden“ Bevöl-kerung aufgegangen seien: „Als dann diese dünne nordische Oberschicht verschwand, z.B. die Mandschus, war es mit der dortigen Kunst zu Ende.“25

An diesem schon angesprochenen Stereotyp der nur „kulturtragenden“ Ostasiaten hielt er bis kurz vor seinem Tod fest. Erst im Frühjahr 1945 änderte sich möglicherweise seine Einschätzung: „Ich war nie der Meinung, daß etwa Chinesen und Japaner rassisch minderwertig wären. Beide gehören alten Kulturen an, und ich gebe offen zu, daß ihre Tradition der unsrigen überlegen ist. Sie haben allen Grund, darauf stolz zu sein, genau wie wir stolz sind auf den Kulturkreis, dem wir angehören. Ich glaube sogar, daß es mir umso leichter fallen wird, mich mit den Chinesen und den Japanern zu verständigen, je mehr sie auf ihrem Rassenstolz beharren.“26 Schwierig zu beurteilen ist, was Hitler genau unter „rassisch minderwertig“ verstand. War dies im Sinne eines Vergleiches mit seinem Bild von Juden oder Schwarzen gemeint, wirkt es glaubhaft. Bedeutete es eine Gleichstellung mit „Ariern“, waren mindestens die ersten Worte gelogen. Der restliche Wahrheitsgehalt ist dann ebenfalls proble-matisch, da die Aussage an die Nachwelt gerichtet war. Eine rein private Äußerung, die einen Wandel seines Ostasienbildes zeigen würde, wäre glaub-hafter. Andererseits hatte Japan bei weitem länger als Hitlers europäische Verbündete standgehalten. China wiederum kämpfte immer noch gegen Japan an (bzw. im Fall von übergelaufenen Truppen auf Seiten Japans). Dies bedeutete ohne Frage einen großen Respektgewinn. In seinen letzten Wochen hielt er schließlich auch den finalen Sieg der „gelben Rasse“ über die seiner Meinung nach niedergehende „weiße Rasse“ samt Umkehrung der Kolonialverhältnisse für möglich.27

Bemerkenswert ist außerdem, dass Hitler sich während des Zweiten Weltkrieges bei weitem stärker als die Kriegsmarine (oder andere relevante Stellen) dafür einsetzte, deutsche Technik, Prototypen von Waffen, Experten etc. nach Japan zu bringen.28 Man kann in diesem Zusammenhang durchaus vermuten, dass sein Rassismus einer der Gründe hierfür war. Der ostasiatische Verbündete konnte in 25 Hitler, Reden, Bd. 2,1, S. 252, 381 und 398; Bd. 2,2, S. 493, 627 und 776 (1. Zitat); Bd. 3,1, S. 132; Bd. 3,2, S. 60; Bd. 3,3, S. 205; Strasser, Ministersessel, S. 8 (2. Zitat); Strasser, Hitler, S. 132-133 (identisch mit 2. Zitat)26 Hitler, Hitlers politisches Testament, S. 66 (Zitat); Hitler, Hitlers Tischgespräche, S. 190; Hitler, Monologe, S. 180-181.27 Hitler, Hitlers politisches Testament, S. 125.28 Krug, Reluctant Allies, S. 186, 190, 201 und 228.

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Hitlers Japanbild die Erfindungen etc. ja nicht selbst machen bzw. am Laufen erhalten. Folge wäre dann aber eine, aus realpolitischen Gründen unbedingt zu vermeidende Schwächung von dessen militärischer Schlagkraft.Wenig positiv sah Hitler die kommunistischen Agitationen in China. Japan dagegen blieb für ihn, wie schon in „Mein Kampf“, das Opfer der jüdischen Presse. Daher polemisierte er gegen das noch im 19. Jahrhundert populär gewordene Schlagwort der „gelben Gefahr“. Die in London Anfang 1930 beginnende Flottenkonferenz, die keine Verbesserungen für Japan vorsah, interpretierte Hitler wieder als Keim einer neuen britisch-japanischen Allianz. Die englisch-amerikanischen Spannungen seien langfristig nicht zu über-brücken und London könne im Zweifelsfall auf Tokyo zählen. Im November 1930 schließlich forderte er zum ersten Mal öffentlich den eher kurzfristigen Aufbau einer Japan involvierenden, großen internationalen Allianz gegen die Sowjetunion: „Ich halte gerade wegen dieser Gefahr [=Misstrauen in Europa bei Allianz z.B. nur mit Frankreich] eine Einbeziehung von England, Italien, Amerika und Japan in die Front des antibolschewistischen Widerstandes von vorneherein als absolut unerläßlich.“ Die embryonale Idee eines anti-kommunistischen Paktes sah den Zusammenschluss und die „Faschistisierung“ der europäischen Großmächte vor, während die USA und Japan in lockerer Form partizipieren sollten.29 Der Antikominternpakt von 1936 blieb allerdings stark hinter diesen Plänen zurück. Da unter anderem Frankreich und, zu Hitlers großer Verärgerung, England nicht teilnahmen (geschweige denn eine neue britisch-japanische Allianz geschlossen wurde), trat genau der Fall des wachsenden Misstrauens ein.Während Hitlers Rassismus und Antisemitismus ihm Japan deutlich sympathischer machten als China, traf die krude wirtschaftliche Dimension seines Ostasienbildes letzteres dann noch mit voller Härte. Hitler gab zum ersten Mal Anfang 1928 seine Ansicht kund, dass die Industrialisierung des Reiches der Mitte (wie auch die Indiens und der Sowjetunion) durch internationale Absprachen der Industrienationen aufgehalten werden müsste. Anstatt nur Fertigwaren zu verkaufen würden derzeit ganze Fertigungsanlagen geliefert. Eine solche Industrialisierung würde aber auf Dauer den Wegfall des Landes als Absatzmarkt bedeuten. Niedrigere Löhne und Lebenskosten in China, Indien etc., wo man sich so selbst gefährliche Konkurrenz schaffe, würden schluss-endlich negativ auf die Volkswirtschaften der bisherigen Industriemächte zurückwirken. Hinzu kommt noch, dass Hanfstaengls wirtschaftliche Argumente gegen Japan offenbar eine gewisse allgemeine Wirkung bei Hitler erzielt hatten. Er lehnte Hochschulunterricht, der durch Weitergabe von Wissen zu einer Schwächung der deutschen Weltmarktposition führen konnte, ab: „Schlitzäugige 29 Hitler, Reden, Bd. 2,1, S. 369; Bd. 2,2, S. 851; Bd. 3,2, S. 41; Bd. 3,3, S. 42-46; Bd. 4,1, S. 71-73 (1. Zitat: 71, 2. Zitat: 72).

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Studenten, Ingenieure, Baumeister usw. lernen und schnüffeln bei uns, und in China, Japan usw. baut und schafft man nach deutschem Vorbild.“30

Zunächst ist zu bemerken, dass die Äußerungen wie erwähnt bereits 1928, also vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise (1929), begannen und Hitlers Gedanken somit von dieser unabhängig waren. Nach der „Machtergreifung“ finden sich erwartungsgemäß keine öffentlichen Äußerungen mehr in dieser Form. Allerdings teilte Hitler zum Beispiel 1935 dem französischen Automobil-hersteller Renault bei einem Gespräch in der Reichskanzlei mit, dass er die Industrialisierung Chinas, Japans, Indiens etc. für einen Fehler hielt.31 Aufge-geben hatte Hitler den Plan also keineswegs. Dass er in diesem Zusammenhang auch Japan erwähnt, ist nicht verwunderlich. Japan stellte immerhin einen wirtschaftlichen Konkurrenten Deutschlands dar, was es ohne erfolgte Industria-lisierung ganz offensichtlich nicht geworden wäre. Da er Japan aber in den Kreis der Industrienationen einordnete, konnte hier nicht mehr allzu viel verhindert werden. Die wirtschaftliche Dimension seines Ostasienbildes fiel damit auch eindeutig zu Lasten Chinas aus.Es ergibt sich als Konsequenz, dass in Hitlers Ostasienbild allein Japan eine wirkliche Chance als Bündnispartner besaß. Sieht man vom Rassismus ab, der beide Länder betraf, wurde Japan militärisch und ideologisch insgesamt positiv bewertet. Wirtschaftlich besaß es die nötige Stärke, um direkt als Verbündeter nützlich sein zu können. Eine Allianz mit China dagegen würde erst langfristig Wirkung zeigen, da es zunächst in ausreichendem Grade industrialisiert werden müsste. Gerade dieser Industrialisierung stand Hitler aber negativ gegenüber. Der Großteil der Reichswehr betrachtete allerdings China als den interessanteren Partner und intensivierte die Zusammenarbeit in der ersten Hälfte der 1930er Jahre. Hitler ließ die Ausbildung von chinesischen Offizieren in Deutschland, das Wirken deutscher Berater in China und den Handel von Waffen und Fertigungsanlagen gegen aufrüstungsnotwendige Rohstoffe und Nahrungsmittel zunächst aus realpolitischen Gründen, wenn auch nur widerwillig, gewähren. Mit der Eroberung der chinesischen Hauptstadt Nanking im Dezember 1937 durch Japan sah Hitler diese realpolitischen Gründe, die gegen den rein pro-japanischen Kurs zum Beispiel seines außenpolitischen Beraters Joachim von Ribbentrop sprachen, wegfallen. In der ersten Hälfte 1938 wurden in rascher Folge die Berater samt deutschem Botschafter ins Reich zurückgerufen, der Handel stark verringert und das von Japan abhängige Kaiserreich Mandschukuo anerkannt. Zuvor war im Rahmen der „Blomberg-Fritsch-Krise“ vom 4. Februar

30 Hitler, Reden, Bd. 2,2, S. 616; Bd. 3,2, S. 210 (Zitat); Bd. 4,1, S. 193; Bd. 5,1, S. 313-314; Hitler, Hitlers zweites Buch, S. 60.31 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Bd. 2,1, Dok. 100.

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Kriegsminister Blomberg nach einer unstandesgemäßen Heirat auch deshalb nicht gehalten worden, weil er sich der NS-Japanpolitik widersetzt hatte.32 Die Entscheidung war maßgeblich durch die anfänglichen japanischen Siege im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg zustande gekommen. Es ist jedoch stark anzunehmen, dass Hitler auch ohne die japanischen Siege China ohne weiteres fallen gelassen hätte, wenn dies die Voraussetzung für eine weitere Annäherung an Japan gewesen wäre. Der Zeitpunkt wäre wohl nur später gewesen.

5. Die Eroberung der Mandschurei, 1931-1932:Hitlers Angebot der gegenseitigen Unterstützung

Von September 1931 bis Februar 1932 eroberte die japanische Kwantung-Armee die Mandschurei. Anlass war ein selbst inszenierter Bombenanschlag auf die sich in japanischem Besitz befindliche Südmandschurische Eisenbahn („Mukden-Zwischenfall“), die tiefer liegenden Gründe unter anderem eine zunehmende Radikalisierung in der Armee sowie das Streben nach den Rohstoffen des ostasiatischen Festlandes. Der dortige chinesische warlord wurde vertrieben und am 18. Februar 1932 der neue, von Japan abhängige Staat Mandschukuo gegründet. Das japanische Verhalten erweckte allerdings internationale Kritik, zumal China den Völkerbund um Hilfe angerufen hatte.Hitlers Haltung lässt sich anhand einiger Presseinterviews nachvollziehen. Mitte November, also etwa zwei bis drei Wochen nach Beginn der Kämpfe, sprach Hitler mit Harold Callender von der New York Times. Das Interview ging auf eine Initiative von Auslands-Pressechef Hanfstaengl zurück und Ziel war, das internationale Ansehen Hitlers etwas aufzubessern. Hitler hielt sich, zumindest ausgehend vom Zeitungsartikel, offenbar im Großen und Ganzen an Hanf-staengls Ratschläge. Bezüglich der Ereignisse in Ostasien gab er wieder einmal gewisse Verachtung für den Völkerbund preis, ergriff jedoch weder für die japanische noch für die chinesische Seite Partei.33 Es erscheint allerdings unrea-listisch, dass Hitler wirklich keine Entscheidung getroffen hatte. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass er seine pro-japanische Haltung schlicht aufgrund von Hanfstaengls Ratschlägen zurückhielt, da diese in den USA ohne Frage Miss-billigung erfahren hätte, zumal die Kämpfe noch kein Ende gefunden hatten.Für diesen Gedanken spricht, dass Hitlers bisheriges Japanbild sich für ihn ohne Zweifel bestätigt hatte und in den folgenden Monaten weiter bestätigte. Sein Stereotyp des von soldatischem Geist beseelten Japaners war zufrieden gestellt worden, zumal der vereinzelte chinesische Widerstand letztlich schnell gebrochen wurde und so eine Rückkehr zum status quo ante sehr unrealistisch 32 Rosenberg, Letzte Aufzeichnungen, S. 222; Zoller, Hitler privat, S. 156-157. Zu den Beratern etc. siehe u.a. Martin, Die deutsche Beraterschaft.33 Hanfstaengl, Hitler, S. 175; Hitler, Reden, Bd. 4,2, S. 301.

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schien. Der japanische Wille zur Revision der bestehenden internationalen Ordnung durch eine gewaltsame Eroberung von „Lebensraum“ wurde ebenso demonstriert. Zudem war anzunehmen, dass eine lange Grenze zur Sowjetunion im Entstehen begriffen war.Für den Gedanken spricht außerdem, dass Hanfstaengl Hitler Ende Dezember bei einem Interview mit der Tokyo Nichi Nichi Shinbun (東京日日新聞 ) nicht mehr zurückhalten konnte. Aber bereits zuvor, Mitte Dezember, hatte Hitler bei einem Gespräch mit Journalist Kuroda (黒田) von der Asahi Shinbun (朝日新聞) im Braunen Haus in München eindeutig Stellung bezogen: „Für meine Partei, die bald die Macht in Deutschland ergreifen wird und dann weder das alte Kaiserreich wiederherstellen, noch die bisherige Republik fortsetzen, sondern ein neues Drittes Reich begründen wird, ist ihre Stellungnahme gegenüber Japan allein bedingt durch den Grad der Unterstützung, die sie in ihrem Kampf um die Revision des Versailler Vertrages durch Japan erhalten wird.“

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Artikel von Kuroda in der Asahi Shinbun vom 3. Januar 1932

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Hitler gab zudem kund, dass er aus der NS-Ideologie heraus Großbritannien und Italien als potentielle Freunde, Frankreich und die Sowjetunion als Feinde sehe. Als Begründung für seine Haltung gab er an, dass er „Japan den Japanern“ zugestehe, da er ja auch „Deutschland den Deutschen“ fordere. Die Mandschurei betrachtete er in diesem Zusammenhang als für die Fortexistenz des japanischen Staates lebenswichtig. Daher könne man auch das japanische Vorgehen mit dem französischen 1923 im Rahmen der Ruhrbesetzung nicht vergleichen. Frankreich habe durch den Einmarsch Forderungen Nachdruck verleihen wollen, die mit dem Ruhrgebiet in keinem Zusammenhang gestanden hätten. Der japanische Einmarsch in die Mandschurei diene allerdings der Verteidigung der japanischen Rechte ebendort. Die Anrufung des Völkerbundes durch China missbilligte er erneut.34 Hitler hatte damit öffentlich den chinesischen Standpunkt wie auch den des Völkerbundes ignoriert und sich für Japan entschieden. Das Angebot eines politischen Geschäftes konnte sich von gegenseitiger diplomatischer Unter-stützung bis zu einem Bündnisvertrag erstrecken. Japan stand damit, sollte es das Angebot annehmen, prinzipiell neben England und Italien.

Bei dem bereits kurz erwähnten Interview mit der Tokyo Nichi Nichi Shinbun war Hanfstaengl erneut als Englisch-Übersetzer anwesend, als gegen Ende Dezember Momo Minosuke (百々巳文 ; 1898-1961) Hitler in dessen Privatwohnung in München aufsuchte. Momo hatte 1926 die Nihon Universität in Tokyo absolviert (an der er später arbeitete) und war anschließend nach Europa gekommen. Während er ca. fünf Jahre in Berlin eingeschrieben war, erkundete er offenbar durch zahlreiche Reisen die gegen-wärtige politische Situation in einer Vielzahl europäischer Länder. Später stellte er in einer Fülle an Schriften vor allem das „Dritte Reich“ in Japan positiv genug vor, um ein Ehrenzeichen des Roten Kreuzes verliehen zu bekommen und im Januar 1937 (also recht kurz nach Abschluss

des Antikominternpaktes Ende November 1936) erneut von Hitler zu einem Gespräch empfangen zu werden. Themen seiner Bücher und Aufsätze waren zum Beispiel die Hitlerjugend, SS-Ordensburgen, die führenden NS-Politiker, das Judentum und die NS-Außenpolitik.35 34 Hitler, Reden, Bd. 4,3, S. 12-13 (Zitat: 12).35 Hitler, Reden, Bd. 4,2, S. 302; Hanfstaengl, Hitler, S. 174-175; Hanfstaengl, Zwischen Weißem und Braunem Haus, S. 251-252; Yomiuri Shinbun, 26. 2. 1936 (Abendausgabe), S. 4; Saitō, Momo, S. 149-153 (In dem Text,

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Erstes Treffen von Hitler und Momo, 1931

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Das Gespräch zwischen Hitler und Momo verlief offenbar ausgesprochen positiv. Laut Hanfstaengl hätten Hitler und Momo sich mit Komplimenten gegenseitig quasi überschüttet. Wie zu erwarten basierten Hitlers Komplimente auf seinem durch den Russisch-Japanischen Krieg und Haushofer-Lektüre entstandenen Stereotyp der „soldatischen Japaner“. Samurai-Tradition, Shinto-ismus und damit verbundene physische und psychische Härte etc. wurden gepriesen. Ferner stünde Deutschland die Führung Europas zu und Japan die Ostasiens, wo Deutschland keine Interessen besäße. Nach der „Macht-ergreifung“ würden die japanischen Rechte dort (also zunächst die absehbare Vorherrschaft über die Mandschurei) von deutscher Seite anerkannt werden. Japan sollte sich dann für Deutschland in Europa einsetzen. Der schlussendliche Artikel in der Tokyo Nichi Nichi Shinbun enthielt diese Aussagen jedoch nicht. Hitler polemisierte dort lediglich gegen den Young-Plan, verkündete, dass nach einer „Machtergreifung“ keine Reparationen mehr gezahlt würden und bestritt, dass das NS-Fliegerkorps eine Partei-Luftwaffe sei. Es lässt sich annehmen, dass Momo eine lange Version des Gesprächs an das japanische Außenministerium schickte, jedoch nur eine kurze an die Zeitung, bei der er nicht fest angestellt war.36 Für Hitlers Ansehen in den meisten Ländern schädliche Gerüchte, er wolle NS-Freikorps in die Mandschurei entsenden37, dürften daher ihren Ursprung in dem Artikel der Asahi Shinbun gehabt haben. Im Folgejahr 1932 waren die überaus zahlreichen Wahlkämpfe offenbar wichtiger als die politische Entwicklung in Ostasien. Hitler hatte jedoch in beiden Interviews seinem jeweiligen Gegenüber dieselbe eindeutige Botschaft kommuniziert. Seine Einstellung gegenüber Japan sei prinzipiell gut, das expansive Vorgehen in der Mandschurei werde begrüßt und die Einteilung der Welt in Interessensphären wurde offeriert. Hervorstechend ist jedoch das Angebot der gegenseitigen Unterstützung, abgezielt auf die Revision des status quo. Seit dem Ersten Weltkrieg bestanden zwar (die uninteressante Frage der deutschen Kolonien außer Acht gelassen) keine Probleme, jedoch auch keine wirklichen Anknüpfungspunkte zwischen Deutschland und Japan. Erst das japanische Vorgehen in der Mandschurei lieferte einen konkreten Ansatzpunkt, an dem Hitler außenpolitisch, in Form der verkündeten Anerkennung des japanischen Rechtes auf die Mandschurei, ansetzen konnte.

der möglicherweise in recht kurzer Zeit verfasst werden musste, lassen sich bei Abgleich mit anderen Quellen mehrere Datierungsungenauigkeiten, in dem sich fast direkt anschließenden chronologischen Lebenslauf Momos sowie dessen Publikationsverzeichnis einige Lücken feststellen).36 Hanfstaengl, Hitler, S. 174-175; Hanfstaengl, Zwischen Weißem und Braunem Haus, S. 251-252. Aufgrund der zeitlichen Nähe der beiden Interviews mit japanischen Zeitungen ist es theoretisch möglich, dass Hanfstaengl sie vermischt haben könnte. Details zu Momo und dem Interviewort sprechen jedoch dagegen. Unabhängig davon ergäben sich für die Einschätzung von Hitlers Haltung keine Folgen.37 Fox, Germany, S. 13.

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Diese Möglichkeit wurde dann auch von der NS-Außenpolitik quasi sofort ergriffen. Nachdem die dringendsten innenpolitischen „Probleme“ gelöst waren, beauftragte Hitler im Herbst 1933 den neuen Botschafter in Tokyo, Herbert von Dirksen, die Anerkennung Mandschukuos gegen eine wirtschaftliche Sonderstellung Deutschlands ebendort anzubieten. Dieselbe Linie, lediglich auf privater Basis, verfolgte daneben auch das Außenpolitische Amt der NSDAP. Schlussendlich instruierte Hitler noch zusätzlich 1933 oder Anfang 1934 Ribbentrop, Kontakt zu Japanern aufzubauen.38 Die Mandschurei-Pläne scheiterten dann allerdings bis 1938 an der Haltung des Auswärtigen Amtes. Zunächst musste die NSDAP sich mit den Möglichkeiten, die sich aus der Festlandgrenze Mandschukuo-UdSSR ergaben, in Form des Antikominternpaktes begnügen. Der Wahrheitsgehalt von Hitlers Interview-Aussage von 1931, diplomatische Geschäfte mit Japan zur Revision des status quo beginnen zu wollen, steht jedoch außer Frage.

Fazit

Hitlers Interesse an Japan war im Rahmen des Russisch-Japanischen Krieges aufgekommen und der Stereotyp des „soldatischen Japaners“ (später allerdings mit vielen Facetten, wie Samurai-Traditionen, Idealismus, Überlegenheit gegenüber den Russen etc.) entstanden. In den ersten Jahren der Weimarer Republik betonte Hitler, dass zwischen Japan und Deutschland aufgrund der geographischen Lage prinzipiell keine Streitpunkte bestünden. Während der Festungshaft in Landsberg 1924 traten, wohl nach Haushofer-Lektüre, Ergänzungen seines bisher rudimentären Japanbildes ein. Hitlers Rassismus aus Wiener Tagen führte zu einer Abwertung von Japanern und war Grund seines zweiten großen Stereotyps, dem des nur „kulturtragenden“ Ostasiaten. Sein wachsender Antisemitismus erweiterte diesen Stereotyp aber noch um die für ihn positive Komponente der „Judenresistenz“. Darüber hinaus ergänzte der in Japan, aber nicht in China bestehende Antikommunismus ebendies sehr gut. Japan war für Hitler nicht nur in derselben Situation wie einstmals Deutschland, sondern auch eine „sichere“ Macht. Die britisch-japanische Allianz wiederum wurde aus realpolitischen Gründen gerechtfertigt, mit dem langfristigen Hauptfeind USA im Falle der Erneuerung. Da eine deutsch-englische Allianz angestrebt wurde, dürfte Japan als nützliches, aber auf der für Deutschland uninteressanten, anderen Seite der Welt gelegenes und daher nicht erwähnenswertes Bündnisanhängsel gewertet worden sein. In der Folgezeit blieb das Japanbild auch insgesamt positiv, obwohl Hitler wegen Hanfstaengl das Problem der wirtschaftlichen Konkurrenz stärker wahrnahm. Letzteres reichte

38 Mund, Ostasien, S. 93-94; Fox, Germany, S. 28-33; ADAP D, Bd. XII,1, Dok. 230; Boyd, The Extraordinary Envoy, S. 34, Anm. 28.

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jedoch nicht aus, Hitler davon abzuhalten, Japan kurz nach dem Beginn der Eroberung der Mandschurei, die einen Ansatzpunkt zur Verbesserung der Beziehungen darstellte, politische Kooperationsangebote zur Statusrevision zu machen. Von Interesse war ohne Frage auch die Landgrenze zur UdSSR. In Hitlers Ostasienbild bot sich Japan also durchaus an, zur Stärkung der deutschen Macht herangezogen zu werden.Hitlers Bild von China dagegen war negativ. Traf Hitlers Stereotyp der „kulturtragenden“ Ostasiaten sowohl das Reich der Mitte wie auch Japan, wurden Chinesen weder als antikommunistisch noch als militärisch allzu stark bewertet. Hinzu kam, dass Hitler der Industrialisierung Chinas, die die Vorraus-setzung für eine langfristige Zusammenarbeit war, negativ gegenüber stand. Die Vorstellungen der Reichswehr waren mit denen Hitlers prinzipiell unvereinbar. Da Japan zudem einen größeren realpolitischen Nutzen bot, bestand für China als Bündnispartner keine wirkliche Chance.Bemerkenswert ist, dass Hitlers Ostasienbild vor der Machtergreifung jedoch nicht nur mit der Chinapolitik ab 1938 zusammenpasst. Auch die japanische Stärke scheint in entscheidenden Situationen durch seinen seit 1904/05 bestehenden Stereotyp des „soldatischen Japaners“ überschattet und damit falsch eingeschätzt worden zu sein. Ein (zugegebenermaßen bekanntes) Rand-phänomen wie zum Beispiel „harakiri/seppuku“ schätzte er ebenfalls hoch ein. Die Verbindungen zwischen seinen Äußerungen zum japanischen Anti-kommunismus und dem Antikominternpakt sind offensichtlich. Man kann daher annehmen, dass die spätere, zu Übertreibungen neigende NS-Japanpropaganda zwar einen pragmatischen Nutzen (Legitimierung der Kooperation, Verbesse-rung der Moral etc.) erzielen sollte, Hitler aber auch einen beträchtlichen Teil davon selbst glaubte. Allein der Rassismus erfuhr gegen Ende des Krieges, als Japan wie auch China noch kämpften, während die Lage in Europa de facto entschieden war, eine mögliche Revision. Detailliertere Untersuchungen zu Hitlers Ostasienbild von 1933 bis 1945 wären hier jedoch noch nötig.Schlussendlich ist noch anzumerken, dass Hitlers Äußerungen zu Ostasien relativ spärlich sind, was verdeutlicht, dass er der Region im Vergleich zu Europa auch nur geringe Bedeutung beimaß. Sein Japan-Interesse reichte zum Beispiel nicht aus, sich freiwillig Zeit für eine Reise dorthin zu nehmen, bei der seine Stereotypen einer Konfrontation mit der japanischen Realität unterzogen worden wären und die NS-Außenpolitik dann womöglich anders verlaufen wäre.

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Bildnachweis:

Das Foto des ersten Treffens von Hitler und Momo ist u.a. publiziert in: Yomiuri Shinbun, 26. 2. 1936 (Abendausgabe), S. 4.Das Foto von Hitler ist u.a. publiziert in: Tokyo Asahi Shinbun, 3. 1. 1932 (Morgenausgabe), S. 6.

Stefan Hübner, M.A., geboren 1983. Studium in Mainz, Glasgow, Zürich und Kyoto. Magister-Abschluss in Mittlere und Neuere Geschichte, Politik-wissenschaft und Philosophie. Seit September Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Jacobs University Bremen. Promotion zum Thema „Die Asian Games (1913 bis 1978)“ im Rahmen des DFG-Projekts „Asianismen im 20. Jahrhundert“. Zudem Interesse an Internationalen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Nationalsozialismus und Militärgeschichte.

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