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Ob Massanzug oder lässige Jeans – Kleider-Fixkosten bleiben für alle

Ob Massanzug oder lässige Jeans – Kleider-Fixkosten ... · AAM-AGENDA 7/98 – 15 ... Jahren bereits als «zu alt», bekommt nir-gends eine Chance. 1993 steigt er in eine «occupation

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Ob Massanzug oder lässige Jeans – Kleider-Fixkosten bleiben für alle

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F O K U S

Von Gabriella Staub

Das Haus an der Rue Ami-Lullin 3 in Genf isteiner jener gesichts- und geschichtslosenNeubauten, wie sie überall stehen könnten.Um so mehr überrascht die helle, unbe-schwerte Atmosphäre, die einem in denRäumlichkeiten von RMCAS im 2. Stockempfängt. Da ist nichts zu spüren von ver-driesslicher Amtlichkeit. Wer hier eintritt,darf sich sofort als umworbener Klientfühlen – und wird auch so behandelt. Paula de Fonseca vom Empfangsteamerklärt gerade einem bei RMCAS «Neuen»,sowohl fachlich als auch menschlich kom-petent, welches die nächsten Schritte sind,die er jetzt unternehmen muss. EinGespräch, das angesichts der häufigprekären Situationen und der meist seit meh-reren Jahren andauernden Arbeitslosigkeitder Gesuchsteller oft nicht einfach ist. EinGespräch auch, das Paula de Fonseca in denüber drei Jahren, die sie bei RMCAS arbeitet,

Festes Mindesteinkommen

Das Recht amEnde der Rechte«Revenu Minimum Cantonal d’Aide Sociale», kurz RMCAS, bietet in Genfausgesteuerten Arbeitslosen eine attraktive Anlaufstelle.

täglich wohl mehr als einmal zu führen hat.Dennoch: Der Mann der vor ihr steht, ist fürsie nicht eine «neue Dossiernummer»,sondern eine Person, die ein Recht hat aufihre Sachkenntnis und ihre ungeteilt freund-liche Aufmerksamkeit.

Anlehnung an FrankreichIm Gegensatz zu anderen, hierzulande übli-chen Leistungen von Sozialversicherungenerfolgt die Auszahlung eines «Minimalein-kommens» unabhängig vom vorherigen Ein-kommen oder Ausbildungsgrad. RMCASbietet – ohne Rückzahlungspflicht – ein füralle gleiches, existenzsicherndes Minimal-einkommen. Massgebend für die Höhe derAuszahlung sind im wesentlichen die Anzahlder Personen, die von diesem Einkommenernährt werden müssen, die Kosten füralle Pflichtversicherungen (Krankenkasse,Arbeitslosenkasse, AHV) sowie fixe

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ernden Arbeitslosigkeit», meint er.

Im August 1995 schliesslich meldet sich

Michel Simkhovitch bei RMCAS . «Ich hatte

in jenem Augenblick das Gefühl, nicht mehr

tiefer fallen zu können.» Aber das Blatt wen-

det sich. «Ich wurde endlich ernstgenom-

men, fand die Unterstützung, die ich

brauchte, um neuen Mut zu schöpfen.» Er

entwirft einen Brief an die Genfer Han-

delskammer, sowie verschiedene Unterneh-

mungen in Genf. Sein Vorschlag: In öffent-

lichen und privaten Unternehmen im Be-

reich Administration den Faktor Umwelt-

verträglichkeit unter die Lupe nehmen, för-

dern, mit einem Öko-Label auszeichnen.

Michel Simkhovitch

wird plötzlich empfan-

gen, angehört. Die Han-

delskammer offeriert

ihm 1996, während der

Dauer eines Jahres hun-

dert Unternehmen in

ihrem Auftrag zu besu-

chen. Ziel ist es, einen

Führer herauszugeben, der die Umwelt-

freundlichkeit im Bürobereich diverser Un-

ternehmen belegen soll. Michel Simkhovitch

führt den Auftrag aus und gründet bereits

im folgenden Jahr die gemeinnützige Ver-

einigung «Bureau Vert». Gleichzeitig stellt

er seine Projektidee der Prüfungskommi-

sion von RMCAS vor: «Das Öko-Label Green

Office bringt einem teilnehmenden Büro

mehrere Vorteile bei der Suche nach Ein-

sparungsmöglichkeiten: weniger Abfälle,

verringerter Verbrauch an Gütern, längere

Lebensdauer der Apparate, Recycling … Wir

befassen uns auch mit Fragen nach ver-

nüftiger Raumnutzung oder ergonomischen

Verbesserungen bei den Arbeitsplätzen. Ziel

sind letztlich zufriedene MitarbeiterInnen

und zufriedene Kunden.» Michel Sim-

khovitch bekommt grünes Licht: seine

Idee gilt als «realistisch und realisier-

bar» und der Eingliederungsbeitrag,

von 10000 Franken wird ihm gewährt.

Ab sofort ist er von der Erbringung einer

«Gegenleistung» in Form von Arbeit

entbunden und kann all seine Kräfte auf

sein Projekt konzentrieren.

«Die 10 000 Franken reichten nicht

aus bis zur effektiven Geschäftsgrün-

dung. Aber sie waren mir eine gute Start-

hilfe in der Phase des Aufbaus der Ad-

ministration, der Ausarbeitung des Kon-

zeptes, der Werbung und der Kreation ei-

nes Labels für mein An-

gebot. Trotz garantier-

tem Minimaleinkom-

men habe ich eine

Durststrecke erlebt, die

ich ohne die Unterstüt-

zung von Freunden viel-

leicht nicht hätte mei-

stern können.» Aber Mi-

chel Simkhovitch schafft es. Seit

Februar 1997 ist seine Firma im Genfer

Handelsregister eingetragen und er kann

sogar an zwei Tagen pro Woche einer

Kundin von RMCAS eine Beschäftigung

als Übersetzerin offerieren. Unterdessen

wurde seine Idee mit der Unterstützung

einiger Umweltorganisationen, der ETH

Lausanne und der Universität von Genf

weiterentwickelt. Michel Simkhovitch ist

stolz auf seinen Erfolg:«Mit meinem An-

gebot bin ich einzigartig auf der ganzen

Welt.» ❏

Michel Simkhovitch wurde 1991 arbeits-

los: Er ist 44 Jahre alt und war bisher im

Marketing tätig. Die plötzliche Arbeitslo-

sigkeit wirft ihn aus der Bahn. Aber er

sieht darin auch eine Chance für eine

Neuorientierung. Ein altes, bisher nie

verwirklichtes Projekt meldet sich in sei-

nen Gedanken. «Ich fand aber damals

keine Unterstützung beim Arbeitsamt»,

erklärt Michel Simkhovitch. «Der Berater

hat vier mal gewechselt, und bei keinem

stiess ich auf offene Ohren oder Interesse

für mein Projekt. Ich fühlte mich wie

eine Dossiernummer behandelt.»

400 Bewerbungen verschickt Michel-

Simkhovitch – die Arbeitslosenraten in

Genf sind hoch. Er gilt mit seinen 45

Jahren bereits als «zu alt», bekommt nir-

gends eine Chance. 1993 steigt er in eine

«occupation temporaire», kurz «OT», im

Bereich Umwelt ein und eröffnet sich so

die Berechtigung auf eine zweite Rah-

menfrist. Die Arbeit hilft ein wenig, ist

interessant. Aber unterdessen ist seine

Ehe zerbrochen. «Nicht zuletzt an den

Spannungen wegen meiner lang andau-

Ernstgenommen und unterstützt

Von der Dossiernummer zum UniprojektRMCAS-Chance für Öko-Label

Michel Stimkhovitch – stolz auf seinen Erfolg

«… denn wir

alle haben

unsere Projekte

in uns!»

Informationen: «Green Office»rue Francois-Chavaz 22, 1213 Onex/GenèveTelefax 022-792 85 10, e-mail: [email protected];homepage: http://www.greenoffice.ch

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Maximalbeträge für Wohnungsmieten undKleider. Rund 10 Prozent aller Klientenerzielen auch einen Zwischenverdienst. Biszu 500 Franken Zusatzverdienst monatlicherfolgt kein Abzug auf RMCAS-Leistungen.Dies, um die erfolgreiche Eigeninitiative beider Arbeitsuche weiter zu unterstützen. Fürdas Jahr 1997 weist die Statistik so durch-schnittliche Kosten von 2 083.55 Franken proKlient und Monat aus (siehe Kasten).

Bereits 1983 hat der Kanton Genf einGesetz verabschiedet, das den Langzeitar-beitslosen am Ende einer ersten Rahmen-frist eine vom Kanton zugewiesene Teilzeit-arbeit zusichert. Dieser Arbeitseinsatzermöglicht den Arbeitslosen, sich eine zweiteRahmenfrist zu eröffnen. Einmal am Endedieser zweiten Rahmenfrist angelangt, bliebauch im Kanton Genf bislang nur noch derWeg zum Fürsorgeamt offen. Den Anstossfür das heutige RMCAS gaben 1990 die Gen-fer Sozialdemokraten und Grünen in Anleh-nung an ein in Frankreich bereits 1988 reali-siertes, ähnliches Modell, das «RMI, revenuminimum d’insertion», «Mindesteinkommenzur Wiedereingliederung».

Mit dem Anstieg der ArbeitslosenquoteAnfang der 90er Jahre wurden auch bald dieZahlen der ausgesteuerten Arbeitslosen alar-mierend und die Diskussion um dieNotwendigkeit eines RMCAS verhältnismäs-sig rasch vorangetrieben. Im November 1994wurde das Gesetz schliesslich verabschiedetund trat bereits auf Januar 1995 in Kraft. Alsausführendes Organ schuf das «Hospicegénéral», das Fürsorgeamt Genf, mit demRMCAS, «revenu minimum d’aide sociale»,eine Anlaufstelle für die Arbeitslosen «amEnde ihrer Rechte».

Arbeit als GegenleistungRMCAS wird aus Steuergeldern finanziertund ist in verschiedener Hinsicht modellhaftfür die Schweiz. 1997 wurde es in den Grund-zügen vom Kanton Waadt übernommen.Vergleichbare Angebote bieten seit Anfang

1. AnspruchsberechtigungWohnsitz im Kanton Genf: für Schweizer seit 3 Jahren für Ausländer seit 7 JahrenAlle Rechte auf Arbeitslosenentschädigung sind ausgeschöpft. In der Regel bedeutet das, seit 5 Jahren arbeitslos:Erste Rahmenfristen von 2 Jahren, dann ein Zwischenjahr mit Teilzeitarbeit im Dienst der Öffentlichkeit,«OT» – «occupations temporaires», zur Eröffnung einer zweiten Rahmenfrist von weiteren zwei Jahren Dauer.Beim Arbeitsamt gemeldet. Die Kontrollpflicht bleibt bestehen und es muss auch der Nachweis über diepersönlichen Arbeitsbemühungen erbracht werden.Der Vertrag mit RMCAS dauert maximal ein Jahr und ist erneuerbar.

2. Minimaleinkommena) BasiseinkommenEinzelpersonen: 1180.65 pro Monat Zwei Personen: 1723.85 pro MonatDrei Personen: 2219.65 pro MonatVier Personen: 2597.50 pro Monatdanach der Betrag zusätzlich mal 0.30 pro PersonDas Einkommen ist besteuerbar, der gesetzliche Minimalbeitrag an die AHV wird separat verrechnet. Eine Rück-zahlungspflicht besteht nicht.

b) ZusatzeinkommenEin Zwischenverdienst von bis zu 500 Franken pro Monat wird nicht zum Abzug gebracht. Die persönliche Ar-beitssuche soll damit weiter motiviert und unterstützt werden.Allfällige Vermögenswerte werden bei der Anrechnung von finanziellen Leistungen berücksichtigt.

c) Übernahme von Kosten für Wohnungsmiete : eine Person maximal 1300 Franken/Monat

Familien maximal 1600 Franken/Monatfür Versicherungsprämien sowie Selbstkostenanteile von

Pflichtversicherungen, zahnärztlichen Leistungen, Brillen …für Alimentenzahlungenfür Bekleidung

3. Gegenleistung («contre prestation»)Tätigkeit im Sozial-, Freizeit-, Umwelt- oder Bildungsbereich, in der Regel nicht gewinnbringender Sektor und keinekaufmännische Tätigkeit. Maximal 20 Stunden pro Woche.

4. Eingliederungsbeihilfe («allocation d’insertion»)Einmaliger Betrag von mindestens 1000.– bis maximal 10 000.– sFr. Diese Beihilfe dient zur vollständigen oderteilweisen Finanzierung von langfristigen Berufsprojekten, die von einer unabhängigen Prüfungskommission als «rea-listisch und realisierbar» anerkannt werden und folgende Bereiche betreffen:

Berufs- oder Weiterbildung Schaffung neuer Erwerbsmöglichkeiten auch als Selbständigerwerbende Wiedereingliederung in das Sozial- und Berufsleben

Ziel ist das Wiedererlangen von «Autonomie und Unabhängigkeit von der Sozialfürsorge».

5. Gesamtzahlungen an Klienten RMCAS1995 Fr. 18 457 727.50 2197.35 pro Klient und Monat1996 Fr. 27 902 669.60 1951.50 pro Klient und Monat1997 Fr. 22 914 872.05 2803.75 pro Klient und Monat1998 Fr. 16 638 911.20 2120.15 pro Klient und Monat(von Januar bis August 98)

RMCAS : Leistung und Gegenleistung

Eric Etienne ist die massgebliche Person bei RMCAS

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Ob auf eleganten Boulevards oder einsamen Waldwegen – Ausgesteuerte sollen sich wohlfühlen

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Erfahrungsbericht Seite 16). Berufliche undnichtberufliche Weiterbildungskurse, die dieKlientInnen diesem Ziel «Autonomie» näher-bringen, können ebenfalls aus den Mittelnder «Eingliederungsbeihilfe» finanziert wer-den. Dabei wird eine berufliche Aus- oderWeiterbildung einer «Gegenleistung» in Formvon Arbeit gleichgestellt.

Die richtige Personam richtigen PlatzFür RMCAS ist kein erklärtes Ziel,KlientInnen möglichst rasch eine zumutbareBeschäftigung zuzuteilen. Dazu erklärtAnita Seiler, Beraterin bei RMCAS:«In einer ersten Phase ist es vor allem wich-tig, den Leuten genau zuzuhören, um siedann dort abholen und unterstützen zu kön-nen, wo ihre Kernfähigkeiten oder «verbor-genen Projekte» liegen. Wir hatten beispiels-weise einen jungen Mann bei uns, der künst-lerisch begabt war. Ich habe ihn darin unter-

stützt, dieses Talent zufördern und mit ihm einProjekt mit selbstgefertig-ten Postkarten ausgearbei-tet, das ihm eine Basis zurselbständigen Erwerb-stätigkeit bieten kann.»Anita Seiler unterstreichtauch immer wieder:«RMCAS ist ein Recht! –nicht eine Verpflichtung.Das bedeutet, dass wir

versuchen, in erster Linie unsere Klientenzufriedenzustellen.» Und die Klientel bestehtbei RMCAS aus Ausgesteuerten, Menschen«am Ende ihrer Rechte».

Dabei erreichen die meisten der rund 30

der neunziger Jahre auch andere kantonaleoder städtische Sozialämter (siehe Kasten).Bei RMCAS finden die Klienten nicht nur einexistenzsicherndes Minimaleinkommen.RMCAS leistet allem voran engagierte,persönliche Beratung und individualisierteHilfestellungen für einen Neustart insErwerbsleben. Als «Gegenleistung» bietendie Ausgesteuerten ihre Berufserfahrungenund ihren Arbeitseinsatz.

Wer die Dienste von RMCAS bean-spruchen will, verpflichtet sich vertraglichzur «contre-prestation», das heisst, der «Ge-genleistung», während 20 Stunden proWoche in den Bereichen Soziales, Freizeit,Umwelt oder Bildung eine unentgeltlicheTätigkeit zu übernehmen. Aus der Zusam-menarbeit mit 250 gemeinnützigen Vereini-gungen stehen etwa 1000 RMCAS-lern nun-mehr 800 Einsatzplätze offen. Der Vertragzwischen Klienten und RMCAS gilt für einJahr, berechtigt zu den ortsüblichen fünfFerienwochen und isterneuerbar. Wird eine Ver-längerung des Vertragesgewünscht, setzen sich Be-rater und Klient gegen Endedes Vertragsjahres zusam-men und ziehen gemeinsamBilanz.

Gleichzeitig bleiben dieRMCAS-KlientInnen aberweiterhin verpflichtet, beimzuständigen Arbeitsamt diemonatliche Kontrollpflicht zu erfüllen undden Nachweis über die persönlichen Ar-beitsbemühungen zu erbringen. Allerdingswerden aus der Arbeit in einem der vonRMCAS vermittelten Tätigkeitsbereichekeine Beitragsmonate angerechnet. Eben-sowenig kann die Rahmenfrist erneuert wer-den. Sinnvoll sei dieses System deshalb,damit die Ausgesteuerten weiterhin auch anöffentlicher Stelle als Arbeitsuchende geltenund den Kontakt zu den offiziellen Vermitt-lern von Festanstellungen aufrechterhalten.Häufig jedoch empfinden die betroffenenAusgesteuerten diese Kontrollpflicht ohneErneuerung der Rahmenfrist als unsinnig bissogar sinnlos, da entsprechende Gegenlei-stungen von Seiten der Arbeitsämter – etwaHinweise auf offene Stellen oder Vermittlungeiner Stelle – in der Regel ausbleiben.

Nebst dem Minimaleinkommen kannRMCAS auch eine einmalige, finanzielle«Eingliederungsbeihilfe» («allocationd’insertion») von maximal 10 000 Frankenzusprechen. Der Gesuchsteller muss dazueine Projektidee vorlegen, die eine RMCAS-unabhängige Prüfungskommission für denBetreffenden als «realistisch und realisier-bar» erachtet. Das angestrebte Ziel muss injedem Fall sein, die berufliche und finanzielleAutonomie wiederzuerlangen (siehe

Seit Anfang der 90er Jahre entstehen vielerorts inter-essante Projekte und Angebote zur Wiedereingliede-rung von ausgesteuerten Stellenlosen. Im Auftrag der «Schweizerischen Konferenz für Sozial-hilfe» (SKOS) hat der Zürcher Soziologe Kurt Wyss1997 eine Umfrage durchgeführt zum Thema«Massnahmen zur sozialen und beruflichen Integrationvon Langzeitarbeitslosen bzw. SozialhilfeempfängerIn-nen». Die Ergebnisse der Befragungen in allen 26 Kan-tonen und den 13 grössten Städten der Schweiz sind ineiner Broschüre nachlesbar. Die Broschüre kostet 12 Franken (zuzüglich Versandspesen) und ist erhältlichbei: Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe, SKOSAnsprechperson: Rosmarie RuderMühlenplatz 3, Postfach, 3000 Bern 13Tel. 031-312 55 58 / Fax 031-312 55 59

Fünf Einzelprojekte und Angebote wurden auch inder AAM-Agenda 11/97 vertiefter vorgestellt.Die entsprechende AAM-Agenda kann überTelefon 01-445 21 42 nachbestellt werden.

Nachstehend nochmals die einzelnen Kontakt-adressen:

Re-Integration ausgesteuerter Stellenloser

Bern: «Arbeit statt Fürsorge» AsFAnsprechpersonen: Walter Frey, Stefan BednarekSulgenrain 26, 3007 BernTel. 031-372 32 60, Fax 031-372 32 65

Genf: «Revenu Minimum cantonald’aide sociale» RMCAS Ansprechpersonen: Eric Etienne (f), Anita Seiler (d)3, rue Ami-Lullin, 1207 GenèveTel. 022-787 53 53, Fax 022-787 53 99

Grenchen: «Soziale Industriebetriebe» SIBAnsprechperson: René LoosliSchützengasse 33, 2540 GrenchenTel. 032-652 11 46, Natel 079-332 75 61Fax 062-961 00 58

Zürich: «Ergänzender Arbeitsmarkt»Ansprechperson: Urs LeibundgutLagerstrasse 21, Postfach, 8026 ZürichTel. 01-296 19 19, Fax 01-296 19 00

Zürich: «Soliwork»Ansprechperson: Urs Bolligerüber «Ergänzender Arbeitsmarkt» (siehe oben)

MitarbeiterInnen bei RMCAS das von ihnengewünschte Teilzeitpensum. «Bei der teilsgrossen menschlichen Belastung, die dieserJob mit sich bringt», sagt EricEtienne, Leiter von RMCAS, «ist dieseindividuelle Möglichkeit zur Flexibilität unbedingt angezeigt. Zudem arbeiten alle ausdem Beraterteam im sogenannten «Tandem-System». Der Eine gilt als Hauptbezugs-person, hält die Übersicht über das Dossierund berät den Klienten in allen Fragen. DerZweite springt als Ferienablösung oder imKrankheitsfall ein.»

Im weiteren betreuen auch alle Mitar-beiterInnen im Rotationssystem an zwei hal-ben Tagen pro Monat die sogenannte «per-manence», die erste Anlaufstelle für neueGesuchstellerInnen. Dort werden die Unter-lagen auf ihre Vollständigkeit geprüft, ersteWeichen gestellt. Einzig die Betreuung derAnbieterkartei für die Einsatzplätze ist zweiMitabeiterInnen – zusammen 130 Stellen-prozenten – fest zugeteilt. Mike Tatti ist einervon ihnen. «Wir teilen die Gegenleistungengrob in drei Gruppen ein. Eine erste Gruppesind die manuellen Arbeiten. So werden bei-spielsweise für das nationale Hilfswerk «Car-refour-Rue alte Kleider und Spielsachen aus-sortiert und wieder in Stand gestellt. Oderfür die Stadt auf öffentlichem Grund Bäumegepflanzt, Spazierwegmarkierungen ausge-bessert und ähnliches. Der zweite Bereichfasst zusammen, was im weitesten Sinn alsSekretariatsarbeit bezeichnet werden kann –von der Bürohilfe bis zur Aushilfe-Buchhal-terin. Den dritten, meiner Meinung nach in-teressantesten Bereich, nennen wir «Anima-tion und Begleitungen». Dort arbeiten Klien-ten von uns in Altersheimen, Kinderhorten,

«Berufliche

Aus- oder

Weiterbildung

ist Arbeit

gleichgestellt.»

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Ob Obendrüber oder Untendurch – passende Hilfe ist angesagt

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setzt werden sollen. Im Gegenzug kann undwill RMCAS auch nicht die vollständige oderdauerhafte Besetzung einer Stelle zusichern.Findet der Gesuchsteller für sich eine festeAnstellung, ist er unter Umständen innert 24Stunden weg.

Eric Etienne: «Unser Grundsatz ist derfolgende: Eine Institution kann auch ohneunseren Einsatz weiterfunktionieren. UnserBeitrag füllt zwar oft eine Lücke im Ange-bot, aber die Institution bricht auch nichtzusammen, wenn es uns dann für eine Weilenicht gibt.

Ein gutes Beispiel ist unsere Arbeit inder geriatrischen Abteilung des Kranken-hauses in Genf. Oft müssen dort die altenLeute für die nötigen Untersuchungen voneinem Trakt zum andern wechseln, und häu-fig ergeben sich auch längere Wartezeiten,bis etwa der externe Arzt eintrifft. Wir bietenfür diese Senioren einen Begleitdienst an.Gibt es ihn, ist es für das Spital und die altenMenschen eine Hilfe. Gibt es ihn nicht, gehtes eben weiter wie vorher. Andererseits ach-ten wir darauf, keine Stellen zu finanzieren,

die sich im Verlauf der Ein-satzzeit als für die Institu-tion nötig erweisen. In die-sen Fällen sind wir bereit,die ersten sechs Monate alsEinarbeitungszeit finanziellzu tragen. Danach istSchluss. Die Institutionmuss die Person festan-stellen oder sie geht. Dassunser Angebot am Anfangauch falsch verstandenwerden konnte, illustriertdie folgende Anekdote: Am

Eröffnungstag von RMCAS hatten wir einenHerrn am Telefon, der sagte: Bonjour. Ichbräuchte zehn Karrosserieschlosser für mei-nen Betrieb.»

«In anderen Fällen», so ergänzt AnnePellaton, Chefsekretärin bei RMCAS, «giltder Einsatz von allem Anfang an als soge-nannter ‘stage’.» Die Klientin erhält dannüber einen befristeten Zeitraum, in der Regeldrei Monate, Gelegenheit, sich bei einemmöglichen, zukünftigen Arbeitgeber umzu-sehen und zu prüfen, ob die Arbeit ihrenVorstellungen und Fähigkeiten entspricht.Ein «stage» kann in jeder erdenklichen Bran-che absolviert werden. Diese Regelung öffnetunseren KlientInnen eine weitere Türezurück in den Ersten Arbeitsmarkt. Werdensich KlientIn und Arbeitgeber einig, endetder Vertrag mit RMCAS. Und schliesslich gibtes für unsere KlientInnen auch noch dieMöglichkeit in verschiedene Strukturen ein-zutreten, die bezahlte Ausbildungen anbie-ten. Auch in diesen Fällen endet dort der Ver-trag mit RMCAS.

Eine Statistik darüber, wieviele Perso-

nen direkt oder indirekt über RMCAS eineneue Festanstellung gefunden haben, gibt esnicht. «Bis heute haben rund 50 Prozent allergemeldeten Klienten RMCAS wiederverlassen», sagt Eric Etienne. «Der Grossteilvon ihnen für eine Festanstellung. Anderesind in Pension gegangen oder bekommeneine IV-Rente.»

Seit Beginn im Januar 1995 wareninsgesamt 2300 Personen bei RMCASgemeldet; im August 98 zählte die KlientIn-nenkartei rund 1000 Personen. Pro Tagmelden sich durchschnittlich vier bis fünfPersonen bei RMCAS. Viele erfüllen aber(noch) nicht die RMCAS-Bedingungen. Siewerden kurz beraten und an die Stellen ver-wiesen, die für sie zuständig sind.

Hilfe in KrisensituationenKian Samii gehört seit 1996 zum RMCAS-Beraterteam. Er arbeitete in Pakistan alsÜbersetzer für das Rote Kreuz, später alsDokumentalist und Archivar in der Phono-thek von Radio Suisse Romande und warauch als Lehrer am öffentlichen Collège inGenf tätig.«Frustrierend erlebe ich manchmal, dass vie-lerorts zwar sehr viel mehr Personal ge-braucht werden könnte und auch dringendnötig wäre. Aber es fehlt dann entweder amBudget oder die Institutionen wollen die not-wendigen Anstrengungen, beispielsweise füreine Umstrukturierung, nicht unternehmen.Dabei kosten die Arbeitslosen und Ausge-steuerten die Gesellschaft sehr viel Geld!»

Kian Samii und Eric Etienne sind sicheinig: «Es stimmt schon, dass Leute von uns,sozusagen gratis eine für die Institution wert-volle Arbeit leisten. Man muss aber auch se-hen, dass unsere KlientInnen oft inpersönlichen Krisensituationen stecken oderwegen sprachlichen Problemen mehrAufmerksamkeit und Unterstützung brau-chen, als der durchschnittliche Mitarbeiter.Insgesamt ergibt sich so ein Ausgleich. –A good deal.» ❏

für eine Zirkustheater-Schule, verschiedeneAIDS-Stiftungen oder auch als Kursleiter ander Genfer Volksuni und an der Arbeiter-universität. Unsere Klienten können die Ein-satzplätze frei wählen und auch wiederwechseln, wenn ihnen die Arbeit persönlichnicht mehr zusagt oder in beruflicher Hin-sicht keine Lernerfahrungen mehr bietet.Diese Wechsel werden jedoch immer mitdem Berater vorbesprochen, die jeweiligeSituation, der derzeitige Standort des Klien-ten evaluiert.»

Das gute Arbeitsklima im RMCAS-Teamwird sofort spürbar. Eric Etienne kann die-sen Eindruck bestätigen: «Das Team ist rechtstabil und wir brauchten bis heute auchkeine Teamsupervision. Die persönlichenProbleme klären die Leute in der Regel untersich. Hingegen treffen wir uns einmal imMonat zu einer Team-Intravision. Diese bietetdie Gelegenheit, sich bei kniffligen Fällenauszutauschen und gegenseitig Unterstüt-zung zu geben.»

Wie sich denn die Mitarbeiter beiRMCAS zusammensetzen, will ich wissen.«Erste Voraussetzung bildetdie persönliche Lebenser-fahrung jedes Einzelnen. Bisauf zwei, drei vom Team wa-ren beispielsweise alle min-destens einmal arbeitslos.Berufserfahrung, ein Flairfür administrative Arbeitenund Umgang mit dem PCsind selbstverständlich.Dann sind auch viele bei uns,die mal beim Roten Kreuzgearbeitet haben und vondort die Erfahrungen mit-bringen, die für die Arbeit bei RMCAS guteVoraussetzungen schaffen: In konfusenStress- oder Notfallsituationen nicht dieNerven verlieren und mit Menschen aus ver-schiedensten Kulturen umgehen können.Und schliesslich erwarten wir von unserenMitarbeiterInnen, dass sie feinfühlig aufMenschen zugehen. Denn Sprachproblemeund mangelhaftes Informiertsein der Klient-Innen sind hier an der Tagesordnung. Damuss man einfach immer wieder bereit sein,zuzuhören und zu erklären.»

LückenfüllerAm ersten Januar 1995 öffnete RMCAS soziemlich Knall auf Fall seine Türen. Fraglichwar zu diesem Zeitpunkt noch, ob sich imRaum Genf, neben den Einsatzorten für dieArbeitslosenprogramme oder den Zivildienst,für ein drittes Angebot Plätze finden oderschaffen liessen. Klar war, dass dieseEinsätze die Stellen auf dem Ersten Arbeits-markt nicht konkurrenzieren dürfen, und dieAusgesteuerten auch nicht als Vertretungen,etwa bei einem Mutterschaftsurlaub, einge-

Ein Thema, das alle angeht

Die gesetzlichen Grundlagen, aktuellen Diskussio-nen und komplexen Fragestellungen rund um dieReintegration ins Sozial- und Berufsleben von ar-beitslosen Menschen, insbesondere von Langzeitar-beitslosen und schliesslich ausgesteuerten Stellenlo-sen, sind ein Thema, das alle angeht. Die AAM-Agenda will am Puls der Entwicklungen bleiben undweiter informieren. Wir bitten alle kantonalen oderstädtischen Amtsstellen, öffentlichen oder privatenVeranstalter und Anbieter von Projekten mit und fürausgesteuerte Stellenlose um die Zustellung ihrer ak-tuellsten Unterlagen. Ebenfalls ist ein entsprechen-der Fragenkatalog unter dem Stichwort «Re-Integra-tion» über die Redaktionsadresse erhältlich:Redaktion AAM-Agenda«Re-Integration», Technopark, 8005 ZürichTel. 01-445 21 86, Fax 01-445 21 44

«Eine

Institution kann

auch ohne

unseren Einsatz

weiterfunktio-

nieren.»