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  • Oliver Ehrentraut, Tobias Hackmann Lisa Krmer, Sabrina Schmutz

    Zukunft der Pflegepolitik Perspektiven, Handlungs optionen und Politikempfehlungen

    gute gesellschaft soziale demokratie

    # 2017 plus

  • Was macht eine Gute Gesellschaft aus? Wir ver stehen darunter soziale Gerechtig - keit, kologische Nachhaltigkeit, eine inno vative und erfolgreiche Wirtschaft und eine Demokratie, an der die Brger_innen aktiv mitwirken. Diese Gesellschaft wird getragen von den Grundwerten der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidaritt.

    Wir brauchen neue Ideen und Konzepte, um die Gute Gesellschaft nicht zur Utopie werden zu lassen. Deswegen entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung konkrete Hand- lungsempfehlungen fr die Politik der kommenden Jahre. Folgende Themenbereiche stehen dabei im Mittelpunkt:

    Debatte um Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidaritt; Demokratie und demokratische Teilhabe; neues Wachstum und gestaltende Wirtschafts- und Finanzpolitik; Gute Arbeit und sozialer Fortschritt.

    Eine Gute Gesellschaft entsteht nicht von selbst, sie muss kontinuierlich unter Mit - wirkung von uns allen gestaltet werden. Fr dieses Projekt nutzt die Friedrich-Ebert- Stiftung ihr weltweites Netzwerk, um die deutsche, europische und internationale Perspektive miteinander zu verbinden. In zahlreichen Verffentlichungen und Veranstaltungen in den Jahren 2015 bis 2017 wird sich die Stiftung dem Thema kontinuierlich widmen, um die Gute Gesellschaft zukunftsfhig zu machen.

    Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie hier:www.fes-2017plus.de

    Die Friedrich-Ebert-StiftungDie Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegrndet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermchtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich fr die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidaritt. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden.

    Die FES frdert die Soziale Demokratie vor allem durch:

    politische Bildungsarbeit zur Strkung der Zivilgesellschaft; Politikberatung; internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbros in ber 100 Lndern Begabtenfrderung; das kollektive Gedchtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und

    Bibliothek.

    ber die Autor_innen dieser Ausgabe Dr. Oliver Ehrentraut leitet den Bereich Volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Grundsatzfragen der Prognos AG in Freiburg. Dr. Tobias Hackmann ist als Projektleiter bei der Prognos AG im Bereich Volkswirt- schaftliche und gesellschaftliche Grundsatzfragen ttig. Lisa Krmer ist Beraterin im Bereich Volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Grundsatzfragen der Prognos AG.Sabrina Schmutz ist als Beraterin im Bereich Volkswirtschaftliche und gesellschaft- liche Grundsatzfragen der Prognos AG ttig.

    FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    EIN PROJEKT DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG IN DEN JAHREN 2015 BIS 2017

    gute gesellschaft soziale demokratie

    # 2017 plus

  • VORWORT

    1 EINLEITUNG

    2 STATUS QUO UND PERSPEKTIVEN IN DER PFLEGE2.1 Pflegebedrftigkeit2.1.1 Pflegestufen, Versorgungsformen und Pflegequoten2.1.2 Prognose der Pflegebedrftigkeit bis 20302.2 Pflegekrftebedarf2.3 Pflegekrfteangebot2.3.1 Arbeitszeitumfang, Versorgungsformen und Ttigkeitsbereiche2.3.2 Auszubildende und Absolvent_innen in der Pflege2.3.3 Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Pflegekrfte2.4 Angebot und Nachfrage 20302.5 Finanzierung der SPV2.5.1 Grundlagen2.5.2 Prognose der Beitragsstze bis 20302.6 Was passiert, wenn nichts passiert?

    3 MODELLIERUNG VON LSUNGSANSTZEN (MODUL 3)3.1 Lsungsweg 1 (angebotsseitig): Vorfahrt fr Pflege3.2 Lsungsweg 2 (nachfrageseitig): Pflege optimal gestalten3.3 Zwischenfazit

    4 HANDLUNGSOPTIONEN UND POLITIKEMPFEHLUNGEN4.1 Auswahl der zentralen Handlungsfelder4.2 Prioritre Handlungsfelder4.2.1 Nachfrageseite4.2.2 Angebotsseite4.3 Zwischenfazit

    5 FAZIT UND AUSBLICK

    Tabellenverzeichnis Abbildungsverzeichnis Literatur- und Datenverzeichnis

    Oliver Ehrentraut, Tobias Hackmann Lisa Krmer, Sabrina Schmutz

    Zukunft der Pflegepolitik Perspektiven, Handlungs optionen und Politikempfehlungen

    FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    2

    3

    4445688

    10111212131314

    16161719

    202020202427

    28

    303031

  • 2FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    Die Frage nach der zuknftigen Richtung der Pflegepolitik hat in der gegenwrtigen Legislaturperiode einen groen poli tischen Stellenwert bekommen. Die ersten beiden Pflege - str kungsgesetze (PSG) haben Gesundheitspolitiker_innen intensiv beschftigt, ebenso wie die Diskussion um die neue Rolle der Kommunen in der Pflege und Fragen der Ausbil-dung in Pflegeberufen. Kurz: Pflegepolitik wurde in der groen Koalition nicht auf die lange Bank geschoben, sondern hat einen angemessenen Stellenwert bekommen.

    Nichtsdestotrotz zwingt der demografischen Wandel absehbar zu weiteren Reformen. In Zukunft wird die Zahl der Pflegebedrftigen stark ansteigen und es wird schwierig werden, eine ausreichende Zahl von Pflegefachkrften zu mobilisieren. Die Frage ist, wie Politik und Gesellschaft darauf reagieren. Dabei gibt es viele Gestaltungsoptionen. Lediglich der alte Pfad mit einem groen Anteil familirer und infor-meller Pflege scheint keine Zukunft mehr zu haben.

    Die Autor_innen der vorliegenden Studie gehen in ihrer Prognose davon aus, dass der anvisierte Personalbedarf in der Pflege zuknftig nicht gedeckt werden kann und skizzie-ren aufbauend auf dieser Annahme verschiedene Optio-nen fr eine zuknftige Pflegepolitik. Dieser Ansatz ist hilf-reich, denn er zwingt ber neue und unkonventionelle Ideen nachzudenken und alte Annahmen zu hinterfragen.

    Wie soll die Pflegepolitik der Zukunft aussehen?

    Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) arbeitet bereits seit vielen Jahren an dieser Frage. Regelmig werden dabei folgende Handlungsfelder identifiziert: Professionalisierung der Sorge-arbeit innerhalb und auerhalb von Einrichtungen, lokale Ver-ankerung und Steuerung der Pflegepolitik, Vernetzung mit angrenzenden Sektoren, ausreichende Finanzierung sowie Qualitt und Personenzentrierung. Insbesondere die beiden letztgenannten Bereiche werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen mssen, wenn das solidarische Pflegesystem in der Gesellschaft auf Akzeptanz und Untersttzung stoen soll.

    Trotz allem gibt es keinen Masterplan fr eine gute Pflege. Es wird nur einzelne Schritte in die richtige Richtung geben, die mit den beteiligten Akteuren des Sektors ausgehandelt und umgesetzt werden mssen.

    Wir freuen uns als Gesprchskreis Sozialpolitik der FES auch in Zukunft eine Dialogplattform zu diesen und anderen Fragen der Gesundheits- und Pflegesystems bieten zu knnen und hoffen, durch unsere Studien und wissenschaftliche Beitrge den Austausch im Bereich der Gesundheits- und Pflege-politik anzuregen. Mehr Informationen zu aktuellen Veranstal- tungen und Publikationen finden Sie im Internet unter www.fes.de/wiso.Ich danke den Autor_innen der Studie sehr herzlich fr die gute Zusammenarbeit, wnsche Ihnen eine anregende Lektre und freue mich ber Ihr Feedback.

    SEVERIN SCHMIDT Leiter Gesprchskreis SozialpolitikAbteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

    VORWORT

  • 3ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    Die fortschreitende Alterung der deutschen Bevlkerung stellt die Pflegepolitik vor enorme Herausforderungen. Im demo-grafischen Wandel nimmt auf der einen Seite die Pflegebe-drftigkeit und damit die Zahl der zu pflegenden Menschen bis zum Jahr 2030 (und darber hinaus) stetig zu. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Personen im Erwerbsalter und damit der potenziellen Pflegekrfte ab. Bleibt der Anteil der professionellen Pflege in der ambulanten sowie insbe-sondere in der stationren Versorgung konstant, so zieht dies einen entsprechenden Personal- und Fachkrftebedarf nach sich. Darber hinaus bedingt der Anstieg der Pflegebedrf-tigen einen wachsenden Finanzierungsbedarf.

    Allerdings ist keinesfalls sichergestellt, dass die Pflege in Zukunft ohne gezielte pflegepolitische Eingriffe gewhrleistet werden kann. Und dies ist nicht in erster Linie ein Finanzie-rungsproblem. Denn selbst wenn durch steigende Beitrge die Finanzierung der knftigen Versorgung theoretisch sicher-gestellt wre, muss der Herausforderung einer potenziellen Arbeits- und Fachkrftelcke begegnet werden (Abbildung 1).

    Die vorliegende Studie untersucht vor diesem Hintergrund die aktuelle Situation und Entwicklung der Pflegebedrftig-keit und des Pflegearbeitsmarkts. Gleichzeitig wird dabei die Finanzierung der Pflege in den Blick genommen, da eine Diskussion ber Reformoptionen nur sinnvoll gefhrt werden kann, wenn Klarheit ber die zur Verfgung stehenden Res-

    sourcen herrscht. Der zuknftige Finanzierungsbedarf fr eine Versorgungssituation auf dem heutigen Qualittsniveau spiegelt sich in Beitragssatzprognosen fr die Soziale Pflege-versicherung (SPV) wider. Implizit unterstellen diese Progno-sen, dass der Personalbedarf fr die Versorgung jederzeit gedeckt werden kann. Wenn aber die dafr notwendigen personellen Ressourcen in Zukunft nicht (oder nur einge-schrnkt) zur Verfgung stehen, gilt es, die prognostizierten Mittel in ihrer Verwendung neu zu denken, um auch zuknf-tig mindestens das Versorgungsniveau von heute sicherstel-len zu knnen (Kapitel 2).

    Im Rahmen der vorliegenden Studie wird vor diesem Hinter grund sowohl ein angebotsseitiger als auch ein nach-frageseitiger Lsungsansatz modelliert und den zur Verf-gung stehenden finanziellen Ressourcen gegenbergestellt (Kapitel 3). Auf Basis der modellierten Lsungsanstze wer-den anschlieend konkrete Handlungsempfehlungen aus-gearbei tet und direkt an die jeweiligen Akteure adressiert (Kapitel 4).

    Die vorliegende Studie soll damit eine neue Argumenta-tionslinie fr die Finanzierung von Reformen in der Pflege-politik aufzeigen und die Effekte zentraler Reformen auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite quantifizieren. Darber hinaus werden die Anforderungen an einzelne Akteure zur Ausgestaltung der Pflegepolitik der Zukunft konkret benannt.

    1

    EINLEITUNG

    Abbildung 1Entwicklung von Angebot an und Nachfrage nach Pflegekrften, 2015 bis 2030

    Quelle: eigene Darstellung.

    2030

    Nachfrage

    Angebot

    2015

    Pfleg

    eper

    sona

    l

    Gast

    urbi

    nen

    Lsung 1

    Lsung 2

  • 4FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    Im Rahmen dieses Kapitels werden zunchst die aktuellen Entwicklungen der Pflegebedrftigkeit und des Pflegeper-sonals dargestellt und fr die kommenden 15 Jahre beleuchtet. Darber hinaus werden Prognosen zur Entwicklung des Per-sonalangebots in der Pflege und zur Finanzierung vorgestellt. Dazu werden verfgbare Statistiken (Pflegestatistik etc.) aus-gewertet und eigene Modellrechnungen durchgefhrt. Dar-ber hinaus erfolgt ein Blick in die relevante Forschungslitera-tur, um bestimmte Charakteristika des Pflegemarkts genauer in den Blick zu nehmen und um die eigenen Prognosen ein-zuordnen.

    2.1 PFLEGEBEDRFTIGKEIT

    2.1.1 PFLEGESTUFEN, VERSORGUNGSFORMEN UND PFLEGEQUOTEN

    Die aktuellen Daten der Pflegestatistik fr das Jahr 2013 wei-sen einen weiteren Anstieg der Zahl der Pflegebedrftigen gegenber dem letzten Erhebungsjahr 2011 aus (Statistisches Bundesamt 2015). Insgesamt waren 2013 2,63 Millionen Personen pflegebedrftig, das sind rund 125.000 mehr als noch im Jahr 2011. Prozentual ist der Anstieg gegenber dem letzten Erhebungszeitpunkt mit etwa fnf Prozent jedoch deutlich schwcher ausgefallen als noch zwischen den Erhe-bungsjahren 2009 und 2011 (plus 7,0 Prozent).

    Die Betrachtung der Entwicklung der Pflegebedrftigen nach Pflegestufen in Abbildung 2 zeigt dabei den deutlichsten Zuwachs in der Pflegestufe I, sowohl prozentual (plus 7,0 Pro-zent) als auch absolut (plus 95.400 Pflegebedrftige). In die Pflegestufe II wurden 2013 rund 18.500 Personen zustzlich eingestuft (plus 2,3 Prozent), in die Pflegestufe III rund 6.000 Personen (plus 2,0 Prozent).

    Bei Betrachtung der Verteilung der Pflegebedrftigen nach Versorgungsformen1 zeigen sich ber die letzten zehn Jahre nur relativ geringfgige Verschiebungen (Abbil-dung 3). Ein stabiler Trend scheint die Zunahme der ambu-lanten Versorgung (plus zwei Prozent) zulasten der statio-nren Versorgung (minus zwei Prozent) zu sein. Obwohl die sozio-demografischen Vernderungen (geburtenbedingter Rckgang der potenziell pflegenden Kinder, zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen sowie Rckgang der Zusam-menlebenswahrscheinlichkeiten) eher einen Anstieg der stationren Versorgung erwarten lassen, zeichnet sich damit in den letzten Jahren eher ein Ambulantisierungstrend in der Altenpflege ab. Als ein Grund fr die zunehmend am-bulante Betreuung kann zudem die Mglichkeit der 24-Stun-den-Pflege durch auslndische Haushaltshilfen genannt werden.

    1 Die Pflegestatistik unterscheidet zwischen der Versorgung allein durch Angehrige, der Versorgung durch ambulante Pflegedienste und der stationren Versorgung (voll- und teilstationr).

    2

    STATUS QUO UND PERSPEKTIVEN IN DER PFLEGE

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 und 2015.

    2013

    2011

    2009

    2007

    2005

    2003

    1.465 837 311

    1.157 787 292

    1.370 818 305

    1.248 787 293

    1.029 764 276

    Abbildung 2Zahl der Pflegebedrftigen in Deutschland nach Pflegestufen, 2003 bis 2013, in 1.000 Personen

    bisher ohne Zuordnung

    Pflegestufe I

    Pflegestufe II

    Pflegestufe III

    500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.0000

    1.069 768 281

  • 5ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    Die Wahrscheinlichkeit, pflegebedrftig zu werden, steigt mit dem Alter deutlich an (Abbildung 4). Whrend von den 70- bis 75-Jhrigen lediglich fnf Prozent pflegebedrftig sind, liegt die Pflegequote bei den ber 90-Jhrigen bei 64 Pro-zent. Dabei liegt das Risiko bei Frauen (68 Prozent) im hhe-ren Alter deutlich ber dem der Mnner (52 Prozent). Mit dem Alter steigt nicht nur das grundstzliche Pflegerisiko an, sondern auch das Ausma an Pflegebedrftigkeit und damit verbunden die Wahrscheinlichkeit, stationr in einem Heim versorgt werden zu mssen. Fr die Zukunft lsst dies erwar-ten, dass sich die zuvor dargestellten Verteilungen der Pfle-gebedrftigen auf die Pflegestufen und Versorgungsformen im Zuge der fortschreitenden Alterung verschieben.

    2.1.2 PROGNOSE DER PFLEGEBEDRFTIGKEIT BIS 2030

    Zum Einfluss des demografischen Wandels, insbesondere der Alterung, auf die zuknftige Entwicklung der Pflegequoten gibt es verschiedene Thesen. Eine Mglichkeit ist, dass die Wahrscheinlichkeit, pflegebedrftig zu werden, mit zunehmen-dem Alter weiter zunimmt, wodurch die Zahl der Pflegebe-drftigen berproportional ansteigen wird. Hinter dieser soge-nannten Medikalisierungsthese steht die Annahme, dass die durch die steigende Lebenserwartung gewonnene Lebens-zeit vermehrt in Krankheit/Pflege verbracht wird. Der Anteil kranker Menschen an der Gesamtbevlkerung nimmt im Ergeb-

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 und 2015.

    2013

    2011

    2009

    2007

    2005

    2003

    47,4 % 23,5 % 29,1 %

    46,0 % 22,4 % 31,6 %

    47,3 % 23,0 % 29,7 %

    45,6 % 23,7 % 30,7 %

    47,5 % 21,7 % 30,8 %

    Abbildung 3Verteilung der Pflegebedrftigen in Deutschland nach Versorgungsformen, 2003 bis 2013, in Prozent (inkl. Pflegebedrftige ohne Zuordnung)

    ambulant: Angehrige

    ambulant: Pflegedienste

    stationr

    20 % 40 % 60 % 80 % 100 %0 %

    46,1 % 22,2 % 31,8 %

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2015.

    Abbildung 4Pflegerisiko nach Altersgruppen und Geschlecht in Deutschland, 2013, in Prozent (inkl. Pflegebedrftige ohne Zuordnung)

    mnnlich

    weiblich

    100 %

    40 %

    60 %

    80 %

    20 %

    0 %

    unter 15 70 7460 64 80 8415 59 75 7965 69 90 plus85 89

  • 6FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    nis zu. Den gegenstzlichen Ansatz hierzu stellt die Kom-pressionsthese dar: Die Zahl der in Krankheit/Pflege ver-brachten Jahre sinkt gem dieser These bei steigender Lebenserwartung. Der Ausbruch von Erkrankungen wird im Lebensverlauf nach hinten verschoben. Eine hhere Lebenser-wartung fhrt zu einem Zugewinn an gesunden Lebensjahren. Die gemigte und in der Forschung meist verwendete Sta-tus-quo-These geht hingegen von einer konstanten Pflege-wahrscheinlichkeit in der Zukunft aus.

    Ein Blick in die Literatur zeigt, dass die Prognosen zur Pflegebedrftigkeit stark von der jeweils unterstellten These abhngen. So errechnet eine Status-quo-Prognose des Sta-tistischen Bundesamts (2010: 27) bis 2030 eine Zunahme der Zahl der Pflegebedrftigen von heute 2,6 Millionen auf 3,4 Millionen Personen. Die Prognose unter der Annahme sin-kender Pflegequoten (Kompressionsthese) kommt im selben Zeitraum lediglich auf eine Zahl von 3,0 Millionen Pflegebe-drftigen (Statistisches Bundesamt 20120: 30).

    Die im Rahmen der vorliegenden Studie durchgefhrten eigenen Berechnungen sind Status-quo-Prognosen, d. h., die Zahl der Pflegebedrftigen wird unter der Annahme kons-tanter Pflegequoten fortgeschrieben. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen und insbesondere der Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Strkung der pflegerischen Versorgung (PSG II) durch den Bundestag am 13.11.2015, werden jedoch zustzliche Annahmen gesetzt, um die damit verbundenen absehbaren gesetzlichen Neue-rungen in den Prognosen zu bercksichtigen. Umfnglichere Ausfhrungen zu den Neuerungen im Rahmen des PSG II sind in Kapitel 2.5.1 dargestellt.

    Bercksichtigung des Zweiten Gesetzes zur Strkung der pflegerischen Versorgung (PSG II) in den Prognosen:

    Das Bundesministerium fr Gesundheit (2015a) geht davon aus, dass das neue Begutachtungssystem dazu fhren wird, dass im >

    >

    Jahr 2017 rund 500.000 zustzliche Personen als pflegebedrftig gelten und Leistungen empfangen. Da sowohl ber die zuknftige Verteilung der Pflegebedrftigen auf die neuen Pflegegrade als auch ber die konkreten Kosten pro Fall noch keine Informationen vorliegen, wird davon ausgegangen, dass sich die zustzlichen500.000 Pflegebedrftigen entsprechend der Struktur und knfti-gen Dynamik der aktuellen Pflegebedrftigen auf die Pflegestufen und Versorgungsformen verteilen werden.

    Die Mehrkosten zur Finanzierung der Reform werden im Ge-setzesentwurf fr das Jahr 2017 mit 3,7 Mill iarden Euro bezif fer t . In den Folgejahren werden Mehrausgaben in Hhe von 2,4 und 2,5 Milliarden Euro erwartet. Hinzu kommen einmalige berlei-tungskosten in Hhe von insgesamt 3,6 Milliarden Euro sowie ein-malige Bestandschutzkosten von 0,8 Milliarden Euro, die ber ei-nen Zeitraum von vier Jahren gestreckt werden. Diese Posten werden im Rahmen der Beitragssatzprognose (Kapitel 2.5.2) be-rcksichtigt . Die Entwicklung des Beitragssatzes wird modellendo-gen und damit kostenorientier t bestimmt (Bundesministerium fr Gesundheit 2015b: 5).

    Unter Bercksichtigung der genannten nderungen im Rah-men des PSG II ergibt sich fr das Jahr 2030 auf Basis der aktuellen Bevlkerungsprognose2 und unter der Annahme konstanter Pflegequoten eine Zahl von insgesamt 3,9 Millio-nen pflegebedrftigen Personen (Abbildung 5).

    2.2 PFLEGEKRFTEBEDARF

    ber alle OECD-Staaten hinweg wird erwartet, dass sich die Nachfrage nach Beschftigten in der Langzeitpflege bis 2050 aufgrund der Alterung der Bevlkerung und der sinkenden Verfgbarkeit von pflegenden Familienangehrigen verdop-peln wird (OECD 2013: 182). Der zuknftige Pflegebedarf fr Deutschland wurde bereits in vielen Studien prognostiziert.

    2 13. koordinierte Bevlkerungsvorausberechnung Variante 2: Kontinuitt bei strkerer Zuwanderung.

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2015.

    Abbildung 5Prognose der Zahl der Pflegebedrftigen nach Betreuungsart (formell, informell), 2030, in 1.000 Personen

    formell betreut

    informell betreut

    2013

    2030

    1.380 1.246 2.626

    2.155 1.719 3.874

    500 1.000 1.500 2.5002.000 3.5003.000 4.5004.0000

  • 7ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    So geht die Prognos-Studie Pflegelandschaft 2030 (2012: 25) davon aus, dass die Beschftigung im Pflegesektor von 2009 bis 2030 um 506.000 Personen zunehmen msste, um das derzeitige Versorgungsniveau zu halten. Darber hinaus entsteht gem Pflegelandschaft 2030 ein weiterer Perso-nalbedarf in Hhe von 125.000 Personen dadurch, dass das informelle Pflegepotenzial insbesondere aus sozio-demogra-fischen Grnden zurckgeht.3

    Fr die folgende Prognose des Pflegekrftebedarfs wird wie in der Pflegelandschaft das gesamte Pflegepersonal auf Basis der Pflegestatistik zugrundgelegt (siehe Kasten).

    Statistische Abgrenzung der Pflegekrfte

    Im Folgenden werden Pflegekrfte entsprechend der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamts als Gesamtpersonal in ambulanten P f legediensten und Pf legeeinr ichtungen def inier t (Stat ist isches Bundesamt 2015).

    Als Pflegeheime und ambulante Pflegedienste werden statis-tisch die Einrichtungen er fasst , die durch den Versorgungsver trag nach 72 SGB XI zur Pflege zugelassen sind oder Bestandschutz nach 73 Abs. 3 und 4 SGB XI genieen und danach zugelassen sind. Zum Personalbestand der P f legeeinr ichtung werden al le Personen gezhlt , die dort beschftigt sind bzw. in einem Arbeits-verhltnis zur Pflegeeinrichtung stehen oder teilweise oder aus-schlielich Leistungen nach SGB XI erbringen. Damit sind neben dem pflegerischen Fachpersonal auch Hilfskrf te und Auszubil-dende eingeschlossen.

    >

    3 In der Prognose der Pflegelandschaft wird das gesamte Personal ein-bezogen, wie es in der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamts aus-gewiesen wird. Hackmann (2010: 236) legt den Fokus dagegen auf die fr primr pflegerische Ttigkeiten eingesetzten Arbeitskrfte im Pflege-sektor und prognostiziert , dass die Zahl der Vollzeitpflegestellen von 2007 bis 2050 um etwa 129.000 Vollzeitstellen fr Altenpflegekrfte an-steigen wird. Angenommen wird hierbei, dass sich die Beschftigtenzahl in der Altenpflege gem der Zunahme der professionell zu versorgen-den Pflegeflle entwickelt und das Verhltnis von stationrer zu ambu-lanter Versorgung bis zum Ende des Prognosezeitraums bei 3 zu 2 kons-tant bleibt.

    >

    Nicht bercksichtigt sind bei dieser Abgrenzung informelle und zum Teil il legale 24-Stunden-Pflegekrfte (nach von der Malsburg und Isfor t (2014: 2) geschtzt 150.000 Personen) aus dem Aus-land oder auch ehrenamtliche Krfte.

    Um von der prognostizierten Zahl der Pflegebedrftigen (Abschnitt 2.1.2) auf den zuknftigen Bedarf an Pflegekrften zu schlieen, bedarf es sowohl Annahmen zur Entwicklung der Versorgungsformen als auch des Betreuungsverhltnisses. Analog zur Prognose der Pflegebedrftigkeit wird hierzu im Folgenden der Status quo fortgeschrieben. Da sich bei der Ent-wicklung der Verteilung der Pflegebedrftigen nach Versor-gungsformen in den vergangenen zehn Jahren kaum Vern-derungen ergeben haben (Abbildung 3), halten wir grere Verschiebungen, zumindest ohne massive politische Eingriffe, bis zum Jahr 2030 fr unwahrscheinlich. Die geplanten n-derungen im Rahmen des PSG II werden, wie in Kapitel 2.1.2 beschrieben, bercksichtigt.

    Das aktuelle Betreuungsverhltnis gemessen in Pflegebe-drftigen je vollzeitquivalenter (VZ) Pflegekraft liegt im ambulanten Sektor bei 2,89, im personalintensiveren statio-nren Sektor bei 1,53 (Abbildung 6). Mit Blick auf die letzten zehn Jahre zeigt sich eine leichte Verbesserung des Betreu-ungsverhltnisses. Allerdings sind aus diesen Zahlen keine voreiligen Schlsse hinsichtlich der tatschlichen Betreuungs-qualitt zu ziehen, da nicht allein die Zahl der zu betreuenden Pflegebedrftigen entscheidend ist, sondern vielmehr deren Bedarf an Pflege. Dieser steigt mit dem Grad der Pflegebe-drftigkeit und ist beispielsweise bei Demenzkranken beson-ders hoch. Zudem haben sich ber den genannten Zeitraum die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an das Personal deutlich verndert. Immer wieder in der Diskussion stehen dabei die umfangreichen Dokumentationspflichten der Pflegekrfte. Es gibt bereits zahlreiche Projekte zur Redu-

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 und 2015.

    Abbildung 6Pflegeflle pro Pflegeperson (VZ) in Deutschland nach Versorgungsart, 2003 bis 2013 (exkl. Pflegebedrftige ohne Zuordnung)

    ambulant (VZ)

    stationr (VZ) 2003 2007 20112005 2009 2013

    4,0

    3,35

    1,63

    3,36

    1,64

    3,25

    1,66

    3,14

    1,56

    2,98

    1,53

    2,89

    1,53

    2,5

    3,0

    3,5

    2,0

    0,0

    0,5

    1,0

    1,5

  • 8FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    zierung des Dokumentationsaufwands, u. a. vom Bundes-ministerium fr Gesundheit (2014). Auch EDV-gesttzte Pflegedokumentationssysteme werden bereits vielerorts in der Praxis eingesetzt bzw. getestet, allerdings hat eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts (2013: 116) ergeben, dass die Dokumentation auf Papier grundstz-lich weniger Zeit in Anspruch nimmt als die elektronische.

    Einheitliche Pflegeschlssel, die festlegen, wie viele Pflegebedrftige rechnerisch von einer Vollzeitkraft ver-sorgt werden sollen, existieren in Deutschland nicht. Im stationren Bereich hat jedes Bundesland andere Vorga-ben, differenziert nach Pflegestufen4. Im Bundesdurch-schnitt liegt der Personalschlssel in der Pflegestufe null bei etwa 1:8,5, in der Pflegestufe 1 bei etwa 1:4 in der Pflegestufe II bei etwa 1:2,7 und in der Pflegestufe III bei etwa 1:2. Damit steigt der Personalschlssel mit dem Grad der Pflegebedrftigkeit (Wipp 2014).

    Im ambulanten Bereich gibt es auch auf Bundesland-ebene keine einheitlichen Pflegeschlssel. Insbesondere mit Blick auf die Arbeitsbedingungen sehen viele Einrichtungen jedoch die Notwendigkeit, Mindeststandards fr den Per-sonalbedarf festzusetzen, um einen Preiswettbewerb zu-lasten der Arbeitnehmer_innen zu verhindern (Prognos AG 2014a: 30).

    Eine Fortschreibung des aktuellen Personalschlssels fr die prognostizierte Zahl an Pflegebedrftigen aus Ab-schnitt 2.1.2, fhrt bis zum Jahr 2030 zu einem Personal-bedarf in Hhe von 1.110.000 VZ-Pflegekrften.

    2.3 PFLEGEKRFTEANGEBOT

    2.3.1 ARBEITSZEITUMFANG, VERSORGUNGS-FORMEN UND TTIGKEITSBEREICHE

    2013 waren laut aktueller Pflegestatistik insgesamt rund eine Million Personen in der Pflege beschftigt. Aufgrund des hohen Anteils von Teilzeitbeschftigten (64 Prozent) entspricht diese Personenzahl rund 700.000 VZ. Der hohe Anteil an Teilzeitbeschftigten geht einher mit einem sehr hohen Frauenanteil unter dem Pflegepersonal (85 Prozent). Dabei ist im ambulanten im Vergleich zum stati-onren Sektor sowohl der Frauenanteil (86 Prozent vs. 84 Prozent) als auch der Anteil der Teilzeitbeschftigten (70 Prozent vs. 62 Prozent) hher. Whrend sich die Zahl der Vollzeitbeschftigten am gesamten Pflegepersonal in den letzten zehn Jahren kaum verndert hat, ist die Zahl der Teilzeitbeschftigten zwischen 2003 und 2013 deutlich an-gestiegen. Insgesamt kam es damit zu einem Anstieg der VZ (Abbildung 7).

    Eine aktuelle Untersuchung des Instituts fr Arbeits-markt- und Berufsforschung (2015: 9 f.) zu den Verdiensten in den Pflegeberufen in Deutschland analysiert auf Basis des Mikrozensus die Grnde fr die hohe Teilzeitquote.5 Differenziert nach Fachkrften und Helferinnen in der Al-tenpflege kann fr Frauen gezeigt werden, dass in Ost-deutschland deutlich hufiger unfreiwillig in Teilzeit gear-

    4 Ausnahme bildet das Bundesland Thringen. Der dort vereinbarte Orientierungswert von 1:2,83 gilt fr alle Pflegestufen.

    beitet wird. 46 Prozent der Fachkrfte und 55 Prozent der Helferinnen geben als Grund fr ihre Teilzeitttigkeit an, kei-ne Vollzeitstelle zu finden. In Westdeutschland dominieren hingegen persnliche und familire Grnde bei der Wahl ei-ner Teilzeitttigkeit. Laut Einschtzungen des IAB spiegelt dieses Ergebnis zum einen die unterschiedliche Erwerbsbe-teiligung ost- und westdeutscher Frauen wider. Darber hin-aus wird die schlechtere Versorgung mit Krippen und Kita-pltzen in Westdeutschland als Ursache genannt.

    Insgesamt ist die Zahl der Pflegekrfte (VZ) seit 2003 um knapp 35 Prozent gestiegen. Damit war dieser Zuwachs deutlich strker als der der Pflegebedrftigen (plus 26 Pro-zent), was sich in den beschriebenen Entwicklungen der Be-treuungsrelationen (Abbildung 6) niederschlgt.

    Auslndische Pflegekrfte

    Eine aktuelle Befragung der Bertelsmann Stiftung (2015: Kap. 6.2) hat ergeben, dass lediglich jedes sechste deutsche Unternehmen aus der stationren Alten- und Krankenpflege sowie der ambulan - ten Pflege in den letzten drei Jahren versucht hat, aktiv Pflegekrfte aus dem Ausland zu rekrutieren. Und das obwohl sich die rechtli-chen Rahmenbedingungen fr die Zuwanderung und den Aufenthalt in Deutschland bereits verbessert haben. Weniger als die Hlfte der Versuche, auslndisches Pflegepersonal nach Deutschland zu holen, verlief erfolgreich. Hufige Probleme bei der Rekrutierung im Aus-land sind u. a. die Brokratie und Verstndigungsprobleme. 60 Prozent der Unternehmen, die bisher keinen Versuch zur internationalen Re-krutierung unternommen haben, wollen dies auch in Zukunft nicht tun.

    Insbesondere Krankenhuser und groe Pflegeeinrichtungen rekrutieren Personal im Ausland. An der Spitze der Lnder, aus denen Fachkrfte angeworben wurden, stand in den letzten drei Jahren Spanien, gefolgt von Polen, Kroatien, Rumnien, Italien und Griechen-land. Auerhalb der EU waren insbesondere osteuropische Staaten gefragt, asiatische Lnder wie China, die Philippinen und Vietnam spielten dagegen nur eine kleinere Rolle. Obwohl die Kosten der in-ternationalen Rekrutierung sehr hoch sind, will ein Drittel der Unter-nehmen, die bereits international rekrutiert haben, dies auch in Zu-kunft weiterfhren. Lediglich acht Prozent wollen dies nicht wiederholen. Die Hlfte der Personalverantwortlichen, die bisher nicht international rekrutiert haben, stimmt der These zu, dass es leichter ist , sich um inlndische Arbeitskrfte zu bemhen als im Ausland zu rekrutieren. Nur einer von zehn Personalverantwortlichen stimmt dieser These nicht zu.

    Whrend in Deutschland sehr wenige auslndische Pflegekrfte beschftigt sind, kommt in den USA jede vier te Pflegekraft aus dem Ausland. In anderen Lndern machen die auslndischen Pflege-krfte einen groen Anteil der huslichen Pflegekrfte aus, bei-spielsweise in Italien (Anteil von 70 Prozent) (OECD 2013: 182).

    Allerdings sind in Deutschland laut einer Untersuchung von Malsburg und Isfort (2015: 2) mittlerweile schtzungsweise 150.000 Personen in der sogenannten 24-Stunden-Pflege ttig. Die ber-wiegend aus Mittel- und Osteuropa stammenden Frauen leben in den Haushalten der Pflegebedrftigen, sind jedoch nicht stndig in Deutschland beschftigt, sondern kehren immer wieder fr eine ge-wisse Zeit in ihr Heimatland zurck. Problematisch wird das Beschf- tigungsverhltnis einerseits dadurch, dass die Frauen keine geregel-ten Arbeitszeiten haben bzw. Arbeiten verrichten, fr die sie keine Qualifikation besitzen.

    >

    5 Die Untersuchung wurde auf Grundlage der Beschftigungsstatistik der Bundesagentur fr Arbeit fr Vollzeitbeschftigte durchgefhrt. Diese Ergebnisse wurden durch zustzliche Analysen auf Grundlage des Mikro-zensus des Statistischen Bundesamtes ergnzt, sodass auch der Umfang und die Ursachen der Teilzeitbeschftigung in den Pflegeberufen unter-sucht werden konnten.

  • 9ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    >

    Andererseits gibt es fr die Frauen keine vertragliche und sozialversi-cherungsrechtliche Absicherung. Vermittelt werden die auslndischen Haushaltshilfen meist durch Vermittlungsagenturen im Internet oder ber Nachbar_innen und Bekannte, die bereits eine auslndische Haushaltshilfe beschftigen, und die entsprechenden Kontakte ver-mitteln. Die Nutzer_innen dieses Angebots bercksichtigen oft nicht, dass diese Frauen zum Teil von den Agenturen ausgebeutet werden oder dass die Versorgungssituation in deren Heimatland durch ihre Abwesenheit gefhrdet ist.

    Differenziert nach Versorgungsformen zeigt sich, dass im ambulanten Bereich seit 2007 ein strkerer Anstieg des Per-sonals (VZ) erfolgt ist als im stationren Sektor. Whrend 2003 noch gut ein Viertel aller Beschftigten im ambulanten Sektor ttig waren, ist es 2013 fast ein Drittel. Damit fllt die Verschiebung von stationr zu ambulant bei den Pflegekrften noch deutlicher aus als bei den Pflegebedrftigen (Abbil-dung 3). Auch diese Beobachtung besttigt die Entwicklung der Betreuungsrelationen (Abbildung 6), die sich im Bereich der ambulanten Versorgung noch deutlicher verbessert hat als in der stationren. Der stationre Sektor ist jedoch nach wie vor der deutlich personalintensivere. Obwohl im statio-nren Bereich lediglich rund 45 Prozent aller formell betreu-ten Pflegebedrftigen versorgt werden, sind dort knapp 70 Prozent des gesamten Pflegepersonals beschftigt.

    Neben der reinen Anzahl an Personen, die in ambulanten Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen beschftigt sind, ist von besonderem Interesse, wie hoch der Anteil derjenigen ist, deren Ttigkeit die unmittelbare Pflege darstellt. 2013 war die Mehrheit der Beschftigten (VZ) im ambulanten Bereich in der Grundpflege (70 Prozent) bzw. im stationren Sektor im Bereich Pflege und Betreuung (68 Prozent) ttig. Auf die Bereiche Verwaltung und Geschftsfhrung, haus-technischer Bereich und Sonstiges entfallen jeweils rund zehn Prozent der Beschftigten.6

    Mit Blick auf die Qualitt der Pflege ist neben dem Anteil des faktisch pflegerischen Personals die berufliche Qualifi-kation desselben von hoher Relevanz. Die Fokussierung auf Altenpfleger_innen, Gesundheits- und Krankenpfleger_innen sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger_innen stellt eine Abgrenzung im engeren Sinne dar. Der Anteil des Perso-nals, der eine Ausbildung zum/zur Altenpfleger_in, Gesund-heits- und Krankenpfleger_in oder Gesundheits- und Kinder-krankenpfleger_in absolviert hat, lag gemessen in VZ im ambulanten Bereich 2013 bei rund 58 Prozent und im statio-nren Sektor bei 50 Prozent.

    Vorgaben dazu, wie hoch der Anteil an Fachkrften am gesamten Personal sein soll, gibt es in Deutschland nur im stationren Bereich. Die Fachkraftquote liegt fr alle Bundes-lnder bei 50 Prozent (mit Ausnahme von Brandenburg).7

    Im ambulanten Bereich existieren keine gesetzlich vorge-schriebenen Fachkraftquoten. Es gibt jedoch die Qualifikation des Personals betreffende Vorgaben, um als Pflegedienst eine Zulassung bei der zustndigen Pflegekasse zu erhalten. Diese sind in den Bundeslndern sehr unterschiedlich ausge-staltet. So werden in Thringen beispielsweise vier Vollzeit-fachkraftstellen fr einen Pflegedienst gefordert, wohingegen es in Hessen und Niedersachsen mindestens vier Vollzeit-stellen ohne besondere Fachkraftanforderung bedarf, darun-ter aber mindestens eine Pflegedienstleitung (Prognos AG 2014a: 29).

    6 Im Vergleich zum Jahr 2003 hat sich an der Verteilung des Personals nach Ttigkeitsbereichen relativ wenig verndert. Bei den ambulanten Pflegediensten gab es lediglich eine Aufspaltung des Bereichs hauswirt-schaftliche Versorgung in einen neuen Unterbereich husliche Betreuung. In den Pflegeheimen wurde mit der Pflegereform 2008 die zustzliche Kategorie der zustzlichen Betreuung nach 87 b SGB XI eingefhrt, die Ttigkeiten aus dem Hauswirtschaftsbereich ersetzt.

    7 Brandenburg ist das einzige Bundesland, das in seinem Landesheim-gesetz eine ffnungsklausel fr die Fachkraftquote hat.

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 und 2015.

    Abbildung 7Pflegepersonal nach Arbeitszeitumfang, 2003 bis 2013, in 1.000 Personen

    2013

    2011

    2009

    2007

    2005

    2003

    290 648

    265 495 49

    292 610 50

    279 559 52

    68

    274 277 161

    VZ

    Vollzeit

    Teilzeit

    sonstige 200 400 600 800 1.000 1.2000

    265 314 183

  • 10FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    2.3.2 AUSZUBILDENDE UND ABSOLVENT_ INNEN IN DER PFLEGE

    Ein zentraler Indikator fr das knftige Angebot an Pflege-krften und insbesondere an Pflegefachkrften, ist die Aus-bildungsquote in den ambulanten Pflegediensten und Pfle-geheimen.8 Auf Basis der Pflegestatistik zeigt sich ber die letzten zehn Jahre ein deutlicher Anstieg der Zahl der Aus-zubildenden von 24.500 (2003) auf 61.500 (2013) Personen. In der stationren Versorgung liegt die Ausbildungsquote 2013 dabei mit 7,5 Prozent nach wie vor deutlich hher als im ambulanten Bereich mit 3,2 Prozent (Abbildung 8).

    Whrend in den beruflichen Schulen insgesamt die Zahl der Schler_innen seit 2008 kontinuierlich zurckgeht, haben die Schulen des Gesundheitswesens, die die zentralen Pflege-berufe ausbilden, einen kontinuierlichen Zustrom an Schler_innen erfahren. Insbesondere zwischen 2011 und 2012 ist hier ein Anstieg um 10,2 Prozent bzw. um 13.700 Schler_ innen zu verzeichnen (Statistisches Bundesamt 2014).

    Auch wenn es schwer messbar ist, ob diese positiven Entwicklungen auf politische Bemhungen zurckzufhren sind, so sind Offensiven, wie beispielsweise die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege, ein wichtiger Schritt, um die Attraktivitt des Berufs- und Beschftigungsfelds zu erhhen und die Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege zu frdern (Bundesministerium fr Familien, Senioren, Frauen und Jugend 2012a).9 Als weiterer Schritt ist der Gesetzent-wurf zur generalistischen Pflegeausbildung zu nennen, der die bisher getrennte Alten- und Krankenpflegeausbildung ab 2016 abschaffen und in eine einheitliche Ausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann berfhren soll

    8 Laut Pflegestatistik Zahl der Praktikant_innen, Schler_innen und Auszubildenden an allen Pflegekrften.

    (Institut fr Gesundheits- und Pflegerecht 2015; Altenpflege- online.net 2015).

    Diese Entwicklungen knnen dazu beitragen, das zuknf-tige Angebot an Pflege(fach)krften zu erhhen. Allerdings ist eine hohe Ausbildungsquote nicht unmittelbar mit einer Deckung des zuknftigen Bedarfs gleichzusetzen, denn ins-besondere in der Pflege spielt die Abwanderung in andere Berufe eine groe Rolle. Die Verweildauer in der Pflege ist im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen relativ kurz. So liegt die Verweildauer im Beruf bei Krankenschwestern zwi-schen 20 Prozent (Personal mit mindestens einem Jahr Aus-bildungszeit) und 63 Prozent (Personal insgesamt) ber der von Altenpflegekrften. Die durchschnittliche Verweildauer von Altenpflegekrften insgesamt liegt bei 8,4 Jahren, die von Personal mit mindestens einem Jahr Ausbildungszeit bei 12,7 Jahren. Besonders brisant ist, dass die Abbruchwahr-scheinlichkeiten direkt nach Ende der Erstausbildung sehr hoch sind. Das in der Ausbildung gewonnene Bild der Alten-pflegerin bzw. des Altenpflegers stimmt hufig nicht mit der Realitt ber ein (Hackmann 2010: Kap. 4.5). Die ver.di-Studie Ausbildungsreport Pflegeberufe 2012 stellt fest, dass nur gut 60 Prozent der befragten Auszubildenden in den Pflege-berufen mit der Ausbildung insgesamt zufrieden oder sehr zufrieden sind. Zentrale Probleme aus Sicht der Auszubilden-den sind die mangelnde praktische Anleitung im Betrieb, berstunden und unplanmige Versetzungen, die Ausbil-dungsvergtung, nicht ausreichend zur Verfgung gestellte Ausbildungsmittel, Unterrichtsausfall, der mangelnde Theorie-

    9 Die Initiative wurde von der Bundesregierung im Jahr 2012 gemein-sam mit den zustndigen Ministerien (Bundesministerium fr Arbeit und Soziales, Bundesministerium fr Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Bundesministerium fr Gesundheit und Bundesministerium der Finanzen) ins Leben gerufen (Bundesministerium fr Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2012b).

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 und 2015.

    2013

    2011

    2009

    2007

    2005

    2003

    Abbildung 8Zahl der Praktikant_innen, Schler_innen und Auszubildenden an allen Pflegekrften (absolut, untere Achse) und Ausbildungsquoten (in Prozent an allen Pflegekrften, obere Achse), nach Versorgungsformen, 2003 bis 2013

    Ausbildungsquote stationr

    Ausbildungsquote ambulant

    ambulant

    stationr

    1 %

    10.000

    2 %

    20.000

    3 %

    30.000

    4 %

    40.000

    5 %

    50.000

    8 %7 %

    70.000

    0 %

    0

    6 %

    60.000

  • 11ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    Ost

    Wes

    tal

    le S

    vB

    Unterricht-Transfer und Belastungen in der Ausbildung (ver.di 2013: 9).

    Im Gegensatz zu den Jobabbrchen stellt die Vielzahl spter Wechsel aus anderen Berufen in die Pflege eine positive Entwicklung auf dem Pflegearbeitsmarkt dar, was sich an der hohen Zahl der Umschler_innen unter den Aus-zubildenden in Pflegeberufen zeigt. In den ambulanten Pflegediensten waren 2013 21 Prozent aller Auszubildenden Umschler_innen. Entsprechend hoch ist auch der Anteil der Auszubildenden, die bereits 30 Jahre und lter sind (38 Pro-zent). In Pflegeheimen ist dieses Phnomen mit einem Anteil der Umschler_innen von 14 Prozent und einem Anteil der Auszubildenden, die bereits 30 Jahre und lter sind, von 28 Prozent etwas weniger stark ausgeprgt. Neben den ausge-bildeten Alten- und Krankenpflegekrfte weist die Pflege-branche sehr hohe Anteile von fachfremd ausgebildeten und nicht fachlich ausgebildeten Beschftigten auf. Der An-teil des Personals in der Pflege mit sonstigen (nicht pflege-spezifischen) Berufsabschlssen betrug 2013 gemessen in VZ 21 Prozent, der Anteil derer ohne Berufsausbildung (einschlielich der Personen in Ausbildung) 13 Prozent (Statis-tisches Bundesamt 2015).

    2.3.3 ARBEITSBEDINGUNGEN UND ENTLOHNUNG DER PFLEGEKRFTE

    Dass hohe physische und psychische Belastungen den Berufs-alltag der Pflegekrfte bestimmen, wird immer wieder in Be-fragungen deutlich. So beantworten im Rahmen der Erhebung des DGB-Index Gute Arbeit 74 Prozent der Pflegekrfte die Frage, ob sie unter den derzeitigen Anforderungen ihre jetzige Ttigkeit bis zum Rentenalter ausben knnen, mit nein (Kllner 2015: 3).

    Gleichzeitig ist die Entlohnung in der Altenpflege im Ver- gleich zu anderen Berufsgruppen (insbesondere auch zu den

    Berufen in der Krankenpflege) sehr gering (Abbildung 9). Fachkrfte in der Altenpflege verdienen deutlich weniger als Fachkrfte in anderen Berufsgruppen. Im Osten sind es 30 Prozent weniger, im Westen knapp zehn Prozent. Verglichen mit den Fachkrften in der Krankenpflege verdienen Alten-pflegefachkrfte im Osten fast 29 Prozent weniger, im Westen gut 18 Prozent. Damit ist der Verdienst von Fachkrften in der Altenpflege lediglich etwas hher als der von Helfer_innen in der Krankenpflege. Altenpflegehelfer_innen verdienen im Vergleich zum Medianentgelt ber alle Berufe in Ostdeutsch-land gut 35 Prozent und in Westdeutschland um 40 Prozent weniger. Ihr Arbeitsentgelt liegt damit im Osten fast 20 Prozent und im Westen fast 25 Prozent unter dem der Helfer_innen in der Krankenpflege (Institut fr Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung 2015: Kap. 4).

    Grundstzlich benachteiligt ist die Altenpflege gegenber der Krankenpflege durch die Ausgestaltung der Versicherungs- systeme. Whrend die Krankenpflege durch die als Vollkasko- versicherung ausgestaltete gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziert wird, handelt es sich bei der SPV nur um eine Teilkaskofinanzierung. Erhht man die Gehlter der Pflege- krfte in der Altenpflege, wirkt sich das direkt auf die Pflege-stze aus und fhrt damit zu hheren Eigenanteilen der Pflege- bedrftigen bzw. zu einem Anstieg der Transferleistungen durch den Staat (Hilfe zur Pflege). Ein weiterer Grund fr die geringen Verdienste in der Altenpflege im Vergleich zur Kran- kenpflege liegt in der tendenziell geringeren Betriebsgre von Pflegeeinrichtungen bzw. Pflegediensten. Gut drei Viertel der Altenpflegekrfte arbeiten in Betrieben mit unter 100 Be-schftigten. Zudem sind ber 60 Prozent der Altenpflegefach- krfte auertariflich beschftigt. Die Tarif bindung steigt wiederum mit der Betriebsgre. Befristete Beschftigungsver- hltnisse sind in der Altenpflege zudem deutlich hufiger der Fall als bei den restlichen Pflegeberufen (Hans-Bckler-Stiftung/ Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut 2012: 915).

    Quelle: Institut fr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015.

    Abbildung 9Monatliche Median-Bruttoentgelte von Vollzeitbeschftigten in den Pflegeberufen in Deutschland, 2013, in Euro

    Helfer Krankenpflege

    Fachkraft Krankenpflege

    Fachkraft Krankenpflege

    Fachkraft Altenpflege

    Helfer Krankenpflege

    Helfer Altenpflege

    Ostdeutschland

    Fachkraft Altenpflege

    Helfer Altenpflege

    Westdeutschland

    Median-Bruttoentgelte in EUR 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.5003.0000

    2.738

    1.945

    1.854

    1.495

    3.139

    2.568

    2.470

    1.855

    2.317

    3.094

  • 12FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    2.4 ANGEBOT UND NACHFRAGE 2030

    Sowohl ein deutlicher Anstieg der Zahl der Pflegebedrftigen (Kapitel 2.1.2) als auch des zuknftigen Personalbedarfs (Kapitel 2.2) ist unter Expert_innen unstrittig. Gleiches gilt grundstzlich in Bezug auf einen Rckgang des knftigen Angebots an Pflegekrften.10

    Im Rahmen dieser Studie wird das Pflegekrfteangebot im Sinne einer Status-quo-Prognose fortgeschrieben. Unter Bercksichtigung des demografischen Wandels (Alterung und Austritt von aktuell Beschftigten) ergibt sich rechnerisch ein Rckgang des Personals in der Pflege um 59.000 VZ auf nur noch 645.000 VZ bis 2030. Dabei ist u. a. bercksichtigt, dass die Ausbildung von Pflegekrften auf Status-quo-Niveau weitergefhrt (Anteil der Auszubildenden in der Pflege an der altersgleichen Bevlkerung) wird.

    Die vorangegangenen Berechnungen (Kapitel 2.2) fr die Nachfrageseite haben gezeigt, dass die demografische Ent-wicklung und die zu erwartenden Neuerungen im Rahmen des PSG II zu einem zustzlichen Personalbedarf in Hhe von 406.000 VZ fhren. Neben diesem Ergebnis der reinen Status-quo-Prognose erwarten wir im Bereich der informel-len Pflege einen Ersatzbedarf von rund 52.000 VZ-Pflege-krften. Urschlich hierfr sind der Rckgang der Zahl der Erwerbs ttigen im Zuge des demografischen Wandels und die daraufhin zu erwartende Steigerung der Frauenerwerbs-

    10 Allerdings variieren auch bei den Prognosen des knftigen Pflege-angebots die quantitativen Dimensionen in Abhngigkeit der zugrunde-liegenden Annahmen sowie der unterschiedlichen Abgrenzungen des Pflegepersonals. So errechnet etwa Hackmann fr das Jahr 2050 eine Personallcke von etwa 430.000 Vollzeitstellen (vgl. Hackmann 2010). Die Prognos-Studie Pflegelandschaft 2030 zeigt bereits fr 2030 eine Lcke von 520.000 VZ (Prognos AG 2012: 27).

    quote. Nach wie vor sind es vor allem Frauen und Tchter von Pflege bedrftigen, die die informelle Pflege leisten. Zusammen mit dem bereits fr die Versorgung der aktuel-len Zahl an Pflegebedrftigen notwendigen Personal liegt der Bedarf an Pflegekrften im Jahr 2030 damit bei rund 1,2 Millionen VZ.

    Abbildung 10 zeigt, dass bis zum Jahr 2030 44 Prozent des fr die Sicherstellung des heutigen Versorgungsniveaus notwendigen Personals fehlen werden. Absolut ergibt sich damit eine rechnerische Lcke von 517.000 VZ.

    Die identifizierte Personallcke weist die potenziell und voraussichtlich fehlenden personellen Ressourcen aus, um eine Versorgung auf dem aktuellen Niveau sicherzustellen.11 Die Referenz bleibt damit die heutige Versorgungssituation. Ob der heutige Zustand einen fr die Zukunft wnschens-werten darstellt, ist eine hier nicht behandelte Frage.

    2.5 FINANZIERUNG DER SPV

    Um im Folgenden Ressourcen zu identifizieren, die fr struk-turelle Reformen der Pflegeversicherung nutzbar sind, ist ein

    11 Einige Studien beziffern bereits heute auf Basis von Umfragen oder Statistiken zu unbesetzten Stellen einen Fachkrftemangel. So belegt eine Studie der Bertelsmann Stiftung, dass drei Viertel der befragten deutschen Unternehmen aus der stationren Alten- und Krankenpflege sowie der ambulanten Pflege, die derzeit Einstellungsbedarf angeben, Probleme haben, geeignete Pflegefachkrfte zu finden. 80 Prozent der Befragten erwarten zudem, dass die Rekrutierung von Pflegefachkrften in den nchsten fnf Jahren noch schwieriger wird (Bertelsmann Stiftung 2015: Kap. 5.2). Im Rahmen der Studie wurde eine Umfrage unter 600 Persona l - verantwortlichen aus Einrichtungen der stationren Krankenpflege, der stationren Altenpflege und der ambulanten Pflege durchgefhrt.

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2015.

    Pfleg

    eper

    sona

    l in

    VZ

    in T

    ause

    nd

    Abbildung 10Gegenberstellung von Personalbedarf und Personalangebot in der Pflege, 2030, in 1.000 VZ

    Bestand inform. Ersatzbedarf

    demograf. Schrumpfung

    zustzliche Nachfrage

    Lcke Angebot

    704

    406 517 44 % Personal fehlt

    (704)645

    1.162

    52

    59

    +

    +

  • 13ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    Blick auf die aktuelle und knftige Finanzierungssituation der SPV geboten. Fr die vorliegende Studie wurde hierzu mit dem Sozialversicherungsmodell OCCUR der Prognos AG eine Beitragssatzprognose fr die SPV bis zum Jahr 2030 erstellt. In OCCUR sind die Einnahmen und Ausgaben der SPV detailliert abgebildet und knnen fr unterschiedliche gesamtwirt-schaftliche Entwicklungen langfristig prognostiziert werden.12

    2.5.1 GRUNDLAGEN

    Die Pflegeversicherung ist eine Pflichtversicherung, wobei sich die Versicherungspflicht aus dem Grundsatz Pflegever-sicherung folgt Krankenversicherung ableitet. Sofern keine Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung besteht, ist der Abschluss einer privaten Pflegeversicherung (PPV) obli-gatorisch.

    Die Pflegeversicherung ist grundstzlich parittisch ber lohnabhngige Beitrge finanziert. Arbeitnehmer_innen so-wie Arbeitgeber_innen zahlen jeweils den halben Beitrag. Der gesetzlich festgelegte Beitrag liegt aktuell (2015) bei 2,35 Prozent und wird bis zur Beitragsbemessungsgrenze (49.500 Euro p. a., 2015) auf Lohn und Gehalt entrichtet. Ausnahmen gibt es im Bundesland Sachsen, wo die Arbeitgeber_innen und Arbeitgeber_innen nur einen Beitragssatz von 0,675 Pro-zent bezahlen, als auch bundesweit fr Kinderlose, bei denen ein Beitragssatzzuschlag von 0,25 Prozent erhoben wird. Rentner_innen mssen zudem den gesamten Beitrag selbst entrichten. Fr Arbeitslose bernimmt die Bundesagentur fr Arbeit die Zahlung des Pflegeversicherungsbeitrags.

    Die Leistungen der Pflegeversicherung unterscheiden sich zum einen nach huslicher (ambulanter) und stationrer Pflege und zum anderen nach den Pflegestufen (Stufen I bis III sowie Hrteflle), die entsprechend dem Grad der Pflegebedrftig-keit eingeteilt sind. Zudem wird die Leistung danach differen-ziert, ob die Pflege von professionellen Anbietern (z. B. einem ambulanten Pflegedienst) oder nicht erwerbsmig, also etwa durch Angehrige, erbracht wird. Im erstgenannten Fall werden die Leistungen als Pflegesachleistung, sonst als Geld-leistung gewhrt.

    Bisherige und aktuelle Pflegereformen

    Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 2008 wurde die 1995 eingefhrte SPV erstmals reformiert. Ziel der Reform war es zum einen, die Einnahmebasis durch die Anhebung des Beitragssatzes von 1,7 Prozent auf 1,95 Prozent zu strken (seit 2005 zahlen kinderlose Mit-glieder der SPV zudem einen um 0,25 Prozentpunkte hheren Bei-tragssatz als bisher, wenn sie ber 23 Jahre alt sind). Zum anderen wurden diverse Leistungsausweitungen beschlossen. Eine zweite Reform der SPV erfolgte zum 1.1.2013 im Rahmen des Pflege-Neu-ausrichtungsgesetzes. Zu den nderungen zhlt eine Neudefinition des Pflegebedrftigkeitsbegriffs, wodurch Demenzkranke strker in die Pflegeversicherung einbezogen werden. Darber hinaus wurde eine stufenweise Dynamisierung der Leistungen beschlossen, damit die Pflegeleistungen nicht wie frher real entwertet werden. Darber hinaus wurde der Beitragssatz auf 2,05 Prozent angehoben.

    >

    12 Die folgenden Ausfhrungen basieren diesbezglich weitgehend auf den Annahmen des Prognos Deutschland Reports 2040 (Prognos AG 2014b: Kap. 4.4).

    >

    Die neuste Reform der SPV stellen die zwei Pflegestrkungsgesetze dar. Durch das Erste Gesetz zur Strkung der pflegerischen Versorgung und zur nderung weiterer Vorschriften (PSG I) wurden die Pflege-leistungen bereits zum 1.1.2015 fr Pflegebedrftige und ihre Ange-hrigen ausgeweitet und die Zahl der zustzlichen Betreuungskrfte in stationren Pflegeeinrichtungen erhht. Zudem wurde ein Pflege-vorsorgefonds eingerichtet. Im Rahmen des Zweiten Gesetztes zur Strkung der pflegerischen Versorgung (PSG II), das am 13.11.2015 vom Bundestag verabschiedet wurde, werden der neue Pflegebe-drftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren eingefhrt. Es wird dann fnf Pflegegrade statt drei Pflegestufen geben und nicht mehr zwischen Demenzkranken und Pflegebedrftigen mit kr-perlichen Einschrnkungen unterschieden werden. Das neue Begut-achtungsinstrument und die Umstellung der Leistungsbetrge der Pflegeversicherung sollen zum 1.1.2017 wirksam werden. Durch die Pflegestrkungsgesetze werden die Beitrge fr die Pflegeversiche-rung in zwei Schritten um insgesamt 0,5 Beitragssatzpunkte angeho-ben (ab 1.1.2015 um 0,3 Prozentpunkte auf 2,35 Prozent bzw. 2,6 Prozent fr Kinderlose und ab 1.1.2017 nochmals um 0,2 Prozentpunk-te auf 2,55 bzw. 2,8 Prozent fr Kinderlose). Bis 2022 sollen die Bei-trge zur Pflegeversicherung dann stabil bleiben. Diese Beitragssatz-erhhung entspricht zustzlichen finanziellen Mitteln von jhrlich 5 Milliarden Euro. Davon flieen 1,2 Milliarden Euro bzw. 0,1 Prozent in einen Pflegevorsorgefonds (Bundesministerium fr Gesundheit 2015a).

    Von den gesamten Pflegekosten bernimmt die SPV als so-genannte Teilkaskoversicherung nur einen Anteil. Die verblei-benden Kosten stellen den individuellen Finanzierungsbedarf dar, den die Pflegebedrftigen selbst leisten mssen. Trotz der beschriebenen Leistungsdynamisierungen, die im Rahmen der Pflegereformen ab 2008 beschlossen wurden (Kasten), ist dieser individuelle Finanzierungbedarf in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Ausweitung der Leistungen im Zuge der Reformen konnte die Kostensteigerungen der Pflegeleistungen nicht voll umfnglich abfangen, womit diese auf die Pflegebedrftigen berwlzt wurden. Whrend der individuelle Finanzierungsbedarf aktuell bei 55 Prozent liegt, waren bei Einfhrung der Pflegeversicherung die Pflegeleis-tungen teilweise noch ausreichend, um die Pflegestze zu de-cken (Rothgang/Jacobs 2013: 10).

    Im europischen Vergleich weist Deutschland den hchs-ten Eigenkostenanteil auf. Der entsprechend vergleichsweise geringe Anteil ffentlicher Pflegeausgaben kommt zudem durch die Einschrnkung der Bezugsberechtigten auf Personen mit erheblichem Pflegebedarf zustande. In Lndern wie Finnland und Dnemark knnen Pflegeleistungen dagegen schon bei geringfgiger Pflegebedrftigkeit bezogen werden, oftmals auch schon fr Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Ttig-keiten (Deutsches Institut fr Wirtschaftsforschung 2012: 10).13

    2.5.2 PROGNOSE DER BEITRAGSSTZE BIS 2030

    Im Kern bestimmen drei Effekte die knftige Dynamik der Aus-gaben in der Pflegeversicherung. Die Entwicklung der Pflege-bedrftigkeit, der Hospitalisierungstrend und die Lohnkosten-entwicklung im Pflegesektor. Auf der Einnahmeseite ist die Ent wicklung der Beitragsgrundlage (also der Lohn- und Ge-

    13 Die Studie stellt erste Ergebnisse des Forschungsprojekts Assessing Needs of Care in European Nations (ANCIEN) vor, in dessen Rahmen die Aus-gestaltung der Pflegesysteme von 21 EU-Mitgliedstaaten untersucht wird.

  • 14FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    44 Prozent des bentigten Personals entspricht. Fr eine Ver-sorgung auf heutigem Niveau fehlt damit das notwendige Personal. Die logische Konsequenz dieser Entwicklung stellt eine Verschlechterung des Betreuungsverhltnisses dar. Whrend aktuell (2013) im Schnitt noch 1,92 Pflegebedrftige von einer Pflegekraft (VZ)15 betreut werden, ergeben sich gem unserer Prognose im Jahr 2030 3,25 Pflegebedrftige je Pflegekraft. Damit msste jede Pflegekraft neben dem ak-tuellen Pensum von knapp zwei Pflegebedrftigen etwas mehr als einen weiteren pflegebedrftigen Menschen zustzlich versorgen. Durch diese erhebliche Verschlechterung der Be-treuungsrelation ist ebenfalls eine entsprechende Verschlech-terung der Pflegequalitt zu befrchten.

    Die vorgestellte Beitragssatzprognose (Kapitel 2.5.2 Tabelle 1) definiert parallel zu den Prognosen fr den Arbeits-markt die ntigen ffentlichen finanziellen Ressourcen, um den definierten Personalbedarf zu decken. Implizit wird dabei davon ausgegangen, dass das dafr ntige Personal zur Ver-fgung steht. Ist dies jedoch aufgrund eines zu geringen Per-sonalangebots nicht der Fall, bleibt die Erhhung der Beitrags-stze ein theoretisches Konstrukt, da die entsprechende Ausweitung der finanziellen Ressourcen aufgrund des nicht Zustandekommens der professionellen pflegerischen Versor-gungssettings nicht abgerufen werden kann.

    Von den in Tabelle 1 dargestellten prognostizierten Aus-gaben dienen die sozialen Sachleistungen vorwiegend der Finanzierung der ambulanten und stationren Pflegeeinrich-tungen. Aufgrund der hohen Personalintensitt in der Pflege flieen diese vor allem in die Personalkosten. Wenn 44 Prozent des bentigten Personals nicht mobilisiert werden knnen, bleiben die kalkulierten Mittel bei entsprechendem Anstieg der Beitragsstze vereinfachend angenommen somit eben-falls zu 44 Prozent ungenutzt. Der Finanzierungssaldo der SPV lge im Jahr 2030 bei plus 14 Milliarden Euro, gemessen in Preisen des Jahres 2013.

    15 Gesamtpersonal in ambulanten Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen.

    * Werte fr 2030 sind reale Gren in Preisen von 2013. Quelle: eigene Darstellung.

    Tabelle 1Einnahmen und Ausgaben der SPV, 2013 und 2030*

    2013 2030

    Beitragssatz (in %) 2,35 3,35

    Einnahmen (in Mrd. EUR) 24,6 45,9

    tatschliche Sozialbeitrge 24,4 45,5

    sonstige Einnahmen 0,2 0,4

    Ausgaben (in Mrd. EUR) 24,1 45,9

    monetre Sozialleistungen 6,3 11,1

    soziale Sachleistungen 16,6 32,1

    sonstige Leistungen 1,2 2,7

    Finanzierungssaldo (in Mrd. EUR) 0,5 0,0

    haltssumme) und des Beitragssatzes mageblich. Anders als in den weiteren Sozialversicherungszweigen ist der Bund bis-lang nicht mit Steuermitteln an der Finanzierung der Pflege-versicherung beteiligt. Grundstzlich gilt, dass der Beitragssatz angehoben werden muss, sofern die Ausgaben die Einnah-men bersteigen und keine Reserven mehr im System vor-handen sind.

    Die folgende Beitragssatzprognose basiert auf der vorge-stellten Prognose zur Pflegebedrftigkeit. Hierzu wurde ange- nommen, dass das altersspezifische Pflegerisiko unverndert bleibt und das Wachstum der Anzahl der Pflegebedrftigen damit aus den Pflegequoten in Kombination mit der Alterung der Bevlkerung resultiert. nderungen, die mit dem PSG II zu er- warten sind, sind dabei bercksichtigt (Kasten in Kapitel 2.1.2).

    Der zweite ausgabenbestimmende Faktor ist der Hospi- talisierungstrend, der eine Verschiebung von ambulanter zu stationrer Pflege aufgrund sozio-demografischer Vern-derungen beschreibt und bereits im Zusammenhang mit der informellen Pflege thematisiert wurde. Hier werden im Fol-genden Entwicklungen bercksichtigt, die sich unter der Pr-misse konstanter altersspezifischer Pflegewahrscheinlich -keiten im jeweiligen Versorgungssetting ergeben. Von einem darber hinausgehenden Anstieg der Heimquote wird im Folgenden abgesehen.

    Schlielich spielt als dritter Faktor die Lohnkostenentwick-lung im Pflegesektor eine bedeutende Rolle. Da es sich in der Pflege im Regelfall um personalintensive Ttigkeiten handelt und diese nur ein sehr begrenztes Potenzial fr Produktivitts-steigerungen einerseits und Rationalisierungen andererseits aufweisen, fhren potenzielle Lohnanstiege zu berdurch-schnittlichen Kostensteigerungen (im Sinne der relativen Lohn-stckkosten) im Pflegesektor. In der vorgestellten Prognose werden die Lhne im Pflegebereich mit der allgemeinen Lohn-entwicklung fortgeschrieben. Eine strkere Dynamisierung, die etwa aufgrund des erhhten Fachkrftebedarfs im Pflege-sektor entstehen knnte, ist zunchst noch nicht bercksich-tigt. Darber hinaus wird bei der Modellierung nicht zwischen Preisen, die die Pflegeversicherung den Trgern fr erbrachte Leistungen bezahlt, und den tatschlichen Lhnen, die die Trger an die Pflegekrfte weitergeben, differenziert.

    Insgesamt werden die Ausgaben im Jahr 2030 von aktuell (2013) 24 Milliarden Euro auf 46 Milliarden Euro ansteigen, gemessen in Preisen des Jahres 2013.14 Um dieses Ausgaben-niveau zu finanzieren, muss der Beitragssatz langfristig auf 3,35 Prozent angehoben werden (Tabelle 1).

    2.6 WAS PASSIERT, WENN NICHTS PASSIERT?

    Im Folgenden werden die Prognosen fr den Arbeitsmarkt an denen der Finanzierungsseite gespiegelt. Im Ergebnis zeigt sich, was passiert, wenn neben den beschriebenen Trends kein weiterer Eingriff von auen (z. B. durch die politischen Akteure) erfolgt (Abbildung 11).

    Im Abschnitt 2.4 wurde gezeigt, dass ohne gezielte pflege-politische Eingriffe, rechnerisch eine Pflegekrftelcke in Hhe von 517.000 VZ bis zum Jahr 2030 entsteht, was rund

    14 Unterstellt wird ein reales Wachstum von 1,2 Prozent p. a.

  • 15ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2015.

    Pfleg

    eper

    sona

    l in

    VZ

    in T

    ause

    ndAbbildung 11Gegenberstellung des Personalbedarfs, des Personalangebots und der kalkulierten Mittel fr soziale Sachleistungen in der Pflege, 2030, in 1.000 VZ und Milliarden Euro (reale Gren in Preisen 2013)

    Bestand inform. Ersatzbedarf

    demograf. Schrumpfung

    zustzliche Nachfrage

    Lcke Angebot

    704

    406 517

    16 Mrd. EUR (704)645

    1.162

    52

    59

    + 14 Mrd. EUR

    32 Mrd. EUR

    +

  • 16FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    3

    MODELLIERUNG VON LSUNGSANSTZEN (MODUL 3)

    Die nicht abgerufenen 14 Milliarden Euro stellen damit eine rechnerische Gre zur Gestaltung des Pflegesystems dar. Sie knnen als Argumentationshilfe dienen, um Pflegereformen auf den Weg zu bringen, und zeigen, dass dafr nicht zwin-gend zustzliche Mittel aufgebracht werden mssen. Viel-mehr sind sie bereits im System eingeplant und notwendig, um die pflegerische Versorgung auf dem heutigen Niveau sicherzustellen. Um eine Verschlechterung der Versorgungs-qualitt zu verhindern, ist es allerdings im Umkehrschluss dringend erforderlich, die Verwendung dieser Mittel neu zu denken. Anhand von zwei Beispielen werden im Folgenden Lsungsanstze modelliert, die einen Rahmen an Handlungs-optionen aufspannen und die diesbezglichen Finanzie-rungsbedarfe quantifizieren sollen. Die Berechnungen werden anhand einer Reihe von vereinfachenden Annahmen durch-gefhrt, die im Folgenden dargestellt werden. Dezidierte Politikempfehlungen werden in Kapitel 4 abgeleitet und diskutiert.

    Die vorangegangenen Prognosen und deren Gegenber-stellung im Szenario Was passiert, wenn nichts passiert? haben deutlich gemacht, dass das Verharren im Status quo in der Pflege gravierende Folgen haben kann. Um das aktuelle Versorgungsniveau zu halten, fehlen zuknftig die Pflegekrf- te. In der Folge knnen die zur Aufrechterhaltung des Status quo eingeplanten und erforderlichen Mittel nicht wie geplant abgerufen werden. Es ist notwendig, die Verwendung dieser Mittel neu zu denken, um das Angebot an Pflegepersonal zu strken oder die Nachfrage nach professionellen Pflegekrften einzudmmen. Die im Folgenden modellierten Lsungswege werden zunchst getrennt nach Angebots- und Nachfrage- seite umgesetzt.

    3.1 LSUNGSWEG 1 (ANGEBOTSSEITIG): VORFAHRT FR PFLEGE

    Zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung trotz rech-nerisch zu erwartendem Personalmangel wird im Szenario Vorfahrt fr Pflege das System auf der Angebotsseite mit den berschssigen finanziellen Ressourcen gestrkt. Diese be-reits im System eingepreisten Mittel werden auf das zur Ver-fgung stehende Personal in Form von Lohnerhhungen umverteilt, um damit positive Arbeitsangebotseffekte auszu- lsen und die Zahl der potenziellen Pflegekrfte zu erhhen.

    Als Benchmark fr die knftige Entwicklung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im Bereich der Altenpflege werden die aktuellen Entlohnungsbedingungen der Kranken-schwestern herangezogen. Im bundesweiten Vergleich zeigt sich, dass Fachkrfte in der Krankenpflege rund 25 Prozent

    mehr verdienen als Fachkrfte in der Altenpflege. Fr angestell-te Altenpflege- und Krankenpflegehelfer_innen fllt der Un-terschied mit 35 Prozent noch deutlicher aus (Kapitel 2.3.3).

    Das zustzliche Arbeitsangebot kann sich bei besseren Entlohnungsbedingungen zum einen durch die Ausdehnung des Arbeitsangebots (Ausweitung der Arbeitszeiten sowie der Zugewinn von neuem Personal) entsprechend der Arbeits- angebotselastizitten der Pflegekrfte ergeben, zum ande-ren durch lngere Verweildauern im Beruf. Die Arbeitsange-botselastizitt gibt die prozentuale nderung der Arbeitszeit an, die eine einprozentige Lohnerhhung nach sich zieht. Fr die Altenpflege ist die Studienlage zu empirisch ermittelten Arbeitsangebotselastizitten jedoch sehr berschaubar. Eine Schtzung von Hanel et al. (2012: Kap. 5.2) ermittelt eine Ar-beitsangebotselastizitt von Pflegekrften in Hhe von 1,37. Demnach steigt das Arbeitsangebot um 1,37 Prozent, wenn der Lohn um ein Prozent ansteigt. Differenzierte Berechnungen zeigen zudem besonders positive Ergebnisse bei gering qua- lifizierten, lteren und kinderlosen Pflegekrfte. Die Autor_innen betonen und bercksichtigen in ihren Berechnungen die zu-stzliche Bedeutung des Effekts der Lhne auf die grundstz- liche Entscheidung, einen Pflegeberuf zu ergreifen bzw. ihn aufzugeben.

    Aufgrund der berschaubaren Datenlage zu den Arbeits-angebotselastizitten werden im Folgenden die Arbeitsan-gebotseffekte ber eine Ausdehnung der Verweildauern im Beruf hergeleitet und mit der Argumentation von Hanel et al. (2012: Kap. 5.2) verknpft, dass von Lohnerhhungen Effekte auf die Entscheidung ausgehen, in einem Pflegeberuf zu ver-weilen oder den Beruf zu wechseln. Es wird dabei unterstellt, dass es bis zum Jahr 2030 gelingt, ber die Angleichung der Lhne auch die Verweildauern der Pflegekrfte im Beruf an diejenige der Krankenschwestern anzugleichen. Als Maga-be wird die in Hackmann (2010: Kap. 4.5) ermittelte Verweil-dauerdifferenz von 20 Prozent fr Fachpersonal gewhlt. Obwohl die Berechnungen im Folgenden fr das gesamte Pflegepersonal durchgefhrt werden, wird nicht auf die Ver-weildauerdifferenz der gesamten Berufsgruppe der Alten-pfleger_innen zurckgegriffen, die mit 63 Prozent deutlich hher liegt (Kapitel 2.3.2). Grund der Wahl des deutlich konservativeren Ansatzes ist, dass der Vergleich der sehr he-terogenen Berufsgruppe der Altenpfleger_innen mit der deutlich besser ausgebildeten Gruppe der Krankenschwestern weniger belastbar ist.

    Der notwendige Ressourceneinsatz leitet sich aus der er-forderlichen Lohnerhhung zur Angleichung auf das Niveau der Krankenschwestern ab. Entsprechend dem Vergleich der Verweildauern wird auch an dieser Stelle die Differenz der Fachkrfte zugrunde gelegt. Laut Institut fr Arbeitsmarkt-

  • 17ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    und Berufsforschung (2015: Kap. 4) liegen die Lhne der Fach- krfte in der Krankenpflege 25 Prozent ber denen der Alten- pflegefachkrfte, bei den Helfer_innen sind es sogar 35 Prozent (Kapitel 2.3.3).

    Das in den Pflegeberufen ein positiver Zusammenhang zwischen dem Lohnniveau und dem Arbeitsangebot besteht, geht aus der oben zitierten Literatur hervor. Zudem wird ge-zeigt, dass die Hhe des Lohns neben dem Arbeitsumfang auch die Entscheidung, im Pflegeberuf zu verweilen, beein-flusst. Die Gleichung mehr Lohn gleich lngere Verweildauer stellt damit an dieser Stelle eine belastbare, wenn gleich ver-einfachende Annahme dar. Zum einen spielen neben dem Lohn selbstverstndlich weitere Aspekte, die die Arbeitssitu-ation beeinflussen (wie beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf) eine Rolle bei der Entscheidung, den Beruf zu wechseln oder eben nicht. Solchen Aspekten wird insbe-sondere in Kapitel 4 ausfhrlich Rechnung getragen. An die-ser Stelle sind jedoch gewisse vereinfachende Annahmen notwendig, um eine Quantifizierung zu ermglichen. Grund-stzlich ist es auch denkbar, mithilfe der zustzlichen finanzi- ellen Ressourcen mehr Personal einzustellen oder die Teilzeit- umfnge der aktuellen Pflegekrfte zu erhhen und damit den Betreuungsschlssel und die Arbeitsbedingungen zu ver- bessern.

    Tabelle 2 fasst die Ergebnisse der Modellierungen zusam-men. Neben der Erhhung der Berufsverweildauern der Al-tenpflegekrfte um 20 Prozent, die auf Basis der oben genann- ten Literatur hergeleitet wurde, sind zwei weitere Szenarien mit einer Steigerung der Verweildauer um zehn Prozent und 30 Prozent berechnet worden. Diese beiden zustzlichen Szenarien stellen eine Sensitivittsanalyse im Rahmen eines realistischen Intervalls dar. Die Ergebnisse machen sprbare Effekte bis zum Jahr 2030 deutlich. Durch die Erhhung der Verweildauern im Beruf knnen zwischen 60.000 und 170.000 zustzliche Pflegekrfte (VZ) gewonnen werden. Die Kosten, die durch die dafr notwendige Lohnerhhung (Anreizeffekt) entstehen, liegen zwischen 2,2 und 6,6 Milli-arden Euro.

    * Werte sind reale Gren in Preisen von 2013.

    Quelle: eigene Darstellung.

    Tabelle 2Effekte von Lsungsweg 1 Vorfahrt fr Pflege im Jahr 2030

    Erhhung der Verweildauer um

    10 %

    20 %

    30 %

    zustzliches Personal (in VZ)

    60.000

    117.000

    170.000

    Kosten der Lohnerhhung (in Mrd. EUR)*

    2,19

    4,39

    6,58

    Mit Blick auf die in Kapitel 2.4 identifizierte Pflegekrftelcke stellt Abbildung 12 die Ergebnisse noch mal grafisch dar. Eine Erhhung der Verweildauern der Altenpflegekrfte um zehn Prozent wrde die rechnerische Lcke von 517.000 auf 457.000 VZ reduzieren. Eine Erhhung der Verweildauern um 30 Prozent wrde den Effekt entsprechend verstrken und die Lcke auf 347.000 VZ reduzieren. Die notwendi-gen finanziellen Mittel fr die Lohnerhhung wrden das rechnerische Finanzpolster von 14,3 Milliarden Euro auf 12,1 Milliarden bzw. 7,7 Milliarden Euro abschmelzen.

    3.2 LSUNGSWEG 2 (NACHFRAGESEITIG): PFLEGE OPTIMAL GESTALTEN

    Der Lsungsweg 2 Pflege optimal gestalten geht das Prob-lem des Personalmangels von der Nachfrageseite her an. Durch einen optimalen Ressourcenmix knnen die bestehen-den Ressourcen effizienter ausgeschpft und eine Verbesse-rung der pflegerischen Versorgung erzielt werden. Auch an dieser Stelle wird bei der Modellierung auf bereits vorliegen-de Untersuchungen aus der Literatur und insbesondere auf eigene Studien der Prognos AG zurckgegriffen.

    Im Rahmen des Lsungswegs 2 werden zwei Manah-menpakete parallel eingefhrt. Durch die Implementierung

    Quelle: eigene Darstellung.

    30 %

    20 %

    10 %

    Lcke

    347

    401

    517

    Abbildung 12Effekte von Lsungsweg 1 Vorfahrt fr Pflege, 2030, fehlendes Pflegepersonal in 1.000 VZ

    100 200 300 400 500 6000

    457

    Stei

    geru

    ng d

    er V

    erw

    eild

    auer

    um

  • 18FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    des Pflegemix der Zukunft wird modelliert, welche Effekte entstehen, wenn allein der Pflegebedarf bzw. der Gesund-heitszustand ber die Wahl des Versorgungssettings entschei- det und nicht mehr der Zugang zu informellen, niedrigschwel- ligen und ambulanten Pflegestrukturen in der huslichen Umgebung (Prognos AG 2014c). Der Pflegemix der Zukunft beschreibt vor diesem Hintergrund den optimalen Mix zwi-schen professionellen, niedrigschwelligen und informellen Versorgungsangeboten in der ambulanten sowie der statio-nren Pflege und basiert in der Bedarfsermittlung auf dem Konzept der fnf Pflegegrade. So wird unterstellt, dass pflege- bedrftige Personen mit geringerem Pflege- bzw. Betreu-ungsbedarf auch in ambulanten niedrigschwelligen Versor-gungssettings unter Beteiligung von professionellen Anbietern versorgt werden knnen, ohne die informelle Pflege durch Angehrige unverhltnismig auszudehnen.

    Wenn es darum geht, den optimalen Ressourcenmix in der Versorgung zu gestalten, spielt neben dem eigenen Gesund-heitszustand, den eigenen Betreuungswnschen und dem zur Verfgung stehenden Angebot, auch die Wohnsituation von Pflegebedrftigen eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund wird eine zweite Manahme in Kombination mit dem Pfle-gemix der Zukunft betrachtet und der Effekt eines altersge- rechten Umbaus der Wohnungen von ambulant versorgten Pflegebedrftigen ermittelt. Es wird dabei abgeschtzt, in-wieweit sich durch solche Umbaumanahmen ein Pflegeheim- eintritt verhindern bzw. verzgern lsst und welche fiskali-schen Effekte daraus resultieren (Prognos AG 2014d).

    Mit Blick auf die Personalsituation zeigt sich im Ergebnis (Abbildung 13), dass mithilfe der beiden Reformmanahmen die Personallcke in der Pflege von 517.000 auf 279.000 VZ reduziert werden knnte. Zur Ermittlung der Personal- einsparungen wurde zunchst die Verlagerung der Pflegebe-drftigen aus der stationren in die professionelle ambulante Pflege sowie aus der professionellen ambulanten Pflege in die Kombinationsleistung quantifiziert. Im Zuge des Pflegemix der Zukunft wird davon ausgegangen, dass es gelingen kann, zuknftig etwa 10,8 Prozent der Pflegebedrftigen statt stationr professionell ambulant zu versorgen und 5,6 Prozent aus der professionellen ambulanten Pflege in Kombinations-leistungen zu verschieben. Durch den altersgerechten Umbau wird zudem fr 50 Prozent der ambulant versorgten Pflege-bedrftigen altersgerechter Wohnraum bis 2030 geschaffen

    und der Anteil der ambulanten Versorgung ausgeweitet. Da-rauf aufbauend werden ausgehend von dem geringeren Personalbedarf in der ambulanten gegenber der stationren Pflege die entsprechenden Personaleinsparungen quan- tifiziert.

    Die Effekte auf der Finanzierungsseite sind im Falle des zweiten Lsungswegs nicht so einfach zu beziffern wie im Fall des ersten. Beide Reformmanahmen des zweiten Sze- narios setzen zunchst Investitionen in die Anpassung der An- gebotsstrukturen voraus. Im Falle des Pflegemix der Zukunft macht die Studie der Prognos AG (2014e) zur Beschreibung des Konzepts eines Regionalen Pflegebudgets deutlich, dass die Mehrkosten fr eine verbesserte wohnortnahe Beratung, Steue- rung und Koordination von Pflege- und Hilfeleistungen durch die realisierten Einsparungen mehr als gegenfinanziert werden knnen.16

    Fr einen verstrkten altersgerechten Umbau sind hinge-gen zunchst deutliche Investitionen notwendig. So werden in der Evaluation des KfW-Programms Altersgerecht Um-bauen die Kosten fr den altersgerechten Umbau einer Wohnung mit 19.100 Euro angegeben, whrend der alters-gerechte Neubau im Durchschnitt auf etwa 13.500 Euro be-ziffert wird (Prognos AG 2014f: 29). Gelingt es bis zum Jahr 2030, den gegenwrtigen Bestand von etwa 700.000 alters-gerechten Wohnungen so zu steigern, dass 50 Prozent aller ambulant versorgten Pflegebedrftigen in einer solchen Wohnung leben knnen, so erfordert dies einen zustzlichen Umbau von etwa 620.000 altersgerechten Wohnungen.17 Unter Bercksichtigung der Rechnungen aus der eben genann- ten Prognosstudie wre hierfr ein Investitionsvolumen von

    16 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die stationre Versor-gung von pflegebedrftigen Personen nicht per se gnstiger ausfllt als die professionelle ambulante Versorgung. So lassen sich insbesondere bei for tgeschrit tenem Pflegebedarf sowie unter maximaler Ausnutzung der Leistungsansprche aus der SPV durchaus Fallkonstellationen fin-den, in denen eine stationre gnstiger ausfllt als eine professionelle ambulante Versorgung. Des Weiteren vernachlssigt die hier gewhlte Fokussierung auf den Leistungskatalog der SPV die Ausgaben der hus-lichen Krankenpflege (HKP) im ambulanten Bereich, die ber entspre-chende Leistungen der GKV abgerechnet werden. Im Falle der stationren Versorgung wird die Krankenpflege hingegen ber den Pflegesatz der SPV abgerechnet.

    Quelle: eigene Darstellung.

    Abbildung 13Effekte von Lsungsweg 2 Pflege optimal gestalten, 2030, fehlendes Pflegepersonal in 1.000 VZ

    Pflegemix +

    altersgerechter Umbau279

    Lcke 517

    100 200 300 400 500 6000

  • 19ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    17 etwa 11,6 Milliarden Euro erforderlich.18 Im Zuge des durch den Umbau vermiedenen Heimeintritts entstehen aufseiten der SPV aber auch erhebliche Einsparpotenziale.19

    3.3 ZWISCHENFAZIT

    Die skizzierten Lsungswege zeigen, wie die prognostizierten und implizit frei werdenden Mittel eingesetzt werden knnen, um einerseits das Angebot an Pflegekrften zu erhhen und andererseits die Nachfrage nach Pflegepersonal zu dmpfen. Fr die jeweiligen Szenarien konnte gezeigt werden, dass die Personallcke in der Pflege bei entsprechenden Reformbe-mhungen bis 2030 um bis zu 238.000 VZ auf der Nach-frageseite reduziert werden kann. Aufseiten des Arbeitsan-gebots erscheint eine Ausweitung um rund 170.000 VZ rea- listisch (Abbildung 14).

    Zur Ausweitung des Personalangebots muss in die Arbeits- und insbesondere die Entlohnungsbedingungen der Pflege-

    17 Gem der Prognose der Pflegebedrftigen in Kapitel 2.1.2 steigt die Zahl der ambulant versorgten Pflegebedrftigen bis zum Jahr 2030 auf etwa 2,65 Millionen Personen. Besteht die Zielsetzung in einer altersge- rechten Wohnraumversorgung fr die Hlfte (50 Prozent) dieses Perso-nenkreises, so steigt der entsprechende Bedarf bis zum Jahr 2030 auf 1,32 Millionen Wohnungen, wenn davon auszugehen ist, dass jeder Pflege- bedrftige in einer separaten altersgerechten Wohnung lebt. Abzglich des bereits bestehenden altersgerechten Wohnraums im Jahre 2013 von etwa 700.000 Wohnungen ergibt sich somit ein zustzlicher Wohnungs-bedarf von etwa 623.000 altersgerechten Wohnungen bis zum Jahr 2030

    18 Entsprechend den Analysen in Prognos AG (2014f: 29) werden fr den altersgerechten Wohnungsumbau Kosten von 19.100 Euro je Woh-nung und 13.500 Euro fr den altersgerechten Neubau unterstellt . Dabei wird auch an dieser Stelle ein reales Wachstum von 1,2 Prozent p. a. un-terstellt .

    19 Zu den Einsparpotenzialen aufseiten der SPV siehe Prognos AG (2014d: Kap. 8) sowie Prognos AG (2014f: Kap. 3.3).

    berufe investiert werden. Dementsprechend sind auf der Nach- frageseite erhebliche Investitionen in die pflegerische Infra-struktur sowie die altersgerechte Wohnraumversorgung erfor- derlich, um die aufgezeigten Effekte zu realisieren.

    Sofern die Szenarien der modellierten Lsungswege so-wohl auf Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite greifen, kann es mit den vorgeschlagenen Reformszenarien gelin- gen, die rechnerische Personallcke bis 2030 von 517.000 auf 109.000 VZ zu reduzieren. Die zur Aufrechterhaltung der aktuellen Versorgungssituation ntigen Mittel, die aufgrund der Personalknappheit nicht abgerufen werden knnen (gut 14 Milliarden Euro) werden zur Erreichung dieser deutlichen Verbesserung der Personalsituation nicht aufgebraucht. Wh-rend die Reformen auf der Angebotsseite mit Kosten in Hhe von maximal 6,6 Milliarden Euro zu Buche schlagen, stnden die verbliebenen 7,4 Milliarden Euro fr Verbesse-rungen auf der Nachfrageseite (pflegerische Infrastruktur und altersgerechte Wohnraumversorgung) sowie weitere Ma- nahmen zur Entspannung der Personalsituation im Jahr 2030 zur Verfgung.

    Auch wenn das Umdenken der Finanzierung in der Pflege zu deutlichen Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt fhren kann, bedarf es neben den aufgefhrten Lsungswegen wei-terer Reformbemhungen, um das aktuelle Versorgungs- niveau zuknftig aufrechtzuerhalten. Nachdem die Modellie-rungen einen Effektrahmen beispielhaft aufgespannt haben, geht es nun in Kapitel 4 darum, konkrete und detailliertere Handlungsoptionen fr die verschiedenen Akteure auszu- arbeiten.

    Quelle: eigene Darstellung.

    Abbildung 14Effekte der modellierten Lsungswege im Vergleich

    Pfleg

    eper

    sona

    l in

    VZ

    in T

    ause

    nd

    Bestand inform. Ersatzbedarf

    demograf. Schrumpfung

    zustzliche Nachfrage

    Lcke Angebot

    704

    406 517

    max. Reduktion der Nachfrage: 238.000 VZ

    max. Steigerung des Angebots:+ 170.000 VZ

    (704)645

    1.162

    52

    59

    +

    +

  • 20FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    4

    HANDLUNGSOPTIONEN UND POLITIK EMPFEHLUNGEN

    Ziel dieses Kapitels ist es, die im Rahmen der Lsungsanstze identifizierten Optimierungspotenziale im deutschen Pflege- system, wie beispielsweise eine Verlngerung der Berufsver- weildauer und den Weg hin zu einem optimalen Pflegemix, mit Inhalt zu fllen und konkrete Empfehlungen an die rele-vanten Akteure zu formulieren.

    4.1 AUSWAHL DER ZENTRALEN HANDLUNGSFELDER

    Im Rahmen eines von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisier-ten Expert_innenworkshops im Juli 2015 wurden nach der Vorstellung der vorlufigen Studienergebnisse verschiedene Handlungsoptionen und Politikempfehlungen zur Zukunft der Pflegepolitik gesammelt und priorisiert. Kriterien fr die Auswahl waren:

    Realisierbarkeit: Die Handlungsempfehlungen sollen mehr-heitsfhig, finanzierbar und praktikabel (kurz-/mittelfristig umsetzbar) sein.

    Impact/Wirkungsgrad: Der Effekt auf die Senkung der Fach- krftelcke soll aus Sicht der Expert_innen nachweislich vor-handen sein.

    Zum Zwecke der Priorisierung haben die Expert_innen20 die ver- schiedenen Handlungsoptionen fr die Angebots- und Nach-frageseite in jeweils ein Koordinatensystem eingeordnet.21 Darber hinaus bestand das Ziel der Diskussion darin, die Handlungsempfehlungen konkret an die zentralen Akteure der Pflegepolitik zu adressieren. Die zentralen Akteure sind:

    1. die Politik, d. h. Bund, Lnder und Kommunen;2. die Pflegeeinrichtungen, d. h. Pflegeheime und ambulante

    Pflegedienste;

    20 Am Expert_innenworkshop nahmen neben Vertreter_innen der Pro-gnos und der Friedrich-Ebert-Stiftung als Expert_innen teil: Eckehard Lin-nemann (Sozialbeirat), Nadine-Michle Szepan (AOK-Bundesverband, Ab-teilung Pflege), Prof. Dr. Hildegard Theobald (Universitt Vechta, Research Centre Ageing and Society), Andrea von der Malsburg (Deutsches Institut fr angewandte Pflegeforschung e.V.) und Prof. Dr. Michael Isfort (Katho-lische Hochschule NRW, Pflegewissenschaft und Versorgungsforschung).

    21 Das Koordinatensystem bildet auf den Achsen die beiden Bewer-tungskriterien Realisierbarkeit und Impact/Wirkungsgrad ab, deren Bedeutung links unten im Diagramm am geringsten und recht soben am hchsten war. Als zentrale Handlungsoptionen wurden entsprechend diejenigen qualifiziert , die hinsichtlich beider Kriterien hoch bzw. rechts oben im Koordinatensystem eingestuft wurden.

    3. Verbnde und sonstige Akteure im Pflegebereich wie beispielsweise die Pflegekassen, die Bundesagentur fr Arbeit oder die Gewerkschaften.

    Die Ergebnisse der Diskussion in Form der priorisierten zen-tralen Handlungsfelder und -empfehlungen im Rahmen des Expert_innenworkshops bilden die Grundlage des folgenden Kapitels 4.2.

    4.2 PRIORITRE HANDLUNGSFELDER

    In Tabelle 3 sind die zentralen Handlungsfelder fr die Nach-frage- und Angebotsseite mit den entsprechenden Hand-lungsempfehlungen in einer bersicht dargestellt. Die Hand-lungsfelder auf der Nachfrageseite zielen darauf ab, den Pflegebedarf zu reduzieren, die Handlungsfelder auf der Ange- botsseite darauf, das Angebot an Pflegekrften zu erhhen.22

    In jedem Handlungsfeld ist skizziert, welche Handlungs-empfehlungen aus Expert_innensicht an welche Akteure zu richten sind. Diese Handlungsempfehlungen werden durch entsprechende Hinweise aus anderen Untersuchungen fun-diert. Soweit verfgbar, werden bestehende (internationale) Beispiele Guter Praxis als Orientierung angefhrt. Die konkreten Handlungsempfehlungen werden schlielich jeweils fr jedes Handlungsfeld in einer bersichtstabelle (Tabellen 4 bis 8) zusammenfassend dargestellt.

    4.2.1 NACHFRAGESEITE

    Handlungsfeld N1: Pflege vor Ort

    Um die Nachfrage nach professionellen Pflegekrften zu dmp- fen, gilt es, die Situation vor Ort, d. h. im Wohnumfeld der Pflegebedrftigen, zu optimieren. Hierfr knnen drei zentrale Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert werden:

    1. Die Beratungsangebote fr Pflegebedrftige und ihre Angehrigen vor Ort mssen ausgebaut und ver- netzt werden.

    Dies kann dadurch gelingen, dass die bereits eingerichteten Pflegesttzpunkte flchendeckend mit anderen Beratungsan-

    22 In jeder Zeile ist mit einem Kreuz gekennzeichnet, an welche Ak-teure sich die priorisierten Handlungsempfehlungen konkret richten. Dies schliet nicht aus, dass abseits der priorisierten Handlungsempfehlungen weitere Empfehlungen fr hier nicht angesprochene Akteure existieren.oben im Koordinatensystem eingestuft wurden.

  • 21ZUKUNFT DER PFLEGEPOLITIK

    geboten auf kommunaler Ebene vernetzt werden. Das Kura-torium Deutsche Altershilfe und die Friedrich-Ebert-Stiftung (2013) schlagen in diesem Zusammenhang in ihrem Positi-onspapier vor, die Pflegesttzpunkte als regionale Senioren- Service- und Koordinierungsstelle zur Sicherung des Hilfe- mixes aus Selbst- und Fremdhilfe, Profi- und Laienpflege, Me-dizin, Pflege und Alltagsversorgung (Kuratorium Deutsche Altershilfe/Friedrich-Ebert-Stiftung 2013: 17) weiterzuentwickeln. Auch Naegele (2014) weist im Rahmen seines Gutachtens fr die Friedrich-Ebert-Stiftung darauf hin, dass die Pflegesttz- punkte einen erweiterten Auftrag bentigen, der strker auf die Vernetzung mit den brigen kommunalen Diensten abhebt, d. h. in eine quartiersbezogene Struktur einzubinden ist (Naegele 2014: 42). Hierbei gilt es, vonseiten der Politik einheitliche Standards zu etablieren, um die Qualitt der Be-ratungsangebote zu sichern.

    Darber hinaus ist es angebracht, die in den Pflegesttz-punkten angewendeten Beratungsmethoden zu berprfen. Vorgeschlagen werden die Einfhrung und die Strkung der sogenannten aufsuchenden Beratung, d. h. die Beratung der Angehrigen im Wohnumfeld der Pflegebedrftigen. Es soll-ten zudem gezielt Schulungskurse fr Angehrige angeboten und Beratungspflichttermine fr die Angehrige eingefhrt werden, um die informelle Pflege noch strker als bisher zu untersttzen. Wichtig ist, dass diese Untersttzungsangebote transparent gemacht werden. Hierzu gibt es bereits Modell-

    projekte, beispielsweise die Servicestelle fr kommunale Pflegestrukturplanung und Sozialraum entwicklung in Rheinland-Pfalz. Aufgabe der Servicestelle sind die unab-hngige und unbrokratische Information, Beratung und Be-gleitung sowie Vermittlung und Vernetzung (Deutsches Institut fr angewandte Pflegeforschung 2014: Kap. 3.3).

    Die Expert_innen weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Care und Case Management23 nur in Verknpfung sinnvoll sind. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Kommunen und den Kostentrgern ist von zentraler Bedeutung. Gute Praxis werde laut einer Studie des GKV-Spitzenverbands (2012) dort sichtbar, wo es gelungen ist, die Akteure im Feld der Beratung zusammenzubringen und eine sinnvolle Aufgaben-integration vorzunehmen (GKV-Spitzenverband 2012: 21).

    Im Bereich der Beratung liefern insbesondere Skandinavi-en und Finnland Beispiele fr Gute Praxis. So gibt es in Nor-wegen ein Informationsportal/-netzwerk, mit dessen Hilfe sich u. a. Personen, die Angehrige informell pflegen, infor-mieren, austauschen und gegenseitig helfen knnen. Zudem werden in Norwegen Schulungen in Kooperation mit lokalen Organisationen durchgefhrt. Ziel der Schulungen ist es, die Zusammenarbeit zwischen professionellem Pflegepersonal und

    23 Durch das Care Management soll die Versorgung der Pflegebedrfti-gen optimiert werden, das Case Management zielt dagegen auf die Ver-netzung der verschiedenen Versorgungseinheiten ab.

    Tabelle 3Handlungsfelder und -empfehlungen auf der Nachfrage- und Angebotsseite nach adressierten Akteuren

    Nachfrageseite Politik Einrichtungen Verbnde und sonstige

    1. Pflege vor Ort

    Beratungsangebote vor Ort ausbauen

    husliche Pflegeangebote optimieren

    2. Schnittstellen

    Schnittstellenmanagement verbessern

    Reha und Prvention strken

    Angebotsseite Politik Einrichtungen Verbnde und sonstige

    1. Arbeitskrftepotenzial

    Anwerbung ( junger) Pflegekrfte

    Anwerbung auslndischer Pflegekrfte

    2. Personalressourcen

    Erwerbsumfang von Pflegekrften in Teilzeit erhhen

    Verweildauer im Pflegeberuf erhhen

    3. Entlohnung

    Tariflhne durchsetzen

    Transparenz ber Personalkosten schaffen

    Quelle: eigene Darstellung.

  • 22FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    pflegenden Angehrigen zu frdern. Die entsprechenden Informationen und Pflegeinhalte werden durch Fragebgen, Schulungen, in Gruppendiskussionen und Einzelgesprchen zur Verfgung gestellt. In Dnemark werden Schulungen fr Familien von Pflegebedrftigen und Handbcher zum Um-gang mit Demenzkranken angeboten. Dabei sollen ganz ge-zielt auch Mnner dazu ermutigt werden, einen Angehri-gen zu pflegen (Bundesinstitut fr Bevlkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt 2007: Kap. 4.4.2).24

    2. Husliche Pflegeangebote mssen weiter optimiert werden.

    Der zentrale Ansatzpunkt ist hierfr der Ausbau der Frde