15
1960 W. WALTER 35 In weiteren gleichartigen Versuchen wurde die Piperidinmenge variiert (s. Abb. 1). Ebenso mit Piperidin wurden die folgenden Basen gespalten : Propylanilin, Allylanilin, 2-Anilino-butaq 3-Anilino-buten-(l), 3-Anilino-butin-(I), 3-Anilino-3-methyl-butan, 3-Ani- lino-3-methyl-buten- (I), 3-Anilino-3-rnethyl-butin-(I) und 3-Anilino-3-methyl-pentin-(I). 10 g Propargylanilin und 10 g Piperidin werden 24 Stdn. auf 140" erhitzt. Es entsteht eine klare braune Losung, und beim Offnen ist kein Uberdruck zu bemerken. Die Aufarbeitung (Fraktionierung i. Vak., i. Hochvak. und mit Oxalsaure) gibt keinen Hinweis auf eine isolier- bare Substanz, die den abgespaltenen Propargylrest enthielte. Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I THIOACETAMID-S-OXY D von WOLFGANG WALTER Aus dem Chemischen Staatsinstitut der Universitat Hamburg, Institut fur Organische Chemie Eingegangen am 14. Oktober 1959 Es werden Darstellung, Eigenschaften und Reaktionen eines bei Einwirkung von H202 auf Thioacetamid entstehenden Thioacetamidoxyds beschrieben. Die Struktur der Verbindung als Thioacetamid-S-oxyd wird begriindet : CH3.C.NH2 -+ CH3.C:NHz ll I so s 09 d Amide und Thioamide verhalten sich bei vielen chemischen Umsetzungen gleich- artig. Unterschiede treten auf bei Oxydationsreaktionen. Diese finden in dem mit reicherem Reaktionsvermogen ausgestatteten Schwefelatom der Thioamidbindung eine Angriffsmoglichkeit. Thioketone R -CS -R sind bis auf wenige Ausnahmen gegen Sauerstoff sehr empfindlich. Sobald der doppelt an Kohlenstoff gebundene Schwefel Bestandteil einer Thioamidgruppe ist, lassen sich in vielen Fdlen definierte Oxydationsprodukte fassen. Im Falle der Thioamide 1 die Monoxyde 11, im Falle des Thioharnstoffs 111 das Dioxyd IV. Ein moglicher Oxydationsangriff am Stickstoff wird durch die vor- liegenden Untersuchungen ausgeschlossen 1). R-C-NH2 - R-C-NH2 HzN-C-NHz ~ + H2N-C-NH2 I/ II I S I1 so I1 IV so2 II 111 s 1) Bei der Hydrolyse von Thioacetamid zu Essigsaure, die nach D. ROSENTHAL und T. I. TAYLOR, J. Amer. chem. SOC. 79, 2684 (1957), iiber Thioessigsaure verlauft, erfolgt die Re- aktion offenbar an der NHz-Gruppe; vgl. auch E. A. BUTLER, D. G. PETERS und E. A. SWIFT, Analytic. Chem. 30, 1379 (1958). 3.

Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

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1960 W. WALTER 35

In weiteren gleichartigen Versuchen wurde die Piperidinmenge variiert (s. Abb. 1) . Ebenso mit Piperidin wurden die folgenden Basen gespalten : Propylanilin, Allylanilin,

2-Anilino-butaq 3-Anilino-buten-(l), 3-Anilino-butin-(I), 3-Anilino-3-methyl-butan, 3-Ani- lino-3-methyl-buten- ( I ) , 3-Anilino-3-rnethyl-butin-(I) und 3-Anilino-3-methyl-pentin-(I).

10 g Propargylanilin und 10 g Piperidin werden 24 Stdn. auf 140" erhitzt. Es entsteht eine klare braune Losung, und beim Offnen ist kein Uberdruck zu bemerken. Die Aufarbeitung (Fraktionierung i. Vak., i. Hochvak. und mit Oxalsaure) gibt keinen Hinweis auf eine isolier- bare Substanz, die den abgespaltenen Propargylrest enthielte.

Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I

THIOACETAMID-S-OXY D

von WOLFGANG WALTER

Aus dem Chemischen Staatsinstitut der Universitat Hamburg, Institut fur Organische Chemie

Eingegangen am 14. Oktober 1959

Es werden Darstellung, Eigenschaften und Reaktionen eines bei Einwirkung von H202 auf Thioacetamid entstehenden Thioacetamidoxyds beschrieben.

Die Struktur der Verbindung als Thioacetamid-S-oxyd wird begriindet :

CH3.C.NH2 -+ CH3.C:NHz ll I so s 09

d

Amide und Thioamide verhalten sich bei vielen chemischen Umsetzungen gleich- artig. Unterschiede treten auf bei Oxydationsreaktionen. Diese finden in dem mit reicherem Reaktionsvermogen ausgestatteten Schwefelatom der Thioamidbindung eine Angriffsmoglichkeit.

Thioketone R -CS -R sind bis auf wenige Ausnahmen gegen Sauerstoff sehr empfindlich. Sobald der doppelt an Kohlenstoff gebundene Schwefel Bestandteil einer Thioamidgruppe ist, lassen sich in vielen Fdlen definierte Oxydationsprodukte fassen. Im Falle der Thioamide 1 die Monoxyde 11, im Falle des Thioharnstoffs 111 das Dioxyd IV. Ein moglicher Oxydationsangriff am Stickstoff wird durch die vor- liegenden Untersuchungen ausgeschlossen 1) .

R-C-NH2 - R-C-NH2 HzN-C-NHz ~ + H2N-C-NH2 I/ II

I S I1 so I1 IV so2 II

111 s 1) Bei der Hydrolyse von Thioacetamid zu Essigsaure, die nach D. ROSENTHAL und T. I.

TAYLOR, J. Amer. chem. SOC. 79, 2684 (1957), iiber Thioessigsaure verlauft, erfolgt die Re- aktion offenbar an der NHz-Gruppe; vgl. auch E. A. BUTLER, D. G. PETERS und E. A. SWIFT, Analytic. Chem. 30, 1379 (1958).

3.

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36 W. WALTER Bd. 633

Darstellung von Thioacetamid-S-oxyd

Die Arbeiten dieser Reihe sind in erster Linie dem Verhalten der Thioamide bei der Oxydation gewidmet. Als Modellsubstanz wurde zunachst das Thioacetamid gewahlt.

P. C. RAY und M. L. DAY 2) fanden, daR die Reaktion von Thioacetamid mit Jod auf dem siedenden Wasserbad nach folgender Gleichung verlauft :

Jz HzO CH3.CS.NHz A i CH3,COzH + NH4J + S

H. WOJAHN~) benutzte diese Reaktion zur quantitativen Bestimmung von Thioamiden, fuhrte sie aber bei Zimrnertemperatur mit einem UberschuD von Jod in alkalischer Losung durch, wobei der Schwefel des Thioamids quantitativ zum Sulfat oxydiert wird. Den ersten Schritt dieser Umsetzung formulierte WOJAHN in Analogie zu der von A. CLAW4) angegebe- nen Oxydation des Thioharnstoffs in saurer Losung, bei der sich das Nitrat des Formami- dindisulfids (V) bildet,

I / S

Jz HNO, 2 HzN.C.NH2 4 H2N.C.S-S.C.NH2 + 2 N030

I/ /I 0NH2 @NH2 V

in folgender Weise:

2 CH3.C.NH2 TA 2 CH3.C:NH -~ J 2 + CH3.C.S.S.C.CH3 /I I II II VI S SH NH NH

Eine im Laufe der Oxydation auftretende Triibung, die bei vollstandigem Ablauf der Reaktion wieder verschwindet, hielt WOJAHN fur das Disulfid V1. Wir stellten jedoch fest, daB es sich urn Schwefel handelt.

Die Oxydation von Thioacetamid in kalter, wainriger Losung liefert auRer dem Thioacetamid-S-oxyd durch weitergehende Oxydation auch NH4HS04 (bis zu 28 % d. Th.). Sattigt man das Perhydrol, in welches das Thioacetamid bei -5" bis -10" eingetragen wird, nahezu mit Ammoniumsulfat, so erreicht man, daI3 sich das Thio- acetamidoxyd im Laufe der Oxydation kristallin abscheidet. Es wird damit weiteren Veranderungen weitgehend entzogen. Dieser Schutz ist aber nur begrenzt, da sich die Kristalle langsam wieder losen. Aus diesem Grunde muB zur Erzielung einer guten Ausbeute durch geeignete Temperaturfiihrung dafur gesorgt werden, daR die Gesamtreaktion in etwa 3 Stunden beendet ist. Man erhalt auf diese Weise nach ein- maligem Umkristallisieren aus Methanol/Petrolather 58 % eines Produktes, das im Eisschrank jahrelang fast unverandert aufbewahrt werden kann.

Eigenschaften

Die reine Verbindung schmilzt bei 136- 137" (Zers.). Bei 125" erleiden die Kristalle eine Umwandlung, die vom Verlust der Doppelbrechung begleitet ist. Aus der Ele-

2) P. C. RAY und M. L. DAY, J. chem. SOC. [London] 109, 698 (1916). 3) H . WOJAHN, Arch. Pharmaz. Ber. dtsch. pharmaz. Ges. 284, 243 (1951). 4) A. CLAUS, Liebigs Ann. Chem. 179, 112 (1875), und zwar S. 123; vgl. auch E. A. WER-

NER, J. chem. SOC. [London] 101, 2166 (1912).

Page 3: Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

1960 Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, 1 37

mentaranalyse folgt die Summenformel C~HSNOS. In tert.-Butanol wurde ein Mole- kulargewicht von 86 (ber. 91) gefunden. Die Substanz ist also ein Thioamidoxyd.

Das Thioacetamid-S-oxyd ist eine starkere Base als das Thioacetamid. Dies 1aBt sich mit Hilfe der UV-Spektroskopie verdeutlichen. Das Thioacetamid-S-oxyd absorbiert in saurer Losung 45 m p kurzerwellig als in Wasser (vgl. Tab. 1). Es handelt sich um die gleiche Erscheinung, die von D. ROSENTHAL und T. I. TAYLOR~) am Thioacetamid beobachtet wurde. Diese Autoren ordnen das Maximum mit der kleineren Wellenlgnge der protonierten Form zu. Aus den bei verschiedenen Saure-

Tabelle 1 UV-Banden von Thioacetamid und Thioacetamid-S-oxyd in saurer und neutraler Losung

Verbindung Losungsmittel Amax (mp) Emax’ 103

Thioacetamid Wasser 261 10 261.5 11.71)

konz. Schwefelsaure 23 8 10.8 1 1.9 n Salzsaure 237 8.8 1 )

Thioacetamid-S-oxyd Wasser 290 ‘8.9 konz. Schwefelsaure 245 6.8 3.05 n Salzsaure 245 6.2

konzentrationen gemessenen Absorptionskurven (Abb. 1) geht hervor, daB das Thio- acetamid-S-oxyd in einem binaren Gleichgewicht mit H+ steht, denn es liegt ein isosbestischer Punkt vor.

E 8000

Abbildung 1 6000 UV-Spektrum des Thioacetamid-S-oxyds

in neutraler Losung und in Losungen verschiedener Saurekonzentration 4000

(- -- pH = 1.4, . . . . . . PH = 1.7)

2000 A = Grenzkurve in neutraler, B = Grenzkurve in saurer Losung

(3.05 n HCI)

240 260 280 300 m p

Das vorliegende Gleichgewicht ist also folgendermaoen zu formulieren (TO =

Thioacetamid-S-oxyd) : TO + H30@ F-A TOH@ + H20

Der pK,-Wert der korrespondierenden Saure des Thioacetamid-S-oxyds kann aus den in Abb. 1 angegebenen Spektren unter der vereinfachenden Annahme, daR die

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38 W. WALTER Bd. 633

Aktivitaten den analytischen Konzentrationen bzw. den gemessenen prr-Werten gleich- gesetzt werden, mit einer hier hinreichenden Genauigkeit berechntet werden. Man findet so :

[TOI'[HQl = + 1.5 pK = - log S [TOHQ]

Der von ROSENTHAL und TAYLOR~) bestimmte pK,-Wert fur das Thioacetamid betriigt -1.76; fur das Acetamid haben R. HUISGEN und H. BRADE5) durch poten- tiometrische Titration in Eisessig rnit Perchlorsaure den Wert +O. 11 gefunden, beziig- lich dessen Unsicherheit auf die dortigen Angaben verwiesen sei. Eine Titration des Thioacetamid-S-oxyds unter den gleichen Bedingungen ergab einen pKs-Wert von +2.4. Dieser ist sicher weniger zuverlassig als der optisch Sestimmte Wert. Er ist jedoch mit dem fur das Acetamid gefundenen vergleichbar. Hieraus ergibt sich, dal3 die Basizitut des Thioacetamid-S-oxyds diejenige des Thioacetamids, ausgedruckt als K,, um drei GroDenordnungen ubertrifft ; die Verbindung ist sogar noch wesentlich basischer als Acetamid.

Thioacetamid-S-oxyd besitzt wie Thioacetamid und viele andere Schwefelverbin- dungen die Eigenschaft, die normalerweise gehemmte Reaktion zwischen Jod und Azid im Sinne folgender Reaktion zu katalysierens) : 2 NaN3 + J2 ---f 2 NaJ + 3 N2. Die dabei eintretende Entfkbung des Jods ist so empfindlich, daD sich diese Umsetzung zum papierchromatographischen Nachweis der Verbindung eignet, wozu das schon bei anderen Schwefelverbindungen bewahrte Verfahren von E. CHARGAFF, C . LEVINE und c. GREEN') venvendet wurde.

Eine waBrige Losung von Thioacetamid-S-oxyd gibt rnit einer verdiinnten Losung von Eisen(II1) -chlorid eine tief braunrote Farbung; beim Verdiinnen erhalt man einen indigoblauen Farbton. Durch diese Farbreaktion ist das Thioacetamid-S-oxyd von ahnlich gebauten Verbindungen zu unterscheiden, in denen der Schwefel mit hoherer oder niedrigerer Oxydationszahl vorliegt. Weder das Thioacetamid noch die einer hoheren Oxydationszahl des Schwefels entsprechende Formamidinsulfinsaure geben mit FeC13 eine Farbreaktion.

Derartige tieffarbige Komplexe sind in der organischen Schwefelchemie keine Seltenheit. Schon E. BAUMANN~) fand, daR Cystein rnit FeC13 in waRriger Losung eine voriibergehende indigoblaue FBrbung hervorruft. Die Beobachtung von K. A. HOFMANN und K. OTT~) , daR FeC13 mit Phenylsulfoxyd eine Farbreaktion liefert, konnte nicht reproduziert werden. Weder Diphenylsulfoxyd noch Dimethylsulfoxyd bilden bei normaler Temperatur rnit FeCh farbige Verbindungen.

5 ) R. HUISGEN und H. BRADE, Chem. Ber. 90, 1432 (1957). 6 ) F. RASCHIG, Chemiker-Ztg. 30, 1703 (1909); Ber. dtsch. chem. Ges. 48, 2088 (1915);

7) E. CHARGAFF, C. LEVINE und C. GREEN, J. biol. Chemistry 175, 67 (1948). 8) E. BAUMANN, Hoppe-Seyler's Z. physiol. Chem. 8, 299 (1883/84). 9) K. A. HOFMANN und K. OTT, Ber. dtsch. chem. Ges. 40, 4930 (1907).

W. AWE und E. NAUJOKS, Osterr. Apotheker-Ztg. 6 , 534 (1952) [C. A. 47, 608 (1953)l.

Page 5: Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

1960 Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I 39

Die Empfindlichkeit der FeC13-Reaktion des Thioacetamidoxyds erhoht die Be- weiskraft papierchromatographischer Befunde : Wenn eine durch Oxydation aus einem Thioamid hervorgegangene Verbindung sowohl rnit dem Jod-Azid-Reagenz als auch rnit Eisen(II1)-chlorid einen Fleck an der gleichen Stelle ergibt, so kann sicher auf das Vorliegen eines Thioamid-S-oxyds geschlossen werden. Auch Thioamide kon- nen so mit groDerer Sicherheit als bisher nachgewiesen werden: Wenn bei der Oxy- dation einer schwefelhaltigen, rnit Jod-Azid reagierenden Verbindung ein Stoff ent- steht, der auBer mit Jod-Azid auch rnit FeC13 reagiert, so handelt es sich sehr wahr- scheinlich um ein Thioamid. Das Ausbleiben der FeC13-Reaktion nach einer derartigen Oxydation 1aDt aber nicht den SchluD zu, daD kein Thioamid vorliegt *).

Fugt man zu einer methanolischen Losung von Thioacetamid-S-oxyd Kupfer(II) - acetat hinzu, so erhalt man eine tiefgriine Losung, aus der sich rotbraune, zu Rosetten vereinigte Kristalle abscheiden. Diese farben sich beim Aufbewahren unter Abspal- tung von Schwefeldioxyd schwarz. Die Kupferbestimmung ergibt ein Verhaltnis Cu : Thioacetamid-S-oxyd = 1 : 2. Die Verbindung zersetzt sich wahrend der Papier- chromatographie in Butanol/Eisessig unter Ruckbildung von Thioacetamid-S-oxyd. Die Zerlegung des rotbraunen Cu-Komplexes rnit H2S liefert neben Thioacetamid-S- oxyd auch Thioacetamid, das reduktiv aus dem S-Oxyd mittels H2S in waDriger Losung entsteht. - Dimethylsulfoxyd reagiert rnit H2S wesentlich langsamer als Thioacetamid-S-oxyd. Erst nach 2 Tagen konnte in einer waDrigen, rnit H2S gesattig- ten Losung eine Abscheidung von Schwefel beobachtet werden.

Thermisch ist Thioacetamid-S-oxyd instabiler als Dimethylsulfoxyd. Dieses zer- setzt sich bei der Destillation unter normalem Druck (Sdp.760 189") nur geringfugig, wahrend Thioacetamid-S-oxyd beim Erwarmen iiber den Schmelzpunkt vollstiindig zerfallt. Als Zersetzungsprodukte wurden identifiziert: Wasser, Schwefeldioxyd, Acetonitril, Schwefelwasserstoff, Thioacetamid, SO42-, NH4+ und Schwefel. Das erwartete Acetamid wurde im Pyrolyseruckstand nicht gefunden. Es entsteht aber aus diesem bei 10 Tage langem Stehenlassen an Luft. Die Prufung auf Methyl- senfol im Destillat verlief negativ. Thioacetamid :selbst verandert [sich unter den Pyrolysebedingungen seines S-Oxyds nicht merklich.

Die allcalische Zersetzung des Thioacetamid-S-oxyds bei 90" nimmt einen ahnlichen Verlauf wie die Pyrolyse ; es konnte neben Ammoniak Acetonitril gefarjt und identi- fiziert werden. Nach Einwirkung von 0.05 n Natronlauge bei Zimmertemperatur war das S-Oxyd nach drei Tagen papierchromatographisch gerade noch nachzuweisen. Daneben fanden sich Thioacetamid und andere Zersetzungsprodukte; ferner waren nach kurzer Zeit SO4-Ionen nachzuweisen. In waDriger Pyridinlosung bei Zimmer- temperatur ist Thioacetamid-S-oxyd verhaltnismaDig stabil. Unter den spater auf- tretenden Zersetzungsprodukten findet sich auch hier Thioacetamid.

*) Uber Thioamide, die keine rnit FeC13 reagierenden Oxydationsprodukte liefern, wird in der 11. und IV. Mitteilung dieser Reihe berichtet.

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Natrium-tetraphenyloborat (Kalignost) liefert mit Thioacetamid-S-oxyd unter den bei der Ammoniumfallung einzuhaltenden Bedingungen einen kristallinen Niederschlag vom Schmp. 100 - 101", der die Zusammensetzung ( C ~ H S ) ~ B . C4HllN202Sz auf- weist. Da das Salz wahrend der Papierchromatographie zerfallt, 1aBt sich das Thio- acetamid-S-oxyd darin unverandert nachweisen. Das Thioacetamid-S-oxyd ist als Tetraphenyloborat wesentlich empfindlicher als im freien Zustande; es zersetzt sich leicht beim Umkristallisieren und ist unmittelbar nach der Ausfallung am reinsten. - Thioacetamid liefert unter den gleichen Bedingungen keine Fallung mit Natrium- tetraphenyloborat ; wird jedoch die Losung der beiden Stoffe vorsichtig angesauert, so erhalt man bei PH 3-4 einen Niederschlag, der im Papierchromatogramm einen Thioacetamid-Fleck zeigt. Der in stark saurer Losung ausfallende Tetraphenylobor- wasserstoff bildet sich unter diesen Bedingungen noch nicht. - Acetamid gibt keine Fallung mit Natrium-tetraphenyloborat bei Saurekonzentrationen, die noch nicht zur Bildung von Tetraphenylobonvasserstoff fuhren.

Die neutrale waBrige Losung von Thioacetamid-S-oxyd entfarbt Jod-Losung, wo- bei Schwefel ausfallt.

Struktur des Thioacetamid-S-oxyds

Die FeC13-Reaktion konnte fur eine Thiohydroxamsaure VII sprechen. Eine Ver- bindung dieses Typs hat L. C A M B I ~ ~ ) beschrieben. Sie 1aBt sich in das Natriumsalz und dieses in das entsprechende Oximinosulfid VIII uberfuhren:

I t

VII VIII

Eine entsprechende Reaktion lie13 sich beim Thioacetamid-S-oxyd nicht verwirk- lichen. Dies ist auf dessen mangelnde Stabilitat in alkalischer Losung und nicht auf diejenige der erwarteten Reaktionsprodukte (IX) zuruckzufuhren, wie das Verhalten der von J. W. COPENHAVER 11) aus Nitroathan und Mercaptanen dargestellten Ver- bindungen IX erweist :

CH3.CHz.NO2 + R.SH -- --z CH3.C(SR) : NOH

1x Die aus diesen Befunden schon friiher abgeleitete Folgerung12), daB das Thio-

amidoxyd den Sauerstoff nicht mit dem Stickstoff verkniipft enthalt, haben inzwi-

10) L. CAMRI, Atti Reale Accad. naz. Lincei, Rend. [5] 18 I, 687 (1909) [C. 1909 11, 15521. J . W. COPENHAVER, Amer. Pat. 2786865 v. 30. 12. 1954, M. W. Kellogg Co. [C. 1958,

12) W. WALTER, Vortrag auf der Tagung der Nordwestdeutschen Chemiedozenten, Mar- 14210].

burg/Lahn, April 1958; vgl. Angew. Chem. 70,404 (1958).

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1960 Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I 41

schen T. BACCHETTI und A. ALEMAGNA13) durch die folgende Synthese der Acet- thiohydroxamsaure (X) gesichert :

CH3 .C(SH) : NOH NOH -~ i 11 r CH3.C” CH3. CCI :NOH

CH3. CS .NHOH ‘s. CH2.CsHs + 2NaSH

X XI

X ist so instabil, daB eine Isolierung nicht gelang; zur Charakterisierung muBte es in die Benzylverbindung XI umgewandelt werden. Vom Thioacetamid-S-oxyd konnte kein c6H5. CH2. S-Derivat dargestellt werden.

Das Thioacetamid-S-oxyd muB also in die Gruppe von Substanzen eingeordnet werden, von der R. KITAMURA~~) aromatische und aromatisch-aliphatische Vertreter dargestellt hat. KITAMURA beschrieb die Struktur dieser Substanzen durch folgende Formeln :

,NH2 @NH2 NH NH

A s 0 ‘so0 ‘SOH ‘SH 1

XI1 XI11 XIV 0

L -2. --- R.C” R .C +--+ R.C’ -~ R.C’

Aus unten erorterten Griinden bevorzugte er die Formeln XI11 bzw. XIV und leitete aus XIV den Namen ,,Thioperimidsauren“ fur diese Verbindungsklasse ab ; im Rah- men der derzeitigen Nomenklaturregeln wurde man eine Verbindung der Formel XIV besser als Iminosulfensaure bezeichnen *).

R. KITAMURA 14) hatte die Bezeichnung Thioperimidsaure auf Grund der von ihm beobachteten statischen Aciditat besonders des Thiobenzamidoxyds vorgeschlagen. Er hat also angenommen, daR die Saurenatur der Verbindung auf eine Lokalisierung des Protons am Sauerstoff schlieRen IieBe. Dieses Verfahren ist aber bedenklich, wie F. A R N D T ~ ~ ) kurzlich mit aller Deutlichkeit dargetan hat * *). Statische Aciditaten lassen hiernach keinen SchluB auf Ort und Festigkeit der Protonbindung zu, weil in die statische Saurekonstante zu einem wesentlichen Teil die Mesomerie des Anions eingeht. Im Falle des Thiobenzamid-S-oxyds muB ein solcher SchluR eine besondere Unsicherheit aufweisen, da Thiobenzamid selbst eine merkliche statische Aciditat

* ) In dem Ubersichtsreferat von P. CHABRIER und S. H. RE NARD^^) ist der Name Thio-

** ) Herrn Professor Dr. F. ARNDT habe ich fur wertvolle Diskussionen theoretischer Fragen

13) T. BACCHETTI und A. ALEMAGNA, Atti Accad. naz. Lincei, Rend., CI. Sci. fisiche, mat.

14) R. KITAMURA, J . pharmac. SOC. Japan 58, 246 (1938) [C. 1939 I, 46061. 15) P. CHABRIER und S. H. RENARD, Bull. SOC. chim. France 1949, D. 272. 16) F. ARNDT, Abh. braunschweig. wiss. Ges. 8, I (1956); F. G. ARNDT in J. MITCHELL JR.,

I. M. KOLTHOFF, E. S. PROSKAUER und A. WEISSBERGER, Organic Analysis, Bd. 1, S. 197, Interscience Publ., Inc., New York 1953.

perimidsaure miherstandlich ,,acide thiopyrimidique“ iibersetzt worden.

zu danken.

natur. 24, 161 (1958) [C. A. 52, 18299h (1958)l.

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42 W. WALTER Bd. 633

zeigt. Dies ist iibrigens keineswegs bei allen Thioamiden der Fall, was aus den Dar- stellungen dieses Sachverhaltes in verschiedenen Lehr- und Handbiichern nicht immer hervorgeht. Hierfur zwei Beispiele:

,,The thioamides, in contrast to their oxygen analogs, are weak acids; they dissolve in aqueous alkali and may be reprecipitated by passing carbon dioxide into the alkaline so- lution'' 17). - ,,Da der -C=S-Gruppe eine hohere Elektromeriefahigkeit zukommt als der -CEO-Gruppe, steigt durch diesen Ersatz in der Thioamidgruppe die Aciditat so stark

an, daB nunmehr schwache, bereits in wal3rigen Alkalien losliche Sauren vorliegen" 18).

Aus Tabelle 2 gehen die wahren Verhaltnisse hervor.

Tabelle 2. Loslichkeit von Thioamiden in waRrigen Alkalien

loslich unloslich

C ~ H S - C - N H ~ II S

II S

CH3-C-NH- CsH5

( ~ ) O ~ N - C ~ H I - C - N H - - C H ~ - C ~ H ~ I/

H CH3, NH-CO

;C( , CH~' 'c-NH

II S

>CH-C'/ Ar--S02 S

CH3 \ N H ~

C~HS-C-NH-CH~ II S

II C~HS-C-NH-CHZ-C~H~

S

CHz-CH-CHz I l l

CH2 CHzC=S I I 1

CH2-CH-NH

/ HzC,

CHZ-CH~-C=S

~

CHz-CHz-NH

Tabelle 3. Eigenschaften der Anthrachinon-sulfensaure-(1) und des Thioacetamid-S-oxyds

Anthrachinon-sulfenslure-(1) (XV) Thioacetamid-S-oxyd

bildet tiefgefarbte Sake zerfallt bei Zusatz von Alkali in alkalischer Losung methylierbar nicht methylierbar leicht oxydierbar zum Sulfinat liefert bei der Oxydation Sulfat zeigt im IR-Spektrum eine scharfe zeigt weder im festen Zustand noch

OH-Bande bei 2 .8--2.9~*)

~ ~ ~~~~

in Losung eine OH- oder SH-Bande

+ ) Herrn Dr. W. JENNY, ClBA AG, Basel, danke ich fur die freundliche uberlassung des

17) H. GILMAN, Organic Chemistry; an Advanced Treatise, 2. Aufl., J . Wiley & Sons, Inc.,

181 H. HENECKA und P. KURTZ in HOUBEN-WEYL-MULLER, Methoden der orgnnischen

I R-Spektrums der Anthrachinon-sulfensaure-(1).

New York 1948, S. 936.

Clieinie, 4. Aufl., Bd. 8, S. 652, Verlag G. Thieme, Stuttgart 1952.

Page 9: Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

1960 Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I 43

Wenn man das Thioacetamid-S-oxyd mit den wenigen bekannten Anthrachinon- sulfensauren19) vergleicht, z. B. mit XV, wie dies in Tabelle 3 geschehen ist, so zeigt sich, daB sich die beiden Verbindungen in wesentlichen Eigenschaften

unterscheiden. Das ZR-Spektrum des Thioacetamid-S-oxyds zeigt weder eine OH- q q H u,\/ noch eine SH-Bande. Dies gilt fur alle bisher untersuchten Thio- amidoxyde. Das IR-Spektrum unterscheidet sich zwischen 3 und II 5p auch fur die mit D20 behandelte Substanz nicht von dem des 0

xv Thioacetamids. Als einziges Losungsmittel ohne nennenswerte Ab- sorption zwischen 2 und 3 p, in dem Thioacetamid-S-oxyd hinreichend loslich ist, konnte flussige Blausaure aufgefunden werden, doch war auch hierin in dem erwahnten Bereich kein Unterschied gegeniiber dem Thioacetamid festzustellen. Beide Verbin- dungen zeigen eine gerade noch von einer starken Absorption des Losungsmittels getrennte Bande bei 2.93 p, die auf eine wenig durch Wasserstoffbriickenbindungen beanspruchte NH-Valenzschwingung hinweist. Messungen der magnetischen Kern-

2 P I00

5 80 Y .- 50

2 40 C A 20

0 J00036(10320028@0?4002000 1800 1500 1400 I200 loo0 800 650cm-1

- J7 -

Abbildung 2. IR-Spektrum des Thioacetamid-S-oxyds in KBr

40003600 320028002400 2000 1800 l a 0 1400 I200 IOM) 800 650cm-l

Abbildung 3. IR-Spektrum des Tetraphenylobor-Komplexes aus Thioacetamid-S-oxyd

19) K. FRIES, Ber. dtsch. chem. Ges. 45, 2965 (1912); W. JENNY, Helv. chim. Acta 41, 317, 326 (1958); W. JENNY, XV. Internat. KongreR fur reine und angew. Chemie, Zurich 1955; vgl. Referatenband S. 289; s. auch T. C. BRUICE und A. B. SAYIGH, J. Amer. chem. SOC. 81, 3416 (1959).

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44 W. WALTER Bd. 633

resonanz gaben ebenfalls keinen Anhaltspunkt fur das Vorliegen eines Signals der OH-Gruppe*).

Auf das 1R-Spektrum des Thioacetamid-S-oxyds konnen die von R. MECKE und H. SPIESECKE 20) fur das Thioacetamid getroffenen Zuordnungen weitgehend ange- wendet werden. An neuen Banden treten neben einer breiten Assoziationsbande bei 13 zwei weitere Banden bei 7.55 und 10.9 p auf, die auf gekoppelte Schwingungen der im Thioacetamid-S-oxyd vorkommenden C -S -0-Gruppe zuriickzufiihren sind, denn sie rucken nach Deuterierung der Verbindung auf 7.96 und 1 0 . 7 ~ zusammen. Wegen dieser Kopplung fehlt in Abb. 2 die SO-Bande der Sulfoxyde bei 9 . 5 ~ . Ein gewichtiges Argument gegen das Vorliegen der tautomeren Formen XI11 und XIV IaRt sich aus dem Fehlen einer C-N-Valenzschwingung ableiten. Die maiRig starke Bande bei 6.1 p (Abb. 2), welche nach Behandlung der Substanz mit D20 fast voll- standig verschwindet, ist auf Grund der Zuordnung von MECKE und SPIESECKE wahr- scheinlich auf eine 8-NH-Schwingung zuruckzufiihren * *).

Die an der freien Molekel nicht beobachtete C= N-Valenzschwingung tritt beim Tetraphenyloborat auf. Abbildung 3 zeigt eine starke Bande bei 6.1 p. Zum Vergleich wurden die IR-Spektren der Tetraphenyloborate des Thioacetamids und einiger anderer Thioacetamid-S-oxyde aufgenommen. Samtliche untersuchten Verbindungen weisen bei den in Tabelle 4 angegebenen Wellenlangen eine intensive Absorptionsban- de auf, die auf Konjugationseffekte wesentlich empfindlicher reagiert, als dies der C ~ N-Valenzschwingung im allgemeinen zugeschrieben wird 21).

Tabelle 4. Lage der C-N-Valenzschwingung in den Tetraphenyloboraten verschiedener Thioamid-S-oxyde und des Thioacetamids

~~~~~~ -

Tetraphenyloborat von C=N-Valenzschwingung

Thioacetamid-S-oxyd 6 . 1 ~ N- Methyl-thioacetamid-S-oxyd 6.2 p N- Phenyl-thioacetamid-S-oxyd 6.4 p Thiobenzamid-S-oxyd 6 . 2 ~ Thioacetamid 6.1 P

Das fur Ammonium- bzw. Imonium-Ionen spezifische Reagenz verschiebt also das Elektronensystem in Richtung auf die Anordnung, die in dem entstehenden Salz vor- liegt. Uber die Stelle, an die das Proton tritt, sagt das IR-Spektrum nichts. Es findet sich keine fur XI I1 charakteristische SH-Schwingung. Die bei 2.95 p auftretende OH-

* ) Herrn Dr. H. G. HERTZ vom Institut fur PhysikalischeChemie der Universitat Hamburg habe ich fur die Messung der magnetischen Kernresonanz und fur die Auswertung der Mes- sungen ZLI danken.

* * ) Fur klarende Diskussionen der IR-Spektren danke ich Herrn Dr. W. LUTTKE vom lnstitut fur Physikalische Chemie der Universitat FreiburgjBrsg.

20) R. MECKE und H. SPIESECKE, Chem. Ber. 89, 1 I10 (1956). 21) L. J . BELLAMY, The Itfro-red Spectra of Complex Molecules, J. Wiley & Sons, New York

1954. S. 226.

Page 11: Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

1960 Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I 45

A. HANTZSCH~~) fand, da13 bei gleich- zeitiger Einwirkung von Broni und Bromwasserstoffsiiure auf Dimethyl- pyron ein orangefarbener Nieder- schlag aus 2 Mol Dimethylpyron, 1 Mol HBr und 2 Atomen Brom

stehend formuliert. In Analogie hier- zu wird fur die Tetraphenylobo- ratverbindung des Thioacetamid-S-

entsteht, den F. A R N D T ~ ~ ) wie neben-

- - @

I 00. . . . . . . H. . . . . . .OO

/\ )\ Bre, BrZ /I I

- H ~ C ~ & C H ~ H ~ c / \ ~ ~ \ c H ~ - - -

0 0 0 SO . . . . H . . . . O S

d = g ~ , [(C6H5)4BlS H2N=C e l I I

- CH3 CH3 -

22) A. HANTZSCH und 0. DENSTORFF, Liebigs Ann. Chem. 349, 1 (1906), und zwar S. 20, 39. 23) F. ARNDT, E. SCHOLZ und P. NACHTWEY, Ber. dtsch. chem. Ges. 57, 1903 (1924). 24) E. DE B. BARNETT, J. chem. SOC. [London] 97, 63 (1910). 25) J. BOESEKEN, Recueil Trav. chim. Pays-Bas 55, 1040 (1936).

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46 W. WALTER Bd. 633

stanz in waRriger Losung neutral reagiert. Er fiihrte dies auf eine Kompensation des ba- sischen Charakters des Formamidinrestes und des sauren der Sulfinsaure, also auf eine innere Salzbildung, zuriick. - R. KITAMLJRA~~) hat spater, offenbar ohne Kenntnis der Arbeit \on B(IEsEmN, den gleichen Umstand bemerkt und den wiederum auf der zwitterionischen Grenzform basierenden Namen Amino-imino-methansulfinsaure-betain vorgeschlagen. Ab- gesehen davon, daR rnit dieser Bezeichnung der klar definierte Begriff des Betains27) ge- sprcngt wird, liegt auf Grund der Reaktionen der Verbindung keine Notwendigkeit vor, die rwitterionische Grenzform der Verbindung zur Grundlage ihrer Bezeichnung zu machen. Die Lage ist hier also ahnlich wie beim Thioacetamid-S-oxyd, und es ware daher auch in diesem Falle richtiger, den rnit den wenigsten Hypothesen belasteten Namen Thioharnstoff- S-dioxyd fur das hier behandelte Oxydationsprodukt des Thioharnstoffs zu verwenden.

B E S C H R E I B U N G D E R V E R S U C H E

Ntrchweis, daJ es sich bei der von H. Wojahn3) fur ein DisulJid des Thioacetamids gehaltenen Triibung um Schwefel handelt: 10 ccm m/40 Thioacetamid-Losung in Wasser wurden rnit 1 ccm 2n NaOH und dann rnit einem UberschuD 0.1 n Jod-Losung versetzt. Es trat eine farb- lose Triibung auf, die - wie die beim Ansauern einer Na2SzOyLosung entstehende Trii- bung ~ auf Zusatz von NaOH bis zur alkalischen Reaktion bestehen blieb. Es wurde eine groRere Menge dieser triiben Losung hergestellt, wobei ein so groBer UberschuD an Jod verwendet wurde, dalj die Reaktion rnit Jod-Azid verschwand. Durch Ansauern und Er- wirmen wurde die Trubung in einen filtrierbaren Zustand gebracht. Der abfiltrierte Nieder- schlag war in CS2 loslich. Er schmolz bei 116-120' und verbrannte rnit blauer Flamme ruckstandslos zu S 0 2 .

Tliioucetamid-S-oxyd. - 16 g Ammoniumsulfat werden in 90 ccm Perhydrol gelost, auf ~ 300 gekiihlt und 60 g feingepulvertes Thioacetamid portionsweise eingeriihrt. Die Ge-

schwindigkeit des Eintragens wird so reguliert, daR die Temperatur zunachst nicht iiber -20" steigt. Wenn das Reaktionsgemisch teigartig wird, laDt man die Temperatur durch

schnelleren Zusatz des Thioacetamids auf -10" ansteigen und halt diese Temperatur bis zum Ende der Reaktion ein. Das Eintragen des Thioacetamids sol1 nach 1 Stde. beendet sein. Dann wird noch 2 Stdn. bei -10" weitergeriihrt. Die erhaltenen Kristalle werden zwei- ma1 mit kaltem Aceton gewaschen und noch feucht in Methanol gelost. Es wird von wenig Schwefel abfiltriert und so vie1 Petrolather zugefiigt, dalj sich zwei Schichten bilden. Nach I2 Stdn. bei -20" scheiden sich 35-38 g farblose Kristalle aus. Durch Einengen der Methanol- phase und erneuten Zusatz von Petrolather erhalt man weitere 8- 13 g Thioacetamid-S-oxyd vom Schmp. 134". Die Verbindung ist frei von Thioacetamid. Durch mehrfaches Umkristalli- sieren aus Methanol/kher/Petrolather, aus Acetonitril oder Nitromethan erhalt man glan- zende Kristalle vom Schmp. 136-137" (Zers.).

C2H,NOSi(91.1) Ber. C 26.36 H 5.53 N 15.37 0 17.55 S 35.18 Gef. 26.25 5.23 15.13 17.54 34.81

Mo1.-Gew. 86 (kryoskop. in tert.-Butanol)

2 6 ) R. KITAMURA, J. pharmac. SOC. Japan 59,33 (1939) [C. 1939 I, 46071. 27) E. MULLER, Neuere Anschuuungen der organischen Chemie, 2. AuA., Springer-Verlag,

Berlin-Gottingen-Heidelberg 1957, S. 148; F. KLAGES, Lehrbuch der organischen Chemie, Bd.2, S . 131, W. de Gruyter & Co., Berlin 1954.

Page 13: Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

1960 Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I 41

Loslichkeit (g in 100 g Losungsmittel bei -20"): Wasser ca. 45, Methanol ca. 13, Athanol ca. 3, Schwefelsaure ca. 40, flussige Blausaure ca. 10, Formamid ca. 12, Dimethylformamid ca. 5. - Sehr schwer loslich bei -20" in Dioxan, Aceton, Nitromethan, Pyridin, Acetonitril, Benzol, Schwefelkohlenstoff, Tetrachlorkohlenstoff, wasserfreiem Dimethylsulfoxyd, Di- methylsulfat und Propylenoxyd. In siedendem Aceton, Nitromethan und Acetonitril losen sich etwa 1-2% ohne Zersetzung.

p ~ , - Wert: Das UV-Spektrum wurde mit dem lichtelektrischen Spektralphotometer von C. ZEIS aufgenommen. Die Konzentration des Thioacetamid-S-oxyds (TO) in Salzsaure vom PH 1.7 betrug 2.1'10-4 Mol/I, diejenige der Losung vom PH 1.4 2.7.10-4 Mol/l. Die Extinktionsmoduln (m) wurden fur beide Uberlagerungskurven der Absorption von TO und TOH+ bei den Wellenlangen 250 bzw. 290mp gemessen. - Die Berechnung erfolgte mit einer von M. PESTEMER und D. B R U C K ~ ~ ) angegebenen Formel:

Die c-Werte wurden der Tabelle 1 entnommen. Die Messung der pH-Werte erfolgte mit einer Glaselektrode.

Die Titration des Thioacetamid-S-oxyds mit Perchlorsaure in Eisessig und die Potential- messung erfolgten in der von R. HUISCEN und H. BRADES) angegebenen Weise unter Ver- wendung des automatischen Titrators der Firma RADIOMETER. Im Gegensatz zu den von HUISGEN und BRADE gemessenen Amiden tritt in der Titrationskurve des Thioacetamid- S-oxyds bei Halbneutralisation und einem Potential von 0.527 V ein Wendepunkt auf.

Papierchromatographischer Nachweis: Es wurde nach der von K. HEYNS und G. A N D E R S ~ ~ ) beschriebenen Methode verfahren. Papier Nr. 602h: P (SCHLEICHER & SCHULL) ; FlieDmittel PA = Pyridin/GarungsamylaIkohol/Wasser (35 : 35 : 30), BE = n-Butanol/Eisessig/Wasser (70 : 7 : 23). - Bei dem von E. CHAR GAFF^) angegebenen Jod-Azid-Reagenz wurde der Gehdlt an Natriumazid auf 8 % gebracht, wodurch die Empfindlichkeit wesentlich erhoht wird. - Die auf Thioacetamid bezogenen R- Werte des Thioacetamid-S-oxyds (RT-Werte) betragen 0.74 (in PA), 0.90 (in BE). Die RF-Werte des Thioacetamids wurden zu 0.73 (in PA) und 0.83 (in BE) gefunden.

Bei der Oxydation kleiner Mengen zum Nachweis von Thioamiden sollte ein UberschuR an H202 vermieden werden, da andernfalls der Test auf das Thioamid-S-oxyd mifilingen kann. Die Oxydation schreitet dann so weit fort, daD sich keine mit Jod-Azid reagierenden Ver- bindungen mehr nachweisen lassen.

Carbonamide wurden mit dem Verfahren von F. REINDEL und W. HOPPE sowie P. W. G. SMITH^^) nachgewiesen.

Kupfer(II)-Komplex des Thioacetamid-S-oxyds. - 0.36 g Thioacetamid-S-oxyd wurden in Methanol gelost und zu einer Losung von 0.4 g Kupfer(I1)-acetat in 2n Essigsaure ge- tropft. Aus der tiefgriinen Losung fielen nach kurzer Zeit rostbraune, zu Rosetten vereinigte

28) M. PESTEMER und D. BRUCK in HOUBEN-WEYL-MULLER, Methoden der organischen

29) K. HEYNS und G. ANDERS, Hoppe-Seyler's Z. physiol. Chem. 287, 1 (1951). 30) F. REINDEL und W. HOPPE, Chem. Ber. 87, 1103 (1954); P. W. G. SMITH, J. chem. SOC.

Chemie, 4. Aufl., Bd. 3/2, S. 757, Verlag G. Thieme, Stuttgart 1955.

[London] 1957, 3985.

Page 14: Oxydationsprodukte von Thiocarbonsäureamiden, I. Thioacetamid-S-oxyd

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Kristalle BUS, deren Menge durch Zusatz von Aceton vermehrt werden konnte. Sie wurden i i ~ i f der Zentrifuge dreimal rnit Wasser sowie zweimal rnit Athanol gewaschen. Ausbeute 0.356 g ; Schmp. > 350".

C ~ H L O C U N ~ O ~ S ~ (245.8) Ber. Cu 25.85 Gef. Cu 25.04

Riickbildung von Thioucetamid-S-oxyd aus dern Kupferkomplex: Der Kupferkomplex wtirde in Methanol suspendiert und vorsichtig so lange H2S eingeleitet, bis die braunen Kristalle nicht mehr zu erkennen waren. Aus dem i. Vak. eingedampften Filtrat wurden Kristalle vom Schmp. 131 erhalten, die rnit Thioacetamid-S-oxyd identisch waren. Auf einem Papierchromatogramm des Filtrates konnte neben Thioacetamid-S-oxyd auch Thio- acetamid erkannt werden.

Redirkrion von Thioaceramid-S-oxyd mit H2S: 0.45 g Thioacetamid-S-oxyd wurden in 30 ccni Wasser gelost. In die Losung wurde so lange H2S eingeleitet, bis sich eine Probe nicht mehr mit FeC13 rot farbte. Der ausgefallene Schwefel wyrde abfiltriert und die klare Losung i . Vak. eingedampft. Der Riickstand bestand aus schmelzpunktsreinem Thioacetamid. Aus- hetite 0.35 g (87 %).

fyrolyse: 1.55 g Thioacetamid-S-oxyd wurden in einem kleinen Destillierkolben auf 130 bis 140, erhitzt. Nach zunachst starker Gasentwicklung setzte alsbald Destillation ein. Sie wurde bis zu einer Badtemperatur von 160" fortgesetzt und erst unterbrochen, als sich das Destillat gelb zu farben begann. Bis dahin waren 0.58 g zwischen 80 und 100" iibergegangen. Die Destillation wurde nun bei 0.05 Torr fortgesetzt und die Temperatur bis auf 250" ge- steigert, wobei eine geringe Menge eines gelben 6les iiberging, das nicht weiter untersucht wurde. In der Kondensationszone schieden sich Kristalle ab, die durch Schmelzpunkt, Papierchromatogramm und IR-Spektrum als Thioacetumid identifiziert wurden. Im De- stillat wurde Wcisser mit wasserfreiem Kupfersulfat und mit KARL-FISCHER-Reagenz nach- gewiesen. - Durch vorsichtige Fraktionierung des Destillates wurde ein Tropfen Acetonitril erhalten, das mit wenig Wasser verunreinigt war (Identifizierung rnit Hilfe des IR-Spektrums). SO: wurde mit &[Fe(CN)6], ZnS04 und Nitroprussidnatrium3I) nachgewiesen sowie durch den Ni(OH):-Testil). Aus dem Destillationsriickstand wurden Schwefel und NH4HS04 isoliert ; letzteres wurde durch das IR-Spektrum identifiziert, nachdem NH3 und sO4l- nach- gewiesen worden waren. Schwefelwasserstoff wurde am Geruch und mit Bleiacetatpapier er- kannt. ~ Auf dem Papierchromatogramm eines wahigen Auszuges des Riickstandes konnte nach der Chlormethode30) kein Acetamid (RF = 0.60, in BE) nachgewiesen werden; man findet jedoch eine Substanz rnit RF = 0.32 (in BE), deren Natur noch nicht aufgeklart wurde.

Alkrilische Zersetzung: 0.5 g Thioacetamid-S-oxyd wurden mit 2 g Bariumhydroxyd ge- niischt und auf dem Wasserbad bei 90" geschmolzen. Es entwickelte sich Ammoniak; auRer- dem destillierte eine Fliissigkeit iiber, die mit Hilfe des IR-Spektrums als Acetonitril iden- tifiziert werden konnte.

Tetruphenyloborat des Thioacetamid-S-oxyds. - 1 g Natrium-tetraphenyloborat wurde in 10 ccm 10-proz. Essigsaure gelost und mit einer Losung von 0.27 g Thioacetamid-S-oxyd i n Wasser vereinigt. Es entstand sofort ein dicker, farbloser Niederschlag, der sich nach etwa 10 Min. absetzte. Er wurde mit verd. Essigsaure und Eiswasser gewaschen. Schmp.

3 1 F. FEEL, Sput Tests, Elsevier Publishing Comp., Amsterdam, Houston, London, New York, 4. Autl., Band 1, S. 283.

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1960 W. WALTER 49

100-lOl", Ausbeute 0.68 g (90%). Die Verbindung farbt sich beim Aufbewahren, auch im Kuhlschrank, bald gelb.

C28H31BN202S2 (502.5) Ber. C 66.93 H 6.07 N 5.61 S 12.76 Gef. 66.99 6.03 5.71 12.37

Tetraphenyloborat des Thioacetamids. - 0.75 g Thioacetamid und 1.7 g Natrium-tetra- pbenyloborat wurden in je 20ccm Wasser gelost und die Losungen vereinigt. In die resul- tierende klare Losung wurde n H2S04 eingetropft. Nach 0.4 ccm n H2S04 (PR 2.5 - 3) begann sich ein farbloser Niederschlag zu bilden, der sich auf Zusatz von weiteren 0.2 ccm nH2S04 kraftig vermehrte. Die Fallung wurde 1 Stde. im Eisschrank aufbewahrt und so lange mit 10-proz. Essigsaure gewaschen, bis im Filtrat keine S04-Ionen mehr nachweisbar waren; Schmp. 96". (Bei Steigerung der Temperatur kristallisiert die Schmelze wieder. Die sich hierbei bildenden Nadeln schmelzen bei etwa 210".)

C28H31BN2S2 (470.5) Ber. N 5.96 Gef. N 6.12

Aufnahme der IR-Spektren: Verwendet wurde das Gerat PERKIN-ELMER Model1 21. Die deuterierten Verbindungen wurden durch Eindampfen der Losungen der betreffenden Substanzen in D20 erhalten. Die Messungen erfolgten in KBr-PreRlingen. Die Messungen an Thioacetamid-S-oxyd und Thioacetamid wurden in fliissiger Blausaure (Zellen von d =

0.05 mm) durchgefuhrt.

Oxydationsprodukte von Thiocarbonsaureamiden, I1 1)

UBER DIE BILDUNG VON N-ACETYL-THIOACETAMID UND 3.5-DIMETHYL- 1.2.4-THIODIAZOL AUS THIOACETAMID-S-OXYD

von WOLFGANG WALTER

Aus dem Chemischen Staatsinstitut der Universitat Hamburg, Institut fur Organische Chemie

Eingegangen am 14. Oktober 1959

Bei der Reaktion von Thioacetamid mit Thioacetamid-S-oxyd in saurer Losung bildet sich bei Zimmertemperatur N-Acetyl-thioacetamid; bei direkter Ein- wirkung der beiden Verbindungen aufeinander in der Warme wird 3.5-Dimethyl- thiodiazol nachweisbar. Der Mechanismus der Bildung dieser Verbindungen, der diskutiert wird, eroffnet Wege zum Verstandnis vieler Reaktionen des Thio-

acetamid-S-oxyds.

Fugt man einer Losung von Thioacetamid-S-oxyd in n Schwefelsaure, die bei Zimmertemperatur einige Tage stabil ist, 1 Aquiv. Thioacetamid zu, so fallt augenblick- lich Schwefel aus, und die Losung farbt sich gelb. Durch verlustreiche Reinigungs- operationen kann man eine gelbe, kristalline\ erbindung vom Schmp. 62" isolieren. Die

1) I. Mitteilung: W. WALTER, Liebigs Ann. Chem. 633, 35 (1960), voranstehend.

Liebigs Ann. Chem. Bd. 633 4