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Pakistan: Wenn die Menschlichkeit stirbt

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Am 15. März kam es genau drei Monate nach dem Angriff auf eine Armeeschule in Peschawar zum nächsten größeren Anschlag. Dieses Mal starben mindestens 15 Menschen, 78 wurden verletzt bei dem Doppelangriff auf zwei Kirchen in Lahore. Wiederum wurde der Anschlag von Taliban bzw. einer ihnen nahestehenden Gruppierung begangen. Zwar bewirkte der militärische Druck seit der Operation Zarb-e Azb eine Abnahme von terroristischen Aktivitäten, doch scheint mit dem Ausweichfokus "soft targets" eine Maximierung der Opferzahlen einherzugehen, um "Erfolge" und damit Schlagzeilen zu erreichen. Mit weiteren Anschlägen dieser Art ist zu rechnen.

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Hintergrund: Pakistan Nr. 17 / März 2015 | 1

Wenn die Menschlichkeit stirbt

Dr. Almut Besold

Am 15. März kam es genau drei Monate nach dem Angriff auf eine Armeeschule in Peschawar zum

nächsten größeren Anschlag. Dieses Mal starben mindestens 15 Menschen, 78 wurden verletzt bei dem

Doppelangriff auf zwei Kirchen in Lahore. Wiederum wurde der Anschlag von Taliban bzw. einer ihnen

nahestehenden Gruppierung begangen. Zwar bewirkte der militärische Druck seit der Operation Zarb-e

Azb eine Abnahme von terroristischen Aktivitäten, doch scheint mit dem Ausweichfokus „soft targets“

eine Maximierung der Opferzahlen einherzugehen, um „Erfolge“ und damit Schlagzeilen zu erreichen.

Mit weiteren Anschlägen dieser Art ist zu rechnen.

Quelle: South Asia Terrorism Portal (http://www.satp.org)

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Religiös motivierte Gewalt in Pakistan

Zwischenfälle

Tote

Verletzte

Hintergrund:

Pakistan

Nr. 17 / 20. März 2015

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Der Kontext ist derselbe: Vorgegangen wird gegen die Schwächsten der Gesellschaft – in Peschawar

waren es Kinder, in Lahore die christliche Minderheit des Landes. Das Attentat auf die Armeeschule in

Peschawar erschütterte Pakistan wie nie zuvor – nicht jedoch der Anschlag auf die Kirchen, da es ja

„nur“ gegen eine Minderheit ging. Stattdessen wurde der Sieg eines Cricketspiels gefeiert.

Die Reaktionen auf den Peschawar-Anschlag waren eher hilflos (Mauern um Schulen, Waffenausbil-

dung von Lehrern) und von Rache (Luftangriffe und Hinrichtungen) gekennzeichnet. An tiefgreifenden

Änderungen scheint niemand interessiert zu sein, denn sie würden den Führungsanspruch der Feuda-

laristokratie gefährden – und zudem eine explosive Frage befördern: „Was ist Pakistan?“ Die Christen

reagierten zum ersten Mal mit Gewalt auf einen Anschlag gegen sie – zwei mutmaßliche Mitbeteiligte

am Anschlag wurden von der aufgebrachten Menge gelyncht.

Die pakistanische Bevölkerung – Spielball der Politik

Die Menschen in Pakistan haben genug davon, in permanenter Unsicherheit zu leben. Sie sehen sich

als Spielball einer Politik, die jahrelang Terrororganisationen aufgebaut, unterstützt und gesteuert hat,

während sie jetzt nur selektive Maßnahmen gegen sie unternimmt. Die armen Bevölkerungsteile wer-

den ungebildet und am/unter dem Existenzminimum gehalten, damit sie den Führungsanspruch feu-

daler Eliten im Rahmen einer möglichen Emanzipierung nicht in Frage stellen. Gleichermaßen würde

in dem vom Staatsgründer Muhammad Ali Jinnah intendiert säkularen Land, der heutigen Islamischen

Republik Pakistan, die Frage nach gleichen Rechten für alle Bürger – und damit gleichen Rechten für

auch Nicht-Muslime aufkommen. Somit könnte die propagierte Ideologie unterminiert werden.

Die Mittelklasse ist das Rück-

grat des Staates. Angehörige

der Mittelschicht sind die ein-

zigen, die Steuern zahlen (Pa-

kistan hat mit neun Prozent

weltweit einer der niedrigsten

Steuerquoten (Deutschland

23,2%))1

. Trotz dieser Last

sehen sie zu, dass sie ihren

Kindern eine vernünftige Aus-

bildung finanzieren können –

die teuer ist, wenn man sich

nicht mit den – oftmals sehr

schlechten – öffentlichen

Schulen bescheiden will. Das

Peschawar-Attentat zeigt

einmal mehr, dass die Regie-

rung Flickschusterei betreibt und nicht gewillt ist, die Probleme gezielt anzugehen. Es kann nicht da-

rum gehen, Schulen mit Überwachungskameras versehen zu Festungen auszubauen, in die mitunter

selbst die Eltern nicht mehr ohne weiteres hineinkönnen, und gar Lehrer zu bewaffnen – für den Fall

der Fälle.

Es geht darum, der im Lande herrschenden Armut Herr zu werden und der Radikalisierung Einhalt zu

gebieten. Der Möglichkeiten gibt es viele – sie landen jedoch noch nicht einmal auf Papier, wenn der

1 Fischer Weltalmanach 2014, Zahlen von 2011.

Lernen unter beengten und einfachen Bedingungen

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Wille zur Veränderung fehlt. Ein wichtiger Schritt wäre, die Curricula der nahezu unzähligen Koran-

schulen staatlich zu kontrollieren. Der Ruf danach ist laut – doch wenn das so unreflektiert geschieht

wie mit den Sofortmaßnahmen in Hinblick auf die Sicherheit für Schulen, dann wird wichtige Zeit

verschenkt und der Änderungsprozess erschwert.

Es ist nicht so, dass sich die Koranschulen generell Änderungen verwehrten. Aber sie müssen weise

erfolgen und idealerweise von innen kommen. Das geht am einfachsten über den Arabischunterricht,

für den nicht das derzeit genutzte vergleichsweise schlechte Lehrmaterial verwendet werden muss,

sondern attraktives, modernes, das auch zum Sprechen der Sprache befähigt und somit Pakistanern im

arabischen Ausland bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Interesse ist durchaus auch an

weltlichen Themen vorhanden, die bislang an den meisten Koranschulen zu kurz kommen. Durch Lehr-

ertrainings kann hier Abhilfe geschaffen werden. Nur dann wird das Land vorwärts kommen. Stattdes-

sen die seit 2008 bestehende Aussetzung für die Todesstrafe aufzuheben, ist kein Schritt vorwärts.

Zehn Prozent der über 8000 inhaftierten zum Tode verurteilten Menschen in Pakistan wurden im Zu-

sammenhang mit Terroranschlägen verhaftet. Bereits drei Tage nach dem Peschawar-Schulanschlag,

am 19.12., wurden die beiden ersten Todesurteile vollstreckt. Fünfhundert weitere sollen folgen. Da

der Mangel an Rechtsstaatlichkeit gravierend zum Gedeihen des Terrorismus beitrug und beiträgt,

wird sich ein nach rechtsstaatlichen Kriterien mangelhafter Gerichtsprozess eher kontraproduktiv auf

die Gesamtsituation im Lande auswirken.

Peschawar – Stätte des Anschlags

Das zweitausend Jahre alte Peschawar mit rund drei Millionen Einwohnern im Nordwesten Pakistans

ist nicht nur eine Stadt der Kunstschätze, sondern mittlerweile auch der Attentate: Allein in den letz-

ten fünf Jahren kam es zu etlichen Attentaten großen Ausmaßes. 2010 starb ein Junge außerhalb ei-

ner Schule durch einen Anschlag, dem wenige Stunden später ein zweiter Anschlag folgte, der min-

destens 25 Menschen das Leben kostete. 2012 starben bei einem Anschlag auf einen Bus mit Regie-

rungsangestellten 19 Menschen. Ein Jahr später erfolgte ein Selbstmordanschlag auf eine protestanti-

sche Kirche, bei dem mindestens 61 Menschen ums Leben kamen, erneut ein Anschlag auf einen Bus

mit Regierungsangestellten (19 Tote) sowie ein Anschlag auf eine Marktgegend mit 33 Toten. Einen

Höhepunkt dieser traurigen Bilanz stellte jedoch der Anschlag dar, zu dem es am 16. Dezember 2014

kam. Mindestens 148 Menschen wurden ermordet, die Mehrheit – über 130 – von ihnen waren Schul-

kinder. Es war pakistanweit der Terroranschlag, der bislang die meisten Todesopfer forderte.

Das Lahore-Attentat vor einigen Tagen

hätte weitaus mehr Menschenleben kosten

können – die beiden angegriffenen Kirchen

gehören zu den größten des Landes. Hät-

ten – muslimische! – Sicherheitskräfte

nicht die Attentäter vor der Kirche stoppen

können und sie wären in die Kirche einge-

drungen, um sich dort in die Luft zu

sprengen – Hunderte der über zweitausend

versammelten Menschen hätten ihr Leben

verloren.

Kirchen sind sichtbare Wahrzeichen in Lahore - Hier die Sacred Heart

Cathedral

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Sieben Angreifer drangen am 16. Dezember 2014, in eine

von der Armee betriebene öffentliche Schule ein. Die

Schule wird insbesondere, aber nicht nur von Kindern von

Armeeangehörigen oder –angestellten besucht. Die Kämp-

fer trugen reguläre Uniformen der pakistanischen Grenz-

truppen (Pakistani Frontier Corps), gehörten aber zur is-

lamistischen „Taliban-Bewegung Pakistans“ (Tehreek-e

Taliban Pakistan – TTP). Diese Organisation ist in den

Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (Federally Ad-

ministered Tribal Areas – FATA) verbreitet und verübt An-

schläge insbesondere gegen pakistanische staatliche Ein-

richtungen sowie gegen Schiiten und Sufis (Muslime mit

einer bestimmten spirituellen Orientierung). Beweggrund

für diesen Anschlag sei die Militäroffensive Zarb-e Azb,

die die pakistanische Armee seit dem 15. Juni 2014 in

Nordwasiristan, einem Teilgebiet der Stammesgebiete

unter Bundesverwaltung, unternimmt. Hierbei geht das

pakistanische Militär gegen einheimische und ausländi-

sche Aufständische vor, die Nordwasiristan als Unter-

schlupf nutzen. Die Operation wird in Pakistan nicht nur

von politischer, militärischer und zivilgesellschaftlicher Seite für notwendig erachtet, sondern auch

vom Gremium religiöser Gelehrter Pakistans (All Pakistan Ulema Council) und dem Gremium für isla-

mische Weltanschauung (Council of Islamic Ideology). Beide Gremien gehen so weit, die Operation

einen „Dschihad“ gegen Terrorismus zu nennen.

Die Angreifer auf die Schule wollen dem Staat Pakistan unter der Führung des derzeitigen Premiermi-

nisters Nawaz Sharif deutlich machen, dass es ein angreifbarer Staat ist und auch militärische Struk-

turen nicht vor Angriffen sicher sein werden. Dass alle Angreifer ums Leben kamen und einige von

ihnen wohl Arabisch sprachen und somit Ausländer waren, ist Teil des Problems. Leben und Sterben

zählen auf beiden Seiten nicht viel – es kommt nur darauf an, dass es nicht einen selber betrifft. Und:

sollten einige Angreifer tatsächlich Arabisch gesprochen haben, zeigt es einmal mehr die komplexe

Situation, mit der Pakistan konfrontiert ist. Seit 2004 ereignen sich unzählige bewaffnete Auseinan-

dersetzungen zwischen pakistanischen Sicherheitskräften und militanten islamistischen Gruppen, wel-

che die pakistanische Regierung als Marionette der USA ansehen. Als probates Mittel wird Destabili-

sierung durch Terrorakte angesehen. Das erhöht aber eher noch die militärische und logistische Unter-

stützung seitens der USA, die sich allerdings durch Drohnenangriffe auf pakistanische Gebiete bei der

einheimischen Bevölkerung äußerst unbeliebt gemacht haben.

Das Datum des Anschlages war zudem höchst symbolisch: am 16. Dezember 1971 kapitulierte die pa-

kistanische Armee im Rahmen des Bangladeschkrieges mit Indien.

Reaktionen des pakistanischen Staates

Das Attentat rief pakistanweit höchstes Entsetzen und Abscheu hervor. In einem Land, in dem täglich

insbesondere in den westlichen Provinzen Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa irgendwo etwas

explodiert, zeigt das umso mehr, dass eine Grenze überschritten wurde. Die meisten dieser täglichen

Explosionen sind verhältnismäßig kleine und rühren von sogenannten IEDs her – Improvised Explosive

Devices, was unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen sind, die auch funkgesteuert sein

können. In westlichen Medien finden sie selten Erwähnung – zu oft kommen sie zum Einsatz, zudem

Eingang einer Schule in Islamabad

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richten sie sich fast ausschließlich gegen die einheimische Bevölkerung. Die pakistanische Menschen-

rechtskommission (Human Rights Commission of Pakistan) – Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung

für die Freiheit in Pakistan – dokumentiert sie hingegen akribisch. Im Schnitt explodieren zwei

Sprengsätze pro Tag in Pakistan.

Aufgrund des Peschawar-Attentats wurde eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen, und sämtliche

Aktivitäten, auch von zivilgesellschaftlicher Seite, wurden abgesagt. Das in dieser Form nie Dagewe-

sene, der Angriff auf die Schutzlosesten und die Zukunft der Gesellschaft in Form von Kindern, wurde

betrauert und verdammt. Die Regierung verabschiedete einen Sofortmaßnahmenkatalog für Schulen.

Diese wurden in verschiedene Kategorien eingeteilt und durften erst wieder öffnen, wenn sie die ge-

stellten Bedingungen erfüllen. Schulen der A-plus-Kategorie (Privatschulen, vom Militär betriebene

Schulen) müssen zum Beispiel von einer zwei Meter fünfzig hohen Mauer umfriedet sein, die mit Sta-

cheldraht versehen sein und von Kameras überwacht werden muss. Die Kameras sind auch mit der

nächstgelegenen Polizeistation verbunden. Eine Metalldetektorschleuse ist zu passieren beim Betreten

des Schulgeländes. Zu Schulbeginn und –ende stehen temporär Soldaten vor dem Eingang und über-

wachen das Geschehen. Schüler werden angehalten, nicht in Gruppen die Schule zu verlassen, son-

dern möglichst gleichmäßig verteilt – unter dem Gesichtspunkt, dass bei einem Anschlag die Anzahl

der Opfer auf diese Weise minimiert werden kann. Aus demselben Grund dürfen keine Morgenver-

sammlungen mehr auf dem Schulhof durchgeführt werden. Es war üblich, dass vor dem Unterrichts-

beginn sich die Schüler auf dem Schulhof zum Singen der Nationalhymne versammeln. Von der Schule

angestellte bewaffnete Wächter müssen darüber hinaus permanent vorhanden sein: sie stehen Wache

vor dem Schuleingang und haben einen Schützenstand – MG oder Pumpgun immer schussbereit.

Schulen einer niedrigeren Kategorie

brauchen all das nicht, da sie entwe-

der nicht prominent gelegen sind oder

aber ihnen im Hinblick auf die Her-

kunft der Schüler keine Bedeutung

zugemessen wird. Dies offenbart

gleichermaßen die Segmentierung der

Gesellschaft, deren Segmente in Welt-

bild und Staatsverständnis von der

Schulzeit an in verschiedene Richtun-

gen divergieren. Unabhängig von die-

ser neuen Schulkategorisierung kann

man fünf gesellschaftliche Gruppen

von schulpflichtigen Kindern ausma-

chen:

1. Madrasa-Schüler

2. Ohne Schulausbildung

3. Kostenlose Staatliche Schule

4. Militärschulen/Privatschulen

5. Schulbesuch im Ausland

Dabei stehen radikale Islamisten – die auch die Idee des Nationalstaates ablehnen – an einem Ende

der Skala. Am anderen Ende finden sich die Militärs, die das Rückgrat des pakistanischen Staates bil-

den, sowie privat im In- oder Ausland ausgebildete Pakistanis.

Eine typische Grundschulklasse in Pakistan

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Der Nutzen dieser neuen Schutzmaßnahmen ist zweifelhaft. Die meisten halten sie für Augenwische-

rei und wissen, dass sie mögliche Angriffe allenfalls erschweren, nicht aber vereiteln können.2 So wer-

den Lehrer zwar nun an Waffen ausgebildet, nicht jedoch in modernen, partizipativen Unterrichtsme-

thoden, die später Erwachsenen ermöglichen ihren politischen Willen anders als mit der Waffe zu arti-

kulieren. Etwas wie Staatsbürgerkunde gibt es in Pakistan nicht und damit streng genommen auch

keine Bürger; denn fast niemand kennt seine Rechte und Pflichten und niemand weiß, wie er existie-

rende Rechte durchsetzen kann. Vorgelebt und in Medien vielfach widergespiegelt wird als einzig er-

folgversprechende Form der Kommunikation der Gebrauch von Gewalt.

Darüber hinaus sind die neuen Maßnahmen kontraproduktiv: Privatschulen haben die nicht unerhebli-

chen Kosten nämlich vollständig selber zu tragen und werden sie verständlicherweise auf die Schulge-

bühren abwälzen. Diese sind ohnehin für gute Schulen sehr hoch. In einem Land mit einem Bruttona-

tionaleinkommen von 1260 US-$ pro Einwohner (2012) sowie einer Alphabetisierungsrate von etwas

mehr als 50%, und in dem gute Bildung hoch geschätzt wird von jedem, der vorankommen will, ist

das ein Faustschlag ins Gesicht.

Peschawar – Stätte von Dichtern

Peschawar hieß bis zur Entstehung Pakistans im Jahre 1947 auf Sanskrit „Männerstadt“ – Puruscha-

pura, aber auch Puschpapura „Blütenstadt“. Seit dem Aufkommen der Islamisierung in den 1970er ist

die Stadt jedoch verwelkt. In Peschawar ist auch der paschtunische Sufi-Dichter Rahman Baba (ge-

storben 1709) begraben, der als Philosoph der Dichter und Herzen gilt und moralische und ethische

Themen behandelte. Rahman Baba sah es als Aufgabe des Dichters, sich für Frieden und Menschlich-

keit einzusetzen. Bezeichnenderweise sprengten am 5. März 2009 islamistische Extremisten sein Grab

– bislang ungestraft. In Peschawar starb nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch die Gerechtigkeit.

Dem unmenschlichen Anschlag auf die Schule wird jedoch nicht mit mehr Menschlichkeit begegnet

und auch nicht mit mehr Rechtsstaatlichkeit. Stattdessen folgt dem Morden an Schülern nur noch

mehr Töten. Damit eskaliert die Gewalt weiter und die Ursachen der Gewalt bleiben unangetastet.

Lahore – einst tolerante Stadt des Mughal-Reiches

In der zeitweisen Hauptstadt Lahore

(1585–1598) herrschte die Mughal-

Dynastie einst über Menschen allen

Glaubens. Später dominierten Sikhs,

Hindus waren stark vertreten und seit

britischer Zeit finden sich zudem viele

Christen, einst aus unteren Kasten kon-

vertiert, in diesem Herzen des Punjab.

Die Ahmadiyya-Bewegung fand eben-

falls eine Heimstatt hier.

2 Am 3. Februar 2015 wurden z.B. Handgranaten in zwei Privatschulen in Karatschi geworfen. Dies geschah allerdings am

frühen Morgen, so dass keine Kinder zu Schaden kamen.

Cathedral Church of the Resurrection in Lahore

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Lahore ist zudem die Heimat des Nationaldichters Allama Iqbal (1877–1938), der viele seiner Ideen

aus seinem Studium in Heidelberg und München mitbrachte. Diese Toleranz und Weltoffenheit ging

mehr und mehr verloren. Seit Jahren schon kommt es zu Anschlägen und Pogromen.

Mit dem Lahore-Attentat bricht sich die permanente Anspannung einer Minderheit Bahn: erstmalig

wehren sich die Christen. Zwei der mutmaßlichen Attentäter wurden von der wütenden Menge gefasst

und umgehend verbrannt – weniger als Vergeltung für ein christliches Paar, das vergangenes Jahr von

einem muslimischen Mob bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, sondern wegen des fehlenden Ver-

trauens in die Justiz.

Um eine weitere Eskalation zu verhindern, muss aus Sicht von Pakistani systematisch und allumfas-

send gegen Extremisten vorgegangen werden. Um auf lange Sicht erfolgreich zu sein, müssten Tau-

sende von Koranschulen unter Kontrolle gebracht werden. Schließlich unterliegen auch in vielen isla-

mischen Ländern Imame strikten Regelungen3 in Hinblick auf die Inhalte ihrer Predigten und auch in

Hinblick auf die Curricula der Koranschulen – das gilt es auch in Pakistan einzuführen.

Zudem muss der sunnitisch-wahhabische Staat sein Verhältnis zu den Minderheiten neu definieren:

gleichberechtigte Bürger gleich welcher Herkunft, welcher Religion, welchen Geschlechts müssen das

Ziel sein, um Minderheiten von Stigmatisierung und Opferrolle zu befreien. Dies wird nicht einfach

sein, da in diesem Fall mit massivem Widerstand von sunnitisch-wahhabischem Klerikalen gerechnet

werden muss – und ihnen gehört die Straße. Davor fürchten sich wiederum Politiker – und tun lieber

nichts. Somit stirbt die Menschlichkeit weiter und mit weiteren Anschlägen kann gerechnet werden.

Dr. Almut Besold ist FNF-Projektleiterin für Pakistan mit Sitz in Islamabad (Fotos: FNF-Projektbüro

Pakistan).

Impressum

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF)

Bereich Internationale Politik

Referat für Querschnittsaufgaben

Karl-Marx-Straße 2

D-14482 Potsdam

3 Nicht alle Moscheen sind in arabischen Ländern unter staatlicher Aufsicht. Aber in Ägypten wird z.B. der Inhalt der Frei-

tagspredigten staatlich vorgegeben und die Freitagsmoscheen werden streng überwacht. Eine vollständige Überwachung

zu erreichen ist allerdings unmöglich.