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Paarbilder aus fünf Jahrhunderten
Paarbilder aus fünf Jahrhunderten Eine Sortierstudie
vonHartmut Espe
Institut für Geschichte und
Theorie der Gestaltung
Abstract (1)
Diese Präsentation zeigt die Ergebnisse einer sprach-freien Sortierstudie mit Paargemälden. 81 Kunstlaien gruppierten 24 künstlerische Darstellungen von Paaren nach Ähnlich-keit. Die Bilder stammen aus der Zeit von 1484 bis 1970. Sie bedienen sich verschiedener Stile. Es blieb den Befragten überlassen, was sie unter Ähnlichkeit verstehen wollten. Die Anzahl der Bildgruppen und der Bilder inner-halb der Gruppen wurde nicht vorgegeben. Begründungen für die Sortierungen wurden nicht verlangt. Die visuellen Eindrücke konnten so direkt in Handlung umgesetzt werden.
Abstract (2)
Für die Auswertung wurden die Angaben aller Befragten zusammengefasst und statistisch analysiert. Eine Hierachische Clusteranalyse ergab sechs Cluster. Eine Multidimensionale Skalierung zeigte drei Dimensionen. Die Ergebnisse weisen auf typische Inhalte und Formen künstlerischer Paardarstellungen hin. Unter der Perspektive der nonverbalen Kommunikation lassen sie sich genauer untersuchen. Stilistische und chronologische Kriterien spielten bei der Sortierung durch die Kunstlaien keine Rolle.
Stichwörter
Kunstpsychologie; Empirische Ästhetik; Hierarchische Clusteranalyse; Multidimensionale Skalierung; Nonverbale Kommunikation; Körpersprache; Paare.
Motto
„Die Einsicht in das konkrete Handeln der Künstler lässt uns deutlicher erkennen, wo er die Logik des Gedankens und die Dialektik des Formalen hinter sich lässt und in die Wortlosigkeit des Bildes vorstößt.“
Alfonso Hüppis
Inhalt
• Problem• Methode
– Paarbilder
• Ergebnisse– Ähnlichkeitsmatrix– Hierarchische Clusteranalyse (HCA) – Multidimensionale Skalierung (MDS)– MDS und HCA
• Synopse• Diskussion• Literatur• Anhang
Problem (1)
Auch wenn die Kommunikationspsychologie sich vornehm-lich mit dem Wort als Medium der Kommunikation befasst, so ist doch klar, dass es auch eine Kommunikation mittels Bilder gibt, die allerdings noch wenig erforscht ist.
Diese Studie befasst sich mit der Frage, was künstlerische Darstellungen von Paaren – das „Paarportrait“ – Betrachtern vermittelt.
Problem (2)
Nach Roman Jakobson (1960) lassen sich im Anschluss an den Sprachpsychologen Karl Bühler (1934) die referentielle, die emotive, die konative, die phatische, die metasprachliche sowie die poetische (= ästhetische) Funktion eines Kommu-niqués unterscheiden. Die Funktionen konkurrieren miteinander, meist dominiert eine.
Auf künstlerische Bilder übertragen fragt sich, inwieweit sich die ästhetische Funktion durchsetzt.
Methode
Nach einem Verfahren aus der Sprachpsychologie (Miller, 1969) sortierten 81 Kunstlaien 24 künstlerische Darstellungen von Paaren nach Ähnlichkeit. Die Bilder stammen aus der Zeit von 1484 bis 1970. Sie bedienen sich ganz verschiedener Stile. Die Sortieranweisungen wurden auf ein Minimum beschränkt: Es blieb den Befragten überlassen, was sie unter "Ähnlichkeit" verstanden; die Anzahl der Bildgruppen und der Bilder innerhalb der Gruppen wurden nicht vorgegeben; Begründungen wurden nicht verlangt. Der visuelle Eindruck musste damit nicht verbalisiert werden. Die Daten wurden in einer Ähnlichkeitsmatix zusammengefasst und über multivariate Verfahren ausgewertet.
Die 24 Paarbilder
01 Liebespaar, W. Mattheuer, 197002 La danse à la campagne, P. A.
Renoir, 188303 Die Armen am Meeresstrand, P.
Picasso, 190304 Aus dem Collagenroman "Die weisse
Woche", Max Ernst, 193405 Der Diwan, P. Picasso, 190106 Liebespaar, P. Picasso, 192307 An der Bar / Die bleichsüchtige
Kassiererin, H. de Toulouse-Lautrec, 1898
08 Der Sonnenschirm, F. Goya, ca. 179009 Herr mit Dame beim Wein, J.
Vermeer, ca. 166510 Francesca da Rimini e Paolo, 11 A. Feuerbach, ca. 186511 Adam und Eva, L. Cranach, 1472-
1553
12 Liebespaar, E. Reuwich, ca. 1484 13 Der Mennonitenprediger Anslo,
Rembrandt H. v. R., 1606-166914 Selbstbildnis mit Gattin Saskia,
Rembrandt H. v. R., 1606-166915 Liebespaar, O. Müller, 1874-193016 Familie Kerzmann, G. Waldmüller,
183517 Morning Walk, T. Gainsborough, 178518 Bauernjägers Einkehr, W. Leibl, 187619 Interieur mit Paar am Vogelkäfig,
P. de Hooch, 1629-168420 Die Eltern des Künstlers, P. O. Runge,
180621 Im Zitronengarten, E. Nolde, 193322 Im Wintergarten, E. Manet, 187923 Sängerin, W. Kandinsky, 190324 Bad im August, M. Beckmann, 1937
01 Liebespaar, W. Mattheuer, 1970
02 La danse à la campagne, P. A. Renoir, 1883
03 Die Armen am Meeresstrand, P. Picasso, 1903
04 Aus dem Collagenroman "Die weisse Woche", Max Ernst, 1934
05 Der Diwan, P. Picasso, 1901
06 Liebespaar, P. Picasso, 1923
07 An der Bar / Die bleichsüchtige Kassiererin, H. de Toulouse-Lautrec, 1898
08 Der Sonnenschirm, F. Goya, ca. 1790
09 Herr mit Dame beim Wein, J. Vermeer, ca. 1665
10 Francesca da Rimini e Paolo, A. Feuerbach, ca. 1865
11 Adam und Eva, L. Cranach, 1472-1553
12 Liebespaar, E. Reuwich, ca. 1484
13 Der Mennonitenprediger Anslo, Rembrandt H. v. R., 1606-1669
14 Selbstbildnis mit Gattin Saskia, Rembrandt H. v. R., 1606-1669
15 Liebespaar, O. Müller, 1874-1930
16 Familie Kerzmann, G. Waldmüller, 1835
17 Morning Walk, T. Gainsborough, 1785
18 Bauernjägers Einkehr, W. Leibl, 1876
19 Interieur mit Paar am Vogelkäfig, P. de Hooch, 1629-1684
20 Die Eltern des Künstlers, P. O. Runge, 1806
21 Im Zitronengarten, E. Nolde, 1933
22 Im Wintergarten, E. Manet, 1879
23 Sängerin, W. Kandinsky, 1903
24 Bad im August, M. Beckmann, 1937
24 Bad im August, M. Beckmann, 1937
Ergebnisse
Ähnlichkeitsmatrix der 24 BilderHierarchische Clusteranalyse (HCA) Multidimensionale Skalierung (MDS)MDS und HCA
Ähnlichkeitsmatrix der 24 Bilder
Ähnlichkeitsmatrix der 24 Bilder
Ähnlichkeitsmatrix der 24 Bilder
48 von 81 Personen sortierten Bild 01 und Bild 15 in eine Gruppe = hohe Ähnlichkeit
15 Liebespaar, O. Müller, 1874-193001 Liebespaar, W. Mattheuer, 1970
Ähnlichkeitsmatrix der 24 Bilder
Bild 01 = keine Ähnlichkeit mit Bild 09, 13, 16, 17, 19 und 20
01 Liebespaar, W. Mattheuer, 1970
Hierarchische Clusteranalyse
Eine Hierarchische Clusteranalyse (HCA nach Ward) der Ähnlichkeitsmatrix über alle Befragten führt zu sechs Clustern, die vor allem Situationen unterscheiden. Die Bilder innerhalb der Cluster weisen z. T. auch hohe formale Ähnlichkeiten auf. Es ergaben sich folgende sechs Cluster.
Cluster 1
Cluster 3a
Cluster 2
Cluster 3b
Cluster 4a
Cluster 4b
Cluster 1„Zu Hause“
Cluster 3a„Beziehungslos“
Cluster 2„Doppelbildnis“
Cluster 3b„Familienportrait“
Cluster 4a„Liebespaar“
Cluster 4b„Männlicher Zugriff“
Cluster 1: "Zu Hause"
Cluster 1: "Zu Hause"
Bild 09 Herr und Dame beim Wein (Vermeer)
Bild 19 Interieur mit Paar am Vogelkäfig (de Hooch)
Bild 13 Der Mennonitenprediger Anslo (Rembrandt)
Bild 22 Im Wintergarten (Manet)
Bild 18 Bauernjägers Einkehr (Leibl)
Cluster 2: "Doppelbildnis"
Cluster 2: "Doppelbildnis"
Bild 06 Liebespaar (Picasso)
Bild 10 Francesca da Rimini e Paolo (Feuerbach)
Bild 11 Adam und Eva (Cranach)
Bild 12 Liebespaar (Reuwich)
Bild 08 Der Sonnenschirm (Goya)
Cluster 3a: "Beziehungslos"
Cluster 3a: "Beziehungslos"
Bild 07 An der Bar / Die bleichsüchtige Kassiererin (Toulouse-Lautrec)
Bild 23 Sängerin (Kandinsky)
Cluster 3b: "Familienportrait"
Cluster 3b: "Familienportrait"
Bild 16 Familie Kerzmann (Waldmüller)
Bild 17 Morning Walk (Gainsborough)
Bild 20 Die Eltern des Künstlers (Runge)
Bild 03 Die Armen am Meeresstrand (Picasso)
Cluster 4a: "Liebespaar"
Cluster 4a: "Liebespaar"
Bild 01 Liebespaar (Mattheuer)
Bild 15 Liebespaar (Otto Müller)
Bild 21 Im Zitronengarten (Nolde)
Cluster 4b: "Männlicher Zugriff"
Cluster 4b: "Männlicher Zugriff"
Bild 02 La danse à la campagne (Renoir)
Bild 14 Selbstbildnis mit Saskia (Rembrandt)
Bild 05 Der Diwan (Picasso)
Bild 24 Bad im August (Beckmann)
Bild 04 Aus dem Collagen-Roman "Die Weisse Woche" (Max Ernst)
Multidimensionale Skalierung
Eine Multidimensionale Skalierung (MDS) der Ähnlichkeits-matrix zeigt drei Dimensionen, die als Grundthemen von Paarbeziehungen interpretiert werden können.
MDS-Dimension 1 „Leidenschaft“ versus „Alltag“
Bild 01 2,18 Bild 09 -1,99
MDS-Dimension 2“Gleichheit” versus “Ungleichheit”
Bild 10 1,60 Bild 14 -1,22
MDS-Dimension 3“Privat” versus “Öffentlich”
Bild 19 1,14 Bild 03 -1,34
Privat
Öffentlich
Gleichheit
Ungleichheit
Leidenschaft
Alltag
MDS und HCA
Mittels der MDS-Dimensionen lässt sich die Lage der Cluster bzw. der Bilder im MDS-Raum darstellen. Dabei wurde folgende Farbcodierung verwendet:
•„Zu Hause“•„Doppelbildnis“•„Beziehungslos“•„Familienportrait“•„Liebespaar“•„Männlicher Zugriff“
"Alltag"
2,01,00,0-1,0-2,0
"G
leic
hhei
t"2,0
1,0
0,0
-1,0 24
23
22
21
20
19
18
17
16
15
14
13
12
11
10
98
7
6
5
4
3
2
1
"Leidenschaft"
"Ung
leic
hhei
t"
Dimensionen 1+2; Lokalisierung des Clusters „Liebespaar“ bei Gleichheit und Leidenschaft
Cluster„Liebespaar“
"Alltag"
2,01,00,0-1,0-2,0
"G
leic
hhei
t"2,0
1,0
0,0
-1,0 24
23
22
21
20
19
18
17
16
15
14
13
12
11
10
98
7
6
5
4
3
2
1
"Leidenschaft"
"Ung
leic
hhei
t"
(1+2)
(1+3)
„Alltag“
3210-1-2-3
„Öff
entli
ch“
1,5
1,0
0,5
0,0
-0,5
-1,0
-1,5
24
23
22
21
20
19
18
17
16
15
1413
12
11
10
9
8
7 6
5
4
3
2
1
„Leidenschaft“
„P
riva
t“
(2+3)
„Ungleichheit“
2,01,00,0-1,0
„Öff
entli
ch“
1,0
0,0
-1,0
24
23
22
21
20
19
18
1716
15
1413
12
11
10
9
87
6
5
4
3
2
1
„Gleichheit“
„P
riva
t“
Clusterzentren im MDS-Raum
„Ung
leic
hhei
t“
4b
4a2
3a
1
„Öffentlich“
3b
„Alltag“
„Leidenschaft“ „Privat“
„Gle
ichh
eit“
Synopse: Inhalte und Formen von künstlerischen Paardarstellungen
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------Hierarchische Multidimensionale Skalierung ( = Inhalte)Clusteranalyse Dimension 1 Dimension 2 Dimension 3 ( = Formen) "Leidenschaft"/ "Gleichheit"/ "Privat"/
"Alltag" "Ungleichheit""Öffentlich"
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------
1 "Zu Hause" "Alltag" "Privat"
2 "Doppelbildnis" "Gleichheit"
3a "Beziehungslos" "Ungleichheit"
3b "Familienportrait" "Gleichheit" "Öffentlich"
4a "Liebespaar" "Leidenschaft" "Privat"
4b "Männlicher Zugriff" "Leidenschaft" "Ungleichheit„ "Privat"
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Diskussion
Bei allen Einschränkungen (nur 24 Bilder, nur 81 Befragte) erbringt die Studie klare Ergebnisse. Im Sortierversuch setzt sich die referentielle Funktion durch, nicht die ästhetische. Die Befragten gruppieren nicht nach Stilen oder Zeit-räumen, sondern nach „nonverbaler Kommunikation“ (NVC) der Paare. Die Künstler haben bedeutungsvolle Paarszenen dargestellt, und den Betrachtern teilt sich dies mit. Kombiniert verweisen die HCA- und MDS-Ergebnisse der auf typische Inhalte und Formen künstlerischer Paardarstellungen, die näher aus der Perspektive der NVC beschrieben werden können (siehe hierzu z. B. Schuster & Woschek, 1989; Frey, 1999; Knapp, & Hall 2002).
Literatur
Backhaus, Klaus, Erichson, Bernd, Plinke, Wulff, & Weiber, Rolf (2003). Multivariate Analysemethoden. Springer, Berlin.
Bühler, Karl (1934). Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Fischer.
Miller, George A. (1969). A psychological method to investigate verbal concepts. Journal of Mathematical Psychology, 6, 169-191.
Jakobson, Roman (1960). Closing statement: Linguistics and poetics. In: Th. A. Sebeok (ed.) Style and language. Cambridge: MIT Press, pp. 350-377.
Schuster, Martin, & Woschek, Bernhard P. (eds.) (1989). Nonverbale Kommunikation durch Bilder. Verlag für Angewandte Psychologie, Stuttgart.
Frey, Siegfried (1999). Die Macht des Bildes. Der Einfluss der nonverbalen Kommunikation auf Kultur und Politik. Bern: Huber.
Knapp, M. L. & J. A. Hall (2002) Nonverbal Communication in Human Interaction (5th edition) Wadsworth.
Anmerkung
Die Studie wurde bisher in folgenden Zusammenhängen dargestellt:Espe, H. (1998). The "Poetic" Function in Paintings. An Empirical Investigation using the
Sorting Task. Paper presented to the 15th Congress of the International Association for Empirical Aesthetics, 1st University of Rome, September 22, 1998 (Proceedings, p. 96).
Espe, H. (1998). Paardarstellungen in der Malerei. Ergebnisse eines Sortierversuches. Poster und Vortrag, 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Technische Universität Dresden, Oktober.
Espe, H. (1997). Kommunikative Funktionen von Bildern. Ein explorativer Sortierversuch anhand von künstlerischen Paardarstellungen. Forschungsbericht. Hochschule der Künste Berlin.
Sortierstudien liegen zu Mutter-Kind- und Stadtbildern vor. Die Datenerhebungen und Datenauswertungen sind abgeschlossen, Manuskripte bzw. Präsentationen sind in Vorbereitung. Sortierstudien wurden auch zu anderen Themen der Gestaltung durchgeführt (z. B. Werbeanzeigen, Zeitschriftentitelblätter, Plakate, Armbanduhren).
Anhang
• MDS-Werte
Dimension 1Leidenschaft vs. AlltagBild01 2,18 15 2,14 05 2,02 24 1,60 21 1,51 04 1,51 02 1,49 06 0,90 14 0,67 10 0,31 12 -0,02 11 -0,18 08 -0,21 07 -0,35 03 -0,73 23 -0.89 22 -1,11 17 -1,24 20 -1,40 18 -1,41 16 -1,41 19 -1,61 13 -1,7609 -1,99
Dimension 2Gleichheit vs. UngleichheitBild10 1,60 06 1,51 12 1,32 21 0,88 15 0,72 11 0,64 19 0,60 22 0,58 01 0,28 09 0,11 18 0,05 08 -0,11 13 -0,13 04 -0,25 17 -0,42 03 -0,47 23 -0,59 16 -0,62 05 -0,77 02 -0,80 20 -0,80 24 -0,91 07 -1,12 14 -1,22
Dimension 3Privat vs. ÖffentlichBild19 1,14 13 1,02 09 0,95 14 0,86 22 0,59 02 0,59 18 0,54 05 0,42 24 0,25 10 . 0,16 04 0,10 08 0,09 21 0,03 15 . 0,03 01 -0,02 07 -0,03 06 -0,19 12 -0,29 23 -0,61 16 -0,79 17 -1,14 11 -1,16 20 -1,20 03 -1,34
© Hartmut Espe Berlin 2004
Ende