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TREFFPUNKT FORSCHUNG 76 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 74 – 77 METABOLOMIK p-Aminosalicylat als Trittbrettfahrer im Folatstoffwechsel Die antibiotische Wirkung von p-Aminosalicylat (PAS) wird auf eine kompetitive Hem- mung der Folatsynthese zurückgeführt, aber nicht jeder wirksame Hemmer der Folat- synthese eignet sich gleichermaßen als Antibiotikum. Die Besonderheit von PAS liegt offenbar darin, dass es nicht nur die Folatsynthese hemmt, sondern darüberhinaus in ein unwirksames Folsäureanalog eingebaut wird. Da Menschen wie alle Säugetiere Folat nicht selbst synthetisieren, son- dern als Vitamin mit der Nahrung aufnehmen, wirken Hemmstoffe der Folatsynthese selektiv auf Bakterien und sind deshalb für die pharmakolo- gische Anwendung besonders attrak- tiv. Dazu gehört p-Aminosalicylat (PAS), eines der ersten gegen den Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis eingesetzten Antibioti- ka. Angriffspunkt von PAS ist die Di- hydropteroatsynthase (DHPS, Abbil- dung 1), von deren physiologischem Substrat, p-Aminobenzoat, sich PAS le- diglich bezüglich eines Hydroxylsub- stituenten unterscheidet. Daher wirkt PAS als kompetitiver Hemmstoff die- ses Enzyms. Ein US-amerikanisches Forscher- team ging jetzt der Frage nach, wes- halb gerade PAS gegen M. tuberculo- sis wirksam ist, während bestimmte Sulfonamide, die gereinigte DHPS im Reagenzglasversuch sogar noch wirk- samer hemmen als PAS, keine (Dap- son, Sulfanilamid) oder nur schwache (Sulfamethaxol) antibiotische Wirk- samkeit gegen den Tuberkuloseerre- ger zeigen. Sie stellten fest, dass so- wohl die Sulfonamide als auch PAS in Zellen von M. tuberculosis aufgenom- men wurden und dort wie erwartet das natürliche Substrat vom Enzym verdrängten. Passend zu den früheren Ergebnissen mit gereinigter DHPS erwiesen sich dabei die Sulfonamide als wirksamere Kompetitoren. Dass sie dennoch keine bakterizide Wir- kung zeigten, ließ sich darauf zurück- führen, dass sie rasch metabolisiert und dadurch in inaktive, im Metabo- lom der Zelle nachweisbare Substan- zen überführt wurden. Hemmstoffe der Folatsynthese wir- ken bakterizid, da sie die Bildung des für C1-Übertragungsreaktionen essen- tiellen Cofaktors Tetrahydrofolat unterbinden und damit letztlich wichtige Synthesen blockieren, z. B. die Bildung von Glycin aus Serin, von Methionin aus Homocystein oder von 2 '-Desoxythymidin-5 '-mono- phosphat (dTMP) aus 2 '-Desoxyuri- din-5 '-monophosphat (dUMP). Auch PAS wurde von den Bakte- rienzellen metabolisiert, sodass sich die kompetitiv hemmende Wirkung nach einigen Stunden der Behand- lung vorübergehend abschwächte. Überraschend war eine anschließen- de erneute Zunahme der kompetiti- ven Hemmung, die ein Plateau erst zu einem Zeitpunkt erreichte, als schon ein großer Teil der PAS meta- bolisiert war. Dieser biphasische Ver- lauf der Wirkung lässt sich am besten durch Metabolisierung zu einer zwei- ten wirksamen Substanz erklären, und dazu passend wurden mittels chromatographischer Reinigung und Massenspektroskopie mehrere Deri- vate identifiziert: N-Monomethyl-PAS, N-Dimethyl-PAS – von denen nur das Monomethylderivat als kompetitiver Hemmstoff der DHPS wirkte – sowie die Dihydropteroat- und Folatanaloga von PAS (Abbildung 2) bzw. N-Mono- methyl-PAS. Demnach verdrängt PAS nicht nur das physiologische Substrat der DHPS, sondern wird selbst als al- ternatives Substrat umgesetzt. Durch rekombinant hergestellte, gereinigte Enzyme wurde PAS mit vergleich- barer K m und k cat umgesetzt wie p-Aminobenzoat. Allerdings wirkt das hydroxylier- te Folatanalog offenbar nicht als Co- faktor, denn in den mit PAS behandel- ten Bakterien waren Folat-abhängige Synthesewege wie die Glycin-, Me- thionin- und Thymidilatsynthese beeinträchtigt, wobei die eingangs genannten Vorläufer akkumulierten. Das Schicksal von Antibiotoka auf zellulärer Ebene vor der lethalen Pha- se zu kennen, ist wichtig für das Ver- ständnis ihres pharmazeutischen Nutzens und, vor dem Hintergrund von Antibiotikaresistenzen bei Krank- heitserregern, für die Entwicklung verbesserter Medikamente. Der Ein- satz moderner Methoden der Meta- bolomanalyse bereitet den Weg, die zellulären Wirkorte und molekularen Wirkungsmechanismen von PAS auf- zuklären. S. Chagraborty et al., Science 2013, 339, 88–91. Annette Hille-Rehfeld, Stuttgart N N N N H 2 N O R O CO 2 H N N H CO 2 H H H Abb. 1 Biosynthese von Tetrahydrofolat Abb. 2 p-Aminosalicylat (R=OH, rot hervorgehoben) kann anstelle von p-Aminobenzoat (R=H) in ein Dihydrofolatanalo- gon eingebaut werden. P i Glutamat + ATP ADP + P i p-Aminobenzoat + 6-Hydroxymethyl-dihydropterinpyrophosphat Dihydropteroatsynthase (DHPS) Dihydropteroat Dihydrofolatsynthase Dihydrofolat NADPH/H + NADP + Dihydrofolat Dihydrofolatreduktase

p-Aminosalicylat als Trittbrettfahrer im Folatstoffwechsel

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

76 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 74 – 77

M E TA B O LO M I K

p-Aminosalicylat als Trittbrettfahrer im Folatstoffwechsel

Die antibiotische Wirkung von p-Aminosalicylat (PAS) wird auf eine kompetitive Hem-mung der Folatsynthese zurückgeführt, aber nicht jeder wirksame Hemmer der Folat -synthese eignet sich gleichermaßen als Antibiotikum. Die Besonderheit von PAS liegt offenbar darin, dass es nicht nur die Folatsynthese hemmt, sondern darüberhinaus in ein unwirksames Folsäureanalog eingebaut wird.

Da Menschen wie alle SäugetiereFolat nicht selbst synthetisieren, son-dern als Vitamin mit der Nahrungaufnehmen, wirken Hemmstoffe derFolatsynthese selektiv auf Bakterienund sind deshalb für die pharmakolo-gische Anwendung besonders attrak-tiv. Dazu gehört p-Aminosalicylat(PAS), eines der ersten gegen den Tuberkuloseerreger Mycobacteriumtuberculosis eingesetzten Antibioti-ka. Angriffspunkt von PAS ist die Di-hydropteroatsynthase (DHPS, Abbil-dung 1), von deren physiologischemSubstrat, p-Aminobenzoat, sich PAS le-diglich bezüglich eines Hydroxylsub-stituenten unterscheidet. Daher wirktPAS als kompetitiver Hemmstoff die-ses Enzyms.

Ein US-amerikanisches Forscher-team ging jetzt der Frage nach, wes-halb gerade PAS gegen M. tuberculo-sis wirksam ist, während bestimmteSulfonamide, die gereinigte DHPS imReagenzglasversuch sogar noch wirk-samer hemmen als PAS, keine (Dap-son, Sulfanilamid) oder nur schwache(Sulfamethaxol) antibiotische Wirk-samkeit gegen den Tuberkuloseerre-ger zeigen. Sie stellten fest, dass so-wohl die Sulfonamide als auch PAS inZellen von M. tuberculosis aufgenom-men wurden und dort wie erwartetdas natürliche Substrat vom Enzymverdrängten. Passend zu den früherenErgebnissen mit gereinigter DHPS erwiesen sich dabei die Sulfonamideals wirksamere Kompetitoren. Dasssie dennoch keine bakterizide Wir-kung zeigten, ließ sich darauf zurück-führen, dass sie rasch metabolisiertund dadurch in inaktive, im Metabo-lom der Zelle nachweisbare Substan-zen überführt wurden.

Hemmstoffe der Folatsynthese wir-ken bakterizid, da sie die Bildung desfür C1-Übertragungsreaktionen essen-tiellen Cofaktors Tetrahydrofolat unterbinden und damit letztlichwichtige Synthesen blockieren, z. B. die Bildung von Glycin aus Serin,von Methionin aus Homocysteinoder von 2'-Desoxythymidin-5'-mono-phosphat (dTMP) aus 2'-Desoxyuri-din-5'-monophosphat (dUMP).

Auch PAS wurde von den Bakte-rienzellen metabolisiert, sodass sichdie kompetitiv hemmende Wirkungnach einigen Stunden der Behand-lung vorübergehend abschwächte.Überraschend war eine anschließen-de erneute Zunahme der kompetiti-ven Hemmung, die ein Plateau erstzu einem Zeitpunkt erreichte, alsschon ein großer Teil der PAS meta-bolisiert war. Dieser biphasische Ver-lauf der Wirkung lässt sich am bestendurch Metabolisierung zu einer zwei-ten wirksamen Substanz erklären,und dazu passend wurden mittelschromatographischer Reinigung undMassenspektroskopie mehrere Deri-vate identifiziert: N-Monomethyl-PAS,N-Dimethyl-PAS – von denen nur dasMonomethylderivat als kompetitiverHemmstoff der DHPS wirkte – sowiedie Dihydropteroat- und Folatanalogavon PAS (Abbildung 2) bzw. N-Mono-methyl-PAS. Demnach verdrängt PASnicht nur das physiologische Substratder DHPS, sondern wird selbst als al-ternatives Substrat umgesetzt. Durchrekombinant hergestellte, gereinigteEnzyme wurde PAS mit vergleich -barer Km und kcat umgesetzt wie p-Aminobenzoat.

Allerdings wirkt das hydroxylier-te Folatanalog offenbar nicht als Co-faktor, denn in den mit PAS behandel-ten Bakterien waren Folat-abhängigeSynthesewege wie die Glycin-, Me -thionin- und Thymidilatsynthese beeinträchtigt, wobei die eingangsgenannten Vorläufer akkumulierten.

Das Schicksal von Antibiotoka aufzellulärer Ebene vor der lethalen Pha-se zu kennen, ist wichtig für das Ver-ständnis ihres pharmazeutischen Nutzens und, vor dem Hintergrundvon Antibiotikaresistenzen bei Krank-heitserregern, für die Entwicklungverbesserter Medikamente. Der Ein-satz moderner Methoden der Meta-bolomanalyse bereitet den Weg, diezellulären Wirkorte und molekularenWirkungsmechanismen von PAS auf-zuklären.

S. Chagraborty et al., Science 2013, 339, 88–91.

Annette Hille-Rehfeld, Stuttgart

N

N

N

N

H2N

O

R

O CO2H

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NH

CO2HH

H

Abb. 1 Biosynthese von Tetrahydrofolat

Abb. 2 p-Aminosalicylat (R=OH, rot hervorgehoben) kannanstelle von p-Aminobenzoat (R=H) in ein Dihydrofolatanalo-gon eingebaut werden.

Pi

Glutamat + ATP

ADP + Pi

p-Aminobenzoat +

6-Hydroxymethyl-dihydropterinpyrophosphat

Dihydropteroatsynthase (DHPS)

Dihydropteroat

Dihydrofolatsynthase

Dihydrofolat

NADPH/H+

NADP+

Dihydrofolat

Dihydrofolatreduktase