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S102 In Deutschland publizierte der Merse- burger Amtsarzt Karl von Basedow 1840 präzise klinische Informationen über Exophthalmus in Verbindung mit Hyperthyreose und Tachykardie. Diese Symptome, unabhängig von Graves und von Basedow beschrieben, gelten bis heute als klassische Symptome ei- ner endokrinen Orbitopathie [2, 7]. Der als Morbus Basedow bezeich- neten Störung der Schilddrüsenfunkti- on liegt ein Autoimmunprozeß zugrun- de, der sich primär im Schilddrüsenge- webe abspielt, jedoch mit weit über die Schilddrüse hinausgehenden Konse- quenzen für den Organismus der Pati- enten. Häufig ist das in der Orbita ge- legene Binde-, Fett- und Augenmus- kelgewebe von dem Entzündungspro- zeß mitbetroffen. Durch die immu- nologische Entzündungsreaktion in diesen Strukturen kommt es zu einer massiven Schwellung des retroorbita- len Gewebes durch zelluläre Infiltrati- on und Glykosaminoglykan-bedingtes Ödem mit rasch einsetzender räumli- cher Enge in den knöchern begrenzten Orbitae. Als natürliche Druckentla- stung kommt es zu einem Hervortreten der Bulbi sowie zu einer Vorverlage- rung der entzündeten und geschwolle- nen Binde- und Fettgewebeanteile im Bereich der Ober- und Unterlider. Darüber hinaus kann die Beweg- lichkeit der Augenmuskeln durch fi- brotischen Muskelumbau so stark be- hindert werden, daß Doppelbilder auf- treten. Bei einer weiteren Volumen- zunahme in den Augenhöhlen können Störungen der Blutversorgung, des Blutabstroms sowie Druckverletzun- gen oder Durchblutungsstörungen des Sehnervs mit drohendem Visusverlust resultieren [5]. Die von Werner 1969 für die Ame- rican Thyroid Association vorgeschla- gene und 1977 modifizierte Stadien- einteilung unterscheidet 6 in ihrem Zeitverlauf unabhängige Stadien [9]. Die funktionelle Beeinträchtigung des N. opticus beruht auf einer massi- ven Volumenzunahme innerhalb der Orbita. Da das Septum orbitale eine druckerhöhende Barriere darstellt, kann der ansteigende intraorbitale Druck zu einer indirekten Druckschädigung des N. opticus führen. Darüber hinaus kann eine Muskelvolumenzunahme im Apex zu einer direkten Kompression des N. opticus führen (Abb. 1). Computerto- mographische Studien haben ergeben, daß der Visusabfall eher mit dem Aus- maß der direkten Kompression im Apex als mit der Gesamtvolumenzunahme innerhalb der Orbita korreliert [3]. Beim Vorliegen einer deutlichen in- flammatorischen Komponente mit Pe- riorbitalödem und Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens wird eine Re- trobulbärbestrahlung mit 20 Gy frak- tioniert über 10 Tage (2 Gy/Tag) durch- geführt. Bleibt diese Maßnahme ohne entscheidenden Erfolg, können Gluko- kortikoide zur Kontrolle der akuten Entzündungssymptomatik eingesetzt werden. Bei schweren Komplikationen Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S102–S106 © Springer-Verlag 1998 Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie S. Tveten 1 , Ch. Mohr 1 , J. Esser 2 1 Klinik für Gesichts- und Kieferchirurgie (Prof. Dr. Dr. Ch. Mohr), Universitätsklinikum Essen 2 Klinik für Augenheilkunde (Prof. Dr. K. P. Steuhl), Universitätsklinikum Essen S. Tveten, Klinik für Gesichts- und Kiefer- chirurgie, Universitätsklinikum Essen, Hufe- landstraße 55, D-45122 Essen Zusammenfassung Die endokrine Orbitopathie (EO) ist eine seltene, schwerwiegende immuno- logische Entzündungsreaktion des retroorbitalen Binde-, Fett- und Au- genmuskelgewebes. Die EO tritt nur im Rahmen von Immunthyreopathien auf und bildet deren häufigste extra- thyreoidale Manifestation. Die typi- schen Symptome der EO sind Folge der Volumenzunahme des retrobulbä- ren Binde- und Fettgewebes sowie der interstitiellen Verdickung der Augen- muskeln. Klinisch zeigt sich ein Spek- trum von zunehmend schwerwiegen- den Orbitaveränderungen, wie Lid- und Bindehautinfiltration, Exophthal- mus, Muskelverdickung, Hornhaut- schädigungen und Sehnervbeteiligung mit Visusabfall. Bei einer Funktions- störung des Sehnervs (Optikuskom- pression) stellt die Orbitadekompres- sion eine operative Ultima ratio dar. Von Januar 1992 bis April 1997 wur- den 11 Patienten (22 Orbitae) mit Visusbeteilung aus einem Kollektiv von über 600 Patienten mit EO chir- urgisch behandelt. Alle Behandlungs- daten wurden prospektiv dokumen- tiert. Die chirurgische Intervention wurde nur in den Fällen durchgeführt, in denen trotz Retrobulbärbestrahlung und hochdosierter Glukokortikoidthe- rapie ein progressiver Visusverlust be- stand. Die chirurgische Therapie be- inhaltet eine Dekompression der me- dialen, inferioren und lateralen Orbi- tawände und des Orbitainhalts über einen kombinierten bikoronaren und anterioren Zugang. Die Langzeiter- gebnisse der Patienten zeigen verbes- serte Visusverhältnisse bei 17 der 22 operierten Augen. Parameter wie Vi- sus, Exophthalmus, VEP, Augenmoti- lität, Diplopie und Gesichtsfeld wur- den prä- und postoperativ dokumen- tiert. Postoperative Abweichungen der Bulbusachsen waren nur bedingt vor- hersagbar und wurden durch sekun- däre Augenmuskelverlagerungen kor- rigiert. Es zeigten sich keine nennens- werten Komplikationen. Für Extrem- fälle therapieresistenter endokriner Orbitapathien mit progredientem Vi- susverlust hat sich in unseren Händen die 3-Wand-Dekompression als Me- thode der Wahl bewährt. Schlüsselwörter Endokrine · Orbitopathie · Orbitade- kompression ORIGINALIEN

Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

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Page 1: Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

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In Deutschland publizierte der Merse-burger Amtsarzt Karl von Basedow1840 präzise klinische Informationenüber Exophthalmus in Verbindung mitHyperthyreose und Tachykardie. DieseSymptome, unabhängig von Gravesund von Basedow beschrieben, geltenbis heute als klassische Symptome ei-ner endokrinen Orbitopathie [2, 7].

Der als Morbus Basedow bezeich-neten Störung der Schilddrüsenfunkti-on liegt ein Autoimmunprozeß zugrun-de, der sich primär im Schilddrüsenge-webe abspielt, jedoch mit weit über dieSchilddrüse hinausgehenden Konse-quenzen für den Organismus der Pati-enten. Häufig ist das in der Orbita ge-legene Binde-, Fett- und Augenmus-kelgewebe von dem Entzündungspro-zeß mitbetroffen. Durch die immu-nologische Entzündungsreaktion indiesen Strukturen kommt es zu einermassiven Schwellung des retroorbita-len Gewebes durch zelluläre Infiltrati-on und Glykosaminoglykan-bedingtesÖdem mit rasch einsetzender räumli-cher Enge in den knöchern begrenztenOrbitae. Als natürliche Druckentla-stung kommt es zu einem Hervortretender Bulbi sowie zu einer Vorverlage-rung der entzündeten und geschwolle-nen Binde- und Fettgewebeanteile imBereich der Ober- und Unterlider.

Darüber hinaus kann die Beweg-lichkeit der Augenmuskeln durch fi-brotischen Muskelumbau so stark be-

hindert werden, daß Doppelbilder auf-treten. Bei einer weiteren Volumen-zunahme in den Augenhöhlen könnenStörungen der Blutversorgung, desBlutabstroms sowie Druckverletzun-gen oder Durchblutungsstörungen desSehnervs mit drohendem Visusverlustresultieren [5].

Die von Werner 1969 für die Ame-rican Thyroid Association vorgeschla-gene und 1977 modifizierte Stadien-einteilung unterscheidet 6 in ihremZeitverlauf unabhängige Stadien [9].

Die funktionelle Beeinträchtigungdes N. opticus beruht auf einer massi-ven Volumenzunahme innerhalb derOrbita. Da das Septum orbitale einedruckerhöhende Barriere darstellt, kannder ansteigende intraorbitale Druck zueiner indirekten Druckschädigung desN. opticus führen. Darüber hinaus kanneine Muskelvolumenzunahme im Apexzu einer direkten Kompression des N.opticus führen (Abb. 1). Computerto-mographische Studien haben ergeben,daß der Visusabfall eher mit dem Aus-maß der direkten Kompression im Apexals mit der Gesamtvolumenzunahmeinnerhalb der Orbita korreliert [3].

Beim Vorliegen einer deutlichen in-flammatorischen Komponente mit Pe-riorbitalödem und Beeinträchtigungdes Allgemeinbefindens wird eine Re-trobulbärbestrahlung mit 20 Gy frak-tioniert über 10 Tage (2 Gy/Tag) durch-geführt. Bleibt diese Maßnahme ohneentscheidenden Erfolg, können Gluko-kortikoide zur Kontrolle der akutenEntzündungssymptomatik eingesetztwerden. Bei schweren Komplikationen

Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] :S102–S106 © Springer-Verlag 1998

Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

S. Tveten1, Ch. Mohr1, J. Esser2

1 Klinik für Gesichts- und Kieferchirurgie (Prof. Dr. Dr. Ch. Mohr), Universitätsklinikum Essen2 Klinik für Augenheilkunde (Prof. Dr. K. P. Steuhl), Universitätsklinikum Essen

S. Tveten, Klinik für Gesichts- und Kiefer-chirurgie, Universitätsklinikum Essen, Hufe-landstraße 55, D-45122 Essen

Zusammenfassung

Die endokrine Orbitopathie (EO) isteine seltene, schwerwiegende immuno-logische Entzündungsreaktion des retroorbitalen Binde-, Fett- und Au-genmuskelgewebes. Die EO tritt nurim Rahmen von Immunthyreopathienauf und bildet deren häufigste extra-thyreoidale Manifestation. Die typi-schen Symptome der EO sind Folgeder Volumenzunahme des retrobulbä-ren Binde- und Fettgewebes sowie derinterstitiellen Verdickung der Augen-muskeln. Klinisch zeigt sich ein Spek-trum von zunehmend schwerwiegen-den Orbitaveränderungen, wie Lid-und Bindehautinfiltration, Exophthal-mus, Muskelverdickung, Hornhaut-schädigungen und Sehnervbeteiligungmit Visusabfall. Bei einer Funktions-störung des Sehnervs (Optikuskom-pression) stellt die Orbitadekompres-sion eine operative Ultima ratio dar.Von Januar 1992 bis April 1997 wur-den 11 Patienten (22 Orbitae) mit Visusbeteilung aus einem Kollektivvon über 600 Patienten mit EO chir-urgisch behandelt. Alle Behandlungs-daten wurden prospektiv dokumen-tiert. Die chirurgische Interventionwurde nur in den Fällen durchgeführt,in denen trotz Retrobulbärbestrahlungund hochdosierter Glukokortikoidthe-rapie ein progressiver Visusverlust be-stand. Die chirurgische Therapie be-inhaltet eine Dekompression der me-dialen, inferioren und lateralen Orbi-tawände und des Orbitainhalts übereinen kombinierten bikoronaren undanterioren Zugang. Die Langzeiter-gebnisse der Patienten zeigen verbes-serte Visusverhältnisse bei 17 der 22operierten Augen. Parameter wie Vi-sus, Exophthalmus, VEP, Augenmoti-lität, Diplopie und Gesichtsfeld wur-den prä- und postoperativ dokumen-tiert. Postoperative Abweichungen derBulbusachsen waren nur bedingt vor-hersagbar und wurden durch sekun-däre Augenmuskelverlagerungen kor-rigiert. Es zeigten sich keine nennens-werten Komplikationen. Für Extrem-fälle therapieresistenter endokrinerOrbitapathien mit progredientem Vi-susverlust hat sich in unseren Händendie 3-Wand-Dekompression als Me-thode der Wahl bewährt.

Schlüsselwörter

Endokrine · Orbitopathie · Orbitade-kompression

O R I G I N A L I E N

Page 2: Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

(Visusminderung und Optikuskom-pression) sind aggressivere Behand-lungsstrategien in Betracht zu ziehen.Hierzu gehören die kurzfristige hoch-dosierte i.v.-Applikation von Gluko-kortikoiden mit nachfolgender oralerGlucocorticoidgabe in absteigenderDosierung, die Kombination immun-suppressiver Substanzen sowie die or-bitale Dekompressionsoperation [2, 5].

Material und Methode

Wir überblicken ein Patientengut von über 600Patienten mit endokriner Orbitopathie, die in derZeit zwischen Januar 1992 und April 1997 in der Universitäts-Augenklinik Essen behandeltwurden. 11 Patienten (insgesamt 22 Orbitae)wurden wegen einer progredienten Visusver-schlechterung chirurgisch dekomprimiert (Wer-ner-Klassifikation Grad VI).

Alle Patienten waren präoperativ nach Si-cherstellung einer euthyreoten Stoffwechsellagemit Kortikosteroiden und Radiatio ohne Erfolgbehandelt worden. Alle 11 Patienten wurden inZusammenarbeit mit der Universitäts-Augen-klinik Essen präoperativ und postoperativ un-tersucht und die Befunde dokumentiert. Die ge-messenen Parameter waren Visus, Exophthal-mus, visuell evozierte kortikale Potentiale, Au-genmotilität, Diplopie und Gesichtsfeld.

Es wurden viele Techniken zur chirurgi-schen Dekompression angegeben, bei denen ei-ne oder mehrere Orbitawände reseziert werden.Wir bevorzugen die 3-Wand-Dekompression,unter der wir die Osteotomie und die Entfernungder lateralen, medialen und inferioren Orbita-wand verstehen. Es folgt eine Ausräumung dermittleren und hinteren Siebbeinzellen unter Be-lassen der Keilbeinhöhle. Der Orbitaboden wirdunter Schonung des N. infraorbitalis reseziert.Anschließend werden die Periorbita geschlitzt

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Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S102–S106 © Springer-Verlag 1998

Orbita decompression in the treatment of endocrine ophthalmopathy

S. Tveten, Ch. Mohr, J. Esser

Summary

Graves’ophthalmopathy (Graves’dis-ease) is a grave, rare immunologicalinflammatory reaction of the postor-bital connective, adipose and ocularmuscle tissue. Graves’ disease oc-curs only within the scope of immu-nothyropathies and constitutes themost frequently encountered extra-thyroidal manifestation. Typical symp-toms are a result of the volume in-crease of the postbulbar connectiveand adipose tissue and of the inter-stitial swelling of the ocular muscles.Clinically, we find a spectrum of in-creasingly grave changes in the or-bita, such as infiltration of the eyelidand connective tissue, exophthalmos,swelling of the muscles, damage tothe cornea and involvement of theoptic nerve with loss of vision. Re-garding functional impairment of theoptic nerve (optic nerve compres-sion), orbita decompression repre-sents an operative ultima ratio. Be-tween January 1992 and April 1997,11 patients (22 orbitae) from a groupof more than 600 patients withGraves’ disease with vision involve-ment were treated surgically. Alltreatment data were documented pro-

spectively. Surgical intervention wasperformed only in cases where a pro-gressive loss of vision existed in spiteof retrobulbar irradiation and high-dose glucocorticoid therapy. Surgi-cal therapy consisted of decompres-sion of the medial, inferior and later-al orbital wall and of the orbital con-tents via combined bi-coronary andanterior access. The long-term re-sults demonstrated improved visionconditions with 17 of the 22 eyes op-erated on. Parameters such as vision,exophthalmos, VEP, motility, doublevision and field of vision were doc-umented pre- and post-operatively.The prediction of post-operative de-viations of the bulb axis was limited,and these were rectified through sec-ondary displacements of the ocularmuscle. No complications worth men-tioning were encountered. In extremeevents of therapy-resistant Graves’ophthalmopathies with progressiveloss of vision, the three-wall decom-pression method has proved to be thecorrect one.

Key words

Graves’ophthalmopathy · Orbita de-compression

Abb. 1. Koronare NMR-Schichteiner 60jährigen Patientin mitKompression des N. opticus. Die Aufnahme zeigt deutlich dieextreme Verdickung der Augen-muskulatur. Der Visus war auf 0,4 rechts und 0,3 links reduziert

Abb.2. Koronare NMR-Schicht einer 59jähri-gen Patientin postoperativ nach 3-Wand-De-kompression. Prolaps der intraorbitalen Weich-gewebe in die Kieferhöhlen, die Siebbeinzellenund lateroorbital beidseitig. Der Visus verbes-serte sich postoperativ um 0,5 Visusstufen rechtsund um 0,4 Visusstufen links

Page 3: Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

und das zwischen den Muskeln herausquellen-de Fettgewebe entfernt (Abb. 2).

Außer den prä- und postoperativen Untersu-chungen in der Augenklinik wurden die Patien-ten in unserer Ambulanz engmaschig untersuchtund dokumentiert. Die gemessenen Parameterwaren Stirnmotorik, Stirnsensibilität, Wangen-sensibilität, Nasenatmungsbehinderung undsonstige Komplikationen.

Ergebnisse

Der Vergleich der Sehkraft vor und 3 Monate postoperativ zeigt, daß es bei

den meisten unserer Patienten post-operativ zu einer teilweise deutlichenVisusverbesserung gekommen ist. DieSehkraft war innerhalb der ersten 12Wochen um bis zu 0,7 Visusstufen an-gestiegen. Der Mittelwert der 22 Orbi-tae betrug postoperativ 0,28 Visusstu-fen. Der definitive Effekt der Dekom-pression konnte erst ca. 6 Monate nachder Operation abgelesen werden (Abb.3). Bei 1 Patienten trat bilateral einepostoperative Visusverschlechterungauf, wobei sich der Visus um 0,2 Vi-

susstufen links und 0,02 Visusstufenrechts verschlechterte. Dies ist als Fol-ge der präoperativen Schädigung desN. opticus aufgrund der Kompressiondes Nervs zu bewerten und nicht alsFolge der Operation zu interpretieren.Bei weiteren 3 Orbitae wurde die Vi-susverschlechterung ohne Progressionaufgehalten. Die weiteren 17 Orbitaeverzeichneten eine Visusverbesserungum 0,05–0,7 Stufen (Abb. 4). Bei 20Orbitae kam es postoperativ zu einermehr oder minder deutlichen Redukti-on des Exophthalmus (Abb.5, 6). Bei1 Patienten konnten wegen fehlenderKooperation die Exophthalmuswertepostoperativ nicht ermittelt werden.Die Bulbusprotrusion aller anderen Patienten verminderte sich innerhalb 1 Woche um bis zu 12 mm. Die mittle-re Reduktion des Exophthalmus nach 3 Monaten betrug 5,5 mm. Wie bei derVisusentwicklung war auch beim Ex-ophthalmus erst nach mehr als 12 Wo-chen das Endergebnis erreicht (Abb.7,8).

Die Lidödeme bildeten sich nur sehrschleppend innerhalb mehrerer Mona-te zurück. Bei 4 Patienten wurden eineHypästhesie des N. supraorbitalis undbei 5 Patienten eine Hypästhesie desN. infraorbitalis verzeichnet, die sichaber in unserer Untersuchung postope-rativ zurückbildeten. In 5 Fällen wurdepostoperativ ein Strabismus conver-gens mit subjektiver Doppelbildwahr-nehmung beobachtet, in 1 Fall ein Stra-bismus convergens, der eine Schiel-operation erforderlich machte.

Diskussion

Wir sahen in unserem mit über 600 Pa-tienten sehr großen Kollektiv endokri-ner Orbitopathien in einer progredien-ten Visusminderung die kardinale In-dikation für eine chirurgische Orbita-dekompression. Die ästhetischen Ver-besserungen sind ein erwünschter Be-gleiteffekt, bei dem hier zur Diskussi-on stehenden Patientenkollektiv mitdrohender Erblindung aber von unter-geordneter Bedeutung.

Allgemein wird die absolute Indi-kation zur chirurgischen Dekompressi-on gegeben, wenn durch intraorbitaleDruckzunahme und/oder durch Kom-pression des N. opticus aufgrund derverdickten Muskulatur ein fortschrei-

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Abb.4. Visusvergleich bei 22 Orbitae präoperativ vs. 3 Monate postoperativ

Abb.3. Durch die Operation kam es zu einer Visusverbesserung bei einer weiblichen 59jährigenPatientin von 0,3 rechts bzw. 0,4 links präoperativ bis auf 0,8 beidseits 3 Monate postoperativ

Page 4: Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

tender Visusverlust ausgelöst wird [2,3, 5].

In einer Studie unter den Mitglie-dern der American Society of Ophthal-mic Plastic and Reconstructive Sur-gery und der Orbital Society wurdenmehr als 60% der orbitalen Dekom-pressionen wegen eines milden bisschweren Exophthalmus durchgeführt,während nur 39% der Eingriffe wegeneines Visusverlusts aufgrund einerKompression des N. opticus durchge-führt worden sind [2, 6].

In der modernen Dekompressions-chirurgie wird zwischen folgendenMethoden unterschieden [8]:

1. Laterale Dekompression,2. Antral-ethmoidale Dekompression

durch einen transpalpebralen odereinen transantralen Zugang,

3. 3-Wand-Dekompression, wobei dielaterale Wanddekompression zu-sätzlich zu der antral-ethmoida-len Dekompression durchgeführtwird,

4. 4-Wand-Dekompression nach Ken-nerdell-Maroon.

Der laterale Zugang kann den Exoph-thalmus im Durchschnitt nur um 2–3mm reduzieren und ist der am wenig-sten effektive zur Vergrößerung desOrbitavolumens. Die antral-ethmoida-le Dekompression ist unter den De-kompressionstechniken die am häufig-sten benutzte Methode [2]. Die Vortei-le der endonasalen Technik liegen ineiner kurzen Hospitalisierungsperiodevon 1–2 Tagen, der Vermeidung sicht-barer Narben und einer guten intraope-rativen Übersicht durch die endoskopi-sche Technik. Mögliche Nachteile desZugangs sind jedoch die häufigen post-operativen Doppelbilder, inbesondereauch bei Patienten, die präoperativ keine Motilitätsstörungen hatten. Wei-tere Nachteile sind temporäre und per-manente Lippenhypästhesien, Sinusi-tis, Liquorfluß und Meningitis [4]. Ge-nerell ist die Reduktion des Exophthal-mus proportional zur Anzahl der de-komprimierten Wände, ausgehend voneiner Reduktion um 2–3 mm bei einer1-Wand-Dekompression bis zu einerum 16 mm bei einer 4-Wand-Dekom-pression.

Eine Alternative zur Vergrößerungdes Volumenangebots stellt die Volu-menverringerung des Orbitainhaltsmittels transpalpebraler Fettentfernungdar [7]. Die erzielte Retraktion beträgtbei dieser Methode im Schnitt 2,7 mm,und die Ergebnisse hinsichtlich der Vi-susverbesserung sind bei meist ästheti-scher Operationsindikation nicht be-kannt. Zur 3-Wand-Orbitadekompres-sionstechnik mit einem koronaren Zu-gang bei Kompression des N. opticusaufgrund der Volumenzunahme imApex sind in der Literatur wenige Un-tersuchungen nur unter diesem Aspektveröffentlicht worden. Leatherbarrowet al. [6] haben Daten von 10 Patientenpubliziert, die wegen schwerer kornea-ler Beeinträchtigungen und Sehnerv-beteiligungen (Werner-KlassifikationStadium V und VI) mit einer 3-Wand-Dekompression operiert worden sind.Alle Patienten wurden prä- und post-operativ augenärztlich untersucht undwaren z.Z. der Operation euthyreot.Die Ergebnisse belegen eine Visusver-besserung bei 7 der 10 Patienten mit ei-nem Mittelwert von 0,2 Visusstufen

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Abb. 5. Präoperative Seitenansicht eines 46jährigen Patienten mit endokriner Orbitopathie und 33-mm-Exophthalmus des rechten Auges

Abb. 6. Postoperative Seitenansicht des 46jährigen Patienten (Abb. 5) 4 Wochen nach 3-Wand-De-kompression der Orbita. Reduktion des Exophthalmus um 11 mm des rechten Auges

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Abb. 7. Exophthalmus nach Hertel bei 20 Orbitae präoperativ vs. 3 Monate postoperativ

Page 5: Orbitadekompression in der Behandlung der endokrinen Orbitopathie

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und einer durchschnittlichen Exoph-thalmusreduktion von 7,5 mm. Bei 4Patienten traten postoperative Moti-litätsstörungen auf, die durch au-genärztliche Maßnahmen zu behebenwaren.

Die Vorteile der 3-Wand-Dekom-pression in unserem Patientenkollektivmit Kompression des N. opticus undVisusverminderung liegen aus unsererSicht in der zuverlässigen Vergröße-rung des knöchernen Orbitavolumens.Der Eingriff bietet eine gute Übersichtmit direkter Einsicht auf die wichtigeposteromediale Wand. Die Methodeerlaubt einen Prolaps vom Orbitafett inallen 4 Quadranten der Periorbita so-wie eine Entfernung von überflüssi-

gem Orbitafett als zusätzliche Maß-nahme zur Dekompression. Die Nach-teile der 3-Wand-Dekompression sinddie möglichen Hypästhesien des N. su-pra- und infraorbitalis, die sich aber inunserer Untersuchung postoperativzurückbildeten. In 5 Fällen wurde einStrabismus convergens mit subjektiverDoppelbildwahrnehmung beobachtet,die angesichts der andernfalls drohen-den Erblindung jedoch von den Patien-ten toleriert wurde.

In 4 Fällen wurde bislang eine se-kundäre Schieloperation wegen sub-jektiv störender Doppelbilder notwen-dig. Für Extremfälle therapieresisten-ter endokriner Orbitopathien mit pro-gredientem Visusverlust hat sich in un-

seren Händen die 3-Wand-Dekompres-sion als Methode der Wahl bewährt.

Literatur

1. Alper MG (1995) Pioneers in the history oforbital decompression for Graves’ ophthal-mopathy. Doc Ophthalmol 1–2: 163–171

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5. Heufelder AE (1996) Endokrine Orbito-pathie: Aktueller Stand der Pathophysiologieund Therapie. Arzneimitteltherapie 14: 138–143

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7. Olivari N (1991) Transpalpebral decompres-sion of endocrine ophthalmopathy (Graves’disease) by removal of intraorbital fat: expe-rience with 147 operations over 5 years. PlastReconstr Surg 87: 627–641

8. Schepers S, Ioannides C, Fossion E (1992)Surgical treatment of exophthalmos and ex-orbitism: a modified technique. Craniomax-illofac Surg 20: 313–316

9. Werner SC (1977) Modification of the classi-fication of the eye changes of Graves’ dis-ease: recommendations of the Ad Hoc Comit-tee of the American Thyroid Association. J Clin Endocrinol Metab 44: 203–229

Abb. 8. Eine Patientin hatte bei der Hertel-Exophthalmometrie präoperative Werte von 30 mm rechts und 31 mm links. Drei Wochen postoperativ waren die Werte annähernd wieder nor-malisiert mit Werten von 20 mm rechts und 21 mm links